Vermeidung von Fachkräftemangel in MINT-Berufen

Der Beitrag von Bildungspolitik und Bildungsoffensiven


Diplomarbeit, 2012

97 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einführung
1.1 Einleitung und Problemhinführung
1.2 Vorgehensweise

2. Der Fachkräftemangel im MINT-Sektor
2.1 Ursachenanalyse
2.2 Entwicklung der MINT-Lücke und aktuelle Situation im MINT-Sektor
2.3 Kurzfristige Gewinnung von MINT-Fachkräften durch Akquirierung vorhandener Humankapitale
2.4 Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands durch den MINT-Fachkräftemangel
2.5 Problematik der MINT-Prognosen

3. Der Beitrag von Bildungspolitik zur Fachkräftesicherung
3.1 Status quo der MINT-Bildung in Deutschland
3.2 Handlungsmöglichkeiten und Handlungsfelder der Bildungspolitik

4. Das MINT-Meter – Indikatoren des Erfolgs

5. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang
Anhang A1: Auflistung der MINT-Studienfächer
Anhang A2: Berechnung der MINT-Nachfragelücke im Jahr 2011
Anhang A3: Maßnahmenempfehlungen der KMK

Eidesstattliche Versicherung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Vergleich der Bevölkerungszusammensetzung 2008 und 2060

Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung der Menschen im Erwerbsalter

Abbildung 3: Abgrenzung der betrachteten MINT-Berufe auf Ebene der Berufsordnungen

Abbildung 4: Die Entwicklung der MINT-Fachkräftenachfrage

Abbildung 5: Entwicklung des MINT-Fachkräfteangebots

Abbildung 6: Gegenüberstellung der MINT-Fachkräftenachfrage und des -angebots

Abbildung 7: Handlungsmöglichkeiten bei einem MINT-Fachkräftemangel

Abbildung 8: Wertschöpfungsverluste infolge der MINT-Fachkräftelücke im Jahr 2011

Abbildung 9: Angebot und Bedarf an Erwerbstätigen und Erwerbspersonen im Berufshauptfeld acht (Angaben in 1000)

Abbildung 10: Angebot und Bedarf an Erwerbstätigen und Erwerbspersonen im Berufshauptfeld 8 inklusive Flexibilität (Angaben in 1000)

Abbildung 11: Kausale Verkettung der aktuellen MINT-Situation

Abbildung 12: MINT-Kompetenzen in Deutschland (Angabe in PISA-Punkten)

Abbildung 13: Quote deutscher Erstabsolventen, gemessen an der üblichen Altersstufe von Studenten (Angaben in Prozent)

Abbildung 14: Gewichtung der MINT-Absolventen gemessen an allen Erstabsolventen (in Prozent)

Abbildung 15: Anteil der Frauen unter den Erstabsolventen des MINT-Bereichs (in Prozent)

Abbildung 16: Wechsel- und Abbrecherquoten im MINT-Bereich

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Durchschnittliche Erwerbstätigenquote von MINT-Akademikern im Jahr 2009 nach Altersgruppen. Angaben in Prozent

Tabelle 2: BA-Meldequoten offener Stellen für MINT-Arbeitskräfte

Tabelle 3: Prognose des MINT-Fachkräftemangels bis 2020

Tabelle 4: Arbeitskräftesaldo der betrachteten MINT-Fachrichtungen von 2010 – 2030 in Prozent (nur hoch Qualifizierte)

Tabelle 5: Ersatzbedarf pro Jahr an MINT-Akademikern von 2011 - 2020

Tabelle 6: Der erwartete Fachkräftemangel im MINT-Segment anhand der betrachteten Studien

Tabelle 7: Messung des bildungspolitischen Beitrags zur Nachwuchsförderung

1. Einführung

1.1 Einleitung und Problemhinführung

„(…) ein Wirtschaftsstandort ist auf kluge Köpfe angewiesen. Sie sind die Treiber für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit“ (IHK Hessen 2011), so lautet ein Zitat von Dr. Mathias Müller, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der hessischen Industrie und Handelskammern (IHK). Als eines der exportstärksten Länder der Welt, mit einem Exportvolumen von 525 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2011 (Steinfelder 2011), muss Deutschland sowohl die Innovationsfähigkeit des Landes, als auch die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen. Durch den demographischen Wandel, der Deutschland ein Nachwuchsproblem offenbart, wird es immer schwerer „Kluge Köpfe“ zu rekrutieren, um die von Dr. Müller angesprochene Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen (Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) 2010, S. 6). Damit ist der Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet.

Auf dem Arbeitsmarkt herrscht ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das aufzeigt, dass schon heute offene Stellen nicht angemessen besetzt werden können (Neubauer et al. 2011, S. 30f.). Nicht nur der demographische Wandel trägt hierzu bei, sondern auch sogenannte „Mismatches“. Dieser Begriff wird verwendet, wenn zum einen potentielle Arbeitskräfte und zum anderen Arbeitsangebote aus bestimmten Gründen nicht zusammenpassen. So wird das paradox wirkende Erscheinen von arbeitslosen Fachkräften bei gleichzeitig offenen Stellen erklärt (Heidemann 2011, S. 3). Bereits im Jahr 2015 könnten so auf dem Arbeitsmarkt circa drei Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer[1] fehlen, davon allein ungefähr 588.000 in Hessen (IHK Hessen 2010). Der Arbeitskräftemangel betrifft größtenteils die Gruppe der Hochschulabsolventen. Bezogen auf das Jahr 2015 könnten rund eine Million Stellen für Akademiker nicht mehr besetzt werden. Davon entfallen allein 280.000 Stellen auf Ingenieur-Berufe. Zudem dürften 2015 rund 1,3 Millionen Arbeitskräfte mit einer abgeschlossenen Ausbildung fehlen (Neubauer et al. 2011, S. 1). Damit ist der sich anbahnende, vor allem durch den demographischen Wandel bedingte Arbeitskräftemangel primär ein Fachkräftemangel. Im Fokus der Medien, sowie der Diskussion um den aufkommenden bzw. schon vorhandenen Fachkräftemangel befinden sich die MINT-Berufe. Dieses Initialwort impliziert die Berufsgruppen der Fachgebiete Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (kurz: MINT). Das Augenmerk ist auf diese Akademiker gerichtet, weil sie eine der bedeutendsten Faktoren für die Zukunft des Innovationsstandorts Deutschland darstellen. Ihre Arbeitsmarktverfügbarkeit ist eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung von neuen Technologien und demnach eine wichtige Komponente für das Wirtschaftswachstum (Leszczensky et al. 2010, S. 11f.). Während niedrig entwickelte Nationen, aufgrund des relativ niedrigen Produktivitätsniveaus, ihre Wachstumsrate alleine durch das kopieren vorhandener Technologien steigern können, müssen technologisch hochentwickelte und zeitgleich rohstoffarme Staaten wie Deutschland dafür einen weitaus höheren Forschungs- und Entwicklungsaufwand betreiben (Anger et al. 2011a, S. 6). Wie Aghion und Howitt schon 1998 beschreiben, wird der technische Fortschritt von dem Sach- und Humankapital gemeinsam beeinflusst. Das heißt, eine hohe Forschungsleistung ist nur dann gewährleistet, wenn ausreichend hoch qualifizierte MINT-Fachkräfte zur Verfügung stehen (Erdmann und Koppel 2010, S. 1). Tritt der Fall des akuten MINT-Mangels in Deutschland ein, wird riskiert, dass in den technologischen Wachstumsfeldern wie Umwelttechnologie, Energie- und Ressourceneffizienz oder Elektromobilität, Ziele der forschungspolitischen- und innovationspolitischen Agenda verfehlt werden (Brück-Klingberg und Althoff 2011, S. 11). Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat schon 2008 660 Unternehmen zur Besetzung von Stellen, die ein Qualifikationsprofil aus den MINT-Bereichen erfordern, befragt. 38 Prozent der Unternehmen äußerten, dass sie schon 2008 merkliche Erschwernisse bei der Besetzung von MINT-Stellen hatten und weitere 15 Prozent geben an, dass in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten ein Engpass entstehen wird (Werner 2008, S. 6f.). Die Ergebnisse dieser Umfrage decken sich mit den neuen Untersuchungen des IW. Im Jahr 2010 fehlten im Durchschnitt 66.400 MINT-Arbeitskräfte, um alle offenen Stellen zu besetzen. In diesem Jahr ist die Lücke weiter angestiegen, so dass im Oktober 2011 ein Defizit von 167.000 erfasst wird (siehe Kapitel 2.2). Daraus resultieren bereits heute pro Jahr Wohlstands- und Wachstumsverluste in Höhe von 230.000 Euro pro fehlender MINT-Fachkraft (Kunwald 2011). Wird diese Zahl mit der durchschnittlichen MINT-Fachkräftelücke aus dem Jahr 2010 multipliziert, ergibt sich ein volkswirtschaftlicher Ausfall von 15,27 Milliarden Euro. Auch wenn das wirtschaftliche Wachstum Deutschlands in den nächsten Jahren, aufgrund der europäischen Schuldenkrise und der weltweiten Konjunkturabkühlung, wieder geringer werden sollte (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2011), ist laut Anger et al. (2011b, S. 15f.) kein Ende des MINT-Mangels in Sicht. Zum einen spielt der durch den demographischen Wandel verursachte hohe Ersatzbedarf an MINT-Fachkräften eine wichtige Rolle und zum anderen gibt es einen Expansionsbedarf an MINT-Akademikern[2] (siehe Kapitel 2.1). Das Meinungsbild des sich mittel- bis langfristig verschärfenden MINT-Mangels wird durch zahlreiche Studien gestützt (Bonin et al. 2007, Helmrich und Zika 2010, Gramke et al. 2008, Neubauer et al. 2011, Anger et al. 2011a).

Neben den oben erwähnten strukturellen Ursachen fallen auch institutionelle und motivationale Ursachen ins Gewicht. Die zentrale motivationale Ursache für die Entscheidung kein MINT-Beruf in Erwägung zu ziehen, ist das Desinteresse Jugendlicher an Technik, trotz des hohen Konsums technischer Produkte. Die zentrale institutionelle Ursache ist der Mangel an Beständigkeit der technischen Sozialisation und Bildung. Technische Zusammenhänge können nicht mehr in den Kontext von Wirtschaft und Gesellschaft gebracht werden und verlieren so ihren Reiz. Dies führt im weiteren Lebensverlauf zu Leistungs- und ebenfalls Motivationsproblemen, was nicht zuletzt zu einem geringen Frauenanteil und vergleichsweise hohen Studienabbrecherquoten in MINT-Studiengängen führt (Heublin et al. 2008, S. 3ff.). Als Antwort auf den MINT-Fachkräftemangel sind bereits sehr viele Initiativen auf verschiedenen Ebenen entstanden. Die primären Ziele aller Maßnahmen sind die Steigerung des Technikinteresses und -verständnisses junger Menschen, die Talentförderung Begabter und die Förderung des Interesses an MINT-Studienfächern und Berufen. Mit diesen Zielen wird eine große Verantwortung an die deutsche Bildungspolitik übertragen. Diese hat zwar unter anderem die Aufgabe der aktiven Zukunftsgestaltung inne, doch gerade in Zeiten der knappen Ressourcen, stellen Lernzeit und die Ausstattung an den Schulen die größten Hindernisse dar (Renn und Pfenning 2011, S.7f.).

Aufgrund der beachtenswerten Relevanz der Bildungspolitik wird in dieser Diplomarbeit versucht die Frage zu beantworten, was die Bildungspolitik und die gestarteten Bildungsoffensiven beitragen, um den Fachkräftemangel im MINT-Sektor zu reduzieren oder zukünftig gar zu vermeiden.

Wie vorgegangen wird, um diese Frage zu beantworten, wird im nächsten Kapitel erläutert.

1.2 Vorgehensweise

Die „Vermeidung von Fachkräftemangel in MINT Berufen - Der Beitrag von Bildungspolitik und Bildungsoffensiven“ ist Thema der vorliegenden Diplomarbeit. Um den Beitrag der Bildungspolitik und den gestarteten Bildungsoffensiven an der Vermeidung von MINT-Fachkräftemangel darzustellen, ist es auf unterschiedlicher Weise möglich, sich an diese Thematik anzunähern. Für Kapitel zwei wird die Auswertung von demographisch-statistischen Daten präferiert. In diesem Kapitel wird beabsichtigt die Frage zu klären, ob ein Fachkräftemangel besteht der ein Eingreifen seitens der Bildungspolitik rechtfertigt. Da Daten zur Beantwortung dieser Frage schon in einem großen Umfang vorliegen und öffentlich einsehbar sind, ist es nicht erforderlich eine spezifische Datenerhebung und -erfassung vorzunehmen. Es ist lediglich die Darstellung, Analyse und Interpretation der Daten in Bezug auf die übergeordnete Forschungsfrage durchzuführen. Die vorherrschende Methode wird also die Analyse von demographischen-statistischem Material und der darauf aufbauenden Sekundärliteratur sein. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt sowohl in der Vermeidung enorm aufwendiger Erhebungen, als auch im Vergleich verschiedener Primärdatenquellen (siehe Kapitel 2.5). Mithilfe dieses methodischen Vorgehens werden zunächst die Ursachen des Fachkräftemangels im MINT-Sektor analysiert. Darauf folgt eine Darstellung des aktuellen MINT-Fachkräftemangels und dessen Entwicklung seit dem Jahr 2000. Im Kapitel 2.3 werden die nicht ausgeschöpften Potentiale ausgewählter Bevölkerungsgruppen, die zwar nicht ursächlich für den MINT-Fachkräftemangel sind, deren Aktivierung aber helfen könnte die Lücke kurzfristig zu schließen, behandelt. Anschließend wird der Blick auf die Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands durch den MINT-Fachkräftemangel gerichtet, bevor das Kapitel zwei mit der generellen Problematik der verschiedenen MINT-Zukunftsprojektionen abgeschlossen wird.

Aufbauend auf den Daten des zweiten Kapitels wird ab dem dritten Kapitel die Bildungspolitik in Verbindung mit dem Fachkräftemangel gesetzt, indem zuerst der Status Quo der MINT-Bildung in Deutschland abgebildet wird und daraufhin Handlungsfelder und Handlungsmöglichkeiten der Bildungspolitik herausgestellt werden. Da dieses Thema schon seit einigen Jahren in der Politik Beachtung findet, wird sich im Kapitel 4 mit der Erfolgsmessung bereits durchgeführter oder bestehender bildungspolitischer Maßnahmen, unter Zuhilfenahme des sogenannten „MINT-Meters“ des IW beschäftigt.

Verbindend mit den Daten und Erkenntnissen aus den vorhergegangen Kapiteln, wird im fünften Kapitel der Argumentationsstrang rekapituliert, Schlussfolgerungen gezogen und Handlungsempfehlungen für die nähere Zukunft erstellt. Abgerundet wird dieses Kapitel mit einem Fazit und einer abschließenden Diskussion. Aufgrund der besseren Lesbarkeit wurde mit dem Stilmittel der „Zwischenüberschriften“ gearbeitet.

2. Der Fachkräftemangel im MINT-Sektor

2.1 Ursachenanalyse

Der Demographische Wandel

Eines der Kernursachen für den propagierten Fachkräftemangel ist der demographische Wandel. Dieser beschreibt die Bevölkerungsentwicklung unter Berücksichtigung der Altersstruktur, dem Verhältnis von Männern und Frauen, der Geburten- und Sterbefallentwicklung, sowie den Ein- und Auswanderern (Statistisches Bundesamt 2009, S. 5f.).

Abbildung 1: Vergleich der Bevölkerungszusammensetzung 2008 und 2060

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2009, S. 15

Diese Veränderung der Bevölkerungsstruktur ist in Deutschland mit einem negativen Bild verbunden, da bis 2060 mit einem starken Rückgang der Erwerbspersonen zu rechnen ist (siehe Abbildung 1). Dies lässt sich mit zwei verschiedenen Trends erklären. Zum Einen steigt die absolute Zahl älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung und die Lebenserwartung erhöht sich. Dies lässt sich durch die sich stets weiterentwickelnde medizinische Versorgung erklären.

Zum Anderen erlebt die Gesellschaft einen Trend zur Kinderlosigkeit, was zu einer niedrigen Geburtenrate führt. Das fördert die Entwicklung zu einer alternden, schrumpfenden Gesellschaft und sorgt für eine Verschiebung in der Altersstruktur. Besonders das Altern der mittleren Jahrgänge (40 bis 50 Jahre) führt zu bedeutenden Verlagerungen in der Altersstruktur. Im Jahr 2008 lag der Anteil der jungen Menschen unter 20 Jahren bei 19 Prozent, derer der 20- 65-Jährigen bei 61 Prozent und der Anteil der Älteren bei 20 Prozent (Statistisches Bundesamt 2009, S. 6). Das Jahr 2060 zeigt hingegen deutliche Unterschiede. Ungefähr 33 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen werden mindestens 65 Jahre alt sein und es werden halb so viele Kinder geboren wie 70-Jährige existieren. Besonders im Bereich der Hochbetagten sind Zuwächse zu erkennen. Waren es 2008 noch circa vier Millionen 80-Jährige oder Ältere (5 Prozent der Bevölkerung), werden es 2060 ungefähr neun Millionen sein (14 Prozent der Bevölkerung). Besonders stark von der Schrumpfung und Alterung betroffen ist die Bevölkerung im Erwerbsalter. Die folgende Abbildung verdeutlicht diesen Sachverhalt, wobei das Erwerbsalter mit einer Spanne von 20 bis 65 Jahren betrachtet wird.

Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung der Menschen im Erwerbsalter

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2009, S. 18

Wie auch im Jahr 2008 gehören 2011 ungefähr 50 Millionen Menschen der Altersgruppe der Erwerbstätigen an. Die Zahl wird erst nach dem Jahr 2020 stark fallen und im Jahr 2030 circa 42 bis 43 Millionen betragen. 2060 werden dann circa 36 Millionen deutsche Bürger im Erwerbsalter sein. Das sind 27 Prozent weniger als 2011 und trifft nur dann zu, wenn weiterhin jährlich 200.000 Menschen zuwandern (auch als Obergrenze der „mittleren Bevölkerung“ bezeichnet). Sollte die Zuwanderung nur 100.000 Personen im Jahr betragen (auch als Untergrenze der „mittleren Bevölkerung“ bezeichnet), dann schrumpft das Potential der Erwerbspersonen auf rund 33 Millionen. Das wären 34 Prozent weniger als im Jahr 2011 (Statistisches Bundesamt 2009, S. 18). Die Höhe der Migration beeinflusst also signifikant das Ausmaß des Rückgangs der Bevölkerung im Erwerbsalter. Doch auch bei einer Zuwanderung von 200.000 Personen per annum, wird eine Deckung der Bevölkerungsverluste nicht erreicht, das heißt, Wanderungsüberschüsse können den demographischen Entwicklungen nicht ausreichend entgegenwirken. Folglich wirkt sich der demographische Wandel unmittelbar auf die Erwerbstätigenstruktur aus und hat damit bedeutungsvolle Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot (BMBF 2010, S. 6). Allerdings ist das Arbeitskräfteangebot, im Gegensatz zur Prognose der Bevölkerungsentwicklung, nur schwer ermittelbar. In vielen Zukunftsszenarios wird eine trenddeterministische Sichtweise verfolgt, die Schlussfolgerungen aus vorhergesagten Trends ziehen lässt. Zum Beispiel wird aus dem Rückgang der Erwerbspersonen auf eine geringere Arbeitslosigkeit geschlossen, da eine geringere Erwerbspersonenquote gleichzeitig die individuellen Beschäftigungschancen steigen lässt. Diese Art der Deutung vernachlässigt die Tatsache, dass es zwischen dem verfügbaren Arbeitskräfteangebot und der Arbeitslosenquote keinen direkten Zusammenhang gibt (Arnds und Bonin 2002, S. 1f.). Genauer gesagt existieren zwischen diesen Größen vielschichtige Wechselbeziehungen. Letztlich wird das Beschäftigungsniveau in Deutschland vom wirtschaftlichen Wachstum, aber auch vom wirtschaftspolitischen Rahmen, welcher seinerseits durch den demographischen Wandel beeinflusst wird, bestimmt. Desweiteren reagieren Märkte und Individuen ständig auf sich verändernde Bedingungen, sodass Prognosen bestenfalls Trends unter Zuhilfenahme von Indikatoren abbilden, nicht aber eine „Prophezeiung“ darstellen (Arnds und Bonin 2002, S. 4f.). In Kapitel 2.5 wird die Problematik der Prognosen aufgegriffen und auf den MINT-Fachkräftemangel bezogen. Obgleich der Problematik der Prognosen lässt sich, anhand der vom statistischen Bundesamt vorausgesagten Zahlen, ein dringender Handlungsbedarf für die Politik und die Unternehmen ableiten (Klauk 2008, S. 19f.). Die Unternehmen und der Staat müssen frühzeitig strategische Entscheidungen treffen, um

- dem Rückgang der Menschen im Erwerbsalter,
- sowie dem zunehmenden Altersdurchschnitt der Arbeitnehmer,
- als auch den vielfältigen kulturellen Anforderungen

bereits angepasst und vorbereitet entgegenzutreten. Bereits 2007 ist der demographische Wandel, zusammen mit der Globalisierung, der größte Trend der auf Unternehmen einwirkt (Hesse 2007, S. 309). Eine Umfrage unter deutschen Unternehmen hat ergeben, dass diese den Wandel als eine der größten Herausforderungen für die Zukunft sehen. Damit ist der demographische Wandel für die Unternehmen vergleichbar wichtig, wie der Trend zur Globalisierung und der technische Fortschritt (Schafmeister 2008). Wieso dieser im speziellen von Unternehmen als so wichtig empfunden wird, ist ersichtlich, wenn der Akademiker-Arbeitsmarkt betrachtet wird. Das Akademiker-Potential wird aus den bereits erläuterten demographischen Gründen in den kommenden Jahrzehnten beträchtlich sinken. Wird die Zahl der in Kürze ausscheidenden hoch Qualifizierten, der Zahl der Absolventen gegenübergestellt, resultiert ein erheblicher Mangel (Bökenkamp 2010, S. 2). In den Jahren 2027 und 2028 werden laut dem IW mutmaßlich circa 100.000 Akademiker mehr den Arbeitsmarkt verlassen, als Absolventen nachrücken und so den Ersatzbedarf nicht mehr decken (Koppel und Plünnecke 2009, S. 37). Die Gesellschaft altert, was auch erheblichen Einfluss auf den MINT-Arbeitsmarkt hat. Der oben beschriebene Effekt lässt sich auch auf dem MINT-Arbeitsmarkt beobachten. Die Altersstruktur der Erwerbstätigen verschiebt sich so, dass sich das Verhältnis von jüngeren zu älteren MINT-Arbeitnehmern hin verschlechtert und in einer unzureichenden Ersatzrate mündet. Der Ersatzbedarf tritt immer dann auf, wenn ältere Arbeitnehmer definitiv aus dem Erwerbsleben ausscheiden und diese ersetzt werden müssen, um die Gesamtbeschäftigung konstant zu halten. Der Ersatzbedarf wird als wichtiger Indikator möglicher Risiken für die Fachkräftesicherung herangezogen und als „Demografieersatzrate“ bezeichnet. Vor allem in den Ingenieurswissenschaften deutet dieser Indikator auf erhebliche Engpässe hin (Erdmann und Koppel 2010, S. 5f.). Wird die Altersstruktur der gegenwärtig erwerbstätigen MINT-Akademiker zur Hilfe genommen, kann der künftige Ersatzbedarf ermittelt werden. Allgemein steigt der Anteil der erwerbstätigen MINT-Akademiker nach dem akademischen Abschluss an und nimmt ab einem bestimmten Alter wieder ab (Tabelle 1). Es finden sich aber auch noch viele MINT-Akademiker in einem höheren Erwerbsalter. In der Personengruppe der 60- bis 64-Jährigen arbeitet noch mehr als jeder Zweite. Sogar nach dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters gehen über zehn Prozent einer Arbeit nach, sodass die Erwerbstätigenquote nicht abrupt auf Null zurückgeht (Erdmann und Koppel 2009, S. 9ff.).

Tabelle 1: Durchschnittliche Erwerbstätigenquote von MINT-Akademikern im Jahr 2009 nach Altersgruppen. Angaben in Prozent.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Modifiziert nach Anger et al. 2011b, S. 16

Um nun den demographischen Ersatzbedarf zu berechnen, müssen laut Anger et al. (2011b, S. 17) drei maßgebliche Annahmen getroffen werden:

1. Erwerbstätige gehen spätestens mit 70 Jahren in Rente.
2. Die Altersjahrgänge sind innerhalb der 5-Jahres-Gruppe gleichverteilt.
3. Die Erwerbstätigenquoten für die einzelnen Altersgruppen sind im Prognosezeitraum gleichbleibend.

Durch den demographischen Wandel und den bereits aktuellen MINT-Fachkräftemangel ist es voraussichtlich so, dass in den vorangeschrittenen Altersgruppen die Erwerbsquoten langsam ansteigen werden, was wiederrum zu einem späteren Ausscheiden aus dem Erwerbsleben führt. Die demographischen Ersatzbedarfe sollten deshalb regelmäßig mit den aktuell verfügbaren Erwerbstätigenquoten überprüft werden. Der Ersatzbedarf an sich wird wie folgt ermittelt (Anger et al. 2011b, S. 16):

- Bei den MIN-Akademikern wird das Maximum der Erwerbstätigenquote von 92,8 Prozent in der Altersgruppe der 45 – 49-Jährigen erreicht. Bei den Technikern, wozu auch die Ingenieure zählen, liegt das Maximum mit 93,8 Prozent in der Altersgruppe der 40 – 44-Jährigen.
- Dementsprechend scheiden in jedem weiteren Jahr in allen älteren Altersgruppen Personen aus dem Erwerbsleben aus. Beim Übergang von der Kohorte der 50 – 54-Jährigen zur Gruppe der 55 – 59-Jährigen sinkt die durchschnittliche Erwerbstätigenquote der MIN-Akademiker um 3,5 Prozentpunkte. Bei den Technikern sogar um 7,7 Prozentpunkte. Werden diese zusammengefasst, lässt sich ein durchschnittlicher Rückgang von 5,6 Prozent feststellen.
- Da es sich bei den Altersgruppen um Fünf-Jahres-Gruppierungen handelt und angenommen wird, dass die Altersjahrgänge innerhalb dieser Gruppierungen gleichverteilt sind, steigen jedes Jahr 20 Prozent einer Kohorte in die nächstfolgende Kohorte auf.
- Die Summe der in einem Jahr aus den Kohorten ausscheidenden MINT-Akademiker entspricht dem gesamten Ersatzbedarf für dieses Jahr im MINT-Segment.

[...]


[1] Um die Lesbarkeit dieser Diplomarbeit nicht zu beeinträchtigen, wird auf die weibliche Form bei der Verwendung von Personenbezeichnungen, Berufsbezeichnungen oder Substantiven, die den Träger des Geschehens bezeichnen, verzichtet.

[2] Eine Auflistung aller MINT-Studiengänge findet sich im Anhang A1.

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Vermeidung von Fachkräftemangel in MINT-Berufen
Untertitel
Der Beitrag von Bildungspolitik und Bildungsoffensiven
Hochschule
Universität Kassel  (Institut für Berufsbildung)
Note
1,8
Autor
Jahr
2012
Seiten
97
Katalognummer
V190653
ISBN (eBook)
9783656153160
ISBN (Buch)
9783656153054
Dateigröße
2354 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Plagiatsüberprüfung seitens der Universität erfolgte über Turnitin.
Schlagworte
MINT, Fachkräftemangel, Bildungspolitik, Bildungsoffensiven, Initiativen
Arbeit zitieren
Rafal Beck (Autor:in), 2012, Vermeidung von Fachkräftemangel in MINT-Berufen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190653

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