Die NATO, Gaddafi und die Rebellen

Konstruktionen des „Unified Protector“


Hausarbeit, 2011

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. THEORETISCH-METHODISCHE VORBEMERKUNGEN
2.1 DISKURSTHEORETISCHE ANNAHMEN
2.2 KATEGORIENBILDUNG

3. DISKURSANALYSE
3.1 KONSTRUKTION VON AKTEURSPOSITIONEN
3.1.1 LIBYSCHE REGIERUNG/GADDAFI-REGIME
3.1.2 BEVÖLKERUNG/REBELLEN
3.1.3 NATO
3.2 MISSIONSZIEL(E)
3.3 LEGITIMIERUNG VON GEWALT
3.4 KOLLATERALSCHÄDEN

4. FAZIT

5. LITERATURVERZEICHNIS

6. ANALYSIERTE TEXTE

1. Einleitung

Im Frühjahr 2011 erreichte die revolutionäre Stimmung des so genannten Arabischen Frühlings auch Libyen und führte zunächst zu zahlreichen Massenprotesten. Als jedoch Ende Februar die Medien erstmals zeigten, dass das Gaddafi-Regime die Armee mit Panzern zur Befriedung der Proteste auffuhren ließ und es in diesem Zusammenhang zu mehreren getöteten Demonstranten kam, kommentierte der NATO Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen diese Situation am 24.02.2011 zunächst nicht als „a direct threat to NATO or NATO Allies, but, of course, there may be negative repercussions. [...] But I would like to stress that NATO as such has no plans to intervene“ (Rasmussen 2011a). Einen Tag später jedoch äußerte er Folgendes: „What is happening in Libya is of great concern to all of us. It’s a crisis in our immediate neighbourhood“ (Rasmussen 2011b). Letztere Aussage spiegelt einen dramatischen qualitativen Wandel der Lageeinschätzung bezüglich Libyen wider, welche im Endeffekt die militärische Intervention der UN und der NATO legitimieren sollte.

Nachdem der UN Sicherheitsrat zunächst in der Resolution 1970 lediglich ein Waffenembargo, das Einfrieren von Kapital libyscher Führer, sowie Einschränkungen deren Reisefreiheit beschloss, wurden die UN-Mitgliedstaaten am 18.03.2011 in der Resolution 1973 ermächtigt, eine Flugverbotszone über dem Staatsgebiet Libyens durchzusetzen und „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“ (UNSC 2011: 3), um die libysche Bevölkerung zu schützen. Die Ausführung dieses wenig konkreten Mandats, welches nur den Einsatz von Bodentruppen auf libyschem Territorium ausschließt, wurde Ende März 2011 gänzlich auf die NATO übertragen und äußert sich seitdem durch zahlreiche Luftangriffe auf Stellungen und Fahrzeuge des libyschen Militärs.

Zumindest in der Theorie dient jene Mission mit dem programmatischen Titel „Unified Protector“ sehr neutral dem Schutz der Zivilbevölkerung. In der Praxis lässt sich immerhin bis jetzt jedoch eine relativ deutliche Positionierung der NATO zu Gunsten der Rebellen und gegen das Gadaffi-Regime erkennen. „Es gab offensichtlich westliche Militärberater und Spezialkommandos, die den Rebellen beim Vormarsch entscheidend halfen, es wurden Nato- Bombenangriffe gegen Gadaffis Residenz geflogen. Das Ziel war ein Regimewechsel - eine sehr kreative Auslegung des Uno-Beschlusses, der eine politische Lösung und ein Ende der Kampfhandlungen in Libyen vorschrieb“ (SPIEGEL 2011: 27). Weiter problematisch hierbei ist, dass mittlerweile auch vermehrt ernstzunehmende Vorwürfe des Verstoßes gegen Menschenrechte sowie der Folter, Vergewaltigung und Hinrichtung gegen die Rebellen vorliegen (Zeit Online 26.08.2011). Eine bedingungslose Unterstützung der Rebellen durch die Internationale Gemeinschaft unter Einsatz gewaltsamer Mittel verlöre damit bedeutsam an Legitimität, insbesondere da latent die Frage im Raum schwebt, warum in Libyen interveniert wurde aber bspw. nicht in Syrien, das scheinbar ähnliche Voraussetzungen bietet. Daher ist zu fragen, wie die UN bzw. die NATO gegenüber der Öffentlichkeit den Einsatz in Libyen sowie ihre Positionierung gegen Gaddafi darstellen und rechtfertigen und welches spezifische Bild der Wirklichkeit hierbei gezeichnet wird.

Diese Fragestellung legt eine diskursanalytische Vorgehensweise nahe, denn diese ermöglicht das Aufzeigen sprachlicher Unterscheidungen, die im Falle kollektiver Anerkennung Regeln setzen und damit Machtverhältnisse bestimmen (Kubálková 2001: 64), die sich wie hier im schlechtesten Fall als legitimer Adressat von NATO-Gewalt manifestieren. Durch die Analyse des NATO-Beitrages zum Diskurs bezüglich der Libyen-Intervention gilt es daher, die spezifische Wirklichkeitskonstruktion der NATO und eben jene sprachlichen Unterscheidungen aufzudecken, welche im Endeffekt der Legitimierung von Gewalt gegenüber bestimmten Akteuren dienen.

Bereits im Vorwege lassen sich in diesem Zusammenhang einige Punkte festhalten: Schlichte und Geis verweisen auf die Notwendigkeit, insbesondere die Adressaten der Gewalt mit stark negativ aufgeladenen Attributen zu versehen und somit letztlich als Bedrohung zu konzipieren (Geis 2008: 179, Schlichte 2008: 148). „Solche Differenzkonstruktionen dienen in ihrem Extrem des Feindbildes der Legitimierung eigener Gewalt, aber prinzipiell ist jedes auch scheinbar „harmlosere“ „Othering“ Mittel zum Zweck der Konstruktion bzw. Stabilisierung eigener Identitätskonzeptionen“ (Geis 2008: 169). Die Konstruktion der Anderen im Sinne einer Abgrenzung von einem Selbst offenbart demnach gleichzeitig die Konstruktion der eigenen Identität, im hiesigen Fall der NATO-Selbstbeschreibung.

Zur Klärung der Fragestellung werden daher im Folgenden pro Monat drei Pressekonferenzen und/oder Erklärungen der NATO zum Libyen-Einsatz analysiert. Besonders die Pressekonferenzen ermöglichen dabei zusätzlich die Analyse des Umgangs mit kritischen Fragen von Journalisten, die im Sinne von Irritationen die hürdenfreie Wirklichkeitskonstruktion durch die NATO erschweren. Bevor dies geschieht, wird jedoch tiefer auf die theoretischen Hintergründe der Diskursanalyse und die Bildung sinnvoller Kategorien für ebenjene Analyse eingegangen.

2. Theoretisch-methodische Vorbemerkungen

2.1 Diskurstheoretische Annahmen

Ausgangspunkt der diskurstheoretischen Annahmen in dieser Arbeit ist die Konstruiertheit der sozialen Wirklichkeit. Realität ist nicht unmittelbar erschließbar und Sachverhalte können nicht so erkannt werden, wie sie sind, sondern nur wie sie erscheinen (Beushausen 2007: 7). Wirklichkeit ist daher als das Resultat von Wahrnehmungen zu begreifen und wird im Prozess des Beobachtens und Wahrnehmens konstruiert. Konstruktivistische Annahmen vertreten damit „eine genuin erkenntnistheoretische Position, welche die kantsche Frage nach der Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis aufgreift“ (Moser 2004: 13). In diesem Sinne ist das Verstehen eines Sachverhalts nicht als die objektive Erkenntnis eines Realitätsausschnittes anzusehen, sondern als Anteilnahme an einer kollektiven Interpretation bzw. Konstruktion von Wirklichkeit (Fierke 2007: 172).

Zur Überprüfung der Wirklichkeitskonstruktion eines bestimmten Akteurs gilt es demnach, die Art und Weise, wie dieser Akteur beobachtet zu beobachten. Beobachtungen sind in diesem Rahmen in der Regel gleichzusetzen mit der Feststellung eines Unterschiedes, der einen Unterschied macht, das heißt das Erkennen einer Entität impliziert die Attribution einer Bedeutung, die vorher nicht notwendigerweise vorhanden war (Beushausen 2007: 2). In diesem Sinne wird durch die bloße Bezeichnung etwas in der Art und Weise Wirklichkeit, in der es bezeichnet wurde (Milliken 1999: 229). Der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit des Menschen kommt dabei eine ganz besondere Rolle zu, denn Sprechen ist nach Austin gleichzusetzen mit Handeln. Sprechakte wie „Ich verspreche X zu tun“ fügen dem Wirklichkeitsbereich eine neue Tatsache hinzu (Austin 2002: 29). Darüber hinaus findet die Attribution von Bedeutungen aus dem Erkenntnisvorgang und die darin enthaltenen Unterschiede eine Repräsentation in der Sprache. In der Sprache drückt sich demzufolge nicht nur aus, wie beobachtet wird, sondern sie dient auch dazu, die jeweilige Wirklichkeitskonstruktion und die immanenten Unterschiede nach außen zu verbreiten. „Konstruktion von Wirklichkeit heißt: sprachliche Unterscheidungen treffen; Wirklichkeiten verändern heißt: sprachliche Unterscheidungen verändern“ (Siebert 2005: 33). Wirklichkeit und Wahrheit sind demnach fluide, perspektivische Begriffe.

Nach Laclau und Mouffe besteht nun Sprache aus einzelnen Artikulationen, unter denen sie jede Praxis verstehen, die eine Relation zwischen verschiedenen Elementen herstellt. Durch diese Beziehung zu anderen Elementen wird Identität und Bedeutung nicht nur geschaffen, sondern auch wieder verändert. „Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs“ (Laclau/Mouffe 2000: 141), das heißt das Resultat aller Artikulationen als Gesamtheit aller Beziehungen zwischen Elementen bildet den Diskurs. Als Offenheit des Diskurses beschreiben Laclau und Mouffe die Unmöglichkeit, Elementen endgültige Bedeutungen zuzuweisen, so dass dementsprechend maximal nur zeitlich beschränkt gültige Bedeutungen vorhanden sein können (partielle Fixierung). Hieraus ergibt sich eine permanente Konkurrenz verschiedener Akteure um die dominierende Bedeutung des jeweiligen Begriffs und der Diskurs wird zu dem Ort, an dem Kämpfe um die Definitionshoheit von Wirklichkeit ausgeübt werden (Laclau/Mouffe 2000: 151 und Laffey/Weldes 2004: 28/29).

Diskursiv konstruierte Beschreibungen von Akteuren benötigen andere Elemente in deren Relation sie verortet und damit partiell fixiert werden. Die Konstruktion von Identität verlangt daher nach dem Anderen, von dem sie sich abgrenzt, mit der sie sich vergleicht und in Beziehung setzt. Durch die Konstruktion eines Anderen als Anderen wird zugleich eine Aussage über das Selbst getätigt und umgekehrt konstruieren Artikulationen über das Selbst Unterschiede zum Anderen. Diese Unterschiede sind potenziell machtbegründend, denn sie produzieren strukturierendes Wissen, das weiterführendes Handeln formt, indem bestimmte Handlungsmöglichkeiten eröffnet, andere verschlossen werden (Ulbert 2006: 417 und Laffey/Weldes 2004: 29).

Die hier untersuchten Pressekonferenzen und Erklärungen der NATO zum Libyen-Einsatz stellen vor diesem Hintergrund einen diskursiven Versuch dar, eine bestimmte Wirklichkeit zu erzeugen, welche eine militärische Intervention gegenüber der Öffentlichkeit legitimiert oder zumindest legitimieren soll. Gleichzeitig offenbart dieser Versuch der partiellen Fixierung von Bedeutung, welche Begründungsmuster innerhalb unserer Gesellschaft ausreichen, um gewaltsame Eingriffe zu rechtfertigen, das heißt ab welcher Schwelle selbst scheinbar friedliche demokratische Gesellschaften kriegerische Maßnahmen befürworten bzw. zu befürworten haben. Darüber hinaus stellen die kritischen Fragen von Journalisten während der Pressekonferenzen eine Herausforderung für den Versuch der partiellen Fixierung von Bedeutung durch die NATO dar. Wie und ob auf diese Irritationen reagiert wird, ist daher ebenso von hoher Bedeutung für die folgende Analyse.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die NATO, Gaddafi und die Rebellen
Untertitel
Konstruktionen des „Unified Protector“
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V188876
ISBN (eBook)
9783656127321
Dateigröße
747 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Libyen, NATO, UN, Mission, Gaddafi, Gadhafi, Qadhafi, Konstruktivismus, Diskursanalyse, Legitimität, Peacemaking, Peacekeeping, Unified, Protector
Arbeit zitieren
B.A. Politikwissenschaft Hendrik Thurnes (Autor:in), 2011, Die NATO, Gaddafi und die Rebellen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188876

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