Nationalökonomische Richtlinien der 1. und 2 Republik in Österreich


Seminararbeit, 2002

24 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Vorwort

Eine wirklich komplette Erfassung der nationalökonomischen Leitlinien der 1. und 2. Republik würde wohl den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Unser Werk kann daher notgedrungenermaßen nicht alle relevanten Aspekte der letzten 84 Jahre (exklusive der Zeit von 1938 bis 1945, als Österreich als Ostmark bekanntlich seine nationale Souveränität an das deutsche Reich verloren hatte) in aller Genauigkeit behandeln, sondern das Autorenteam versuchte die ihm wichtig erscheinenden Informationen wiederzugeben, ohne dabei den Überblick über den Themenkomplex zu verlieren. Daher sei diese Arbeit auch mehr als grober Überblick über eine wechselvolle und dynamische Geschichte zu verstehen.

„Die nationalökonomischen Leitlinien der 1. und 2. Republik“ ist grundsätzlich chronologisch angeordnet, wenngleich sich manche der behandelnden Themenkomplexe über den zeitlichen oder themenspezifischen Kontext erstrecken müssen, weshalb es uns als nicht sinnvoll erschien, die Arbeit mittels Subüberschriften zu strukturieren.

Besonderes Augenmerk wird auf die ältere Wirtschaftsgeschichte der jeweiligen Republik gerichtet. Dies schien uns insofern als erstrebenswert, als man gewisse typisch österreichische Entwicklungen nur dann hinlänglich verstehen kann, wenn die Vorgeschichte dazu bekannt ist. So erfordert etwa die Betrachtung der überdurchschnittlich hohen sozial-partnerschaftlichen Potenz oder die große Koalitions- und Kompromissbereitschaft der Nachkriegszeit, eine detailliertere Kenntnis der politischen Zustände vor dem 2. Weltkrieg usw. Aus diesem Grund nimmt auch die Skizzierung der 1. Republik einen verhältnismäßig übergroßen Platz in unserem Werk ein. Als weiteren Beweggrund für diese inhaltliche Schwerpunktsetzung liegt in der Tatsache, dass die Bedeutung der österreichischen nationalökonomischen Konzeption in letzter Zeit immer mehr von den struktur- und wirtschaftspolitischen Programmen aus Brüssel überlagert wird und so ein eigenständiger Kurs immer schwerer festzustellen ist. Außerdem können jüngere Ereignisse noch nicht zur Gänze beurteilt werden, da sie entweder noch im Gang sind oder noch keine adäquate Literatur erhältlich ist.

DIE NATIONALÖKONOMISCHEN LEITLINIEN DER 1. UND 2. REPUBLIK

1.REPUBLIK (1918 – 1938)

Ohne dass sich die quantitativen Verhältnisse zwischen den einzelnen gesellschaftlichen Großgruppen mit dem Ende der Monarchie grundsätzlich verändert hätten, ist es doch berechtigt, die Erste Republik als entscheidenden Einschnitt für die historische Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse anzusehen. In seinen wirtschaftlichen Grundlagen unterschied sich der österreichische Reststaat deutlich von jenen der Monarchie oder auch der cisleithanischen Reichshälfte. Er verfügte zwar beispielsweise nur über relativ geringe agrarische Nutzflächen, jedoch über einen beträchtlichen Reichtum an Wäldern, Bodenschätzen und Wasserkräften. Die wirtschaftlichen Zentren lagen geballt im Osten: das von der gewerblichen Produktion und von dem stark entwickelten Dienstleistungssektor geprägte Wien, das Industriegebiet des Wiener Beckens und die auf dem Rohstofflager des Erzberges basierende, traditionsreiche Schwerindustrie der Obersteiermark. Obgleich es, wie schon betont, keine Revolution im Sinne einer grundlegenden Veränderung der Eigentumsverhältnisse gab, war doch die politische Umwälzung von einschneidenden materiellen und Status- Verlusten für traditionell dominierende Gruppierungen begleitet. Zusammen mit folgenden ökonomischen Problemen erwies sich die schwache Basis der Ersten Republik als letztlich nicht mehr tragfähig. Der Anschluss im Jahre 1938 induzierte zwar einen kurzfristigen Wachstumsschub, der aber durch den Zusammenbruch 1945 wieder zunichte gemacht wurde. Erst in den folgenden Jahren der Zweiten Republik konnte, unter veränderten innenpolitischen und internationalen Rahmenbedingungen, wieder an den 1924 unterbrochenen Wachstumsprozess angeknüpft werden.

Nach dem Zerfall Österreich- Ungarns musste sich das Verhältnis von Staat und Wirtschaft unabwendbar unter neuen staatlichen und ökonomischen Voraussetzungen formieren. Am 10. 9. 1919 musste die Nationalversammlung den Bestimmungen des Friedensvertrags von Saint-Germain zustimmen, den Staatskanzler Renner am 25. 10. 1919 unterzeichnete und der Österreich die Kriegsschulden der alten Monarchie aufbürdete. Die Bezeichnung "Deutschösterreich" wurde verboten und die österreichischen Ansprüche auf die industriereichen deutschsprachigen Gebiete Böhmens, Mährens und Schlesiens wurden zurückgewiesen. Damit stand der junge Staat vor großen wirtschaftlichen Problemen, gekennzeichnet durch Hungersnot, Kohlenmangel, Inflation, Arbeitslosigkeit. Reparationen wurden zwar im Friedensvertrag formell festgelegt, jedoch niemals eingefordert und 1930 schließlich aufgehoben; auch die Frage der durch den Krieg schlagartig angewachsenen Staatsschuld verlor durch die galoppierende Nachkriegsinflation nahezu ihre Bedeutung.

Aufgrund der Bestimmungen des Friedensvertrages und der Genfer Protokolle (1922) verlor die bisher heiß diskutierte politische Anschlussbewegung an Aktualität. Die Intensität der weiterhin regen Anschlussdiskussion zeigte einen eindeutigen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation Österreichs. In Zeiten der Konjunktur schwächte sie deutlich ab, während sie sich in Phasen der Rezession zu verstärken schien. Trotzdem bemühte man sich im Hinblick auf einen ökonomischen Anschluss in naher Zukunft um eine engere Kooperation mit Deutschland und rief das Projekt einer deutsch- österreichischen Zollunion ins Leben. Aufgrund des heftigen Widerstands Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei und der Unvereinbarkeit mit den Genfer Protokollen war dieses Vorhaben jedoch zum Scheitern verurteilt.

1919 gewann in Folge der Destabilisierung des kapitalistischen Systems die Idee der Sozialisierung stark an Gewicht. Das Konzept einer Teilsozialisierung von Otto Bauer wurde letztendlich zur Plattform der österreichischen Sozialisierungspolitik, in der man neben einer Sozialisierung des Großgrundbesitzes, der Wohnungswirtschaft und der Großbanken anstrebte, sondern auch vor allem die Vergesellschaftung des Industriesektors.

In Folge wurden drei Sozialisierungsgesetze, nämlich das Betriebsrätegesetz, das Enteignungsgesetz und das Gesetz über die gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen, im Parlament verabschiedet und die Regierung einigte sich auch auf ein gemeinsames Programm, das Sozialisierungen im Kohlenbergbau und –großhandel, in der Eisen- und Metallindustrie, in der Elektrizitätswirtschaft, in der Forstwirtschaft, der Holzindustrie, in der chemischen Industrie und bei militärischen Betrieben vorsah. In dieser Periode der sozialdemokratischen Vorherrschaft zwischen 1918 und 1920 wurden vor allem auf Initiative der Gewerkschaften weitreichende Sozialgesetze verabschiedet: Arbeitslosenfürsorge, bzw. -versicherung, Einführung des achtstündigen Arbeitstages, des Arbeiterurlaubs, der Einigungsämter und der kollektiven Arbeitsverträge. Mit der Installierung der Betriebsräte, die das einzige dauerhafte Ergebnis der gescheiterten Sozialisierungsbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg darstellten, und der Arbeiterkammern erfolgte ein wesentlicher Ausbau der Interessensvertretungen der Arbeiterschaft.

Die materielle Situation der österreichischen Arbeiterschaft darf jedoch nicht allein aus dem Blickwinkel der Lohn- und Sozialpolitik beurteilt werden; sie war in besonderem Maße auch durch die hohe Arbeitslosigkeit bestimmt. Die wichtigsten Kausalfaktoren bildeten neben exogenen Einflüssen die unbewältigten Strukturprobleme, die im Gefolge der ökonomischen Desintegration auftraten (die wirtschaftlichen Startbedingungen der Ersten Republik wurden vor allem durch die schmale ernährungs- und energiewirtschaftliche Basis beeinträchtigt), und eine starke Zunahme des Arbeitskräftepotentials. Verschärfend wirkte zweifellos auch der in den zwanziger und dreißiger Jahren vorherrschende Antiinterventionismus, der beschäftigungspolitische Überlegungen kaum aufkommen ließ.

Es kam zu einem Wandel der Familienstrukturen, allgemein verringerte sich das häusliche Personal. Im Gewerbe verlor die Unterbringung von Gesellen und Lehrlingen beim Meister weiter an Bedeutung. Auch die positiven Ansätze im Bildungsbereich wurden unterbrochen. Die gesellschaftspolitische Frontstellung zwischen katholischer Kirche und Sozialdemokratie bewirkte immer wieder starke Spannungen in der Schulpolitik.

Was die Verteilung der Erwerbstätigen auf die einzelnen Sektoren angeht, machte sich bereits in der Vorkriegszeit ein ständiger Rückgang des landwirtschaftlichen Anteils bemerkbar. Der erste Weltkrieg, der Zerfall des Großreiches und die wirtschaftlichen Probleme der Ersten Republik lösten zwar unverkennbare Bremswirkungen in allen Sektoren aus, führten aber in keinem der drei zu neuen Umschichtungen: Auch der Anteil an der Industrie bzw. am verarbeitenden Gewerbe und am Dienstleistungssektor behielt, wenn auch nicht in so raschem Tempo wie bisher, seine ansteigende Tendenz.

Insgesamt wies der Wachstumsverlauf in der Zwischenkriegszeit eine signifikante Phasenabfolge auf. Die Periode zwischen 1919 und 1922 stand im Zeichen einer ständig eskalierenden Nachkriegsinflation. Den Ausgangspunkt bildete die Geldschöpfung im Rahmen der Kriegsfinanzierung. Die Wirkungen der Nachkriegsinflation waren ambivalent- einerseits verursachte sie schwerwiegende Substanzverluste, andererseits trug sie wesentlich zur Überwindung der anfänglichen Wirtschaftslähmung bei. Besonders die Exportwirtschaft profitierte vom permanenten Verfall des Wechselkurses.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Nationalökonomische Richtlinien der 1. und 2 Republik in Österreich
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien  (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Note
1-
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V1934
ISBN (eBook)
9783638111935
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalökonomische, Richtlinien, Republik
Arbeit zitieren
Johannes Naimer (Autor:in), 2002, Nationalökonomische Richtlinien der 1. und 2 Republik in Österreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1934

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