Auf der untersten Stufe der Hierarchie - Der Diener als 'Staatsdiener'. Aspekte der österreichischen Bürokratie 1848-1914


Seminararbeit, 2001

29 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Der Begriff „Staatsdiener“

3. Das „Dienerschaftspersonal“ im öffentlichen Dienst
3.1 Abgrenzung zu den Beamten
3.2. Anzahl und Funktionen

4. Ideologischer Anspruch an das öffentlich angestellte „Diener- schaftspersonal“
4.1 Pflichten
4.1.1 Der Diensteid
4.1.2 Die Pflichten im einzelnen
4.2 Die Rechte
4.2.1 Recht auf Achtung und Würde
4.2.2 Löhne bzw. Gehälter
4.2.3 Versorgung bei Dienstunfähigkeit und Versorgung der Hinterbliebenen
4.2.4 Kündigungsschutz
4.3 Weitere Charakteristika

5. Die soziale Situation des öffentlich angestellten „Dienerschafts- personals“
5.1 Die Debatte im Abgeordnetenhaus 1886 – 1899
5.2 Diener-Vereine und Diener-Zeitungen

6. Der „Staatsdiener“ auf der Bühne und in der Literatur

7. Frauen und Staatsdienst

8. Zusammenfassung

Quellen und Literatur

Anhang

1. Einleitung

Obwohl die Revolution von 1848 niedergeschlagen wurde und in Österreich eine Zeit des Neoabsolutismus folgte, kam es doch zu verschiedenen Reformen, u. a. in der Verwaltung. Diese Neuordnung der behördlichen Einrichtungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts erforderte nicht nur eine Vergrößerung der Beamtenschaft, sondern auch eine wesentliche Vermehrung der Anzahl jener Personen, die als Angehörige der Gruppe der Dienerschaft im öffentlichen Dienst standen.[1] Zu einem zweiten enormen Anstieg der Zahl der Beamten kam es dann im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, bedingt durch die Entwicklung Österreichs zum modernen Rechts- und Wohlfahrtsstaat.[2] Es ist anzunehmen, dass sich in dieser Zeit auch die Zahl der im öffentlichen Dienst befindlichen Diener nochmals stark vermehrte, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Ausmaß wie die Anzahl der Beamten.

Bei meinen Arbeiten zur Geschichte der österreichischen Krankenpflege war ich auf eine Gruppe von Staatsangestellten gestoßen, die in kein mir bekanntes Schema passte: Frauen, finanziell sowie in ihren Arbeitsbedingungen äußerst schlecht gestellt und mit einem sehr geringen Sozialprestige, die aber auf der anderen Seite definitiv angestellt werden und im Alter einen Ruhegenuss in Form einer Provision erhalten konnten. Auch Conduite-Listen wurden über sie wie über Beamte geführt. Die Rede ist von den Wärterinnen der k. k. Fonds-Krankenanstalten, insbesondere der größten Anstalt der Monarchie, des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Dies war für mich der Anstoß, mich im Rahmen des Seminars über Bürokratie für die Frage zu interessieren, wie der österreichische Staat generell mit seinen kleinsten Dienern – und gegebenenfalls auch „Dienerinnen“ - umgegangen ist.

Zwei Fragestellungen möchte ich in dieser Arbeit behandeln:

1. Wie viel war von der Beamten-Ideologie - den von den Beamten verlangten Tugenden und den ihnen gewährten Privilegien - auch noch auf der Ebene der öffentlich angestellten Diener zu finden?
2. In welchem Verhältnis standen diese Anforderungen zur realen sozialen Situation der Diener?

Ergänzend möchte ich auch noch kurz auf die Stellung der Frau im öffentlichen Dienst eingehen.

In bezug auf die erste Frage sind die zur Verfügung stehenden Quellen sehr zahlreich; allerdings sind die für das von mir gewählte Thema wichtigen Informationen darin sehr verstreut und oft in Anmerkungen und Fußnoten versteckt. Ich habe u. a. verschiedene Gesetze und Verordnungen, Handbücher, Dienstpragmatiken, Unterlagen für den Dienst-Unterricht der Diener und Ähnliches zur Beantwortung dieser Frage herangezogen. Viel schwieriger war es, Quellen oder Literatur in bezug auf die soziale Situation der staatlichen Diener zu finden. Anders als die Beamten haben sie keine Memoiren hinterlassen, und auch in den Erinnerungen der Beamten findet sich sehr wenig über sie. Sie waren wohl für die Beamten nicht wichtig genug; außerdem galt in Beamtenkreisen die Regel, Berufs- und Privatleben streng aus-einander zu halten[3] und auch wenig über das Alltagsleben im Amt zu erzählen. Quellen in Form von Reichsratsprotokollen, Diener-Zeitungen und Ähnliches habe ich erst für die letzten fünfzehn Jahre des 19. Jahrhunderts gefunden. Als Ergänzung möchte ich daher auch noch kurz auf die öffentliche Meinung über den Diener in Staatsdiensten zu sprechen kommen, wie sie sich in Theaterstücken und Romanen widerspiegelt.

2. Der Begriff „Staatsdiener“

In der Einleitung zu seinem Handbuch über den österreichischen Civil-Staatsdienst weist Justin Błoński auf die Schwierigkeit einer Definition des Begriffes „Staatsdiener“ hin und gibt dann eine Definition. Nach ihm ist ein Staatsdiener derjenige, „der zum Staate behufs Verwaltung von öffentlichen Aufgaben in ein besonderes Dienstverhältnis getreten ist.“[4] Damit schließt sich Błoński 1882 noch der traditionellen Auffassung an, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorherrschend war. Danach war „Staatsdiener“ eine Bezeichnung für alle im Staatsdienst stehenden Personen, also ein Oberbegriff, der alle Stufen in der staatlichen Hierarchie umfasste, aber mit besonderer Vorliebe für die Beamten gebraucht wurde. Im sogenannten „Hirtenbrief“ Josephs II. an seine Beamten kommen Worte wie „dem Staate dienen“, „Dienst des Staates“, „Bedienung des Staates, „Diener des Staates“ häufig vor. „Staatsdiener“ war lange ein Ehrentitel.

Noch 1855 wird das Wort uneingeschränkt als Oberbegriff verwendet. In einem Dienstunterricht für Gerichtsdiener, Amtsdiener und Ausübende ähnlicher Funktionen wird definiert: „Diejenigen Personen, welche zur Besorgung öffentlicher Geschäfte verwendet werden, und dafür ihren Gehalt, ihren Lohn aus den Staatscassen erhalten, werden Staatsdiener genannt. Diese Staatsdiener sind eingetheilt in Staatsbeamte und in das Dienerschaftspersonale. Unter die letzteren gehören die Amts- und Kanzleidiener, Gerichtsdiener, Gerichtsvollzieher, auch Gefangenwärter.“ Offensichtlich um seine Schüler zu motivieren, setzt der Autor hinzu: „Die letzteren sind eben so nothwendig, wie die Staatsbeamten, wird ihnen doch die Vollziehung mancher wichtigen Handlung anvertraut.“[5]

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte das Wort „Staatsdiener“ jedoch einen Bedeutungswandel durch. Es verlor langsam seine übergeordnete bzw. metaphorische Bedeutung und wurde jetzt auch – und schließlich ausschließlich – für den im öffentlichen Dienst stehenden Diener im eigentlichen Sinn des Wortes gebraucht. Dabei bestehen längere Zeit beide Bedeutungen nebeneinander und es ist ohne Kontext unentscheidbar, welche gemeint ist. Während Błoński 1882 noch in traditioneller Weise schreibt: „Die Staatsdiener sind entweder Beamte, oder sie gehören zu dem Dienerschaftspersonale“[6], finden sich anderswo die Formulierungen „Staatsbeamte und Diener“[7], „Staatsbeamte und –Diener“[8], „Staatsbeamte und Staatsdiener“[9]. Zwierzina gebraucht im Titel seiner Schrift von 1912 einen neuen Oberbegriff, nämlich „Staatsbedienstete“.[10] Wollte man sicher gehen, dass das Wort „Staatsdiener“ nicht im metaphorischen Sinn verstanden wurde, gebrauchte man Wendungen wie z. B. „min-dere Staatsdiener (Dienerschaft)“.[11] Möglicherweise hat der sozialdemokratische Abgeordnete Hans Resel, als er seiner 1899 erschienen Schrift über die elende soziale Lage der staatlich angestellten Diener den zweideutigen Titel „Der Staat und seine Diener“ gab, diesen Titel ganz bewusst gewählt, um die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit anzudeuten.

So war aus dem Ehrentitel ein staatlich angestellter Diener geworden.[12] Heute wird das Wort „Staatsdiener“ nur mehr scherzhaft gebraucht für jemanden, der im Staatsdienst steht. Der Begriff „Beamter“ scheint hingegen im 18. Jahrhundert in einem umfassenderen Sinn gebraucht worden zu sein als später. Ein Hofkammerdekret vom 24. November 1783 etwa nennt auch die Amtsdiener noch (mindere) Beamte.[13] Manchmal ist in den Quellen auch von „wirklichen“ Beamten die Rede[14], was auf eine gewisse Unsicherheit im Wortgebrauch hinweist, ebenso wie die Tatsache, dass Mayrhofer ausdrücklich betont, es sei nicht richtig, unter dem Ausdruck „Beamte“ auch die in die Kategorie der Dienerschaft gehörigen Angestellten zu verstehen.[15]

3. Das „Dienerschaftspersonal“ im öffentlichen Dienst

3.1 Abgrenzung zu den Beamten

Błoński versucht auch, die Abgrenzung zwischen Beamten und Dienerschaftspersonal prinzipiell zu erfassen. „Als Beamter wird derjenige behandelt, der sich einer Beschäftigung im Staatsdienste widmet, welche einen höheren Grad der Vorbildung fordert, während diejenigen, welche nur zu solchen Leistungen verwendet werden, wozu meistens die physische Kraftanstrengung zureicht, dem Dienerschaftspersonale eingereiht werden.“[16] Błoński setzt aber gleich hinzu, dass diese Definition „in der positiven österreichischen Gesetzgebung“ „weniger zutreffend“ sei.[17] Als Beispiel, das nicht der allgemeinen Regel folge, führt er die Finanzwachmannschaft an, welche zu den Staatsdienern gehöre, die Tätigkeiten verrichten, die „größtenteils die Verwendung geistiger Kräfte erheischen“, und „deren Anstellung manchmal von der Ablegung ziemlich schwieriger Prüfung abhängig gemacht ist“.[18] Als weiteres Beispiel könnte man den Dolmetsch bei der Eisenbahn nennen, der ebenfalls zum Dienerschaftspersonale gerechnet wurde.[19] Unterscheidungskriterium für den Beamten war im positiven österreichischen Recht ausschließlich die Einreihung in eine der elf Rangklassen. Nur wer einer solchen angehörte, war als Beamter zu betrachten. „Das übrige im österreichischen Staatsdienst mit Decret definitiv oder provisorisch angestellte Personale wird mindere Dienerschaft, auch Angestellte oder Bestellte genannt.“[20]

In einigen Bereichen findet sich ca. seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine zusätzliche Unterteilung des „Dienerschaftspersonales“ in „Unterbeamte“ und „Diener“. Diese Unterbeamten sind nicht mit „subalternen“ bzw. „minderen“ oder „unteren“ Beamten zu verwechseln. Sie stehen zwar im Rang höher als die „Diener“, gehören aber immer noch zum Dienerschaftspersonal.[21] Unterbeamte gab es z. B. bei der Eisenbahn; so gehörten etwa 1910 die Lokomotivführer in diese Kategorie, ebenso wie der bereits erwähnte Dolmetsch bei der Bahn. Der Stellvertreter des Lokomotivführers zählte jedoch noch zu den Dienern.[22] Bei der Post finden sich ebenfalls Unterbeamte.[23] Aber auch im Wiener städtischen Lagerhaus gehörten etwa Haus-, Bahn- oder Magazinaufseher und Waagmeister zu den Unterbeamten, während Portier, Bureaudiener und Hausmeister Diener waren.[24] Unterbeamte existierten auch bei Gerichten, wie ein in tschechischer Sprache erhaltenes katechismusartiges Lehrbuch zur Prüfungsvorbereitung der Gerichts-Unterbeamten beweist[25], und bei den Wiener städtischen Straßenbahnen.[26] Meist handelte es sich dabei um Funktionen, die in das Schema Beamter/Diener nicht gut hineinpassten.

3.2 Anzahl und Funktionen

Nach den Unterlagen, die den Abgeordneten des Reichsrats in den 1890er Jahren im Laufe der Debatten um die Gesetzgebung in bezug auf die öffentlich angestellten Diener von der Regierung übergeben worden waren, gab es zu dieser Zeit „in Österreich“ (vermutlich ist damit Cisleithanien gemeint) 22.928 definitiv angestellte Staatsdiener, die „in ca. 60 Arten“ zerfielen.[27] Die nicht definitiv angestellten Staatsdiener wurden auf 8.000 bis 12.000 geschätzt[28], so dass sich für diese Zeit eine Anzahl von ca. 31.000 – 35.000 Personen ergäbe. Sie trugen die unterschiedlichsten Bezeichnungen und verrichteten die unterschiedlichsten Tätigkeiten. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Amts-, Kanzlei- oder Schuldiener, Gerichtsdiener und Gefangenenaufseher, Hausknechte, Portiere, Briefträger, Lokomotivführer, Aufseher, Förster, Hafenlotsen, Leuchtturmwächter und Lazarettreinigungsdiener und noch viele andere gehörten in die Kategorie des „Dienerschaftspersonals“ im öffentlichen Dienst. Beschäftigt waren sie in den verschiedensten Ämtern, bei Post oder Eisenbahn, in den k. k. Tabakfabriken, in Gefängnissen, in Forstverwaltungen, in öffentlichen Krankenhäusern usw. Teilweise mussten sie sehr niedrige Dienste verrichten (die Amtsdiener und ihre Gehilfen mussten u. a. täglich das ganze Gebäude reinigen), teilweise trugen sie jedoch auch viel Verantwortung und mussten Dienstprüfungen ablegen.

Diese Fülle von Funktionen trug dazu bei, dass die gesetzlichen Vorschriften über das Dienstverhältnis öffentlich angestellter Diener unüberschaubar wurden. Dies galt jedoch nicht nur für die Diener, sondern in ähnlicher Weise auch für die Staatsbeamten. Zwei Zitate sollen dies illustrieren:

„Die Verhältnisse des Staatsdienstes in Österreich sind durch zahlreiche, theilweise aus dem vorigen Jahrhundert herrührende Gesetze und Verordnungen der Centralstellen geregelt, welche Normen, da bei der Hinausgabe späterer dießbezüglicher Bestimmungen auf die älteren Anordnungen nicht immer die gehörige Rücksicht genommen wurde, oft mit einander nicht im Einklange stehen. Dies und noch mehr der Umstand, dass namentlich in den letzten Decennien Verfügungen getroffen worden sind, welche nur auf einzelne Dienstzweige Anwendung haben, erschwert das Studium der das Dienstverhältniß der Beamten und Diener behandelnden Normen.“ Diese Worte schrieb Hankiewiecz im Jahr 1888.[29] Hinzuzufügen wäre, dass es auch viele Vorschriften gab, die nur für bestimmte Kronländer oder Provinzen galten.

Justin Błoński stellt seinem Handbuch über den österreichischen Zivilstaatsdienst ein Vorwort voraus, in dem sich die Worte finden: „Die Schwierigkeit einer solchen Arbeit ist mir erst recht klar geworden, als ich, in Ausführung derselben, die vielen auf dem gedachten Gebiete erschienenen Vorschriften, welche reich an Details, aber arm an bestimmten leitenden Grund-sätzen sind, vollends übersah.“[30]

In diesen beiden Zitaten sind die wesentlichen Schwierigkeiten bei der Befassung mit diesem Thema enthalten: Eine Unmenge verschiedener Bestimmungen, die zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden sind und teilweise Widersprüche enthalten, Sonderregelungen für einzelne Dienstzweige, und vor allem eine Fülle von Details, aber wenig Grundsätzliches.

4. Ideologischer Anspruch an das öffentlich angestellte „Dienerschaftsper- sonal“

Als „Staatsdiener“ standen auch die Diener unter einem ideologischen Anspruch, der sich aus ihrer Tätigkeit für den Staat ergab. Meine These hiezu ist, dass trotz großer Unterschiede zwischen Beamten und Dienern, was Gehalt, Aufgaben und hierarchische Stellung betrifft, doch die herausgehobene Position als „Staatsdiener“ mit bestimmten Pflichten und Rechten bei beiden Gruppen im wesentlichen identisch war.

4.1 Pflichten

4.1.1 Der Diensteid

Ebenso wie die Beamten mussten auch die Diener einen Diensteid ablegen. Unmittelbar nach den Reformen in den 1850er Jahren dürfte dies noch nicht durchgehend in Gebrauch gewesen sein, da es im Dienst-Unterricht für Gerichtsdiener etc. von 1855 heißt, von den meisten Dienern würde der Diensteid nicht verlangt.[31] Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war er jedoch allgemein üblich: „Es darf kein Staatsbeamter oder Diener sein Amt ausüben, ohne den vorgeschriebenen Diensteid abzulegen“, schreibt Błoński.[32] Beim Übertritt in eine andere, von der bis dahin ausgeübten wesentlich verschiedene Tätigkeit war der Eid ebenfalls zu leisten. Auch bloß provisorisch angestellte Diener mussten den Diensteid ablegen.[33]

Wenn man die verschiedenen, in Handbüchern etc. angeführten Eidesformeln für Beamte und Diener vergleicht, so sieht man, dass sie sich kaum voneinander unterscheiden.[34] Im Anhang dieser Arbeit findet sich die Abschrift der unterschriebenen Eidesformel eines Dieners III. Klasse im Wiener Allgemeinen Krankenhaus, die aus der Zeit zwischen 1904 und 1916 stammt. Sie füllt eine ganze Seite.[35]

4.1.2 Die Pflichten im einzelnen

Der Autor des Dienst-Unterrichts für Gerichtsdiener etc. von 1855 hebt ausdrücklich den Zusammenhang zwischen Rechten und Pflichten des Staatsdieners hervor. Der Staat gewähre jetzt auch dem mindesten Staatsdiener Sicherheit und Versorgung. „Für das Alles hat die Staatsverwaltung das Recht, zu fordern, daß der Angestellte seine Pflichten getreu erfüllt ...“ Die Staatsverwaltung fordere jetzt auch weit mehr von ihren Dienern, als dies früher bei den Herrschaften und Gemeinden der Fall war.[36]

Im folgenden möchte ich einige der in den verschiedenen Quellen angeführten Pflichten des staatlichen „Dienerschaftspersonals“ nennen, wobei ich mich besonders auf die erwähnte Eidesformel aus der Zeit zwischen 1904 und 1916 für den Diener am Wiener Allgemeinen Krankenhaus beziehe. Wo die Angaben anderen Quellen entstammen, ist dies gesondert angeführt. Ich bin mir der Problematik bewusst, hier Quellen aus verschiedenen Zeiträumen nebeneinander zu stellen, glaube aber doch, dass in der „Staatsdiener-Ideologie“ ziemlich langfristige Trends zu finden sind.

Besonderer Nachdruck liegt in der erwähnten Eidesformel auf dem Wort „Treue“. Es kommt darin (mit Abwandlungen) nicht weniger als fünfmal vor. Diese Treue bezieht sich einerseits auf das Kaiserhaus und die Verfassung (Staatsgrundgesetze), andererseits generell auf die Ausübung der Pflichten. Auch der verlangte Gehorsam ist ein doppelter: er wird sowohl dem Kaiser und seinen Erben gegenüber verlangt als auch den unmittelbaren Vorgesetzten gegenüber. In einer älteren Quelle (von 1855) wird spezifiziert, was Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten bedeutet: Der Diener solle „dasjenige, so ihm aufgetragen wird, genau vollziehen, wenn er auch der Meinung ist, es sei nicht in der Ordnung. Nur der Vorgesetzte oder sein Stellvertreter hat hierüber zu urtheilen...“[37] Was hier generell gefordert wird, wird aber doch gelegentlich im speziellen auch wieder etwas eingeschränkt. So heißt es in der gleichen Schrift von 1855 im Kapitel „Unterricht für die bei den Gemeinde-Vorstehungen angestellten Amts- und Kanzleidiener“, der Diener habe alles, was ihm befohlen wurde, zu vollziehen, auch wenn er der Meinung sei, „daß so etwas nicht in der Ordnung wäre. Findet er aber ein gegründetes Bedenken, so kann er dies dem Vorgesetzten anzeigen.“[38] Allerdings ist die Frage zu stellen, ob Diener in der Praxis von diesem Recht öfters Gebrauch gemacht haben.

Eine weitere von den Dienern verlangte Haltung ist Eifer und Fleiß sowie pünktliche und gewissenhafte Erfüllung der Aufgaben. Der Diener habe seine Geschäfte nach bestem Wissen und Gewissen eifrigst zu verrichten, heißt es in der Eidesformel. Auch hierbei hat der Staatsdiener die nicht im Staatsdienst stehenden Beschäftigten möglichst zu übertreffen: „Man fordert von demjenigen, der ein Geschäft übernimmt, daß er seinen möglichsten Fleiß anwende. Um so mehr kann und muß dies von dem in öffentlichen Diensten Stehenden begehrt werden.[39] In einer Dienstpragmatik für die Gemeindebeamten und Diener der Stadt Wien wird dies mit den Worten ausgedrückt: „mit voller Kraft und unausgesetztem Fleiße“.[40]

[...]


[1] Ohne Autor, 1855a, S.1

[2] Bruno Schimetschek, 1984, S.213, gibt für die österreichische Reichshälfte folgende Zahlen an: Im Jahre 1870 rund 80.000 im Staatsdienst stehende Beamte, 1880 ca. 100.000 und 1910 bereits rund 400.000. R. Zwierzina, 1912, nennt auf S.52 für 1896 jedoch eine „Gesamtzahl der Beamten“ von 36.587, davon 28.390 in den drei untersten Rangsklassen; hier ist nicht eindeutig, auf welches Gebiet sich diese Zahlen beziehen. In Anbetracht dieser enormen Differenz und der Frage, wer unter diese Zahlen subsumiert wurde (ob auch Landes- und Gemeindebeamte, nur aktive Beamte oder auch im Ruhestand befindliche, nur fix angestellte Beamte, nur Planstellen usw.), lässt sich diese Frage ohne größere Nachforschungen nicht lösen.

[3] P. Vošahlíková, 1994, S.471

[4] J. Błoński, 1882, S.1

[5] Ohne Autor, 1855a, S.1

[6] J. Błoński, 1882, S.4

[7] z. B. H. Hankiewicz, 1888, oder E. Mayrhofer, 1895-1902

[8] A. Pachner-Eggenstorf, 1910

[9] H. Scherer, 1913

[10] R. Zwierzina, 1912

[11] Ohne Autor, 1884a, S.4

[12] Eine ähnliche Entwicklung des Wortes „Staatsdiener“ in Deutschland beschreibt H. Hattenhauer, 1980, S. 134 und 282

[13] „die minderen Beamten, als Aufseher, Amtsdiener, u. dgl.“, zitiert nach H. Hankiewicz, 1886, S.43

[14] z. B. in einer Allerhöchsten Entschließung vom 6. Februar 1795 – nach H. Hankiewicz, 1886, S.44. Überhaupt findet sich das Wort „wirklich“ auffallend häufig in der österreichischen Gesetzgebung über Beamte und Diener, was auf komplizierte Konstruktionen hinweist – so wenn zwischen „in die Kategorie der wirklichen Staatsdiener gehörigen Dienerschaftspersonen“ und solchen im Vertragsverhältnis unterschieden wird – s. A. Pachner-Eggenstorf, 1910, S.535.

[15] E. Mayrhofer, 1895-1901, Bd.2, S.996

[16] J. Błoński , 1882, S.4

[17] A.a.O. Die Argumentation mit der „bloß physischen Kraft“ der Diener wurde jedoch öfter benützt – vgl. z. B. G. Schmid, 1864, S.5

[18] J. Błoński, 1882, S.4

[19] A. Pachner-Eggenstorf, 1910, S.362

[20] J. Błoński, 1882, S.4

[21] vgl. z. B. H. Scherer, 1913, S.2

[22] A. Pachner-Eggenstorf, 1910, S.355 und 348

[23] Bei der Post kam 1899 und dann wieder 1908 eine neue Einteilung und Nomenklatur in Geltung, die jeweils Unterbeamte umfasste (Gesetz vom 25. Sept. 1908, RGBl. 204, und A. Pachner-Eggenstorf, 1910, S. 842)

[24] Ohne Autor, o.J.

[25] Th. Řibřid, 1909

[26] Ohne Autor, 1906

[27] H. Resel, 1899, S.5. Bezüglich der Zahlen des Personals der Dienerschaft gelten die gleichen Fragen, wie sie schon bei der Zahl der Beamten erwähnt wurden. Es ist mir deshalb auch nicht möglich, die Zahl der Diener zur Zahl der Beamten in Relation zu setzen.

[28] a.a.O., S.7

[29] H. Hankiewicz, 1888, S.III

[30] J. Błoński, 1882, Vorwort

[31] Ohne Autor, 1855a, S.33

[32] J. Błoński, 1882, S.89

[33] A. Pachner-Eggenstorf, 1910, S.867

[34] vgl. z. B. Ohne Autor, 1914, S.43-46

[35] Wiener Stadt- und Landesarchiv, MA 209, Allgem. Krankenhaus, Direktionsakten 1904 – 1932, Serie A2, Karton 1. Diese Eidesformel entspricht im wesentlichen der mit Allerh. Handschr. vom 12. September 1851 bestimmten Formel, ist aber um einige Passagen erweitert, insbesondere um den Satz über die ausländische Gesellschaft und um jene Stellen, die Unparteilichkeit, Nicht-Annahme von Geschenken und das ehrenhafte Benehmen betreffen – vgl. M. v. Stubenrauch, 1856, 1.Bd., S.166

[36] Ohne Autor, 1855a, S.2

[37] A.a.O., S.17

[38] A.a.O., S.130

[39] A.a.O., S. 17

[40] Ohne Autor, 1886, S.22

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Auf der untersten Stufe der Hierarchie - Der Diener als 'Staatsdiener'. Aspekte der österreichischen Bürokratie 1848-1914
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Seminar: Beamte, Bürokratie und Sprache
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
29
Katalognummer
V18732
ISBN (eBook)
9783638230049
ISBN (Buch)
9783638682169
Dateigröße
647 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand. Entspricht bei normaler Formatierung etwa 40 Seiten.
Schlagworte
Stufe, Hierarchie, Diener, Staatsdiener, Aspekte, Bürokratie, Seminar, Beamte, Bürokratie, Sprache
Arbeit zitieren
Ilsemarie Walter (Autor:in), 2001, Auf der untersten Stufe der Hierarchie - Der Diener als 'Staatsdiener'. Aspekte der österreichischen Bürokratie 1848-1914, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18732

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