Die Wirkungen der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auf die Dauerschuldverhältnisse


Diplomarbeit, 2010

106 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

QUELLENVERZEICHNIS

EINLEITUNG UND PLAN DER ARBEIT

KAPITEL 1 ALLGEMEINES ZUR ERKLÄRUNG NACH § 35 ABS. 2 INSO
A. Werdegang des § 35 Abs. 2 InsO
I. Referentenentwurf vom 16. September 2004
II. Regierungsentwurf vom 11. August 2006
III. Stellungnahme des Bundesrates
IV. Gegenäußerung der Bundesregierung
V. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
B. Adressat der Erklärung
I. Erfassung von natürlichen und juristischen Personen
II. Beschränkung auf natürliche Personen
III. Befund
C. Erfasste Tätigkeiten
D. Keine Teilbarkeit der Erklärung
E. Wirkung der Negativerklärung auf zur Erwerbstätigkeit benötigte
Gegenstände
I. Meinungsstand in der Literatur
II. Befund
F. Zeitpunkt und Grundlagen der Erklärungsabgabe
G. Zeitpunkt der Wirksamkeit der Erklärung
H. Entsprechende Anwendung von § 295 Abs. 2 InsO

KAPITEL 2 WIRKUNGEN DER NEGATIVERKLÄRUNG AUF DAUERSCHULD- VERHÄLTNISSE

A. Grundsatz: Fortgeltung der Dauerschuldverhältnisse

B. Meinungsstand in Literatur und Rechtsprechung

I. Für die Enthaftung der Dauerschuldverhältnisse

Inhaltsverzeichnis IV

II. Wider die Enthaftung der Dauerschuldverhältnisse

C. Eigene Untersuchung

I. Prüfung anhand des Wortlauts

1. Vermögen und Ansprüche

a) Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit

b) Ansprüche aus der selbstständigen Tätigkeit

2. Begriff der Dauerschuldverhältnisse

3. Befund

II. Untersuchung anhand der Gesetzesmaterialien

1. Erfassung der Dauerschuldverhältnisse

2. Differenzierung zwischen Alt- und Neuverträgen

3. Befund

III. Zwischenergebnis zu II

IV. Systematische Betrachtung

1. § 35 Abs. 1 InsO: Insolvenzbefangenheit des Neuerwerbs

a) Einbeziehung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse

aa) Gesetzliche Regelung

bb) Zweck der Einbeziehung

cc) Insolvenzbeschlag

(1) Grundsatz

(2) Vertragsverhältnisse

dd) Freigabe aus dem Insolvenzbeschlag

(1) Begriff

(2) Echte Freigabe

(3) Unechte (deklaratorische) Freigabe

(4) Modifizierte Freigabe

(5) Erkaufte Freigabe

(6) Durchführung der echten Freigabe

b) Umfang des insolvenzbefangenen Neuerwerbes

aa) Grundsatz

bb) Anwendbarkeit der §§ 850i, 850a Nr. 3 ZPO

c) Folgen der Insolvenzbefangenheit des Neuerwerbs für Neugläubiger

und die selbstständige Tätigkeit

d) Wirkung der Negativerklärung auf den Neuerwerb

2. Masseverbindlichkeiten

a) Grundsätzliches zu den Masseverbindlichkeiten

aa) Befriedigung

bb) Rechtfertigung der Masseverbindlichkeiten

b) Masseverbindlichkeiten durch Duldung der selbstständigen Tätigkeit

des Schuldners (§ 55 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. InsO)

aa) Verletzung der Erklärungspflicht gem. § 35 Abs. 2 InsO

bb) Duldungs- und Anscheinsvollmacht

(1) Duldungsvollmacht

(2) Ansicht des Bundesarbeitsgerichts

(3) Anscheinsvollmacht

c) Masseverbindlichkeiten durch Dauerschuldverhältnisse

d) Wirkung der Negativerklärung auf Masseverbindlichkeiten

3. Befund zu 1) und 2)

a) Wesen der Negativerklärung

b) Wirkung auf Dauerschuldverhältnisse

4. Beendigung der Dauerschuldverhältnisse in der Insolvenz

a) Kündigungsfristen bei Miet- und Pachtverträgen

b) Kündigungsfristen bei Arbeitsverträgen

c) Keine Beendigung durch „Freigabe“

aa) Urteil des Reichsgerichts vom 17. Oktober 1932

bb) Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Mai 2005

d) Enthaftung nach § 109 Abs. 1 S. 2 InsO

e) Befund

5. Vorschriften zu Schuld- und Vertragsübergang im BGB

a) Grundsatz

b) Regelungen zur Schuldübernahme

c) Betriebsübergang gem. § 613a BGB

aa) Folgen und Zweck des § 613a BGB

bb) Definition des Betriebsübergangs

(1) Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit

(2) Betriebsmittelgeprägte Betriebe

(3) Betriebsmittelarme, durch menschliche Arbeitskraft geprägte Betriebe

(4) Wechsel des Rechtsträgers

(5) Rechtsgeschäftlicher Übergang

cc) Rechte des Arbeitnehmers bei Betriebsübergang

dd) Kein Betriebsübergang durch Negativerklärung

d) Befund

V. Zwischenergebnis zu IV

VI. Untersuchung des Zwischenergebnisses zu IV. anhand des

Normzwecks

1. Ratio legis der Norm

a) Anhaltspunkte in den Gesetzesmaterialien

b) Ergebnis der eigenen Untersuchung

2. Befund

VII. Ergebniskontrolle anhand der Rechtsprechung des Bundes-

arbeitsgerichts

1. Urteil des BAG vom 10. April 2008 - 6 AZR 368/07

a) Leitsatz des Gerichts

b) Sachverhalt

c) Analyse des Urteils

aa) Altarbeitnehmer

bb) Neuarbeitnehmer

(1) Betriebsmittel sind nicht insolvenzbefangen

(2) Betriebsmittel sind insolvenzbefangen

d) Vergleich des Zwischenergebnisses mit dem Urteil

2. Urteil des BAG vom 05. Februar 2009 - 6 AZR 110/08

a) Leitsatz des Gerichts

b) Sachverhalt

c) Analyse des Urteils

d) Vergleich des Zwischenergebnisses mit dem Urteil

3. Befund

VIII. Endergebnis der Untersuchung

FAZIT

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quellenverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gesetzgebungsmaterialien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung und Plan der Arbeit

In der InsO wird die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit einer natürlichen Person im eröffneten Verfahren vorausgesetzt.1 Von Verfassungs wegen kann der Insolvenzverwalter dem Schuldner die Fortführung oder die erstmalige Aufnahme einer solchen Tätigkeit nach h.M.2 nicht untersagen. Es fehlt hierzu an einer Ermächtigungsgrundlage in der InsO. In der Praxis kommt eine Fortführung der bisherigen selbstständigen Tätigkeit des Schuldners oder eine erstmalige Aufnahme einer solchen - mit oder ohne Kenntnis oder der Zustimmung des Insolvenzverwal- ters - häufig vor.

Je nach Art und Umfang des schuldnerischen Unternehmens nutzt der Schuldner hierbei gemietete Räume, geleaste Gegens- tände und beschäftigt Arbeitnehmer. Teils bestanden diese Dau- erschuldverhältnisse schon vor Verfahrenseröffnung, teils hat der Schuldner diese Verträge erstmals nach Verfahrenseröffnung ge- schlossen.

Das nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwirtschafteten Vermögen fällt als sog. Neuerwerb gem. § 35 Abs. 1 InsO zur Mehrung der Befriedigungsbasis der Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) in die Insolvenzmasse. Die Neugläubiger haben damit prak- tisch keine Haftungsgrundlage, da das insolvenzfreie Vermögen praktisch nur aus unpfändbaren bzw. - im Falle freigegebener Gegenstände - wertlosen Gegenständen besteht.3

Dem Verwalter ist es nicht möglich, den selbstständig tätigen Schuldner lückenlos zu überwachen. Er ist in der Praxis vielmehr darauf angewiesen, dass der Schuldner seinen Verpflichtungen gem. § 97 InsO ordnungsgemäß nachkommt. Obstruiert der Schuldner dagegen, steht dem Insolvenzverwalter vorläufig nur die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nach § 98 InsO zu Verfü- gung. Untersagen kann der Verwalter die selbstständige Tätigkeit nicht.

Es besteht demgemäß die Gefahr, dass der Schuldner seine nicht einträgliche Tätigkeit weiterhin fortführt und somit weitere Verbindlichkeiten verursacht, deren Gläubiger aus der Insolvenzmasse Befriedigung verlangen.

Zur Abwehr dieser Gefahr wurden in der Literatur vielfältige Lösungsmöglichkeiten ersonnen. Als eine dieser Lösungsmöglichkeiten wurde eine „Freigabe“ der selbstständigen Tätigkeit aus der Insolvenzmasse diskutiert und gefordert.

Der Gesetzgeber hat diese Forderung aufgegriffen und für die soeben angesprochenen Fälle mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 20074 als Reaktionsmög- lichkeit des Insolvenzverwalters den § 35 Abs. 2 InsO geschaffen, der auf nach dem 01. Juli 20075 eröffnete Verfahren anwendbar ist.

Der Insolvenzverwalter hat nunmehr gegenüber einem selbst- ständig tätigen Schuldner oder einem Schuldner, der eine solche Tätigkeit demnächst aufnehmen möchte, zu erklären, ob Vermö- gen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

Erklärt der Insolvenzverwalter, dass Vermögen aus der selbst- ständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und ob An- sprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden können (Negativerklärung)6, gibt er nach den Vorstellungen des Gesetzgebers das der gewerblichen Tätigkeit gewidmete Vermögen des Schuldner „ (…) einschließlich der da- zugehörigen Vertragsverhältnisse.“7 aus der Insolvenzmasse frei.

Die Auffassung des Gesetzgebers, dass durch die Erklärung des Insolvenzverwalters eine Enthaftung der Masse von den Ver- tragsverhältnissen - somit auch von den Dauerschuldverhältnis- sen - stattfindet, wird in der Literatur geteilt: Mit der Abgabe der Negativerklärung würde das haftungsrechtliche Band zwischen Insolvenzmasse und den Vertragsverhältnissen dauerhaft ge- trennt.8

Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, welche Auswirkungen eine „Freigabe“ nach § 35 Abs. 2 InsO auf die Dauerschuldver- hältnisse hat. Insbesondere ist zu klären, ob die Insolvenzmasse tatsächlich von bereits bestehenden Dauerschuldverhältnisse enthaftet werden kann.

Im ersten Kapitel wird § 35 Abs. 2 InsO zunächst allgemein be- trachtet. In diesem Kapitel wird unter A. der Werdegang der Norm dargestellt werden. Unter B. wird untersucht, welchen tauglichen Adressaten die Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO hat. Die erfass- ten Tätigkeiten werden unter C. aufgezeigt. Dass die Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO nicht dergestalt geteilt werden kann, dass das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Masse ge- hört und Ansprüche aus der selbstständigen Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren wird ebenso dargestellt (unter D) wie die Wir- kung der Negativerklärung auf zur Erwerbstätigkeit benötigte Ge- genstände (unter E). Schließlich werden in diesem Kapitel noch der Zeitpunkt der Erklärungsabgabe (vgl. F), der Zeitpunkt der Wirksamkeit (unter G) und die Abführungspflicht gem. § 295 Abs. 2 InsO unter H. besprochen.

Im zweiten Kapitel wird die Wirkung der „Freigabeerklärung“ auf die Dauerschulverhältnisse eingehend untersucht. Zu Beginn wird der in § 108 Abs. 1 InsO normierte Grundsatz der Fortgeltung bestimmter Dauerschuldverhältnisse kurz unter A. dargestellt um sodann unter B. den Meinungsstand in Literatur und Rechtspre- chung wiederzugeben. Die unter C. vorzunehmende eigene Un- tersuchung prüft die Wirkung der „Freigabeerklärung“ auf die Dauerschuldverhältnisse dabei anhand des Wortlautes der Norm unter I und anhand der Gesetzesmaterialien unter II um danach unter III. ein erstes Zwischenergebnis festzuhalten. Dieses Zwi- schenergebnis wird unter IV. einer systematischen Betrachtung anhand der InsO und des BGB unterzogen. Nach der systemati- schen Betrachtung des § 35 Abs. 2 InsO und seiner behaupteten Wirkung auf die Dauerschuldverhältnisse wird ein weites Zwi- schenergebnis unter V. festgehalten. Dieses Zwischenergebnis wird schließlich an der ratio legis der Norm (VI.) und an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (VII.) überprüft. Nach Abschluss dieser Untersuchung und Überprüfung wird das Er- gebnis unter VIII. festgestellt.

Kapitel 1 Allgemeines zur Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO

A. Werdegang des § 35 Abs. 2 InsO

I. Referentenentwurf vom 16. September 2004

Der „Referentenentwurf zur Änderung der Insolvenzord- nung, des Kreditwesengesetzes und anderer Gesetze“9 sah als Ergänzung des damaligen § 35 InsO10 folgenden Absatz 2 vor:

„Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit auszu- üben, so kann der Insolvenzverwalter erklären, dass Ver- mögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden kön- nen. Die Erklärung ist öffentlich bekannt zu machen.“11

Zur Begründung der Vorschrift führt der Referentenentwurf u.a. an, dass der Insolvenzverwalter häufig ein Interesse habe, zwar den aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Neuerwerb zur Masse zu ziehen, die Masse durch die da- durch begründeten Verbindlichkeiten jedoch nicht zu be- lasten.12

Eine Lösung sei eine - dem § 109 Abs. 1 S. 1 InsO ver- gleichbare - „Freigabe“ des Vermögens, das der gewerbli- chen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazuge- hörigen Vertragsverhältnisse.13 Den Gläubigern, die nach Eröffnung des Verfahrens mit dem Schuldner kontrahiert hätten, ständen die durch die selbstständige Tätigkeit des Schuldners erzielten Einkünfte dann als Haftungsmasse zur Verfügung.14

II. Regierungsentwurf vom 11. August 2006

Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen im September 2005 fand die im Referentenentwurf angedachte Regelung nicht mehr den Weg in die InsO (Diskontinuität). Die neue Bundesregierung griff den Vorschlag des Referentenwurfs auf und beschloss den „Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“.15

Um eine pauschale Besserstellung des selbständig tätigen Schuldners gegenüber den abhängig Beschäftigten zu vermeiden, griff die Bundesregierung die Forderungen der Literatur nach einer entsprechenden Anwendung von § 295 Abs. 2 InsO in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO-RegE auf.16 Die mit der Beurteilung des wirtschaftlichen Erfolges und mit der Ermittlung des Gewinnes verbundenen Probleme soll- ten zudem durch diese Regelung ohne besonderen Ver- waltungs- und Kontrollaufwand gelöst werden können.17

Zur Wahrung der Gläubigerrechte wurde mit § 35 Abs. 2 S. 3 InsO-RegE eine Regelung angefügt, wonach auf Antrag des Gläubigerausschusses bzw. - sofern ein solcher nicht bestellt worden ist - der Gläubigerversammlung, das Ge- richt die Unwirksamkeit der Erklärung des Insolvenzverwal- ters anordnen kann.18

Die schon in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO-RefE vorgesehene Veröffentlichung wurde in § 35 Abs. 3 InsO-RegE über- nommen und wurde um die Veröffentlichung des gerichtli- chen Unwirksamkeitsbeschlusses erweitert. Das Bekannt- machungserfordernis dient dem Nachweis, dass der Insolvenzverwalter die Erklärung nach § 35 Abs. 2 S. 1 In- sO-RegE abgegeben hat und soll den Neugläubigern so- wie dem allgemeinen Geschäftsverkehr über die Enthaftung der Insolvenzmasse für die neuen Verbindlich- keiten informieren.19

Neuerungen für die Vertragsverhältnisse ergeben sich aus der Entwurfsbegründung nicht. Auch der Regierungsent- wurf bezeichnet § 35 Abs. 2 InsO als eine Art „Freigabe“ des Vermögens, das der gewerblichen Tätigkeit gewidmet sei, einschließlich der dazugehörigen Vertragsverhältnisse. Eine hierzu vergleichbare Regelung fände sich bereits in § 109 Abs. 1 S. 2 InsO.20

Die Vorschriften lauteten in der Fassung des Regierungsentwurfes wie folgt:21 „(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit aus- zuüben, kann der Insolvenzverwalter ihm gegenüber erklä- ren, dass Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295 Abs. 2 gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insol- venzgericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.“

III. Stellungnahme des Bundesrates

Der Bundesrat hat zum Regierungsentwurf Stellung genommen.22 Die InsO umfasse zur Verbesserung der Befriedigungs- aussichten der Insolvenzgläubiger auch den Neuerwerb.23 Im Hinblick hierauf hielt der Bundesrat es für erforderlich, die Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 S.

1 InsO-RegE an die vorherige Zustimmung des Gläubiger- ausschusses bzw. der Gläubigerversammlung zu knüp- fen.24

In der Begründung zum Regierungsentwurf wird die An- sicht vertreten, dass die durch den Neuerwerb des Schuldners begründeten Verbindlichkeiten zu Massever- bindlichkeiten werden, sofern der Insolvenzverwalter von der Erklärung gem. § 35 Abs. 2 S. 1 InsO-RegE nicht Gebrauch mache und die Fortführung duldet, da insofern eine Verwalterhandlung vorliege. Dies gelte auch dann, wenn der Schuldner die Verbindlichkeiten unter Einsatz von gem. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegen- ständen begründet.25 Nach der Auffassung des Bundesra- tes war dies aus der beabsichtigten Regelung in keiner Weise nachvollziehbar.26 Im Hinblick auf die in der Literatur streitige Diskussion wurde eine entsprechende Klarstellung in der Norm gefordert.27

Die Vorschriften waren nach der Vorstellung des Bundesrates28 wie folgt zu fassen: „(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit aus- zuüben, so kann der Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses oder, wenn dieser nicht bestellt ist, der Gläubigerversammlung gegenüber dem Schuldner erklären, dass Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenzmasse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295 Abs. 2 gilt entsprechend. Verbind- lichkeiten aus einer nicht nach § 35 Abs. 2 aus der Masse freigegebenen selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners während des laufenden Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten.

(3) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung öffentlich bekannt zu machen.“

IV. Gegenäußerung der Bundesregierung

Die Bundesregierung lehnte in ihrer Gegenäußerung vom 02. November 200629 die Vorschläge des Bundesrates ab.

Die freigabeähnliche Erklärung eigenen Typs könne nicht von der Zustimmung der Gläubigerorgane abhängig ge- macht werden. Zur Verhinderung von Manipulation durch den Schuldner und Verfahrensverzögerungen sei eine vor- herige Prüfung durch die Gläubigerorgane nicht möglich.30

Die vorgeschlagene Klarstellung im Satz, dass durch den Neuerwerb des Schuldners Masseverbindlichkeiten bei Duldung und Unterlassung des Insolvenzverwalters ent- stehen können, verkenne die Qualifizierung der angedach- ten Erklärung als „freigabeähnliche Handlung eigenen Typs“. Es widerspräche zudem der Gesetzessystematik, denn Masseverbindlichkeiten entstünden lediglich kraft Gesetzes (§ 54 InsO) oder würden durch den Insolvenz- verwalter bzw. die Verwaltung oder Bereicherung der Mas- se (§ 55 InsO) begründet.31 Wegen § 80 Abs 1 InsO könne der Schuldner selbst keine Masseverbindlichkeiten begründen.32

V. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses

Der Rechtsausschuss des Bundestages regte in seiner Beschlussempfehlung und dem Bericht vom 31. Januar 200733 an, die Vorschriften wie folgt zu beschließen:34

„(2) Übt der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit aus oder beabsichtigt er, demnächst eine solche Tätigkeit aus- zuüben, hat der Insolvenzverwalter ihm gegenüber zu er- klären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tä- tigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. § 295 Abs. 2 gilt entsprechend. Auf Antrag des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht be- stellt ist, der Gläubigerversammlung ordnet das Insolvenz- gericht die Unwirksamkeit der Erklärung an.

(3) Die Erklärung des Insolvenzverwalters ist dem Gericht gegenüber anzuzeigen. Das Gericht hat die Erklärung und den Beschluss über ihre Unwirksamkeit öffentlich bekannt zu machen.“

Durch die Fassung des Rechtsausschusses hat der Insol- venzverwalter nunmehr obligatorisch zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenz- masse gehört oder nicht. Gäbe der Insolvenzverwalter die erstgenannte positive Erklärung ab, so wäre eindeutig er- Allgemeines zur Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO 12

sichtlich, dass die im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners begründeten Verbindlichkeiten als Masse- verbindlichkeiten zu qualifizieren seien. Diese Regelung sei nötig, da eine unterlassene Erklärung im Sinne der Entwurfsfassung Zweifel an der Begründung von Masse- verbindlichkeiten bei den Verfahrensbeteiligten entstehen ließe.35

Durch die Anzeige und Veröffentlichung gem. § 35 Abs. 3 InsO-RegE werde die Entscheidung des Insolvenzverwal- ters dokumentiert und Unklarheiten bei den Verfahrensbe- teiligten vermieden. Der Mehraufwand für die Verwalter wäre sehr gering, da die Prüfung nach der Wirtschaftlich- keit der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners ohnehin vorgenommen werden müsse.36

Der Deutsche Bundestag ist der Empfehlung des Rechtsausschusses gefolgt und hat dessen Fassung des § 35 Abs. 2 und 3 InsO zu § 35 InsO am 01. Februar 2007 beschlossen.37 Das Gesetz zur Vereinfachung des Insol- venzverfahrens vom 13. April 2007 wurde am 17. April 2007 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht38. Es ist am 01. Juli 2007 in Kraft getreten.

B. Adressat der Erklärung

Grundsätzlich ist zunächst zu klären, welchen tauglichen Adressatenkreis die Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO hat.

Die h.M. sieht als tauglichen Adressatenkreis der Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO nur natürliche Personen an. Eine a.A. will dagegen den Geltungsbereich der Norm auch auf juristische Personen ausdehnen.

I. Erfassung von natürlichen und juristischen Personen

Heinze plädiert für die Erfassung von natürlichen und juris- tischen Personen.39 Er argumentiert am Beispiel einer Anwaltskanzlei, die als GbR, Partnerschaft oder Kapitalge- sellschaft geläufig sei,40 dass der Begriff „selbstständige Tätigkeit“ nicht i.S.d. ertragssteuerlichen Gewerbes gem. §§ 15, 18 EStG zu verstehen sei, sondern wie in § 304 In- sO vielmehr zur abhängigen Beschäftigung abgrenze. Zu- dem würde sich § 304 InsO nicht auf natürliche Personen beschränken und § 35 InsO gelte für alle Verfahren.41

Auch ein Verweis auf § 295 Abs. 2 InsO würde daran nichts ändern. Zwar indiziere der Verweis auf § 295 Abs. 2 InsO einen möglichen Pfändungsschutz. Eine teleologi- sche Reduktion des Gesetzestextes würde in diesem Falle aber dem Gesetzeszweck zuwiderlaufen. Zudem wäre die Regelung in § 35 Abs. 2 InsO lediglich eine Klarstellung der herkömmlichen Freigabe, die auch bei Gesellschaftsin- solvenzen anerkannt sei.

Auch bei einer GbR fänden sich selbstständige Tätigkeiten und i.S.v. § 304 InsO wäre auch der geschäftsführende Al- leingesellschafter als selbstständig tätig anerkannt.42

II. Beschränkung auf natürliche Personen

Holzer beschränkt die Anwendung des § 35 Abs. 2 InsO unter Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes („selbststän- dige Tätigkeit“) und auf den Gesetzeszweck auf natürliche Personen. Zweck des Gesetzes sei es auch, Arbeitnehmer und Selbstständige bei der Behandlung des Neuerwerbes gleichzustellen.43 Die zu regelnde Problematik würde sich zudem bei juristischen Personen oder Vermögensmassen gar nicht stellen.44

Auch Berger geht von einer Beschränkung des § 35 Abs. 2 InsO auf die Insolvenzverfahren natürlicher Personen aus. Dies ergäbe sich aus der Verweisung in § 35 Abs. 2 S. 2 InsO auf § 295 Abs. 2 InsO, der im Rahmen der Rest- schuldbefreiung nur bei natürlichen Personen zur Anwen- dung kommen kann. Bei juristischen Personen ginge es nicht darum, ihr einen wirtschaftlichen Neubeginn zu er- möglichen.45

Haarmeyer will ebenfalls den Adressatenkreis des § 35 Abs. 2 InsO auf natürliche Personen beschränken. Er stellt dabei auf den Wortlaut „selbstständige Tätigkeit“sowie auf die Begründung zu den Entwürfen ab.46

III. Befund

Der Einschränkung des Anwendungsbereiches auf die In- solvenzverfahren natürlicher Personen ist zuzustimmen.

Zwar lässt sich dies aus der von Holzer zur Begründung in Bezug genommenen Stelle in der Gesetzesbegründung47 nicht herleiten, da dort lediglich die Gleichbehandlung von selbstständigen und abhängig beschäftigten Schuldnern im „Freigabefall“ durch die entsprechende Anwendung von §295 Abs. 2 InsO diskutiert wird.48

Der Gesetzgeber wollte jedoch ausdrücklich mit § 35 Abs. 2 InsO eine Regelung für die Insolvenzverfahren natürli- cher Personen schaffen.49 Zwar ist die hier zu bespre- chenden Norm in den für alle Insolvenzverfahren geltenden § 35 InsO eingeordnet. Jedoch gilt der gesamte zweite Ab- schnitt der InsO„Insolvenzmasse, Einteilung der Gläubiger“ für alle Insolvenzverfahren. In diesem Abschnitt finden sich weiter Vorschriften, namentlich die §§ 36, 37 InsO, die nur auf natürliche Personen anwendbar sind.

Geht man von dem Ziel aus, dem Schuldner die Schaffung einer neuen wirtschaftlichen Existenz außerhalb des Ver- fahrens zu ermöglichen,50 so ist offenbar, dass § 35 Abs. 2 InsO auf natürliche Personen abzielt. Im Verfahren über das Vermögen einer juristischen Person (z.B. GmbH) stellt sich die Frage eines Neuanfangs außerhalb des Insol- venzverfahrens nicht, denn sie wird kraft Gesetzes (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) mit Eröffnung des Insolvenzverfah- rens aufgelöst. Sie kann keine Rechte und Pflichten mehr erwerben, Neuerwerb ist nur durch Kapitalerhöhung oder Einforderung von Nachschüssen denkbar.51 Soll die Ge- sellschaft fortgeführt werden, so kann dies nach Aufhe- bung des Insolvenzverfahrens im Rahmen eines Insolvenzplanes i.V.m. einem Fortführungsbeschluss der Gesellschafter geschehen.

C. Erfasste Tätigkeiten

Der § 35 Abs. 2 InsO erfasst alle Tätigkeiten des Schuldners, die er nicht als abhängig Beschäftigter ausübt,52 namentlich die gewerblichen und freiberuflichen Tätigkeiten.53 Eine Aufzählung hierfür typischer Berufsbilder lässt sich aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG entnehmen.

D. Keine Teilbarkeit der Erklärung

Der Insolvenzverwalter hat sich gem. § 35 Abs. 2 S. 1 InsO gegenüber dem Schuldner zu erklären, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können.

Aus dem Wortpaar „(…) und ob (…)“ könnte gefolgert wer- den, dass der Insolvenzverwalter das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit weiterhin zur Insolvenzmasse verlangen kann, die Verbindlichkeiten aus dieser jedoch nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden kön- nen.54

Aus der Regelungsgeschichte der Norm ergibt sich, dass eine solche „Teilung“ der Erklärung nicht möglich ist. Die Entwurfsfassungen gestalteten § 35 Abs. 2 InsO als Erklärungsmöglichkeit für den Insolvenzverwalter aus „ (…) kann der Insolvenzverwalter erklären (…)“.

Er konnte nach den Entwürfen erklären, „(…) dass Vermö- gen aus der selbstständigen Tätigkeit nicht zur Insolvenz- masse gehört und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können (…)“.

Der Rechtsausschuss verankerte eine Erklärungspflicht des Verwalters mit den Worten „(…) hat der Insolvenzver- walter zu erklären, ob (…)“. Der Rechtsausschuss wollte damit im i.S.d. Rechtsklarheit55 zum Ausdruck bringen, dass sich der Insolvenzverwalter in jedem Fall zu erklären habe „(…) ob Vermögen aus dieser Tätigkeit zur Insol- venzmasse gehört oder56 nicht.“57 In diesem Sinne ist die Vorschrift zu lesen. Aus der Formulierung „(…) und ob (…)“ ist eine Teilbarkeit der Erklärung nicht zu entnehmen.

Folgende Erklärungsalternativen i.S.d. § 35 Abs. 2 S. 1 InsO sind möglich:

1. Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit gehört zur In- solvenzmasse und Ansprüche aus dieser Tätigkeit können im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. (Positiver- klärung).

2. Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit gehört nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus dieser Tätigkeit können nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht wer- den. (Negativerklärung).

E. Wirkung der Negativerklärung auf zur Erwerbstätigkeit benötigte Gegenstände

Zu prüfen ist, ob die Negativerklärung die gesamten zur Erwerbstätigkeit des Schuldners benötigten Gegenstände aus dem Insolvenzbeschlag58 herauslöst.

I. Meinungsstand in der Literatur

Ahrens59 ist der Meinung, dass durch die Negativerklärung neben den Erträgen aus der selbstständigen Tätigkeit auch das gesamte der selbstständigen Tätigkeit gewidmete Vermögen aus dem Insolvenzbeschlag gelöst wird. Er be- gründet dies mit dem angenommenen Zweck des § 35 Abs. 2 InsO, dem Schuldner zum Aufbau einer neuen be- ruflichen Existenz zu verhelfen.60

Die h.M.61 vertritt demgegenüber die Auffassung, dass mit der Negativerklärung keine Entscheidung des Insolvenz- verwalters zur Freigabe der zur Erwerbstätigkeit benötigten Gegenstände verbunden ist.

Bai62 ist der Auffassung, dass der Verwalter darüber ent- scheiden können müsse, welche Gegenstände dem Schuldner zur Fortführung seiner Tätigkeit überlassen werden und welche nicht. Dem Insolvenzverwalter wären rationalisierende Eingriffe in den schuldnerischen Betrieb in den Grenzen der §§ 158 InsO zur bestmöglichen Gläu- bigerbefriedigung gestattet. Wäre die Fortführung der selbstständigen Tätigkeit nur in geringerem Umfang als zuvor sinnvoll, könne der Verwalter den Betrieb entspre- chend verkleinern.63 Das aus der Masse zu entlassende Vermögen sei klar zu bestimmen und zu bezeichnen.64

Berger65 hingegen verneint die Herauslösung der Be- triebsmittel durch die Negativerklärung damit, dass § 35 Abs. 2 InsO allein der haftungsmäßigen Zuordnung des Neuerwerbs diene. Der § 35 Abs. 2 InsO sei nicht dazu gedacht, den Schuldner mit den notwendigen Betriebsmit- teln auszustatten, dies regele § 811 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 7 ZPO. Insolvenzbefangene Gegenstände könne der Verwal- ter per Einzelfreigabe herausgeben oder gegen ein Nut- zungsentgelt zur Verfügung stellen.

Wischemeyer66 argumentiert, dass § 35 Abs. 2 InsO, sys- tematisch betrachtet, lediglich eine Reglung zum Neuer- werb darstellte. Zwischen der Negativerklärung und den für die selbstständige Tätigkeit erforderlichen Betriebsmitteln bestände gar kein Bezug.67 Gegen eine Freigabe der ge- samten Betriebsmittel - sofern nicht nach § 811 Abs. 1 Nr.

5 ZPO unpfändbar - spreche auch die Pflicht des Insol- venzverwalters aus § 159 InsO, das insolvenzbefangene Vermögen umfassend zu verwerten.68 Die Freigabe der Betriebsmittel könne nur unter den Voraussetzungen erfol- gen, die auch für die Freigabe von Vermögenswerten gel- ten würden. In aller Regel würde der Insolvenzverwalter die Betriebsmittel nur gegen Zahlung eines Entgelts über- lassen können.69

Gegen eine Wirkung der Negativerklärung auf zur Er- werbstätigkeit benötigte Gegenstände spricht sich Wi- schemeyer gemeinsam mit Schur aus.70 Gegen eine Freigabe der notwendigen Betriebsmittel spräche zum ei- nen, dass es nicht einsichtig sei, warum der Insolvenzver- walter dem Schuldner noch werthaltige Gegenstände überlassen solle, obwohl er durch die selbstständige Tätig- keit keine Vorteile für die Masse erblicken könne. Dem Verwalter müsse ein Spielraum dafür zustehen, welche Gegenstände er freigäbe und welche nicht. Zum anderen müssten die freigegebenen Gegenstände durch den Ver- walter klar abgegrenzt und näher bestimmt werden.

II. Befund

Der Insolvenzverwalter äußert sich durch die Negativerklä- rung nicht zum Verbleib der zur Aufnahme oder zur Fort- führung der selbstständigen Tätigkeit notwendigen Betriebsmittel.

Sollen dem Schuldner insolvenzbefangene Betriebsmittel zur Verfügung gestellt werden, kann der Insolvenzverwal- ter dies durch die herkömmliche echte Freigabe71, durch eine erkaufte Freigabe72 oder durch die Überlassung ge- gen Nutzungsentgelt ermöglichen. Die zu überlassenden Gegenstände sind im Interesse der Rechtssicherheit ge- nau zu bezeichnen.

F. Zeitpunkt und Grundlagen der Erklärungsabgabe

Das Gesetz sieht zur Erhaltung der Flexibilität des Insol- venzverfahrens73 keine zeitliche Vorgabe für die Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO vor. Sie ist jederzeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Aufhebung mög- lich.74

Der Insolvenzverwalter hat den Zeitpunkt seiner Erklärung jedoch unter Beachtung des § 60 InsO zu wählen.75 Sie wird dann zu erfolgen haben, wenn der Insolvenzverwalter die Auswirkungen der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners auf den Verfahrenszweck, die Gläubigerbefriedigung (§ 1 InsO), abschätzen kann.

Dies ist eine Frage der dem Insolvenzverwalter zur Verfü- gung stehenden Unterlagen. Im günstigsten Fall stehen dem Verwalter betriebswirtschaftliche Unterlagen (Be- triebswirtschaftliche Auswertungen, Summen- und Saldenlisten, Kostenkalkulationen), die Buchführung und die Bilanzen als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung. Beabsichtigt der Schuldner, eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen, sind vom Schuldner entsprechende Planrechnungen vorzulegen.

Liegen diese Unterlagen dem Insolvenzverwalter nur lückenhaft bzw. nicht vor, weil sie nicht oder nur für einen länger zurückliegenden Zeitraum erstellt worden sind oder der Schuldner sie nicht auffindet oder nur unvollständig aushändigt, so wird der Insolvenzverwalter eher eine Negativerklärung abzugeben haben.

G. Zeitpunkt der Wirksamkeit der Erklärung

Die Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO wird mit Ihrem Zu- gang beim Schuldner wirksam.76 Eine Rückwirkung entfal- tet die Negativerklärung nicht.77 Wirksamkeitsvoraus- setzungen sind nicht die Anzeige der Erklärung gegenüber dem Insolvenzgericht sowie die öffentliche Bekanntma- chung gem. § 35 Abs. 3 InsO. Sie sind nicht konstitutiv.78

H. Entsprechende Anwendung von § 295 Abs. 2 InsO

Mit Abgabe der Negativerklärung unterfällt der Neuerwerb aus der selbstständigen Tätigkeit nicht mehr dem Insol- venzbeschlag. Ausschließlich Neuerwerb, der nicht aus der betroffenen selbstständigen Tätigkeit resultiert, gehört zur Insolvenzmasse.79

[...]


1 arg. e. § 35 Abs. 1, 2. Alt. InsO (= § 35, 2. Alt. InsO a.F.) i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO.

2 Andres, NZI 2006, 198, 198; Berger, ZInsO 1101, 1101; Grabau/Miehe, ZVI 2006, 232, 233; Holzer, ZVI 2007, 289, 289; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 393, Wischemeyer, ZInsO 2009, 937.

3 Hess/R ö pke, NZI 2003, 233, 236; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 397 f.; ders. ZVI 2004, 2, 7 f; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1061.

4 BGBl. I, 509.

5 Gem. § 103c Abs. 1, S. 1 EGInsO

6 Der Verfasser geht, wie noch zu zeigen sein wird, nicht von einer Freigabe im herkömmlichen Sinne aus. Daher wird hier zu besseren Entscheidung das Wort „Negativerklärung“ verwandt.

7 NZI 2005, 549, 562; BR-Drs. 549/08, 32 = ZVI 2006, 413, 419.

8 Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697.

9 NZI 2005, 549 ff.

10 Nunmehr § 35 Abs. 1 InsO.

11 NZI 2005, 549, 550.

12 NZI 2005, 549, 562.

13 NZI 2005, 549, 562.

14 NZI 2005, 549, 562.

15 BR-Drs. 549/06 = ZVI 2006, 413.

16 BR-Drs. 549/06, 16, 32 = ZVI 2006, 413, 414, 420.

17 BR-Drs. 549/06, 32 = ZVI 2006, 413, 420.

18 BR-Drs. 549/06, 16, 32 = ZVI 2006, 413, 414, 420.

19 BR-Drs. 549/06, 32 = ZVI 2006, 413, 420.

20 BR-Drs. 549/06, 32 = ZVI 2006, 413, 419.

21 BR-Drs. 549/06, 32 = ZVI 2006, 413, 419.

22 BT-Drs. 16/3227, 23 f. = ZVI 2007, 40.

23 BT-Drs. 16/3227, 24 = ZVI 2007, 40, 41; BT-Drs. 12/2443, 101.

24 BT-Drs. 16/3227, 24 = ZVI 2007, 40, 41.

25 BR-Drs. 0549/06, 31 = ZVI 2006, 413, 419

26 BT-Drs. 16/3227, 24 = ZVI 2007, 40, 41.

27 BT-Drs. 16/3227, 24 = ZVI 2007, 40, 42.

28 BT-Drs. 16/3227, 23f. = ZVI 2007, 40, 41.

29 BT-Drs. 16/3227, 26f. = ZVI 2007, 40, 43 f.

30 BT-Drs. 16/3227, 26 = ZVI 2007, 40, 43

31 BT-Drs. 16/3227, 27 = ZVI 2007, 40, 43.

32 BT-Drs. 16/3227, 27 = ZVI 2007, 40, 43f.

33 BT-Drs. 16/4194

34 BT-Drs. 16/4194, 14.

35 BT-Drs. 16/4194, 14.

36 BT-Drs. 16/4194, 14.

37 Holzer, ZVI 2007, 289, 291.

38 BGBl. 2007 I., 509.

39 Heinze, ZVI 2007, 349, 351.

40 Heinze, ZVI 2007, 349, 351, Fn. 19.

41 Heinze, ZVI 2007, 349, 351.

42 Heinze, ZVI 2007, 349, 351.

43 Unter Verweis auf BT-Drs. 16/3227, 17; Holzer, ZVI 2007, 289, 291; ders. in Kübler/Prütting, § 35 Rn. 107.

44 Holzer, ZVI 2007, 289, 291.

45 Berger, ZInsO 2008, 1101, 1104.

46 Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697.

47 BT-Drs. 16/3227, 17.

48 Vgl. oben I. 2.

49 BR-Drs. 0549/06, 31 = ZVI 2006, 413, 419; NZI 2005, 521, 525.

50 BR-Drs. 0549/06, 31 = ZVI 2006, 413, 419.

51 HK, L ü dtke, § 35 Rn. 52; Runkel in: FS für Uhlenbruck, Probleme bei Neu- erwerb, 315, 316.

52 Holzer, ZVI 2007, 289, 291.

53 BR-Drs. 0549/06, 31 = ZVI 2006, 413, 419.

54 Berger, ZInsO 2008, 1101, 1003; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697, Fn. 16.

55 BT-Drs. 16/4194, 14.

56 Hervorhebung vom Verfasser.

57 BT-Drs. 16/4194, 14.

58 Vgl. Kapitel 2, C. IV. 1. cc).

59 Ahrens, NZI 2007, 622, 624.

60 Ahrens, NZI 2007, 622, 624.

61 Bai, Die Freigabe im Insolvenzverfahren, 141 ff.; Berger, ZInsO 2008, 1101; 1104; Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 942 f.; Wischemeyer/Schur, ZInsO 2008, 1240, 1245 f..

62 Bai, Die Freigabe im Insolvenzverfahren, 143.

63 Bai, Die Freigabe im Insolvenzverfahren, 143.

64 Bai, Die Freigabe im Insolvenzverfahren, 144.

65 Berger, ZInsO 2008, 1101; 1104.

66 Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 942.

67 Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 942.

68 Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 943.

69 Wischemeyer, ZInsO 2009, 937, 943.

70 Wischemeyer/Schur, ZInsO 2008, 1240, 1246.

71 Vgl. Kapitel 2, C. IV. 1. dd) (2).

72 Vgl. Kapitel 2, C. IV. 1. dd) (5).

73 BT-Drs. 16/4194, 14.

74 Holzer, ZVI 2007, 289, 291.

75 BT-Drs. 16/4194, 14.

76 Ahrens, NZI 2007, 622, 623; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1104.

77 Berger, ZInsO 2008, 1101, 1106.

78 AG Hamburg, ZInsO 2008, 680, 681; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1104.

79 Berger, ZInsO 2008, 1101, 1106

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Die Wirkungen der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auf die Dauerschuldverhältnisse
Hochschule
Fachhochschule Trier - Hochschule für Wirtschaft, Technik und Gestaltung
Veranstaltung
Insolvenzrecht
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
106
Katalognummer
V190715
ISBN (eBook)
9783656176664
ISBN (Buch)
9783656177722
Dateigröße
723 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Insolvenzmasse, Selbstständige in der Insolvenz, § 35 Abs. 2 InsO, Freigabe des Gewerbebetriebs, Freigabe, Neuerwerb, Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1 InsO, § 108 Abs. 1 InsO, oktroyierte Masseverbindlichkeiten, Dauerschuldverhältnisse, Mietvertrag, Arbeitsverhältnisse
Arbeit zitieren
Francisco José Alvarez-Scheuern (Autor:in), 2010, Die Wirkungen der Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO auf die Dauerschuldverhältnisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190715

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