Die Vorstellung von dem Messias ben Ephraim im Judentum


Bachelorarbeit, 2011

69 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Biblische Hinweise auf einen Messias ben Ephraim
2.1 Das Buch Jesaja
2.2 Das Buch Sacharja

3. Die Vorstellung des Messias ben Ephraim im Babylonischen Talmud
3.1 Einführung
3.2 Sukka 52a
3.3 Sukka 52b
3.4 Sanhedrin 98a/b

4. Der Messias ben Ephraim in Eschatologie und Apokalyptik
4.1 Eschatologie und Apokalyptik im Judentum
4.2 Die Apokalypse des Zerubbabel

5. Die Vorstellung des Messias ben Ephraim in rabbinischen Homilien
5.1 Einführung
5.2 Pesikta Rabbati 34
5.3 Pesikta Rabbati 36
5.4 Pesikta Rabbati 37
5.5 Bedeutung

6. Der Messias ben Ephraim in der späteren Literatur

7. Sabbatai Zwi als leidender Messias
7.1 Die lurianische Kabbala als vorausgesetzte Lehre
7.2 Die Projektion des leidenden Messias auf Sabbatai Zwi und ihre Folgen

8. Der Messias ben Ephraim als exegetisches, zeitgeschichtliches und religionspsychologisches Ergebnis jüdischer Geschichte
8.1 Zusammenfassung
8.2 Ausblick und Fazit

9. Literaturliste
9.1 Quellen und Sekundärliteratur
9.2 Nachschlagewerke
9.3 Internet

1. Einleitung

Die Bachelorarbeit mit dem Titel

“Die Vorstellung von dem Messias ben Ephraim im Judentum” beschäftigt sich mit dem Aufkommen einer zweiten Messiasfigur in den Heilserwartungen der Juden im Laufe ihrer Geschichte.

Ausgehend von der Annahme, dass es zunächst nur eine Erlöserfigur in der jüdischen Eschatologie gab, verwundert das plötzliche Erscheinen eines weiteren Heilsbringers im Babylonischen Talmud. Im Laufe der jüdischen Geschichte entwickelte sich ein gespaltenes Messiasbild von zwei getrennten Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Eigenschaften und Funktionen am Ende aller Tage. Während der eine Messias zum strahlenden königlichen Retter erhoben wird, dem das ewige Leben zugeteilt wird, ist Messias ben Ephraim eine leidende Figur, beladen mit den Sünden Israels, der zum Tode verurteilt ist und in einer endzeitlichen Schlacht mit dem Bösen sein tragisches Ende finden wird.

Dies ist aber keineswegs als gescheitert zu beurteilen, sondern als Notwendigkeit, da er das Erscheinen des königlichen Messias aus dem Hause David erst möglich machen wird.

Bereits in biblischer Zeit finden sich Hinweise auf diese Spaltung.

In erster Linie geht es hier darum, zu klären, wieso es zu einer solchen Spaltung des Messiasbildes kommen konnte und welchem Zweck diese Konzeption in der jüdischen Geschichte zu folgen vermochte. Dass jedoch diese Vorstellung gegenwärtig nicht mehr präsent zu sein scheint, obwohl sie im Mittelalter zu einem Grundpfeiler des Judentums wurde, verwundert auf den ersten Blick ebenso wie sein plötzliches Auftreten im Babylonischen Talmud.

Zunächst wird auf biblische Hinweise eingegangen, die die erste namentliche Erwähnung des Messias ben Ephraim im Babylonischen Talmud überhaupt möglich machten. Da sich die fortlaufende Literatur, so auch der Talmud, bezüglich des Messias ben Ephraim immer wieder auf Bibelstellen in den Prophetenbüchern Jesaja und Sacharja beziehen, ist es wichtig, auf diese Schriften einzugehen und ihre Besonderheiten aufzuführen.

Daher ist die unterschiedliche Darstellung eines Erlösers im Buch Jesaja erwähnenswert und die damit verbundene Frage, nach einer Begründung dieser entgegengesetzten Beschreibung der hier noch einen Persönlichkeit durchaus berechtigt. Im Buch Sacharja kommt es zu einer Gewaltenteilung zwischen zwei Persönlichkeiten am Ende aller Tage entgegen der bis dato herkömmlichen Annahme eines einzelnen Erlösers. Diese Idee einer Doppelregentschaft ist signifikant bei der Entstehung eines gespaltenen Messiasbildes in den folgenden Jahrhunderten.

Dann wird auf die relevanten Textstellen im Babylonischen Talmud eingegangen, die als älteste namentliche Erwähnung des Messias ben Ephraim gelten, bevor im Weiteren auf die Apokalyptik im Judentum und dem Prozess der Eschatologisierung Bezug genommen wird. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Themen so komplex und vielfältig sind, können diese nur begrenzt dargestellt werden.

Anschließend wird eine apokalyptische Schrift, das Sefer Zerubbabel, exemplarisch vorgestellt, das zur Konstruktion des zweiten Messias beigetragen hat, da es großen Anklang in der Bevölkerung fand. Dass der ephraimitische Messias eine wesentliche Bedeutung gehabt haben muss für die jüdischen Gemeinden der damaligen Zeit und keine Randfigur war, soll durch die Darstellung von drei ausgewählten rabbinischen Homilien im Mittelalter verdeutlicht werden, ebenso durch Erwähnungen seiner Person bei bedeutenden Gelehrten wie Saadia Gaon und Raschi .

Der Glaube an den Messias ben Ephraim fand im 17. Jahrhundert seinen deutlichen Höhepunkt in den messianischen Bewegungen um Sabbatai Zwi . Mit der Vorstellung dieser Epoche schließt der Hauptteil dieser Ausarbeitung ab, da in den anschließenden Jahrhunderten keine bedeutenden Hinweise auf ihn zu finden sind1.

Oberhänsli-Weber, Gabriele: Der leidende Messias in der jüdischen Literatur, Freiburg 1998, S. 140

2. Biblische Hinweise auf einen Messias ben Ephraim

2.1 Das Buch Jesaja

Jesaja gehörte zu den großen Schriftpropheten der hebräischen Bibel und wirkte von ca. 740 bis 701 v. d. Z. im südlichen Teil des Reichs von Juda2 und soll nur der tatsächliche Verfasser der ersten 39 Kapitel sein, die in dieser Zeit entstanden sein sollen.

Die Religionswissenschaftler teilen das Buch “Jesaja” in drei Verfasser auf: Proto-Jesaja, Deutero-Jesaja und Trito-Jesaja .3

Proto-Jesaja wird auch der vorexilische Jesaja genannt und soll der historischen Figur entsprechen, die im 8.Jahrhundert v.d.Z. in Palästina wirkte4. Man kann also davon ausgehen, dass es sich hier um den wirklichen Jesaja handelte, während die anderen Autoren nur unter seinem Synonym schrieben. Deutero-Jesaja gilt als Urheber der Kapitel 40 bis 55, die im 6.Jahrhundert bereits im Angesicht eines baldigen Ende des Babylonischen Exils5 und dem Aufstieg des Perser Kyros6 entstanden.

Trito-Jesaja ist demzufolge der Verfasser der abschließenden Kapitel 56 bis 66 in der nachexilischen und persischen Zeit, wobei hier mehrere anonyme Autoren vermutet werden7 und eher als ein Sammelwerk verschiedener Texte angesehen wird.

Dennoch ist Jesaja der erste Prophet, der den Israeliten einen Messias voraussagt und dies in besonderer Weise in Kapitel 11 ankündigt. Interessant ist hier anzumerken, dass Messias vom hebräischen Wort nichts anderes als “Gesalbter” bedeutet und in der hebräischen Bibel als eine Art Hoheitstitel angesehen wird für einen Menschen, der besondere Aufgaben für das Volk Israel zu erfüllen hat. Man findet also in erster Linie historische Personen mit entsprechender Bezeichnung, denen keine endzeitlichen Heilerwartungen zugesprochen werden.

Es bildete sich ein sakrales Königtum, eine Theokratie aus, womit der jeweilige Herrscher durch seine Salbung unantastbar gemacht wurde8. Die Existenz des Reiches wurde jeweils so gerechtfertigt. Nach dem Zerfall Israels und mit Beginn des Babylonischen Exils wurden insbesondere Hohepriester gesalbt. Sie erhalten nun die Gewalt über den Tempel, dem bisher der König vorstand. Später wurde sogar der fremde Herrscher Kyros aus Persien als Messias bezeichnet, da er den Willen Gottes vollstreckt haben soll9. Es ist hier demnach festzuhalten, dass ursprünglich nicht von dem einen Helden ausgegangen wurde, der die Welt retten wird, sondern Messias eine Bezeichnung für mehrere Menschen sein konnte und auch immer wiedergekehrt ist. Den endzeitlichen Heilsbringer und das, was wir im Allgemeinen unter einem Messias verstehen, tritt jedoch erst hier auf.

Durch das Wegbrechen eines israelitischen Königreiches in jener Zeit, passiert etwas Gegenteiliges. Die Erwartung eines Königs wird eschatologisiert. Seine Wiederkehr wird auf die ferne Zukunft verlegt und projiziert auf einen möglichen Übermenschen, der es vermag einer mächtigen Fremdherrschaft zu trotzen. Proto-Jesaja zeichnet ein perfektes und souveränes Messiasbild, ein Superlativ einer strahlenden Figur auf dem der Geist des Herrn, der Geist der Wahrheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und Furcht des Herrn 10 ruhen. Er soll der Richter der Gottlosen und der Verteidiger sowie Schützer der Bedürftigen sein. Das Erscheinen dieser Erlöserfigur soll nach Proto-Jesaja die Welt in absolute Harmonie führen11 und nichts B ö ses noch Verderbliches 12 wird getan werden.

Bis dahin wird ein Messias dargestellt, der dem gängigen Bild eines Erlösers entsprechen mag. Diese Darstellung entspricht ganz der Vorstellung eines perfekten Herrschers. Im weiteren Verlauf jedoch, zeichnen sich bald dunklere Seiten ab und es verwundert, dass ein ganz anderes Bild entsteht, welches dann in den folgenden Jahrhunderten zu einer richtigen Spaltung führte:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jedoch unsere Leiden - er hat sie getragen und unsere Schmerzen - er hat sie auf sich geladen.

Wir aber, wir hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen. Die Strafe lag auf ihm zu unserem Frieden und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden. Wir alle irrten umher wie Schafe, wir wandten uns jeder auf seinen Weg; aber der Herr ließ ihn treffen unser aller Schuld. Er wurde misshandelt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf wie das Lamm, dass zur Schlachtung geführt wird14

Nun wird ein Messias beschrieben, der größtes Leid erfahren wird und aufgrund der Sünden des Volkes Misshandlungen und Verachtung ertragen muss. Sein Aussehen soll entstellt sein, mehr als das irgendeines Menschen und die Nationen werden über ihn erstaunt sein15.

Der zuvor als prächtige Erscheinung beschriebene Heilsbringer wird in Jesaja 53 als Person dargestellt, die keine Gestalt oder Pracht besitzt und verachtet sowie verlassen sein wird von den Menschen.

Wieso dieser plötzliche Wandel?

Um die Frage zu klären, wieso innerhalb eines Prophetenbuches die Vision von einem Messias am Ende der Zeit umschlägt, muss der geschichtliche Hintergrund der Entstehung dieses Kapitels erläutert werden. Wie bereits erwähnt, gab es zunächst einen Autor, der in vorexilischer Zeit die Kapitel 1-39 verfasste, Proto-Jesaja. In dieser Epoche fällt also zunächst das souveräne und strahlende Messiasbild.

Zu dieser Zeit war das Königreich Juda und das Nordreich Israel noch vereint und der heilige Tempel existierte in Jerusalem, jedoch erlebte der historische Jesaja den schrittweisen Zerfall des Nordreiches Israel bzw. Judas durch die assyrische Eroberung des Nahen Osten ab 740 v.d.Z. durch den Assyrer-König Tiglat-Pileser16, der bis ca. 732 n.d.Z. das gesamte Gebiet Syrien-Palästina unter sich bezwang und sogar ins Heiligtum einzog, indem anstelle des Jahwealtar der assyrischen Hauptgottheit Assur gehuldigt werden sollte17 und der bisherige Königseingang zugemauert wurde.

Das einst existierende Königreich der Israeliten wurde so in tributzahlende Provinzen aufgeteilt. Dem zweiten Autoren von Jesaja, Deutero-Jesaja ereilte allerdings eine viel größere Tragödie: es ereignete sich nicht nur eine weitere Eroberung durch den babylonischen König Nebukadnezar und dem damit verbundenen Beginn des Babylonischen Exils ab 597 v.d.Z, sondern es kam 586 zur Zerstörung des Jerusalemer Tempel, dem Heiligtum und religiösen Mittelpunkt der Juden.

Auch wenn dieses Schicksal durchaus als Bestrafung Gottes angesehen wurde für sündhaftes Verhalten, ereilte eine niemals da gewesene Hoffnungslosigkeit die jüdische Bevölkerung in Palästina.

Eine Art Schuldbekenntnis kann man sicherlich in den Worten Jesajas erkennen und ein Opferlamm gleich dem Azazel-Ritus18 wurde nötig.

Dem Bock für Azazel wurde durch einen Hohenpriester die Schuld des ganzen Volkes aufgeladen und dann in die Wüste geschickt. Wer oder was Azazel ist, wird hier nicht geklärt19. Vermutlich der Teufel selbst, zu dem die Sünde symbolisch hingeschickt wird, da dies auch ihr Herkunftsort sei. Ziel dieses Ritus ist es, ganz Israel zum ursprünglichen reinen Zustand der Sündlosigkeit zu führen20. Bis dato war jenes Sühneopfer Israels Bewahrung vor dem Tod und notwendig, um von Gott verschont zu werden.

Hierzu entschied ein Losverfahren über das Schicksal zweier Opfertiere.

Das eine Tier war für Azazel bestimmt und wurde behaftet mit den schlechten bzw. dunklen Seiten und stellte all das dar, was Gott nicht ist - Unreinheit und Aussätzigkeit.

Das verbleibende Tier war als Sühneopfer für JHWH bestimmt und wurde im Gegenzug mit positiven Aspekten beladen, das im Heiligtum geopfert werden sollte, was jedoch nun ohne Tempel nicht mehr möglich war. Und genau hier sind Jesajas Worte als Paradigmenwechsel der eigenen Sündhaftigkeit zu interpretieren.

Während bisher zwei Opfertiere am Tag der Versöhnung, dem Yom Kippur ausreichend erschienen und die Sünde zu verbüßen vermochten, scheint es nun so, als ob die große Strafe Gottes und die damit verbundene Tragödie einem so verhältnismäßig geringen Wert beispielsweise einer Ziege nicht genügen kann. Des Weiteren macht das Fehlen des Jerusalemer Tempels die Zeremonie ohnehin zunächst einmal unmöglich. Anstelle des Azazel-Opfertieres wird ein Menschenopfer gerückt, eine Person, die stellvertretend für Israel alle Sünden auf sich lädt und für ihre Befreiung das Leiden erduldet.

Dieser Erlöser hat so durch seine einmalige Selbstopferung eine S ü hne gefunden, welche der g ö ttlichen Gerechtigkeit f ü r alle Zeiten Genugtuung 21 geben wird.

Deutero-Jesaja schafft eine Projektionsfläche für das jüdische Volk der damaligen Zeit. Er bildet eine Erlöserfigur, die das große Leid der Zeit auf sich nehmen kann und soll.

Man könnte diese Textstelle bezüglich den zwei Messiasfiguren so interpretieren, dass sie für jene zwei Opfertiere stehen, die mit jeweiligen positiven oder negativen Aspekten beladen werden.

Während der Messias ben Ephraim das Negative darstellt und für das gesamte sündhafte Volk steht, der sich mit dem Teufel (Azazel) auseinandersetzen muss und schließlich sterben wird, soll das Positive für den heiligen Messias ben David aufbewahrt werden.

Er wird das Opfer für JHWH sein. Beide Opfer erlösen schließlich das Volk und führen sie zurück in den Zustand der Sündlosigkeit.

Der Messias des Kapitel 53 wird zum leidenden Gottesknechten, zum Stellvertreter am Tag der Erlösung, am Welten-Yom-Kippur , der sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hat 22 und der sich ihre S ü nden selbst aufladen wird 23 . Die eschatologische Schrift Awkat Rochel von Rabbi Machir aus dem Spanien des 14.Jahrhunderts bestätigt den Zusammenhang zu Jesaja 53,3-4 und die Leiden des Messias als Notwendigkeit, um die Sünden der Menschen zu tilgen24.

Auch der Sohar wird im 13.Jahrhundert sich auf diesen Vers beziehen und darin die Sündenlast sehen, die durch die Missachtung der Weisung entstanden ist.

Indem das israelitische Volk seine Opferungen im Heiligen Land erbringen konnte, blieben Krankheiten und größere Katastrophen von der Welt fern25. Ein solches Opfer bringt den alten Zustand zurück.

So wird eine Hoffnung erschaffen in der absoluten Hoffnungslosigkeit.

Ein Wunsch, doch noch dem göttlichen Strafgericht entkommen zu können und dem Tod zu entgehen.

Im Anbetracht der Tatsache, dass nun ohne Tempel den Juden jegliche religiöse Grundlage für ihren generellen Opferkult fehlte, bedrängte sie nach um so mehr, eine Ersatzhandlung zu finden, um verschont zu werden. Der Messias i st durch die Ü bernahme der Leiden und Qualen Israels das Opferlamm, durch welches die levitischen Opfer ihren Abschluss und Zielpunkt erreicht haben 26 und den Tempelkult quasi unerheblich machen. “ Er wird sein Leben hingeben und sein Blut wird das Volk mit JHWH vers ö hnen ” , so die Interpretation von Jesaja Hurwitz27 in einem kabbalistischen Kompendium aus dem 16.Jahrhundert n.d.Z.

Wenn man diese Textstelle in Jesaja bereits auf Messias ben Ephraim beziehen möchte, muss folgender Aspekt erwähnt werden: Im Kapitel 49,3 wird Israel als Knecht Gottes selbst bezeichnet28. Man kann durchaus an dieser Stelle auch vermuten, dass psychologisch betrachtet der leidende Messias eine Projektion und Personifikation des leidenden Israels ist29.

Die Darstellung eines Messias in Kapitel 11 und 53 entspricht gemäß dieser Annahme dem jeweiligen Selbstbildnis des israelitischen Volkes im Zusammenhang mit ihrer Geschichte. So können u.a. die Worte in Jesaja 52,13- 15 als Prophezeiung über das glückliche Ende ihrer Leiden interpretiert werden, bzw. - was bedeutender erscheint- über das Ziel und den Sinn des Ganzen:

Siehe, mein Knecht wird erfolgreich sein. Er wird erhoben und erh ö ht werden und sehr hoch sein. Wie sich viele ü ber dich entsetzt haben - so entstellt war sein Aussehen, mehr als das irgendeines Mannes, und seine Gestalt mehr als die der Menschenkinder - , ebenso werden viele Nationen ü ber ihn erstaunt sein, ü ber ihn werden K ö nige ihren Mund schlie ß en. 31

In dem folgenden Kapitel 54 wird von einer Wiederaufnahme Israels im Bund mit Gott gesprochen, dass es zu einem Bevölkerungswachstum kommen soll und Israel in Herrlichkeit sowie Sicherheit leben wird.

Die dunkle Vergangenheit soll ein Ende haben und Israel wird seinen Feinden nicht mehr ausgeliefert werden, wenn sie diese Zeit der Gottverlassenheit überstehen.

Die Vorstellung eines leidenden Messias, sei es das Volk selbst oder eine einzelne herausragende Person, wurde somit nicht nur zur Hoffnung in der absoluten Hoffnungslosigkeit, sondern vielmehr als Notwendigkeit konstruiert. Das Leiden ergibt so einen höheren Sinn und muss durchlebt werden. Daraus ergibt sich eine Antwort auf die immer wiederkehrende Theodizeefrage32.

Jesaja kann nur als vager Hinweis dienen auf den Messias ben Ephraim. Noch wird hier von ein und derselben Person ausgegangen.

Lediglich der plötzliche Umbruch der messianischen Darstellung verwundert und gab zu einem späteren Zeitpunkt in der Geschichte Anlass für deutlichere rabbinische Aussagen bezüglich eines leidenden Messias, worauf noch eingegangen wird.

Was hier intra-personell erdacht wurde, erfährt im weiteren Verlauf durch den Propheten Sacharja eine tatsächliche Spaltung.

2.2 Das Buch Sacharja

Sacharja gehört zu dem Zwölfprophetenbüchern der hebräischen Bibel und wird in 2 Abschnitte unterteilt, die verschiedenen Autoren zugesprochen werden33 : Kapitel 1 bis 8 und Kapitel 9 bis 14.

Die Person Sacharja findet an anderen biblischen Stellen Erwähnung wie beispielsweise Esra 5,1 und Nehemia 12,16 , während er selbst um das Jahr 518 v.Z. gewirkt haben soll34. Er greift die Idee eines Königmessianismus und eines Priestermessianismus auf35. Sacharja sieht in seinen Visionen den damaligen Statthalter von Juda, Zerubbabel, als Messias-König und den Hohenpriester Jehoschua als Messias-Priester und entwickelt so das Bild einer zweiköpfigen Führung am Ende der Tage, die nun angebrochen ist, da das Heil nahe zu sein scheint36. Ein Engel interpretiert für ihn seine Version von zwei Ölbäumen als die beiden Gesalbten, die bei dem Herrn der ganzen Erde stehen 37.

Zuvor wird deutlich Zerubbabel als Wiedererbauer des Tempels vorausgesagt38. Tatsächlich wird die Erbauung des Zweiten Tempels um ca. 515 v.d.Z. auf ihn zurückgeführt.

Da Zerubbabel der Enkel des nach Babylon verschleppten letzten König Judas Jojachin war und nun in der persischen Zeit Palästinas bzw. nachexilischen Epoche zum natürlichen Regierungsnachfolger gehörte, jedoch ein Königtum nicht möglich war unter der Fremdherrschaft des Perser-König Kyros, wurde er zum Statthalter Jerusalems ernannt. Haggai sieht in ihn bereits den zu erwartenden Messias39 und erwähnt Zerubbabel und den Hohenpriester Jehoschua als Führungsduett, das die Nation zurückbringen wird nach Jerusalem, damit der Tempel wieder aufgebaut wird.

Im Buch Sacharja werden zunächt die Begebenheiten aus Jesaja noch einmal aufgegriffen:

Ich habe mich Jerusalem in Erbarmen wieder zugewandt. Mein Haus soll darin gebaut werden 40

Gott erwähnt hier die Wiederaufnahme Israels aus Jesaja 54 und fügt nun hinzu, dass sein Tempel wiedererrichtet werden soll. Durch Sacharjas Vision des achten Nachtgesicht, erfahren wir über die Weissagung Gottes, dass dem damaligen Hohenpriester Jehoschua eine Krone aufgesetzt werden soll und es noch einen Herrscher geben wird, der den Tempel wieder aufbauen wird. Auf dem Thron Gottes wird jene Person sitzen und zu seiner Seite ebenfalls ein Priester.

Im 9.Kapitel kündigt Gott das Gericht über Israel an, indem er Juda als Bogen gespannt hat und mit Ephraim gef ü llt 41 gegen Israels Widersacher. Es wird ein König prophezeit, der demütig und auf einem Esel reitend nach Jerusalem kommen wird. Die Kinder Israels werden zurückkehren aus anderen Ländern und Ephraim wird sein wie ein Held 42.

Dann folgt eine Aussage, die im späteren Verlauf Anlass zu gewissen Spekulationen bezüglich eines leidenden Messias geben wird aufgrund der Prophezeiung eines Durchbohrten und insbesondere zur entsprechenden Textstelle im Babylonischen Talmud wird, die zur ersten namentlichen Erwähnung des Messias ben Ephraim/Josef im Abschnitt Sukka 52a führt:

Und es wird geschehen an jenem Tag, da trachte ich danach, alle Nationen zu vernichten, die gegen Jerusalem herankommen. Aber ü ber das Haus David und ü ber die Bewohnerschaft von Jerusalem gie ß e ich den Geist der Gnade und des Flehens aus, und sie werden auf mich blicken, den sie durchbohrt haben , und werden ü ber ihn wehklagen, wie man ü ber den einzigen Sohn wehklagt, und werden bitter ü ber ihn weinen, wie man bitter ü ber den Erstgeborenen weint 44

In Sacharja werden erneut zwei Aspekte deutlich, die nicht zur eigentlichen Messiasfigur passen mögen. Er beschreibt einen König, der demütig auf einem (nicht-königswürdigen) Esel nach Jerusalem kommen wird und es wird ein Durchbohrter und Missverstandener am Ende der Tage vorausgesagt ohne weitere Erklärung.

Das Besondere am Propheten Sacharja ist die Situation, dass er einen Engel benötigt, der ihm seine Visionen deuten kann, da sie für ihn zu schwierig zu verstehen sind.

Er hat zwar im “klassischen Sinne” prophetische Eingebungen und sieht die kommende Welt, jedoch kann er die Botschaften nicht selbst entschlüsseln. An dieser Stelle beginnt ein erster leichter Übergang von Prophetie zu Apokalyptik45.

Es sei hier festzuhalten, dass es nun eine Prophezeiung über zwei Gesalbte an der Seite Gottes gibt, denen jeweils verschiedene Aufgaben zuteilwerden. Hier wird nun das Messiasbild zum ersten Mal gespalten. In Jesaja fanden wir eine intra-personelle Vorstellung, die nun auseinanderdividiert wurde durch Sacharja.

Da beides verloren ging für die Israeliten, ihr Königtum und ihr Heiligtum, und bisher der eine Messias dem vorexilischen König entsprach, der Inkarnation Gottes46, der die Theokratie wieder zu errichten hat, musste sich ein weiteres Bild abzeichnen für die spirituelle Bedeutung Israels und eine Heilsfigur konstruiert werden für die Wiedererrichtung Jerusalems als geistiges Zentrum. Ziel war die Wiederbelebung eines irdischen und eines himmlischen Reiches, eines territorialen Israels und eines spirituellen Israels.

Während der Messias in Jesaja 11 ein eschatologisiertes Königsbild ist aufgrund des Zerfalls eines israelitischen Königreiches, wird hier ein weiterer Gesalbter nötig zur Errichtung des Tempels.

Noch werden in Sacharja historische Personen mystifiziert, doch der Verlauf der weiteren jüdischen Geschichte wird zweifellos zu einer gewissen Enttäuschung geführt haben in Anbetracht der Tatsache, dass sich fremde Herrscher in Palästina nahtlos die buchstäbliche Klinke in die Hand gegeben haben bis hin zur erneuten Zerstörung des Tempels in Jerusalem. So musste die Erwartung einer Rekonstruktion Jerusalems und des israelitischen Reiches sowie einem Gericht Gottes über alle Widersacher immer weiter in die Zukunft gerückt werden und fand ihren Platz in den Spekulationen einer apokalyptischen Literatur.

Hier wird die Idee einer Doppelregentschaft fortgeführt bis hin zur detaillierten Darstellung der letzten Tage. So wird beispielsweise in der Qumran-Literatur einem Messias-König aus Israel ein Messias-Priester aus Aaron entgegengesetzt. Allerdings sei hier gesagt, dass u.a. W. H. Brownlee47 vermutet, dass hinter diesen zwei Messiassen Anhänger des einen Messias stecken, der hier als Prophet bezeichnet wird.

Jedenfalls taucht in der späteren Geschichte, ca. im 7.Jahrhundert n.d.Z. eine apokalyptische Schrift des Zerubbabel auf, das Sefer Zerubbabel, die den Anschein erwecken soll, sie sei von der historischen Figur Zerubbabel aus Haggai bzw. Sacharja selbst verfasst worden.

[...]


1 Oberhänsli-Weber, Gabriele: Der leidende Messias in der jüdischen Literatur, Freiburg 1998, S. 140

2 http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/prophetische-buecher/jesaja/ Stand: 01.April 2011

3 http://home.mnet-online.de/iazzetta/einl/proph/proph2.htm Stand: 01.April 2011

4 Oberhänsli-Weber, Gabrielle: Der leidende Messias in der jüdischen Literatur, In: Judaica - Beiträge zum Verstehen des Judentums 54, Freiburg 1998, S.133

5 Jesaja 43,14 sowie 46-47, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

6 Jesaja 44,26-27, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

7 http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/prophetische-buecher/tritojesaja/ Stand: 01.April 2011

8 Beispiel: 1.Samuel 24,7-11

9 Jesaja 45,1

10 Jesaja 11,2-3, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

11 Jesaja 11, 8-9, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

12 Jesaja 11,9 , Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

13 Jesaja 53,4-7, Biblica Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1997

14 Jesaja 53,4-7, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

15 Jesaja 52,14

16 http://www.joerg-sieger.de/einleit/allgem/02gesch/all22.htm#f Stand: 19.April 2011

17 2.Könige 16,10-18

18 3.Buch Mose 16,8-10

19 Im 1.Buch Henoch wird er als gefallener Engel bezeichnet, der den Menschen u.a. den Umgang mit Waffen lehrte. Siehe Henoch, Kapitel 8-10/ in der Apokalypse Abrahams wird er als die Schlange zwischen Adam und Eva interpretiert http://www.bibelwissenschaft.de/de/nc/wibilex/das-
bibellexikon/details/quelle/WIBI/referenz/31946/cache/1ce7e29e54abc0d69f8c160ff9aae5ea/
Stand: 19.April 2011

21 Wünsche, August: Die Leiden des Messias, Leipzig 1870, S. 87

22 Jesaja 53,10

23 Jesaja 53,12

24 Zobel, Moritz: Gottes Gesalbter - Der Messias und die messianische Zeit in Talmud und Midrasch, Berlin 1938, S. 148

25 Ebd. S.157

30

26 Wünsche, August: Die Leiden des Messias, Leipzig 1870, S. 110

27 Hurwitz, Siegmund: Die Gestalt des sterbenden Messias - Religionspsychologische Aspekte der jüdischen Apokalyptik, Rascher Verlag Zürich & Stuttgart , 1958, S.161

28 siehe auch Jesaja 41,8 und Jesaja 42,1

29 Patai, Raphael: The Messiah Texts, Wayne State University Press 1989, S.105

30 Jesaja 52, 13-15, Biblica Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1997

31 Jesaja 52, 13-15, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

32 „Rechtfertigung Gottes“ - Wie ist das Leiden mit der Allmacht Gottes vereinbar?

33 http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/dodekapropheton-kleine- propheten/sacharja/ Stand: 01.April 2011

34 http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/dodekapropheton-kleine- propheten/sacharja/ Stand: 01.April 2011

35 Sacharja 4, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

36 Sacharja 8,18-19, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

37 Sacharja 4,14

38 Sacharja 4,7

39 Haggai 2,20-23

40 Sacharja 1,16, Revidierte Elberfelder Bibel, Brockhaus Verlag Wuppertal, 1987

41 Sacharja 9,13

42 Sacharja 10,7

43

43 Sacharja 12,9-10, Biblica Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1997

44 Sacharja 12,9-10

45

http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/dodekapropheton-kleine- propheten/sacharja/

Stand: 01.April 2011

46 Auf dieses Motiv gehe ich in 3.1 detailliert ein

47 Brownlee, W.H.: The Dead Sea Manual of Discipline - Translation and Notes, Supplementary Studies in: Bulletin of the American Schools of Oriental Research, New Haven, 1951

Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Die Vorstellung von dem Messias ben Ephraim im Judentum
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Jüdische Studien)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
69
Katalognummer
V190488
ISBN (eBook)
9783656152583
ISBN (Buch)
9783656152989
Dateigröße
625 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Judentum, Messias, Leidender Gottesknecht, Messias ben Ephraim, Messias ben Joseph, Theodizefrage, Sabbatai Zwi, Jesaja 53, Erlösung, Israel
Arbeit zitieren
Patricia Yeshurun (Autor:in), 2011, Die Vorstellung von dem Messias ben Ephraim im Judentum, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190488

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