Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus und die Finanzkrise 2008


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition des Begriffs Krise

3. Die Theorie Habermas
3.1 System- und Sozialintegration
3.2 Funktionssysteme
3.2.1 Das ökonomische System
3.2.2 Das administrative System
3.2.3 Das legitimatorische System
3.3 Organisationsprinzip
3.4 Krisentypen
3.4.1 Die ökonomische Krise
3.4.2 Die Rationalitätskrise
3.4.3 Die Legitimationskrise
3.4.4 Die Motivationskrise

4. Die Wirtschafts- und Finanzkrise
4.1 Verlauf der Wirtschafts- und Finanzkrise
4.1.1 Die Immobilienkrise
4.1.2 Die Bankenkrise
4.1.3 Die Konjunkturkrise
4.1.4 Die Staatsschuldenkrise
4.2 Maßnahmen zur Eindämmung der Krise

5. Analyse
5.1 Analyse der Krisentypen und Krisentendenzen in der Finanzkrise
5.2 Analyse der Maßnahmen zur Eindämmung der Krise anhand von Habermas' Theorie

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Wirtschafts- und Finanzkrise beschäftigt die Welt nun schon seit über vier Jahren. Sie ist zwar eine der schwersten wirtschaftlichen Krisen der letzten Jahrzehnte, jedoch bei Weitem nicht die einzige. Auch die Literatur zur Krise allgemein, insbesondere Krisentheorien, bestehen schon einige Jahre. Die bekanntesten Theorien, die nicht nur die Krisenanfälligkeit der Wirtschaft im Blick haben, sondern auch Politik und Verwaltung sind die Krisentheorien der 60er und 70er Jahre, vor allem von Jürgen Habermas und Claus Offe.

In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Krisentheorie von Habermas sich auf die heutige Situation anwenden lässt und sie beschreiben kann. Dabei soll zuerst der Begriff der Krise definiert werden. Anschließend wird die Theorie von Habermas vorgestellt und der Verlauf der Finanzkrise seit Ende 2007 beschrieben. Schließlich soll die Krise und ihre Bewältigungsstrategien anhand Habermas Theorie analysiert und bewertet werden.

Die Literaturlage zu diesem Thema ist sehr unterschiedlich. Zu der Theorie Habermas gibt es einige Bücher und Aufsätze, die diese jedoch größtenteils erklärend besprechen oder auf die Zeit der 70er Jahre beziehen, als die Theorie entwickelt wurde. Allgemein gibt es zu den Theorien Habermas' eine Menge an Literatur, zu dessen Kritik am Spätkapitalismus ist die Literaturlage jedoch relativ übersichtlich. Hier sind vor allem Brunkhorst, Kreide und Lafont (2009) zu nennen, aber auch McCarthy (1989). Zu der Finanzkrise gibt es Unmengen an Literatur. Viele beziehen sich auf die wirtschaftlichen Grundlagen der Krise, den Verlauf geben nur wenige anschaulich wieder, vor allem Machnig (2011) und Evans (2011). Den Versuch, die Krisentheorie von Habermas mit der Finanzkrise zu verbinden, unternehmen nur wenige Autoren. Hier ist vor allem Schäfer (2009) zu nennen, der seine Abhandlung schon 2009 veröffentlichte. Die anderen beiden Autoren, Beckert (2009) und Klenk und Nullmeier (2010) bauen auf seiner Abhandlung auf.

2. Definition des Begriffs Krise

Der Begriff Krise kommt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich scheiden, auswählen, beurteilen oder entscheiden. Im Altgriechischen wird er im Prozess der Rechtsfindung verwendet, in dem zuerst gestritten und dann geschieden, ausgewählt geurteilt und der Konflikt entschieden wird (Ueding und Kalivoda 1992, 511). Der Begriff gelangte später in die Medizin und beschreibt bei Krankheiten den „Kulminationspunkt einer sich zuspitzenden Entscheidungsphase, deren Ausgang ambivalent ist“ (Ueding und Kalivoda 1992, 512). Im 17., 18. und 19. Jahrhundert taucht die antike metaphorische Vorstellung vom 'Gemeinwesen als Körper' wieder auf und der Begriff wird auch auf gesellschaftliche, politische oder wirtschaftliche Vorgänge übertragen, bei denen ein Wendepunkt der Veränderung zum Besseren oder Schlechteren erreicht ist. Heute wird er definiert als ein „Zustand unaufgelöster Spannung, der Latenz und Schwebe, eine entscheidungsträchtige Situation, die unumkehrbar auf einer Unterscheidung, Ausscheidung und Entscheidung zuläuft“ (Ueding und Kalivoda 1992, 512).

Habermas definiert den Begriff Krise aus seinem geschichtlichen Kontext in der Medizin. Danach haben wir als Krise „die Phase eines Krankheitsprozesses im Auge, in der es sich entscheidet, ob die Selbstheilungskräfte des Organismus zur Gesundung ausreichen“ (Habermas 1973, 9). Habermas beschreibt die Verwendung des Begriffs in der Dramaturgie im antiken Griechenland später in der Geschichtswissenschaft. So gelangt der Begriff in die Gesellschaftstheorien und Marx entwickelt den ersten sozialwissenschaftlichen Begriff von Systemkrise (Habermas 1973, 10).

Für seine Theorie definiert Habermas den Krisenbegriff angelehnt an die Systemtheorie. Krisen entstehen nach Habermas dann, „wenn die Struktur eines Gesellschaftssystems weniger Möglichkeiten der Problemlösung zuläßt, als zur Bestandserhaltung des Systems in Anspruch genommen werden müßten“ (Habermas 1973, 11).

3. Die Theorie Habermas

3.1 System- und Sozialintegration

Habermas beschreibt Krisensymptome in einer Gesellschaft als ungelöste Steuerungsprobleme, die wiederum Identitätskrisen hervorrufen (Habermas 1973, 13). Er lehnt seine Argumentation dabei an das Konzept von Sozialintegration und Systemintegration aus der Soziologie an.

Systemintegration meint die Fähigkeit von Gesellschaftssystemen, „ihre Grenzen und ihren Bestand durch Bewältigung der Komplexität einer unsteten Umwelt zu erhalten“ (Habermas 1973, 14). Habermas beschreibt die Systemintegration in Hinblick eines selbstgeregelten Systems. Damit sind die Steuerungsmechanismen einer Gesellschaft und die ihrer Möglichkeiten gemeint (Habermas 1973, 14). Die Systemintegration kann auch mit den Konzepten Selbstregulation, Komplexitätsbewältigung und Kontingenz beschrieben werden (Brunkhorst, Kreide und Lafont 2009, 189). Nach der Systemtheorie sind Krisen Störungen der Systemintegration. Krisen entstehen, wenn „die Struktur eines Gesellschaftssystems weniger Möglichkeiten der Problemlösung zuläßt, als zur Bestandserhaltung des Systems in Anspruch genommen werden müßten“ (Habermas 1973, 11). Das Problem dabei ist, die bestandswichtigen Strukturen des Systems von denen zu unterscheiden, die sich ändern können, ohne zu einem Identitätsverlust des Systems zu führen. Deshalb ist laut Habermas eine Krise erst gegeben, wenn die Sozialintegration der Gesellschaftsmitglieder gefährdet ist (Brunkhorst, Kreide und Lafont 2009, 189). „Erst wenn die Gesellschaftsmitglieder Strukturwandlungen als bestandskritisch erfahren und ihre soziale Identität bedroht fühlen“ (Habermas 1973, 12).

Habermas beschreibt die Sozialintegration unter dem Aspekt der Lebenswelt, die symbolisch strukturiert ist. Damit sind die normativen Strukturen einer Gesellschaft; sowohl Werte als auch Institutionen gemeint (Habermas 1973, 14).

Habermas kritisiert die Systemtheorie dafür, normativen Strukturen zu wenig Beachtung zu schenken. Er versucht beide Begriffe zu verbinden und fordert „eine analytische Ebene […] auf der der Zusammenhang zwischen normativen Strukturen und Steuerungsproblemen greifbar wird“(Habermas 1973, 17). Es geht ihm darum, festzustellen wie groß die Variationsspielräume einer Gesellschaft sind, also in wie weit die Sollwerte schwanken können, ohne dass sich eine Krise bildet, also das Bestehen des Systems gefährdet wird (Habermas 1973, 18).

3.2 Funktionssysteme

3.2.1 Das ökonomische System

Habermas übernimmt für seine Einteilung der Funktionssysteme der Gesellschaft ein Modell von Claus Offe, das drei verschiedene Funktionssysteme kennt: Das ökonomische System, das politische (oder administrative) System und das soziokulturelle System. Alle drei Systeme besitzen eine Entsprechung in sozialer Evolution: Der Entfaltung der Produktivkräfte, der Zunahme an Systemautonomie und der Veränderung normativer Strukturen (Brunkhorst, Kreide und Lafont 2009, 189).

Das ökonomische System gliedert Habermas gemäß des Dreisektorenmodells in drei verschiedene Bereiche. Einmal den wettbewerbsorientierten Privatsektor, der im Wirtschaftsgeschehen durch den Markt bestimmt wird. Zweitens den monopolistischen Sektor der Wirtschaft, der schon durch fortgeschrittene Oligopole gekennzeichnet ist, die einen »competitive fringe« dulden, also die Vorherrschaft eines Unternehmens in einem Marktsegment (OECD o. J.). Drittens gibt es im öffentlichen Sektor Unternehmen, die vom Marktgeschehen relativ unabhängig agieren können, weil sie vom Staat kontrolliert werden oder von Staatsaufträgen leben. Im monopolistischen und im öffentlichen Sektor herrschen nach Habermas kapitalintensive und auf dem Wettbewerbssektor arbeitsintensive Industrien vor (Habermas 1973, 51-52).

3.2.2 Das administrative System

Das administrative System hat für Habermas im Spätkapitalismus zwei Aufgaben. Einmal reguliert es die Wirtschaft durch verschiedene Instrumente und globale Planung. Andererseits schafft es Verwertungsbedingungen für überschüssiges Kapital. Die Regulierung des Wirtschaftssystems geht dabei nur so weit, dass die Investitionsfreiheit der privaten Unternehmen nicht eingeschränkt wird. Ziel ist die Vermeidung von Instabilitäten, sowie das »magische Viereck« (stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum, hoher Beschäftigungsstand, stabiles Preisniveau sowie außenwirtschaftliches Gleichgewicht (vgl. Bofinger 2011, 273 ff.). Der Staat ersetzt den Markt aber auch, indem er Verwertungsbedingungen für überschüssiges Kapital schafft. Das geschieht durch verschiedene Maßnahmen wie Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, durch unproduktiven Staatskonsum wie Rüstung oder Raumfahrt, durch Ausbau der Infrastruktur, durch Steigerung der Produktivität der menschlichen Arbeit mit Bildung und Weiterbildung oder durch Ablösung der Folgekosten privater Produktion wie Arbeitslosenunterstützung, Wohlfahrt oder Umweltschäden (Habermas 1973, 52-54).

3.2.3 Das legitimatorische System

Wie schon beschrieben stellt sich für Habermas der Grundwiderspruch des spätkapitalistischen Wirtschaftssystems in der vergesellschaftlichten Produktion partikularer Interessen dar. Da das administrative System selbst in das Wirtschaftssystem eingreift und sich dadurch eine Rückkopplung des wirtschaftlichen Systems an das politische System ergibt, ist nach Habermas eine erhöhte Legitimation für das System notwendig (da das politische System nun auch diesen Grundwiderspruch repräsentiert und damit nicht mehr legitimiert wäre). Dies auch deshalb, weil die Demokratie und die bürgerlichen Grundrechte eine Partizipation über Wahlen gewährleisten. Diese Partizipation der Staatsbürger müsste den Grundwiderspruch ins Bewusstsein bringen. Das Problem wird mit der formalen Demokratie gelöst. Die Administration muss so weit autonom sein, dass sie Entscheidungen weitgehend unabhängig von der Partizipation der Staatsbürger fällen kann (Habermas 1973, 54-55).

Dies geschieht durch generalisierte Motive, es wird eine diffuse Massenloyalität erzeugt, aber gleichzeitig eine wirkliche Partizipation vermieden. Der Legitimationsbedarf beschränkt sich dabei auf zwei Bedürfnisse: Den staatsbürgerlichen Privatismus (Karrierechancen, Freizeit und Konsummöglichkeiten) und eine angemessene Entschädigung (Geld, arbeitsfreie Zeit und Sicherheit), die durch ein Wohlfahrtssystem und eine Leistungsideologie gewährleistet wird. Diese Entpolitisierung wird mit demokratischen Elitetheorien gerechtfertigt oder der Systemtheorie1 (Habermas 1973, 55-56).

Dabei führt eine Erweiterung der Staatstätigkeit zu einem erhöhten Legitimationsbedarf, „nach Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in neue Lebensbereiche“ (McCarthy 1989, 420).

1 Die Systemtheorie Parsons bedeutet für Habermas auch eine Ablehnung philosophisch-normativen Kräfte der Gesellschaft. Diese sind aber bei Habermas die Grundlage für soziale Integration, während die Systemtheorie bloße Komplexitätsbewältigung als Grundlage für gesellschaftliche Integration sieht (siehe auch: Kapitel 'System- und Sozialintegration und Brunkhorst, Kreide und Lafont (2009, 188).

Gleichzeitig führt die Ausweitung der Staatstätigkeit in neue Bereiche dazu, dass traditionelle Legitimationen untergraben werden. Die Rationalisierung seitens des administrativen Systems fördert eine Politisierung der Menschen in Lebensbereichen, die vorher zu Privatsphäre gehörten. Der Staat verschiebt also die Grenzen des politischen Systems in Sphäre des soziokulturellen Systems. (McCarthy 1989, 420).

3.3 Organisationsprinzip

Das Organisationsprinzip ist eine Kategorie, die Habermas von Marx übernimmt und sie weiter entwickelt. Sie bedeutet in einer Gesellschaft eine Regelungsstruktur, die die Formation einer Gesellschaft bestimmt und einen „abstrakten Raum von Möglichkeiten sozialer Zustandsänderungen festlegt“ (Habermas 1973, 18). Sie bestimmt die Lernkapazität einer Gesellschaft, die möglich ist, ohne deren Identität zu gefährden und legt die Variationsspielräume fest, in der die Evolution der drei beschriebenen Funktionssysteme (Entfaltung der Produktivkräfte im ökonomischen System, Zuwachs an Steuerungskapazität im politischen System und Veränderung der normativen Strukturen) ablaufen kann (Brunkhorst, Kreide und Lafont 2009, 189). Steuerungsprobleme führen laut Habermas nur dann zur Krise, wenn sie innerhalb des Organisationsprinzips der Gesellschaft nicht gelöst werden können (Habermas 1973, 18).

In einem Gesellschaftssystem erfolgt ein Austausch mit der äußeren Natur in Form der Produktion und der inneren Natur in Form von Sozialisation. Über neues technisches Wissen wird die Kontrolle über die äußere Natur erhöht (Evolution der Produktivkräfte), über eine feinere Interpretation der Bedürfnislagen einer Gesellschaft werden Gefühle zu universalistischen Normen und reflektierten Werten (normativen Strukturen) und ermöglichen eine höhere Vergesellschaftung der inneren Natur. Beide folgen einer eigenen Entwicklungslogik innerhalb rational nachkonstruierbaren Mustern. Normative Strukturen sind dabei durch das System nicht beliebig instrumentalisierbar und können daher die Erweiterung der Systemautonomie einengen. Die Produktivkräfte hingegen streben nach Erweiterung der Systemautonomie (Brunkhorst, Kreide und Lafont 2009, 190).

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Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus und die Finanzkrise 2008
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
26
Katalognummer
V192684
ISBN (eBook)
9783656176909
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Finanzkrise, Habermas, Legitimationsprobleme, Spätkapitalismus, Kapitalismuskritik, Legitimation
Arbeit zitieren
Christoph Meyer (Autor:in), 2012, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus und die Finanzkrise 2008, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192684

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