Hanna Schygulla. Der deutsche Weltstar


Fachbuch, 2012

49 Seiten


Leseprobe


Vom Star des jungen deutschen Films zum deutschen Weltstar entwickelte sich die Schauspielerin Hanna Schygulla. Sie wurde in den 1970-er Jahren vor allem durch ihre Auftritte in Filmen des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) bekannt. Später wirkte sie erfolgreich in zahlreichen internationalen Produktionen mit und begann eine neue künstlerische Karriere als Chansonsängerin.

Hanna Schygulla kam am 25. Dezember 1943 in Königshütte (Oberschlesien), heute Chorzów in Polen, als Tochter des Holzhändlers Joseph Schygulla und seiner Ehefrau Antonie, geborene Mzyk, zur Welt. Ein Arzt hatte ihrer Mutter eine Spritze gegeben, um die Geburt über den Heiligen Abend hinauszuzögern.

Die Mutter erzählte später, diese Geburt sei das Schlimmste gewesen, was sie je erlebt habe. Das Geburtsdrama und der etwas seltsame Umgang der Mutter damit prägten vielleicht indirekt das Wesen des Mädchens, das sich später immer einen Stoß geben musste, um zu reden. Von ihrer Mutter erhielt die Neugeborene in letzter Minute den Vornamen Hanna, weil eine Bekannte von ihr so hieß.

1945 zog die Mutter mit der kleinen Hanna in die bayerische Landeshauptstadt München. Der Vater kehrte erst 1948 völlig verstört aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück, als Hanna vier Jahre alt war. Oft sagte der Vater, das Leben sei gar nichts. In dieser negativen Atmosphäre wuchs Hanna auf. Nach dem Abitur am Luisengymnasium in München arbeitete sie ein Jahr lang als Au-pair-Mädchen in Paris.

Ab 1964 studierte Hanna Schygulla, die ursprünglich Lehrerin werden wollte, Germanistik und Romanistik in München. 1966/1967 nahm sie nebenbei Schauspielunterricht am „Fridl-Leonhard-Studio“, wo sie Rainer Werner Fassbinder kennen lernte. Der bisexuelle Regisseur war eines der großen Talente des neuen deutschen Films, schuf markante Produktionen für Bühne, Film und Fernsehen und schockierte nicht selten durch die Wahl seiner Themen.

Im September 1967 arbeitete Hanna Schygulla am Münchner „Action-Theater“, das im Juni 1968 aus „feuerpolizeilichen“ Gründen geschlossen wurde. Nach Meinung des Ensembles geschah dies aus politischen Gründen. Daraufhin gründete ein Teil der Gruppe – darunter Hanna Schygulla, Peer Raben (1940–2007) und Fassbinder – das „antitheater“ in München. Dort wirkte Hanna in der Bearbeitung des Stückes „Antigone“ von Raben als eine von vier Antigones mit.

Auf der Kinoleinwand war Hanna Schygulla erstmals in dem Kurzfilm „Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter“ (1968) von Jean-Marie Straub zu sehen. Dann folgten unter anderem die Streifen „Jagdszenen aus Niederbayern“ (1969) von Peter Fleischmann, „Liebe ist kälter als der Tod“ (1969), „Katzelmacher“ (1969), „Das Kuckucksei im Gangsternest“ (1969), „Der Räuber Mathias Kneißl“ (1970) und „Götter der Pest“ (1970) von Rainer Werner

Fassbinder.

1970 erhielt die viel versprechende Nachwuchsdarstellerin das „Filmband in Gold“ für „Liebe ist kälter als der Tod“, „Katzelmacher“ und „Götter der Pest“. Im Schwarz-Weiß-Film „Katzelmacher“ spielte sie die Rolle der Marie so lebendig, dass man meinte, sie in Farbe zu sehen. Ein weiteres „Filmband in Gold“ nahm sie für „Der Räuber Mathias Kneissl“ (1970) und den Western „Whity“ (1971) entgegen.

Von ihren Eltern wurde Hanna Schygulla bei ihrer künstlerischen Karriere nicht unterstützt. Hanna kann sich nicht daran erinnern, mit den Eltern zusammen jemals einen ihrer Filme angeschaut zu haben. Über die Kinokarriere ihrer Tochter waren die Eheleute Schygulla sehr beunruhigt. Schließlich strebte diese nicht mehr den sicheren Lehrerberuf an und hatte zudem mit dem Bürgerschreck Fassbinder zu tun. Später gestand die Mutter aber, früher selbst heimlich von einer Karriere als Schauspielerin geträumt zu haben.

Einem größeren Publikum in Deutschland wurde Hanna Schygulla in der fünfteiligen Fernsehserie „Acht Stunden sind kein Tag“ (1972) von Fassbinder bekannt. Außerdem sah man sie in den TV-Filmen „Bremer Freiheit“ (1972), „Haus am Meer“ (1973) und „Wildwechsel“ 1973. Den ersten gemeinsamen Kassenerfolg mit Fassbinder erreichte sie mit dem Kinofilm „Fontane Effi Briest“ (1974).

Während man Hanna Schygulla in Deutschland noch als „Superstar der Subkultur“ bezeichnete, feierte man sie im Ausland bereits als „Vorstadt-Marilyn“. Marilyn Monroe (1926–1962) war Amerikas größter Filmstar. Von 1974 bis 1977 stand Hanna für zahlreiche Filme anderer Regisseure vor der Kamera: etwa in „Falsche Bewegung“ (1974/1975) von Wim Wenders (1975 „Filmband in Gold“) und „Ansichten eines Clowns“ (1975) von Vojtech Jasný.

Hanna Schygullas erster großer internationaler Erfolg war der Streifen „Die Ehe der Maria Braun“ (1978) von Fassbinder. Dafür erhielt sie 1979 das „Filmband in Gold“ und wurde im selben Jahr bei der „Berlinale“ als beste weibliche Darstellerin mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet. „Die Ehe der Maria Braun“ lief wochenlang in New Yorker Kinos. Ein Kritiker jubelte: „Sie ist das ungewöhnlichste Ding, das seit Marlene Dietrich auf uns zugekommen ist“. Auf Filmangebote aus Hollywood ging Hanna aus privaten Gründen nicht ein. 1979 trat sie an den „Münchner Kammerspielen“ auf.

1980 spielte Hanna Schygulla die Hauptrolle in Fassbinders Film „Lili Marleen“ Er schildert das Leben der legendären deutschen Chansonsängerin und Schauspielerin Lale Andersen (1905–1972), die mit dem Schlager „Lili Marleen“ zum Star der nationalsozialistischen Unterhaltungsindustrie avancierte.

Nach dem Tod von Rainer Werner Fassbinder wirkte Hanna Schygulla in den 1980-er Jahren erfolgreich in französischen, italienischen und amerikanischen Filmen mit. Man sah sie in „Die Flucht nach Varennes“ (1982) von Ettore Scola, „Passion“ (1982) von Jean-Luc Godard, „Antonieta“ (1982) von Carlos Saura, „Die Geschichte der Piera“ (1983) und „Die Zukunft heißt Frau“ (1984) von Marco Ferreri, , „Heller Wahn“ (1983) von Margarethe von Trotta sowie „Eine Liebe in Deutschland“ (1983) von Andrej Wajda.

Weil sie in „Passion“ zusammen mit Michael Piccoli ein Hotel führte, ließ sie der Regisseur Jean-Luc Godard in einer Autobahntankstelle die Espressomaschine bedienen. „Jeden Tag sollten wir unsere Erfahrungen aufschreiben, und er hat sie dann eingesammelt“, erzählte sie später belustigt. Leider sei Godard immer chronisch unzufrieden mit sich und allem gewesen, bedauerte sie.

Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde Hanna Schygulla 1983 für ihre Rolle in „Die Geschichte der Piera“ ausgezeichnet. 1984 erhielt die „Frau des Jahres“ einen „Bambi“. 1984/1985 beteiligte sie sich in dem amerikanischen Fernseh-Mehrteiler „Peter the Great“ („Peter der Große“) erstmals an einer amerikanischen Produktion und mimte die russische Zarin Katharina die Große.

Von der renommierten amerikanischen Tageszeitung „New York Times“ wurde Hanna Schygulla als „deutscher Weltstar“ gefeiert. „Time-Magazine“ bezeichnete sie 1985 als „Europas aufregendste Schauspielerin“. Hanna Schygulla ist die einzige deutsche Schauspielerin, die es auf den Titel von „Time-Magazine“ geschafft hat. Dies kommentierte sie später in einem Interview mit den Worten: „Ich habe das damals als eine Nummer zu groß empfunden.“ Das Foto auf dem Titelblatt habe ihr überhaupt nicht gefallen. Man habe ihr etwas ans Kleid gesteckt, das aussah wie ein Orden. Für sie sei es „natürlich schon toll“ gewesen, im „Time-Magazine“ zu sein. Fassbinder habe sich das sehr für sich gewünscht, aber ihr sei es einfach so zugefallen.

Im Fernsehfilm „Barnum“ (1986) über das Leben des amerikanischen Zirkuskönigs Phineas Taylor Barnum (1810–1891) verkörperte Hanna Schygulla die begnadete Sängerin Jenny Lind (1820–1887). Diese machte sich als „schwedische Nachtigall“ in der Welt der Musik einen Namen. Ihre umjubelten Auftritte trugen die Züge heutiger Rock-Konzert-Hysterien: Bei ihrem Gesang wurden Damen ohnmächtig und Herren besinnungslos und mussten weggetragen werden..

In den 1990-er Jahren spielte Hanna Schygulla unter anderem in den Filmen „Abrahams Gold“ (1990), „Schatten der Vergangenheit“ (1991) und „Der Daunenträger“ (1992) mit. In ihren Rollen wirkte sie oft wie eine Schlafwandlerin. Ganz da und doch weit weg.

[...]

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Hanna Schygulla. Der deutsche Weltstar
Autor
Jahr
2012
Seiten
49
Katalognummer
V190886
ISBN (eBook)
9783656159056
ISBN (Buch)
9783656159421
Dateigröße
2386 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Hanna Schygulla, Film, Schauspielerin, Filmschauspielerin
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2012, Hanna Schygulla. Der deutsche Weltstar, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190886

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Hanna Schygulla. Der deutsche Weltstar



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden