Ausführliche Erläuterungen zur Parabel für Oberstufenschüler und Studienanfänger


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

13 Seiten


Leseprobe


Was ist eine Parabel, und woran erkennt man sie? Ich bringe zunächst einige bekannte Kurzdefinitionen:

1) Das Metzler-Literaturlexikon erklärt Parabel so: „allgemein ein zur selbständigen Erzählung erweiterter Vergleich, der von nur einem Vergleichspunkt aus durch Analogie auf den gemeinten Sachverhalt zu übertragen ist, ohne direkten Verweis wie beim Gleichnis.“[1]
2) Gero von Wilpert führt im Sachwörterbuch der Literatur aus, Parabel sei „eine lehrhafte Erzählung, die eine … Wahrheit oder Erkenntnis durch einen … Analogieschluss aus einem anderen Vorstellungsbereich erhellt, der nicht ein in allen Einzelheiten übereinstimmendes Beispiel gibt, … sondern nur in einem Vergleichs-punkt …übereinstimmt.“[2]
3) Grete Schneider sieht in der Parabel die „Verbildlichung unanschaulicher Gedan-ken“.[3]
4) Werner Brettschneider meint, Parabel bedeute, in einer Weise zu sprechen, „die nicht im eigentlichen und wörtlichen Sinne verstanden werden soll, sondern in der Weise der Übertragung.“[4]
5) Das Cornelsen-Literaturlexikon bezeichnet die Parabel als „einen in einer meist kurzen Erzählung dargestellten Vergleich, wobei die erzählte Geschichte durch Analogie auf den tatsächlich gemeinten Sachverhalt übertragen werden muss.“ In der modernen Literatur dienten Parabeln oft zur Darstellung einer verrätselten Welt.[5]

Ich fasse jetzt einige mir wesentlich erscheinende Punkte zusammen.

Von einer Parabel kann man m. E. sprechen, wenn folgende grundlegende, zur Fest-stellung dienende Merkmale vorliegen:

eine Parabel

- ist ein fiktionaler Text
- ist eine narrative Kurzform
- erzählt einen Sonderfall, einen interessanten Einzelfall, der oft ein überraschendes, erregendes, bis zum Ärgerlichen gehendes Moment enthält
- enthält nur ein Gesagtes in der erzählten Bildhälfte
- ist somit eine auf die Bildhälfte reduzierte Erzählung
- die Realbezüge des Erzählten stehen nicht für sich, sondern verweisen auf ein nicht erzähltes und nicht gesagtes Gemeintes
- enthält neben der Bildhälfte keine Sachhälfte
- es gibt keine auf diese Sachhälfte hinweisende Vergleichspartikel
- aus der Bildhälfte lassen sich nicht alle Teile des Gesagten auf die Sachhälfte übertragen
- das erzählte Geschehen (das Gesagte) hat also nicht in allen Punkten eine Entsprechung im übertragenen Sinn (in dem Gemeinten)
- das Bild steht nicht, wie im Gleichnis, neben, sondern statt der Sache
- als Verrätselung der Wirklichkeit muss die nicht genannte Sachhälfte erschlossen werden
- Analogie heißt Entsprechung, Ähnlichkeit, Gleichheit von Verhältnissen, Über-einstimmung, Anwendung auf einen ähnlichen Tatbestand
- ohne einen Analogieschluss, die Entschlüsselung des Gesagten, bleibt die Bild-hälfte unverständlich
- hat einen Appellcharakter, sie bedarf der Deutung und will Denkvorgänge auslösen
- kann transzendentale, mitunter auch offen religiöse Bezüge haben.

Ich habe daraus im Unterricht folgenden kurzen Tafelanschrieb gemacht:

Eine Parabel * ist eine epische Kurzform

- ein ärgerlicher Sonderfall wird erzählt
- die Bildhälfte (das Gesagte) bedarf einer auslegenden Deutung (das Gemeinte)
- im Gegensatz zum „verständlichen“ Vergleich und Gleichnis fehlen der zunächst „unverständlichen“ Parabel jegliche Vergleichspartikel
- das Tertium comparationis liegt in e i n e m Punkt
- ein transzendenter und/ oder religiöser Bezug k a n n erkennbar sein

Damit aber kein Leser glaubt, er habe nach diesen Ausführungen, die sich in meiner Schulpraxis bei der Interpretation von Kafka-Parabeln bewährt haben, den Schlüssel zur Entschlüsselung von Parabeln in der Hand, schränke ich ein:

„Allen interpretatorischen Anstrengungen zum Trotz gibt das Gleichnis (und die Parabel) in der unaufhebbaren Bildhaftigkeit seines Sagens das ihm abgeforderte Geheimnis nie völlig preis. Deshalb wird seine Interpretation zu einer niemals zu Ende geführten Aufgabe. … Auch das verstandene Bild bleibt Bild und als solches für immer neue Interpretationen offen.“[6]

Oder: „Die Parabel ist als Ganzes mit ihren beiden Hälften – Bild und Deutung – dem Bereich esoterischer Rede zuzurechnen, sofern sie nicht bloß als einschichtige Erzählung, sondern als doppelgesichtige Gleichnisrede verstanden wird, mit der ihr vom Propheten auferlegten Leistung, „das Verborgene vom Anfang der Welt auszusprechen“ Mt. 13, 35“.[7]

Auf den Terminus ‚Kurzform’ habe ich schon verwiesen, die Parabel „berichtet nur das Notdürftigste - Gerade so viel, wie erforderlich ist, damit die Erscheinungen das Licht einer hinter ihnen liegenden höheren Bedeutung reflektieren.“[8]

„Die Beziehung von Bild- und Sachteil ist anders als in der Fabel. Innerhalb des Bildteils finden sich keine eindeutig zu entschlüsselnden semantischen Indikatoren des gemeinten Sachverhaltes. … Die Relation zwischen Bild- und Sachteil muss im Denkvorgang der Analogie erschlossen werden. Dabei können einzelne semantische Indikatoren innerhalb des Bildteils Hinweise auf das Gemeinte geben, oder die Beziehung von Gesagtem und Gemeintem muss … vom Leser ermittelt werden.“[9]

Eine wesentliche Eigenart der Parabel, deren Gemeintes zu entschlüsseln dem Analogieschluss obliegt, ist: „Die Vergleichbarkeit des tatsächlich Erzählten mit dem eigentlich Gemeinten muss nicht in allen Einzelheiten gegeben sein, sondern besteht in einem zentralen Punkt (Tertium comparationis)“[10] Die Parabel hat „ihren Sinn nicht in der Geschichte selbst, sondern in dem, was ihr Inhalt bedeutet.“[11]

Ob der Sinn der Parabel erfasst wird, der Rezipient also aufmerkt, dass er das in der Bildhälfte Gesagte auf eine andere gedankliche Ebene übertragen muss, hängt von seiner Fähigkeit zur Analogie ab, von seinem Textmusterwissen, seinem allge-meinen Weltwissen, seinen Vorkenntnissen, seinem Bildungshorizont, also von seinem Hintergrundwissen.

Bei meiner Vorgehensweise der Parabelinterpretation habe ich mich durch eine von Pelster/ Krebs[12] vorgeschlagene Skizze inspirieren lassen. Ein nahezu gleiches Schaubild war vorher von Theodor Pelster bereits veröffentlicht worden.[13] Es findet sich in Grundzügen ebenfalls bei van Rinsum.[14]

Ich habe daraus unter Verwendung des einschlägigen Vokabulars folgendes Tafel-

bild entworfen:

Bildhälfte Sachhälfte

Bildebene Sachebene

Bildteil Sachteil

das Gesagte das Gemeinte

das Wörtliche das Übertragene

der konkrete Einzelfall die gedankliche Abstraktion

das Bedeutende das Bedeutete

das Bezeichnende das Bezeichnete

der Signifikant der Signifikat

die materiell sinnliche Gestalt der gedanklich-geistige Gehalt

das bildlich Vordergründige das eigentlich Hintergründige

das Vieldeutige die Ver-Eindeutigung

das in eine Chiffre Gekleidete das Dechiffrierte und Entzifferte

Deutungsanreiz oder Sinnverweigerung

Mit dieser graphisch verdeutlichenden Methode habe ich nun einige biblische Texte untersucht. Ich bin dabei zu dem Ergebnis gelangt, von den rund 35 im NT bei den drei Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas erzählten Gleichnissen sind zwar die meisten Gleichnisse, aber sechs davon sind Parabeln, bei denen der Unterschied zum Gleichnis vor allem darin besteht, dass hier die Sachhälfte ausgespart ist und die Hörer diese allein aus der Bildhälfte erschließen müssen. Im NT deutet Jesus seine Parabeln häufig selbst. Er sagt oft: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“, er will dadurch, so bei Mt. 13, 35 Dinge verkündigen, die verborgen waren. Oder die Jünger sagen: „Erkläre uns das Gleichnis [i. e. die Parabel] vom Unkraut auf dem Acker! Er aber antwortete und sprach …“ (Mt. 13, 37)

Parabeln im o. g. Sinn sind die „Gleichnisse mit Deutung“ vom Säemann (Mt. 13, 3 und Lk. 8, 4), vom Unkraut unter dem Weizen (Mt. 13, 24), vom Fischnetz (Mt. 13, 47) und vom Säemann bei Mk. 4, 3 .

[...]


[1]) Literaturlexikon. Autoren und Begriffe in sechs Bänden. Mit dem Besten aus der ZEIT, Band 6, Metzler: Stuttgart 2008, S. 145

[2]) Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Kröner: Stuttgart 1979, S. 580

[3]) Grete Schneider, Die Wiederkehr der Parabel, Hirschgraben: Frankfurt/ M. 1966, S. 55

[4]) Werner Brettschneider, Die moderne deutsche Parabel. Entwicklung und Bedeutung, Erich Schmidt: Berlin 1971, S. 9

[5]) Literatur-Lexikon. Daten, Fakten und Zusammenhänge, hg. v. Wieland Zirbs, Cornelsen: Berlin 1998, S. 280

[6]) Eugen Biser, Theologische Sprachtheorie und Hermeneutik, Kösel: München 1970, S. 191 und 353 f.

[7]) Werner Thomas, Opus superrogatum. Didaktische Skizze zur Interpretation von Lessings „Nathan der Weise“, in: Der Deutschunterricht, Jg. 11, Heft 3, (Klett: Stuttgart 1959) S. 52 f.

[8]) Schumacher, Literaturepochen: Moderne, Bayerischer Schulbuchverlag: München 1986, S. 91

[9]) Deutsch in der Oberstufe, hg. v. Peter Kohrs, Schöningh: Paderborn 1998, S. 429

[10]) Blickfeld Deutsch. Lehrerband, hg. v. Mettenleiter/ Knöbl, Schöningh: Paderborn 1992, S. 326

[11]) Annemarie und Wolfgang van Rinsum, Interpretationen. Kurzprosa, Bayerischer Schulbuchverlag: München 1982, S. 14

[12]) Deutsch – Oberstufe, hg. v Pelster/ Krebs, Bayerischer Schulbuchverlag: München 1992, S. 69

[13]) Theodor Pelster, Epische Kurzformen. Methoden der Interpretation, Schwann: Düsseldorf 1976, S. 99

[14]) van Rinsum, S. 16

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Ausführliche Erläuterungen zur Parabel für Oberstufenschüler und Studienanfänger
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V189459
ISBN (eBook)
9783656152682
ISBN (Buch)
9783656152781
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
erprobtes und bewährtes Material für Studienanfänger, ebenfalls geeignet für die gymnasiale Oberstufe und zur Vorbereitung auf das Abitur
Schlagworte
erläuterungen, parabel, oberstufenschüler, studienanfänger, Definition der Parabel als auf die Bildhälfte reduzierte narrative Kurzform, die nicht genannte Sachhälfte muss erschlossen werden, nicht alle Gleichnisse Jesu sind Gleichnisse, Tafelbild zu Martin Bubers "Der Palast", ausführliche Analyse der Kafkaschen Parabel "Heimkehr" unter Beachtung der syntaktischen Kohärenz, Tafelbild zur Bild- und Sachebene dieser Parabel, Unterscheidung der Parabeln Kafkas von Parabel genannten Texten Dürrenmatts und Brechts
Arbeit zitieren
M.A. Gerd Berner (Autor:in), 2012, Ausführliche Erläuterungen zur Parabel für Oberstufenschüler und Studienanfänger, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189459

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