Die Geschichte einer gescheiterte Existenz? Aminghaus` erotischer Traum in Botho Strauß: Kongreß. Die Kette der Demütigungen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Textuelle Befangenheit oder Traum?

3. Erotik im Dienste des Erzählens
3.1 Die Frau als „Zwischen-Sphären-Geschöpf“
3.1.1 Die ,Nicht-Leserin‛
3.1.2 Die ,Raucherin‛
3.1.3 Ria
3.1.5 Hermetia, ein weiblicher Hermes
3.2 'Die Kette der Demütigungen'
3.2.1 Was ist die Kette der Demütigungen?
3.2.1.1 Die 'Kette der Demütigungen' eine Lebensphilosophie
3.2.1.2 Die 'Kette der Demütigungen' ein Erzählprogramm
3.2.2. Struktur des Novellenkranzes
3.2.3 Der Novellenkranz als Indiz für eine geschädigte Psyche Aminghaus`?

4. Zusammenfassung

5. Anhang

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Friedrich Aminghaus, Protagonist in Botho Strauß` Roman Kongreß. Die Kette der Demütigungen[1], verliebt sich in eine geheimnisvolle Stimme, die plötzlich zwischen den Zeilen seines Buches hervortritt und ihm später als Buchfee Hermetia erscheint.

Ein Text für Kinder, ein Märchen gar? [...] Über Drogenmißbrauch ist aus [Aminghaus´] Unterlagen nichts bekannt, obgleich die Begegnung mit charmanten Plagegeistern und Elfen derartigen Verdacht nahelegen würde. Säufer unterhalten sich auch gerne mit weißen Mäusen.[2]

So spöttelt der Rezensent Ulrich Weinzierl in der FAZ[3]. Den erotischen Novellenkranz, der den Kern des zweiten Romanteils bildet, (ver-)urteilt Weinzierl, sei nichts anderes als „Etüden aus der Vorschule der Läufigkeit“ nach dem „Modell [eines] gewissen Donatien-Alphonse Francois de Sade“[4]. In der Zeit dagegen vergleicht Andreas Kilb abwägend den Kongreß mit französischen Klassikern des Obszönen, wie Bataille oder Klossowski und stellt als Unterschied fest, „wieviel sanfter, aber auch genauer Strauß das Tableau der Aus-schweifungen malt. Seine Erotismen sind von metallischer Klarheit; kühl und heiß zu-gleich ...“[5]

Diese beiden Positionen aus der Strauß Rezension zum Kongreß spiegeln exemplarisch das grelle Pro und Contra der Kritikerurteile wider und zeigen, wieviel Zündstoff dieser sexu-ell sehr freizügige Text bietet. Aber wird uns denn tatsächlich nur vorgeführt, wie der Pro-tagonist Aminghaus Gefangener seiner eigenen Phantasie wird ?

Ziel vorliegender Arbeit ist es, zu untersuchen, ob sich in den erotischen Phantasien, die hier vorgeführt werden, einfach nur die Geschichte eines am Leben scheiternden Menschen zeigt, oder, ob der Text andere Interpretationsmöglichkeiten bietet. Dazu wird zunächst in einem kurzen Kapitel der Aspekt, den Weinzierl wohl als den ‚märchenhaft phan-tastischen‘ bezeichnen würde, betrachtet. Es geht um den außergewöhnlichen Wahrneh-mungszustand, in dem sich der Protagonist befindet. Darauf werden zum einen die Frau-engestalten untersucht, zum anderen der erotische Erzählreigen, die ‚Kette der Demüti-gungen‘, analysiert.

2. Textuelle Befangenheit oder Traum?

Ein Dialog zwischen Hermetia, der Buchfee, und Aminghaus steht zu Beginn des Buches. Strauß führt uns in medias res: es geht um die Konfrontation mit dem Phantastischen, der natürliche Wahrnehmungshorizont beginnt zu schwinden und wird um die Welt der Fiktion erweitert. Wie ist das möglich?

Jadwiga Gawlowska[6] vertritt die These, daß im Kongreß „die textuelle Befangenheit in ihrer äußersten Form [...] thematisiert“[7] werde; das hieße, daß uns Strauß hier das Bild eines psychisch gestörten Menschen zeichnete, der unter Halluzinationen leidet.

Dabei gibt es doch eine ganz einfach Erklärung: Der Leser Friedrich Aminghaus schläft ein:

Er war tatsächlich sehr müde und kämpfte mit dichtem Auge gegen die Gewalt des Verlesens an. Die Zeilen wurden dunkler und vager, so daß er den deutenden Finger zur Stütze nahm. Doch die Sprünge, die Schründe des goldenen Mißverstehens taten sich unter ihm auf, und er sah die Irrlettern tanzen [...] und hörte wieder die winzige Stimme [...] (8)

Aminghaus ist vom Lesen erschöpft, kann sich schließlich nicht mehr auf die einzelnen Buchstaben konzentrieren und beginnt zu träumen. Die Übermüdung erklärt, daß er die Stimme Hermatias schon vor seinem Einschlafen vernimmt: Er befindet sich in einer Über-gangsphase zum Traum, in der Realität und Fiktion bereits nicht mehr klar zu trennen sind.

Diese Interpretation läßt eine plausible Erklärung zu, warum Friedrich zwischen verschie-denen Wahrnehmungsebenen pendelt: Im Traum werden „ungelöste gedankliche Proble-me, affektiv überbetonte Komplexe, nicht zu Ende geführte Überlegungen und übermäßig starke Eindrücke“[8] aus dem Alltag verarbeitet. Einzelne Szenen im Kongreß sind also der realen Erfahrung Aminghaus`, den „übermäßig starken Eindrücken“, zuzuordnen, so z.B. Erinnerungen an die spielenden Kinder im Hof aus Friedrichs Kindheit (vgl. S. 42 – 44), oder die Erinnerung an eine alten Schulhofliebe (vgl. S. 36 – 38), die Figur ‚Ria‘ , mit der Friedrich einmal liiert war (vgl. S. 29; S. 49f ) und wahrscheinlich auch die Teilnahme an einem Kongreß. Diese realen Erfahrungen werden nun reflektiert und mit einer fiktionalen Traumebene vermischt, zu der vor allem die erotischen Phantasien[9] gehören.

Das Lesen an sich ist also nicht der Grund dafür, daß Friedrich in eine Phantasiewelt gerät, sondern schlichtes Einschlafen. Allerdings bietet das Lesen eine gute Voraussetzung für den Traum. Liest Aminghaus z.B. in einem wissenschaftlichen Buch bevor er einschläft, können seine Gedanken noch in „ungelöste[n] gedankliche[n] Probleme[n]“[10] stecken, die ihn dann im Traum beschäftigen; liest Friedrich in einem belletristischen Buch, befindet er sich schon vor seinem Traum in einer fiktionalen Welt.

3. Erotik im Dienste des Erzählens

Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargestellt, träumt Aminghaus und befindet sich so in einem surrealistischen Wahrnehmungszustand. Die Erotik, bzw. die sexuelle Libido erweist sich bald als beherrschende Variable in Friedrichs Traum. Hermetia, die „Buchfee“ (8), ist die Personifikation der Erotik.

Lebt der erste Teil des Buches im Wesentlichen von Friedrichs Suche nach Hermetia, sitzt er im zweiten Teil seiner Angebeteten gegenüber und wartet auf die Erlaubnis, sich dieser körperlich nähern zu dürfen. Der Erzählreigen, die „Kette der Demütigungen“ (83), die Aneinanderreihung sexueller Phantasien beginnt. Ist die Erotik zunächst nur die treibende Kraft, die Friedrich immer tiefer in seinen Traum versinken läßt, ist sie schließlich selbst Thema und steht somit ganz im Dienste des Erzählens.

Im folgenden sollen nun zunächst die Frauengestalten im Kongreß dargestellt und unter-sucht werden. Danach geht es um die Analyse der ‚Kette der Demütigungen‘.

3.1 Die Frau als „Zwischen-Sphären-Geschöpf“

Aminghaus wird zunächst nur mit der Stimme Hermetias konfrontiert, die ihn bezaubert und ihm schließlich verspricht:

Es wird der Tag kommen, da Sie mich mit lebendigem Auge erblicken [...]. Dann nämlich wird die Unansehnlichkeit, werden die häßlichen Schrift-Schnüre, in denen ich jetzt gefesselt liege, endgültig von mir gefallen sein und Sie werden mich mit ganzem Leib und freier Gestalt vor sich finden [...]. (9)

Friedrich begegnet jedoch zunächst Hermetias Vorbotinnen: Da ist die ,Nicht-Leserin‛, in der Aminghaus zunächst Hermetia zu erkennen glaubt (vgl.17f). Eine nigotinsüchtige ,Raucherin‘ drängt sich ihm auf (vgl. 21—26). Daneben begegnet Friedrich Frauengestal-ten aus der realen Welt. Er trifft Ria, seine alte Liebe wieder (vgl. 29; 49 – 50) und in einer Frau, der er im Dunkeln begegnet, glaubt er eine Schulhofliebe zu erkennen (vgl. 36 – 38).

All die Frauen[11] führen Aminghaus mehr in seine Traumwelt hinein, wobei es sich bei den einen um direkte Traumgeschöpfe handelt, bei den anderen um reale Gestalten, die bei Aminghaus einen so starken Eindruck hinterlassen haben, daß er von ihnen träumt. Eines haben sie aber alle gemein: Sie zeigten, daß Aminghaus generell Probleme mit weiblichem Umgang hat. Entweder er weiß nicht, wie er sich verhalten soll, so bei der ‚Nicht-Leserin‘ und der ‚Raucherin‘, oder er träumt noch nach Jahren von vergangenen Liebschaften, wie bei Ria oder der Schulhofliebe, oder er erträumt sich einfach eine weibliche Idealpartnerin, die er dann aber nie besitzen kann, wie Hermetia.

3.1.1 Die ,Nicht-Leserin‛

Aminghaus begibt sich in eine Bibliothek um sich Hermetias „Zudringlichkeit zu entzie-hen“ (14). Doch begeht er hier einen folgenschweren Denkfehler: Hermetia ist eine „Buchfee“ (8) und wo könnte sie heimischer sein als in einer Bibliothek? So hat schon die Atmosphäre an diesem Ort etwas Zauberhaftes:

Durch die trüben Fenster der Galerie brach die sinkende Sonne einen schmalen Lichtsteg, der über Buchrand und Tischplatte hinab auf das zerstoßene Parkett führte. Im Prismenrauch schwebte die feine Last [Aminghaus`] trockenen Atems, winzige Sicheln und Grieße des Staubs schimmerten wie galaktische Schleier.(16)

Und da steigt dann auch schon von der Galerieleiter ein wunderbares Geschöpf „Sprosse für Sprosse hinab[;] die hohen Beine, [...] der enge Rock, [...] das aufgesteckte platinblon-de Lockenhaar“ (17) der Frau erscheinen. Friedrich glaubt zunächst Hermetia vor sich:

Aber war sie es etwa – war das vielleicht Hermetia, Hermetia ohne Schrift [...] ? (17)

Doch weit gefehlt. Die Frau hatte offensichtlich ein Blind Date und wurde versetzt. Mit Büchern hat sie nichts im Sinn. Eine wahre ,Nicht-Leserin‘ steht vor ihm, denn anstatt die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken und zu lesen, hat die schöne Blonde „die Buchreihen durchgezählt, von links nach rechts, von oben bis unten“ (17). Nein, auch wenn Hermetia Aminghaus vom Lesen abhalten möchte (vgl. 8), so hat sie doch ihren Ursprung im Buch und würde sich in einer Bibliothek wohl nicht so deplaziert verhalten.

Und doch bringt diese Gestalt Friedrich vom Lesen ab, womit Hermetias Intention nachge-gangen wird. Er kann „ihrer Anziehung nichts mehr entgegensetzen“ (18) und folgt ihr nach draußen, wo er sie dann verliert. Ein weiterer Schritt in Hermetias Zauberwelt ist getan:

Denn ihrem Einfluß allein war es zuzuschreiben, daß er [Aminghaus] an den folgenden Tagen mit einer nie gekannten Unruhe die Stadt durchstreifte [...] (18)

[...]


[1] Strauß, Botho: Kongreß. Die Kette der Demütigungen. München: DTV 1993. (Alle Seitenangaben im laufenden Text beziehen sich auf diese Ausgabe)

[2] Weinzierl, Ulrich: Federnder Schaft. Botho Strauß als verruchte Courthes-Mahler. In: FAZ 10. Okt. 1989 Nr. 253. S. L13

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Kilb, Andreas: Spleen und Ideal. Ein „Kongreß“, viele Fragmente: Neues von Botho Strauß. In: Die Zeit 06. Okt. 1989 Nr. 41 S. 73f.

[6] Gawlowska, Jadwiga : „Erotik als Bewährungstest für den Menschen oder für die Sprache?“ Zu Botho Strauss: „Kongress. Die Kette der Demütigungen“. In: Das Erotische in der Literatur. Hrsg. v. Thomas Schneider, Lang. Frankfurt/Main, Berlin u.a.. 1993, S 195 -- 201

[7] ebd. S. 195

[8] Bossard, Robert: Traumpsychologie. Wachen – Schlafen – Träumen. Frankfurt: Fischer 1987, S. 72

[9] vgl. den zweiten Teil des Romans

[10] Bossard, Robert: Traumpsychologi,. S. 72

[11] weitere Frauengestalten treten im zweiten Teil des Buches in den erotischen Erzählungen der „Kette der Demütigungen auf“. Diese werden hier nicht berücksichtigt, da sie nicht an der Haupthandlung beteiligt sind.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte einer gescheiterte Existenz? Aminghaus` erotischer Traum in Botho Strauß: Kongreß. Die Kette der Demütigungen
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (FB Germanistik)
Note
2,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V18684
ISBN (eBook)
9783638229715
Dateigröße
552 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichte, Existenz, Aminghaus`, Traum, Botho, Strauß, Kongreß, Kette, Demütigungen
Arbeit zitieren
Andreas Weidmann (Autor:in), 2001, Die Geschichte einer gescheiterte Existenz? Aminghaus` erotischer Traum in Botho Strauß: Kongreß. Die Kette der Demütigungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18684

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