Ist der Starke am mächtigsten allein? – Unterdrückung und Widerstand in Schillers 'Wilhelm Tell'

Welche Handlungsoptionen bieten sich den Figuren aufgrund der Willkürherrschaft der Vögte?


Unterrichtsentwurf, 2012

14 Seiten, Note: 2


Leseprobe


1. Lernbedingungen

1.1 Lerngruppenbeschreibung

Der A-Kurs der Jahrgangsstufe 9 wird von mir seit einem Jahr eigenverantwortlich im Fach Deutsch unterrichtet. Er setzt sich aus 16 Schülerinnen und zehn Schülern[1] zusammen, die aus drei verschiedenen Klassen kommen.

Das Interesse und die Motivation des Kurses in Bezug auf die Themen und Inhalte des Deutschunterrichts können momentan nur als durchschnittlich beschrieben werden[2], vor allem bei S1, S2, S3 und S4 liegen Arbeitsbereitschaft und Leistungsvermögen im mangelhaften bis ungenügenden Bereich.[3] S5, S6, S7, S8 und S9 beteiligen sich ebenfalls kaum bis gar nicht am Unterrichtsgespräch, erbringen jedoch ausreichende Leistungen. Aufgrund der geringen Motivation einiger SuS setze ich im Unterricht verstärkt Methoden ein, die die Mitarbeit aller SuS gleichermaßen erfordern (Konsequenz 1), z.B. beteiligen sich S10, S11 und S12 ebenfalls nur selten am Unterrichtsgespräch, erbringen jedoch ausreichende bis gute Leistungen, S12 erledigt zudem ihre Hausaufgaben[4] sehr gewissenhaft. Daher achte ich darauf, viele Partner- und Gruppenarbeitsphasen in meinen Unterricht zu integrieren, um den stillen SuS Beteiligungsräume zu ermöglichen (Konsequenz 1). S13, S14, S15 und S16 liegen mündlich im Mittelfeld, ihnen fällt es teilweise noch schwer, Beiträge präzise und zielführend zu formulieren. S17, S18, S19, S20 und S21 sind im oberen Mittelfeld anzusiedeln. S22, S23, S24, S25 und S26 heben sich durch ihre stets zielführenden Beiträge deutlich vom Rest des Kurses ab, wobei sich S25 und S26 zusätzlich durch ihren Fleiß hervortun.

Die SuS haben noch Schwierigkeiten damit, sich in andere Personen/Figuren hineinzuversetzen. Dies äußert sich darin, dass es ihnen nicht immer gelingt, sich auf Äußerungen ihrer Mit-SuS zu beziehen und deren Gedankengänge nachzuvollziehen. Daher fällt es ihnen auch schwer, das Handeln literarischer Figuren und dessen Konsequenzen zu erfassen. Dies führt dazu, dass der Kurs teilweise recht lange benötigt, um Arbeitsaufträge zu erledigen. Einen weiteren Grund sehe ich darin, dass es den SuS schwerfällt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie gehen in ihren Ausarbeitungen und Antworten zu sehr auf Details ein und sie können sich nicht immer kurz und präzise äußern. Daher versuche ich den Blick der SuS durch zunächst kleinschrittiges Arbeiten auf das Wesentliche zu richten (Konsequenz 2) und durch Zeitlimits zu einem konzentrierten, schnellen und effizienten Arbeiten anzuhalten (Konsequenz 3).

1.2 Lernvoraussetzungen – Lernausgangslage und Lernstand

Das in der vorliegenden Unterrichtseinheit (vgl. 4.2) behandelte Drama Wilhelm Tell stellt für die Lerngruppe eine Erstbegegnung mit der Gattung Drama dar. Daher wurden zunächst Besonderheiten eines Dramas wie beispielsweise das Personenverzeichnis erarbeitet. Dabei wurden die Figuren aufgrund ihrer Berufe, Herkunft und verwandtschaftlichen Beziehungen verschiedenen Gruppen zugeordnet. Einigen SuS fiel es zunächst jedoch schwer, diese Verbindungen zu erkennen und nachzuvollziehen. Mithilfe von Sekundärtexten und des Vorwissens aus dem GL-Unterricht[5] haben die SuS die Figuren anschließend verschiedenen sozialen Ständen zugeordnet und Vermutungen über mögliche Konfliktpotentiale zwischen den Personengruppen angestellt.[6] Danach erfolgte der Einstieg in den dramatischen Text. Hier wurde der Blick der SuS zunächst auf die dramatische Textgestalt gelenkt, d.h. auf die ausschließlich wörtliche Rede in Versen und deren Ergänzung durch Regieanweisungen. Anschließend folgte die Lektüre der Szene I,1 im Plenum. Nach der Lektüre äußerten einige SuS, dass es ihnen schwergefallen sei, die Sprache des Dramas zu verstehen.[7] Daraufhin habe ich mich für eine kleinschrittige Erarbeitung der Szene I,1 entschieden (Konsequenz 2). Die Szene wurde in fünf Teilabschnitte geteilt und für jeden Abschnitt der Ort des Geschehens, die auftretenden Personen und die Handlung erarbeitet. Daran schloss sich die Erarbeitung des Themas der jeweiligen Teilabschnitte an, die einen ersten Schritt in die Interpretation darstellte. Dies bereitete den SuS im unteren Leistungsbereich Schwierigkeiten, da sie sich vom Text lösen und „zwischen den Zeilen“ lesen mussten. Abschließend wurde die Wirkung/Funktion der Teilabschnitte erarbeitet.[8] Aufgrund der Schwierigkeiten der SuS sich in etwas hinzuversetzen und des sich Verlierens in Details (vgl. 1.1) nahm diese Erarbeitung viel Zeit in Anspruch. Eine Umfrage ergab zudem, dass nur sehr wenige SuS bereits ein Theaterstück besucht haben[9], und somit nicht auf das Vorwissen um die Wirkung einer Theaterszene zurückgreifen konnten. Nach dieser sehr intensiven Beschäftigung mit Szene I,1 folgte die Erarbeitung der Handlungsmotive der verschiedenen Figuren in den Szenen I,2 bis II,1. Hier zeigte sich erneut, dass die SuS den Inhalt nur sehr oberflächlich erfasst, unwichtige Details in den Vordergrund gerückt, andere hingegen überlesen hatten[10]. Die SuS sind mit der für die heutige Stunde relevanten Methode des Schreibgesprächs noch nicht vertraut (vgl. 3.), daher muss nach dem Einstieg eine kurze Erklärung der Methode erfolgen. Da die SuS in der letzten Stunde die Klassenarbeit geschrieben haben, lautete die Hausaufgabe zur heutigen 13. Stunde der Einheit sich die bis dahin erarbeiteten Szenen (I,1 bis II,1) erneut zu vergegenwärtigen.

2. Didaktische Überlegungen

2.1 Didaktische Begründung des Themas

Am Ende der Jahrgangsstufe 9 sollen die SuS „literarische Texte der drei Gattungen kennen gelernt und sich mit ihnen auseinandergesetzt haben“[11], demzufolge soll in dieser Jahrgangsstufe ein „Drama in Auszügen“[12] behandelt werden.[13] Eine Umfrage ergab, dass der Großteil der Lerngruppe gerne ein modernes Drama gelesen hätte (vor allem S18 und S19), sich einige SuS (S23 und S24) aber auch sehr für die Lektüre eines klassischen Dramas einsetzten. Infolgedessen hatte ich zunächst norway.today von Igor Bauersima in Betracht gezogen. S9 war jedoch eine Zeit lang psychisch sehr instabil, sodass ich mich gegen die Thematik des Selbstmords entschieden habe. Zudem ergaben Rücksprachen mit anderen Deutschkolleginnen, dass in den Parallelkursen ebenfalls das Drama Wilhelm Tell behandelt wird, sodass ich mich für dessen Lektüre entschieden habe.

Schillers Drama Wilhelm Tell aus dem Jahre 1804 thematisiert die Unterdrückung des Schweizer Volkes am Ende des 13. Jahrhunderts durch die von Österreich eingesetzten Vögte und deren Helfer. Diese schikanieren die Bevölkerung und demonstrieren ihre Macht, indem sie willkürlich in sämtliche Lebensbereiche der Bevölkerung eingreifen.[14] Das Aufbegehren des Volkes führt zu einem neu gewonnenen Bewusstsein, das in politischem Widerstand und der Selbstbefreiung aus der Unterdrückung gipfelt. Diese Thematik führt dazu, dass das Drama auch im Jahre 2012 eine aktuelle gesellschaftliche Bedeutung hat (Gegenwartsbedeutung). Zwar mögen sich die SuS nicht zwingend die Frage stellen, inwiefern politischer Widerstand legitim ist und was es überhaupt bedeutet, politischen Widerstand zu leisten, dennoch bieten tagesaktuelle Nachrichten genügend Anlässe, den Blick der SuS darauf zu lenken und eventuell deren Bedeutung „für die eigene Lebenswelt zu reflektieren“.[15] Die Übertragung der zentralen Elemente des Dramas auf das tagesaktuelle Weltgeschehen fördert die Transferleistung der SuS, die im Hinblick auf den anstehenden Übergang in die Oberstufe von zunehmender Bedeutung ist (Zukunftsbedeutung).

Der Lehrplan fordert jedoch zunächst, dass die SuS „die äußere und innere Struktur und sprachliche Form des Dramas erkennen“[16]. Im Hinblick darauf, dass es sich um die Erstlektüre eines umfangreicheren dramatischen Texts handelt, habe ich mich dazu entschlossen, die Lektüre gemeinsam mit den SuS im Unterricht zu beginnen (vgl. 1.2) und die etappenweise Fortsetzung der Lektüre fragengeleitet als Hausaufgabe zu stellen. Zudem bietet dies leseschwächeren SuS die Möglichkeit im eigenen Tempo zu lesen. Da es den SuS schwerfällt, das Wesentliche zu erfassen, wurde der 1. Aufzug sehr detailliert analysiert, sodass die SuS die erarbeiteten Techniken wie beispielsweise das Einteilen einer Szene in Abschnitte und das Herausarbeiten von deren Thematik, Wirkung und Funktion (vgl. 1.2) auf die anderen Aufzüge übertragen können. Nach der Erarbeitung des 2. Aufzugs werden die Aufzüge III bis V nur noch auszugsweise besprochen. Diese didaktische Reduktion erscheint mir angesichts der Rezeptionsfähigkeit der Lerngruppe sinnvoll, zumal die Bildungsstandards ohnehin nur die Behandlung eines „Drama[s] in Auszügen“[17] fordern. Zudem ermöglicht sie es dennoch, die Struktur des Dramas nach Freytag im Sinne des kumulativen Kompetenzaufbaus in seinen Grundzügen erfassen zu können.

Um die dramatische Entwicklung und die Thematik der Unterdrückung bis hin zum Widerstand des Volkes gegen die Obrigkeit und den Mord an Geßler durchdringen und die damit verbundene Entwicklung der Figuren verstehen zu können, müssen die SuS jedoch zunächst die „Verhaltens- und Beweggründe der Figuren“[18] nachvollziehen können. Dies wurde in den letzten Stunden bereits angebahnt (vgl. 1.2 und 4.2), blieb jedoch noch sehr an der Oberfläche. Dies führe ich darauf zurück, dass es der Lerngruppe noch schwer fällt, sich in Figuren hineinzuversetzen. Deshalb habe ich mich für eine erneute Thematisierung der Verhaltensweisen der zentralen Figuren entschieden und ins Zentrum der heutigen Stunde gerückt. Die SuS sollen aus den Perspektiven der Figuren heraus deren Verhalten und die damit verbundenen Handlungsmotive erfassen und begründen.

2.2 Didaktische Analyse des Materials

Die im Einstieg verwendeten Zitate (vgl. 4.4) können den vier zentralen Personen(gruppen) Tell, Eidgenossen, Landadel und Vögte zugeordnet werden. Das Zitat Tells „Der Starke ist am mächtigsten allein“ ( V. 437) bietet den SuS die Lernchance Tells Haltung zum politischen Geschehen nachzuvollziehen. Ich gehe nicht davon aus, dass in Bezug auf die Zuordnung des Zitats Schwierigkeiten zu erwarten sind. Tell vertritt die Ansicht, dass solange man friedlich bleibe und sich zurückziehe, nichts zu befürchten habe. Zusammenschlüsse, wie sie die Eidgenossen planen, helfen nicht. Jeder sei jeder auf sich gestellt, insofern wolle er dem Bund nicht beitreten. Dennoch sei er im konkreten Fall zu jeder Hilfeleistung bereit, was u.a. seine selbstlose Tat in Szene I,1 verdeutlicht, als er Baumgarten vor den Landenbergischen Reitern rettet. Das Zögern Tells führte bei einigen SuS zu Irritationen, denn sie erwarteten, dass Tell der Hauptakteur des Widerstands sei.[19] Im Verlauf des Dramas wandelt sich Tell zum Freiheitskämpfer, „dessen Handeln das Befreiungswerk der Eidgenossen in Gang bringt und vollendet“[20], indem er Geßler tötet, um seine eigene Freiheit zu bewahren. Um die Tragweite dieses Wandels erfassen zu können, müssen die SuS jedoch zunächst das Heraushalten Tells aus der Politik nachvollziehen und begründen können. Ein Alternativzitat Tells für den Einstieg hätte Vers 435 sein können: „Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst“, da dies ebenfalls Tell als Einzelkämpfer charakterisiert. Ich habe mich jedoch dagegen entschieden, da Tell im Verlauf des Dramas aufgrund seiner Handlung Stärke und Macht beweist und sich V. 437 somit sinnvoller in den Gesamtzusammenhang integrieren lässt.

Stellvertretend für die Gruppe der Vögte habe ich das Zitat der Landenbergischen Reiter „Ihr sollt uns büßen“ (V. 178) gewählt, wenn diese auch nur eine Nebenrolle spielen. Da bis einschließlich Szene II,1, außer den Fronvögten, kein Vogt auftritt, folglich keinen Redeanteil hat, stehen die Reiter als Helfer der Vögte stellvertretend für diese. Dieser Transfer kann bei den SuS zu Schwierigkeiten in der Zuordnung führen, daher werde ich ggf. bei den SuS nachfragen, welcher größeren Gruppe dieses Zitat zugeordnet werden kann. Als Alternative hätte ich auch ein Zitat eines Fronvogts wählen können: „Denn unter dieses Joch wird man euch beugen“ (V. 372). Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht allen SuS das Wort „Joch“ als Zuggeschirr geläufig ist und da ich Vokabelerklärungen im Einstieg vermeiden möchte, habe ich mich dagegen entschieden. Das Zitat aus Vers 178 (s.o.) verdeutlicht die tyrannische Herrschaft der Vögte. Diese missbrauchen die ihnen von Habsburg verliehene Macht, indem sie sich unbefugt an Dingen bereichern (wollen), die ihnen rechtlich nicht zustehen (Baumgartens Frau, Melchthals Ochsen), die sie sich jedoch aufgrund ihrer Position zu Eigen machen wollen. Bekommen sie diese Dinge nicht, unterdrücken sie das Volk noch stärker (Zerstörung der Hütten/Tötung des Viehs der unbeteiligten Bauern, Blendung von Melchthals Vater) oder demüti-gen es (Aufstellen des zu verehrenden Huts auf dem öffentliche Platz in Altdorf). Aufgrund dieses Verhaltens ist davon auszugehen, dass das Volk noch stärker unter der zunehmend willkürlicher werdenden Herrschaft der Vögte zu leiden haben wird. Diese Erkenntnis hilft den SuS den Widerstand des Volks als Reaktion auf eben jene Willkürherrschaft nachzuvollziehen.

Das Zitat der Eidgenossen „Auf Tod und Leben“ (V. 743) verdeutlicht, wie weit diese letztlich gehen würden, um sich aus der Unterdrückung der Vögte zu befreien. Aufgrund der Lektüre der Szene I,4 wissen die SuS bereits, dass sich die Eidgenossen auf dem Rütli versammeln wollen, um über die Situation zu beraten und den Widerstand zu planen. Dies mag für die SuS als selbstverständlich gelten (vgl. 2.1), da ihnen (noch) nicht bewusst ist, dass es sich dabei um „ein neu gewonnenes Bewusstsein der Bürger und Bauern“[21] handelt. Die Reaktionen von Baumgarten (Tötung Wolfenschießens) und Melchthal (Bestrafung des Boten) auf das Unrecht der Vögte sind dennoch ebenso wenig rechtens wie das Verhalten der Vögte selbst. Dass Baumgarten und Melchthal darum wissen, verdeutlicht deren Flucht vor den Helfern der Vögte. Nach der Tötung Geßlers durch Tell sollen die SuS die Lösung des Konflikts und die Rolle Tells kritisch reflektieren (vgl. 4.2). Dies fällt ihnen vor dem Hintergrund des Wissens um die Reaktionen der Eidgenossen leichter, sodass hier erste Grundsteine zur Beantwortung der Frage nach Mord oder Notwehr gelegt werden.

Vierter Handlungsträger ist der Landadel. Attinghausen und Berta von Bruneck ändern ihr Verhalten im Verlauf des Dramas kaum, sie sehen sich auf der Seite des Volkes. Daher habe ich mich für ein Zitat von Rudenz entschieden: „Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause“ (V. 775). Dieses Zitat sehe ich als das am schwierigsten zuzuordnende Zitat an. Da sich die SuS jedoch im Rahmen der Klassenarbeit (vgl. 1.2) intensiv mit der Szene II,1, in der Rudenz seinen ersten Auftritt hat, beschäftigt haben, gehe ich davon aus, dass die SuS diese Zuordnung dennoch vornehmen können. Rudenz möchte Ruhm und Ehre erlangen und befürchtet, dass ihm dies in der bäuerlich geprägten Schweiz nicht gelingen wird. „Der egoistisch erhofften Vorteile wegen will er die Freiheit seines Landes aufgeben und sich in die neue Ordnung einfügen.“[22] Daher wendet er sich Österreich zu, was bereits an dem Tragen der österreichischen Kleidung festzumachen ist. Zudem möchte Rudenz Berta von Bruneck imponieren, von der er zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, dass sie für die Unabhängigkeit und damit Freiheit des Volkes plädiert. Erst Berta gelingt es, ihn für „die Sache der Freiheit zurückzugewinnen“[23].

Die Erarbeitung dieser Standpunkte hilft den SuS aus Perspektiven der Figuren heraus deren Handlung nachzuvollziehen und zu verstehen, Hypothesen über die weiteren Handlungen der Figuren aufzustellen und diese anhand der Lektüre zu überprüfen. Dabei werden es gerade die zu widerlegenden Hypothesen sein, die Anhaltspunkte für die intensive Auseinandersetzung mit dem Drama bieten.

Als HA lesen die SuS Szene II,2, die den eidgenössischen Schwur zum Aufstand auf dem Rütli thematisiert. Die Szene ist mit gut 500 Versen relativ lang, sodass sie sich eher zur häuslichen Lektüre als zur Lektüre im Unterricht eignet. Um die SuS mit der Materie des Theaters vertraut(er) zu machen, werde ich die Szene II,2 im Einstieg zunächst als Theatermitschnitt präsentieren. Dabei wird den SuS das bereits Gelesene in audio-visueller Form präsentiert und ein weiterer Lerneingangskanal angesprochen. Während der Lektüre/des Hörens und Sehens überprüfen die SuS, inwiefern die in der heutigen Stunde aufgestellten Hypothesen (vgl. 3) zutreffen. Auf diese Weise setzen sie sich erneut intensiv mit dem Verhalten der Figuren auseinander und können erkennen, dass die Eidgenossen nicht aus Rache gegen die Vögte handeln, sondern den „Urstand der Natur“ (V. 1282) wiederkehren lassen wollen, nicht den Kaiser als „Oberhaupt“ (V. 1217) ablehnen und letztlich auch keinen neuen Bund schließen, sondern lediglich „ein uralt Bündnis […] erneuern“ (V. 1156f.).[24]

2.3 Didaktisches Zentrum der Stunde

Das didaktische Zentrum der heutigen Stunde besteht darin, dass die SuS aus der Perspektive der Figuren heraus deren Verhalten und Handlungsmotive erfassen und begründen. Davon ausgehend erstellen sie Hypothesen über die möglichen (Re)aktionen der Figuren im weiteren Verlauf des Dramas. Die SuS werden kompetenter im Bereich Rezipieren, indem sie sich mit den Verhaltens- und Beweggründen der Figuren auseinandersetzen. Die SuS trainieren dies in dieser Stunde, indem sie sich schreibend über ihre Interpretationsansätze verständigen.

3. Methodische Überlegungen zur Stunde

Der Einstieg erfolgt über die Präsentation von vier Zitaten (vgl. 2.2) auf Folie, die die SuS ihren jeweiligen Sprechern zuordnen. Dies dient der Aktivierung des Vorwissens und Vergegenwärtigung der in den Erarbeitungsphasen relevanten Figuren. Daran anschließend werde ich die SuS in der Hinführungsphase fragen, wie ihnen die Zuordnung gelungen ist. Hier gehe ich davon aus, dass ihnen diese nicht schwergefallen sein wird. Allerdings erwarte ich Schwierigkeiten in Bezug auf die Begründung der Verhaltensweisen der Figuren, bzw. gehe ich davon aus, dass diese nur von sehr wenigen SuS (eventl. S22 – S26) geleistet werden kann. Daher habe ich mich dafür entschieden, die SuS in den Erarbeitungsphasen ein Schreibgespräch führen zu lassen, in der sie das Verhalten der Figuren beschreiben und/oder begründen (vgl. 4.6).[25] Alternativ hätte der Arbeitsauftrag auch lauten können, dass die SuS eine der vier Personen(gruppen) wählen und einen inneren Monolog schreiben. Auf diese Weise hätten sie sich auch in die Figur hineinversetzen und deren Verhalten beschreiben und begründen müssen. Ich habe mich aber dagegen entschieden, da die SuS mithilfe des Schreibgesprächs weiteren Input durch ihre Mit-SuS erhalten und so eine vertiefte Verständnisebene erreichen können. Zudem erachte ich die Methode des Schreibgesprächs angesichts der durchschnittlichen Beteiligung der Lerngruppe (vgl. 1.1) für sinnvoll, da „festgefügte Kommunikations- und Diskussionsmuster aufgebrochen werden. […] [SuS], die im mündlichen Gespräch (verbal) eher zurückhaltend sind, werden aufgefordert, sich zu beteiligen“[26] (Konsequenz 1). In der Erarbeitungsphase II ergänzen und kommentieren die SuS die bisherigen Äußerungen ihrer Mit-SuS vor dem Hintergrund der eigenen Interpretationen. Da einige SuS Probleme mit der Beschränkung ihrer Aussagen auf das Wesentliche haben (vgl. 1.1), ist die Methode Schreibgespräch ebenfalls gut für die Lerngruppe geeignet, denn das schriftliche Kommentieren „macht eine Konzentration auf die Kernaussagen […] notwendig. Lange, ausufernde „Redebeiträge“ sind nicht möglich.“[27] Zudem werde ich die SuS durch Zeitlimits zu einem effizienten Arbeiten anhalten (Konsequenz 2). Am Ende dieser Phase kommen die SuS wieder bei „ihrem“ Plakat aus Erarbeitungsphase I an. Sie sehen sich das Ergebnis des Schreibgesprächs an und überlegen, was die Mit-SuS aus ihren Äußerungen gemacht haben. In der Präsentationsphase nennen sie zunächst ihre Stichpunkte und Interpretationen, die zu diesen Stichpunkten geführt haben. Daraufhin präsentieren sie das Ergebnis des Schreibgesprächs im Plenum. In der sich daran anschließenden Reflexion gehen die SuS der Frage nach, ob die Methode ihnen beim Einschätzen und Begründen des Verhaltens der Figuren geholfen hat. In der Erarbeitungsphase III fordere ich die SuS auf, sich zu überlegen, wie mit den Ergebnissen des Schreibgesprächs weitergearbeitet werden kann. Sollten die SuS diese Frage nicht von alleine beantworten können, werde ich ihnen mit der Frage „Welche Reaktionen sind von den Figuren im weiteren Verlauf des Dramas zu erwarten?“ Hilfestellung geben. Das Aufstellen von Hypothesen ist den SuS bereits aus den Anfangsstunden der vorliegenden Einheit bekannt (vgl. 1.2). Die von den SuS aufgestellten Hypothesen werden von mir auf Folie festgehalten. Da das Mitschreiben der Stichpunkte durch die SuS aufgrund des langsamen Arbeitstempos der Lerngruppe sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde, werde ich die Folie nach Ende der Stunde für die SuS als Kopie zur Verfügung stellen. Als HA überprüfen die SuS die aufgestellten Hypothesen, indem sie

[...]


[1] Im Folgenden als „SuS“ angegeben.

[2] Rücksprachen mit im 9. Jahrgang eingesetzten Kollegen bestätigten, dass dies z.Zt. ein verbreitetes Problem darstellt. Auf meine Nachfrage hin gaben einige SuS an, dass sie sich von den Anforderungen und Erwartungen überfordert fühlen.

[3] S1 und S2 habe ich im letzten Halbjahr aufgrund dieser Leistungen in den B-Kurs abgestuft, die Eltern haben jedoch Einspruch eingelegt. Zudem sind S2 und S3 letzte Woche unentschuldigt vom Unterricht ferngeblieben.

[4] Im Folgenden als „HA“ angegeben.

[5] Beispielsweise die Ständepyramide des Mittelalters. Da die SuS jedoch aus unterschiedlichen Klassen kommen (vgl. 1.1) konnte dies nicht vorausgesetzt werden.

[6] Die SuS vermuteten vor allem Konflikte zwischen den Bauern (Streit um Ländereien) oder den Bauern und dem Landadel. Die Vögte blieben zunächst außen vor. Dies führe ich darauf zurück, dass den SuS diese Bezeichnung unbekannt war. Mithilfe von Sekundärtexten wurden deren Aufgaben (Verwaltung, etc.) erarbeitet.

[7] Dies hatte ich antizipiert und bereits bei der Auswahl der Textausgabe darauf geachtet, dass diese über Annotationen verfügt. Alternativ hätte man auch eine vereinfachte Textausgabe beispielsweise aus der …einfach klassisch -Reihe des Cornelsen-Verlags wählen können, mir war es jedoch wichtig, dass die SuS sich mit dem Originaltext auseinandersetzen. Im Laufe der Lektüre haben sich die meisten SuS jedoch an die Verssprache gewöhnt.

[8] Vgl. Hessisches Kultusministerium (Hrsg.): Lehrplan Deutsch. Gymnasialer Bildungsgang. Jahrgangsstufen 5 bis 13. S. 42.

[9] Leider hat z.Zt. keines der hessischen Theater Wilhelm Tell im Repertoire.

[10] Das Aufstellen des Huts in Szene I,3, das ein weiteres Zeichen der tyrannischen Herrschaft der Vögte ist.

[11] Lehrplan, S. 42.

[12] Hessisches Kultusministerium (Hrsg.): Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Sekundarstufe I – Gymnasium. Deutsch. S. 24

[13] Das Schulcurriculum macht an dieser Stelle keine Vorschläge.

[14] privat: Wolfenschießens sexuelles Begehren von Baumgartens Frau; ökonomisch: Landenbergers Griff nach Melchthals Ochsen; politisch: Geßlers Bau der „Zwing Uri“ und das Aufstellen des Huts

[15] Hessisches Kultusministerium (Hrsg.): Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Sekundarstufe I – Gymnasium. Deutsch. S. 51.

[16] Lehrplan, S. 42.

[17] Bildungsstandards, S. 24.

[18] Lehrplan, S. 42.

[19] S18 fragte, warum das Drama überhaupt den Titel „Wilhelm Tell“ trage.

[20] Schumacher, Günter, Vorrath, Klaus: Wilhelm Tell. EinFach Deutsch: Unterrichtsmodell. Hrsg. v. Johannes Dieckhans. Schöningh 1999. S.7.

[21] EinFach Deutsch, S. 24.

[22] EinFach Deutsch, S. 25.

[23] EinFach Deutsch, S. 8.

[24] Vgl. EinFach Deutsch, S. 34.

[25] Da auf diese Weise binnendifferenziert gearbeitet werden kann erfolgte die Gruppeneinteilung durch mich. Ich habe darauf geachtet, dass SuS verschiedener Leistungsniveaus innerhalb der Gruppen aufeinandertreffen.

[26] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. Methodenkoffer: Schreibmeditation, Stummes Schreibgespräch. http://www.bpb.de/methodik/J4X0OC,0,0,Anzeige_einer_Methode.html?mid=283 (Zugriff am 29.02.2012)

[27] Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung. Methodenkoffer: Schreibdiskussion. http://www.bpb.de/methodik/

J4X0OC,0,0,Anzeige_einer_Methode.html?mid=282 (Zugriff am 29.02.2012)

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Ist der Starke am mächtigsten allein? – Unterdrückung und Widerstand in Schillers 'Wilhelm Tell'
Untertitel
Welche Handlungsoptionen bieten sich den Figuren aufgrund der Willkürherrschaft der Vögte?
Hochschule
Studienseminar für Gymnasien in Offenbach
Note
2
Autor
Jahr
2012
Seiten
14
Katalognummer
V190568
ISBN (eBook)
9783656162940
ISBN (Buch)
9783656163961
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wilhelm Tell, Friedrich Schiller, Schreibgespräch, 9. Klasse
Arbeit zitieren
Sarah Müller (Autor:in), 2012, Ist der Starke am mächtigsten allein? – Unterdrückung und Widerstand in Schillers 'Wilhelm Tell', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190568

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Ist der Starke am mächtigsten allein? – Unterdrückung und Widerstand in Schillers 'Wilhelm Tell'



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden