Der ältere Mensch in der Gesellschaft

Herausforderungen und Chancen für die Bildung im Alter


Magisterarbeit, 2009

150 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Vorgehensweise
1.3 Anmerkung

2 Demografischer Wandel
2.1 Die Situation in Deutschland
2.2 Gründe für die Zunahme der älteren Bevölkerungsschicht
2.2.1 Strukturwandel der Familien und Geburtenrückgang
2.2.2 Sterblichkeit und hohe Lebenserwartung

3 Alter und Altern - Betrachtung unter verschiedenen 14 Aspekten
3.1 Begriffliche Bestimmung des Alters und Alterns
3.1.1 Biologisches Alter und Altern
3.1.2 Kognitives Alter und Altern
3.1.3 Psychisches Alter und Altern
3.1.4 Soziales Alter und Altern
3.2 Theorien und Modelle über das Alter und den Alterungsprozess
3.3 Die Lernfähigkeit im Alter

4 Gesellschaftliche Bilder des Alters
4.1 Stereotypisierung und Altersbilder
4.1.1 Generalisierte Altersbilder
4.1.2 Personalisierte Altersbilder
4.2 Der Zusammenhang zwischen dem Selbstbild älterer Menschen 39 und dem Fremdbild in der Gesellschaft

5 Der ältere Mensch in der deutschen Gesellschaft
5.1 Die finanzielle Situation älterer Menschen
5.2 Die Wohnsituation älterer Menschen
5.2.1 Das Pflegeheim
5.2.2 Betreutes Wohnen
5.2.3 Wohngemeinschaften
5.3 Ehrenamtliche Leistungen älterer Menschen für die Gesellschaft
5.3.1 Der Stellenwert des Ehrenamtes innerhalb der Gesellschaft und für ältere 49 Personen
5.3.2 Der Anteil ehrenamtlich tätiger, älterer Personen
5.3.3 Ehrenamtliches Engagement am Beispiel des »seniorTrainers«

6 Altersbildung - Bildung im Alter
6.1 Die Bedeutsamkeit der Altersbildung
6.2 Definitionen des Altersbildungsbegriffes
6.3 Gerontologisch- soziologische Begründungen der Altersbildung
6.3.1 Kompensatorischer Ansatz
6.3.2 Moralisch- politischer Ansatz
6.3.3 Aktivitäts- und kompetenzorientierter Ansatz
6.3.4 Produktivitätsorientierter Ansatz
6.4 Zusammenfassende Betrachtung der Begründung und Chancen der 66 Altersbildung

7 Die Volkshochschulen als Träger der Altersbildung .
7.1 Altersstruktur
7.2 Lernformen
7.3 Programmanalyse einzelner Volkshochschulen in Thüringen und 73 Hessen
7.3.1 Lernfeld Biografie
7.3.2 Lernfeld Alltag
7.3.3 Lernfeld Kreativität
7.3.4 Lernfeld Produktivität
7.3.5 Analyse

8 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Printmedien

Internetquellen

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb.1: Altersaufbau der deutschen Bevölkerung 1910, 2005 und 2050

Abb.2: Veränderung der Lebenserwartung im Zeitraum von 1881 bis 2000.

Abb.3: Nettovermögen von „Altenhaushalten“ (65 Jahre und älter) im Jahre 2003

Abb.4: Beteiligung am bürgerschaftlichen Engagement in verschiedenen Studien

Abb.5: Engagementbereiche und Kursteilnahme der seniorTrainer im Jahre 2005

Abb.6: Anteil der über 50-jährigen Teilnehmer an Volkshochschulkursen im Vergleich zu den Teilnehmern insgesamt

Abb.7: Anteil der jeweiligen Altersgruppen an Kursbelegungen der Volkshoch- schulen

Abb.8: Häufigkeit der angebotenen Fachbereiche - Gegenüberstellung der Jahre 2000 und 2008.

Abb.9: Häufigkeit der angebotenen Fachbereiche - Gegenüberstellung der analysierten Volkshochschulprogramme.

1 Einleitung

„Die bereits im ganzen 20. Jahrhundert registrierbare Entwicklung der Zunahme von Alten in der Gesellschaft sowie der längeren Lebenserwartung wird dem Alter in Zu- kunft eine Funktion und eine Bedeutung geben, die sowohl die Gesellschaft wie auch das Bildungssystem erheblich verändern werden.“ (Pöggeler 2000, S. 465)

Die deutsche Bevölkerung wird stetig älter, wohingegen die Geburtenzahlen zurückge- hen. Oft ist in diesem Zusammenhang auch abwertend die Rede von einer »Vergrei- sungsgesellschaft«. Es gibt verschiedene Gründe, die dazu geführt haben, und immer noch dazu führen werden, denn der Vorgang des Alterns der Gesellschaft wird weiter- hin andauern. Zu nennen ist hier einmal der seit der industriellen Revolution ständig wachsende technische und medizinische Fortschritt. Ersteres erleichtert den Alltag und natürlich auch Arbeitsformen jeglicher Art. Was vor einigen Jahrzehnten nur mit Hilfe schweren Körpereinsatzes gemeistert werden konnte, erledigen heute Maschinen. Dies hat einen immensen Teil dazu beigetragen, dass der menschliche Körper nicht bereits in jungen Jahren geschwächt und geschädigt, sondern bis ins hohe Alter hin rüstig sein kann. Doch nicht nur der technische Fortschritt allein ist hier von Wichtigkeit, sondern gerade auch die verbesserte Medizin stellt einen elementaren Faktor für die längere Lebenserwartung dar.

Doch sind die Gründe für den demografischen Wandel nicht ausschließlich bei techni- scher und medizinischer Progression zu suchen. Ebenso sind gesellschaftliche Zu- und Umstände dafür verantwortlich, dass die Gesellschaft immer älter wird. Eines der wich- tigsten Kriterien stellt der Geburtenrückgang dar, welcher gerade in den Industriegesell- schaften zu beobachten ist. Dieses Phänomen ist nicht absolut neu, jedoch sind die Auswirkungen erst seit den letzten Jahren wahrnehmbar und man hat erkannt, dass der damit verbundene gesellschaftliche Alterungsprozess unaufhaltbar ist. Doch woran liegt es nun, dass immer weniger Kinder geboren, obwohl doch immer mehr Menschen alt werden? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten, auf welche im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit eingegangen werden soll. Es wird jedoch vorab darauf hingewie- sen, dass eine Ursache für den demografischen Wandel, die Strukturänderung in der Familie, für das Thema dieser Magisterarbeit besonders hervorzuheben ist. Früher lebten mehrere Generationen unter einem Dach. Dies stellt heute, aufgrund geforderter Flexibilität und Mobilität der berufstätigen Frauen und Männer, eine Ausnahme dar. Folglich überlegen sich viele reiflich, ob sie überhaupt Zeit für ein Kind haben. Es nicht mehr selbstverständlich, dass die Großeltern die Kinder hüten, während die Eltern ihrem Beruf nachgehen können, da diese schließlich nicht zusammen leben. Dies hat unter- schiedliche Auswirkungen auf die Rolle der älteren Menschen, sei es in der Familie oder in der Gesellschaft.

1.1 Fragestellung

Die vorliegende Arbeit will vor dem Hintergrund des demografischen Wandels die Rolle und den Status des älteren Menschen in der heutigen deutschen Gesellschaft darstellen. Gerade weil dies ein unumkehrbar Prozess ist, und ältere Menschen in naher Zukunft einen Großteil der Bevölkerung ausmachen werden, sollte nicht ausschließlich darüber debattiert werden, wie jüngeren Menschen ein Anreiz zur Familiengründung geschaffen und die zunehmende Abwanderung vieler Deutscher verhindert werden kann. Dies ist nur ein, wenn auch äußerst wichtiger Teil dessen, den es hinsichtlich der aktuellen und zukünftigen Bevölkerungsstruktur zu bedenken gilt. Die folgenden Kapi- tel jedoch stellen den älteren Menschen in den Vordergrund der Betrachtung. Vorrangi- ges Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Rolle und den Status der Älteren in der deutschen Gesellschaft darzustellen, und zu verdeutlichen, welche Chancen und Herausforderun- gen hierdurch für die Bildung im Alter entstehen.

1.2 Vorgehensweise

Zunächst wird die aktuelle und zukünftige Situation, hinsichtlich des demografischen Wandels dargestellt. Dem schließen sich Gründe dafür an. Einige wurden bereits im ersten Abschnitt dieser Einleitung kurz erwähnt.

Das darauf folgende Kapitel setzt sich mit Begriffsbestimmungen des Alters und des Alterungsprozesses auseinander. Es wird in diesem Zusammenhang auf biologische, kognitive, psychische und soziale Aspekte eingegangen. Im Anschluss daran folgt eine Vorstellung einiger wichtiger Theorien über das Alter und den Prozess des Alterns. Mit Hilfe der Darstellung dieser Modelle soll schließlich die Heterogenität der älteren Bevölkerung herausgestellt werden. An diese Ausführung schließt thematisch die Verdeutlichung der Lernfähigkeit im Alter. Dies ist für das Thema der vorliegenden Arbeit darum von Prägnanz, da insbesondere die Altersbildung hohen Nutzen aus den Erkenntnissen der Lernpsychologie ziehen kann und sollte.

Dass ältere Menschen heutzutage nicht mehr nur als »alt«, gebrechlich und senil, son- dern zunehmend als aktiv im Leben stehend betrachtet werden, stellt ein Thema des nächsten Kapitels dar. Jedoch existiert dieses Stereotyp des alten Menschen noch im- mer. Man kann nun natürlich auch nicht schlichtweg behaupten, dass jeder ä]ltere Mensch absolut fit ist (sei es biologisch, kognitiv, psychisch oder sozial), denn dass im Alter gewisse Abbauprozesse eintreten, sei nicht außer Acht gelassen. Doch jeder Mensch altert in unterschiedlicher Weise. Dieser Brückenschlag zurück zum vorherge- henden Kapitel soll eine differenzierte Sichtweise über das Alter und Altern eröffnen. Es wird weiterhin auf personalisierte und generalisierte Altersbilder eingegangen. Schließlich soll verdeutlicht werden, inwiefern das Fremdbild auf die Entwicklung des Selbstbildes Einfluss nimmt.

Anschließend an die Ausführungen über gesellschaftliche Bilder des Alters erfolgt eine konkrete Darstellung des älteren Menschen hinsichtlich seines gesellschaftlichen Status und den von ihm eingenommenen Rollen. Vorab wird die finanzielle Situation älterer Menschen dargestellt. Im Anschluss daran folgt eine Ausführung über die Wohnsituati- on. Hier werden drei Wohnformen erläutert: das Pflegeheim, betreutes Wohnen und Wohngemeinschaften, wobei besonderes eine relativ junge Wohnform, das Mehrgenera- tionenhaus, aufgegriffen wird. Ein weiteres Thema dieses Kapitels stellen ehrenamtliche Tätigkeiten Älterer für die Gesellschaft dar. Es wird die Bedeutung des Ehrenamtes, sowohl für die Gesellschaft, als auch für den älteren Menschen selber herausgestellt. Schließlich wird dies an dem Beispiel des »seniorTrainers« verdeutlicht.

Das daran schließende Kapitel will darstellen, welche Herausforderungen und Chancen sich aus dem demografischen Wandel für die Altersbildung ergeben. Denn „(für) die Gesellschaft mag der demographische Wandel ein Problem darstellen; doch für die Erwachsenenbildung stellt er eine Herausforderung, einen Arbeitsgegenstand, ja viel- leicht sogar eine Ursache für einen erneuten Aufschwung dar.“ (Nittel/Moos-Czech 2005, S. 194) Zunächst wird hierbei auf die Bedeutsamkeit der Altersbildung im All- gemeinen eingegangen. Dem schließen sich Definitionen des Altersbildungsbegriffes und einige Ansätze zur Begründung der Bildung im Alter an. Schließlich soll die Insti- tution Volkshochschule als größter Erwachsenenbildungsträger im Hinblick auf die Altersstruktur der Teilnehmer und Lernformen näher betrachtet werden. Anhand der Darstellung der Altersstruktur soll herausgestellt werden, ob diese auch dem Alterstruk- turwandel innerhalb der Bevölkerung entspricht, wonach die Anzahl der älteren Teil- nehmer zunehmen müsste.

Dem folgt schließlich eine Programmanalyse diverser Volkshochschulprogramme. Für die Erhebung wurden Angebote aus Thüringen und Hessen herangezogen. Ziel der Analyse ist es, zu zeigen, ob und inwieweit sich die Angebotsstruktur der Volkshoch- schulen hinsichtlich der älteren Zielgruppe verändert hat. Um dies aufzuzeigen, wurden Programme aus dem Jahre 2000 mit jenen aus dem Jahr 2008 verglichen. Da zur Erhe- bung Programmhefte aus Thüringen und Hessen zu gleichen Teilen vorlagen, wird ebenfalls eine kurze Gegenüberstellung der Angebote beider Bundesländer erfolgen.

1.3 Anmerkung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit älteren, nicht mehr erwerbs- tätigen Personen. Dafür werden in den folgenden Kapiteln Termini, wie Ältere, ältere Personen, ältere Menschen, ältere Bevölkerung, ältere Teilnehmer oder auch Senioren1 verwendet

2 Demografischer Wandel

2.1 Die Situation in Deutschland

Eines der wichtigsten Themen unserer Zeit ist der demografische Wandel. Die deutsche Gesellschaft, wie auch jene einer Vielzahl anderer Länder der Erde, wird stetig »älter«. Wie im April 2002 durch die zweite Weltversammlung zu Fragen des demografischen Alterns festgestellt wurde, werden in circa fünfzig Jahren mehr ältere als jüngere Menschen auf der Erde leben, eine Situation, welche in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmalig ist (vgl. Roloff 2004, S.9).

Oftmals wird dieses Phänomen nicht zuletzt auch in Deutschland als ein Problem ange- sehen und popularisiert, ist doch abwertend die Rede von einer »Vergreisungsgesell- schaft« und dem „[Zerfall] des Generationenvertrages“ (Kade 1994, S.13). Gemeint ist damit, dass sich durch die immer höher werdende Zahl an Älteren in unserer Gesell- schaft das Verhältnis zwischen Alt und Jung im Ungleichgewicht befindet. Der so genannte Generationenvertrag sieht vor, dass die erwerbstätige Generation für die Ver- sorgung der Kinder, welche in noch keinem Erwerbsverhältnis stehen, aufkommt und somit zu einem Recht auf Pflege- und Rentenleistungen ihrer selbst im Alter gelangt, was dann von der ehemaligen »Kindergeneration« aufgebracht wird (vgl. ebd.). Nun ist es jedoch so, dass bereits seit Jahren zunehmend weniger Kinder geboren werden, der Anteil an Älteren aber steigt. Dies führt unweigerlich dazu, dass durch das zahlenmäßi- ge Verhältnis von Älteren zu Jüngeren der Generationenvertrag nicht mehr wie vorgesehen funktionieren kann.

Wann die Rede vom »Alter« ist, hängt auch immer von der jeweiligen Gesellschaft ab. Jede Gesellschaft legt den Beginn des „sozialen Alters“ (Roloff 2004, S.9) gemäß ihrer wirtschaftlichen Lage fest. In Deutschland markiert das 65. Lebensjahr den Zeitpunkt der Regelaltersrente, wobei das Alter hier sowohl nach oben, als auch nach unten indi- viduell variiert. Darauf soll in diesem Zusammenhang jedoch nicht näher eingegangen werden.

Obwohl der Anteil an jungen Menschen im Laufe der Jahre ständig abgenommen hat, ist die Bevölkerungszahl per se von circa 65 Millionen im Jahre 1910 auf rd. 82 Millio- nen im Jahr 2005 angewachsen (vgl. ebd.; Statistisches Bundesamt 2006, S. 35). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Anteil älterer Menschen in den letzten einhundert Jahren rapide angestiegen ist. Lebten im Jahre 1910 circa 400.000 65jährige Menschen im ehemaligen Deutschen Reich, so lebten 2005 bereits rd. 1,2 Millionen dieses Alters in Deutschland. Was die Zahl der 80jährigen betrifft, so ist festzustellen, dass deren Anteil beinahe um das Achtfache gestiegen ist, d.h. er wuchs von circa.75.000 im Jahre 1910 auf rd. 590.000 im Jahr 2005. Die Altersgruppe der 20jährigen konnte im Jahre 1910 annähernd eine Zahl von 1.200.000 aufweisen, wohingegen diese 2005 auf 880.000 gesunken ist (vgl. ebd.). In einer graphischen Darstellung des Altersaufbaus in Deutschland ergibt sich für das Jahr 1910 eine Pyramide, d.h. der Anteil der älteren Bevölkerung nimmt nach oben hin kontinuierlich ab. Die Jüngeren bilden das Funda- ment, wohingegen die Älteren die Spitze darstellen. Im Jahr 2005 allerdings ist die Gruppe der über 40jährigen am stärksten vertreten, gefolgt von der der 65jährigen. Hier ist bereits deutlich zu erkennen, dass sich die Pyramide im Jahre 2050 zu einem Pilz gewandelt haben wird (vgl. ebd.).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Altersaufbau der deutschen Bevölkerung 1910, 2005 und 2050

Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2006

Das Phänomen der »alternden Gesellschaft« lässt sich auch anhand des so genannten Altersquotienten deutlich machen. Im Jahr 1900 kamen auf 100 erwerbstätige Personen 59 Rentner, im Jahre 2030 werden es laut Kade (1994, S.17) doppelt so viele Rentner sein, die 100 Jüngeren gegenüberstehen und welche von ihnen versorgt werden müssen

2.2 Gründe für die Zunahme der älteren Bevölkerungsschicht

Die Bevölkerung in Deutschland wird also zunehmend älter, doch welche Ursachen sind ausschlaggebend dafür? Abgesehen von Folgen des Krieges und der Migrationsbewegung sind drei Faktoren von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang: der Strukturwandel in den Familien, die Sterblichkeit und die Lebenserwartung. Diese sollen im Folgenden erläutert werden.

2.2.1 Strukturwandel der Familien und Geburtenrückgang

Die Familie war und ist eine Institution, welche auch an der Gestaltung der Gesellschaft maßgeblich beteiligt ist. Wenn der Familie und der eigenen Reproduktion nicht genug Bedeutung beigemessen wird, so spiegelt sich das nicht zuletzt auch in gesellschaftli- chen Strukturen wider. Hier liegt ein Teil des demografischen Wandels begründet. Aus einer verringerten Bereitschaft zur Familiengründung erwächst auch eine Verringerung der Geburtenentwicklung. Das Geburtenniveau liegt derzeit in europäischen Ländern bei 1,4, d.h. im Durchschnitt kommen in Europa derzeit auf eine Frau im gebärfähigen Alter 1,4 Kinder. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 2,8 (vgl. Roloff 2004, S. 14). Wie bereits erwähnt, sind Familienstrukturen als eine Art Spiegel der Gesellschaft zu sehen. Es ist allerdings ebenso wichtig darauf hinzuweisen, dass die Familienstrukturen oft auch in gesellschaftlichen Zu- und Umständen begründet liegen. So werden die Kinder- zahlen meist den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen angepasst. Dies ist u. a. daran zu erkennen, dass der Geburtenrückgang primär ein Phänomen der Industriege- sellschaften ist (vgl. Meyer 2004, S. 58).

Um 1900 war das höchste Geburtenniveau, welches bei 4,6 Kindern je Frau lag, im ehemaligen deutschen Reich zu verzeichnen. Die Jahre des ersten und zweiten Welt- krieges zeigten starke Einbrüche der Geburtenzahlen auf. In den jeweiligen Nachkriegs- jahren stiegen die Zahlen wieder an. So lag das Geburtenniveau nach dem ersten Welt- krieg bei 3,4 und nach dem zweiten, sowohl in Ost, als auch in Westdeutschland, bei 2,5 Kindern je Frau (vgl. Roloff 2004, S.15). Gründe für diese Entwicklung waren die euphorische Stimmung der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg und der zunehmend hohe Stellenwert der Familie. Dem folgte 1975 mit Erfindung der Hormonpille ein starker Rückgang der Geburtenzahlen in Ost-, sowie in Westdeutschland. Es kamen auf eine ostdeutsche Frau 1,5 und auf eine westdeutsche 1,4 Kinder. Nach der Wiederverei- nigung gingen die Geburtenzahlen, vor allem in Ostdeutschland, nochmals rapide zu- rück. Das Geburtenniveau sank zwischen 1990 und 1994 von 1,5 auf 0,8. Ab dem Jahr 1995 war eine langsame Steigerung der Geburtenzahlen in Ostdeutschland zu beobach- ten (vgl. ebd.). Im Jahr 2007 lag das ostdeutsche Geburtenniveau bei 1,3 Kindern pro Frau und in Westdeutschland bei 1,34. Dies machte für den gesamtdeutschen Durch- schnitt ein Geburtenniveau von 1,32 im Jahre 2007 aus (vgl. Grünheid 2007, S.7). Das Geburtenniveau sank also im Laufe der letzten 100 Jahre von einst 4,6 auf 1,322 Kinder pro Frau.

Doch wie sind diese Einbrüche zu erklären? Eine grundlegende Ursache ist der »Nutzwert« der Kinder. Heutzutage stellen Kinder keine zusätzlichen Arbeitskräfte mehr in der Familie dar und für Altersvorsorgezwecke werden sie ebenfalls nicht mehr als Garant angesehen (vgl. Roloff 2004, S 15). Aufgrund dessen, dass Fürsorgeleistungen zunehmend von staatlichen Einrichtungen übernommen werden und die Anzahl der Familienunternehmen immer mehr zurückgeht, verlieren die Kinder zunehmend an „ökonomischer Bedeutung“ (Meyer 2004, S.59).

Ein weiterer Punkt für das sinkende Geburtenniveau stellt die Emanzipation, oder auch Enthäuslichung der Frau dar. Viele Frauen stehen vor der Entscheidung: Beruf oder Kind. Oftmals stehen Kinder und Beruf nämlich in einem nicht, oder zumindest schwer zu vereinbaren Verhältnis. Jene Frau, die sich also für die berufliche Karriere entschei- det, entscheidet sich oftmals erst einmal gegen ein Kind. Sie schiebt den Kinderwunsch in die Zukunft, weil sie zunächst beruflich Fuß fassen will. Dies hat schließlich zur Folge, dass sich aufgrund des höheren Alters der Frau die Realisierung des Kinderwunsches auf meist ein Kind beschränkt, oder gar keines mehr geboren wird. Nach Meyer (2004, S.60) verzichten Frauen mit höherem Bildungsniveau auch öfter auf Kinder. Für bereits mehr als 42 Prozent der Akademikerinnen ist dies zutreffend.

Dass immer mehr Frauen auf Kinder verzichten, hängt auch nicht zuletzt mit der man- gelnden Kinderbetreuung seitens des Staates zusammen. Viele Eltern haben kaum Möglichkeiten, ihre Kinder während der Arbeitszeit in die Obhut der Kinderbetreuungs- stätten zu geben, weil schlichtweg zu wenige davon existieren (vgl. ebd.). Zudem wird von Berufstätigen immer mehr Flexibilität und Mobilität gefordert, so dass viele den Heimatort verlassen müssen. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Großeltern als Kinderbetreuung nicht mehr in Frage kommen. Hier zeigen sich deutliche Veränderun- gen in der Familienstruktur und in der Rolle der Älteren. Durch den Aus- und Umzug der Kinder, womöglich in eine andere Stadt, ergeben sich neue Möglichkeiten für die älteren Familienmitglieder. Sind Kinder und Enkel nicht mehr in greifbarer Nähe, ent- fallen auch bestimmte Rollen, wie die Enkelbetreuung Dies kann wiederum dazu füh- ren, dass die Senioren gezielt ihre Freizeit mit ehrenamtlichen Tätigkeiten gestalten, weil sie das Gefühl gebraucht zu werden, nicht missen wollen. Auch Bildung und Rei- sen stellen beliebte Gestaltungsmöglichkeiten dar. Somit öffnet sich ein neuer Markt, eine neue Zielgruppe, auch für die Erwachsenenbildung.

Des weiteren führt immer stärker werdendes Konsumdenken und der Drang nach per- sönlicher Freiheit dazu, dass Kinder bei der Führung eines solchen Lebensstils oftmals als eher störend angesehen werden, denn mit ihnen sind nicht nur Kosten, sondern auch erheblicher Zeitaufwand verbunden. Dies lässt sich vielmals mit dem persönlichen Lebensstil einiger nicht vereinbaren. Damit ebenfalls verbunden ist eine gewisse Angst vor langfristigen Festlegungen. Viele wollen sich ihre Zukunft offen halten und in ihren Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der Lebensgestaltung nicht eingeschränkt sein, was durch ein Kind nicht mehr in diesem Ausmaß gegeben ist (vgl. ebd.). Außerdem ist in Deutschland eine steigende Akzeptanz von Kinderlosigkeit seitens der Gesellschaft zu beobachten (vgl. Meyer 2004, S.61). Es scheint mittlerweile als ebenso »normal« zu gelten, ein Leben ohne Kinder zu führen, wie eines mit.

Weitere wesentliche Punkte, welche für die hohe Kinderlosigkeit sprechen, stellen die aktuelle Wirtschaftslage und die damit verbundene Arbeitslosigkeit dar. Es fehlt vielen an Sicherheit und Gewissheit, beides Faktoren, die bei der Familienplanung eine im- mense Rolle spielen. Auch der Trend zur Vergabe befristeter Arbeitsverträge trägt dazu bei, dass viele Paare sich für ein Leben ohne Kinder entscheiden (vgl. ebd.).

Nicht allein der Wandel in den Familien und der Geburtenrückgang sind verantwortlich für die steigende Anzahl älterer Mitbürger. Auch die sinkende Sterblichkeit im früheren Lebensalter und die steigende Lebenserwartung sind wichtige Determinanten für eine »alternde Gesellschaft«.

2.2.2 Sterblichkeit und hohe Lebenserwartung

Die Sterblichkeit wird mit der statistischen Kennziffer, der Sterbeziffer, angegeben, welche sich aus der Anzahl der jährlich auftretenden Sterbefälle, bezogen auf die durch- schnittliche Anzahl der Bevölkerung, zusammensetzt (vgl. Roloff 2004, S. 11). Diese ist seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert gesunken. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts ka- men auf 1.000 Bürger 22 Sterbefälle, wohingegen es zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur noch 10 waren. Einzig die Kriegsjahre sorgten für eine hohe Sterblichkeitsrate in Deutschland. Bereits seit 130 Jahren ist ein Rückgang der Sterblichkeit im früheren Lebensalter in Deutschland zu beobachten. Eng damit verbunden ist die steigende Le- benserwartung der Bevölkerung.

Die Ursachen für die höhere Lebenserwartung sind hauptsächlich im Fortschritt der Medizin, in der Verbesserung des Gesundheitssystems und der Hygiene, und in der Veränderung der Lebensgewohnheiten und Lebens-, bzw. Arbeitsbedingungen zu su- chen (vgl. ebd.; Statistisches Bundesamt 2006, S. 12) Eine Vielzahl von damals tod- bringenden Krankheiten, wie Cholera, Lungenpest oder Tuberkulose gehören heute, dank der Medizin und der Forschung, der Vergangenheit an. Die Menschen leben in besser ausgestatteten, komfortableren Wohnungen, als noch vor einhundert Jahren und die Lebensführung vieler hat sich ebenfalls geändert. Gesundheitsbewusstsein, verbes- serte Ernährungsgewohnheiten und Präventionsmaßnahmen sind heutzutage bei einer Vielzahl von Menschen Ausdruck ihres Lebensstils. Ebenso tragen erleichterte Arbeitsbedingungen, welche es vorsehen, körperliche Belastungen zu einem Großteil zu vermeiden, zu einer gestiegenen Lebenserwartung bei.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist eine Verringerung der Säuglings- und Kinder- sterblichkeit zu beobachten, und seit etwa 1950 hat die frühere Sterblichkeit Älterer ebenfalls beträchtlich abgenommen (vgl. Statistisches Bundesamt 2006, S.12). Noch in den Jahren 1871/ 1881 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Jungen bei dessen Geburt 35, 6 und die eines Mädchen 38,4 Jahre. Dies bedeutet, dass die Lebens- erwartung heute ungefähr doppelt so hoch ist, wie noch vor 130 Jahren, denn 2002/ 2004 lag die durchschnittliche Lebenserwartung eines Jungen bei dessen Geburt bei 75,9 und die eines Mädchens bei 81,5 Jahren. Die folgende Abbildung soll, ausgehend von der Berechnungsbasis der Periodensterbetafeln von 1871/ 1881 bis 2002/ 2004, den rapiden Anstieg der Lebenserwartung eines Neugeborenen im ehemals Deutschen Reich, dem früheren Bundesgebiet und dem heutigen Deutschland verdeutlichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2: Veränderung der Lebenserwartung im Zeitraum von 1881 bis 2000

Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2006

Auch in den kommenden Jahren wird die durchschnittliche Lebenserwartung weiter steigen, wenn auch dieser Prozess langsamer stattfinden wird, als bisher. Laut der Be- völkerungsvorausberechnung für das Jahr 2050 wird angenommen, dass die Lebenser- wartung bei der Geburt für Männer bei 83,5 (Basisannahme) oder 85,4 Jahren (Annah- me mit hohem Anstieg), und für Frauen bei 88,0 (Basisannahme) oder 89,8 Jahren (Annahme mit hohem Anstieg) liegen wird. Dies macht zudem deutlich, dass die Ge- schlechterdifferenz, das Alter betreffend, abnehmen wird, lag der Unterschied im bun- desdeutschen Durchschnitt doch 2002/ 2004 bei 5,6 Jahren (vgl. Statistisches Bundes- amt 2006, S. 17).

Doch auch die weitere Lebenserwartung älterer Menschen ist in diesem Zusammen- hang von Bedeutung, denn diese ist ebenso gestiegen. Allerdings war sie bereits in den Jahren 1871/ 1881 relativ hoch, wurde doch ein damals 60jähriger Mann durchschnitt- lich 72,1 und eine Frau 72,7 Jahre alt. In den Jahren 2002/ 2004 lag die Lebenserwar- tung für Männer allerdings schon bei 80,0 und für Frauen bei 84,1 Jahren, was für 60jährige Männer einen Anstieg von 7,9 und für Frauen dieses Alters eine Zunahme von 11,4 Lebensjahren seit 1871/ 1881 ausmacht. Die Ursache für die damalig hohe Lebenserwartung war wohl vor allem das Überstehen von Säuglings- und Kinderkrank- heiten, welche auch zum Tode hätten führen können, denn jedes weitere Lebensjahr bedeutet die Überwindung verschiedener Lebenskrisen und somit eine zunehmende Lebenserwartung (vgl. Statistisches Bundesamt 2006, S. 14)

Durch die ansteigende Lebenserwartung und die Veränderung der Altersstruktur sind, gerade auch im sozialen Bereich, enorme Auswirkungen zu erkennen (vgl. ebd.). Die »alternde Gesellschaft« steht im Vordergrund vieler wirtschaftlicher, sozialer oder (bildungs-)politischer Debatten, wie etwa jene über Finanzierungsfragen des Gesundheitswesen oder des Rentensystems (vgl. Kohli 2000, S. 7) Es wird potentiell mehr Bezieher der Altersrente und einen längeren Ruhestand geben.

Diese Entwicklung wird meist als problematisch angesehen, und es werden in der Ge- sellschaft auch verschiedene Umstrukturierungsprozesse stattfinden (müssen), um der Situation gerecht zu werden. Dennoch ist es nicht angemessen die Altersphase als einen Lebensabschnitt, welcher vornehmlich von Krankheit, Hilflosigkeit und Pflegebedürf- tigkeit geprägt ist, anzusehen. Somit ist es eine wichtige Aufgabe, vor allem auch der Bildung, ein Bild vom älteren Menschen zu schaffen, welches der Realität entspricht.

Dies würde zudem einen großen Teil dazu beitragen, den oft beklagten Konflikt zwischen den Generationen abzumildern, denn ein reales Verständnis kann einen großen Teil zur Minderung von Konfliktpotential beitragen.

Im Folgenden Kapitel werden Begriffsbestimmungen des Alters und des Alterns unter biologischen, kognitiven, psychischen und sozialen Aspekten vorgenommen. Daran schließt sich eine Darstellung der Altersstereotype und Bilder des Alters und Alterns. Sowohl auf das Selbst-, als auch auf das Fremdbild Älterer wird in diesem Zusammen- hang eingegangen werden, um anschließend einen realistischen Blick auf diese Lebens- phase zu werfen.

3 Alter und Altern - Betrachtung unter verschiedenen Aspekten

3.1 Begriffliche Bestimmung des Alters und Alterns

Oftmals werden Alter und Altern3 von der Gesellschaft negative Attribute zugeschrie- ben. Diese Einstellung erwächst meist aus persönlicher Angst vor diesem Lebensab- schnitt, denn Altern ist ein irreversibler, nicht aufhaltbarer Prozess, und das Alter ist der Lebensabschnitt, welcher mehr, als andere Lebensphasen von Abhängigkeit und Krank- heit geprägt ist (vgl. Joss- Dubach 1987, S. 25). Der Prozess des Alterns beginnt jedoch bereits mit der Geburt. Jeder Mensch, jedes Lebewesen altert in jeder Sekunde seines Lebens. Das Alter ist nicht ausschließlich an ältere Menschen gebunden, sondern Be- standteil allen Lebens (vgl. Kim 2006, S. 24). Es ist ein „universelles Unterscheidungs- merkmal, um eine Person zu klassifizieren. Während Geschlecht und Hautfarbe ge- wechselt oder manipuliert werden können, ist das Alter begrenzt, unumkehrbar und deshalb unterhintergehbar“ (Kade 2007, S. 14).

Laslett (1995) unterteilt das Lebensalter in vier Phasen. Die erste Phase stellt den Le- bensabschnitt vor dem Erwerbsleben dar, also Kindheit und frühe Jugend. Dies ist die Zeit der Abhängigkeit, Sozialisation, Unreife und Erziehung. Die zweite Phase erstreckt sich über den Zeitraum des Erwerbslebens. Diese ist gekennzeichnet durch Unabhän- gigkeit, Reife und Verantwortung. Es ist die Zeit des Verdienens und des Sparens. Der dritte Lebensabschnitt ist der der Nacherwerbsphase, welche sich heute über einen langen Zeitraum erstreckt. Laslett nennt diesen Abschnitt auch die Zeit der persönlichen Erfüllung. Die vierte und letzte Phase ist jene des bevorstehenden Lebensendes, in welcher der Tod näher rückt. Diese ist stark biologisch geprägt, da der physische Abbau deutlich spürbar ist. Der Mensch erfährt in dieser Phase unabänderliche Abhängigkeit. (Laslett 1995, S. 34f; vgl. Münstermann 2006, S. 31). Obwohl das Altern ein lebenslan- ger Entwicklungsprozess ist, welcher mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, so erreicht er seinen Höhepunkt jedoch in der letzten Lebensphase.

Dies ist allerdings im Hinblick auf Altersbildungsprozesse jene Lebensphase, in welcher nur sehr eingeschränkt anregende Aktivitäten und Bildungsangebote gegeben sind und genutzt werden können (vgl. Kolland 2005, S. 11). Dies wird auch daran deutlich, dass in zahlreichen Statistiken über Altersverteilung in Bildungseinrichtungen eine konkrete Einteilung und Abgrenzung des Alters meist nur bis zum 65. Lebensjahr vorgenommen wird (vgl. hierzu z.B. Reichart/ Huntemann 2006). Danach ist die Rede von »65und älter«. Auch der Begriff 50plus, wie er zunehmend in den Medien oder von Bildungs- trägern benutz wird, spricht indirekt für die Exklusion des hohen Lebensalters. In An- betracht dessen, dass sich das Leben bis etwa zum 110. Lebensjahr ausdehnen kann, ist die Spannweite doch sehr groß. Hier werden also zwei Phasen des Lebens zu einer gefasst, wobei die letzte eher wenig Beachtung findet.

Das Alter per se ist eine kalendarische Bestimmung, die Rede ist auch vom kalendari- schen oder chronologischen Lebensalter. Es gibt die altersbezogene Kennzeichnung eines Individuums an. Das kalendarische Lebensalter ist leicht bestimmbar und besitzt allgemeine Gültigkeit, wird also auch vergleichend angewandt. Außerdem erfolgt die Festsetzung bestimmter Abschnitte des Lebens über das kalendarische Alter, wie etwa den Eintritt in das Rentenalter (vgl. Kim 2006, S. 25). Eine klare, rein nach dem kalen- darischen Alter festgelegte Zuordnung zu vollziehen, ist jedoch nicht möglich, da jeder Mensch unterschiedlich altert, sei es biologisch, psychisch, kognitiv oder sozial (vgl. Kade 2007, S. 40ff). Friebe (2007, S. 20) nimmt eine Einstufung in drei Altersphasen des höheren Lebensalters vor, wobei auch er konstatiert, dass die Phasenübergänge fließend sind und eine Zuordnung, welche ausschließlich nach dem kalendarischen Alter erfolgt, nicht zulässig ist. Er differenziert die Alterphasen wie folgt:

- Junge Alte: 55-64 Jahre
- Mittlere Altersgruppen: 64-74 Jahre
- Betagte Menschen: über 75 Jahre

Diese Einstufung und Abgrenzung ist insofern nützlich, als dass sie eine Richtlinie für die Zielgruppenarbeit der Erwachsenenbildung liefert und die Abschätzung des beson- deren Bildungsbedarfs älterer Menschen erleichtert. Aus diesem Grund werden die genannten Altersgruppen ebenso als Adressatengruppen bezeichnet (vgl. ebd.). Aus pädagogischer Sicht von einer Altersgrenzziehung zu sprechen, sieht Buschmeyer (1990, S. 18) als unzweckmäßig an. Er argumentiert gegen eine solche Abgrenzung folgendermaßen: „Meines Erachtens muß eine Betrachtung des Alters aus pädagogi- scher Perspektive besonders das Gewordensein des Menschen in seinem lebensge- schichtlichen Zusammenhang in den Blick nehmen. Welche Erfahrungen jemand ge- macht hat und wie er diese verarbeitet hat, aber auch, welche Erfahrungen jemand (noch) nicht gemacht hat, wird zum zentralen Punkt der Betrachtung. Aus pädagogi- scher Perspektive macht es daher wenig Sinn, eine eindeutige Festlegung des Alters zu treffen, sondern der Zusammenhang von Älterwerden und Bildung ist insgesamt in den Blick zu nehmen.“

Das Altern als Prozess erstreckt sich über den gesamten Lebenszeitraum. Dieser ist irreversibel und endet erst mit dem Tod. Doch der Alterungsprozess vollzieht sich bei jedem Menschen in anderer Weise. Es ist möglich, dass sich der biologische Abbauprozess bis zum 110. Lebensjahr ausdehnt, oder aber er setzt bereist früher ein, aufgrund von Krankheit, Schwäche, Unfallfolgen u. a. (vgl. Kade 2007, S. 14). Körperliche Veränderungen können durch Faktoren wie Ernährung, Pflege, Therapie usw. beeinflusst werden. Das biologische Lebensalter ist unabhängig von dem kalendarischen (vgl. Kim 2006, S. 25). So kann der Abbau bereits in jungen Jahren beginnen. Der Alterungsprozess weist also eine große interindividuelle Varianz auf. Doch auch intraindividuelle Variabilität ist ein Charakteristikum für den Alterungsprozess, da nicht alle Funktionen eines Menschen gleichzeitig altern (vgl. Kade 2007, S.14f).

Die wohl wichtigste Theorie um das Alter zu erklären und die unterschiedlichen Alters- erscheinungen einem gemeinsamen Prinzip zuzuschreiben, ist die Abnutzungstheorie, wonach das wesentliche Kriterium für den Alterungsprozess darin liegt, dass sich be- stimmte Moleküle, Stoffe und Zellen des älteren Organismus nicht mehr erneuern. Vor allem die Schädigung der DNS und der Abbau des Kollagens führen zu alterstypischen Abbauprozessen im Körper. Als Folge können Rheuma, Arthrose, Gedächtnisstörungen u. a. auftreten (vgl. Kim 2006, S. 27; Kruse 2007, S. 20f).

Zahlreiche disziplinäre Diskurse beschäftigen sich mit dem Prozess des Alterns, wobei nach Kade (2007, S. 39f) der biologische Alterungsprozess die Basis all dieser Diszipli- nen darstellt. Im Folgenden werden unterschiedliche Alters- und Alternsbegriffe näher vorgestellt, wobei auch bildungsrelevante und soziale Aspekte miteinbezogen werden.

3.1.1 Biologisches Alter und Altern

Veränderungen von Körper und Nervensystem sind Auswirkungen des biologischen Alterungsprozesses (vgl. Witterstätter 1992, S. 18). Grundlegend für diese Veränderun- gen ist ein Nachlassen der Zellteilungsfähigkeit des Organismus. Somit ist eine endoge- ne Erneuerung der Zellen nicht mehr gegeben (vgl. Kade 2007, S.40). Wird ein be- stimmter Zelltyp durch Zellverluste, Fehler o. a. vermindert, geht also zahlenmäßig zurück, so vermindern sich auch spezifische Organfunktionen, bis hin zur Organfunkti- onsuntüchtigkeit. Dieses Verlorengehen der Funktionen kann von anderen Zelltypen nicht ersetzt werden und es kommt zum vermehrten Auftreten von Krankheiten, wo- durch der Prozess des biologischen Alterns erkenn- und fühlbar wird (vgl. Kruse 2007, S. 20).

Jedoch ist zu unterscheiden zwischen stochastischen und deterministischen Altersursa- chen. Erstere treten zufällig auf und sorgen für Fehler und Schädigungen des Organis- mus. Diese Schädigungen sind mit Hilfe genetischer Anlagen nicht reparabel oder erneuerbar. Hier spielen insbesondere Schädigungen der DNA eine wichtige Rolle, welche nicht behoben werden können, während andere mittels der DNA reversibel sind. Eine denkbare Folge der DNA Schädigung ist die Gedächtnisstörung im höheren Alter (vgl. ebd.).

Deterministische Ursachen sind naturgegeben und voraussagbar. Vor allem die Unfä- higkeit der Zellen sich beliebig oft zu teilen (es sind maximal 60 Teilungen möglich) und die damit einhergehende Begrenzung der Lebensfähigkeit des Organismus, gehört zu den wichtigsten deterministischen Ursachen der biologischen Alterung (vgl. ebd.; Kade 2007, S. 40). Dieser natürliche Abbauprozess ist zwar nicht aufhaltbar, kann jedoch mit Hilfe fördernder Umwelteinflüsse, wie Gedächtnistrainings beeinflusst werden. Das Altern kann also verzögert, wenngleich nicht aufgehalten werden. Entwicklungen und Veränderungen, die biologischer Natur sind, treten bei allen Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf und können nicht in ein bestimmtes chronologisches Alter eingeordnet werden.

3.1.2 Kognitives Alter und Altern

Kognitives Altern, also geistige Alterung, beginnt mit dem Nachlassen der Gedächtnis- fähigkeit und kann u. U. zur Demenz führen (vgl. Kade 2997, S. 44). Über zehn Prozent der über 80jährigen und circa 35 Prozent der über 90jährigen sind von dieser Alterser- krankung betroffen. Eine einheitliche Ursache für diese Krankheit gibt es nicht, da sie durch unterschiedliche pathologische Prozesse im Gehirn verursacht wird. Bekannt sind vaskuläre und Alzheimer- Demenzerkrankungen. Letztere ist bei circa zwei Dritteln der Betroffenen zu beobachten und ist somit die am häufigsten vertretene Form. Vaskuläre Demenzen werden durch geschädigte Hirngefäße hervorgerufen, welche wiederum der Arteriosklerose, also Kalkablagerungen der Gefäßinnenwände, zugrunde liegen (vgl. Kruse 2007, S. 50).

Gerade ältere Personen selbst empfinden den allmählichen Gedächtnisverlust dramatisch, vor allem beim Eintreten von Fremdheitsgefühlen. Auch Verwandte und Freunde spüren diesen Prozess der Entfremdung, wenn diese von dem Betroffenen plötzlich nicht mehr erkannt werden (vgl. Kade 2007, S. 44).

Im Zusammenhang mit kognitiven Alterungsprozessen steht auch die Frage nach der Lernfähigkeit im Alter. Grundlegend für diese Fähigkeit ist die Nichterneuerbarkeit der Nervenzellen im Gehirn, denn wenn eine ständige Erneuerung stattfinden würde, könnte das Gedächtnis nicht funktionieren. Nun würden durch das Schwinden bestimmter Nervenzellen auch gewisse Funktionen verloren gehen, gäbe es nicht die Möglichkeit der Substitution. Diese ermöglicht die Ersetzung und teilweise Wiederbelebung kogni- tiver Funktionen. Dies geschieht durch die Aktivierung von Nervenzellverbindungen- der Synapsen (vgl. Kade 2007, S. 44f). Bereits in frühester Kindheit beginnt die Ent- wicklung der Synapsen. Das Baby ist einer Vielzahl von Umwelteinflüssen und Eindrü- cken ausgesetzt und ist in der Lage Informationen in großer Zahl aufzunehmen. Die Folge ist die Bildung der Synapsen, wovon im Laufe der Jahre einige wieder abgebaut werden. In der Adoleszenzphase ist eine weitere starke Ausbildung der Synapsen zu verzeichnen. Auch diesem Schub folgt ein Abbau, wobei häufig gebrauchte Synapsen gefestigt und andere ausgesondert werden. Diese Entwicklung dient der Feinabstim- mung des Gehirns und bildet die Basis für das Lernen, da hierdurch die Möglichkeit für neues Lernen geschaffen wird. Dieser Prozess erstreckt sich bis ins hohe Alter (vgl. European Dana Alliance for the Brain, S.3).

Der kognitive Alterungsprozess lässt sich, wenn überhaupt, nur schwer am chronologi- schen Lebensalter festmachen. Die Gruppe der Älteren weist die höchste kognitive Leistungsvarianz unter den verschiedenen Altersgruppen auf. Horn und Catell fanden heraus, dass die so genannte fluide Intelligenz in zunehmendem Alter abgebaut wird, während die kristalline Intelligenz zunimmt. Unter die fluide Intelligenz fallen Fähig- keiten, wie Umstellungsvermögen, Wendigkeit, Kombinationsfähigkeit und Orientie- rung in neuen Situationen. Die kristalline Intelligenz beruht auf Erfahrungs- und Allge- meinwissen, Wortschatz und Sprachverständnis (Lehr 1991, S. 79). Dies zeigt, dass es im Alter zwar zunehmend schwieriger wird, sich auf neue Situationen einzustellen oder schnell auf Neues zu reagieren, jedoch zeigt es auch, dass es nicht die Intelligenz per se ist, welche abnimmt, sondern eben nur die Funktionen, welche dem Bereich der fluiden Intelligenz angehören. Für die Untersuchung des kognitiven Alterns werden meist Intelligenztestverfahren angewandt, mit dessen Hilfe das Intelligenzpotential und die geistigen Leistungen älterer und alter Menschen herausgestellt werden sollen. Man fand heraus, dass ab dem 70. Lebensjahr mit Leistungseinbußen der kristallinen Intelligenz zu rechnen ist. Nach dem 80. Lebensjahr ist eine deutliche Abnahme aller kognitiven Intelligenzleistungen zu verzeichnen (vgl. Kade 2007, S. 45f; Baltes 1996, S. 42f).

Kade (2007, S. 46) konstatiert, dass im Bereich der kognitiven Altersforschung aus pädagogischer Sicht die biografisch entwickelte Bildungsgeschichte von größerer Be- deutung ist, als die Leistung der Intelligenz. Das anknüpfende Weiterlernen älterer Personen stellt eine weniger schwierige Aufgabe dar, als das Umlernen. Gerade Ältere sind geprägt von Erfahrungen, haben gefestigte Werte und Meinungen. Diese neu zu konstituieren ist eine der schwierigsten pädagogischen Herausforderungen. Ob die ältere Person in der Lage ist, erfolgreich umzulernen, hängt stark mit ihrer Lebens- und Lernbiografie zusammen. Fähigkeiten, wie Ausdauer und die Bewältigung von Misserfolgen, welche sich im Laufe des Lebens mehr oder minder entwickeln, sind hier von äußerster Prägnanz. Eine wichtige Aufgabe ist es also, ältere Menschen, welchen es an Ausdauer mangelt, dahingehend zu ermutigen und zu motivieren, dass sie sich auf das Neu- oder Umlernen einlassen (vgl. ebd.).

3.1.3 Psychisches Alter und Altern

Kade (2007, S. 46f) beschreibt das psychische Altern unter dem Aspekt der Desillusio- nierung. Hiernach setzt die psychische Alterung mit Resignation und Verlust des Le- benswillens ein, welcher als Folge enttäuschender Erlebnisse oder Verlusterfahrungen bereits bei jungen Menschen stattfinden kann. Gerade Desillusionierung und das Feh- len der Hoffnung kann dazu führen, dass sich betroffene Personen aus dem gesellschaft- lichen Leben zurückziehen, vereinsamen oder gar in Depressionen fallen. Meist er- wächst diese Lebenskrise aus einem großen unvorhersehbaren Verlust, welcher mit Hilfe der gewöhnlichen Strategien und Mittel nicht zu verarbeiten ist. Es ist daher äu- ßerst wichtig, der Person psychischen Beistand zu leisten und sie zu stabilisieren, auf- zubauen, neuen Lebenswillen zu wecken und dem Menschen wieder Hoffnung zu ge- ben. Wichtig hierbei ist vor allem die Erkenntnis der Sinnhaftigkeit kritischer Ereignis- se (»wofür ist es gut? «). Die ältere Person muss dazu bereit sein, schwere Einschnitte zu akzeptieren und anzunehmen (vgl. Kade 2007, S. 47). So kann etwa der Tod des Lebenspartners als Erlösung angesehen werden. Diese Vorstellung hilft der trauernden Person, den Tod als sinnvoll anzusehen und mit dem Verlust besser umzugehen.

Bei der Verarbeitung von Lebenskrisen kommt auch der Biografisierung eine bedeuten- de Rolle zu. Gerade im Alter wird Biografiearbeit geleistet, sei es im Zuge des retro- spektiven Nachsinnens über das eigene Leben, oder durch das Erzählen prägender Ereignisse. Kein Lebensabschnitt ist dermaßen von Erinnerungen und Erfahrungen aus der Vergangenheit geprägt, wie der des Alters. Durch die Reminiszenz wird dem eige- nen Leben hinterfragend ein Sinn zugeschrieben. Aufgrund der Tatsache, dass die ältere Person gewisse Rollen nicht mehr besetzt, muss eine Relativierung des Selbstbildes stattfinden. Der ältere Mensch muss sich und seine Funktionen, Aufgaben und Gestal- tungsmöglichkeiten neu konstituieren. Dadurch dass im Alter die Lebensgeschichte in zeitlich gegliederte Sinnzusammenhänge gebracht wird, wird dem Lebenslauf retro- spektiv ein Sinn zugeschrieben. Nicht eine ständige Hinterfragung des Lebenssinnes und der Gründe für bestimmte Geschehnisse steht nunmehr im Vordergrund der Bewäl- tigung, sondern eher eine bewusste Auseinandersetzung mit bestimmten Situationen und die Einsicht, dass diese nicht zu ändern sind (Kade 2007, S. 48). Karl Jaspers (1973, S. 203f) spricht in diesem Zusammenhang von Grenzsituationen, von jenen, die sich nicht vom Menschen beeinflussen oder ändern lassen. Sie sind endgültig. Doch solche Situationen, wie Tod, Verlust und Leiden gehören zu der menschlichen Existenz und sind für jene und die geistige Entwicklung unabdinglich. Aufgrund der Tatsache, dass diese Situationen , wie überhaupt das gesamte Leben, Endgültigkeit besitzen, und sich somit nicht ändern lassen, muss eine Veränderung, eine Entwicklung im Menschen selber stattfinden. Auch Marcel und Petzold (1976, S. 11) stehen der Verleugnung des Alterns und der Endlichkeit menschlichen Lebens ablehnend gegenüber. Demnach sei die Verleugnung der eigenen Endlichkeit gleichbedeutend mit der Verleugnung dessen, was der Mensch ist. Er muss durch Erkenntnis sein Handeln und Bewusstsein in dem Maße ändern, dass er gewisse Grenzsituationen, wie Tod, Leiden und Verlust, bewälti- gen kann (vgl. Jaspers 1973, S. 203f; Kruse 2007, S. 105f). Ein zusammenfassendes Zitat von Jaspers (1973, S. 204) soll dies verdeutlichen: „Auf Grenzsituationen reagie- ren wir … sinnvoll nicht durch Plan und Berechnung, um sie zu überwinden, sondern durch eine ganz andere Aktivität, das Werden der in uns möglichen Existenz; wir wer- den wir selbst, indem wir in die Grenzsituationen offenen Auges eintreten.“

Ebenso stehen Gesundheitszustand und psychische Befindlichkeit in engem Zusam- menhang. Diese Korrelation ist gerade im Alter von großer Bedeutung. Obwohl Alter und Krankheit nicht per se in starkem Bezug zueinander stehen, ist dieser Lebensbach- schnitt doch am ehesten von physischen Veränderungen und Einschränkungen betrof- fen. Ein schlechter Gesundheitszustand erhöht die Wahrscheinlichkeit psychischer Unzufriedenheit deutlich. Doch auch umgekehrt kann seelischer Schmerz die körperliche Befindlichkeit negativ beeinflussen (vgl. Lehr 1991, S. 319f).

Auch die Kognition beeinflusst das psychische Befinden. Das Verfügen des älteren Menschen über eine gewisse „persönliche Kontrolle“ (Lehr 1991, S. 63) in einem oder mehreren Lebensbereichen und die daraus resultierende Verminderung oder gar Abwesenheit der Hilfsbedürftigkeit, kann einen erheblichen Teil zum psychischen Wohlbefinden beitragen (vgl. Lehr 1991, S. 62f).

3.1.4 Soziales Alter und Altern

Soziales Altern beginnt bereits vor dem biologischen Alterungsprozess. Kade (2007, S. 48) spricht in diesem Zusammenhang von Desintegration, welche das soziale Altern bestimmt und einleitet. Damit ist gemeint, dass der Mensch durch Rollenverlust oder das Unnötigwerden erworbener Kenntnisse eine soziale Alterung erfährt. Dies setzt bereits dann ein, wenn das Kind die Rolle des Kindes verliert, indem es aus dem Eltern- haus auszieht und eine eigene Familie gründet. Solch ein Prozess wird zwar von den Wenigsten als Alterung angesehen, ist jedoch mit dem einhergehenden Rollenverlust und dem Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt kennzeichnend für den sozialen Alte- rungsprozess. Erlebt wird dieser dagegen meist erst mit dem Austritt aus dem Berufsle- ben, welcher oftmals als sozialer Ausschluss angesehen wird. Vor allem in Berufen mit hohem sozialen Prestige kann der Austritt als tiefer Fall nach unten erlebt werden, da das Schwinden der beruflichen Rolle gleichermaßen als ein Schwinden des Sozialpres- tiges empfunden werden kann. Dies vermag wiederum dazu führen, dass das Selbst- wertgefühl stark abnimmt und eine soziale Umorientierung nur schwer vorzunehmen ist (vgl. ebd.). Die soziale Desintegration wird mit zunehmendem Alter immer stärker empfunden, da sich das gewohnte soziale Umfeld immer mehr, vor allem durch das Sterben geliebter Menschen, verändert. Im Alter findet verstärkt eine Schrumpfung sozialer Netzwerke statt, welche aus Kontakten zu Verwandten, Partnern, Freunden, Nachbarn und Bekannten, sowie aus „formellen sozialen Beziehungen zu professionel- len Helfern“ (Kade 2007, S. 49) besteht.

Nicht miteinander gleichzusetzen sind die Begriffe der sozialen Isolation und der Ein- samkeit. Ersterer stellt den Mangel an sozialen Kontakten dar, welcher objektiv messbar ist. Soziale Isolation muss nicht zwangsläufig mit einem Gefühl der Einsamkeit, welche das subjektive, erlebte Gefühl beschreibt, einhergehen. Diese beschreibt. Es kann trotz zahlreicher sozialer Kontakte aufkommen (vgl. Rosenmayr 2003, S. 38ff). So kann es sich zutragen, dass sich eine Witwe einsam fühlt, obwohl der Kontakt zu Familie und Freunden seit dem Tod ihres Mannes gar gestiegen ist, die Kinder und Enkel mehr denn je nach ihr schauen und sie auch am wöchentlichen »Kaffekränzchen« teilnimmt. Ein- samkeit und Isolation sind einer empirischen Untersuchung zufolge bei einem Viertel der älteren Menschen vertreten, wobei vor allem allein oder im Heim lebende ältere und hochaltrige Frauen davon betroffen sind. Je älter sie werden und je länger sie allein leben müssen, desto einsamer fühlen sie sich (vgl. Kade 2007, S. 49).

Formelle soziale Netzwerke, welche den Älteren Hilfe anbieten, nehmen immer mehr in ihrer Anzahl zu, wohingegen Hilfe seitens der Familienmitglieder oder der Anteil in- formeller Netzwerke stetig abnimmt. Das gegenseitige Helfen kann mit zunehmendem Alter nicht mehr in hohem Maße ausgeführt werden, wobei hier nicht von einer absolu- ten Aufgabe von Hilfe die Rede ist, denn der Tausch kann bis ins hohe Alter stattfinden. Nach Kade (2007, S. 50) helfen ältere Personen mindestens einem Menschen oder erhalten Hilfe. Dieses Tauschmodell erfolgt meist in dem Sinne, dass die Jüngeren den Älteren instrumentelle Hilfe anbieten, wobei die Älteren als Gegenleistung eher emoti- onale Hilfe leisten. Dies liegt vor allem an körperlichen Dispositionen, denn ältere Menschen sind aufgrund bestimmter physischer Veränderungen nicht mehr zu allen körperlichen Tätigkeiten in der Lage (vgl. 3.1.1). Jedoch werden auch die emotionalen Hilfeleistungen seitens der Älteren mit fortschreitendem Alter geringer und die Re- ziprozität der Leistungen tritt nur noch gemindert, oder gar nicht mehr ein (vgl. Kade 2007, S. 49f). Auch der Anteil der gleichaltrigen Freunde, zu denen eine emotionale Bindung besteht, nimmt mit zunehmendem Alter ab. Im Alter von 70- 84 Jahren verfü- gen circa 66 Prozent über einen Freund bzw. eine Freundin und bei Personen, die das 85. Lebensjahr überschritten haben, sind es lediglich noch 43 Prozent (vgl. ebd.). Vor allem hochaltrige Heimbewohnerinnen, Angehörige unterer Schichten und sozial schwache ältere Personen sind von sozialer Desintegration und Benachteiligung betrof- fen. Sie sind oftmals allein, haben keinen Partner mehr, kaum oder keinen Kontakt zu den Kindern und profitieren selten oder gar nicht von informeller Hilfe von Freunden, Nachbarn oder Bekannten. Kade (2007, S. 50) schlägt in diesem Zusammenhang vor, in professioneller Weise Gemeinschaft für Ältere zu fördern und eine Alteninfrastruktur zu schaffen, mit Hilfe dessen neue Zugänge für ältere und vor allem hoch betagte Men- schen geschaffen werden sollen. Es sollte mehr Freiwilligenarbeit erfolgen. Die Helfer müssten durch Qualifizierungsmaßnahmen adäquat darauf vorbereitet und in ihrer Arbeit geschult werden.

3.2 Theorien und Modelle über das Alter und den Alterungsprozess

Das Altern hat einen großen Einfluss auf das soziale Leben und die Lernprozesse. Eine bekannte Theorie, welche sich mit dem Abbauprozess hinsichtlich sozialer Folgen beschäftigt, ist die Disengagement- Theorie von Cumming und Henry (1961). Diese beschreibt den Rückzug der älteren Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben. Dem- zufolge geht mit dem Alter ein Rückzug einher, der unvermeidbar und bei allen Men- schen zu beobachten ist, also einen allgemeingültigen Prozess des Alterns darstellt. Aus diesem Grund gibt es in der Gesellschaft gewisse Rollen und Aktivitäten, welche von Älteren nicht mehr eingenommen oder ausgeführt, sondern ihnen vorenthalten werden. Disengagement, also der soziale Rückzug, besitzt die Funktion den alten Menschen auf den Tod vorzubereiten. Durch die geringere Interaktion zwischen dem Älteren und der Gesellschaft und dem damit verbundenen Rollenverlust wird die Person auf das bevor- stehende Lebensende vorbereitet. Der Rückzug aus sozialen Rollen bereitet demnach auf den Rückzug aus dem Leben vor. Nicht mehr alle Aktivitäten werden ausgeführt, sondern lediglich die von dem Älteren bevorzugten. Prioritäten werden in anderer Wei- se gesetzt und das Eigenengagement wird heruntergestuft, was zu Rückzug aus be- stimmten Aktivitäten führt, jedoch nicht zu einer reinen Passivität (vgl. Cum- ming/Henry In: Kade 2007, S.41). Nach Cumming/ Henry ist der Rückzug zwar zu einem gewissen Teil gesellschaftlich bedingt, da das Individuum dem Druck unterliegt, seine einstigen sozialen Rollen abzugeben. Jedoch, und hier liegt der hauptsächliche Angriffspunkt der Kritiker, müsse auch ein „intrinsisch motivierter Anteil“, der natur- gegeben ist, existieren (Joop 2003, S.14). Diese Theorie rückt immer wieder in den Blickpunkt kritischer Diskussionen. Vor allem die Behauptung, der Rückzug aus dem sozialen Leben sei naturgegeben, ist stets umstritten.

Dem gegenüber steht die Aktivitätstheorie von Havighurst, Neugarten und Tobin (1968). Sie teilen die Ansicht der Vertreter der Disengagement- Theorie, dass der Rück- zug intrinsisch und dem alter inhärent sei, nicht. Für Havighurst et al. ist dieser Rückzug nicht sekundär von der Gesellschaft bestimmt, sondern hiernach sind es die gesell- schaftlichen Strukturen allein, die diesen forciert. Der alternde Mensch per se wird als eine aktive Person angesehen, welche gewisse Aktivitäten so lange ausübt, bis dies aufgrund gewisser Faktoren, wie Renteneintritt oder körperliche Veränderungen, nicht mehr möglich ist. Sollte aber der Fall eintreten, dass bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausgeführt werden können, so sucht sich der ältere Mensch Alternativbeschäftigungen, um das „Aktivitätsniveau zu halten“ (Joop 2003, S.15) Laut der Aktivitätstheorie be- steht, hinsichtlich psychologischer und sozialer Belange, kein Unterschied zwischen älteren Menschen und Personen mittleren Alters. Die einzige Differenz liegt in den unabwendbaren biologischen und gesundheitlichen Veränderungen. Von einer optima- len Alterung ist hiernach nur dann die Rede, wenn die ältere Person aktiv bleibt und der Regression seiner sozialen Welt widersteht. Er behält die Aktivitäten der mittleren Altersgruppe so lang wie möglich bei. Sind gewisse Aktivitäten nicht mehr ausführbar, so werden Alternativen dafür gefunden, wie z. B. nach dem Eintritt in das Rentenalter eine Alternative für die berufliche Tätigkeit gefunden werden muss. Die ältere Person muss daher auch in der Lage sein, von früheren Aktivitäten abzulassen (vgl. Havighurst et al. 1968, S. 161).

Aufgrund der Strittigkeit dieser beiden Theorien wurden empirische Studien erhoben, um sie zu überprüfen. Es ließ sich jedoch kein eindeutiges Ergebnis feststellen, welches für die Absolutheit einer der beiden Theorien sprach. Man fand heraus, dass ein Rück- zug aus dem gesellschaftlichen Leben im höheren Alter durchaus stattfindet, sich die Abnahme der sozialen Kontakte jedoch negativ auf das psychologische Wohlbefinden auswirkt (vgl. Havighurst et al. 1968; Joop 2003, S. 15). Schließlich wurde festgestellt, dass keine der beiden Theorien einen absoluten Gültigkeitsanspruch besitzt und die Modelle wurden wie folgt zusammengeführt: „ … neither the ´activity´ theory nor the disengagement theory accounts satisfactory for this diversity [in question, J. S.]“ (Havighurst et al.1968, S. 171).

Um das Alter unter bildungs- und lernrelevanter Sicht her zu betrachten, wurden Model- le entwickelt, welche die Kompensation gewisser Funktionsverluste in den Vordergrund stellten. Vertreter dieser Theorien sind sich wohl bewusst, dass Abbauprozesse im Alter stattfinden und machen von dieser Erkenntnis auch in ihren Studien gebrauch. Hiernach werden bestimmte Aktivitäten, welche nicht mehr ausgeübt werden können, verlagert. Der Fokus liegt dann auf Beschäftigungen, deren Ausübung trotz der Abbauprozesse noch möglich ist, denn Alterungsprozesse betreffen nicht den gesamten Organismus gleichermaßen. So sind einige Funktionen von Einbußen betroffen, während andere erhalten bleiben. Der Abbau bestimmter Funktionen kann durch andere Teilfunktionen kompensiert werden, daher kann zum Beispiel eine Substitution körperlicher Beein- trächtigungen durch psychische oder kognitive Teilfunktionen stattfinden. Abbaupro- zesse sind Teil der Entwicklung, also Selbstregulationsprozesse des Körpers (vgl. Kade 2007, S. 42). Somit kann unter Entwicklung auch verstanden werden, dass körperliche Einbußen mit Hilfe seelischer und kognitiver Verarbeitungsprozesse besser angenom- men und akzeptiert werden können. Die Fähigkeit der Kompensation hat ebenfalls enorme Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit älterer Menschen. Nach Baltes (1996, S. 40) ist es eine spezielle Fähigkeit der menschlichen Natur, „Realität zu trans- formieren“ und sich allmählich an Veränderungen anzupassen, eine Umgestaltung der Lebensziele vorzunehmen, das Selbstbild dementsprechend zu ändern und somit das Selbstgefühl zu bewahren. Die Fähigkeit zur Kompensation hat auch für die Bildungs- arbeit mit Älteren eine große Bedeutung. Hier steht das Trainieren von Einzelfunktionen im Vordergrund. Auch die Ergebnisse des SIMA- Projektes4 zeigen, dass durch geziel- tes Training psychischer, kognitiver und körperlicher Funktionen Faktoren wie Un- selbstständigkeit im Alter entgegengewirkt werden kann (vgl. Oswald et al. 2007). Das Bewahren der körperlichen Leistungsfähigkeit im höheren Alter trägt zu einer besseren Alltagsbewältigung und -gestaltung bei. Nach Kruse (2007, S. 31) sind Menschen, welche das 70. Lebensjahr bereits überschritten haben, durchaus dazu in der Lage durch Training ihre Muskelkraft um bis zu 100 Prozent zu verbessern. Auch die geistige Lei- tungsfähigkeit lässt sich durch körperliche Fitness günstig beeinflussen. Die Ursache für diesen Zusammenhang ist die Aktivität des Stoffwechsels. Die Anregung dessen, wel- che bereits durch einige Trainingseinheiten ausgelöst werden kann, führt zu einem Schutz des Nervengewebes. Die Steigerung der körperlichen Aktivität kann zu einer spontanen Zunahme der Gedächtnisleistung um bis zu 35 Prozent führen.

Ebenso wichtig für Erkenntnisse der Lernpsychologie Älterer ist die Studie von David Wechsler (1944). Er erarbeitete den so genannten Wechsler-Intelligenztest und die zugehörige Bellevue- Wechsler- Intelligenzskala (BWI), mit Hilfe dessen untersucht werden kann, inwieweit Altersveränderungen und geistige Leistungsfähigkeit miteinan- der zusammenhängen. Der Test setzt sich aus zwei Teilen zusammen: einem verbalen und einem Handlungsteil. Im verbalen Teil geht es um Allgemeinwissen, auf das spon- tan zurückgegriffen werden kann, um das Verständnis von Zusammenhängen, um A- rithmetik, um das Erkennen von Ähnlichkeiten, um Wortschatz und um das Zahlen- nachsprechen. Der Handlungsteil besteht aus dem Nachzeichnen von Zahlensymbolen innerhalb einer bestimmten Zeit, dem Fertigmalen von Bildern oder dem Erkennen von Mängeln in selbigen, der richtige Anordnung von Mustern, dem Ordnen von Bildern zu einer sinnvollen Geschichte und dem Zusammensetzen von Puzzles (vgl. Brauchbar/ Heer 1993, S. 121f) Wechsler fand heraus, dass die intellektuelle Leistungsfähigkeit seinen Höhepunkt im 3. Lebensjahrzehnt hat und danach eine deutliche Abnahme zu erkennen ist. Als altersbeständig erwiesen haben sich allgemeines Wissen, allgemeines Verständnis, Wortschatz, Figurenlegen und Bilderergänzen. Altersabhängig waren Zahlennachsprechen, rechnerisches Denken, Finden von Gemeinsamkeiten, ein Zahlen- symboltest, ein Mosaiktest und Bilderordnen. Fähigkeiten, wie praktische Urteilsfähig- keit, alltägliche Problemlösestrategien, sprachliche Kenntnisse, Aufmerksamkeit, Kon- zentration, Planung und das Unterscheiden zwischen Wichtigem und Unwichtigem, und der Wissensumfang sind also altersunabhängige Faktoren, wohingegen Faktoren, wie Merkfähigkeit, geistige Beweglichkeit und Umstellungsvermögen, abstrakt- logisches Denken, psychomotorische Geschwindigkeit und die Fähigkeit zu Kombinieren ab der Mitte des 3. Lebensjahrzehntes sinken (Lehr 1991, S. 72; Brauchbar/ Heer 1993, S. 122). Doch diese Theorie wird hinsichtlich der Nichtbetrachtung der Interindividualität kritisiert. Faktoren, wie Schulbildung, Ausgangsbegabung, berufliches Training, stimulierende Umgebung, Gesundheitszustand oder die biografische Gesamtsituation wurden bei der Entwicklung dieses Modells nicht berücksichtigt. Es erfolgte lediglich eine Differenzierung der Altersgruppen per se, jedoch nicht der Kohorten, welche gegenüber anderen Geburtsjahrgängen unterschiedliche Lern-, Bildungs- und Lebensbiographien aufweisen. Die Veränderung der einzelnen Bildungs- und Sozialsysteme findet in dieser Studie keine Beachtung (vgl. Lehr 1991, S. 83ff).

3.3 Die Lernfähigkeit im Alter

Die Frage ist, ob und inwieweit die Änderung der Intelligenz Älterer Einfluss auf das tatsächliche Alltagsleben und deren intellektuelle Leistungsfähigkeit hat. Trotz einer Abnahme der Gedächtnisleistung älterer Menschen ist aufgrund der Anpassungs- und Kompensationsfähigkeit nicht davon auszugehen, dass sie weniger gut lernen, als jünge- re. In den Bereichen, wo altersbedingte Leistungseinbußen zu verzeichnen sind, fallen diese so gering aus, dass eine Beeinflussung des Alltagslebens nur unerheblich stark stattfindet. Innerhalb der Intelligenztests ist eine scheinbare Abnahme der Intelligenz nur durch den Test selber bedingt (vgl. Brauchbar/ Heer 1993, S. 123). So kann etwa der Faktor der zeitlichen Begrenzung zu negativen Ergebnissen führen. Anhand einer Reihe von Untersuchungen zeigten sich für das Lernen im Alter folgende Ergebnisse:

(1) Bei der Anwendung von für den älteren Lerner als sinnvoll eingestuften Materials sind die Lernleitungen vergleichbar mit denen Jüngerer. Als sinnvoll gelten beispiels- weise solche Aufgaben, in denen ein Sinnzusammenhang deutlich wird, da das Lernen im Alter Anknüpfungslernen an Sinnzusammenhänge ist, d.h. neues Wissen wird in bereits vorhandene, ganzheitliche Sinnstrukturen eingebettet (vgl. ebd., S. 124; Unkel- bach-Romussi 1997, S. 68).
(2) Meist besitzen Ältere kaum einen Vorrat an Lerntechniken, auf die sie zurückgreifen können. Dies ist größtenteils bedingt durch die Schulbildung. Es kann davon ausgegan- gen werden, dass ein Großteil der Älteren anders und wahrscheinlich auch weniger gelernt hat, als die Schüler heute. Somit sind sie ungeübter in Abläufen und Prozessen, die dem schulischen Lernen entsprechen. Jedoch ist es möglich, diesem Mangel mit Hilfe einfacher Methoden und Lerntechniken wirksam entgegenzutreten (vgl. Brauchbar/ Heer 1993, S. 124; Unkelbach-Romussi 1997, S. 68).
(3) Bei älteren, nicht von Hirnerkrankungen betroffenen Personen nimmt nicht die Lern- und Leistungsfähigkeit5 ab, sondern die Lerngeschwindigkeit. Daher wirkt sich eine zu schnelle Vermittlung des Lernstoffes negativ auf den Lernerfolg aus. Wenn also der Zeitfaktor keine Rolle spielt, sind keine Unterschiede hinsichtlich des Lernprozesses und -erfolges zwischen Jüngeren und Älteren festzustellen. Mit Baltes lässt sich konsta- tieren, dass ältere Menschen zumindest bis in die achte Lebensdekade hinein Aufgaben, in denen Lebenserfahrung und Lebenswissen zum Tragen kommen, durchschnittlich genauso gut, oder gar besser bewältigen, als Jüngere (vgl. ebd.; Baltes 1996, S. 47).
(4) Die Informationsverarbeitungs-, Abruf- und Wahrnehmungsgeschwindigkeit, sowie das Seh- und Hörvermögen nehmen mit fortschreitendem Alter ab. Dies kann sich auf den Lernprozess negativ auswirken. Daher ist bei der Altenbildung darauf zu achten, dass ein Ausgleich der genannten Veränderungen durch gezielte Lernmethoden vorgenommen wird (vgl. Unkelbach-Romussi 1997, S. 68).
(5) Es ist leichter für Ältere, einfachen, unkomplexeren Stoff zu lernen. Eine übersichtliche Gliederung Selbigem stellt daher eine Vereinfachung dar (vgl. ebd.; Brauchbar/ Heer 1993, S. 124).
(6) Bei älteren Menschen stellt sich der Lernprozess als störfanfälliger dar, als dies bei Jüngeren der Fall ist und sollte daher nur gelegentlich unterbrochen werden. Aus diesem Grund sollten Pausen weitestgehend nach abgeschlossenen Lerneinheiten stattfinden (vgl. Unkelbach-Romussi 1997, S. 68).
(7)Lernen im Ganzen wirkt sich begünstigend auf den Lernerfolg der Älteren aus, wohingegen für Jüngere das Lernen in Teilen vorzuziehen ist (vgl. ebd.).
(8) Das Lernen im Alter ist meist interessen-, erfahrungs- und handlungsorientiert geleitet (vgl. ebd.).
(9) Der Übungsgewinn, welcher durch die Wiederholung von Aufgaben erreicht wird, ist bei Älteren und Jüngeren gleich. Jedoch weisen jüngere Lerner meist eine höhere Ausgangsbasis auf, sodass bei Älteren eine größere Zahl an Repetitionen nötig ist, um den gleichen Stand zu erreichen (vgl. ebd.).
(10) Oftmals sind Unsicherheiten seitens der Älteren der Grund für schlechtere Lerner- folge, da diese sich negativ auf die Wiedergabe des bereits Gelernten auswirken, somit lernen Ältere umso besser, je sicherer und angstfreier sie sich in Lernsituationen fühlen (vgl. ebd.).
(11) Die Ausgangsbegabung und der Gesundheitszustand sind bedeutende Einflussfaktoren für den Lernprozess (vgl. ebd.; Brauchbar/ Heer 1993, S. 124).
(12) Die Bereitschaft zum Lernen hat beträchtlichen Einfluss auf den erfolgreichen Lernprozess. Abhängig von der Lernbereitschaft ist die Lernbiografie (vgl. UnkelbachRomussi 1997, S. 69).
(13) Denjenigen, welche während ihres gesamten Lebens immer wieder Neues lernen und trainieren, fällt es auch im Alter leichter, zu lernen. Somit kommt dem Training eine bedeutende Rolle zu. Das Lernen im Alter stellt sich vor allem dann als erschwert dar, wenn dem eine ungünstige Lernbiografie zu Grunde liegt (vgl. ebd.; Brauchbar/ Heer 1993, S. 124).

4 Gesellschaftliche Bilder des Alters

Bevor die folgende Thematik untersucht wird, muss zunächst ein Hinweis auf die Be- grifflichkeiten Altersbild und Altersstereotyp angeführt werden. In der hier verwendeten Literatur wird keine klare Abgrenzung zwischen dem Altersstereotyp und dem Alters- bild vorgenommen, da es sich jeweils um vorgefasste und vereinfachte Meinungen über eine bestimmte Personengruppe handelt. Münstermann (2006, S. 34) bringt zudem zum Ausdruck, dass „in der Fachliteratur ein Mangel an verbindlichen Begrifflichkeiten zu beklagen sei, so dass die Begriffe Stereotyp, Imagotyp, Bild, Vorurteil, Feindbild und weitere Begriffe als Synonyme oder ohne begriffliche Unterscheidung benutzt werden.“ Im Folgenden wird daher keine Differenzierung zwischen dem Altersbild und dem Altersstereotyp vorgenommen.

4.1 Stereotypisierung und Altersbilder

In der Gesellschaft herrschen verschiedene Stereotypen vor. Diese beziehen sich meist auf ethnische oder religiöse Minderheiten oder sind genderbezogen. Doch nicht nur diese Gruppen sind Gegenstand bestimmter, allgemeiner Zuschreibungen, sondern auch mit Senioren werden gewisse Attribute und Verhaltensweisen in Verbindung gebracht (vgl. Fillip/Mayer 1999, S.66). Diese enthalten oftmals negative Konnotationen, sind Generalisierungen, welche den Einzelnen mit seinen individuellen Verhaltensweisen und Wahrnehmungen nicht berücksichtigen (vgl. Münstermann 2006, S. 39f). Altersste- reotypen erwachsen aus der Zuschreibung gewisser Eigenschaften und Verhaltenswei- sen Älterer, welche sich lediglich am chronologischen Alter orientieren. Nicht nur einzelne Eigenschaften oder Verhaltensweisen sind Bestandteil des Altersstereotyps, sondern eine Vielzahl von Eigenschafts- und Verhaltenserwartungen (vgl. Lehr/ Nieder- franke 1991, S.38). Altersstereotype sind Sichtweisen einzelner Gruppen innerhalb einer Gesellschaft, oder einer Gesellschaft selbst. Diese beziehen sich sowohl auf das Alter, als auch auf ältere Personen. Altersbilder haben einen Einfluss auf das Verhalten der Personen innerhalb der Gruppe oder der Gesellschaft, in welcher diese Bilder prä- sent sind.

[...]


1 Laut dem Statistischen Bundesamt ist eine Person im Seniorenalter mindestens 65 Jahre alt (vgl. Statis- tisches Bundesamt 2007). Das 65. Lebensjahr markiert das reguläre Renteneintrittsalter in Deutschland (vgl. 2.1).

2 Diese Zahl bezieht sich auf das Jahr 2007.

3 Die Darstellungen der verschiedenen Begrifflichkeiten enthalten die beiden Termini »Alter« und »Altern«. Es ist anzumerken, dass es sich bei dem Begriff Altern um einen Prozess handelt und das Alter den Zustand beschreibt.

4 SIMA steht für: Bedingungen der Erhaltung und Förderung von Selbstständigkeit im höheren Lebensal- ter

5 Nach Baltes ist bis ins achte Lebensjahrzehnt von einem Aufrechterhalten der geistigen Leistungsfähig- keit auszugehen. Ab etwa dem 80. Lebensjahr jedoch ist ein Abbau zu verzeichnen (vgl. Baltes 1996, S. 42f).

Ende der Leseprobe aus 150 Seiten

Details

Titel
Der ältere Mensch in der Gesellschaft
Untertitel
Herausforderungen und Chancen für die Bildung im Alter
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
150
Katalognummer
V187490
ISBN (eBook)
9783656110637
ISBN (Buch)
9783656110477
Dateigröße
1156 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bildung, Alter
Arbeit zitieren
Juliane Salzmann (Autor:in), 2009, Der ältere Mensch in der Gesellschaft , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187490

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