Demokratie und Religion: Rawls, Habermas, Rorty – Ansätze und ihre Kritik

Demokratie und Religion zwischen Säkularisierung und Resakralisierung


Essay, 2012

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Teil 1: Rawls, Habermas, Rorty – Ansätze und ihre Kritik

a) „Liberalism is … the religion of secularism.“

Die Ansätze von Rawls, Habermas und Rorty gehören in der Politikwissenschaft zu den meistdiskutierten der vergangenen Jahrzehnte[1]. Durch die Säkularisierung der westlichen Welt stehen Religion und Politik im öffentlichen Raum in einem Spannungsfeld. Eine besonders intensive Debatte ist um den Status religiöser Argumente im öffentlichen Raum entbrannt. Theoretiker liberaler Prägung verweisen dabei Religion in ihren Konzeptionen und Utopien in unterschiedlichem Ausmaß in die Sphäre des Privaten. Rawls und Habermas bieten dabei umfassende Konzeptionen für das sich verschärfende Problem der säkularen Moderne an. Ein Gegengewicht dazu bietet Rorty: Als bedeutender Vertreter des Neopragmatismus stellt er den vernunftbasierten Konzepten von Habermas und Rawls eine Utopie der Empfindsamkeit gegenüber, die die Existenz von universellen Wahrheiten verneint, die empirische Brauchbarkeit pragmatischer Lösungen in den Mittelpunkt stellt und Religion strikt ins Private verweist.

Der Hinweis auf die Richtigkeit dieser Vorgehensweise wird häufig mit dem Prozess der Säkularsierung begründet, die notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Demokratie und Religionsfreiheit sei. Dabei stehen die modernen westlichen säkularen Staaten allerdings vor einem Dilemma im Sinn des Böckenförde-Diktums: Wenn religiöse Gründe als Quelle staatlicher Legitimation ausfallen, besteht die Gefahr dass „der freiheitliche, säkularisierte Staat (…) von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann.“ Der Wegfall göttlicher Staatslegitimation kann also nach Meinung einiger Kritiker, besonders den Theologen, zu einer „moralischen Leerstelle“ und zu einem „Werte-Nihilismus“ führen, der nach Ansicht liberaler Theoretiker mit ihren Konzeptionen zu füllen sei, da diese die höchste Zustimmungsfähigkeit implizierten.

Es ist allerdings höchst fraglich, ob die Legitimität und scheinbar natürliche Selbstverständlichkeit, Religion mehr oder weniger in den subjektiven Privatbereich zu drängen, in der Art und Weise angemessen ist, wie Rawls, Rorty und auch Habermas dies unterstellen. Der vorliegende Essay stellt in einem ersten Schritt die Ansätze von Rawls, Habermas und Rorty vor, um sie dann in einem zweiten Schritt kritisch zu beleuchten. Schlussendlich wird ein Fazit gezogen, dass kurz bewerten soll, inwieweit die drei Ansätze tragfähig sind und das politikwissenschaftliche Problem im Spannungsfeld zwischen Politik und Religion zu lösen vermögen.

b) Rawls, Habermas und Rorty – Die Ansätze

John Rawls zweites Hauptwerk nach der Theorie der Gerechtigkeit (1971) stellt die Konzeption in Politischer Liberalismus dar. Hier entwirft er eine umfassende Konzeption, die sich der Suche nach einer stabilen „vernünftigen Basis sozialer Einheit“ widmet und die Frage stellt, wie man eine gesellschaftlich-politische Ordnung finden kann, die auch religiöse Menschen aus vernunftbasierten Gründen bejahen können. Dabei geht er in seinem normativen Anspruch über einen als unzureichend empfundenen modus vivendi hinaus. Rawls will das Ideal das sog. überlappenden Konsens erreichen. Im Anschluss an das in der Theorie der Gerechtigkeit entworfene zentrale Moment von Gerechtigkeit als Fairness entwirft Rawls das Konzept des öffentlichen Vernunftgebrauchs, mittels dessen der überlappende Konsens erreichen soll. Rawls betont, dass sich die folgenden Vorschläge ausschließlich auf die Diskussion im öffentlichen Raum beziehen und nicht für private Diskussionen oder die Sphäre der Hintergrundkultur gelten. Dabei stellt er klar, dass er die Ausarbeitung einer Konzeption auf liberaler Grundlage für die zustimmungsfähigste hält, erkennt aber an, dass es auch andere vernunftbasierte Lehren nichtliberaler Prägung gibt. Rawls will eine „freistehende“ Konzeption präsentieren, da er anerkennt dass in der Zeit der Moderne ein faktischer Pluralismus umfassender Lehren besteht. Deshalb beruft sich Rawls darauf, eine ausschließlich politische Konzeption entworfen zu haben, also eine, die ausschließlich auf staatlich-demokratietheoretischer Ebene greift und hauptsächlich formale Kriterien bereitstellt, da eine generelle „Lehre vom Guten“ heute weder zentrales Problem ist, noch angesichts des vorherrschenden Pluralismus auf individuelle Zustimmungsfähigkeit hoffen kann.

Das Konzept des öffentlichen Vernunftgebrauchs ist ein idealistisch-liberaler Entwurf auf normativer Grundlage. Gemäß dem liberalen Erbe folgt er den Idealen der Herrschaftsfreiheit und der Begrenzung von staatlich-souveräner Macht. Aus diesem Grund sieht der öffentliche Vernunftgebrauch vor, dass Bürger und vor allem Personen des öffentlichen Lebens wie Parlamentsabgeordnete oder Richter sich in einem öffentlichen Diskurs unter bestimmten Bedingungen zusammenfinden. In einem Forum mit idealer Beschaffenheit sollen die Personen über zentrale moralische Fragen verfassungsrelevanten Ranges diskutieren, alle Positionen abwägen und so zum überlappenden Konsens gelangen. Der zentrale Punkt des öffentlichen Vernunftgebrauchs ist das Rechtfertigungsprinzip sozialer Interaktion, dass besagt dass relevante Entschlüsse und eigene Positionen einer vernünftigen Rechtfertigung bedürfen. Mittels des Reziprozitätskriteriums soll gewährleistet werden, dass in der Diskussion nur Argumente vorgebracht und akzeptiert werden, von denen das Gegenüber annehmen kann, das diesen vernünftigerweise zugestimmt werden kann. Das Besondere am öffentlichen Vernunftgebrauch ist, dass die Beteiligten nicht nur von der jeweils vernünftigsten Lösung überzeugt werden sollen, sondern diese als die Beste akzeptieren sollen. Rawls erkennt an, dass der überlappende Konsens nicht immer zu einer Lösung führt, deshalb soll bei strittigen Fragen der Mehrheitsentscheid angewandt werden.

Religiöse Argumente, die Teil sog. umfassender Lehren sind, sind gemäß der „einschließenden Sichtweise“ auch zugelassen, insofern sie vernünftig sind. Dies bedeutet auch, dass dass die Vertreter umfassender Lehren vernünftig sein müssen, denn nur vernünftige Bürger vertreten auch vernünftige Lehren. Thomas M. Schmidt weist aber berechtigterweise darauf hin, dass damit auch einher gehe, dass die Frage nach der epistemischen Qualität von Begründungen überhaupt aufgeworfen werde, da sich die Frage nach der Legitimität von Überzeugungen generell stellt.

Jürgen Habermas kritisiert Rawls in und stellt ihm sein eigenes Konzept gegenüber. Er beruft sich in liberaler Tradition auf menschliche Vernunft sowie die demokratische Legitimation der Religionsfreiheit. Wie Rawls betont er die epistemische Qualität des Prozesses des demokratischen Diskurses, jedoch bringt er gegen Rawls gewichtige Einwände hervor, auf deren Basis unter anderem später seine eigene Konzeption fußt.

Habermas kritisiert, die von Rawls geforderte Trennung des öffentlich-privaten Raums, die parallel zur Dichotomie säkular-religiös verläuft, bringe nicht zumutbare kognitive Lasten für den religiösen Bürger mit sich. Rawls´ Prinzip fordere eine „artifizielle Aufspaltung“[2] des Bewusstseins des Bürgers, welche unmöglich zu bewerkstelligen sei. Der Bürger könne nicht zwischen zwei Identitäten hin- und herwechseln, die man ohnehin nicht voneinander trennen könne. Auch Ulrich Willems merkt kritisch an, religiöse Menschen begriffen ihre religiöse Identität ganzheitlich und diese sei integraler Bestandteil ihrer Existenz. Dies führe zu „asymmetrischen Begründungslasten“ für religiöse Bürger, die so nicht hinnehmbar seien.

Weiterhin kritisiert Habermas, Rawls´ Entwurf würde den Beitrag des Christentums und der Kirchen zu Demokratie und Menschenrechten nicht weitgehend genug würdigen. Habermas fordert deshalb die gleichberechtigte Einbeziehung der Religion in den öffentlichen Diskurs. In diesem Zusammenhang steht auch die These einiger Politiktheoretiker und Religionssoziologen wie Casanova, das Christentum habe einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie und das moderne Freiheitsverständnis gehabt. Auch die Säkularisierung, laut Casanova ein „europäischer Sonderweg“[3], sei auf Initiative des Christentums als innerkirchliche Säkularisierung entstanden. Somit könne man religiöse Argumente also nicht per se wegen mangelnder Zustimmungsfähigkeit, antidemokratischer Haltung oder Irrationalismus ausschließen, schlussfolgert auch Ulrich Willems. Er kritisiert folgerichtig, es sei falsch und entziehe sich jeder argumentatorischer Grundlage, die ganze Klasse religiöse Argumente „in Sippenhaft“ zu nehmen und vom öffentlichen Diskurs auszuschließen.

Habermas schließt religiöse Argumente nicht kategorisch aus, sondern fordert im Rahmen seiner Diskursethik und der Theorie des kommunikativen Handelns eine „Übersetzung“ in säkulare Argumente in Sinn eines „säkularen Filters“. Habermas´ Konzeption, auch das der sprachwissenschaftlich inspirierten „Übersetzung“, beruht auf der pragmatistischen Sprechakttheorie Searles, welche das Herstellen einer „idealen Sprechsituation“ als ideale Kommunikationssituation forciert. Ist diese ideale Situation hergestellt, kann laut Habermas ein fruchtbarer öffentlicher Diskurs stattfinden. Dieser weist durch seine Einbettung in das Prinzip der deliberativen Demokratie per se eine epistemische Qualität auf, da mittels rationaler Verhandlung und kommunikativer Vernunft neue Erkenntnisse gewonnen werden und Individuen gerechtfertigte Positionen anderer kennenlernen und erörtern. Hier gelten die Kriterien der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit. Außer der kollektiven Übersetzungsleistung ist außerdem eine politische Kultur von Toleranz und Empathie nötig, die über die reine Duldung divergierender Position hinausgeht. Habermas stellt hohe Anforderungen an beide Parteien: religiöse Bürger sollen die säkulare Verfasstheit des Staates anerkennen und in sich offen mit dem weltanschaulichen Pluralismus auseinandersetzen. Säkulare Bürger sollen den kognitiven Gehalt religiöser Positionen akzeptieren und anerkennen, dass säkularen Argumenten keine epistemische Überlegenheit innewohnt. Habermas fordert einen Mentalitätswandel hin zur postsäkularen Gesellschaft. Dieser beinhaltet dass westliche Gesellschaften anerkennen, dass Religion keine zeitlich begrenzte Modeerscheinung ist.

Gemeinsam ist Rawls und Habermas der rationale normative Ansatz, einen gesellschaftlichen Konsens über die vernünftige Verhandlung im öffentlichen Raum zu erreichen. Durch diese Vorgehensweise wird für beide Theoretiker liberaler Prägung aus pluraler Basis Legitimität erzeugt, welches dem liberalen Ideal der Herrschaftsfreiheit bzw. –begrenzung entspricht. Beide versuchen eine Art volonté general herzustellen, in dem das überpersonale Gemeinwohl mittels eines überlappenden Konsens über Individualbefindlichkeiten gestellt wird. Außerdem stellen sie hohe kognitive, rationale und informationstechnische Anforderungen an Individuum und Gesellschaft.

Beide Ansätze sind stark vernunft- und konsensbasiert und stehen so Richard Rortys neopragmatistischem Ansatz diametral gegenüber. Rorty entwirft ein gänzlich anderes Konzept, dass er selbst als Utopie bezeichnet. In pragmatischer Tradition verweigert er die Suche nach universalen Wahrheiten und epistemischen Erkenntnissen. Rorty ist an der Lösung des Problems interessiert, dass er im Einklang mit Habermas und Rawls beschreibt, aus dem er jedoch gänzlich andere Schlüsse zieht.

[...]


[1] Willems, Ulrich: Religion als Privatsache? Alle Zitate beziehen sich, soweit nicht anders genannt, auf Texte im zum Seminar gehörigen Reader.

[2] Iser, Mattias, Strecker, David: Jürgen Habermas zur Einführung. Hamburg, 2010

[3] Casanova, Jose: Europas Angst vor der Religion, Berlin, 2009. S. 16

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Demokratie und Religion: Rawls, Habermas, Rorty – Ansätze und ihre Kritik
Untertitel
Demokratie und Religion zwischen Säkularisierung und Resakralisierung
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
2,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V191359
ISBN (eBook)
9783656161127
ISBN (Buch)
9783656161639
Dateigröße
557 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
demokratie, religion, rawls, habermas, rorty, ansätze, kritik, säkularisierung, resakralisierung
Arbeit zitieren
Sabrina Mazzola (Autor:in), 2012, Demokratie und Religion: Rawls, Habermas, Rorty – Ansätze und ihre Kritik , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191359

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