Weiblichkeit im afrozentrischen HipHop


Magisterarbeit, 2012

70 Seiten


Leseprobe


Inhaltsangabe

1. Einleitung

2. Afrozentrismus
2.1 Die Hinwendung zu Pan-Afrika
2.2 Afrozentrismus heute
2.2.1 Die Vier Säulen des Afrozentrismus
2.2.2 Afrozentrismus als Religion
2.3 Gender im Afrozentrismus

3. Afrozentrischer Feminismus
3.1 Womanism
3.2 Black Feminist Thought als kritische Sozialtheorie
3.2.1 Der Standpunkt SchwarzerFrauen
3.2.2 Konsequenzen Ökonomischer unterdrückung & Segregation
3.2.3 Stereotypisierung: Controlling Images
3.2.4 Die sexuelle Dimension derUnterdrückung
3.2.5 Die Zentralität der Schwarzen Mutterfigur.
3.2.6 Epistemologie und Empowerment

4. HipHop-Kultur.
4.1 Entstehung des HipHop
4.2 Authentizität und Coolness
4.3 Männerbilder - Frauenbilder.
4.3.1 Ghetto-Machismo undNeu-Verhandlung von Männlichkeit
4.3.2 Weibliche MCs: Bitches, Queens, Mamas und Sisters

5. Nation Conscious Rap
5.1 Afrozentrischer HipHop
5.2 Die ProtagonistInnen des afrozentrischen Rap
5.3 Gender und Sexualität in afrozentrischen HipHop-Texten
5.4 Die Schwarze Frau als Repräsentation „Mama Afrikas“

6. Die Vielstimmigkeit der afrozentrischen Rapperin
6.1 QueenLatifah
6.2 Monie Love

7. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Dicsographie

Internetquellen

1. Einleitung

In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren rückten zwei afroamerikanische Phänomene erstmals in den Blick der breiten US-amerikanischen Öffentlichkeit: der Afrozentrismus und die Jugendkultur des HipHop, letztere insbesondere als musikalische Performance-Kunst. In dieser Zeit erlangte auch das Subgenre des afrozentrischen HipHop Popularität. Wie dem Titel dieser Arbeit zu entnehmen ist, handelt es sich hier um die Untersuchung dieser Ausrichtung der HipHop-Musik unter einer genderspezifischen Perspektive. HipHop ist mittlerweile ein globales Phänomen, das einen beträchtlichen medialen Einfluss vor allem auf die junge Generation ausübt. Innerhalb dieser beiden Bewegungen herrscht offenkundig ein konservatives, im HipHop gar misogynes Frauenbild vor. Jedoch finden sich in beiden Strömungen auch weibliche Perspektiven, die hiermit nicht konform gehen.

Im Afrozentrismus wird eine Reinheit „afrikanischer Tradition“ propagiert, die gar darin gipfelt Frauen auf ihre mütterliche Funktion zu beschränken, und die Bewegung aus dieser heraus zu unterstützen. Das Konzept der Mutterschaft ist innerhalb der afroamerikanischen Gesellschaft von besonderer kulturspezifischer Signifikanz. Auffällig ist hierbei die weibliche Konnotation des Ursprungskontinents als „Mutter Afrika“, der gerade im Bereich der Populärmusik gerne aufgegriffen wird. Traditionellen patriarchalischen Vorstellungen entsprechend werden Frauen auf den privaten Raum beschränkt. Auch existiert in der amerikanischen Gesellschaft insgesamt ein Bestreben, Kontrolle über Schwarze Frauen auszuüben. In diesem Zusammenhang ergibt sich eine Annäherung an die Frage, inwiefern die Hegemonie des Weißen Patriarchats und die gesellschaftliche Entwicklung innerhalb der amerikanischen Black Community diesbezüglich zusammenwirken.

Die Beschränkung von Frauen und ihre Verortung in der privaten Sphäre - im Gegensatz zum den Männern vorbehaltenen öffentlichen Raum - ist auch in der Populärmusik und somit im HipHop von maßgeblicher Bedeutung. Sowohl im HipHop, als auch in der amerikanischen Gesellschaft und innerhalb der Black Community sind Frauenbilder wirksam, die der Kontrolle und Restriktion von Schwarzen Frauen Vorschub leisten. Der Entwicklung dieser Stereotypen Schwarzer Frauen widmet sich der Black Feminism. Dieser gewährt zudem einen Einblick in die afroamerikanische Kultur, die Außenstehenden nicht so ohne weiteres zugänglich ist.

Auch der Zugang zur afroamerikanischen HipHop-Kultur - vor allem aus weiblicher Perspektive - ist keineswegs direkt möglich. Die Positionen weiblicher HipHopperinnen wird erst durch die Schriften afroamerikanischer Musikwissenschaftlerinnen tiefer verstehbar. So ist die Misogynie im HipHop vor allem in seiner kommerziellen, global medialisierten Form leicht erkennbar. Jedoch wird diesem vorherrschenden Bild seitens Schwarzer Musikwissenschaftlerinnen entgegengesetzt, dass hier eine mediale Verzerrung vorliegt, die die übertrieben maskuline Attitüde im HipHop noch forciert. Seitens der Presse und vornehmlich männlicher Musikwissenschaftler wird unterschlagen, dass auch Frauen respektierte und aktive Mitglieder der afroamerikanischen HipHop-Community sind. Diese agieren keinesfalls in einer Art Parallelwelt, sondern befinden sich durchaus in einem gleichberechtigten Dialog mit männlichen HipHop-Akteuren.1 Sie werden gar als die eigentlichen Repräsentanten eines dynamischen, wirkmächtigen schwarzen Feminismus betrachtet.2

Ziel dieser Arbeit ist es, die Positionen afrozentrischer Rapperinnen herauszuarbeiten. Um deren Standpunkt innerhalb der afrozentrischen, der Schwarzen und der HipHop-Kultur zu beleuchten, werden hier die grundlegenden Ideen und Gender-spezifischen Vorstellungen des Afrozentrismus, des HipHop und des afrozentrischen HipHop dargestellt. Hierbei ist es sehr hilfreich, den Blick auf afrozentrische feministische Theorien und Untersuchungen zu richten, denn hierdurch werden der Status und die Rollen, die afroamerikanischen Frauen zugewiesen werden in ihren historischen und gegenwärtigen Dimensionen deutlich. Die Zusammenführung dieser verschiedenen Perspektiven innerhalb ihres gesellschaftlichen und historischen Kontextes, ermöglicht ein übergreifenderes Verständnis der Inhalte und der Interaktion der verschiedenen „Kulturen“. Und erst dies macht eine konturierte Herausarbeitung der spezifischen Positionen afrozentrischer Rapperinnen möglich und verstehbar. Am bedeutsamsten istjedoch deren Selbstdarstellung als Frauen, ihre Vorstellungen und Repräsentationen von Weiblichkeit.

2. Afrozentrismus

Der Afrozentrismus ist eine Bewegung, die dem Jahrhunderte alten, afroamerikanischen Binnendiskurs entspringt, der von einem Ringen um eine selbst definierte Identität innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft handelt. Dem über lange Zeit tradierten, insbesondere in den Vereinigten Staaten erhärteten Stereotyp des triebhaften, unzivilisierten „Negers“ wird seitens der afrozentristischen Bewegung ein positives Bild vom „Afrikaner“, von einem - imaginierten - panafrikanischen „Mutterkontinent“ und vor allem eine eigene Historiographie Afrikas, eine Gedächtnisgeschichte entgegengesetzt.3

2.1 Die Hinwendung zu Pan-Afrika

Dieser Identitätsdiskurs war und ist deshalb so brisant und notwendig, da die Neue Welt „eine Leerstelle im semantischen Universum der Verschleppten [bildete]. [Gleichzeitig] löschte [die Deportation] die bekannten Bezugspunkte, über die sich die Menschen als Individuen definiert hatten, fast vollständig aus.“4 Die versklavten Individuen wurden in einen Zustand fehlender Sozialstrukturen und der Sprach- und Machtlosigkeit hineingeworfen. Die Definition dieser Menschen, denen die menschliche Würde aberkannt worden war, erfolgte weitgehend seitens der Weißen Euroamerikaner. Die Selbstdefinition der Schwarzen in den USA, sowie deren - negatives - Bild von Afrika war somit über Jahrhunderte hinweg stark von der dominanten euroamerikanischen Kultur beeinflusst worden. Es erfolgte zwangsläufig eine Neudefinition des Selbst, ebenso wie eine neue Definition Afrikas aus afroamerikanischer Sicht.5 Diese unterlag zeitlichen und regionalen Schwankungen. Bis in die 1950er Jahre hinein war der afroamerikanische Diskurs geprägt von einer massiven Ablehnung des zeitgenössischen Afrikas.6 Denn um aktiv in den Rassendiskurs des 19. Jahrhunderts einzugreifen, waren Afroamerikaner gezwungen, ihren Binnendiskurs innerhalb der vorherrschenden Strukturen zu entfalten. Deshalb wurde hier ein, auf einem zyklischen Geschichtsbild basierender, Gegenentwurf entwickelt, der das innovative, „zivilisatorische Potential“7 der historischen afrikanischen Bevölkerung betont. Die Argumentationsbasis hierfür fußt auf antiken Quellen, aber auch auf die Bibel. Denn eine theologische Argumentationsweise ermöglichte es, gegen die damals populäre Polygenese-Theorie anzugehen.8

Jedoch ging bereits mit der Entwicklung des Black Nationalism Ende des 19.Jahrhunderts, seitens verschiedener afroamerikanischer Intellektueller, eine positivere Haltung bezüglich des afrikanischen Kontinents einher. So propagierte Edward Wilmot Blyden, einer der Begründer des Black Nationalism, ein äußerst positives Afrika-Bild. Er betrachtete die Rückkehr der Afroamerikaner nach Afrika als mögliche Lösung sich den Repressalien und Restriktionen in den USA zu entziehen. Auch der Integrationist W.E.B. DuBois formulierte mit fortschreitendem Alter vermehrt panafrikanische Vorstellungen. Eine erste Blütezeit erlebte der Black Nationalism in den 1920er Jahren unter der Führung Marcus Garveys. Garvey schloss sich Blydens Vorstellungen an und gründete eine Repatriierungsbewegung. Der Visionär Garvey strebte nicht nur die Gründung eines autonomen Staates der Heimgekehrten, sondern gar die Autonomie des damals noch größtenteils kolonialen Afrika an. Der eurozentrischen „White Supremacy“, also der Vorstellung eines biologisch determinierten Anspruchs auf Vorherrschaft seitens Weißer, setzte er eine „Black Supremacy“ entgegen.9 Auf künstlerischer Ebene unternahmen die lyrischen Bewegungen der New Yorker Harlem Renaissance und - außerhalb der USA - die Négritude den Versuch einer geistigen Vereinigung mit Afrika.

Erst in den 1960ern kommt es - im Zuge der Bürgerrechtsbewegung - zu einer breiteren Hinwendung zu den afrikanischen Wurzeln.10 Der Ansatz des Black Nationalism, den Marcus Garvey zuvor schon mit seiner separatistischen Bewegung und seinem Back-to-Africa Movement verfolgt hatte, nimmt hier stärkere Konturen an. Er wurde von Elijah Muhammads NOI (Nation of Islam) und Maulana Karengas Organisation US in verschiedener Weise ausformuliert. Gemeinsam ist beiden Gruppierungen das Bestreben eine „afrikanische Identität“ für die afroamerikanische Bevölkerung zu schaffen. Diese dient einerseits der Bekämpfung rassistischer Strukturen und andererseits der Vertiefung des Zusammenhalts wie auch des kollektiven Selbstwertgefühls.11

2.2 Afrozentrismus heute

Die zentralen Thesen des Afrozentrismus sind bereits mehr oder minder aufgestellt, als der „Begründer“ des Afrozentrismus, Molefi Kete Asante, diese im Jahr 1980 in seinem „Gründungsdokument“ Afrocentricity zusammenfasst.12 Neben diesem existieren zahlreiche andere eloquente afrozentrische Theoretiker. Hier erfolgt jedoch eine Beschränkung auf seine Thesen, da Asante innerhalb der afroamerikanischen Gesellschaft einen zentralen Standpunkt einnimmt. Zudem offenbart sich in Asantes Radikalität, dass sich der afrozentrische Diskurs auf derselben Ebene entfaltet wie der dominante euroamerikanische. Die afroamerikanische Feministin White betont, dass sich dieser Gegendiskurs häufig unbewusst der vorherrschenden Begrifflichkeiten bedient. Sie bezeichnet dies als einen Konkurrenzkampf über das ideologische Zeichen Afrika.13

Im Aanteschen Afrozentrismus wird eine absolute Einheit aller „Afrikaner“, in Opposition zu allen „Europäern“, postuliert. Nichtsdestotrotz weist die afrozentrische Bewegung kontrastierende, aber gleichberechtigte Strömungen auf. Der Afrozentrismus befindet sich im Spannungsfeld zweier Hauptströmungen, die Mazrui als romantische Gloriana und als romantischen Primitivismus bezeichnet. Erstere behauptet einen Hyperdiffusionismus, der alle menschlichen Kulturleistungen - insbesondere auch die europäischen - auf afrikanische Wurzeln, vor allem aber auf das Alte Ägypten, zurückführt. Diese werden jedoch anhand „europäischer“ Wertvorstellungen beurteilt. Im Gegensatz hierzu erfahren „europäische Maßstäbe“ seitens des romantischen Primitivismus eine vehemente Ablehnung. Ganz der Tradition der Négritude verhaftet, wird die Besonderheit der afrikanischen Kultur, des „afrikanischen Weges“ beschworen.14

Entsprechend der jahrhundertelangen Hegemonialität der „europäischen Kultur“ erfolgt eine Veränderung im afrozentrischen Gegendiskurs bezüglich Europa. Dies geschieht in derselben Weise wie sich zuvor die Selbstdefinition Europas als „Hochkultur“ im eurozentrischen Diskurs der Negativbestimmung seiner „Opponenten“ bediente. Mudimbe bemängelt hier, dass der Afrozentrismus sich von der westlichen epistemologischen Ordnung abhängig macht, wenn er das Bild vom zivilisierten Europa im Gegensatz zum barbarischen Afrika einfach umkehrt.15 Die einander entgegengesetzten Stereotype lassen sich folgendermaßen skizzieren: Als europäisch gilt eine individualistische und sozialdarwinistische Attitüde verbunden mit dem Streben die Natur auszubeuten, sie sich zu unterwerfen. Dies ist eine durchaus treffende Skizzierung, die aber leider gegenläufige Bewegungen innerhalb der westlichen Kultur übersieht. Die kulturalistische Definition „afrikanisch“ umfasst den Zusammenhalt der Gemeinschaft und ein Dasein im Einklang mit der Natur. Als traditionell afrikanische Werte gelten „Harmonie, Menschlichkeit und Rhythmus“.16 Auch übernahm Asante eine, bereits seitens der Négritude vorgenommene Umkehrung der im späten 19. Jahrhundert vorherrschenden Vorstellung, die der europäischen Kultur eine hohe spirituelle Qualität attribuierte, wohingegen Afrikanern ein kruder Materialismus unterstellt wurde. Im Afrozentrismus hingegen wird davon ausgegangen, dass der afrikanischen Kultur eine wesenhafte, tiefe Spiritualität zu eigen sei.17 Diese Spiritualität zeigt sich auch innerhalb afroamerikanischer Gottesdienste.

Ein häufig genutztes Schlagwort im afrozentrischen Diskurs ist, die sich aus der Betonung des innovativen zivilisatorischen Potentials und dem Hyperdiffusionismus ableitende Katachrese, Afrika sei die „Wiege der Zivilisation“.18 Als weiteres, über lange Zeit tradiertes Bild, ist auch das von Afrika als weiblicher Entität, als Mutter zu betrachten.19

Weitere zentrale Thesen des Afrozentrismus sind die Betonung der kulturellen Einheit des subsaharanischen Afrikas und die Behauptung, dass eine Kontinuität der afrikanischen Sitten und Werte bis in die heutige US-amerikanische Lebenswirklichkeit hinein besteht.20 Die Betonung einer panafrikanischen Einheit verleugnet jedoch die Mannigfaltigkeit und Komplexität der Vielzahl unterschiedlicher afrikanischer Kulturen.21 Die sozialen und kulturellen Einflüsse des Heimatkontinents auf die afroamerikanische Bevölkerung sind schwerlich greifbar und historisch nachvollziehbar.22 Dennoch sind gewiss westafrikanische kulturelle Werte in subtiler Weise in die heutige afroamerikanische Kultur eingeflossen.

2.2.1 Die Vier Säulen des Afrozentrismus

Reinhardt, der den Afrozentrismus aus einer betont eurozentrischen Perspektive betrachtet, unterteilt diesen in vier Kategorien, die er die „Vier Säulen des Afrozentrismus“ nennt. Obschon diese innerhalb einer Ganzheit eng miteinander verwoben sind, hält er eine klare Trennung für möglich: „Wissenschaft, Religion, Mission und Afrikanisierung des Alltags“23.

Ein zentraler Bestandteil der afrozentrische Wissenschaftspraxis besteht darin, die hyperdiffusionistische These, dass alle kulturellen Leistungen weltweit dem antiken Ägypten entspringen, zu beweisen. Der Versuch, afrikanische Gesellschaften zu ägyptisieren, wurzelt nach Reinhardt in dem Glauben, dass so genannte Hochkulturen „Naturvölkern“ überlegen seien. Insgesamt zeigt sich in der afrozentrischen Historiographie eine starke Affinität zu Herrscherhäusern, z.B. auch bei der Untersuchung süd- und westafrikanischer Königreiche des Mittelalters.24 Ein auffälliges Merkmal der afrozentrischen, holistischen Wissenschaftstheorie ist die Betonung von Spiritualität und die Bezugnahme auf höhere Mächte.25

Aus dieser religiösen Komponente, auf die später noch näher eingegangen werden wird, erwächst die Aufgabe die afrozentrische Botschaft zu verbreiten: die Mission.26 Diese wird in der Schul- und Erwachsenenbildung, aber auch durch Bildungsreisen auf den Herkunftskontinent praktiziert.

Die Afrikanisierung des Alltags äußert sich u.a. im Annehmen eines afrikanischen Namens, im Konsum afrikanischer Musik und im Tragen afrikanischer Kleidung. Als afrikanisch gelten hierbei auch typisch afroamerikanische Innovationen, wie z.B. Afro-Frisur und Hip Hop-Musik.27

2.2.2 Afrozentrismus als Religion

Der Afrozentrismus entfaltet seine größte Wirkmächtigkeit in seiner religiösen Dimension, denn diese stillt die tiefe Sehnsucht der AfroamerikanerInnen nach den eigenen Wurzeln und bestärkt sie im Wert der ihnen eigenen Kultur. Wenn auch keine spirituelle Wesenheit im Zentrum steht, so weist der Afrozentrismus die Kohärenz eines religiösen Systems auf, denn in Bezug auf seine Glaubenssätze zeichnet er sich durch eine starke Einheitlichkeit aus. Auch sind die für religiöse Gemeinschaften charakteristische Wesenszüge innerhalb der afrozentrischen Bewegung erkennbar.28 Die Wirkmächtigkeit der religiösen Komponente des Afrozentrismus liegt aber weniger in den Ähnlichkeiten mit religiösen Gemeinschaften, sondern vielmehr in der tiefen Überzeugungskraft und Begeisterung, die Asante auf seine Mitstreiter überträgt.

Die Werke Asantes sind durchzogen von religiösem Vokabular. Schlagwörter, die seine Schriften durchziehen sind z.B. Spiritualität und die Hinwendung zu den Ahnen.29 Diese Begriffe dienen dazu, die Einheit aller Afrikaner zu beschwören: ,,We know who we are and to whom we are connected by knowing our ancestors, physical or spiritual.“30 Begriffe wie Rhythmus, Harmonie und Transzendenz charakterisieren die Besonderheit Schwarzer Menschen und ihre einzigartige Verbindung zu höheren Mächten, denn sie treten meist in Verbindung mit Begriffen wie kosmisch und Universum auf. So umfasst das afrikanische Kultursystem alle Afrikaner weltweit, da sie alle auf „...the same rhythms of the universe, the same cosmological sensibilities...“ reagieren.31 An anderer Stelle heißt es: „I am in tune with the rythm of the universe. Since transcendence is... the regulation of this harmonious power, we become seekers of the type of connections, interactions and meetings that lead to harmony.“32

Bezeichnend ist auch, dass er Schwarze politische Führer wie u.a. Marcus Garvey und W.E.B. Du Bois zu Propheten des Afrozentrismus erklärt.33 Er beschwört die Notwendigkeit sich zu einer religiösen Gemeinschaft zusammenzuschließen, indem er verkündet: „What is needed is ... the rise of free spirits, and the establishing of a new Ogunic pantheon in the United States and in the world.“34 Und er ruft namentlich zur Konversion zum Afrozentrismus auf35. Innerhalb des Gründungsdokuments Afrocentricity stellt Asante, unter dem Titel Njia, Regeln der afrozentrischen Lebensführung auf. Er betont, dass es sich bei Njia um eine Offenbarung handelt und fügt hinzu: „In Njia, Afrocentricity is sacred.“36 Diese Regelsätze legen die Zentralität Afrikas als Symbol, als spirituellen Bezugspunkt festlegt. Durch Njia soll eine Wandlung des Selbst und der Wahrnehmung der Welt vollbracht werden. Es soll über eine redefinition letztlich zu einer afrozentrischen reconstruction führen.37 In einem Prozess der Transzendierung erfolgt zuerst der breakdown: die Befreiung von eurozentrischen Sichtweisen, die die mentale Versklavung, ja gar Zerstörung afroamerikanischer Individuen zementiert. Denn die Konformität mit der westlichen Welt gilt Asante als ein Ausdruck von Selbsthass. Damit einher geht das Ablegen des Sklavennamens, der das Individuum fremdbestimmt. Ein breakthrough ergibt sich aus der Hinwendung zu den eigenen afrikanischen Wurzeln und zum Mutterkontinent, sowohl in symbolischer, als auch in tatsächlicher Weise.38 Es geht also um eine Transzendierung des Bewusstseins, um Erlangung von consciousness.39

Mit Begriffen wie „collective consciousness“, „collective will“ oder gar „collective cognitive imperative“ beschwört er die gemeinsame Vision einer absoluten spirituellen Einheit.40 Der Afrozentrismus ist laut Asante der einzige Weg sich als afroamerikanisches Individuum frei entfalten zu können. Er lehnt „andere Religionen“, ebenso wie andere Ideologien als eurozentrisch ab. Jedwedes Einlassen auf so genannte eurozentrische Diskurse wird höchst negativ bewertet. Jede Abweichung wird als Bedrohung des „afrikanischen Selbst“ dargestellt.41 Bedeutsam ist hier die radikale Hinwendung zur absoluten Wahrheit „afrikanischer Tradition“, die es rein zu erhalten gilt. Diese universelle Wahrheit betont jedoch nicht nur Kontinuität, Einheit und Besonderheit des „afrikanischen Bewusstseins“, sie leistet leider auch dem eurozentrischen Bild vom geschichtslosen Kontinent Vorschub.42 Denn unter Tradition ist im Afrozentrismus, nach Gilroy, eine unveränderliche Wiederholung zu verstehen, die das Potential zu Veränderung und Innovation ignoriert.43 Der Tradition ist die Modernität entgegengesetzt. Dieses Gegensatzpaar ist der Dichotomie von „Schwarz“ und „Weiß“, also kooperativ vs. konkurrierend, spirituell vs. materialistisch, lebensbejahend vs. destruktiv; vergleichbar.44 Der hohe Wert der „afrikanischen Tradition“ in Verbindung mit religiösen Vorstellungen von Reinheit wirkt sich auch auf die Wahrnehmung im Gender-Bereich aus.

2.3 Gender im Afrozentrismus

So verweisen Gilroy und White darauf, dass die Neu-Erfindung afrikanischer Tradition bedeutsame Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, von Sexualität, wie auch von einem erstrebenswerten Familienleben mit sich bringt. Der Afrozentrismus setzt nach Gilroy die Integrität der „Schwarzen Rasse“ mit der Integrität „Schwarzer Maskulinität“ gleich, die mit allen Mitteln wiederhergestellt werden muss. Hierunter ist eine Kompensation der historischen Ohnmacht und Unterordnung Schwarzer Männer zu verstehen. Die wirkmächtigsten Komponenten der afroamerikanischen Identität, die der traumatischen Erfahrung der Sklaverei entspringen, sind eng verwoben mit Gender-Identitäten. Signifikante Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit werden hier symbolhaft genutzt, um einzigartige ethnische Unterschiede zu demonstrieren.45

Im Afrozentrismus wird die Rekonstruktion einer starken Community auf ein idealisiertes Bild heterosexueller Partnerschaft projiziert.46 So betont Asante in Afrocentricity die Einheit afrozentrischer Paarbeziehungen mit der der gesamten afrozentrischen Community.47 Alle Beziehungen innerhalb dieser, insbesondere aber die Verbindung zwischen Mann und Frau beinhalten Aufopferung, Inspiration, eine gemeinsame Vision und den Sieg des Afrozentrismus.48 So gilt es innerhalb einer heterosexuellen Beziehung Aspekte der eigenen Persönlichkeit dem afrozentrischen collective will zu opfern. Die Inspiration innerhalb der Paarbeziehung muss dem Fortbestand und der Erweiterung der afrozentrischen Einheit dienen. Die Vision liegt in der gemeinsamen Lebensplanung im Sinne der afrozentrischen Weltsicht. Afrozentrische Beziehungen sind nach Asante naturgemäß siegreich: Sie werden die Familien wiederherstellen, den afrikanischen Werten wieder ihre Bedeutung verleihen und die gesamte Kultur schützen.

Afrozentrismus, als spirituelle und intellektuelle Kraft umspannt letztlich alle Beziehungen, die Community, die afroamerikanische Geschichte. Die heterosexuelle Paarbeziehung soll hier als treibende Kraft fungieren. Der Inhalt einer geglückten Paarbeziehung liegt hier also in der absoluten Hingabe zur afrozentrischen „Religion“. Nicht die Individuen stehen im Vordergrund, sondern lediglich die Rollen, die sie im Sinne der Bewegung einzunehmen haben. So sagt Asante: „Every man should want his lady to be Isis, Harriet, Yaa Asantewaa and every woman should want a Turner, Malcolm, Elijah Muhammad, King, Garvey.“49 Männlichen Afrozentristen wird somit das Rollenbild der Führerschaft und des „Propheten“ zugewiesen. Afrozentristinnen werden unter anderem mit Göttinnen und Königinnen verglichen, was in erster Linie auf den afrozentrischen Hang zur Adelung des Afrikanischen verweist.50 Hierin fügt sich auch Ali Shahrazads Behauptung ein, dass die „Blackwoman“ als die „Königin des Universums“ und „Mutter der Zivilisation“ keinesfalls den Ideen und Einstellungen der westlichen Zivilisation nacheifern dürfe.51 Dies zielt wohl auf die feministische Bewegung ab. Zum Feminismus nimmt Asante jedoch nur in einem Lippenbekenntnis Stellung. Daher ist hier die Untersuchung anderer afrozentrischer Theoretiker vonnöten.

So propagierte der Schwarze Nationalist Karenga bis in die 1970er Jahre hinein das Modell der Komplementarität. Dieses beinhaltet eine geschlechtsspezifische Aufteilung von Aufgaben ebenso wie eine ungleiche Machtverteilung zugunsten der Männer. Obschon Karenga seine Ansichten revidierte sind derartige Vorstellungen weiterhin wirkmächtig.52 So stützen sich auch die Gender- Rollen der afrozentrischen Theoretikerin Harper-Bolton auf eine idyllisierte, statische afrikanische Tradition. Diese weist Frauen eine ergänzende Rolle zu und beschränkt ihr Tätigkeitsfeld auf den eigenen Haushalt. Sie warnt vor der Abkehr von dieser Tradition, da westliche Bilder von Weiblichkeit - seien es populäre oder feministische - eine Gefahr für die Entwicklung eines gesunden Familienlebens darstellen.53

Die repressive, konservative Tendenz im Afrozentrismus geht, so White, zurück auf eine Ideologie der Respektabilität, die die Schwarze nationalistische Bewegung dem euroamerikanischen Nationalismus der letzten 200 Jahre entlehnt hat. Dieser bürgerlichen Ideologie, die vornehmlich der Kontrolle des Sexualverhaltens und der Geschlechterverhältnisse diente, galten Afroamerikaner als Gegenbild, als Modell des Abnormalen. Schwarzen wurde Hypersexualität unterstellt. Ihre familiäre Ordnung wurde als matriarchalisch dargestellt. Somit wurden sie seitens des Weißen Bürgertums als Bedrohung deren patriarchalischer Idealvorstellungen wahrgenommen. Heute werden die vielfach anzutreffenden matrifokalen Haushalte afroamerikanischer Familien in Opposition gesetzt zum Ideal der gleichberechtigten heterosexuellen Paarbeziehung. Doch nicht nur seitens der dominanten Weißen Bevölkerung werden diese Haushalte kritisch beäugt. Sie werden auch seitens der afrozentrischen Community als Problem angesehen: So gilt dieser „widernatürliche Rollentausch“ als Ursache von Gender- Konfusionen, die Homosexualität positiv bedinge. Beides wird als große Gefahr für die „gesamte Rasse“ bezeichnet. Als Lösung des Problems gilt in afrozentrischen Kreisen mitunter die Rückbesinnung auf eine idyllisierte polygame Großfamilie. Insgesamt herrscht im afrozentrischen Lager eine recht offene Feindseligkeit gegenüber der Frauenbewegung, insbesondere gegenüber dem afroamerikanischen Feminismus.54

3. Afrozentrischer Feminismus

Der Feminismus afroamerikanischer Frauen ist eine Erwiderung auf deren einzigartige Situation der theoretischen Unsichtbarkeit. Diese Unsichtbarkeit bildet gemeinsam mit den traumatischen Erfahrungen der Deportation und Versklavung sowie des andauernden Weißen Rassismus die Basis des Schwarzen feministischen Diskurses. Ein weiteres signifikantes Merkmal bildet die Aufmerksamkeit bezüglich der komplexen Wechselwirkungen zwischen den sozialen Konstruktionen Rasse, Klasse und Gender. Diese interaktiv funktionierenden Kontrollsysteme variieren je nach sozialem Kontext und schaffen eine Vielzahl spezifischer Gefahrensituationen für afroamerikanische Frauen.55 Innerhalb des Schwarzen Feminismus wird also darauf aufmerksam gemacht, dass es kein einheitliches Konzept der Frau gibt, sondern dass ethnischer bzw. „rassischer“ Status und Klassenzugehörigkeit stets auch mit Gender und Sexualität interagieren.56

Im afroamerikanischen Feminismus existiert eine Strömung, die versucht, eine Fusion von afrozentrischer und feministischer Ideologie zu bilden. Diese leitet sich zwar von afrozentrischen Vorstellungen her, stellt aber eine separate Bewegung dar. Afrozentrische Feministinnen versuchen ein eigenständiges weibliches Selbstbild zu schaffen. So macht die feministische Schule African women's diaspora studies ihren Anspruch auf eine eigene afrikanische Vergangenheit geltend. Durch ethnohistorische Untersuchungen soll die der afrikanischen Frau geläufige Kosmologie zur Zeit des transatlantischen Sklavenhandels herausgearbeitet werden. Diese wird als Quelle der weiblichen afrikanischen Kultur betrachtet. Hier wird die eurozentrische Darstellung afrikanischer Frauen als Opfer von Patriarchat und Rassismus kritisiert. White sieht diese Schule jedoch im Gleichklang mit Asante und Harper-Bolton:

„These feminists accept the ideology of complementarity as if it signified equal. They rely on the notion of african culture that is based on biased anthropological reports of a static ahistorical Africa. Finally they construct a dichotomy between African feminism and western feminism that depends on the Afrocentric spirituality/ materialism dichotomy. Clearly these women advocate women's equality, but they find it much easier to address racism in the women's movement than sexism in black liberation struggles.“57

Hier zeigt sich, dass diese feministische Position stark auf das Ideal einer essentialistischen statischen Tradition fokussiert ist. Ähnlich verhält es sich mit der Bewegung des Womanism.

3.1 Womanism

Die afrozentrisch ausgeprägte Frauenbewegung des Womanism wurde von Clenora Hudson- Weems begründet. Den Begriff Womanist entlehnte sie von der feministischen Schriftstellerin Alice Walker. Walker thematisierte sexistische Praktiken innerhalb der afroamerikanischen Community. Sie betontejedoch vor allem die einzigartige Kultur und Spiritualität afroamerikanischer Frauen.58

Hudson-Weems formulierte 1987 eine eigene feministische Theorie, die sie Africana Womanism nennt. Sie stellt ihre Theorie in engen Zusammenhang zu Asantes Afrozentrismus. Die afrozentrische Perspektive ist hier von essentieller Bedeutung. Hudson-Weems grenzt sich radikal sowohl vom Black Feminism als auch vom Weißen Feminismus ab. Denn Feminismus ist ein Begriff, der von und für Weiße Frauen konzeptualisiert ist. So ist die Historie dieser Bewegung von rassistischen Praktiken geprägt59 und schenkt Schwarzen Feministinnen nur insofern Beachtung, als diese für ihre Zwecke instrumentalisiert werden können60. Innerhalb der Frauenbewegung spielen sie stets nur eine untergeordnete Rolle. Der Weiße Feminismus zeichnet sich, nach Hudson-Weems, vor allem dadurch aus, dass die Frauen gegen ihren Status als Besitztum der Männer ankämpfen. Ihre Zielsetzung besteht in der Erlangung von Macht, nicht aber in der Bekämpfung eines Systems der Unterdrückung. Es wird also eine Umkehrung der Machtpositionen angestrebt. Daher handelt es sich um eine Form umgekehrten Weißen Patriarchats. In diesem werden die Männer an sich zum Feindbild erklärt.61

Hudson-Weems behauptet, dass Schwarze Feministinnen sich von ihrer eigenen Kultur abwenden. Sie unterstellt ihnen eine feindliche Grundhaltung Schwarzen Männern gegenüber, die mit einer starken Abwertung dieser einhergeht. Da Afroamerikanerinnen innerhalb ihrer Community seit jeher autonom und eigenverantwortlich agiert hätten, wäre die Gender-Thematik von untergeordneter Bedeutung. Sie stellt in Anbetracht des Rassismus, dem Menschen afrikanischer Herkunft ausgesetzt sind, ein Luxusproblem dar. Da die Ausbeutung und Unterdrückung Schwarzer Frauen in allererster Linie auf ihrer Hautfarbe basiert, steht die Bekämpfung rassistischer Einflüsse an erster Stelle.

Hier ist der gemeinsame Kampf von Afroamerikanerinnen beiderlei Geschlechts unbedingt notwendig, um das Überleben der gesamten „Rasse“ zu gewährleisten. Traditionell werden im Befreiungskampf Schwarzer Frauen Männer als Verbündete gewonnen. Gemeinsam gilt es auch den Zusammenhalt der Familie zu bewahren. Dies steht in Opposition zum Bestreben des Weißen Feminismus, sich familiärer Verantwortung zu entledigen. Der gemeinsame Kampf Schwarzer Männer und Frauen bezog sich historisch gesehen auch auf sexistische Praktiken. Auch heute müssen Probleme der häuslichen und sexuellen Gewalt auf Ebene des afroamerikanischen Kollektivs gelöst werden.62

„While Africana women do (...) have some legitimate concerns regarding Africana men, these concerns must be addressed within the context of African culture. Problems must not be resolved using an alien framework, i. e. feminism, but must be resolved from within an endemic theoretical construct - Africana Womanism.“63

Die Einzigartigkeit des Africana Womanismus besteht im Einbezug aller Frauen afrikanischer Herkunft und basiert auf der „afrikanischen Kultur“. Der zweite Terminus, Womanism, darf keinesfalls mit Walkers Womanismus gleichgesetzt werden, da diese sich nicht von der feministischen Ideologie distanziert. Vielmehr soll er die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch betonen, denn der Begriff der Femininität kann auch auf Tiere angewendet werden. Die Herabsetzung zum Zuchtvieh und Arbeitstier ist im Befreiungskampf afroamerikanischer Frauen äußerst signifikant. Der Begriff Africana ist Ausdruck einer einzigartigen kulturellen Identität und verweist auf die gemeinsamen Vorfahren der zerstreut lebenden „Africana People“.

Die „Africana Culture“ zeichnet sich nach Hudson-Weems durch eine intrinsische Gleichwertigkeit von Männern und Frauen aus. Die Unterdrückung der Frau - mit der eine Bedrohung der familiären Strukturen der Africanans einhergeht - ist wesentlicher Bestandteil eines Weißen Kultursystems männlicher Vorherrschaft. Hierbei handelt es sich um ein globales Phänomen, das nicht das persönliche Problem männlicher und weiblicher „Africanans“ sei.64 So entspricht die Unterdrückung der Frau nicht den Normen und Werten der afroamerikanischen Kultur: traditionelle Gender-Rollen - seien es afrikanische oder europäische - sind seitens der Sklavenhalter negiert worden. Afroamerikanische Frauen haben niemals eine Idealisierung erfahren oder unter einem besonderen männlichen Schutz gestanden. Jedoch waren sie innerhalb der eigenen Community niemals macht- oder sprachlos. Afroamerikanische Männer strebten in keiner Weise die Unterwerfung der Frauen an, zumal sie auch nie in der Position waren eine institutionalisierte Macht über diese auszuüben. Die Gender-Thematik spielte also laut Hudson-Weems keine Rolle in der ökonomischen Ausbeutung der AfroamerikanerInnen zur Zeit der Sklaverei. Der in dieser Zeit ausformulierte Rassismus diente der Legitimation der Sklaverei und manifestierte eine Klassenungleichheit. Diese steht jedoch - ebenso wie Gender-Unterdrückung - weit hinter der Bedrohung durch den Rassismus zurück.65

Rassistische Stereotype Schwarzer Frauen, die in binärer Opposition zum Bild der „Weißen Lady“ entwickelt wurden, wertet Hudson-Weems als äußerst positiv: Die eindimensionalen Bilder der Mammy und der hypersexuellen, dominanten Matriarch66 weisen die Schwarze Frau als wunderbare, fürsorgliche Mutter und Ernährerin aus, die - nicht nur im sexuellen Bereich - „tough“ und eigenständig ist. Im Gegensatz zum vorherrschenden Feminismus zeichnet sich die Perspektive der Africana Women im Kampf für ihre Familie und die Befreiung ihrer Community durch eine selbstverständliche Weiblichkeit aus.

Diese Befreiungsbewegung besteht, wie schon betont, im überlebenswichtigen Kampf gegen Rassismus. Zu den erklärten Zielen desselben gehört Chancengleichheit im Beruf - insbesondere für afroamerikanische Männer - und eine faire Behandlung afroamerikanischer Kinder.67 Dass afroamerikanische Männer einen wesentlich schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben, führt nach Hudson-Weems zur Entmännlichung dieser. Diesem Problem müsste dringend entgegengewirkt werden, denn die Gender-Unterdrückung innerhalb der afroamerikanischen Community gilt als Resultat der Unterdrückung Schwarzer Männer.68 Dieses Kernthema der Entmännlichung durchzieht die Gender-Ideologie sowohl im Afrozentrismus, als auch im HipHop.

Das wahrhaftige Wesen der Africana Woman drückt sich in spezifischen Charakteristika aus, die von der Africana Woman angestrebt werden sollen, die gleichzeitig aber schon in ihr angelegt sind. Aufgrund der Fremddefinitionen durch die Weiße dominante Kultur ist die eigene Definition der Schwarzen Frau von besonderer Signifikanz. Dieser Ausdruck der eigenen Authentizität, entfaltet sich gemäß der Africana Kultur. Die authentische Africana Women zeichnet sich zwar durch ihre Autonomie innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft aus, jedoch ist ihre ökonomische Eigenständigkeit vollkommen auf ihre Familie und insbesondere auf ihren männlichen Partner ausgerichtet. Als weitere Merkmale, die der Unterstützung der Africana Kultur dienen, gelten Stärke und Spiritualität. Essentiell ist hier vor allem die Verwirklichung von Weiblichkeit in der Mutterschaft, denn ,,the Africana woman comes from a legacy of fulfilling the role of supreme Mother nature...“69

Mutterschaft hat im Kontext des afrikanischen kulturellen Erbes oberste Priorität. Sie dient dem Überleben der Familie und wurzelt in der positiven Wahrnehmung dieser, wie auch der eigenen Historie. „The Africana Womanist is committed to loving and caring for her own, which extends to the entire African family. Enjoying her role, she both encourages her own and sacrifices herself in executing her duty to humankind.“70 Hier ist also ein Idealbild der aufopfernden Mutter prägend für die Rolle der Frau innerhalb der afroamerikanischen Gemeinschaft. Obschon ein traditionelles mütterliches Ideal und die Zentrierung des afrikanischen Erbes sowohl im Afrozentrismus, als auch im Womanismus von essentieller Bedeutung sind, herrschen starke Spannungen zwischen diesen Lagern. Dennoch erfolgt eine Annäherung an den Afrozentrismus seitens der Womanisten, jedoch nicht in umgekehrter Richtung.71

Ebenso wie der afrozentrische Gegendiskurs richtet sich der afrozentrische Feminismus gegen dominante Diskurse über Afrika und das darin enthaltene Bild der „Afrikaner“. Im Gegensatz zum Afrozentrismus versucht der Womanism sich sowohl im feministischen, als auch im afrozentrischen Lager Gehör zu verschaffen. Hieraus resultieren häufig konservative Einstellungen bezüglich Gender und Sexualität, die ein Bild der treu sorgenden Mutter propagieren. Auch sind hier Vorstellungen über die binäre Opposition eines harmonischen Afrika vs. eines sozialdarwinistischen Europa wirkmächtig, die insgesamt zu einem eindimensionalen Idealbild der „afrikanischen Frau“ führen, das der tatsächlichen Mannigfaltigkeit innerhalb der „Schwarzen Schwesternschaft“ nicht gerecht wird. Innerhalb des afrozentrischen Feminismus sticht allerdings die Theorie des Black Feminist Thought positiv heraus.

[...]


1 Rose, 2004. S. 291; s. auch Berry, 1994. S.188

2 Morgan, 2004.S.281

3 Reinhardt, 2007. S. 22f

4 Ebd. S. 30

5 Ebd. S. 33f

6 Ebd. S. 137

7 Ebd. S. 23

8 Ebd. S. 179, 187f

9 Niederwieser, 2009. S. 27f, 54, 57f

10 Reinhardt, 2007. S. 23, 35

11 Manyoni, 2000. S. 11

12 Reinhardt, 2007. S. 158

13 White, 1990. S. 79f

14 Reinhardt, 2007. S. 166, S. 142

15 Ebd. S. 160, 163 Hier ist anzumerken, dass das afrozentrische Bild von Europa sich teilweise aus den medial verbreiteten AnsichtenultrakonservativerUS-amerikanischerAutorenundJournalisten speist. s. S. 161

16 Ebd. S. 137, S. 149; Schon in einer Rede von William Hamilton im Jahre 1915, betonte dieser, dass die Attribute „Fleiß, Ehrlichkeit und Friedfertigkeit“ typisch für alle Völker des subsaharanischen Afrikas seien. s. S. 186; s. auch Asante, 1998. S. 7: Als traditionelle afrikanische Werte, die weiterhin Bestand haben, gelten: „harmony, justice, equality, patience, diligence & good-naturedness“. s. auch S. 89

17 White, 1990. S. 84

18 Reinhardt, 2007. S. 194; s. auch S. 186

19 Ebd. S. 148; Den Begriff „Mutterland“ verwendete Robert Campbell schon im Jahr 1859. s. Gilroy, 1993. S. 25; Die weibliche Konnotation Afrikas tritt auch bei Marcus Garvey auf. s. Asante, 1998. S. 166

20 Ebd. S. 275; s. auchAsante, 1980. S. 74fu. 1998, s. 11ff

21 Gilroy, 1993. S. 188

22 Reinhardt, 2007. S. 23, 158; s. auchAsante, 1980. S.4& White, 1990. S. 73

23 Ebd. S. 263

24 Ebd. S. 260f

25 Ebd. S. 187, s. auchAsante, 1988. S. 80

26 Asante, 1980. S. 9; Asante ruft in Afrocentricity zur Missionierung in der Partnerschaft, der Community und den christl. Kirchen auf.

27 Reinhardt, 2007. S. 263

28 Ebd. S. 26f, 280

29 Vgl. Asante, 1980. S. 9fund Asante, 1998. S. 175

30 Asante, 2007. S. 158

31 Asante, 1980. S. 5

32 Asante, 1998, S. 200f; s. auch S.186, S. 211

33 Asante, 1980. S. 4

34 Asante, 1998. S. 183; Asante sieht gerade im religiösen Bereich die besondere Energie und Einheitlichkeit und Einzigartigkeitdes„afrikanischen Wesens“. s. S. Asante, 1998. S. 187 u. 1980 S. 84

35 Asante, 1980. S. 10

36 Ebd.; In Njiawimmelt es geradezuvonreligiösen Schlagwörtern. s. z.B. S. 10.

37 Asante, 1980. S. 26f

38 Ebd. S. 4, 31ff, 38, 41, 98, 112, 114, 167f; Asante, 2007. S. 158; Mit der Betonung der Bedeutung dieses transzendierenden Prozesses gibt Asante doch zumindest teilweise zu, dass das afrikanische Kontinuum eher fragmentarisch-rudimentärerNatur ist. s. Asante, 1980. S. 64 u. Asante, 1998. S. 20

39 Ebd. S.57f Zum einen soll ein Bewusstsein gegenüber der erlebten Unterdrückung geschaffen und artikuliert werden (fractured consciousness). Zum anderen soll ein victorious consciousness die Selbstbestimmtheit des afrikanischen Individuums ermöglichen.

40 Asante, 1980. S. 36f, 60, 99

41 Ebd. S.7, 9, 90, 98f, 117; s. hierzu Reinhardt, 2007. S. 269f„Alle kulturellen Setzungen stehen zurück hinter der >ultimativen Realität des Schwarz-Seins<.“ Afrikaner und Afroamerikaner werden nicht als „postmoderne Subjekte“ betrachtet, sie haben keine Wahlmöglichkeit. Sondern müssen nach Asante alle Glaubenssätze des Afrozentrismus annehmen.

42 White, 1990. S. 87

43 Gilroy, 1993. S. 188

44 Ebd. S. X (10)

45 Gilroy, 1993. S. 85, 194

46 Ebd. S. 194

47 Asante, 1980. S. 63

48 Ebd. S. 59

49 Ebd.

50 Lediglich mit der Erwähnung Harriet Tubmans wird eine mögliche politische Führungsposition angedeutet.

51 Vgl. Gilroy, 1993. S.193

52 White, 1990. S. 86

53 Ebd. S. 87, 89f

54 Ebd. S. 75f

55 Taylor, 1998, S. 54f

56 White, 1990. S.81

57 White, 1990. S. 91

58 Vgl. Walker, 1984.

59 So erkämpften sich die Suffragetten der Südstaaten nach Beendigung des Bürgerkriegs das Wahlrecht mit der Begründung ein Gegengewicht zur minderwertigen Schwarzen Wählerschaft zu bilden. s. Hudson-Weems, 1998. S. 20f

60 Afroamerikanische Frauen werden als besonders dramatisches Beispiel männlicher Unterdrückung benutzt. Ansonsten werden sie den kulturellen Konstruktionen des feministischen , ohne dass ihrer spezifischen Situation Beachtung gezollt wird. s. Hudson-Weems, 1998. S. 37

61 Hudson-Weems, 1998. S. 20f, 24f, 26f, 38, 46f

62 Ebd. S. 30f, 34

63 Ebd. S. 27

64 Ebd. S. 22f, 35, 38

65 Ebd. S. 25, 47f

66 Deren Bedeutungen werden später aus der Perspektive der Feministin Patricia Hill Collins eingehend dargelegt.

67 Ebd. 43f, 49

68 Ebd. S. 60, 68

69 Ebd. S. 72

70 Ebd. S. 73

71 Taylor, 1998. S. 60

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Weiblichkeit im afrozentrischen HipHop
Hochschule
Universität zu Köln  (Philosophische Fakultät)
Veranstaltung
Afrikanistik
Autor
Jahr
2012
Seiten
70
Katalognummer
V192830
ISBN (eBook)
9783656182238
ISBN (Buch)
9783656182566
Dateigröße
709 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Afrozentrismus, Gender, HipHop, Consciousness, Queen Latifah, Monie Love, Native Tongues, Black Nationalism, Black Feminism
Arbeit zitieren
Nina Maria Schauff (Autor:in), 2012, Weiblichkeit im afrozentrischen HipHop, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192830

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