Chorleitung als Klangformung

Wechselwirkungen zwischen Chorleitung und Chorklang sowie deren Entwicklung im europäischen Raum


Examensarbeit, 2009

91 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Einführung
1.1 Grundlagen des Dirigierens
1.1.1Persönlichkeit/ Schlüsselqualifikationen des Chorleiters
1.1.2 Körperhaltung des Chorleiters
1.1.3 Bereitschaftsstellung - Handhaltung - Schlagtechnik
1.2 Zur Theorie der Stimmphysiologie und Stimmbildung
1.2.1 Stimme
1.2.2 Atmung
1.2.3 Der Kehlkopf
1.2.4 Die Einhängemuskulatur
1.2.5 Das Ansatzrohr
1.3 Der Ablauf von Stimmbildung im Chor

2. Darstellung der Methodologie
2.1 Interviews
2.1.1 Darstellung und Begründung der Auswahl der Interviewpartner
2.1.2 Ziele und Auswahl der Fragen
2.1.3 Auswahl der in den Interviews benutzen Bilder
2.1.4 Bestimmung der Auswertungsmethode
2.2 Analyse der Interviews
2.2.1 Prof. Erik Westberg
2.2.2 Prof. Morten Schuldt-Jensen
2.2.3 Prof. Markus Johannes Langer

3. Interpretation der Ergebnisse

4. Darstellung der Entwicklungstendenzen im europäischen Raum

5. Fazit

Anhang

Interviews

Interview auf Deutsch

Interview auf Schwedisch

Transkription Prof. Erik Westberg

Transkription Prof. Morten Schuldt-Jensen

Transkription Prof. Markus Johannes Langer

Bildmaterial: Bilder aus dem Buch „ Lehrbuch der Chorleitung“ von Kurt Thomas Bilder I - V

Quellen

0. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit thematisiert die Wechselwirkungen zwischen Chorleitung und dem Chorklang und untersucht dabei, inwiefern sich verschiedene Dirigierelemente wie Arm- und Handhaltungen stimmphysiologisch auf den Chorsänger und dessen Stimmgebungsapparat auswirken können. Dabei geht es im Kern um die Frage, inwieweit das Dirigat für einen Chorklang entscheidend sein kann und stimmphysiologische Prozesse wie Atmung und Tongebung des Stimmapparates unterstützend oder behindernd beeinflusst werden können.

Leider gibt es speziell zu diesem Thema wenig Literatur, die für die wissenschaftliche Auseinandersetzung herangezogen werden kann. Außerdem fehlt es an entsprechenden empirischen Untersuchungen und Langzeitstudien. Aus diesem Grund bilden qualitative Experteninterviews mit Chordirigenten, die auch Professoren für Chorleitung sind, die Grundlage für die Auseinandersetzung mit der genannten Thematik, um möglichst viele aktuelle, praxisorientierte Fakten für dieses Thema zu sammeln.

Als Leitsatz für die vorliegende Arbeit wird ein Zitat von Morten Schuldt-Jensen herangezogen, um zu verdeutlichen, dass es in dieser Arbeit nicht vorrangig um Bewertungen und Beurteilungen von Dirigierbewegungen geht, also eben nicht um Belehrungen, wie diese absolut richtig auszuführen sind.

„Es gibt keine falsche Bewegung, es gibt nur gesangstechnische Konsequenzen aus einer Bewegung.“

(Interview Morten Schuldt-Jensen, Anhang S. 14)

Es ist vielmehr von Bedeutung, zu untersuchen, welche Auswirkungen verschiedenste Dirigierbewegungen auf den Chorklang haben, welche Bedeutung dabei der Dirigentenpersönlichkeit zukommt, wie durch Haltungen und Einstellungen des Dirigenten die Wechselwirkung zwischen Chor und Dirigent beeinflusst wird und welche stimmphysiologischen Konsequenzen sich aus verschiedenen Dirigierhaltungen ergeben.

Dazu werden zunächst im ersten Teil theoretische Aspekte bezüglich des Dirigierens, der Stimmphysiologie und der chorischen Stimmbildung ausgeführt. Danach werden im zweiten Teil inhaltliche Schwerpunkte aus den Experteninterviews dargestellt, die dann im dritten Teil analysiert und interpretiert werden. Im vierten Teil der vorliegenden Arbeit werden die unterschiedlichen Entwicklungen bezüglich des chorischen Dirigierens im europäischen Raum dargestellt. Im Fazit werden abschließend die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst und ein Ausblick auf mögliche weiterführende Untersuchungsaspekte gegeben.

In diesem Zusammenhang wird ein herzlicher Dank an die Dirigenten Prof. Erik Westberg, Prof. Morten Schuldt-Jensen und Prof. Markus Johannes Langer gerichtet, welche sich ausführlich und hilfreich zur Thematik äußerten und mit ihrem großen Fundus an praxiserprobten und theoretisch fundierten Kenntnissen diese Arbeit erst ermöglichten.

Ein großer Dank gilt ebenfalls Prof. Dr. Renate Kafurke, die stets hilfsbereit und sachkompetent vielfältige Anregungen zur Thematik gegeben hat.

1. Einführung

1.1 Grundlagen des Dirigierens

In diesem Kapitel werden Grundlagen des Dirigierens erläutert, um darzustellen, dass das Thema einerseits sehr komplex ist und dass sich im Laufe der letzten Jahre die Ansichten von Chorleitern, Lehrern für Chorleitung und Autoren von Lehrbüchern der Chorleitung geändert haben. Dabei werden nicht nur die Grundlagen des Dirigierens dargestellt, sondern auch die Ansichten von Chorleitern und Autoren wie Kurt Thomas, Waldemar Klink, Martin Behrmann und Robert Göstl bezüglich der Persönlichkeit und der Schlüsselqualifikationen eines Chorleiters erläutert.

Kurt Thomas ist einer der ersten, der ein Lehrbuch der Chorleitung herausgebracht hat. Kurt Thomas war von 1957 bis 1960 Thomaskantor an der Thomaskirche in Leipzig und damit auch der künstlerische Leiter des von J.S. Bach gegründeten Thomanerchors. Aus politisch motivierten Gründen ging Kurt Thomas 1960 zurück nach Westdeutschland und übernahm die neugegründete Frankfurter Kantorei.

Waldemar Klink war erster Leiter der 1936 gegründeten Nürnberger Singschule der Stadt der Reichsparteitage. Nach einem Auftrittsverbot der Nationalsozialisten aufgrund seines Einsatzes für zeitgenössische Musik, setzte er 1946 die Leitung der als Nürnberger Singgemeinschaft neu gegründeten Singschule fort.

Die Spandauer Kirchenmusikschule, an der unter anderem der bekannte Komponist Ernst Pepping wirkte, wurde 1998 geschlossen. Sie war bis zu diesem Zeitpunkt im „Heinrich-Schütz-Haus“ des Ev. Johannesstifts in Berlin Spandau untergebracht. Martin Behrmann war der letzte Leiter der Spandauer Kirchenmusikschule, der unter anderem mit einem umfangreichen Handbuch zur Chorleitung hervorgetreten ist. Die Studenten an der Spandauer Kirchenmusikschule bildeten die Basis der „Spandauer Kantorei“, einem gemischten Chor, der mit zahlreichen Konzerten, Rundfunkaufnahmen etc. in der Öffentlichkeit Berlins präsent war.

Robert Göstl studierte katholische Kirchenmusik in Regensburg und Chorleitung bei Jörg Straube an der Hochschule für Musik Würzburg und hatte einen Lehrauftrag in Regensburg für Chormethodik, Kinderchorleitung, Partiturspiel und Stimmphysiologie inne. Robert Göstl arbeitet freiberuflich als Dirigent, Autor und Musikpädagoge.

1.1.1 Die Persönlichkeit/ Schlüsselqualifikationen des Chorleiters

In erster Linie steht die Persönlichkeit des Chorleiters im Vordergrund. Hierbei wird deutlich, dass sich die Meinungen von Kurt Thomas und Waldemar Klink ähnlich sind. Allerdings gehen die Autoren bei der Bewertung der Prioritäten zur Persönlichkeit des Chorleiters weit auseinander. Kurt Thomas schreibt in seinem 1935 erstmals erschienenen „Lehrbuch der Chorleitung“: „Befähigung und Können des Chorleiters - Hier muss unterschieden werden zwischen der naturgegebenen, angeborenen Bef ä higung, die nicht erlernbar oder jedenfalls nur bis zu einem gewissen Grade steigerungsfähig ist, und dem durch intensives Studium zu bildenden K ö nnen und Wissen. “ (Thomas, 1991, S.

1). Kurt Thomas macht in dem ersten Satz seines Buches „Lehrbuch der Chorleitung“ klar, dass natürliche Befähigungen Voraussetzung für Chorleiter sind. Dazu gehören nach Kurt Thomas „[...] in erster Linie eine gute und bildungsfähige Gehörslage“, die „Möglichkeit, vor einer Menge Menschen frei zu sprechen, dazu neben den rein künstlerischen Fähigkeiten in hohem Maße organisatorisches Geschick und psychologisches Feingefühl.“ (Thomas, 1991, S.1). Erlernbare Befähigungen sind nach Kurt Thomas allerdings vielfältiger. Generell muss der Chorleiter ein „guter Musiker, Sänger und Sprecher sein“, denn: „Jeder Chor singt und spricht so wie sein Chorleiter.“ (Thomas, 1991, S. 2). Dazu gehört nach Thomas natürlich eine „gründliche stimmliche Ausbildung“ , infolge derer der Chorleiter „die Technik und den Ausdruck des Singens völlig beherrscht“. (Thomas, 1991, S. 2). Wichtig sind für Kurt Thomas außerdem, dass Chorleiter „musiktheoretisch völlig auf dem laufenden sein“ und „Harmonielehre, Kontrapunkt und Formlehre beherrschen“ müssen. (Thomas, 1991, S. 2).

Kurt Thomas macht in seinem ersten Kapitel deutlich, dass das Handwerk unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Probenarbeit mit einem Chor ist. Allerdings kann man sich die Frage stellen, ob die Befähigung der „angeborenen Ruhe“ (Thomas, 1991, S. 2) nicht doch erlernbar ist.

Waldemar Klink stellt in seinem Buch „Der Chormeister“ (Schott, 1952) eine Liste mit „Forderungen der natürlichen Veranlagung“ auf. Darin schreibt er: „Der Chorleiter muss eine Persönlichkeit sein mit viel Suggestionsgabe, innerer Festigkeit und der Fähigkeit, sein Wollen, Fühlen und Erleben durch Gestik einer Gemeinschaft zwingend mitzuteilen.“ (Klink, 1952, S. 45). Weiterhin fordert er, dass Dirigierbegabung latent vorhanden sein muss und „ein gutes relatives Gehör, das befähigt, selbst die kleinsten und zunächst unscheinbarsten Unreinheiten sofort beim Entstehen zu erkennen.“ Ebenso gehören „pädagogisches Geschick“, „Ruhe und überlegende Sicherheit“ sowie „Organisationsgabe“ zu den natürlichen Befähigungen eines Chorleiters (Klink, 1952, S. 45).

Direkt im Anschluss listet Klink die „Forderungen des Hinzulernbaren“ auf. Dazu gehören u.a. eine „gründliche Allgemein-Musikbildung“ mit Kenntnissen zu Stilarten, Musikgeschichte und Aufführungspraxis und sicheres Partiturspiel. Gute gesangliche Fähigkeiten scheinen Waldemar Klink besonders wichtig zu sein: „Ein Chorleiter, der nicht selbst technisch und ausdrucksgemäß wesentliche Nuancen richtig vorzusingen vermag, ist fehl am Platze. Es ist dazu nicht eine materiell begüterte Stimme nötig; er kann auch mit einer kleinen, aber schlackenlosen Stimme stimmliche Probleme, Ausdrucksnuancen und phonetische Wichtigkeiten vormachen. Man bedenke: Alle Stimmfehler übertragen sich im Quadrat auf den Chor, und alles Richtige und Schöne fasst nur zögernd Fuß. Der Chor ist also stimmlich die vergrößerte Fotografie des Dirigenten.“ (Klink, 1952, S. 46).

Auch die Chorpraxis ist wichtig für Klink, er empfiehlt, dass junge Chorleiter „lange Zeit in einem guten Chor mitsingen“ sollten und verweist darauf, dass „alle großen Chordirigenten [...] selbst in Chören mitgesungen“ und „bei Meistern ihres Faches das Rüstzeug geschliffen“ haben (Klink, 1952, S. 46).

Zu guter letzt muss die Dirigiertechnik „durch konzentrierte Übung zur sicheren Beherrschung der Schlagtechnik geführt werden“. Für Klink ist dies das „wichtigste Gebiet des Erlernbaren“: „Es ist höchste Zeit, dass auch unter den Chordirigenten alle „Ruderer“, „Modellierer“ und „Schnörkelakrobaten“ verschwinden, die den Beruf lächerlich machen.“ (Klink, 1952, S. 46).

Waldemar Klink grenzt diese oben genannten Punkte ganz klar von den „Forderungen der natürlichen Veranlagung“ (Klink, 1952, S. 45) ab, was den Schluss zulässt, dass nach Klink pädagogisches Geschick, Ruhe und Überlegenheit und die Fähigkeit, zu Organisieren, nicht erlernbar sind.

Martin Behrmann widmet dieser Thematik in seinem Buch „Chorleitung - Probentechnik“ (Hänssler-Verlag, 1984) ein recht umfangreiches Kapitel mit dem Titel: „Ängste vor der Chorleitung“. Darin kritisiert er, dass die Autoren Waldemar Klink und Kurt Thomas sich „zu Sprechern für gängige Vorurteile“ machen, die seiner Meinung nach nicht der Realität entsprechen: „Hier wird offenbar verlangt, der Anfänger müsse, jedenfalls in den entscheidenden Punkten, das schon sein, was er eigentlich gerade erst werden will.“ (Behrmann, 1984, S. 19)1.

Der Autor befürchtet, dass auf Grund derartiger Zitate unnötige Ängste für Anfänger geschürt werden. Dabei zitiert Behrmann: „ ‚...der Dirigent soll die Fähigkeit haben, unmittelbar auf Menschen einzuwirken. Seine ganze Oberfläche sollte gleichsam Leben und Musik ausströmen. Das kann man nicht machen und auch nicht lernen. Das ist ein Charisma...’“ und befürchtet: „Der für den Anfänger wenig ermutigende Verdacht, die von ihm angestrebte Materie sei in Wirklichkeit gar nicht erlernbar, wird nachdrücklich unterstützt.“ (Behrmann, 1984, S. 20). Und auch in diesem Zitat „ ‚... in der Schule sagt man: ein Lehrer muss Autorität sein, Disziplin haben. Wer darin Schwierigkeiten hat, bereite sich ... doppelt gründlich vor, ein großer Dirigent wird er allerdings kaum werden...!’“ vermutet Behrmann, dass zukünftige Chorleiter eher beunruhigt als ermutigt werden: „Wie viele angehende Chorleiter mögen schon, von derartigen Sätzen eingeschüchtert, ihr Studium für im Grunde aussichtslos gehalten und sich damit, trotz vielen Fleißes, um den Erfolg gebracht haben?“ (Behrmann, 1984, S. 20).

Behrmann vertritt die Meinung, dass eine Aneignung von Fähigkeiten für die Leitung auch ohne besondere Begabung möglich ist: „Es ist einfach nicht zutreffend, dass man zum Chorleiter geboren sein muss.“ (Behrmann, 1984, S. 19). Er macht vielmehr klar, dass „diese Technik grundsätzlich erlernbar“ ist. Ebenso wird deutlich, dass Behrmann eine andere Herangehensweise an die Chorleitung vertritt als Kurt Thomas oder Waldemar Klink, der in dem Kapitel „Der Dirigent als musikalische Führerpersönlichkeit“ schreibt: „Wie auch vor dem Orchester so auch vor dem Chor ist der Dirigent absolute Autorität, die ihren formenden Willen durch Suggestion allen Mitwirkenden aufzwingt.“ (Klink, 1952, S. 45). Behrmann dagegen schreibt: „Im Umgang mit der Gruppe „Chor“ geht es gar nicht so sehr um persönliche Leistungsprobleme, um das Dominieren, die Initiative-in-der-Hand- behalten oder ähnliches. Die Menschen in der Gruppe erwarten zunächst nichts anderes als eine hilfreiche Information. Sache des Chorleiters ist es, den Fluss solcher Informationen sinnvoll zu steuern, indem er Erwartungen versteht, weckt und erfüllt.“ (Behrmann, 1984, S. 20).

Wichtiger sind für Behrmann „eine gründliche Kenntnis von Zusammenhängen und Methoden“, die hilfreich sind, den „Informationsstrom (die „Probentechnik“)“ aufrecht zu erhalten. (ebenda) Auf eine andere Art und Weise schreibt Robert Göstl in seinem Buch „Chorleitfaden“ (ConBrio Verlag Regensburg, 2006) in dem Kapitel

„Schlüsselqualifikationen eines Chorleiters. Dieses Kapitel gliedert sich in mehrere Abschnitte, die sich v.a. mit den Themen „Motivation und Neugier des Chorleiters“, „Pädagogik und Psychologie“ sowie „Innere und äußere Organisation“ befassen (Göstl, 2006, S. 40f). Das „Erleben der anderen Seite“ (Göstl, 2006, S. 40) spielt für den Autoren eine große Rolle. Er empfiehlt ebenfalls, dass ein Chorleiter mehrere Jahre in einem Chor gesungen haben sollte. Insbesondere das Erinnern an diese Zeit ist wichtig, da sich „positive, motivierende und problematische Eindrücke abgebildet haben.“ (Göstl, 2006, S. 40). Göstl ist der Meinung, dass das Erinnern sehr hilfreich für die eigene Arbeit als Chorleiter ist: „Jeder hat als (Chor)Sänger Chorleiterpersönlichkeiten erlebt, die selbst ein Teil der Faszination des Chorsingens waren, jeder kennt hingegen auch solche, von denen hauptsächlich Erinnerungen geblieben sind, wie man es später einmal sicher nicht machen will.“ (Göstl, 2006, S. 40).

Ebenso wichtig ist es für den Autor, dass ein „Wechsel der Blickrichtungen, also das Hineinversetzen des Chorleiters in den Chorsänger, den entscheidenden Impuls geben kann, seine Arbeit zu ändern und zu optimieren. Göstl regt dazu an, sich selbst folgende Fragen zu stellen: „Wie hätte ich mich gefühlt, wenn ich in diesem Chor gesungen hätte? Wäre ich auf diesen Chor aufmerksam geworden, wäre das Angebot attraktiv geworden?“ (Göstl, 2006, S. 40).

Die natürliche Neugier eines Chorleiters ist für Göstl gleichfalls von großer Bedeutung: „Ein guter Chorleiter ist ständig auf der Suche nach gutem Neuem, sowohl was die Literatur als auch was die Arbeitsweise und Darbietungsformen anbelangt.“ (Göstl. 2006, S. 41). Dabei macht der Autor deutlich, dass zuviel Neues auch dazu führt, dass alte Errungenschaften beendet oder nicht mehr beachtet werden. Mit dieser Einstellung „entzieht man sich [...] den eigenen Boden, bevor man gelernt hat, darauf sicher zu stehen.“ (Göstl. 2006, S. 41).

In dem Abschnitt „Bevor der Chor übt, übt der Chorleiter“ beschreibt der Autor, dass das Handwerk, also die technischen Fähigkeiten eines Chorleiters, wichtig ist, um Situationen, wie z.B. das ungenügende Beherrschen des Notentextes, die Arbeit mit dem Chor unterbrechen können, zu verhindern. Göstl ist es wichtig, dass die Vorbereitung der Chorstücke intensiv ist: „Wer nicht akzeptiert, dass vor der Interpretation und dem Auftritt, ja sogar schon vor der ersten Probe viel und harte Arbeit liegt, wird scheitern.“ (Göstl, 2006, S. 42).

Die pädagogische Arbeit mit dem Chor ist für den Autor eine wichtige Schlüsselqualifikation eines Chorleiters: „Jede Sekunde der Chorarbeit ist [...] zuallererst pädagogische Arbeit.“ (Göstl, 2006, S. 42). Göstl macht klar, dass man eine positive Einstellung zur Arbeit mit dem Chor haben muss, auch wenn das Leiten eines Chores nur eine nebenamtliche Tätigkeit ist: „Eine positive eigene Grundhaltung zum Chorsingen und zum Chorleiten ist deshalb unabdingbare Voraussetzung für den Pädagogen.“ (Göstl, 2006, S. 42).

1.1.2 Körperhaltung des Chorleiters

Eine gute Körperhaltung ist Voraussetzung für den Chorleiter, das Dirigat effektiv und sängerfreundlich durchzuführen. Der Stand sollte „ungezwungen“ sein, „eine natürliche Stellung der Füße dient dazu, alle widernatürlichen und überflüssigen Bewegungen des Unterkörpers auszuschalten.“ (Thomas, 1991, S. 4). Die Position der Füße „soll der Lockerung förderlich sein“ (ebenda) und „mit etwas seitlich auseinander gesetzten Füßen das Körpergewicht gleichmäßig auf beide Beine“ (Bastian & Fischer, 2006, S. 186) verteilt werden. In älteren Dirigierschulen (Thomas: Lehrbuch der Chorleitung; Klink: Der Chormeister) wird empfohlen, ein Bein leicht vorzusetzen, um mehr Lockerheit und einen sicheren Stand zu erzeugen. Jüngere Dirigierschulen verweisen darauf, dass in der heutigen Zeit „vor allem für das Chordirigieren [...] eine stabile, aber flexible, annähernd parallele und damit zentrierte Position (der Füße) gelehrt wird.“ (Göstl, 2008, S. 76). Eine sängerfreundliche Körperhaltung sowie eine lockere und natürliche Mimik sind wichtig, da Chorsänger sich sehr an der Haltung des Chorleiters orientieren und unbewusst diese Haltung adaptieren: „Seine Mimik und seine Gestik sollten vor allem Lockerheit ausstrahlen, da sich alle Verkrampfungen und Verspannungen unmittelbar auf die Sänger und ihren Stimmapparat übertragen und damit jeden lockeren Ansatz verhindern können.“ (Bastian & Fischer, 2006, S. 186).

Der Autor Robert Göstl gibt weitere Hinweise für eine richtige Kopfhaltung: „Wiederum gilt als spezielle Anforderung an den Chordirigenten, seine Kopfhaltung an der idealen Sängerhaltung auszurichten. Besonders wichtig ist es dabei, den Kopf nicht, im Willen, die Sänger zu erreichen und zu bewegen, nach vorne zu strecken.“ (Göstl, 2008, S. 77). Diese Haltung würde die Kehlkopfmuskulatur unnatürlich strecken und überdehnen, so dass sich Schulter- und Nackenmuskulatur verkrampfen, damit die Tonbildung erschwert und klanglich verändert werden würde.

Die Arme sollten „frei und von der Schulter her locker“ sein, „locker und elastisch der ganze Körper.“ (Thomas, 1991, S. 5). Besonders die Schultern sollten entspannt gehalten werden: „Das hochgezogene Schultern zu vermeiden sind, ist mit der Vermittlung der Sängeratmung aber auch mit einem Vermeiden von Verspannungen zu begründen.“ (Göstl, 2008, S. 77).

1.1.3 Bereitschaftsstellung - Handhaltung - Schlagtechnik

Die Bereitschaftsstellung ist die Haltung, bevor der Chorleiter dem Chor den ersten Einsatz gibt. „Sie hat die Aufgabe, die Konzentration des Chores zu erzielen, und Blickkontakt mit jedem einzelnen Chorsänger zu gewinnen, und sie muss außerdem den Charakter des folgenden Chorsatzes erkennen lassen.“ (Thomas, 1991, S. 7) Die Armhaltung hat dabei mehrere Funktionen und kann verschiedene Prozesse signalisieren. Die Arme sollen etwa in Brusthöhe gehoben werden. Sind sie „leicht vom Körper zur Seite geweitet“ (Göstl, 2008, S. 77), vermitteln sie normales Einatmen, sind sie „leicht vom Körper zur Seite und nach vorn geführt“ (ebenda), unterstützen sie eine Tiefatmung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Lukoschek, 1998, S. 16

Abb.: 1 Die linke Abbildung zeigt eine Möglichkeit der Bereitschaftsstellung; die rechte stellt den ersten Moment vor dem Einatmen dar. Diese Abbildung ist nur Teil einer Bewegung, im Idealfall richtet sich der Chorleiter auf und bewegt die Arme nach außen und nach oben.

Auch die Haltung der Hand ist von Bedeutung und muss die aktive, entspannte Grundhaltung unterstützen. So sollten die Hände natürlich gehalten werden und weder nach unten noch nach oben zeigen. Die Spannung der Handgelenke sollte ein normales Mittelmaß betragen: „Eine übertrieben entspannte, eine lasche Handhaltung vermag keinen guten musikalischen Ton hervorrufen [...]. Viel öfter findet man dirigierende Hände, die Verspannungen und falschen Krafteinsatz bei den Sängern hervorrufen, sei es durch fixierte Handgelenke, übertriebene Anspannung in der Hand [...] oder sogar geballte Fäuste.“ (Göstl, 2008, S. 78).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Lukoschek, 1998, S. 13

Abb.: 2 Diese Abbildung zeigt zwei Möglichkeiten einer schlechten, verspannten Handhaltung.

Der Einsatz ist das „Start - Signal“ für den Chor. Kurt Thomas hat die Prozesse, die dabei ablaufen, folgendermaßen formuliert: „Entscheidend zum Einsatzgeben ist die vorbereitende Bewegung, in der das Zeitmaß festgelegt wird, und welche bereits Dynamik und Ausdruck des folgenden Werkes genau erkennen lassen muss. Gleichzeitig muss sie, unterstützt durch eigenes Einatmen, dem Chor nicht nur Atemgelegenheit geben, sondern das tiefe Einatmen unausweichlich zur Folge haben.“ (Thomas, 1991, S. 8,9).

Die Dirigierbewegungen werden wie folgt bezeichnet (Lukoschek, 1998, S. 15): Thesis (T) (griech.: Senkung) der abwärtsgerichtete Schlag.

Iktus (I) die seitliche Bewegung ein- oder auswärts

Arsis (A) (griech.: Hebung) der aufwärtsgerichtete Schlag.

„Alle Taktfiguren haben gemeinsam, dass der erste Schlag zur Markierung seiner

Schwere nach unten geführt werden muss.“ (Klink, 1952, S. 49). Die Zählzeit „eins“ in jedem Schlagbild ist also eine Thesis. Die Taktfiguren oder auch Schlagbilder richten sich in erster Linie nach der Taktart. Folgende Abbildungen verdeutlichen die Vielfalt der Schlagbilder:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Lukoschek, 1998 S. 23

Abb.: 3 Die Abbildung zeigt das Schlagbild eines 3/4 Taktes. Die Thesis (T) führt abwärts zur Zählzeit 1, der Iktus (I) nach rechts oder links zur Zählzeit 2 und 3 und die Arsis (A) zurück zum Ausgangspunkt.

4/4; 4/2; 4/8; 12/8 3/4; 3/2; 3/8; 9/8 2/4; 2/2

6/6 (langsames Tempo) 5/4; 5/2; 5/8 (Zählzeit 3 betont) 5/4; 5/2; 5/8 (Zählzeit 4

betont)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Göstl, 2006, S. 79, 80

Abb.: 4 In dieser Abbildung sind Schlagbilder des Autoren Robert Göstl dargestellt. Es sind Schlagbilder zu den gängigsten Taktarten.

1.2 Zur Theorie der Stimmphysiologie und Stimmbildung

„Singe natürlich, dann singst du richtig und schön!“ (Schneider, 1972; S. 4)

„Jedermann hat normalerweise von Natur aus die physischen Mittel mitbekommen, um zu singen - auch wenn er, wie man sagt, keine Stimme besitzt, genauer: auch wenn er nicht zu singen vermag.“ (Husler, Rodd-Marling, 1965, S. 15)

Kenntnisse in Stimmphysiologie und Stimmbildung sind der wichtigste Bestandteil für einen Chorleiter, klug und effektiv mit einem Chor zu arbeiten. In diesem Kapitel werden Grundlagen des Singens aus physiologischer und praktischer Sicht dargestellt.

1.2.1 Stimme

„Die Singstimme wird hervorgerufen durch eine gewisse urtümliche seelische Verfassung und durch eine lange Reihe körperlicher Funktionen.“ (Husler, Rodd-Marling, 1965, S. 15) Diese für das Singen bedeutsamen körperlichen Funktionen werden von verschiedenen Körperorganen aus gesteuert, die nachfolgend genauer dargestellt werden sollen (Bastian & Fischer, 2006, S. 324):

1. das Atmungsorgan
2. der Kehlkopf
3. die Einhängemuskulatur
4. das Ansatzrohr

1.2.2 Atmung

Die erste und wichtigste körperliche Funktion ist das Atmen: „Mit Hilfe des Atemapparates wird der Luftstrom erzeugt, der im Kehlkopf die Bewegung der Stimmlippen verursacht und somit in sehr schnelle, regelmäßige rhythmische Luftschwingungen, also in Töne, umgewandelt wird.“ (Pöhlman in Bimberg (Hrsg.), 1981, S. 107).

Aufgrund der Sozialisation und Gesellschaftsnormen sind bei Laien meist weder Kenntnisse über das richtige Atmen noch die ursprüngliche, natürliche Muskelbewegung beim Atmen vorhanden: „Es ergeben sich für jedes Individuum weitere Störungen immer von neuem mit dem Beginn seiner Erziehung: Jene Atmungsmuskulaturen, durch die sich effektive Ausströmungen (etwa durch schallendes Lachen, Brüllen, Weinen, Schluchzen, 15

Stöhnen und dergleichen mehr ) stimmhaft nach außen hin fortpflanzen, immer dabei also die Kehle mitbewegend, diese Muskulaturen werden durch eine ziemlich allgemein herrschende Anstandslehre beim Kleinkind schon reglementiert oder sogar fast ganz außer Aktion gesetzt - und damit auch die Muskulaturen des Kehlorgans, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Atmungsorgan befinden. Dieser Umstand allein führt oft schon zur völligen Selbstvergessenheit, Dauerhemmung - und schließlich zur Erschlaffung des sängerischen Atmungs- und Kehlbereichs.“ (Husler & Rodd-Marling, 1965. S.17).

Die bei Geburt vorhandene gesunde tiefe Bauchatmung kommt also im Laufe der Entwicklung vom Kind zum Erwachsene abhanden und wird durch einen anderen Atemtyp ersetzt. Generell werden folgende Arten der Atmung unterschieden :

- Brust- Flankenatmung: „Bei der Einatmung wird der Brustkorb mit Hilfe der

Muskeln zwischen den Rippen vergrößert, wobei der Lungenraum vorwiegend nach der Seite erweitert wird.“ (Pöhlmann in Bimberg, 1981, S. 107). Das Lungenvolumen wird bei der Ausatmung wieder verkleinert, dabei zieht sich die Zwischenrippenmuskulatur wieder zusammen.

- Hochatmung: Die Hochatmung verläuft in Verbindung mit der Brustatmung und

wird auch Schulter- oder Schlüsselbeinatmung genannt. „Hierbei wird der Brustkorb [...] während des Einatmens nicht nur geweitet, sondern auch angehoben, wobei sich das Schlüsselbein sichtbar aufwärts bewegt und die Schultern hochgezogen werden.“ (ebenda) Die Muskulatur von Rücken, Flanken und Bauch sind dabei nicht beteiligt.

- Zwerchfellatmung: „Der für die Atmung wichtigster Muskel ist das Zwerchfell, ein kuppelförmiger Muskel. Es liegt quer im Körper und bildet für den Brustraum den Boden, für den Leibraum die Decke, die Trennwand zwischen den beiden Höhlen des Rumpfs.“ (Habermann, 1978, S. 8). Das Zwerchfell selbst ist bei der Atmung weder spür- noch sichtbar, jedoch die Auswirkungen seiner Kontraktion und Entspannung, durch die Rücken- und Bauchmuskulatur, auch die Flanken aktiv am Atemprozess beteiligt sind, sich weiten, dehnen und wieder zusammen ziehen. Schultern und Brustkorb bleiben während des gesamten Atemvorgangs entspannt und locker in einer natürlichen, tiefen Position.

In der Regel findet die Atmung passiv statt: „Wie jedes Lebewesen, so atmet auch der Mensch vom ersten bis zum letzten Moment seiner Existenz unbewusst.“ (Fuchs, 1967, S. 60). Das heißt, dass die Atmung die meiste Zeit des Lebens automatisch, reflexhaft 16 abläuft. Beim Singen allerdings muss der Mensch seine Atmung zu einem aktiven Vorgang machen, sie aktiv steuern. „Beim bewussten Atmen sollte man sich daran gewöhnen, durch den Mund aus- und durch die Nase einzuatmen. Das Ausatmen kann willentlich geschehen, beim Einatmen lasse man die Luft selber kommen.“ (Ehmann, 1963, S. 11).

Das passive Einatmen unterscheidet sich vom aktiven Einatmen vor allem dadruch, dass durch das Fallenlassen der Bauchwand und der Kontraktion, also durch das Absenken des Zwerchfells ein Unterdruck erzeugt wird, durch den die Luft von selbst einströmt. „Es ist irrtümlich zu meinen, dass die Luft durch irgendeinen Willensakt aktiv durch Mund oder Nase eingesogen werde und so dann auch die Brusthöhle von innen erweitere. Da die Lunge aus elastischem Gewebe besteht und keine eigene Bewegmöglichkeit besitzt, muss sie ganz passiv den Wandungen der Brusthöhle in ihren Bewegungen folgen. Die Lunge atmet also nicht aktiv, sie wird beatmet.“ (Habermann, 1978, S. 13f.) Beim Ausatmen erschlaffen die Muskeln an der Lunge und das Zwerchfell bewegt sich in seine Ausgangsposition zurück, so dass die Luft aus der Lunge gedrückt wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Habermann, 1978, S. 14

Abb.: 5 Dondersscher Versuch; veranschaulicht die Passivität der Lungenbewegung, abhängig von den Druckveränderungen im Brustraum.

Die Zwerchfellatmung, auch Bauchatmung genannt, ist die optimale Atmung für das Singen. Das Zwerchfell ist ausschließlich bei der Einatmung aktiv und senkt sich beim Einatmen, wobei die beiden Kuppeln abflachen. Das Zwerchfell wird gesenkt, „weil es durch die Auswärtsbewegungen der unteren Rippen, an denen es angewachsen ist, in die Breite gezogen wird.“ (Pöhlmann in Bimberg )Hrsg.), 1981, S. 107). Dabei entsteht ein Unterdruck und das Zwerchfell „saugt wie ein Kolben in einem Zylinder die Luft in den Brustraum hinein.“ (Martienssen - Lohmann, 1956, S. 453). Die darunter liegenden Eingeweide müssen schräg nach vorne ausweichen, so dass sich die Bauchdecke nach vorn wölbt. Während sich bei der Ausatmung das Zwerchfell wieder zurück in die Ausgangsposition verlagert, arbeitet die Bauchmuskulatur aktiv, nur die Rückstellkräfte wirken passiv. Diese Art der Atmung erzeugt einen konstanten Luftrom, der Atemstütze oder Stützvorgang genannt wird, als Motor des Singens bezeichnet wird und deshalb von großer Bedeutung ist.

Der Stützvorgang selbst ist sehr schwer zu erklären, da es sich um einen nicht sichtbaren Prozess handelt. Es kann lediglich das Gefühl beschrieben werden. Der Erfolg der Vermittlung der Atemstütze hängt also nicht nur von der Person ab, die den Prozess erklärt und beschreibt sondern auch vom Schüler oder Chorsänger, der diesen Prozess umsetzen muss, was durchaus nicht unproblematisch ist: „Es gehört zu den Grundforderungen der stimmlichen Naturgesetze, dass die Stimmgebung des Sängers ebenso weit entfernt sei von der Laschheit ungestützt-haltlosen Singens wie von der Tendenz überstützter Gewaltsamkeit.“ (Martienssen-Lohmann, 1956, S. 384). Es ist also wichtig, dass beim Vorgang des Stützens weder über- noch untertrieben wird. Hat man als Sänger zuviel körperliche Aktivität, so kann es zu Verkrampfungen führen, die für das Singen nicht förderlich sind. Wichtig ist, dass beim Singen immer auf eine Ausgewogenheit der körperlichen Aktivität, der Anspannung und Entspannung geachtet wird. Zu wenig körperlicher Einsatz kann dazu führen, dass man in Bereichen der Halsmuskulatur, des Kehlkopfes oder des Ansatzrohres verkrampft. Zu viel Aktivität dagegen kann unter anderem bewirken, dass der Körper und mit ihm auch die Halsmuskulatur fest und steif ist, so dass eine lockere, flexible und aufrechte Grundhaltung, damit ebenfalls die Atemstütze unmöglich wird. Diese ist jedoch unabdingbare Voraussetzung dafür, lange singen zu können, ohne dabei die Stimme, also die Stimmlippen und die Muskulatur im Kehlkopf sowie im Hals zu sehr zu belasten.

Der Vorgang des Stützens wird von Bernhard Pöhlmann gut beschrieben: „Während des Singens werden die Flanken über etwa zwei Drittel aus Ausatmungszeit 18

breit gehalten und dann erst gesteuert entspannt (Bauch und Rücken sind gewissermaßen leer zu atmen).“ (Pöhlmann in Bimberg (Hrsg.), 1981, S. 108). Gutes Stützen darf jedoch nicht zu einer Verkrampfung des Körpers führen, vielmehr sollten der Körper und die Atmung immer elastisch und beweglich sein.

1.2.3 Der Kehlkopf

Die Stimme entsteht durch das kompliziertes Zusammenwirken vieler, verschiedener Organe, das Stimmorgan selbst gibt es nur in der Umgangssprache: „Ein Stimmorgan im eigentlichen Sinne gibt es nicht. In einem übertragenen Sinne hat man den Kehlkopf jedoch Stimmorgan genannt.“ (Habermann, 1978, S. 30).

Der Kehlkopf sitzt auf der Luftröhre und ist für die Stimmgebung verantwortlich. Eine lebenswichtige Funktion hat der Kehldeckel: Er verschließt beim Schlucken die vor der Speiseröhre liegende Luftröhre und verhindert so, dass beim Trinken, Essen und Schlucken Objekte in den Kehlkopf, die Luftröhre und die Lunge eindringen können: „Durch den Kehldeckel ist er gegen das Eindringen von Speisen beim Schlucken geschützt.“ (Martienssen-Lohmann, 1956, S. 170). Weiterhin ermöglicht der Kehlkopf dem Menschen, störende Fremdkörper aus der Luftröhre hinauszubefördern: „Ein dichter Verschluss (der Stimmlippen, Anm. d. A.) ermöglicht eine Drucksteigerung der subglottisch, d.h. unter der Stimmritze (Glottis), angestauten Luft, die uns z.B. befähigt, Fremdkörper oder den in den Bronchien entstandenen Schleim durch Husten aus den unteren Luftwegen auszustoßen.“ (Habermann, 1978, S. 30).

Der Kehlkopf ist mit Bändern zwischen zwei Knorpeln, dem Schildknorpel und dem Ringknorpel, aufgehängt. „Er wird durch Bänder gehalten, durch Muskeln bewegt und ist im Ganzen in Fortsetzung der Luftröhrenschleimhaut mit einer gleichen Schleimhaut ausgekleidet.“ (ebenda) Die Stimmlippen sind Muskeln mit weichen Rändern, die durch den Luftstrom des Atemapparates zum Schwingen gebracht werden. Die Öffnung zwischen den Stimmlippen, die z.B. beim tonlosen Ausatmen vorhanden ist, wird Stimmritze genannt. Durch einen konstanten Luftstrom werden die Stimmlippen in Schwingung gebracht und die Ränder „schlagen“ gleichmäßig aneinander. „Im Kehlkopf [...] entstehen die Schallwellen durch Umwandlung der Ausatmungsluft in gleichmäßige rhythmische Luftstöße. Dies geschieht durch die Schwingungen der Stimmlippen, die die Stimmritze periodisch schließen und öffnen.“ (Pöhlmann in Bimberg (Hrsg.), 1981, S. 110)

Die Stimmlippen sind am Ringknorpel und den Stellknorpeln befestigt. Die Stellknorpel sind beweglich und verändern die Spannung der Stimmlippen. „In der Ruhe hat die Stimmritze eine mittlere Weite und eine spitzwinklige, etwa dreieckige Form. Bei der Einatmung wird die Weite der Stimmritze vergrößert, bei tiefer oder schneller Einatmung besonders stark. Unmittelbar vor der Stimmgebung - beim Sprechen oder Singen - wird sie verengt, oder ganz geschlossen. Je nach Art der Bewegung wird nur der Bestandteil der Stimmritze geschlossen, verengt oder geöffnet [...].“ (Habermann, 1978, S. 35)

Die Tonhöhe kann durch verschiedene Faktoren verändert werden: „Die Tonhöhe, Produkt der Geschwindigkeit, mit der die Stimmlippen schwingen, ist vor allem abhängig von der Stimmlippenspannung, aber auch von der schwingenden Masse (das heißt davon, wie viel Muskelmasse der Stimmlippen an der Bewegung beteiligt ist) und vom Anblasedruck.“ (Pöhlmann in Bimberg (Hrsg.), 1981, S. 111). Wichtig ist dabei, dass alle Faktoren zusammenwirken.

Die Veränderung der Stimmlippenspannung wird also zunächst „durch Ein- wie Auswärtsdrehung der Stimmfortsätze der Stellknorpel und durch deren Auseinanderrücken wie ihre Annäherung zueinander bewirkt, infolge der Kontraktion oder aber deren Erschlaffung bestimmter Muskeln und Muskelgruppen.“ (Habermann, 1978, S. 35f.)

a) Der an der Rückseite des Kehlkopfes gelagerte paarige Muskel wird Positcus genannt. Er fixiert jeweils einen Stellknorpel. In seiner Ruheposition (gestrichelte Linie) ist die Stimmritze nur leicht geöffnet. Bei seiner Kontraktion (durchgezogene Linie) dreht er die Stellknorpel so nach innen ein (Pfeile), dass sich die Stimmritze weit öffnet. Damit schafft er Raum für das Atemholen. Er wird deshalb auch „Kehlöffner“/ „Öffner“ genannt.

b) Für die sängerische Tongebung ist jedoch der Verschluss der Stimmritze notwendig, wodurch der Ton-Kern entsteht. Hierfür ist u. a. der paarige Muskel Lateralis verantwortlich. Durch seine Kontraktion wird der größte Teil der Stimmritze geschlossen (durchgezogene Linie). Zwischen den Stellknorpeln bleibt allerdings eine kleine dreieckige Öffnung bestehen, die „Flüsterstellung“ genannt wird.

c) Das nahezu vollständige Schließen der Stimmritze kommt durch die Kontraktion des Muskels Transversus zustande (durchgezogene Linie). Dabei werden die Stellknorpel sehr dicht aneinander gezogen, so dass auch die kleine Dreiecksöffnung geschlossen wird (Pfeile).

Lateralis und Transversus sind aufgrund ihrer Schließfunktion Antagonisten (Gegenspieler) des Posticus und werden deshalb als „Schließer“ bezeichnet. (Husler/ Rodd-Marling 1965 S. 40ff; Habermann 1978, S. 36)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Nach Habermann, 1978, S. 36

Abb.: 6 Die Abbildung zeigt die Wirkungsweise der drei an den Stellknorpeln ansetzenden Stimmmuskeln.

Außerdem ist bei Steigerung der Tonhöhe ein höherer Anblasedruck2 nötig, damit das Schwingen der Stimmlippen nicht aufhört. Dieser Vorgang ist vergleichbar mit dem Spielen eines hohen Tones auf einem Cello. Je höher Töne intoniert werden, desto schneller schwingen die Saiten, desto höher muss der Druck des Bogens auf die Saiten und die Bogengeschwindigkeit sein.

1 äußerer Kehlkopfmuskel, der den Schildknorpel nach vorn unten ankippt und dadurch die Stimmbänder spannt
2 längsverlaufender Stimmmuskel, der die Stimmlippen spannt
3 schräg nach hinten unten verlaufender Muskel, der die Stimmritze schließt
4 schräg nach vorn unten verlaufender Muskel, der die Stimmritze öffnet
5 hinten verlaufender Muskel, der die Stimmritze schließt (Habermann, 1978, S. 37)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

nach Habermann 1978, S. 39

Abb.: 7 Hier wird das Zusammenspiel der an der Stimmgebung beteiligten Muskeln dargestellt.

Neben dem Grad der Spannung der Stimmlippen ist ebenfalls die Größe der schwingenden Masse entscheidend für die Tonhöhe. Der Vocalis beeinflusst die Tongebung dahingehend, dass er „Gestalt, Dicke und Elastizität der schwingenden Stimmlippenabschnitte verändert.“ (Habermann, 1978, S. 40) Er kann also die Stimmlippen verkürzen und abschlanken (Ton wird höher) bzw. verlängern und verdicken (Ton wird tiefer), oder aber die Stimmlippenspannung erhöhen (Ton wird höher) bzw. verringern (Ton wird tiefer). Doch wieder muss betont werden, dass auch der Vocalis aus mehreren Muskelsträngen besteht und die sängerische Tongebung nur durch deren perfektes Zusammenwirken mit hoher Qualität erfolgen kann.

1.2.4 Die Einhängemuskulatur

Die Haltemuskulatur des Kehlkopfes und deren Zusammenwirken ist ebenfalls ein sehr komplexes System. Auch hier bedingen sich die Bewegungen der Muskeln gegenseitig, sie wirken also antagonistisch zusammen.

[...]


1 Martin Behrmann zitiert dabei aus Büchern von Waldemar Klink und Kurt Thomas, ohne dabei genaue

Quellennachweise anzugeben. Möglicherweise will Behrmann verdeutlichen, dass er Haltungen von „Kollegen“ sehr kritisch sieht, ohne dabei „unkollegial“ zu sein. Vergl. Behrmann, 1984, S. 19)

2 Der Anblasedruck ist die Intensität des Ausatmens, genauer die Schnelligkeit des Luftstroms bei der Ausatmung.

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Chorleitung als Klangformung
Untertitel
Wechselwirkungen zwischen Chorleitung und Chorklang sowie deren Entwicklung im europäischen Raum
Hochschule
Hochschule für Musik und Theater Rostock  (Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik)
Note
2,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
91
Katalognummer
V192236
ISBN (eBook)
9783656170280
ISBN (Buch)
9783656170747
Dateigröße
8906 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
chorleitung, klangformung, wechselwirkungenzwischenchorleitungundchorklangsowiederenentwicklungim
Arbeit zitieren
Tilman Fröhlich (Autor:in), 2009, Chorleitung als Klangformung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192236

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