Die Stellung der Frau im Vergleich Ost-/Westdeutschland (DDR - BRD): Befunde und theoretische Erklärungsansätze


Zwischenprüfungsarbeit, 2003

37 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Geschlechterdifferenzen als Ungleichheitsquelle der modernen Gesellschaft und Emanzipation als Reaktion
1.1 Geschlechterdifferenzen als Ungleichheitsquelle
1.2 Emanzipation und Frauenemanzipation in Deutschland

2 Die Stellung der Frau im Vergleich DDR – BRD (Ost-/Westdeutschland) in soziologischen Studien
2.1 Geißler: Die Entwicklung von sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in Deutschland
2.1.1 Ungleichheiten im Bildungssystem
2.1.2 Ungleichheiten in der Arbeitswelt
2.1.3 Beteiligung von Frauen in der Politik in DDR und BRD
2.1.4 Die Situation der Familie in DDR und BRD
2.2 Deutschmann-Temel: Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit von Arbeitszeitformen der Frauenerwerbsarbeit in der ehemaligen DDR und alten Bundesrepublik
2.3 Meyer/Schulze: Parallelen und Unterschiede im Leben der Frauen in BRD und DDR
2.4 Hülser: Bedingungen der Frauenerwerbstätigkeit in der DDR und in der ehemaligen Bundesrepublik im Vergleich
2.5 Trappe/Rosenfeld: Geschlechtspezifische Segregation in der DDR und der BRD - Im Verlauf der Zeit und im Lebenslauf
2.6 Zusammenfassung: Befunde und theoretische Erklärungsansätze

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Die zwei deutschen Staaten DDR und BRD entwickelten sich ein halbes Jahrhundert lang getrennt voneinander. In dieser Zeit zeigten sich in den beiden verschiedenen Gesellschafts­systemen verschiedene Leitbilder und institutionelle Rahmenbedingungen für die Stellung der Frau auf. Diese Tatsache kann auf unterschiedliche Entwicklungen des Abbaus geschlechts­spezifischer Ungleich­heiten zurück­geführt werden. Unterschiede zwischen Frauen aus Ost- und Westdeutschland sind auch heute noch sichtbar und Thema vieler soziologischer und privater Auseinander­setzungen und Erfahrungsaustausche.

In dieser Arbeit wird angestrebt, die Stellung der Frau in beiden Teilen Deutschlands zu untersuchen. Dabei soll versucht werden, die Zeit von DDR und BRD zu betrachten, da sie als Ursache der heute bestehenden Geschlechterverhältnisse und -diskurse gelten kann. Ziel dabei ist es, aus verschiedenen soziologischen Studien Grobstrukturen herauszuarbeiten und ihnen eine Systematik zugrunde zu legen. Es wird vermutet, dass es möglich sein kann, zwei entgegengesetzt positionierte Befunde zum Vergleich der Stellung der Frau in DDR und BRD zu finden.

Die Arbeit wird zunächst mit einleitenden Worten zum Thema der Geschlechterdifferenz als Ungleichheitsquelle moderner Gesellschaften und Emanzipation als deren Gegenentwicklung beginnen. Darauf folgt die Darstellung der verschiedenen Ausführungen der Autorinnen und Autoren, wobei anschließend versucht wird, ihre Befunde zusammenzufassen und kritisch zu betrachten. Sie werden in den Kontext einer internationalen Studie zu Unterschieden in der Frauen­erwerbsbeteiligung gestellt. Im letzten Teil werden schließlich die Ergebnisse zusammengefasst.

1 Geschlechterdifferenzen als Ungleichheitsquelle der modernen Gesellschaft und Emanzipation als Reaktion

In diesem Kapitel sollen kurz verschiedene soziologische Begriffe dargelegt werden, die zum Verständnis der Situation der Frauen in Deutschland beitragen können. Dabei beschäftigt sich das erste Unterkapitel mit der Kategorie des Geschlechts als Quelle der Ungleichheit in modernen Gesellschaften. Im zweiten Unterkapitel wird der Begriff der Emanzipation behandelt, welcher als Gegenbewegung zur Minderung von Ungleichheiten verstanden werden kann.

1.1 Geschlechterdifferenzen als Ungleichheitsquelle

Geschlechterdifferenzen können als wichtige Quelle der Ungleichheit in der modernen Gesellschaft angesehen werden (vgl. Geißler 2002, 363). Die Argumente dafür sollen kurz dargestellt werden. Darauf folgend soll der Begriff der Emanzipation als eine mögliche Gegenbewegung zu Ungleichheitsstrukturen betrachtet werden. Die kurze Einleitung mit diesen beiden Begriffen soll die Rahmenbedingungen für die weiteren Ausführungen zur Stellung der Frau in Ost- und Westdeutschland bzw. DDR und BRD schaffen.

Geschlecht als zentrale soziologische Strukturkategorie bestimmt Handlungen von Individuen über deren soziale Positionierung hinaus. Es beeinflusst ihre subjektiven Haltungen, moralischen Vorstellungen und ihr soziales Handeln. Durch die Kategorie des Geschlechtes werden Männer und Frauen im sozialen Raum positioniert, Geschlecht erscheint als zentraler Bezugspunkt bei der Zuweisung des sozialen Status und damit der gesellschaftlichen Lebenschancen und Lebens­perspektiven. Mit Hilfe der Kategorie Geschlecht lassen sich Machtstrukturen von Geschlechter­beziehungen, Unterdrückungs- und Ausgrenzungsverhält­nisse, Benachteiligungen von Frauen und Männern erklären. Die Geschlechter können ins­besondere in ihrer Differenz als hierarchisches System der Über- und Unterordnung betrachtet werden. Diese Differenz wird innerhalb der Gesellschaft als natürlich begründet. Es wird argu­mentiert, dass es einen natürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern gäbe, der sich scheinbar aus biologischen und psychischen Merkmalen herleitet. Diese Geschlechterdifferenz führt dazu, dass Frauen aus sozialen Räumen ausgeschlossen werden. Dabei wird Frauenbe­langen eine geringere Wichtigkeit als Männerbelangen eingeräumt. Geschlecht als soziale Struk­turkategorie wird auch als natürliches Fundament von Gesellschaft verstanden. Aus dem biologischen Geschlecht wird dabei eine soziale Rolle abgeleitet. Diese eröffnet oder verschließt einem bestimmten Geschlecht angehörenden Personen bestimmte Handlungs­spielräume, Machtressourcen oder Verhaltensweisen und führt damit zur sozialen Wirklichkeit (vgl. Bublitz 2002, 90 f.).

Die Bestimmung der Position der Frauen erfolgt in doppelter Hinsicht. In natürlicher Hinsicht sind Frauen Geschlechtswesen und damit über private Reproduktionsaufgaben definiert. Dabei repräsentieren sie das untere Ende der geschlechtlichen Hierarchie. In die soziale Hierarchie sind sie in der Hinsicht auf gesellschaftliche Arbeit und Beruf eingeordnet. Sie er­schei­nen als Berufsmenschen und Angehörige einer sozialen Schicht, aber auch ihre Zuge­hörig­keit zum Geschlecht ist entscheidend. Sowohl in der Geschlechter- als auch in der Klas­sen­hierarchie befinden sich Frauen am unteren Ende, damit erfahren sie eine „doppelte Ver­gesell­schaftung” und eine „doppelte Unterdrückung” (Becker-Schmidt in Bublitz 2002, 92).

Das hat zur Folge, dass im Bereich der Erwerbsarbeit Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit mit Lohndiskriminierungen oder erschwerten beruflichen Aufstiegs­möglichkeiten kämpfen müssen (s. auch Kap. 2.1.2). Frauen sind zudem mit Lohn- und Hausarbeit stark belastet, was ihre Teilnahme in anderen gesellschaftlichen Bereichen erschwert. Diese Belastung kann nur durch die verstärkte Einbeziehung von Männern in die Hausarbeit geändert werden (vgl. Bublitz 2002, 92).

Sozialstrukturelle Ungleichheit bestärkt die geschlechtsspezifische Ungleichheit von Frauen, welche einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen an gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritt widerspricht. Sichtbar wird dies anhand der Tatsache, dass in einflussreichen, machtvollen Bereichen kaum Frauen vertreten sind. Je weniger einflussreich eine gesellschaft­liche Gruppe, je weniger Aufstiegsmöglichkeiten etc., desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in diesem Bereich vertreten sind. Das betrifft alle Gebiete von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, Massenmedien und Bildungswesen (vgl. Bublitz 2002, 92).

Die bestehende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern (weiblich/männlich) scheint ein wesentliches Charakteristikum der Sozialstruktur moderner Gesellschaften zu sein (vgl. Geißler 2002, 365). Nach Geißler (2002) sind die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten etwa mit den schichtspezifischen Ungleichheiten (Differenzierungen) als wesentlich anzusehen. Dies wird damit begründet, dass in industriellen Gesellschaften eine besondere Form durch Arbeitsteilung in Privatsphäre, Arbeitswelt und öffentlichem Leben besteht (vgl. Geißler 2002, 365). Diese Arbeitsteilung entwickelte sich nach dem Idealtypus der bürgerlichen Familie aus dem 18./19. Jahrhundert (vgl. Geißler 2002, 45).

Unterschiede in der Situation von Frauen und Männern lassen sich in unterschiedlichen Soziallagen und Rollenanforderungen erkennen. Geschlechtsspezifische Sozialisations­pro­zesse schlagen sich auf Persönlichkeit, Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen beider Geschlechter nieder (vgl. Geißler 2002, 365).

Für die Analyse von Ungleichheiten sind die geschlechtstypischen Ungleichheiten bedeutsam, die auf eine zugrundeliegende Hierarchie und damit eine strukturelle Benachteiligung der Frau schließen lassen. Diese Ungleichheiten finden sich vor allem in den Bereichen Bildung, Arbeitswelt, Politik und Familie. Die Tendenz zur Minderung sozialer Ungleichheiten zwischen den beiden Geschlechtern scheint ein emanzipatorischer Trend moderner Gesellschaften zu sein (vgl. Geißler 2002, 365 ff.).

1.2 Emanzipation und Frauenemanzipation in Deutschland

Emanzipation bedeutet „die Befreiung von Individuen oder Gruppen aus dem Zustand der Un­mün­digkeit und Abhängigkeit” (Ostner 1995, 55). Aus dem lateinischen und römischen Recht kommend bedeutet das Wort ‘e manicipio’ die Freilassung bis dahin rechtloser abhängiger Haus­haltsmitglieder aus der Gewalt des Hausherrn oder Hausvaters. Eine grundsätzliche, allgemeine Auf­hebung der Gewalt des Hausherrn ist dabei nicht beabsichtigt, die Freilassung bezieht sich auf ein­zelne Personen, z. B. Sklaven und ist ein willkürlicher Akt (vgl. Ostner 1995, 55; Berger 1989, 141).

Berger (1989) beschreibt Emanzipation im soziologischen Sprachgebrauch als eine „Vielzahl historisch spezifischer, zumeist generationenübergreifender sozialer Prozesse, in denen sich Individuen bzw. Gruppen aus wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnissen selbst befreien.” (S. 141, Hervorhebung im Original). Diejenigen Individuen oder Gruppen bringen Emanzipationsprozesse voran, die vom Wandel des Macht­gefüges im sozialen Wandel profitieren und ihr Machtpotential mit der Stärkung ihrer Po­sition realisieren wollen. Emanzipationsprozesse laufen zwischen machtstärkeren und macht­schwächeren Gruppen ab. Die machtschwächeren Positionen sind durch Ausschluss von öko­nomischen Ressourcen, sozialen Chancen, politischen Rechten und kultureller Teilhabe ge­kennzeichnet. Emanzipationsprozesse ziehen einen Wandel der Sozialstruktur mit sich, dieser kann evolutionär (funktional-integratives Einfügen in die bestehende Sozialstruktur) oder revolutionär (radikale Veränderung der bestehenden Verhältnisse) sein (Berger 1989, 141).

Der Emanzipationsbegriff wird mit der Proklamation der Menschenrechte in Europa und Nordamerika und mit dem Kampf des Bürgertums gegen feudale, absolutistische und ständische Vorrechte in den bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts begründet. Ostner unterscheidet politische und menschliche Emanzipation, wobei sich die politische Emanzipation auf die Freiheit des einzelnen ohne Unterschiede von Geburt, Stand etc. bezieht und zur menschlichen Emanzipation führt. Politische Emanzipation in bürgerlichen Gesellschaften lässt ähnlich wie der ursprüngliche Begriff ‘e manicipio’ soziale Benachteiligungen bestehen. Die menschliche Emanzipation fußt auf die „droits de l’homme“ (Parolen: Freiheit, Gleichheit, Sicherheit, Eigentum). Diese Menschenrechte beziehen sich auf beschränkten Interessen des einzelnen Menschen. Der Unterschied von politischer und menschlicher Emanzipation ist für die Frauenfrage wichtig. Denn hatte die Emanzipation in der Aufklärung für Frau und Mann gleichermaßen gegolten, wurde sie während der französischen Revolution als Rechte des Mannes uminterpretiert. Frauen waren im Haushalt eines Mannes mitgedacht, als Ehefrauen und Töchter somit unmündige Wesen. Im Jahre 1977 wurden im BGB der BRD (s. Kap. 2.1.2) die letzten Überreste männlicher Vorherrschaft dieser Denktradition abgeschafft (vgl. Ostner 1995, 55 f.; Berger 1989, 141 f.).

Im 18. Jahrhundert war die Rechtfertigung für die Sonderbehandlung der Frau auf die Besonderheit der Frau als Gattin und Mutter begründet. Der Feminismus versucht, die Emanzipation der Frau zu verwirklichen, z. B. gleiche politische Rechte für Frauen zu erstreiten (vgl. Ostner 1995, 55).

Die Frauenemanzipation hat ihren Ursprung im späten 18./frühen 19. Jahrhundert. Von einigen bürgerlichen Intellektuellen wurde die politische und die soziale Gleichstellung der Frau gefordert. Die Frauenbewegung findet ihren Ursprung in dem von Louise Otto-Peters 1965 gegründeten „Allgemeinen Deutschen Frauenverein”. Mit anderen Vereinen zusammen wurde 1894 der „Bund Deutscher Frauenvereine” gegründet. Zunächst ging es um die Quelle der Macht: der Zugang zu Berufsausbildung, qualifizierter Berufstätigkeit und entsprechende Arbeitsmärkte. 1919 folgt erst das Wahlrecht für Frauen (vgl. Berger 1989, 142; Bundeszentrale für politische Bildung 1997, 9 ff.).

Heute haben in der BRD (Westdeutschland) Frauen weitgehend die gleichen zivilen, politischen und sozialen Rechte und Pflichten wie Männer (außer z. B. Wehrpflicht). Die sozialen Rechte wirken vor allem emanzipatorisch. Die Ausdehnung sozialstaatlicher Leistungen hat die Teilhabe und Ausstiegspositionen aus z. B. einer schlechten Ehe oder aus dem Arbeitsmarkt, eröffnet. Frauenspezifische Benachteiligungsstrukturen wurden damit kompensiert aber nicht abgeschafft (vgl. Ostner 1995, 56 f.).

2 Die Stellung der Frau im Vergleich DDR – BRD
(Ost-/Westdeutschland) in soziologischen Studien

Im folgenden Abschnitt werden verschiedene soziologische Studien beschrieben, die sich auf den Vergleich der Situation der Frauen in DDR und BRD beziehen. Ziel ist es, die ihnen zugrundeliegenden Grobstrukturen herauszufiltern und zwei idealtypische Lager der Betrachtungsweise der Stellung der Frauen im Vergleich von DDR und BRD herauszufinden. Besonderer Wert wird auch auf die theoretischen Erklärungsansätze gelegt.

Erster Autor ist Rainer Geißler, der die beiden verschiedenen Gesellschaftssysteme DDR und BRD hinsichtlich ihrer Bildungs- und Arbeitsmarktchancen sowie der politischen Partizipation und familiären Situation von Frauen untersucht. Dagmar Deutschmann-Temel erforscht die Vergleichbarkeit oder Unvergleichbarkeit von Arbeitszeitformen der Frauenerwerbsarbeit in der ehemaligen DDR und alten Bundesrepublik. Sibylle Meyer und Eva Schulze beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Wende auf die Frauen in ihrem familialen Kontext. Oliver Hülser erforscht die Frauenerwerbstätigkeit in DDR und BRD im Transformationsprozess der Wende, wobei er die Bedingungen der beiden Gesellschaften aufzeigt und ein strukturell-individua­listisches Handlungsmodell zugrunde legt. Heike Trappe und Rachel A. Rosenfeld arbeiten die geschlechtspezifische Segregation in der DDR und der BRD im Verlauf der Zeit und im Lebenslauf heraus, dabei wenden sie Makroebenen­erklärungen und neoklassische Über­legungen als theoretische Erklärungsmodelle an.

Die Argumentationslinien der einzelnen Verfasserinnen und Verfasser wurden mehr oder weniger umfassend dargelegt. Die Ausführungen der Arbeit Geißlers als erste enthalten die Einzelheiten der Ausprägungen der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in Ost- und Westdeutschland, DDR und BRD am ausführlichsten. Bei den folgenden Arbeiten wurden schon vorgebrachte Argumente teilweise verkürzt dargestellt, da es vor allem um die Interpretation/um den Befund zur Stellung der Frau in DDR und BRD ging und nicht um den Vergleich der Verwendung empirischer Daten. Es wurde außerdem versucht, die Ausführungen auf die Sicht der Stellung der Frauen zu den Zeiten von DDR und BRD (1949 - 1990) zu beschränken.

2.1 Geißler: Die Entwicklung von sozialen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in Deutschland

In DDR und BRD waren die Situationen der Frau verschieden, neben Gemeinsamkeiten gab es zahlreiche Unterschiede. Da in der DDR die Gleichstellung der Frau von vornherein zum Ziel der sozialistischen Gesellschaft erhoben wurde, spricht Geißler von einer „Emanzipation von oben”. Sie vollzog sich paternalisitisch-autoritär, da sie von Männern gesteuert und dem öffentlichen Diskurs entzogen wurde. Die Emanzipation war ideologisch, politisch und ökonomisch motiviert. Ideologisch fügte sich das Bild der Gleichheit von Frauen und Männern in das Ideal der kommunistischen Gesellschaft ein. Durch den Abbau der Nachteile den Frauen gegenüber sollten sie politisch für das System gewonnen werden. Auf ökonomischer Ebene stellten die Frauen ein wichtiges Arbeitskräftepotential dar (Geißler 2002, 365 f.).

Für die BRD wird von einer „Emanzipation von unten” gesprochen, da sie demokratisch-öffentlich passierte. Allerdings hatte sie nicht denselben politischen Stellenwert wie in der DDR. Die Emanzipation der Frauen ging von ihnen selbst aus, d. h. von Frauengruppen, Frauenbewegungen und -organisationen. Ihre Forderungen wurden nur zögerlich im politischen System umgesetzt (ebd., 366).

Die Wandlung der geschlechtspezifischen Unterschiede in beiden deutschen Gesellschaften wird von Geißler auf der Basis empirischer Daten untersucht. Sein Bezug erfolgt vor allem auf die Bereiche Bildung, Arbeit, Politik und Familie. Geißler interpretiert das Datenmaterial auf die Fragen nach den Gründen und Typen der Veränderung der Lebenschancen der Frauen in beiden deutschen Staaten. Er versucht, unterschiedliche Entwicklungen in Ost und West aufzuzeigen und die Hindernisse für einen weitergehenden Abbau geschlechtspezifischer Ungleichheiten darzustellen (ebd., 366).

2.1.1 Ungleichheiten im Bildungssystem

Nach Geißler (2002) ist der Bildungssektor derjenige, in dem sich Ungleichheiten vergleichsweise am einfachsten abbauen lassen. Dies zeige die Erfahrung der Nachkriegsjahrzehnte in Deutschland. Der Abbau von Ungleichheiten verlief während 1950er bis 1970er Jahre progressiv und in der DDR eher und umfassender als in der BRD, da dies durch die sozialistische Bildungspolitik nach dem Vorbild der marxistischen Frauenbewegung (Clara Zetkin) Vorraussetzung für die Gleichstellung der Frau im Berufsleben war. Die Förderung von Frauen im Bildungswesen erhielt in der DDR Verfassungsrang (Artikel 20 der Verfassung der DDR von 1968/1974). Währenddessen wurden in der BRD während der Reformdiskussion der 1960er Jahre die Forderung von äquivalenten Bildungschancen für Mädchen laut (Geißler 2002, 367).

Im Bereich der allgemeinen Schulbildung gab es eine Entwicklung vom Bildungsdefizit der Mädchen zum Bildungsvorsprung. Die Gleichstellung wird in der DDR im Bereich der Erwei­terten Polytechnischen Oberschule (Gymnasialniveau) in den 1960er Jahren erreicht. 1963/64 betrug der Anteil der jungen Frauen 48 %, 1975/76 bereits 53 %. In der BRD holten die Mädchen die Jungen etwa 15 Jahre später, Anfang der 1980er Jahre ein (Geißler 2002, 367 f.).

1965 waren noch etwa drei Viertel aller Hochschulabsolventen in beiden deutschen Staaten Männer. In der DDR wurden die Chancen der Frauen auf ein Hochschulstudium innerhalb eines Jahrzehnts denen der Männer ähnlich gestaltet, vor allem durch die staatliche Reglementierung des Studiums und die Schaffung frauenfreundlicher Studienbedingungen. In der BRD stieg der Frauenanteil von 27 % 1965 auf 36 % im Jahre 1975 und 40 % in den 1980er Jahren. Es herrschte Geschlechtstypik der Studienwahl. In der DDR wurde diese durch eine verstärkte Förderung und Drängung der Frauen zu männertypischen Studiengängen wie Ingenieur- oder Naturwissenschaften vermindert (Geißler 2002, 368 f.).

Die größten Probleme der Gleichstellung der Geschlechter stellen sich im Bildungswesen bei der Berufsausbildung. Bei der Besetzung von gut bezahlten und karriereoffeneren Ausbildungsplätzen sind junge Frauen mehrfach benachteiligt. Frauen sind in Vollzeitschulen überrepräsentiert, diese dauern lange und sind teuer und lassen sich kaum entsprechend am Arbeitsmarkt umsetzen. Die duale Berufsausbildung ist männerorientiert, Frauen erhalten schlechter eine Lehrstelle und werden schlechter in den Beruf übernommen oder müssen ihre Laufbahn auf einem niedrigeren Statusniveau beginnen. Außerdem sind junge Frauen auf wenige Ausbildungsberufe zusammengedrängt. In der DDR konnten diese geschlechts­typischen Faktoren gemildert werden. Trotzdem konzentrierten sich 1987 mehr als 60 % der Schulabgängerinnen auf 16 von 355 möglichen Lehrberufen, vorwiegend im Dienst­leistungssektor. Die Konzentration auf typische Frauenberufe hängt neben Berufsinteressen auch von der Rekrutierungspraxis der Betriebe ab, die in beiden deutschen Staaten Männer bevorzugte. Zusätzlich wurden in der DDR durch die staatliche Lenkung Frauen aus Männerberufen gedrängt, aber auch Männer aus Frauenberufen (ebd., 370 f.).

2.1.2 Ungleichheiten in der Arbeitswelt

Die besseren Bildungschancen von Frauen lassen sich nicht analog in bessere Berufschancen umsetzen, wie sich anhand der Lage in der Berufsausbildung schon erahnen lässt (Geißler 2002, 372).

Die Erwerbsquoten der Frauen der DDR befanden sich auf einem internationalen Spitzenniveau von 92 % der 25- bis 60-jährigen Frauen. Wie schon erwähnt hatte diese hohe Erwerbstätigkeit der Frau ideologische Hintergründe, welche gut mit den ökonomischen Notwendigkeiten harmonierten. Die Wirtschaft der DDR litt aufgrund der niedrigen Produktivität und dem Abwanderungsdruck an einem Arbeitskräftemangel. Zudem diente das Einkommen der Frau der Sicherung des Lebensstandards der Familie, 40 % trugen die Frauen zu Haushaltseinkommen bei. 27 % der Frauen waren teilzeitbeschäftigt, obwohl dies in der DDR ideologisch und ökonomisch unerwünscht war (Geißler 2002, 372).

[...]

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Die Stellung der Frau im Vergleich Ost-/Westdeutschland (DDR - BRD): Befunde und theoretische Erklärungsansätze
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Soziologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2003
Seiten
37
Katalognummer
V19143
ISBN (eBook)
9783638233279
ISBN (Buch)
9783638686952
Dateigröße
773 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Stellung, Frau, Vergleich, Befunde, Erklärungsansätze, BRD
Arbeit zitieren
Magistra Artium Denise Demnitz (Autor:in), 2003, Die Stellung der Frau im Vergleich Ost-/Westdeutschland (DDR - BRD): Befunde und theoretische Erklärungsansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19143

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