Die "Auflockerungsrechtsprechung" des BGH zur Schriftformerfordernis bei langfristigen Mietverträgen


Essay, 2012

13 Seiten


Leseprobe


1. Problemstellung

Nach § 550 BGB bedarf eine Mietvertrag über ein Grundstück, der über längere Zeit als ein Jahr geschlossen wird, der schriftlichen Form. Aufgrund seiner systematischen Stellung betrifft der § 550 BGB eigentlich nur für

Wohnraummietverträge; allerdings gilt er kraft der Verweisung des § 578 BGB sowohl für Mietverhältnisse über Grundstücke als auch sonstige Räume, also insbesondere für die Geschäftsraummiete[1]. Wird die Schriftform nicht eingehalten, gilt gemäß § 550 s.1 BGB der Vertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Damit kann der Vertrag von beiden Mietvertragsparteien ungeachtet der vertraglich vereinbarten Mietzeit mit den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 580a BGB ordentlich gekündigt werden.

Diese Vorschrift hat deshalb eine herausragende Bedeutung insbesondere für den Bereich der gewerblichen Miete, da sich insbesondere Mieter, die sich (z.B. wegen der Höhe des Mietzinses) vorzeitig aus einem langfristigen Mietverhältnis lösen wollten, einfach auf die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform berufen und das Mietverhältnis vor Ablauf der vertragliche vereinbarten Mietzeit gekündigt haben[2]. Der sich auf den Formmangel berufenen Mietvertragspartei konnte dabei in der Regel weder Treuwidrigkeit noch Arglist nach § 242 BGB entgegengehalten werden[3]. Diese Frage ist deshalb von besonderer Aktualität, da Sinn und Zweck der §§ 550, 126 BGH ist, den auf Vermieterseite in den Vertrag eintretenden Erwerber einer Immobilie vor unübersehbaren Risiken zu bewahren. In Zeiten, in denen aus- und inländische Investoren vermehrt größere Immobilienportfolien erwerben, stehen die Formvorschriften häufig im Fokus einer rechtlichen „Due Dilligence“ Prüfung. Insbesondere beim Erwerb langfristig vermieteter gewerblicher Immobilien, bemisst sich der Kaufpreis regelmäßig nach einem Vielfachen der Jahresmiete. Und für den Käufer / Investor ist natürlich entscheidend, welcher Ertrag mit der Immobilie erzielt werden kann und wie dauerhaft er ist.

Was unter der „schriftlichen Form“ des § 550 BGB zu verstehen ist, ergibt sich aus § 126 BGB. Nach § 126 Abs.1, Abs.2 S.1 BGB muss der Mietvertrag grundsätzlich von beiden Parteien auf derselben Urkunde eigenhändig unterschrieben werden. Zu beachten ist hierbei der Grundsatz der Einheitlichkeit der Vertragsurkunde[4], der besagt, dass die unterzeichnete Urkunde selbst die wesentlichen der Schriftform unterliegenden Abreden wie Vertragsparteien, Mietgegenstand, Mietpreis und Dauer enthalten muss[5]. Besteht die Urkunde aus mehreren Blättern, muss deren Zusammengehörigkeit durch körperliche Verbindung oder sonst geeigneter Weise erkenntlich gemacht werden[6].

Aufgrund der Strenge der Anforderungen und der Bedeutung des Schriftformerfordernisses insbesondere für den Bereich des Gewerbemietrechts, da hier in aller Regel befristete Mietverträge abgeschlossen werden (sollen), hat sich eine umfangreiche Judikatur herausgebildet, die sich mit der Einhaltung der Schriftform bei Ursprungsverträgen und Nachträgen (z.B. Änderungen und Ergänzungen) befasste. Es war dabei lange Zeit umstritten, welche genauen Anforderungen an die Schriftform beim Abschluss des Ursprungsmietvertrages zu stellen sind und ob zur Wahrung der Schriftform auch eine körperliche Verbindung der einzelnen Blätter erforderlich ist und wie bei Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen formgültig eine Bezugnahme auf den Ursprungsvertrag herzustellen ist. Der BGH hat hierzu in umfangreicher Rechtsprechung ausführlich Stellung genommen, wobei ausgehend von seiner Rechtsprechung der Sechzigerjahre im Laufe der Zeit ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat. Der BGH hat seine ursprünglich sehr strenge Auffassung[7] zu den Erfordernissen der Einheitlichkeit der Urkunde später fallengelassen[8] und im Laufe der Zeit noch weiter gelockert. Diese Entwicklung der Rechtsprechung des BGH wird gemeinhin als „Auflockerungsrechtsprechung“ bezeichnet[9]. Diese Rechtsentwicklung wird im Folgenden genauer skizziert.

2. Rechtsprechung

Bereits im Jahre 1928 hatte das Reichsgericht einen Fall zu entscheiden, bei dem es um Pachtvertrag ging, der aus zwei losen Blättern bestand. Das Gericht stellte hier fest, dass auch eine solche Urkunde den Formerfordernissen entspreche, wenn auf jedem Blatt auf das andere verwiesen werde, dadurch Zweifel über deren Zusammengehörigkeit nicht entstehen könnten und die beiderseitigen Unterschriften den Gesamtgehalt des Vertrages deckten[10].

In seiner grundlegenden Entscheidung aus dem 1963 hatte der BGH ganz neue, deutlich strengere Maßstäbe angesetzt[11]. Der BGH hatte über einen Mietvertrag zu entscheiden, in dem in der eigentlichen Urkunde auf weitere von den Vertragsparteien nicht unterzeichnete Urkunden Bezug genommen wurde. Der BGH befand hier, dass die Einheit der Urkunde nicht bloß durch eine gedankliche Verbindung, die in der Bezugnahme auf die Haupturkunde liege, hergestellt werden könne, sondern auch äußerlich durch Beifügung der in Bezug genommenen Urkunde zur Haupturkunde in Erscheinung treten müsse. Dies könne jedoch nur dann der Fall sein, wenn die in der Haupturkunde in Bezug genommenen Urkunden mit diesen derart verbunden seien, dass die Auflösung nur durch zumindest teilweise Substanzzerstörung möglich oder die Verbindung doch derart sei, dass sie die als dauernd gewollte Zusammengehörigkeit äußerlich erkennbar mache und ihr Lösung Gewalt erfordere[12]. Als Beispiel für die genannte Substanzzerstörung nannte der BGH die Trennung von Blättern, welche durch einen faden oder durch Anleimen verbunden sind. Gewaltanwendung bei der Trennung von Blättern wollte der BGH bei durch Heftmaschine gehefteten Blättern erkennen. Ob geringere Anforderungen an die Erfüllung der Schriftform für die Bezugnahme auf andere Urkunden zu stellen seien, insbesondere bei der Vertragsverlängerung oder sonst besondere Fälle eine Ausnahme zulassen, ließ der BGH ausdrücklich offen, da ein solcher Fall eben nicht vorliege[13].

Diese offen gelassene Frage hatte der GH kurz darauf im Jahr 1964 zu entscheiden[14]. Er hatte über eine Pachtvertragsverlängerung zu entscheiden, die auf frühere Verträge zwischen den Parteien Bezug nahm, ohne dass diese früheren Verträge der neuen Vereinbarung angefügt waren. Der BGH befand hier, dass von dem Verbot der Bezugnahme auf andere, nicht körperlich verbundene Urkunden eine Ausnahmegeboten sei, und zwar dann, wenn die in Bezug genommenen Urkunden von denselben Parteien unterzeichnet seine wie die Verlängerungsvereinbarung als solche. Dies solle jedenfalls dann gelten, wenn die neue Urkunde, die ihrerseits formgerecht sei, die zeitliche Verlängerung eines früheren gleichartigen Vertragsverhältnisses regele und die für das Zustandekommen eines derartigen Vertragsverhältnisses wesentliche Geschäftsbestandteile selbst enthalte. In diesem Fall könne zur Vereinbarung weiterer Einzelpunkte auch ohne körperliche Verbindung auf Urkunden Bezug genommen werden[15]. Die Aufgabe seiner ursprünglich strengeren Anforderungen an die Formbedürftigkeit begründete der BGH mit praktischen Erwägungen, denn Sinn und Zweck des § 571 a.F. BGB sei, dass einem potentiellem Grundstückserwerber die wesentlichen Geschäftsbestandteile aus der neuen Urkunde ersichtlich sein müssten[16].

Vo dieser starren Auffassung, dass auch eine Verlängerungsvereinbarung sämtliche Vertragsbestandteile zu enthalten habe, wich der BGH in der Folgzeit weiter ab. Im Jahre 1968 hatte der BGH über eine Pachtverlängerungsvereinbarung zu entscheiden, die selbst keine Angaben über den Pachtzins enthielt[17]. Der BGH vertrat hier die Auffassung, dass die Zusammenfassung der Urkunden dem Willen der Beteiligten entsprechen müsse und die so geschaffene einheitliche Urkunde im Augenblick der Erfüllung der Schriftform hergestellt sein müsse. Das Schriftformerfordernis sei jedenfalls dann nicht eingehalten, wenn lediglich eine Partei nachträglich und einseitig ohne Wissen der anderen Vertragspartei die Verbindung der Urkunden miteinander, sei es durch Heftklammer oder Klebestreifen, vornehmen. Der Grundsatz, dass der als unteilbare Einheit aufgefasste Inhalt der Vertrages formgültig nur abgeändert werden könne, wenn er insgesamt von der Schriftform umfasst werde, treffe dann nicht in vollem Umfang zu, wenn die Änderung nur in einer den sonstigen Inhalt des Vertrages nicht berührenden Verlängerung bestehe[18].

[...]


[1] Allg.Ansicht, vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht-Komm. § 55 Rdn.6.

[2] Vgl. Lindner-Figura, NJW 1998, 731.

[3] BGH NJW 2004, 1103, BGH NJW 2006, 140; BGH NJW 2007, 3202.

[4] BGHZ 136, 357.

[5] BGH NJW 2002, 3389; BGH NJW 2006, 140; BGH NJW 2007, 288.

[6] Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB-Komm, 67.Aufl., § 126 Rdn.4 mwN.

[7] BGH Urteil vom 13.11.1963 = BGHZ 40, 255 ff. = NJW 1964, 395

[8] BGH Urteil vom 24.09.1997= NJW 1998, 58.

[9] Lindner-Figura, aaO.; Schlemminger, NJW 1992, 2249, 2250, jew. mwN.

[10] RG JW 1924, 769.

[11] BGHZ 40, 255 - 265.

[12] BGHZ 40, 255, 263.

[13] BGHZ 40, 255, 264.

[14] BGH NJW 1964, 1851 - 1853

[15] BGH NJW 1964, 1851, 1852.

[16] BGH NJW 1964, 1851, 1853.

[17] BGH NJW 1968, 1229 - 1230.

[18] BGH NJW 1968, 1229, 1230.

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Details

Titel
Die "Auflockerungsrechtsprechung" des BGH zur Schriftformerfordernis bei langfristigen Mietverträgen
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V186852
ISBN (eBook)
9783656099420
ISBN (Buch)
9783656099598
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
auflockerungsrechtsprechung, schriftformerfordernis, mietverträgen
Arbeit zitieren
Nils Block (Autor:in), 2012, Die "Auflockerungsrechtsprechung" des BGH zur Schriftformerfordernis bei langfristigen Mietverträgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186852

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