Von der Feindschaft um des Glaubens willen

Abraham und sein Vater im Koran


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2012

18 Seiten


Leseprobe


Dr. Martin Bauschke

Von der Feindschaft um des Glaubens willen

Abraham und sein Vater im Koran

Zusammenfassung:

Im Schatten der berühmten Erzählung von Abrahams Opfergang steht im Koran eine andere Vater-Sohn-Geschichte, die ebenfalls eine existentielle Beziehung Abrahams bezeugt – nicht zu seinem Sohn, sondern zu seinem Vater. Diese weniger bekannte Erzählung, bei der Abraham die Rolle des Sohnes und nicht die des Vaters einnimmt, ist für den Koran selbst womöglich die wichtigste Abraham-Geschichte. Dieses Vater-Sohn-Drama macht exemplarisch deutlich, wie Abraham im Laufe der Wirksamkeit Muhammads zunehmend zu dessen Vorbild und Identifikationsfigur wird, so dass man sogar von einer spiegelbildlichen Beziehung zwischen Abraham und Muhammad sprechen kann. Zudem wird in diesem Drama die Ambivalenz des koranischen Abrahambildes, der „Abrahamischen Unterscheidung“ deutlich. Denn einerseits verkörpert Abraham das Recht jedes Menschen auf die Freiheit des Glaubens; andererseits verkörpert Abraham die Dämonisierung alles Nichtmonotheistischen, das als Heidentum und Götzendienst diffamiert wird.

1. Einleitung

Abraham wird in 25 der insgesamt 114 Suren (Kapitel) des Korans in rund 205 Versen erwähnt. Liest man alle Abraham-Texte in der Reihenfolge, wie sie im Koran begegnen, ist das Gesamtbild ziemlich verwirrend. Denn eine Art „Leben Abrahams“ wie am Anfang der Bibel wird nicht erzählt. Es fehlt der rote Faden, anhand dessen man die vielen Geschichten und Motive auffädeln und zu einem größeren Ganzen verbinden könnte. Um dies zu erreichen, bietet sich als andere Möglichkeit an, die Abraham-Texte chronologisch zu ordnen in der Reihenfolge ihrer Entstehung bzw. Offenbarung über einen Zeitraum von gut 20 Jahren. Erst bei einer solchen chronologischen Lektüre der Abraham-Texte fangen diese an zu „sprechen“. Das heißt, eine Entwicklung wird erkennbar und das verwirrende, sozusagen zweidimensional „flache“ Bild Abrahams erhält Konturen, Tiefe, Transparenz – und zwar nicht nur bezogen auf Abraham selbst, sondern auch im Hinblick auf keinen Geringeren als den Propheten Muhammad. Teilt man nämlich die zeitliche Anordnung der Texte in die vier Hauptphasen der Wirksamkeit Muhammads ein, wie sie sich in der neueren Koranforschung etabliert hat[1], wird etwas Spannendes sichtbar: das Bild, das der Koran von Abraham malt, ist nicht einfach eine Wiederholung und Neuinterpretation einiger aus der Bibel bekannter Abraham-Stoffe; vielmehr ist dieser koranische Ibrahim zugleich eine Art Selbstportrait Muhammads. Es lässt sich zeigen, dass die Entwicklung und Profilierung der Figur Abrahams in einem direkten Zusammenhang steht mit dem Tun und Ergehen Muhammads. Dieser findet sich und seine Sendung als arabischer Prophet in zunehmendem Maße in der Ur-Geschichte, dem Ur-Bild und Vor-Bild Abrahams wieder. „Nie habe ich einen Mann gesehen, der mir ähnlicher war“ – dieser Ausspruch Muhammads über Abraham, wie ihn Muhammads Biograph Ibn Ishaq anlässlich der sog. „Himmelsreise“ des Propheten zitiert[2], bringt es exakt auf den Punkt: Abraham ist gleichsam der Spiegel des Propheten, ein Spiegelbild für das Selbstverständnis Muhammads.[3]

Im Zentrum der Aufmerksamkeit, zumal im Kontext des Dialogs der drei monotheistischen Religionen, hat seit jeher die Geschichte von Abrahams Opfergang gestanden: eine Vater-Sohn-Geschichte, bei der die Frage nach der Identität des im Koran nicht explizit genannten Sohnes nur einer von sehr vielen Streit- und Diskussionspunkten ist. Im Schatten dieser berühmt-berüchtigten Vater-Sohn-Geschichte steht eine andere Erzählung, die ebenfalls eine existentielle Beziehung Abrahams bezeugt – nicht zu seinem Sohn, sondern zu seinem Vater! Diese andere und weniger bekannte Vater-Sohn-Geschichte, bei der Abraham die Rolle des Sohnes und nicht die des Vaters einnimmt, ist für den Koran selbst womöglich die wichtigere, vielleicht sogar überhaupt die wichtigste Abraham-Geschichte! Denn sie ist die einzige Geschichte über Abraham im Koran, die sowohl in der Zeit der Wirksamkeit Muhammads in Mekka als später auch in Medina erzählt wird. Auch wird keine andere Geschichte von Abraham im Koran so häufig und in so vielen Fassungen erzählt – insgesamt achtmal! – wie die Auseinandersetzung Abrahams mit dem Götzenkult seiner Väter. In diesem Konflikt avanciert Abraham zum Helden und Kronzeugen des Monotheismus im Kampf gegen den Polytheismus. Ein Konflikt, der Muhammad fast in allen Phasen seiner Verkündigung begleitet. Im Folgenden möchte ich dieses Drama zwischen Abraham und seinem Vater – mithin zwischen Muhammad und seinen Gegnern – entfalten. Ich teile das Drama verkürzend in sechs Akte ein und schließe mit einer Betrachtung über das Dilemma der „Abrahamischen Unterscheidung“.

2. Das Drama von Abraham und seinem Vater

Erster Akt: Provokation

Die Kontroverse Abrahams mit den Götzen wird erstmals in Sure 37 erzählt:

83 Zu seinen [= Noahs] Anhängern gehört Abraham. 84 Er wandte sich Gott mit reinem Herzen zu. 85 Er sagte seinem Vater und seinem Volk: „Was betet ihr da an? 86 Wollt ihr anstatt Gott falsche Götter haben? 87 Wie denkt ihr über Gott, den Herrn der Welten?“ 88 Dann blickte er hinauf zu den Sternen. 89 Dann sagte er: „Ich fürchte mich zu irren.“ 90 Da machten sie kehrt und gingen fort. 91 Nun wandte er sich heimlich zu ihren Göttern und fragte sie: „Esst ihr nicht? 92 Warum sprecht ihr nicht?“ 93 Dann fiel er heimlich über sie her und schlug sie mit der Rechten. 94 Da eilten sie zu ihm und und stellten ihn zur Rede. 95 Er sprach: „Betet ihr die Statuen an, die ihr in Stein gemeißelt habt? 96 Gott ist es, Der euch und was ihr macht, erschaffen hat.“ 97 Sie sprachen: „Errichtet für ihn einen Bau und werft ihn in das lodernde Feuer!“ 98 Sie wollten ihm durch List schaden, Wir aber erniedrigten sie aufs tiefste.[4]

Nur am Rande sei zunächst bemerkt, dass interessanterweise diese Geschichte von Abraham, dem Bilderstürmer, in der Hebräischen Bibel gar nicht vorkommt. Sie taucht in der außerbiblischen jüdischen Tradition auf, vor allem im sog. „Jubiläenbuch“, das um 140 v.Chr. in der Zeit der Makkabäer entstand und Nacherzählungen biblischer Geschichten bietet. Darin erscheint Abraham als ein Kämpfer gegen den Götzenkult, der die Götzen verbrennt, sich von seinem Vater Terach trennt und auf Anraten eines Engels sein Heimatland verlässt.[5]

Der Koran beschreibt den ersten Akt dieser Kontroverse in drei Szenen: Abraham zweifelt daran, dass die Götzen wahre Götter seien. Sodann fällt Abraham heimlich über sie her und zerstört sie – eine religiöse Provokation ohnegleichen! Daraufhin wird Abraham von den Götzenverehrern zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Seine Errettung wird hier nur vage angedeutet. Die Tradition wird später dann diese Szene breit ausschmücken...

Zweiter Akt: Argumentation und Konfession

Kurze Zeit später trägt Muhammad diese Geschichte erneut vor, erzählt sie nun aber anders. Hatte die Erzählung in Sure 37 mit einem monologischen Fragenkatalog an den Vater begonnen, so fängt sie in Sure 26 mit einem echten Disput Abrahams mit seinem Vater an:

70 Einst sagte er [Abraham] zu seinem Vater und seinem Volk: „Was betet ihr an?“ 71 Sie sagten: „Wir beten Götzen an, denen wir uns unablässig hingeben.“ 72 Er sagte: „Hören sie auch, wenn ihr sie anruft? 73 Oder schaden oder nützen sie euch?“ 74 Sie sagten: „Nein, wir fanden aber, dass unsere Väter es so machten.“ 75 Er sagte: „Habt ihr über das nachgedacht, was ihr anbetet, 76 ihr und eure Väter und Vorväter?

Abraham lässt das religionskonservative Argument, das für den Götzenkult sprechen soll – die Tradition der Väter – nicht gelten. Er reagiert in dieser Fassung nicht mit einem provokanten Bildersturm. Vielmehr schlägt Abraham einen argumentativen Weg ein. Er diskutiert mit seinem Vater und verweist auf die Wirkungslosigkeit selbstgemachter Götter. Abrahams Haupt-„Argument“, wenn man es überhaupt so nennen will, ist ein monotheistisches Glaubensbekenntnis, das ab Vers 83 direkt in ein Gebet mündet:

77 Diese Götzen sind meine Feinde. Ich bete nur den Herrn der Welten an. 78 Er ist es, Der mich erschaffen hat, und so leitet Er mich recht. 79 Er ist es, Der mir zu essen und zu trinken gibt. 80 Und wenn ich krank bin, ist Er es, Der mich heilt. 81 Und Er ist es, Der mich [durch den Tod] abberuft und mich zum Jüngsten Tag auferweckt. 82 Er ist es, Der mir am Jüngsten Tag meine Sünden, hoffe ich, vergeben wird. – 83 O mein Herr! Gib mir Urteilsvermögen, und zähle mich zu den Rechtschaffenen! 84 Mache, dass die späteren Generationen meiner der Wahrheit entsprechend stets gedenken! 85 Nimm mich unter die Erben des wonnevollen Paradiesgartens auf! 86 Vergib meinem Vater, der zu den Verirrten gehört! 87 Lass mich keine Schmach erleiden, wenn alle am Jüngsten Tag auferweckt werden! 88 An dem Tag, an dem weder Vermögen noch Söhne nützen werden. 89 Erfolg hat dann nur der, der vor Gott mit reinem Herzen erscheint.“

[...]


[1] Vgl. Theodor Nöldeke, Geschichte des Qorāns, Teil 1: Über den Ursprung des Qorāns, 2. Auflage bearbeitet von Friedrich Schwally, Leipzig 1909.

[2] Ibn Ishāq, Das Leben des Propheten. Aus dem Arabischen übertragen und bearbeitet von Gernot Rotter, Kandern 1999, S. 88.

[3] Vgl. M. Bauschke: Der Spiegel des Propheten. Abraham im Koran und im Islam, Frankfurt/M. (Lembeck Verlag). Inzwischen vergriffen, doch direkt beim Autor noch erhältlich.

[4] Die Koran-Zitate folgen der Ausgabe: Al-Muntakhab. Auswahl aus den Interpretationen des Heiligen Koran. Arabisch – Deutsch, übersetzt von Moustafa Maher, hg. vom Religionsministerium und vom Obersten Rat für Islamische Angelegenheiten Ägypten, Kairo 1999. Erläuternde Hinzufügungen durch mich im Text sind in eckige Klammern gesetzt.

[5] Das Buch der Jubiläen, hg. von Klaus Berger, Gütersloh 1981, Kap. 12ff. Dieses populäre jüdische Motiv vom bilderstürmerischen Abraham ist in diversen Varianten und Akzentuierungen in den folgenden Jahrhunderten weiter überliefert worden und begegnet später z.B. auch in der sog. „Apokalypse Abrahams“ (um 75 n.Chr.), wo allerdings Gott selbst das Vernichtungswerk Abrahams übernimmt: eine himmlische Donnerstimme verbrennt die Götzen, das ganze Haus, also die Götzenbildwerkstatt Terachs, abgrundtief, und auch Terach selbst kommt dabei um, während Abraham gnädig bewahrt wird.

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Details

Titel
Von der Feindschaft um des Glaubens willen
Untertitel
Abraham und sein Vater im Koran
Autor
Jahr
2012
Seiten
18
Katalognummer
V188484
ISBN (eBook)
9783656120735
ISBN (Buch)
9783656121152
Dateigröße
396 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Koran, Islam, Abraham, Ibrahim, Monotheismus und Toleranz
Arbeit zitieren
Dr. Martin Bauschke (Autor:in), 2012, Von der Feindschaft um des Glaubens willen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188484

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