Die IT-Kontraktfertigung im Kontext globaler Produktionsnetzwerke

Ein Blick in die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit?


Hausarbeit, 2011

21 Seiten, Note: 1,0

Patricia Weber (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische und historische Hinführung
2.1 Definitionen und gegenwartsdiagnostische Überlegungen zu dem Begriff des Netzwerkes
2.2 Historische Rahmenbedingungen auf außer- und innerbetrieblicher Ebene
2.3 Globale Warenketten nach der Theorie von Gay Gereffi und Miguel Korzeniewicz

3. Veränderungen der Arbeitsorganisation und deren institutionelle Regulationen
3.1 Mechanismen marktgetriebener Steuerung und Organisation als zentrale Form organisatorischer Neuorientierung
3.2 Standortverlagerung im weltweiten Wettbewerb

4. Die Kontraktfertigung in der internationalen Branche der Informationstechnik
4.1 Die IT- Industrie als Antriebskraft für Fortschritt und Umbruch
4.2 Kontraktfertiger - „No-Name“-Unternehmen in multinationaler Position

5. Die Beschäftigungsfrage: Arbeiten in der IT- Kontraktfertigung
5.1 Das Produktionsregime des Neotaylorismus
5.2 Ansatzpunkte institutioneller und politischer Regulation

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als »globale Wachstumslokomotive« (Hürtgen u.a. 2009a) in wissenschaftlichen und öffentlichen Diskursen betitelt, erfährt die internationale Branche der Informationstechnik in Bezug auf die rasanten Veränderungen von Produktions- und Unternehmensmodellen große Bedeutsamkeit. Sie gilt, gekleidet im Gewand der «New Economy» (vgl. Boes 2003), geradezu als das Entstehungsfeld neuer Strukturen der Arbeitsorganisation und globalisierter Produktion. In den globalen Netzwerken der IT-Branche werden jedoch die neuartigen Produktionsmethoden sowie die tiefgreifenden Umbrüche in der Arbeitsorganisation an sich selten genauer betrachtet. So konnte sich fast unbemerkt im Schatten von global agierenden Markenunternehmen das relativ junge Modell der Kontraktfertigung herausbilden. Neue internationale Produktionsstrukturen werden zwar gegenwärtig in aktuellen Debatten um Globalisierung einer Bedrohung der Fertigungsbasis an Hochlohnstandorten gleichgesetzt, wenig werden jedoch die arbeitspolitischen und -organisatorischen Auswirkungen für die Beschäftigten in den Niedriglohnländern thematisiert. Warum diese Ausblendung erfolgt, auf welchen Voraussetzungen und Kennzeichen globale Produktionsnetzwerke basieren, wie innovative Produktionsstrukturen, wie die Kontraktfertigung, entstehen und welche Arbeitsstrukturen innerhalb dieser zu finden sind, ergründet die vorliegende Arbeit. Am Ende soll die Arbeit folgende Fragestellungen beantwortet haben: Wie lässt sich im Kontext der globalen Produktionsnetzwerke die Entstehung neuerer Strukturen unternehmens- übergreifender Wertschöpfungsprozesse, wie der IT-Kontraktfertigung, erklären? Und welche Auswirkungen haben solche Strukturen auf die Arbeitsverhältnisse in dieser Produktionsform?

Zur Ergründung dieser Untersuchungsfragen, unterteilt sich die vorliegende Arbeit in zwei Abhandlungen: Um sich im zweiten Teil speziell mit den oben erwähnte Entwicklungen in der IT-Industrie zu beschäftigen, erfolgt im ersten Teil zunächst ein Diskurs über die Entgrenzung von Wertschöpfungsprozessen in globaler Perspektive. Dabei greift die Autorin vorerst den Begriff des Netzwerkes in verschiedenen gegenwartsdiagnostischen Diskursen auf (2.1), worauf eine Bezugnahme zu historischen Rahmenbedingungen auf außer- und innerbetrieblicher Ebene erfolgt. Diese theoretisch- historische Einführung versucht - wenn auch nur annähernd - den komplexen Prozess zur Entstehung von Unternehmensnetzwerken in Anbetracht einer neuen Dimension des globalen Kapitalismus zu verstehen (2.2). Das Erklärungskonzept des Global Commodity Chain von Gay Gereffi und Miguel Korzeniewicz soll an dieser Stelle als alternative Deutungsperspektive der ökonomischen Globalisierung bzw. der Veränderungen der Weltwirtschaft dienen (2.3). Im Anschluss werden diese Veränderungen anhand von Mechanismen marktgetriebener Organisation und Steuerung in unternehmensübergreifender Perspektive genauer dargestellt (3.1). Nachfolgend bezieht die Autorin die organisatorische Neuorientierung speziell auf Verlagerungsaktivitäten ins Ausland sowie auf die damit initiierte Mutation nachgeordneter Glieder der Wertschöpfungskette zu global agierenden Großunternehmen (3.2). Diese Abhandlung dient zugleich als Grundlage und Überleitung zum zweiten Teil dieser Arbeit: die Übertragung der angeführten Entwicklungstendenzen auf das Beispiel der IT-Kontraktfertigung.

Welche besondere Stellung die Branche der internationalen IT-Industrie innerhalb der globalen Produktionsnetzwerke inne hat und dass sich deren Thematisierung vor allem in Diskursen um die Zukunft der Massenproduktion in den Hochlohnländern niederschlägt, die veränderten Arbeits- und Produktionsstrukturen in den Zentren der Hinverlagerung jedoch kaum Aufmerksamkeit erfahren, wird desweiteren dargelegt (4.1). Merkmale und Besonderheiten des innovativen Produktionsmodells der Kontraktfertigung, sowie angedeutete Entwicklungstendenzen in Bezug auf Niedriglohn- und Hochlohnländern (4.2), dienen als Basis um sich im Anschluss insbesondere mit dem Produktionsregime des flexiblen Neotaylorismus zu beschäftigen (5.1). Im Folgenden wird versucht, Auswirkungen dieser neuen Produktionsform auf die Beschäftigten aufzuzeigen. Dies soll abschließend dazu dienen, bestimmte Positionen wissenschaftlicher Autoren herauszuarbeiten, die zu einer politischen und institutionellen Regulation der niedrig qualifizierten, teilweise prekären und diskriminierenden Arbeitsverhältnisse appellieren (5.2).

2. Theoretische und historische Hinführung

2.1 Definitionen und gegenwartsdiagnostische Überlegungen zu dem Begriff des Netzwerkes

Der Netzwerkbegriff ist in den letzten Jahren zum prominenten Diskurs bezüglich wirtschaftlicher Austauschprozesse sowie sozialwissenschaftlicher Gegenwartsdiagnosen geworden. Zurückgehend auf die Entstehung von Unternehmen und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung sind Netzwerke in der Wirtschaft jedoch nichts Neues: Seit der Durchsetzung des Kapitalismus im 14. Jahrhundert existieren Frühformen der ökonomischen Netzwerkbildung. Bereits das Verlagssystem lässt sich als Frühform vernetzter Produktion, damals zwischen drei Personengruppen Verleger, Hand- und Heimwerker sowie Zwischenhändler, definieren, woraus sich im 19. Jahrhundert das Subcontracting, d.h. die Verlagerung auf Zeit von bestimmten wertschöpfenden Aktivitäten auf fremde Unternehmen, entwickelte (vgl. Sydow 1992).

Netzwerke, die sich nach einer Definition von Mitchel als Äa specific set of linkages among a defined set of actors, with the additional property that the characteristics of these linkages as a whole may be used to interpret the social behaviour oft he actors involved“ (Mitchel 1969: 2) beschreiben lassen, sind laut Manuel Castells Äangemessene Instrumente für eine kapitalistische Wirtschaft, die auf Innovation, Globalisierung und dezentraler Konzentration beruht“ (Castells 2001: 529). Nach dieser und anderen Netzwerkdefinitionen in verschiedenen gesellschaftstheoretischen Perspektiven wird gegenwärtig von einer Tendenz zur »Network Society« ausgegangen (vgl. Hirsch-Kreinsen 2005). Danach Äbilden [Netzwerke] die neue soziale Morphologie unserer Gesellschaft [und verändern wesentlich] die Funktionsweise und die Ergebnisse von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur“ (Castells 2001: 527). Wenn vorher Nationalstaaten, einzelne Unternehmungen und Märkte im Blickfeld wissenschaftlicher Debatten lagen, dominieren heute Schlagwörter wie Unternehmensnetzwerke, Fragmentierung der Wertschöpfungskette und Global Outsourcing. Die globale Unternehmensvernetzung rückt in den Fokus von Politik und Wirtschaft, prägt das Muster der globalen Produktion und letztendlich auch die Struktur des internationalen Handels innerhalb des »Netzwerkkapitalismus« (ebd.).

2.2 Historische Rahmenbedingungen auf außer- und innerbetrieblicher Ebene

ÄDie eigentlichen ,Standorte‘ des [modernen] Unternehmens sind die Netze“ (Altvater 2007:287). Um diese von Elmar Altvater angesprochene Entwicklung zum global vernetzten Unternehmen zu ergründen, muss vorerst ein historischer Blickwinkel auf Management- und Organisationsstrukturen im Veränderungsprozess, sowie auf eine Reihe von Phänomenen seit dem Ende des zweiten Weltkrieges eingenommen werden.

Noch in den 60er Jahren fand man in der Managementliteratur ein einheitliches Bild der kapitalistischen Welt: auf der einen Seite die Vereinigten Staaten und Westeuropa als freie, kapitalistische Welt, derweil die Assoziation mit anderen Länder weitgehend fehlte, auf der Gegenposition lagen die planwirtschaftlichen, sozialistischen Staaten. Länder wie Lateinamerika, Afrika oder Asien (Japan einbezogen) fanden in den Abfassungen fast keinerlei Beachtung (vgl. Boltanski/Chiapello 2003). Von einer neuen Weltkarte der kapitalistischen Staaten ist durch die Integration der NIC-Staaten (New Industrializing Countries) in die internationale Arbeitsteilung sowie durch den Aufholprozess der asiatischen Schwellenländer (insbesondere China und Indien) die Rede, was wesentlich unter der Voraussetzung Äder Öffnung der Grenzen für Kapitaltransfer, Industrieprodukte und Dienstleistungen im Zuge der globalen Liberalisierung des Welthandels unter dem Vorzeichen des Niedergangs planwirtschaftlicher oder staatszentrierter Entwicklungsmodelle seit den 1980er Jahren“ (Hürtgen u.a. 2009a:22) geschah.

Den so neu entstandenen Herausforderungen einer veränderten internationalen Arbeitsteilung entgegnen Autoren der 90er Jahre mit Empfehlungen, wie Äeine Organisation so flexibel und innovativ wie möglich gestalten«, dass sie auf allen ÄWellen reiten“, sich an allen Veränderungsprozessen anpassen [«] und einen ständigen Technologievorsprung gegenüber ihren Konkurrenten herausarbeiten kann“ (Boltanski/Chiapello 2003:110). Insgesamt bedeutete die neue weltpolitische Organisation eine Verabschiedung vom Hindernis der geographischen Distanz. Märkte waren nun nicht mehr geschlossen, sondern Äneuen“ Staaten und Regionen geöffnet.

Im Hinblick auf die Ebene der internen Unternehmenspolitik brachte diese Marktdynamik breite Veränderungen im Management zum Anstoß, die auf eine weitgehende obsessive Fokussierung auf Wettbewerb, Konkurrenz, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit setzten. Auch auf Grundlage der Erwartungen übersteigender Innovationen der Informations- und Kommunikationstechnologie können diese Veränderungen im Management wesentlich als Antwort auf die Krise des hierarchisch-bürokratischen vertikal integrierten Großunternehmens gelten. Die im Fordismus vorherrschende integrierte Massenproduktion erwies sich als zu starr und zu kostenaufwendig, und konnte den Anforderungen der neuen Wirtschaftsform nicht mehr standhalten (vgl. Hürtgen u.a. 2009a). Die Schlagwörter der Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Veränderung grenzen sich demzufolge gegen das ab, was vorher im Zeitalter des Fordismus Legitimation erfuhr: Traditionalisierung und Standardisierung, die Garanten für Stabilität, soziale Absicherung und Erwartungssicherheit. Das fordistische Produktionsmodell als ,heavy‘, ,immobile‘ oder ,solid‘-Phase der Moderne (vgl. Bauman 2000) scheint nicht mehr vorrangig zu sein, gilt als unmodern, überholt, starr und erdrückend (vgl. Legnaro/Birenheide 2008).

Es folgte der Prozess, welcher sich seit den 70er Jahren in den entwickelten Volkswirtschaften einstellte, der Äetwas abstrakt formuliert, als Ablösung fordistischer Produktions- und Konsumnormen interpretiert werden kann“ (Hübner 1989:27). Der Raum für kapitalistische Verwertungs- und Produktionsprozesse wurde in Anbetracht des bereits erwähnten politischen und wirtschaftlichen Strukturwandels seit den 70er Jahren größer, differenzierter und globaler. Der intensivierten Konkurrenz durch räumliche Ausbreitung sowie globaler Mobilität der zentralen Produktionsressourcen, wirken nun Maßnahmen zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung (ebd.) entgegen, welche mit einer fundamentalen Umwälzung der Arbeitsorganisation und Gestaltung sowie mit Umbrüchen in Produktions- strukturen einhergehen (ausführlich unter Punkt 3).

Mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht also zwischen der Loslösung vom Fordismus zum Anbruch des Zeitalters des Postfordismus und der ökonomischen Globalisierung1 eine enge Verbindung. Laut Definition von Hübner tritt die ökonomische Globalisierung Äin der Vertiefung und Vernetzung kapitalistischer Marktbeziehungen sowie im Aufbau von Firmenund Branchennetzen“ (Hübner 1989: 27) in Erscheinung. Eine Äneue“ Logik des postfordistischen Akkumulationsmodus ließe sich demnach in Unternehmensstrategien erkennen, die auf einer exportorientierten Industrialisierungspolitik beruhen.

Seit Anbeginn des Postfordismus entwickelten sich Unternehmenspolitiken zum Bewältigen der Krise des Fordismus zu dem, was heute unter dem Begriff des Neoliberalismus zusammengefasst wird. Jedoch muss an dieser Stelle der Einwand gebracht werden, inwieweit noch von einem exportorientierten globalen (Unternehmens-)Leitbild (vgl. Hürtgen u.a. 2009a) die Rede sein kann. Unternehmensnetzwerke lassen Ländergrenzen verschwimmen, im Bezug auf Handel, dem Kapitaltransfer, Wertschöpfungsprozessen etc. Ein neues Gesicht der internationalen Arbeitsteilung wird auf diese Weise geprägt, und mit ihr eine ganz neue Dimension des globalen Kapitalismus2.

2.3 Globale Warenketten nach der Theorie von Gay Gereffi und Miguel Korzeniewicz

Als bedeutsame alternative Perspektive zur Erklärung der ökonomischen Globalisierung bzw. des globalen Kapitalismus soll das Konzept der Global Commodity Chains (GCC) von Gay Gereffi und Miguel Korzeniewicz, angeführt werden. Dieses untersucht ÄVeränderung der internationalen Arbeitsteilung ausgehend von einer Rekonstruktion der gesamten Produkt- und Warenketten über Grenzen der Ökonomien hinweg mit dem Anspruch, damit die Entwicklung des Kapitalismus [«] zu verstehen“ (Hürtgen u.a. 2009a: 31).

[...]


1 Der Globalisierungsprozess wirft viele definitorische Probleme auf. Um die Komplexität dieser Arbeit einzudämmen, bezieht sich die Autorin lediglich auf eine Definition von Hübner/Petschow (2001), die ökonomische Globalisierung Ägenerell als Vorgang grenzüberschreitender Interdependenzsteigerung“ (S.11) interpretieren. Umschreibungen der Globalisierungsprozesse an sich würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Um eine Reihe komplexer Voraussetzungen und Vorgänge in die Definition von Globalisierung einzuschließen, sind beispielsweise Altvater/Mahnkopf (2007) anzuführen, die Globalisierung gänzlich als ÄProzess der Transformation einer Gesellschaftsformation“ (S.31) verstehen.

2 Viele Märkte sind heute noch nationale Veranstaltungen, weswegen bei den Begriffen »globale Wirtschaft« oder «globaler Kapitalismus» Einschränkungen vorgenommen werden: ÄEs handelt sich nicht um eine planetare Wirtschaft [«], mit anderen Worten umschließt die globale Wirtschaft nicht alle wirtschaftlichen Prozesse auf dem Planeten Erde, sie erfasst nicht alle Territorien und sie schließt nicht alle Menschen in ihre Funktionsweise ein“ (Castells 2001: 140f.)

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die IT-Kontraktfertigung im Kontext globaler Produktionsnetzwerke
Untertitel
Ein Blick in die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit?
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Soziologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
21
Katalognummer
V192805
ISBN (eBook)
9783656178460
Dateigröße
2720 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Informationstechnik, Globalisierung, IT-Industrie, Kontraktfertigung, Produktionsnetzwerke, Globale Warenketten, Neotaylorismus, Standortverlagerung, contract manufacturing
Arbeit zitieren
Patricia Weber (Autor:in), 2011, Die IT-Kontraktfertigung im Kontext globaler Produktionsnetzwerke, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192805

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