Bundesverfassungsgericht vs. Europäischer Gerichtshof?

Kompetenzkonflikte und politische Folgen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

16 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Bundesverfassungsgericht

3. Der Europäische Gerichtshof

4. Beispiel: Entscheidung zum Lissabon-Vertrag
4.1. Neuerungen
4.2. Entscheidung des BVerfG

5. Politische Folgen

6. Fazit

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Fragestellungen rund um die Europäische Union haben in den Sozialwissenschaften mittlerweile Hochkonjunktur. Im Hinblick auf die weit fortgeschrittene europäische Integration ist dies allerdings auch kein Wunder, denn immer mehr Lebensbereiche der UnionsbürgerInnen sind von den Regelungen und Entscheidungen der EU betroffen. Am aktuellen Beispiel von Griechenland zeigt sich dies in teilweise drastischer Art und Weise, aber auch „einfache“ Dinge, wie die Umstellung von staatenweiten zu internationalen Kontonummern, sind durch Absprachen im supranationalen Rahmen beeinflusst. Die angestrebte Überwindung nationaler Grenzen stößt insgesamt selten auf große Zustimmung und wird stattdessen meist mit Argwohn betrachtet.[1] Dabei spielen Stichworte wie nationale Identität oder Souveränität eine verstärkte Rolle.

Aus deutscher Sicht verbinden wir mit diesen Punkten vor allem ein Dokument: das Grundgesetz. Wie wichtig es ist, zeigt sich an der eigens für seinen Schutz geschaffenen Institution in Form des Bundesverfassungsgerichts. Auf der Ebene der Europäischen Union findet sich ein ähnliches Gebilde. Der Europäische Gerichtshof wurde hier errichtet, um unter anderem einen gewissen Grundrechtsstandard zu wahren. Deutschland ist eingebunden in beide Rechtsebenen (Bundesrecht und Gemeinschaftsrecht), womit sich bereits die häufig juristisch diskutierte Frage nach einem Kompetenzkonflikt zwischen den beiden hohen Gerichten andeutet. Ich möchte diese Problematik unter vorrangig politischen Gesichtspunkten in meiner Hausarbeit beleuchten und dabei die juristische Perspektive aus dem Zentrum der Betrachtung nehmen.

Natürlich handelt es sich hier insgesamt um keine „typisch deutsche Diskussion“, aber die Betrachtung aus deutscher Sicht lohnt sich nicht zuletzt aufgrund der einzigartigen Stellung des BVerfG. Im ersten Teil meiner Hausarbeit will ich genau diesen Punktm herausarbeiten, um anschließend den EuGH gegenüberzustellen. Da die Einschätzung hinsichtlich eines politischen Konfliktpotentials möglichst aktuell sein soll, werde ich unter Punkt 4 das Urteil des BVerfG zum Lissabon-Vertrag von 2009 als Beispiel nutzen, welches mich anschließend auf meine Leitfragen zurückführen soll: Existiert tatsächlich ein Konfliktpotential zwischen dem BVerfG und dem EuGH? Wie ist das Verhältnis und wie sind mögliche Konflikte (real)politisch zu bewerten? Die Zusammenfassung dient schließlich einem Fazit und einer persönlichen Einschätzung der Konfliktproblematik.

2. Das Bundesverfassungsgericht

Generell wird zwischen einer „diffusen Verfassungsgerichtsbarkeit“[2] und einer „konzentrierten Verfassungsgerichtsbarkeit“[3] unterschieden, wobei das deutsche System zur zweiten Variante gezählt wird. Das BVerfG ist dabei im Vergleich zu anderen Staaten mit einem ähnlichen System (z.B. Österreich) noch einmal hervorzuheben, da es mit einer hohen Fülle an Kompetenzen und Aufgaben ausgestattet ist und auf Grund dessen eine besondere Stellung genießt. International wird es sicher auch deshalb von vielen Gerichten als Vorbild von Verfassungsgerichtsbarkeit behandelt (vgl. Schlaich & Korioth 2010: 2ff.). Diese Hinweise scheinen mir für die politische Betrachtung in meiner Hausarbeit von großer Bedeutung zu sein und verdienen es daher genauer beleuchtet zu werden.

Die Idee einer gesonderten Verfassungsgerichtsbarkeit steht in Deutschland in einer langen Tradition. Ein Reichsgericht mit dieser Aufgabe sah so bereits schon die Reichsverfassung von 1849 vor, wobei sie aufgrund der politischen Gegebenheiten nicht zum Zuge kam. Auch in der Weimarer Republik gab es Ansätze für ein entsprechendes System.[4] Es ist aber deutlich erkennbar, dass das BVerfG im Bezug auf seine Kompetenzen keinen vergleichbaren Vorläufer hat, sondern eine einzigartige Institution gespeist aus verschiedenen grundlegenden Ideen ist (vgl. Schlaich & Korioth 2010: 1f.). Das Gericht nimmt seit seiner „Eröffnung“ am 28.09.1951 folgende Aufgaben wahr: Kontrolle von Gerichtsentscheidungen, Kontrolle der Exekutive, Kontrolle von Gesetzgebungsakten, Verfassungsgerichtliche Streitentscheidungen zwischen Verfassungsorganen und weitere spezielle Verfahren (z.B. Parteiverbotsverfahren) (Schlaich & Korioth 2010: 4ff.). Der „Hüter der Verfassung“ nutzt als Grundlage für seine Interpretation immer das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Voigt 2006: 65), wodurch er den Grundrechtsschutz in „politisch herausragender, dominierender und zudem auch verfahrensmäßig abschließender Weise“ (Schlaich & Korioth 2010: 14) fördert.

Seine besondere Stellung ist allerdings nicht nur an der Vielzahl von wichtigen Aufgaben erkennbar. Ein weiterer Punkt im Bezug auf den hohen Status des BVerfG ist die weitreichende Autonomie. Es gibt sich selber eine Geschäftsordnung (wie Bundestag und Bundesrat), untersteht keiner Dienstaufsicht, ressortiert nicht bei einem Ministerium, stellt seinen Haushalt selbst und der Präsident ist der oberste Dienstherr der Beamten des Gerichts (vgl. Schlaich & Korioth 2010: 18). Hier stellt sich nun die Frage: Welche Quelle(n) hat der hohe Status des BVerfG?

Als erste und wichtigste Ressource ist die Autorität des Grundgesetzes zu nennen. Nicht umsonst bezeichnet es der derzeitige Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, in seinem Geleitwort für die aktuelle Ausgabe als „das wichtigste Dokument unseres demokratischen Selbstverständnisses“. Es ist konstitutiv für die Bundesrepublik und genießt damit höchste politische Bedeutung. Dennoch ist die Stellung des BVerfG damit nicht selbstverständlich. Gerade in der Anfangszeit der Bundesrepublik unter Kanzler Adenauer wurde der Status des Gerichts immer wieder bestritten. Im Hinblick auf den Regierungsstil von Adenauer und dem generell geringen Interesse von Politikern an einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit für die Praxis ist dies allerdings auch kaum verwunderlich. Mithilfe der „Statusdenkschrift“[5] (ein Katalog von Forderungen, der die Kompetenzen des BVerfG betraf) ging man bewusst auf den Konflikt ein und entschied quasi durch die vom Grundgesetz gegebene Interpretationsmacht (vgl. Art. 93 GG) über den eigenen Status (vgl. Lembcke 2006: 151 – 154). An dieser Begebenheit lässt sich auch deutlich erkennen, dass es sich bei Entscheidungen des BVerfG um Verfassungsrecht, also politisches Recht, handelt. So bezeichnet Oliver Lembcke die „Statusdenkschrift“ und die anschließenden Diskussionen auch als „eine Konfrontation, die im Kern ein politischer Kampf um Anerkennung war“ (Lembcke 2006: 161).

Dass das BVerfG seine Autorität mit der „Statusdenkschrift“ festigte, lässt sich weiterhin an dem Fakt erkennen, dass es quasi über keine Durchsetzungsinstrumente verfügt, die Politiker den Entscheidungen dennoch meist folgen (vgl. Voigt 2006: 65). Doch auch in der Bevölkerung genießen die Richter von Karlsruhe hohes Ansehen. Hier spielt sicher eine weitere Eigenschaft des Grundgesetzes eine wichtige Rolle, die bereits im Zitat von Norbert Lammert erkennbar wurde. Es funktioniert als Identitätsanker („Selbstverständnis“).

Das BVerfG dient der Stabilität der „freiheitlichsten Verfassung, die Deutschland in seiner Geschichte je hatte“, so Norbert Lammert in seinem oben angeführten Geleitwort weiter. Anhand der vorangegangenen Ausführungen und angesichts des konstitutiven Inhalts des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich schon im Vorgriff sagen, dass jeder Eingriff in die Kompetenzen des BVerfG nicht nur eine juristische, sondern vor allem auch eine politische Problematik aufwirft. Es sind hierbei quasi nicht nur rechtliche Grundfragen betroffen, sondern eine gesamte Gesellschaft in ihrem nationalen Selbst- und Souveränitätsverständnis sowie der Schutz der Minderheiten.

[...]


[1] Als Beispiel lässt sich ein aktueller Bericht des Eurobarometers heranziehen (verfügbar unter: http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb73/eb73_first_de.pdf). Die Befürwortung der Mitgliedschaft des eigenen Landes in der EU ist demnach gesunken (vgl. ebd. S. 13).

[2] In diesem Fall liegt die Verfassungsgerichtsbarkeit bei den ordentlichen Gerichten. Eine andere Bezeichnung für diese Form ist auch „Einheitsmodell“.

[3] Eine andere Bezeichnung ist hier auch das „Trennungsmodell“. Es handelt sich sozusagen um eine Verfassungsgerichtsbarkeit in Form eines eigenen Verfassungsgerichtshofes.

[4] Hier in Form des Staatsgerichtshofes, der vorwiegend in Organstreitigkeiten tätig wurde.

[5] Abgedruckt in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 6 (1957), 144 ff.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Bundesverfassungsgericht vs. Europäischer Gerichtshof?
Untertitel
Kompetenzkonflikte und politische Folgen
Hochschule
Universität Leipzig  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Rechtsgrundlagen des politischen Systems
Note
1,1
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V190811
ISBN (eBook)
9783656153887
ISBN (Buch)
9783656154471
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bundesverfassungsgericht, europäischer, gerichtshof, kompetenzkonflikte, folgen, bverfg, eugh, EU, lissabon, grundgesetz, identität
Arbeit zitieren
Eric Heffenträger (Autor:in), 2011, Bundesverfassungsgericht vs. Europäischer Gerichtshof?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190811

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