Textil und Kleidung als Materialien in der Kunst

Kulturhistorischer Überblick und Ideen für den Textil- und Kunstunterricht


Examensarbeit, 2010

102 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Textilien und Kleidung als Material in der Kunst
2.1 Der Vergleich von Textilien zu den klassischen Materialien der Kunst
2.2 Soft Sculptures und die Soft-Art Bewegung

3 Kulturhistorischer Überblick des 20. Jahrhunderts
3.1 Das Reformkleid der deutschen Jugendstilkünstler
3.2 Die Wiener Werkstätten
3.3 Die Kleidung der Futuristen
3.4 Die russischen Konstruktivisten
3.5 Sonia Delaunay und die Simultan-Kleider
3.6 Das Bauhaus und seine Webwerkstatt
3.7 Dadaismus und Surrealismus
3.8 Kleidung und Textilien in der Kunst ab 1940
3.9 Der transatlantische Austausch ab dem Zweiten Weltkrieg
3.10 Pop Art, Andy Warhol und das Suppenkleid
3.11 Fluxus-Bewegung: Yoko Ono’s „Cut Piece“
3.12 Filz als zentrales Material bei Joseph Beuys
3.13 Stoffobjekte in der Prozesskunst von Franz Erhard Walther
3.14 Rosemarie Trockel und die Gender-Debatte
3.15 Resümee

4 Umsetzungspotenziale für den fächerverbindenden Unterricht an der Realschule
4.1 Ästhetische Bildung im Textil- und Kunstunterricht
4.2 Die Verankerung im Bildungsplan
4.3 Fächerverbindung in der Schulpraxis
4.4 Umsetzungsbeispiele für den Unterricht
4.4.1 Das Thema Mode als ästhetisch-relevantes Phänomen
4.4.2 „Tüten-Taschen“ als Stationenarbeit im Kunst- und Textilunterricht

5 Schlussbetrachtung

6 Literaturverzeichnis

I Abbildungsverzeichnis

II Anhang: Abbildungen

1 Einleitung

Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist geprägt von materieller Vielfalt, künstlerischen Ausdrucksformen und Thematiken. So ein breites Ausmaß und Wechselspiel der Kunstrichtungen hatte es in der Kunstgeschichte zuvor nicht gegeben. Dabei ist es auch nicht verwunderlich, dass die Kunst mit Textilien eine Wiedergeburt erlebte. Textile Materialien galten lange aufgrund ihrer sinnlichen Besetzung und ihrer Materialeigenschaften eher als „minderwertig“ und wurden dem Kunsthandwerk anstatt der hohen angewandten Kunst zugeordnet. Außerdem standen „weiche“ Materialien ganz im Gegensatz zu den klassischen traditionellen Materialien der Kunst. Auch ihre Konnotation des Weiblichen schreckte Künstler1 ab. Mit dem Gebrauch von Textilien in der Kunst des 20. Jahrhunderts kam es zu einer enormen Anwendungserweiterung des Materials. Die bis dahin geltenden Gesetze über die Verwendung des Materials wurden gesprengt. Neben den jahrhundertelang betriebenen traditionellen textilen Techniken wie beispielsweise Weben, Knüpfen, Sticken, Häkeln oder Nähen erfuhren sie eine Renaissance, indem sich Kunstschaffende wie Picasso, Braque, Rauschenberg und unzählige weitere an das „kunstfremde“ Material herantrauten und es in ihren Kunstwerken gebrauchten. Sie erkannten das Besondere an Textilien, was sich durch hohe Anpassungsfähigkeit und der Möglichkeit des Abdrucks auszeichnete. Heutzutage wird das Material in den verschiedensten Techniken und in Kombination mit anderen Werkstoffen für zum Beispiel Raumobjekte, Skulpturen oder Gestaltungen in der Natur oder Landschaft genutzt. Aber auch die traditionellen Tapisserietechniken haben ihre Gültigkeit beibehalten und behaupten ihr Recht. Neben dem Gebrauch von Textilien in Kunstwerken unterschiedlichster Gattungen besteht weiterhin die Kunstform der Textilkunst, welche sich mittlerweile in zwei Lager gespalten hat.

An dieser Stelle sollte nun zuerst die Frage geklärt werden: „Was ist Textilkunst überhaupt?“. In der Literatur lassen sich einige Definitionsansätze finden, die nun zusammenfassend dargestellt werden.

Die Textilkunst ist eine der ältesten Techniken des Kunsthandwerks, auf deren Geschichte in dieser Arbeit nicht eingegangen wird. Der fachwissenschaftliche Schwerpunkt liegt dagegen auf dem Thema Textilien und Kleidung in der Kunst des 20. Jahrhunderts und aktuellen Aspekten der heutigen Textilkunst. Textilkunst setzt sich aus den Begriffen „Textil“ und „Kunst“ zusammen. Nach Birgit Magon handelt es sich dabei um mit „textilen Techniken und Materialien hergestellte Kunst“2, die von einem Künstler hergestellt worden sein muss, der sein Handwerk beherrscht, damit die künstlerische Aussage zum Ausdruck kommt. Ihrer Meinung nach ist ein guter Weber, Wirker oder sonstiger textiler Handwerker noch lange kein Textilkünstler, denn die Beherrschung der Technik wird nur als Grundlage gesehen. Die schon oben erwähnte Spaltung in zwei Lager meint jene, zwischen den in den klassischen Techniken arbeitenden Bildwirkern und den experimentellen Textilkünstlern, die sich von den traditionellen Techniken abgewandt haben und „freie“ Kunst, auch in Kombination mit anderen Materialien, schaffen. Bei der III. Biennale der Deutschen Textilkunst ist diese Spaltung deutlich zu erkennen.3 Der Brockhaus nennt folgende Definition zur Textilkunst: "Sammelbegriff für die Gestaltung mit textilem Material in allen Techniken der Stoffbildung und Stoffverzierung."4

Auch wenn Textilien in der Kunst des 20.Jahrhunderts eine bedeutende Rolle spielten, waren und sind sie in unserer gesamten Menschheitsgeschichte außerhalb der Kunst schon immer von enormer Bedeutung. Der Kleidung werden außerhalb der Kunst verschiedene Grundfunktionen zugeschrieben, auf die im folgenden Abschnitt genauer eingegangen wird.

Als eine der wichtigsten Funktionen gilt heute die Schutzfunktion der Bekleidung. Dieses Motiv wurde neben dem Schmuckmotiv als traditionelle Urfunktion angesehen. Im Laufe der Zeit kamen noch weitere Grundfunktionen der Bekleidung hinzu. Das Urkleid aus Fell und Baumrinden kam laut Harald Brost hauptsächlich aus dem Beweggrund des Schutzes auf. Zum einen wollte man sich mit dem Fell bei der Jagd tarnen, zum anderen diente es dem Körper, aufgrund der klimatischen Verhältnisse, zum Schutz vor Kälte und Nässe. Das erste Kleidungsstück nutze so hauptsächlich der Existenzerhaltung. Auch hatten die Menschen in der Kleidung eine mystisch-magische Funktion gesehen, die sie durch das Tragen eines „ausgesuchten“ Tierfells bei der Jagd psychisch und physisch unterstützen sollten.5 Im Zeitalter der Renaissance diente die Bekleidung auch dem scheinbar geistigen Schutz der Frau. Der Körper wurde mit zahlreichen Kleiderschichten umhüllt, um ihn vor dem Angriff des Bösen zu schützen.6 Neben der Anpassung an klimatische Bedingungen sollte die Kleidung heute unter anderem auch vor UV-Strahlung schützen. Unterschiedlich ausgerüstete Arbeitskleidung schützt den Menschen vor Feuer, Chemikalien oder anderen Verletzungen. Auch bei diversen Sportarten wird spezielle Kleidung mit bestimmten schützenden Eigenschaften, wie beispielsweise Protektoren für Motorradkleidung, hergestellt.7 Nicht ohne Grund wird die Kleidung auch als „zweite Haut“ bezeichnet.

Neben der Schutzfunktion der Bekleidung ist heute auch die Schmuckfunktion sehr wichtig. Der Soziologe René König sieht in der Schmuckfunktion zwei Ursachen. Einerseits dient sie der Erhöhung der eigenen Person vor sich selbst und andererseits auch zur Auszeichnung vor Anderen.8 Kleidung hilft uns, unser Selbstbild und unsere Persönlichkeit auszudrücken und steuert, wie man auf andere Personen wirkt. Auch kann sie Auskunft über berufliche Qualifikation, Rang in der Gesellschaft oder nationale Herkunft geben. Durch Kleidung kann außerdem auch die erotische Anziehungskraft des Trägers unterstützt werden. So steht die Schmuckfunktion nicht nur in einem ästhetischen, sondern auch in einem sozialen Zusammenhang.

Als weiteres Bekleidungsmotiv kommt das Schammotiv hinzu, welches darauf hinweist, dass Menschen den Urtrieb haben, den Körper zu bedecken, um nicht das Gefühl der Bloßstellung zu empfinden. Dabei spielen unter anderem auch religiöse Moralvorstellungen, wie die des Islams, eine Rolle.9 Einen weiteren Nutzen hat die Bekleidung auch als Medium der Kommunikation. Der Soziologe Sommer beschreibt in seinem Buch „Soziopsychologie der Kleidermode“ (1989) die Bekleidung als Medium nonverbaler Kommunikation. Für ihn gehört dabei Bekleidung zu einem Code-System der Kommunikation, das von Träger und Betrachter des Trägers relativ gleich interpretiert wird.10 Außerdem wird hervorgehoben, dass Kleidungsstile eine kommunikative Bedeutung haben, denn „es herrscht allgemein hoher Konsens darüber, welche Eigenschaften den Trägern bestimmter Kleidungsstile zuzuordnen sind.“11 Folglich dient Kleidung auch als nonverbales Zeichensystem, was in unterschiedlichen Kulturen nicht immer gleich aufgefasst und interpretiert wird. So muss manchmal die Bedeutung neu erlernt und erfahren werden.12 Laut Sommer lassen sich bei der Bekleidung des Menschen unterschiedliche kommunizierte Dimensionen, wie Geschlecht, Alter, Attraktivität, Persönlichkeit, Einstellung, Status oder Stimmungslage erkennen. Somit dient Kleidung als Kennzeichnung der eigenen Identität und hilft dabei, die Identitätsvorstellung an die Außenwelt zu übermitteln.13

In Bezug auf die Erarbeitung dieses Themas muss auch noch auf die Erinnerungsfunktion von Bekleidung hingewiesen werden, die bei Kunstwerken des 20. Jahrhunderts oft eine Rolle spielte. Als Beispiel kann hier das Werk des französischen Künstlers Christian Boltanski „Monument Canada“ (Abb.20) vom Jahre 1988 genannt werden, das auf diese Thematik Bezug nimmt. Kleider dienen als „Zeugen“, weil der abwesende Körper in ihnen authentische Spuren hinterlässt.14 Nach von Pape bleibt in der Kleidung auch ohne den Träger das sogenannte Code-System erhalten. Außerdem schreibt sie dazu: „Wird Kleidung ohne den Träger gezeigt, dient sie meist als Zeichen der Erinnerung an ihn.“15 Von Bedeutung ist dies besonders auch in religiösem Bezug, wenn Kleidungsstücke als Reliquie zur kultischen Verehrung dienten. Dabei galt zum Beispiel das Gewand eines Heiligen als Identitätsspeicher und wurde zum Beweisstück seiner Existenz.16

Die hier genannten unterschiedlichen Funktionsweisen von Bekleidung im Alltag des Menschen sollen dazu dienen, die Intentionen der Künstler des 20. Jahrhunderts, die mit diesem Medium hantierten, besser verstehen und interpretieren zu können.

Es hat sich in den letzten Jahren bei verschiedenen Ausstellungen zum Themenfeld Kunst - Textilien - Kleidung gezeigt, dass viele Künstler Kleidung als Mittel benutzten, um sich dem Thema Körper anzunähern. Kleidung steht dabei als Repräsentant und Metapher für den Körper, womit verschiedene Identitäten dargestellt werden.17 Auch der Soziologe Sommer schreibt von dem engen Verhältnis zwischen Mensch, Körper und Kleidung. Er beschreibt die Kleidung als Erweiterung unserer Haut, mit der der Mensch seinen Körper gestaltet. Dabei ist Kleidung wesentlich manipulierbarer als der bloße Körper. Kleidung bestimmt unsere äußere Erscheinung, unsere Körperform und unsere leibliche Identität.18

Für verschiedene Künstler spielte nicht nur der Gebrauch von Kleidung in ihren Werken eine besondere Rolle, sondern auch das Tragen der selbigen in besonderer Form. So trugen Gustav Klimt und seine Lebensgefährtin Emilie Flöge die selbst entworfene Kleidung. Aber auch von Bauhaus-Künstlern hieß es, dass sie einen einheitlichen Arbeitsanzug trugen, der den Mythos um die sogenannte Bauhaus-Tracht ins Leben rief.19 Die Hinterlassenschaften der berühmten mexikanischen Malerin Frida Kahlo zeigen auf, welche Bedeutung Bekleidung in ihrem Leben einnahm. Auf der einen Seite dienten ihre mexikanischen Trachten der Zurschaustellung des Nationalstolzes, auf der anderen Seite tarnte sie damit ihr orthopädisches Schuhwerk und ihre geschädigte Wirbelsäule. Außerdem verfügte die Künstlerin über beachtliche Kenntnisse handwerklicher Techniken der Indianer, um Mode bewusst als künstlerische Ausdrucksmöglichkeit einzusetzen.20

Textilien und Kleidung haben besondere Eigenschaften, die für die Interpretation eines Kunstwerks eine entscheidende Rolle spielen. Daher soll zu Beginn geklärt werden, wie und warum Textilien und Kleidung in der Kunst des 20. Jahrhunderts Verwendung fanden und was sie von den klassischen Materialien wie Holz, Bronze oder Stein unterscheidet. Außerdem wird in Bezug dessen der von Claes Oldenburg geprägte Begriff der „Soft Sculptures“ näher beschrieben. Im Anschluss folgt ein chronologisch aufgebauter Überblick über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Darin werden epochenweise künstlerische Annährungsversuche an das textile Material und die künstlerische Gestaltung von Kleidung präsentiert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf von Künstlern geschaffener Kleidung. Der Fokus der Untersuchung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt zum Einen auf den unterschiedlichen künstlerischen Strömungen, die sich aufgrund des Zweiten Weltkriegs in den USA und Europa entwickelten, wozu beispielsweise auch Formen der Aktionskunst zählen. Zum Anderen zeigt dieser Teil der Arbeit auch, inwiefern sich das Material Textil aus dem Zusammenhang des Kunsthandwerks gelöst hatte und zum Gegenstand der „hohen“ Kunst wurde.

Der fachwissenschaftliche Untersuchungsgegenstand musste in dieser Arbeit auch thematisch eingegrenzt werden. Der Fokus liegt dabei auf der Thematik: Gestaltung und Gebrauch textiler Materialien und Kleidung in Kunstwerken des 20. Jahrhunderts. Dazu zählen auch Kunstwerke, die aus Mischformen der Kunst entstanden sind und textile Materialien beinhalten. Folglich handelt diese Arbeit nicht von den klassischen Textil- und Tapisseriekünstlern, die sich ausschließlich textiler Techniken und Materialien bedienten. Dazu zählt beispielsweise die Künstlerin Magdalena Abakanowicz. Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug der kulturhistorischen Abhandlung, da sich unzählige Künstler dieser Materialien bedienten und hier nur die wichtigsten im Überblick vorgestellt werden können. Die Abhandlung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezieht sich auf Entwicklungen in Europa, wobei die zweite Hälfte des Jahrhunderts auch auf internationale Strömungen Bezug nimmt.

Im Anschluss folgt der fachdidaktische Hauptteil, welcher auf Umsetzungspotenziale dieser Thematik in der Realschule eingeht. Möglichkeiten und Vorteile einer Fächerverbindung von Kunst und Textil werden vorgestellt. Die Grundlage bildet die fachdidaktische Konzeption der Ästhetischen Bildung von Gabriele Vallentin. Dabei findet zuerst die Betrachtung der Verankerung im Bildungsplan der Realschulen statt. Auch Ansätze des Konzepts der Ästhetischen Forschung der Kunstpädagogin Helga Kämpf-Jansen werden in Bezug auf eine Fächerverbindung betrachtet. Konkrete Ideen zeigen auf, dass eine Annäherung der beiden Fächer für die Schulung der sinnlichen Wahrnehmung von Bedeutung ist. Ästhetische Bildung wird in vielen Köpfen nur mit dem Kunstunterricht in Verbindung gebracht, jedoch kann das Fach die damit einhergehende Komplexität nicht zu genüge abdecken. Eine Fächerverbindung kann dabei einen großen Beitrag leisten. Eine zweckgebundene Gestaltung textiler Dinge für den Hausgebrauch ist nicht mehr zeitgemäß. Veraltete Rollenklischees bleiben so weiterhin bestehen. Eine Neuorientierung in Richtung einer künstlerisch-orientierten zweckfreien ästhetischen Bildung kann neue Maßstäbe setzten, damit das Fach nicht einem ständigen Legitimationsdruck ausgesetzt sein muss.

2 Textilien und Kleidung als Material in der Kunst

Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist geprägt von einer Vielfalt an Ausdrucksformen, Themen und Materialien. Künstler und Künstlerinnen begannen, mit den unterschiedlichsten „kunstfremden“ Materialien zu experimentieren. Da sich Textilien besonders durch die Anpassungsfähigkeit und der Möglichkeit des Abdrucks auszeichneten, fanden sie folglich auch ihre Verwendung in der Kunst. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts stand das Material jedoch im Gegensatz zu den traditionellen Materialien der Skulptur und Plastik, da es aufgrund der Materialeigenschaften und der sinnlichen Besetzung als minderwertig angesehen wurde. Die textilen Materialien wurden dem Kunstgewerbe zugeordnet und in der sogenannten hohen Kunst nicht verwendet.21 Das 1881 ganz unkonventionelle Material Stoff benutzte Edgar Degas bei seiner Plastik die „Kleine Tänzerin von 14 Jahren“ (Abb. 1). Es war eine Bronzestatue mit einem echten Gazeröckchen, Ballettschuhen aus Satin und einem Satinband in echtem (Roß-) Haar.22 Er nahm dabei eine Vorreiterrolle ein, indem er sich von der Einheitlichkeit der Materialien abwandte und eine äußerst realistische Skulptur schuf. Zur damaligen Zeit gab es für sein innovatives Werk mehr kritische Stimmen als Zusprüche.23

Erst um das Jahr 1900 fanden die neuen Materialien in der bildenden Kunst eine größere Akzeptanz. Die Ursprünge der

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Edgar Degas: Kleine Tänzerin von 14 Jahren, 1881

Wiederentdeckung des weichen Materials für ihre Kunst lagen bei den Fauves und Kubisten. Sie orientierten sich an der naturvölkischen Kunst und ließen sich durch die primitive und expressive Gestaltung, aber auch durch deren weiche Materialien wie etwa Bast, Lumpen, Schlangenhaut, Leder- und Fellstücke, Rinden oder Pflanzenfasern inspirieren. Einer der bekanntesten Künstler, der verschiedene kunstfremde Materialien, darunter auch Textilien, in Collagen miteinander kombinierte, war Pablo Picasso. Dieser interessierte sich mehr für die Form der Materialien, welche meist normale Alltagsgegenstände waren, und kombinierte sie zu dreidimensionalen „objet trouvés“24. Als die italienischen und russischen Futuristen die vergänglichen räumlichen Montagen aus Holz, Pappe, Draht und anderen Abfallmaterialien der Kubisten sahen, wurde auch ihre Lust für das Collagieren und Montieren geweckt. Das Kunstwerk „Béguinage“ (1914) von Enrico Prampolini kann hier als Beispiel genannt werden. Es ist eine Materialcollage aus Stoffspitzen, Tuch, grobmaschigem Tüll, Vogelfedern und Strohgeflecht und somit weiche Gegenstände von unterschiedlicher Textur.

1916 begannen die Dadaisten der konventionellen, traditionellen Kunstpraxis ihr Misstrauen auszusprechen. Sie forderten, die gewohnten und eingeübten Inhalte, Formen, Techniken und Materialien der Kunst aufzugeben. Das Ziel der dadaistischen Kunst bestand in der Verwendung von kunstfremdem und bisher kunstunwürdigem Material. Was bei den Kubisten das „objet trouvé“, war bei den Dadaisten das „Ready- made“. Dies ist eine Objektmontage aus zufällig gefundenen Gegenständen, welche aus ihrer üblichen Umgebung geholt und als Kunstwerke deklariert wurden.

Seit Beginn der zwanziger Jahre gab es in Kursen von Johannes Itten am Bauhaus Übungen mit Materialien und Texturen. Materialien unterschiedlichster Art wurden mit allen Sinnen auf ihre Eigenschaften und deren Charakter hin erforscht. So kam es im Bauhaus zu räumlich-plastischen Montagen, bei denen auch weiche Materialien verwendet wurden. Nun hielten im plastischen Denken auch die weichen Materialien Einzug.

Als Vorläufer für Claes Oldenburgs „soft sculptures“ können die surrealistischen Kunstobjekte gesehen werden. In diesen Montagen25 wurden Gegenstand und Material ihrer Bedeutung wegen gewählt. Auffällig war, dass Surrealisten besonders zu den weichen Materialien griffen und durch den Gebrauch und der Kombination unterschiedlichster Dinge auf eine Form- und Materialkonfrontation abzielten. Das Weiche spielte dabei immer eine besondere Rolle. Ein Beispiel hierfür ist das „Déjeuner en fourrure“ (1936) von Meret Oppenheim (Abb. 21). Dargestellt sind mit Pelz überzogen eine Tasse, eine Untertasse und ein Löffel. Aber auch viele andere surrealistische Kunstobjekte erfreuen sich an der Gegenüberstellung heterogener Gegenstände.26

Auch der deutsche Künstler Kurt Schwitters verwendete 1918/1919 für seine Collagen u.a. Stofffetzen und forderte „die prinzipielle Gleichberechtigung aller Materialien“.27

Im Zusammenspiel von Textilien und Kunst können neben Degas, Picasso, Oppenheim und Schwitters noch unzählige weitere bedeutende Künstler genannt werden. In der Publikation „Whole Cloth“ von Mildred Constantine wurden die Entwicklungsgeschichte und Einsatzweisen von Textilien in der Kunst dargestellt. In ihrer Einleitung schrieb sie: „Such creative innovators as Christo, Robert Rauschenberg, Salvador Dalí, Claes Oldenburg, Mariano Fortuny, and Henri Cartier-Bresson independently gravitated to cloth because it allowed them great freedom; they cared little that they had broken ranks with traditional art materials.”28

Willy Rotzler schrieb in seinem Text „Annährungsversuche an die Thematik des Weichen“ über den Gebrauch der weichen Materialien in der Kunst der 60er und 70er Jahre:

„Von dieser symbolischen und assoziativen Belastung der weichen Materialien hat sich späteres plastisches Gestalten freigemacht. Unabhängig vom bildnerischen Interesse an unterschiedlichen Stoffkonsistenzen, an verschiedenen Aggregatzuständen von Werkstoffen - fest, weich, flüssig, gasförmig - , unabhängig auch von den spezifischen Sinnesempfindungen, die das Weiche auszulösen vermag, hat der Umgang der Plastiker mit weichen Materialien in den letzten beiden Jahrzenten zu sehr viel tieferen, elementaren Erfahrungen geführt.“29

Insbesondere auch Kleidungsstücke gehören zum Themenrepertoire der Künstler der Gegenwart. Sie entwerfen nicht nur Kleidung und Stoffe, sondern beziehen sie auch ganz bewusst in ihre Kunstwerke mit ein. So benutzen sie Kleidungsstücke als Material ihrer Kunst. Viele Künstler haben das Thema Kleidung zu ihrem Hauptthema gemacht. Dazu gehören Künstler wie zum Beispiel Claes Oldenburg, Jim Dine, Paul Harris, Ivor Abrahma, Annette Messager oder Lygia Clark. Dabei spielt Kleidung oft im Environment30, Happening31 oder in der Performance32 eine neue Rolle.33 Es kann nicht bestritten werden, dass durch den Gebrauch von Kleidung gleichzeitig auch ein Bezug zum Körper hergestellt wird. Monika Wagner hat in ihrer Veröffentlichung „Das Material der Kunst; eine andere Geschichte der Moderne“ (2001) die Bedeutung von Kleidung in Kunstwerken herausgearbeitet. Sie beschreibt, dass einzelne Kleidungsstücke häufig mit Weiblichkeitsklischees in Verbindung stehen und dagegen Ansammlungen dieser eher soziale Charakterisierungen hervorheben. Doch „stets wird mit dem abwesenden Körper ein Verlust reklamiert“.34 Nicht nur die Spuren auf den Kleidern, sondern sie selbst stehen schon als Spur des Körpers. 1934 stellte René Magritte das Verhältnis von Gewand und Körper in seinem Gemälde „In memoriam Mack Sennett“ dar (Abb. 22). Es zeigt ein helles Kleid in der Frontalansicht, das in einem zur Hälfte geöffnetem Schrank auf einem Bügel hängt. Auffällig sind die weiblichen Brüste, die das Kleid aufzeigt. Es ist eine Art Metamorphose von Kleid und Körper. Der Künstler des Surrealismus spielt hier mit der An- und Abwesenheit des Körpers. Der Körper, der üblicherweise von dem Gewand bedeckt wurde, scheint einen Abdruck hinterlassen zu haben. Somit steht auch hier ganz deutlich das Kleidungsstück für eine Spur des Körpers.

Reale Kleidungsstücke haben eine bestimmte Größe, Schnitt und Material, wodurch man eine Moderichtung erkennen kann. Außerdem sind sie meist Indikatoren für die soziale Zugehörigkeit, die Rolle in der Gesellschaft und das Geschlecht. Durch diese Faktoren kann man Rückschlüsse auf die Identität des Trägers ziehen.35 Zum Thema machte sich dies seit den 70er Jahren auch die französische Künstlerin Annette Messager. Zu Beginn ihrer Schaffensphase setzte sie sich künstlerisch mit ihrer eigenen Identität, welche sie immer wieder als multiple beschreibt, auseinander. Ihre Arbeiten zeigen eine geteilte und aufgespaltene eigene Identität. Auffällig ist das Fragmentarische ihrer Werke. Inspiriert durch den Surrealismus zeigen ihre Arbeiten immer wieder fragmentarische Teile eines Körpers, darunter auch Teile von Plüschtieren oder ausgestopften Tieren. Außerdem verwendet sie überwiegend weiche Materialien wie Fell, Plüsch, Wolle, Stoff, Netze oder Kordeln. Dadurch werden ihre Arbeiten auch immer wieder mit der weiblichen Identität in Zusammenhang gebracht. Ihr kommt es jedoch weniger auf die Eigenschaften dieser Materialien an, sondern vielmehr auf ihre gesellschaftliche Bedeutung. Sie stickte 1975 in ihrer Arbeit „Ma collection de proverbs“ („Meine Sprichwörtersammlung“) überlieferte frauenfeindliche Sprichwörter mit Fäden in Leinentücher. Zum Beispiel: „C’EST LA FEMME QUI A FAIT POUSSER LES CHEVEUX BLANCS DU DIABLE” („Das ist die Frau,die dem Teufel graue Haare hat wachsen lassen.“) Nach Cora von Pape verbindet Messager „negative Vorurteile und bösartige Sprichworte über Frauen mit der traditionell von ihnen verrichteten und niederen Kunst zugeordneten handwerklichen Tätigkeit des Stickens“. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Messagers Werke sich mit der Pluralität, Komplexität und Vielschichtigkeit ihrer und der menschlichen Identität beschäftigen. Dabei wurden hauptsächlich weiche Materialien verwendet.36

2.1 Der Vergleich von Textilien zu den klassischen Materialien der Kunst

Seit den 60er Jahren begann sich das Materialspektrum in Kunstwerken enorm zu erweitern. Besonders alltägliche, vergängliche und organische Materialien wurden häufig genutzt, weil Künstler mit ihnen bessere Ausdrucksmöglichkeiten hatten.37 Materialien wie Holz, Ton, Marmor, Gold, Bronze, Stein oder Elfenbein wurden als klassische Werkstoffe der Kunst angesehen. Sie können in verschiedenen Prozessen der Formgebung verändert werden. Diese so entstandenen Skulpturen oder Plastiken sind nach ihrer Bearbeitung zum Kunstobjekt hin kaum noch Veränderungen, abgesehen von natürlichen Witterungsbedingungen und Lichtverhältnissen, ausgesetzt. Auch bei Berührungen von Betrachtern entstehen keine Veränderungen. Ganz im Gegensatz dazu verhalten sich Textilien.38 Die Kunsthistorikerin Caroline Boot beschreibt das Material wie folgt: „Textilien sind taktil, wollen berührt werden und haben eine ganz eigene Ausstrahlung. Man kann sie raffen, falten, stärken, formen usw. Textilien umgeben uns tagtäglich: wir schlafen darin, wir kleiden uns darin, wir werden darin begraben.“39 Textile Materialien werden auch als „weiche“ Materialien beschrieben, weil sie in der Regel aus weichen Fasern gewebt und daher auch flexibel, dehnbar, anschmiegsam, veränderbar, aufnahmefähig, empfindlich und unter Umständen nicht geruchsneutral sind. Aufgrund dieser Eigenschaften, aber auch wegen ihrer Form und den Herstellungsverfahren, wird das Material häufig auch als weiblich konnotiert.40 Harte Materialien wie Eisen, Stein, Granit oder Stahl gelten als Inbegriff von Männlichkeit, weil sie unter hoher körperlicher Anstrengung beschlagen, behauen oder geschmolzen werden müssen, um sie in ihrer Form zu verändern. Textilien dagegen werden mit den häuslichen Aufgaben der Frau und dem damit in Zusammenhang stehenden Kunsthandwerk in Verbindung gebracht.41

Kommt das Material mit dem menschlichen Körper in Berührung, ändert sich die Struktur und die Oberfläche, aber auch Spuren, Abdrücke und Volumen können zu sehen sein. Laut von Pape sind Textilien „lebendiger und kommunikativer als andere Materialien“. Die haptischen Erfahrungen sind im Gegensatz zu harten Materialien vielfältiger. Sie können „weich oder kratzig, grobmaschig oder fest, dünn oder dick, feucht oder trocken“ sein. Nicht nur der Tastsinn wird gefordert, sondern teilweise auch der Geruchssinn. Die Vielfältigkeit der Materialeigenschaften rufen zu einer verstärkten, erweiterten und intensiveren sinnlichen Wahrnehmung auf. Im Gegenzug dazu können Textilien den menschlichen Körper in unterschiedlichster Weise beeinflussen. Sie können ihn zum Beispiel schmücken, wärmen, schützen, vergrößern, betonen, verstecken oder umschmeicheln.42

Einen weiteren Unterschied zu den harten Materialien der Kunst nennt Erika Billeter 1995 im Ausstellungskatalog der 16. Biennale von Lausanne: „Weiches ist vergänglicher als harte Materie und ist daher dem Leben näher - denn es ist so vergänglich wie das Leben selbst.“43 Sie sagt, dass ein Umdenken von Künstlern und der Gesellschaft gefordert wurde, weil mit den weichen Materialien Kunstwerke geschaffen wurden, die früher Ewigkeitscharakter hatten.44 Nach Billeter hatte die Einführung weicher Materialien in der Kunst neue Kriterien für die Skulptur geschaffen. Denn das Material wird als persönlicher Ausdruck des Künstlers spürbar, der Künstler lasse sich von der Eigenwilligkeit des Materials führen.45 Und die Kunst bekomme durch die „Einführung der realen Materialien Wirklichkeitscharakter und wird Ausdruck von dem, was dem Nouveau Réalisme und der Pop-Art heilig war: die Identifikation von Kunst und Leben.“46 Thomas Raff schrieb 1994 in seiner Veröffentlichung „Die Sprache der Materialien“: „Das Material, das ein „Künstler“ für sein Werk auswählt, ist nicht nur für dessen ästhetische Wirkung und praktische Funktion von Bedeutung, es trägt in vielen Fällen […] zur inhaltlichen Aussage des Kunstwerks bei.“47 So kann zum Beispiel eine Skulptur durch die Verwendung von weichen Materialien um gewünschte Ausdrucksmöglichkeiten erweitert werden.

Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass organische Stoffe wie Textilien, Holz oder Kordeln bereits in der Kunst der Urvölker verwendet wurden. Sie spielen eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Textilkunst. Im 20. Jahrhundert kam es bei der Wiederentdeckung der Kunst der Naturvölker auch zu einer Wiederbelebung der organischen und weichen Materialien.48 Es hat sich jedoch ein Wandel von den klassischen Techniken der Textilkunst hin zu freien, offenen und experimentellen Gestaltungs- und Ausdruckformen vollzogen.

2.2 Soft Sculptures und die Soft-Art Bewegung

Mit einer Skulptur im traditionellen Sinne verbindet man harte und massive Materialien wie Bronze, Holz, Stein oder Marmor. Als jedoch einige Künstler von der Verwendung der klassischen Werkstoffe zurücktraten, wurden durch die Einführung weicher Materialien neue Kriterien für die Skulptur geschaffen. Skulpturen aus diesen weichen Materialien verlangen von dem Betrachter eine neue Einstellung zu solchen Werken.49 Dieser Wandel, weg von der dekorativen Tapisserie, hin zu unterschiedlichsten experimentellen Textiltechniken, die oft raumbezogene Gebilde hervorbrachten, manifestierte sich etwa um das Jahr 1960. Die neu entstandenen Formen wurden auch als Anti-Formen bezeichnet, weil sie den bisherigen Traditionsvorstellungen nicht entsprachen. Das Material brachte neue Eigenschaften und auch ein anderes Erscheinungsbild hervor.50 Es war verformbar, veränderbar, tastbar, fragil, weich oder verletzlich. Plastiken und Skulpturen dieser Art werden „Soft Sculptures“ genannt. Diesen Begriff prägte der Künstler Claes Oldenburg, weil er 1693 den „Soft Typewriter“ schuf und so eine neue Kunstform hervorbrachte. Er gestaltete ein Objekt, das man als hart kannte mit weichem Material. Oft waren es Gegenstände, die in ihrer harten Form eine Funktion hatten und weich unbrauchbar wurden. Kunsthistoriker standen dieser neuen Kunstform erst sehr kritisch gegenüber und so vergingen etwa 5 Jahre, bis Oldenburgs Werk als Skulptur bezeichnet wurde, obwohl der Künstler selbst diesen Begriff für seine Werke schon früher benutzte. Mittlerweile ist „Soft Sculpture“ eine gängige kunsthistorische Bezeichnung für Kunstobjekte aus weichem Material geworden, die in verschiedenen Techniken hergestellt werden.51 Zu den weichen Materialien zählten neben Textilien auch Federn, Fell, Gummi, Filz, Vinyl, Kordeln oder Schwämme. 1980 wurden verschiedenste Kunstwerke aus weichen Materialien in einer Ausstellung unter dem Namen „Soft Art“ vorgestellt. Die Organisatorin Erika Billeter stellte eine kulturelle Verbindung zwischen Kultgegenständen der Ureinwohner Afrikas, Südamerikas oder Australiens mit zeitgenössischen Kunstobjekten her. Es waren unter anderem folgende bekannte Künstler vertreten: Man Ray („L’énigme d’Isidore Ducasse“, 1920/1971 (Abb. 23)), Marcel Duchamp („Pliant … de voyage“, 1916) Meret Oppenheim („Le Déjeuner en Forrure“, 1936), Robert Rauschenberg („Bed“, 1955 (Abb. 25)), Daniel Spoerri („Se laisser manger la laine sur le dos“, 1965), Edward Kienholz („Lollipop goes the weasel“, 1962), Christo („Package“, 1961 (Abb.39)), Joseph Beuys („Filzanzug“, 1970 (Abb.24)) und Claes Oldenburg („Giant Hamburger“, 1962 (Abb.2)).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Claes Oldenburg: Giant Hamburger, 1962

Oldenburg hatte eine besondere Vorliebe für formbare weiche Materialien: „I am naturally drawn to living material and it gives me great pleasure to experience the freedom of materials with my hands. After a long preparation, form should simply demand to be created.”52 Oldenburg hatte seine „Soft Sculptures“ meist in drei Versionen angefertigt. Die erste Fassung bestand aus harter Materie wie Wellpappe und darauf folgte eine Form aus kapokgefülltem Leinen, die „ghost version“ genannt wurde. Die letzte endgültige Fassung bestand dann aus Vinyl. Neben Oldenburg gab es in den 60er Jahren noch weitere Künstler dieser sogenannten „Soft-Art“-Bewegung, die sich mit Skulpturen aus weichem Material beschäftigten. Dazu zählte zum Beispiel auch der italienische Arte-Povera53 -Künstler Michelangelo Pistoletto, der mit Lumpen, als sogenanntes „armes Material“, die Schönheit dieses an sich wertlosen Stoffes untersuchen wollte.54 Die erste Version seiner „Venere degli stracci“ („Lumpenvenus“, Abb. 26) entstand im Jahre 1967. Dabei stellte er die klassische Schönheit der antiken nackten Figur der Venus, welche aus Betonguss gefertigt wurde, direkt vor einen großen Berg aus Lumpen bzw. unterschiedlicher Kleidungsstücke. Die Venus droht fast in dem Lumpenberg zu verschwinden. „Der Müllhaufen des konsumierten Konsums habe die Perspektive des abendländischen Fortschritts schließlich verschüttet.“ ,55 so Pistoletti selbst zu seinem Werk. Er kritisierte den damaligen kulturellen Zustand. Für Pistoletto sind Kleider, die ihre Form verloren haben, Abfall. Indem er die Kleider auf dem Boden auftürmt, kann man die Formlosigkeit am ehesten erkennen.

3 Kulturhistorischer Überblick des 20. Jahrhunderts

Die erste Hälfte dieser kulturhistorischen Abhandlung gibt einen chronologischen Überblick, wie sich Künstler vom Jugendstil bis hin zum Surrealismus mit der Gestaltung von Kleidung befassten. Besonders zu Beginn des 20.Jahrhunderts haben sich deutsche Jugendstilkünstler gegen die in Paris aufkommende Mode gewehrt und sich selbst an den Entwurf und die Reformierung, insbesondere der Damenmode, gewagt. Meist beschränkte sich ihr Einwirken jedoch nicht nur auf die Damenkleidung, sondern sie wollten zusammen mit der Gestaltung von Alltagsgegenständen ein Gesamtkunstwerk erschaffen, um so direkten Einfluss auf das Leben auszuüben. Die folgende Untersuchung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränkt sich hauptsächlich auf europäische Strömungen. Die Untersuchung der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach dem Zweiten Weltkrieg nimmt auch Strömungen außerhalb Europas auf.

3.1 Das Reformkleid der deutschen Jugendstilkünstler

Um die Jahrhundertwende setzte sich in Europa die Reformierung der Frauenkleidung in Gange. Der erste Widerstand gegen das Pariser Modediktat, welches das Tragen eines engen Korsetts vorschrieb, kam 1897 in Deutschland auf.56 Zu dieser Zeit war die Damenkleidung besonders vom schmalen Umfang der weiblichen Taille geprägt. Eine schmale Taille, die langgestreckte Figur der Frau und die nach oben geschobenen Brüste galten als modern. Die Forderungen nach einer körperfreundlicheren, gesünderen und bequemeren Kleidung für die Frau wurden immer lauter. Diese entwickelten sich im Zuge der Industrialisierung, weil die häuslichen Aufgaben der Frau vereinfacht wurden und ihr damit auch mehr Aktivitäten im außerfamiliären Kontext offen standen. Besonders Mediziner warnten vor dem gefährlichen, gesundheitsschädigenden und deformierenden Korsett. So sollte das neue Reformkleid für die berufstätige Frau angemessen und nicht gesundheitsschädlich sein.57

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Reformkleid contra Reifrock, Karikatur von 1904.

Das Reformkleid wurde auch in den Kreisen der Jugendstilkünstler zum Thema. Künstler wie Henry van de Velde (1863-1957), Alfred Mohrbutter (1867-1916), Richard Riemerschmid (1868-1957), Peter Behrens (1968-1940) oder Gustav Klimt (1862-1918) suchten nach einer zeitgemäßen Kleidung für die Frau, die nicht nur praktisch und gesund, sondern auch ihren künstlerisch-ästhetischen Ansprüchen gerecht werden sollte.58 Vielen von ihnen war das Gestalten von Kleidern zu wichtig, um dieses Gebiet allein den Modeschöpfern zu überlassen.59 Sie fanden in der Umgestaltung der Frauenmode ein neues Betätigungsfeld, das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht von anderen Künstlern aufgegriffen wurde. Neben dieser Aufgabe verfolgten die Jugendstilkünstler auch das Ziel, ein für alle Lebensbereiche umfassendes Gesamtkunstwerk zu erschaffen, welches besonders die Frauenmode einschließt. So wurde das Kleid also zu einem Teil des Gesamtkunstwerks.60

Henry van de Velde galt als Leiter der Reformkleidbewegung. Im Jahr 1893 entschloss sich der Belgier, die Malerei aufzugeben. Er selbst gab zu, dass seine Abkehr von der Malerei hin zum Kunsthandwerk auf die Überlegungen John Ruskin und William Morris zurückging. Van de Velde erkannte eine existente Geistesverwandtschaft mit den Thesen der Arts and Crafts-Bewegung61.62 Der Künstlerzusammenschluss dieser Bewegung, die ihren Ursprung in England hatte, setzte sich als Befürworter des mittelalterlichen Kunsthandwerksgedankens für eine ästhetische Reformierung aller Alltagsgegenstände, insbesondere der Kleidung, ein. Besonders die körperliche Bewegungsfreiheit und Funktionalität waren die Hauptkriterien bei der Gestaltung. William Morris sprach sich gegen eine Trennung von Kunsthandwerk und bildender Kunst aus. Er sah es als Aufgabe des Künstlers, auch die Alltagsgegenstände zu verschönern.63

Im Jahre 1895 begann van de Velde mit dem Bau seiner Villa Bloemenwerf in Uccle bei Brüssel. Dieses Haus war nicht nur als Heim geplant, sondern er sah dieses Haus als Beispiel für Lebenskunst. Es sollte nichts auffindbar sein, das nicht seinem eigenen Ideengut entsprungen sei. Dieses Vorhaben beruhte wiederum auf der Idee des

Gesamtkunstwerks, welches ästhetische Harmonie bis ins kleinste Detail forderte. So waren auch die Kleider, die van de Veldes Frau Maria Séthe trug, von ihm entworfen. „Meine Frau wird Kleider nach meinen Entwürfen tragen.“64, so van de Velde selbst. Eine Frau in Haute-Couture-Kleidern wäre in der Villa Bloemenwerf eine Beleidigung gewesen. Die Kleider seiner Frau wurden somit wie jedes andere Objekt im Haus behandelt. Und es heißt sogar, dass er die Kleiderfarbe auf die Farbe des Gemüsepürees abstimmte, das es zum Essen gab. Die Einfachheit seiner Modelle standen im Gegensatz zur zeitgenössischen Mode. Sogar Toulouse-Lautrec war empört, weil er dachte, dass Maria Séthe es gewagt hätte, ihn im Morgenmantel zu begrüßen.65 Die Kleider, die seine Frau trug, waren hauptsächlich Hängekleider, die die physische Silhouette der Frau nicht bestimmen ließen. Van de Velde sah die Frau als Opfer der Mode und wollte sie somit in seinen Entwürfen nicht unnötigen körperlichen Unbequemlichkeiten aussetzen.66 Die Gelegenheit, gegen die Mode zu kämpfen, verhalf ihm erst seine Karriere in Deutschland, weil Belgien ein zu begrenztes Gebiet für seine Ideen war. In Deutschland wurde seine „Anti-Mode“ aus unterschiedlichen Gründen begeistert aufgenommen.67 Van de Velde sagte der Pariser Haute Couture den Kampf an, weil er den Wechsel der Mode als unästhetisch, unsozial, unmoralisch und ungesund ansah. Er hatte die Vorstellung vom „Eigenkleid“, dem idealen Kleid für die Frau, welches dem allgemeingültigen Anspruch gerecht werden sollte.68 Der Direktor des Krefelder Kaiser Wilhelm Museums, Friedrich Deneken, organisierte 1900 die Sonderausstellung „Moderne Damenkostüme nach Künstlerentwürfen“. Dabei erfüllte sich für van de Velde ein Traum, denn nun reihten Ausstellungen von Damenkleidern sich in die Kategorie der Kunstausstellungen ein. An der Ausstellung nahmen Maler, Architekten und Kunsthandwerker wie Henry van de Velde, Alfred Mohrbutter, Margarethe Brauchitsch, Richard Riemerschmid, Bernhard Pankok und Hugo van der Woude teil.69 Im Anschluss an diese Ausstellung entstand ein Katalog, der Entwürfe und Anleitungen zum Nachschneidern dieser Künstlerkleider enthielt. Jede Frau sollte ihr „Eigenkleid“ selbst nähen können. Der Schnitt war durchweg schlicht, locker fallend und den Körper des Trägers nicht einengend, deshalb entsprachen die Kleider den Forderungen der Reformbewegung. Van de Velde stellte selbst sechs seiner Entwürfe aus und fand in der Öffentlichkeit damit die größte positive Resonanz. Letztendlich stießen die Entwürfe der Künstlerkleider in der Textilindustrie eher auf Ablehnung, weil die Industrie vom modischen Wechsel und der Vielfalt der Kleidung profitierte und die Künstlerkleidung sich auf wenige prototypähnliche Modelle beschränkte. Auch Einzelanfertigungen konnten sich nur die gehobenen Gesellschaftsschichten leisten und somit fanden die Reformkleider keine große Verbreitung.70

3.2 Die Wiener Werkstätten

„Wie oft liegen der Mode Kunstbegriffe zugrunde, und verdankt die neue Kunstrichtung - die Secession - nicht einer Mode ihr Entstehen?“ Wiener Mode, 189871

Auch in Österreich beschäftigten sich die Jugendstilkünstler, insbesondere die Wiener Secession72, um die Jahrhundertwende mit der Reformierung der Mode. Auch hier beruhten die Ideen auf den Theorien der englischen Kunstreformer William Morris und John Ruskin. 1903 wurden die Wiener Werkstätten von Josef Hoffmann und Kolomann Moser nach dem Vorbild der englischen Arts and Crafts-Bewegung gegründet.73 Hoffmann hatte die Vorstellung, dass der Entwurf von Kleidung zu dem Schaffensprozess eines Künstlers gehörte. Die Kleidung sollte den Charakter des Trägers unterstreichen und auch dessen Persönlichkeit entsprechen. Weitere Gestaltungskriterien waren Körperfreundlichkeit und Bewegungsfreiheit. Insgesamt sollte die Kleidung zu der Gesamterscheinung des Lebensraumes passen.74 Ähnlich wie bei den deutschen Jungendstilkünstlern war es ihr Ziel, Kleidung und Interieur in Einklang zu bringen.75 Ein weiteres Anliegen war es, die Qualität des Kunsthandwerks zu verbessern und so eine Unabhängigkeit der Reformkünstler von der industriellen Produktion zu garantieren.76 Die Ideale und Vorstellungen dieser Künstlergruppe setzten ein künstlerisch interessiertes Publikum voraus, das sich in die neuen Ideen einfühlen konnte. Deshalb gehörten zu den Interessenten nicht nur Gebildete, sondern insbesondere auch Wohlhabende, die sich die Kunst auch leisten konnten. Kurz gesagt schufen sie Luxusware für das elitäre Bürgertum. So stießen diese künstlerischen Programme auf Widerspruch zu den Vorstellungen eines John Ruskin oder William Morris. In Folge dessen gerieten die Künstler und Kunstreformer innerhalb der Gruppe aneinander, da sie anfangs jeweils andere Vorstellungen und Auffassungen der gegründeten Künstlergruppe hatten.77

Nach einer personellen Veränderung und dem Weggang von Kolomann Moser übernahm der Architekt und Modekünstler Eduard Wimmer-Wisgrill im März 1911 die neu eingerichtete Modeabteilung der Wiener Werkstätten.78 Dieses Atelier erwies sich später als das erfolgreichste des ganzen Betriebs und Wimmer-Wisgrill wurde der „Pionier der Wiener Mode“ genannt.79 Seiner Meinung nach sollte materialgerecht und nach künstlerischen Prinzipien der Mode gestaltet werden, die in einer Einheit von Modellentwurf, Stoff, Schmuck und Accessoires ein optisches Ganzes bilden sollten.80 Die Wiener Mode nahm auch Einflüsse aus dem Ausland in ihren Entwürfen auf. Der Informationsaustausch war durch zahlreiche Reisen gegeben und blieb mit Hilfe von Ausstellungen und Zeitschriften aufrechterhalten. Wimmer-Wisgrill sorgte dafür, dass sich die Künstler intensiv mit der Pariser Mode, vor allem mit der von Paul Poiret, auseinandersetzten. Die Wiener Mode entwickelte sich konsequent weiter,81 unterhielt unter anderem Geschäfte in Wien, Zürich und New York82 und nahm teilweise sogar Einfluss auf die Pariser Mode, besonders aber auf die Mode des benachbarten Deutschlands.

Jedoch kam es aufgrund der Weltwirtschaftskrise zu Einbrüchen in den Verkaufszahlen, was im Jahre 1932, nach gescheiterten Versuchen Auslandskontakte zu sanieren, zu dem Bankrott der Wiener Werkstätte führte.83

Eine besondere Vorreiterrolle in der Zeit der Wiener Secession spielte der Künstler Gustav Klimt (Abb. 4). Er galt als begeisterter Anhänger der Lebensreformbewegung und setzte sich intensiv mit Reformkleidung auseinander.84 Klimt hielt sich gerne mit seiner langjährigen Gefährtin Emilie Flöge in der Natur auf und trug mit Vorliebe den sogenannten „Klimt-Kittel“ aus indigofarbenem Leinen.85 Er entwarf Kleidung für den Eigengebrauch bei Arbeit und Freizeit und wandte sich mit seinen Entwürfen von der Mode seiner Zeit ab. Seine weiten Gewänder waren blau oder braun und hatten teilweise applizierte Arabesken auf den

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Gustav Klimt in einem seiner Kleider, 1914

Schultern. Nach Stern war Klimt immer auf der Suche nach dem sogenannten Urkleid, „einem phantasiehaften, imaginären, ursprünglichen Kleid“. Auch Emilie Flöge trug seine Entwürfe.86 Seine Damenkleidung entsprach der Formensprache seiner Bilder. Auffällig waren nach Cora von Pape „weite, weich fallende Schnitte mit kaskadenartigen Ärmeln und leichter Ornamentik“.87

Emilie Flöge, die selbst als Modemacherin tätig war, betrieb in Wien zusammen mit ihren Schwestern Pauline und Helene einen großen Modesalon. Im Sommer 1906 fand eine Präsentation am Ufer des Attersees statt, in der sie zehn unterschiedliche Hängekleider vorstellte, die Gustav Klimt entworfen hatte. Auffällig war, dass die Kleider von der Farbgebung und den Mustern her den damaligen aktuellen Modetrends entsprachen. So schufen Klimt und Flöge ein Reformkleid, das sich durch Leichtigkeit auszeichnete. Sie lockerten es beispielsweise mit mehreren Lagen Rüschen und dem Einsatz von leichten Stoffen wie Baumwolle und Seide auf. Henry van de Velde dagegen benutzte meist schwere Stoffe wie zum Beispiel Samt. Auch die geometrischen Muster und Formen der Entwürfe waren auffällig. Klimt und Flöge erreichten im Gegensatz zu den deutschen Reformkünstlern,88 „…das Revolutionäre des Reformkleides sowie der Lebensreformbewegung (Abwendung vom Korsett, bewusstes Erleben des eigenen Körpers in Kleidungsstücken, die natürliche Bewegungen zulassen) mit dem Wunsch vieler Frauen nach aktuellen, modischen Trends zu verbinden.“.89

3.3 Die Kleidung der Futuristen

„Ein genial erdachtes und gut getragenes Damenkleid hat den gleichen Wert wie ein Fresko von Michelangelo oder eine Madonna von Tizian“.90

Das oben genannte Zitat drückt das Programm der Futuristen aus. Die Futuristen waren eine aus Italien stammende avantgardistische Künstlerbewegung, welche von Filippo Tommaso Marinetti um das Jahr 1910 gegründet wurde.91 Zur Gruppe der Bewegung gehörten unter anderem Giacomo Balla, Carlo Carrà, Umberto Boccioni, Dino Serverini und Luigi Russolo.92 Sie hatten die allumfassenden und ehrgeizigen Pläne, nicht nur die freie und angewandte Kunst zu fördern, sondern auch den Einflussbereich der Kunst zu erweitern.93 Laut Reiner Wenrich sahen sie „Kunst und Kleidung als Bestandteile einer materiellen Kultur“, welche „sich in utopischen Entwürfen“ äußerte.94 Ihr Ziel war es, die Mode ganz abzuschaffen, indem sie futuristische Kleidung entwarfen, die niemals aus der Mode kommen würde. Die futuristische Modernität sollte nicht dem jährlichen und saisonalen Wechsel unterworfen sein, sondern als permanent und absolut gelten. Genau wie die deutschen und österreichischen Reformkünstler wollten sie Einfluss auf die Dinge des täglichen Lebens nehmen, indem sie neben Kleidung unter anderem auch Möbel, Teppiche, Spielwaren und Küchenutensilien gestalteten.95 Abgesehen von ihren unterschiedlichen theoretischen Standpunkten und ihren vielfältigen formalen Lösungen, können zwei wesentliche Merkmale ihrer Entwürfe genannt werden: Phantasie und Funktionalität. Sie sind scheinbar gegensätzlich, ergänzen sich jedoch trotzdem zu einem außergewöhnlichen Ganzen. Einerseits strebten sie schöpferische Freiheit an, andererseits hatten sie den Drang sich der Wissenschaft und der technischen Modernität anzuschließen. Damit kehrten sie sich von den Konventionen und Traditionen des Bürgertums ab. Wesentliche Gestaltungsmerkmale der Futuristen waren Asymmetrie, Farbigkeit, Vitalität, Dynamik und Veränderbarkeit. Es bedeutete den Angriff auf die bürgerlichen Kleidungsnormen, welcher besonders provozieren wollte.96 Sie gerieten unter Verruf, faschistische Ideologien zu verfolgen, da sich ihre Ideen nicht nur auf Kleidung bezogen, sondern sie ihrem „umfassenden Konzept vom Aufbau einer neuen, futuristischen Gesellschaft“97 nachgingen.

Giacomo Balla galt als erster futuristischer Künstler, der Kleidung entwarf. Er war auch der einzige, der weder eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft suchte, noch die theoretischen Überlegungen beachtete.98 Schon 1912 begann Balla, Kleider zu entwerfen, welche er selbst auch trug. Balla gestaltete seine Stoffe und Kleider mit einfachen geometrischen Formen und kontrastreichen Farben, was besonders die Dynamik hervorhebte (Abb. 5). Einfache Linien und asymmetrische Schnitte sollten fröhlich, dynamisch und auch frech wirken. Giovanni Lista schrieb: „Die futuristische Kleidung soll das persönliche Verhalten beeinflussen und sich gleichzeitig für die gesellschaftliche Kommunikation eignen.“99 1914 veröffentlichte Balla das „Futuristische Manifest zur Kleidung des Mannes“, in dem er die Veränderung der männlichen Kleidung forderte. Darin verfolgte er die Absicht, die Herrenkleidung, welche bisher nur wenigen Schwankungen in ihrer Veränderung unterlag, in Form und Farbe grundsätzlich zu verändern.100 Seine Ansichten sprachen gegen schwarze „Trauerkleider“, „unnötige Knöpfe“, „die Symmetrie des Schnittes“ und „gestärkten Kragen und Manschetten“.101 Viele weitere Manifeste zur Gestaltung von Kleidung folgten. Seine Kleidung wurde auch wandel- und veränderbar, indem man

[...]


1 Gemeint sind immer Künstlerinnen und Künstler.

2 Magon (1982), S. 6

3 Vgl. Magon (1982), S. 6

4 Definition aus E-Mail Anfrage an die Deutsche Internetbibliothek. Erhalten durch Birgit Lange. (3.12.09). Vgl. Brockhaus Enzyklopädie

5 Vgl. Brost (1984), S. 27

6 Vgl. von Pape (2008), S. 50

7 Vgl. Holdermann (2002), S. 6

8 Vgl. König (1985), S. 125

9 Vgl. Holdermann (2002), S. 7

10 Vgl. Sommer (1989), S. 38

11 Sommer (1989), S. 57

12 Vgl. von Pape (2008), S. 55

13 Vgl. Sommer (1989), S. 59-65

14 Vgl. Wagner (2001), S. 95

15 von Pape (2008), S. 56

16 von Pape (2008), S. 56-57

17 Vgl. von Pape (2008), S. 17

18 Vgl. Sommer (1989), S. 18

19 Vgl. von Pape (2008), S. 62

20 Vgl. Olmedo (2009), S. 11

21 Vgl. von Pape (2008), S. 9

22 Vgl. Finckh (1997), S. 54

23 Vgl. Anna (2001), S. 44

24 Dieses Kunstwerk besteht aus Alltagsgegenständen oder auch aus Abfall.

25 Ein künstlerisches Verfahren, in dem z.B. Stoffe, Teile, Fotografien, Bauelemente und andere Gegenstände im Sinne eines Kompositions- oder Gestaltungsprinzips zusammengefügt werden.

26 Vgl. Rotzler (1980), S. 11-13

27 von Pape (2008), S. 24

28 Constantine & Reuter (1997), S. 10

29 Rotzler (1980), S. 14

30 Ein räumlich begehbares Kunstwerk, das sich mit der Beziehung von Objekt und Umgebung auseinandersetzt. Meist werden dazu Alltagsgegenstände benutzt.

31 Eine der wichtigsten Formen der Aktionskunst. Es ist ein improvisiertes Ereignis (häufig mit sozialkritischem und absurdem Charakter) direkt vor dem Publikum.

32 Eine situationsbezogene, vergängliche und handlungsbetonte künstlerische Darbietung eines Performers oder einer Performancegruppe. Diese Form der Aktionskunst hinterfragt die Trennbarkeit von Künstler und Werk sowie die Warenform traditioneller Kunstwerke.

33 Vgl. Kultermann (1972), S. 78

34 Wagner (2001), S. 88

35 Vgl. Wagner (2001), S. 88-90

36 Vgl. von Pape (2008), S. 138-141

37 Vgl. Wagner (2002), S. 7

38 Vgl. von Pape (2008), S. 31

39 Boot (1998), S. 127

40 Vgl. Wagner (2001), S. 88

41 Vgl. von Pape (2008), S. 29

42 von Pape (2008), S. 32-33

43 Billeter (1995), S. 13

44 Vgl. Billeter (1995), S. 13

45 Vgl. Billeter (1995), S. 19

46 Vgl. Billeter (1995), S. 17

47 Raff (1994), S. 126

48 Vgl. von Pape (2008), S. 25

49 Vgl. Billeter (1980), S. 7

50 Vgl. Billeter (1980), S. 13-16

51 Vgl. Billeter (1980), S. 15-21

52 Zit. n. Billeter (1980), S. 22

53 Eine Kunstbewegung aus Italien stammend, die in den 60er und 70er Jahren hauptsächlich räumliche Installationen aus „armen“ d.h. gewöhnlichen alltäglichen Materialien (z.B. Lumpen, Glassplitter, Holz, Bindfaden etc.) herstellten.

54 Vgl. von Pape (2008), S. 27

55 Wagner (2001), S. 92

56 Vgl. Kästner (2008), S. 10

57 Vgl. von Pape (2008), S. 59-60

58 Vgl. Welsch (1996), S. 29

59 Vgl. Stern (1992), S. 9

60 Vgl. Kästner (2008), S. 11

61 Die Ideologie dieser Bewegung besagte, dass sich die Menschheit alleine durch die Kraft der Kunst verbessern ließe. Vgl. Stern (1992), S.10

62 Vgl. von Pape (2008), S. 9

63 Vgl. Schütze (1998), S. 19-20

64 Stern (1992), S. 12

65 Vgl. Stern (1992), S. 12

66 Vgl. Wenrich (2003), S. 25

67 Vgl. Stern (1992), S. 13

68 Vgl. Schütze (1998), S. 22-23

69 Vgl. Welsch (1996), S. 31

70 Vgl. Schütze (1998), S. 23-25

71 Zit. n. Buxbaum (Hrsg.) (1999), S. 14

72 Eine 1897 von Jugendstilkünstlern aus Wien gegründete Vereinigung, die aus dem Künstlerhaus austrat. Mitglieder waren u.a. Gustav Klimt, Max Kurzweil oder Ernst Stöhr.

73 Vgl. Buxbaum (Hrsg.) (1999), S. 14

74 Vgl. von Pape (2008), S. 63

75 Vgl. Buxbaum (Hrsg.) (1999), S. 14

76 Vgl. Schütze (1998), S. 29

77 Vgl. Hansen (1984), S. 23-26

78 Vgl. Wenrich (2003), S. 33-34

79 Vgl. Hansen (1984), S. 34

80 Vgl. Wenrich (2003), S. 34

81 Vgl. Hansen (1984), S. 190

82 Vgl. Loscheck (1995), S. 24

83 Vgl. Hansen (1984), S. 190

84 Die Anhänger kritisierten u.a. die Industrialisierung, den Materialismus und die Urbanisierung. Ihr Leitmotto war „Zurück zur Natur“.

85 Vgl. Kästner (2008), S. 16

86 Vgl. Stern (1992), S. 20-21

87 von Pape (2008), S. 62

88 Vgl. Kästner (2008), S. 16-17

89 Kästner (2008), S. 17

90 Zitat in Stern (1992), S. 25

91 Vgl. Stern (1992), S. 25

92 Vgl. von Pape (2008), S. 68

93 Vgl. Stern (1992), S. 25

94 Vgl. Wenrich (2003), S. 35

95 Vgl. Stern (1992), S. 25

96 Vgl. Lista (1998), S. 28-30

97 von Pape (2008), S. 70

98 Vgl. Lista (1998), S. 30

99 Lista (1998), S. 32

100 Vgl. von Pape (2008), S. 70-71

101 Zit. n. Balla (1914), S. 116

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Textil und Kleidung als Materialien in der Kunst
Untertitel
Kulturhistorischer Überblick und Ideen für den Textil- und Kunstunterricht
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Veranstaltung
Textil / Kunst
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
102
Katalognummer
V193910
ISBN (eBook)
9783656192398
ISBN (Buch)
9783656193074
Dateigröße
3842 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Textilkunst, Textilien, Kunst mit Textilien, Soft Sculptures, Beuys, Trockel
Arbeit zitieren
Christiane Braun (Autor:in), 2010, Textil und Kleidung als Materialien in der Kunst, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/193910

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