Wahlberichterstattung im Regionalfernsehen


Magisterarbeit, 1995

95 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Inhaltsverzeichnis

2. Einleitung

3. Kommunikation als politischer Prozeß
3.1. Politikvermittlung durch Medien
3.2. Mediatisierte Politik und die Staatsferne im öffentlich - rechtlichen Rundfunk

4. Das Fernsehen als Leitmedium
4.1. Die Macht der Bilder
4.2. Medienspezifische Aspekte im TV-Journalismus
4.3. Politik im Fernsehen
4.4. Ausgewählte Studien zur Politikdarstellung im Fernsehen

5. Das Konzept Regionalisierung
5.1. Regionalisierung in den alten Bundesländern
5.2. Regionalisierung in den neuen Ländern
5.3. Defizite im Regionalfernsehen
5.4. Wahlen im Regionalfernsehen

6. Regionalfernsehen in Sachsen und Brandenburg: die Inhaltsanalyse
6.1. Die politische Situation in Sachsen und Brandenburg
6.2. Die mediale Situation in Sachsen und Brandenburg
6.3. Methodische Herangehensweise
6.4. Thesen

7. Analyse des Materials
7.1. Themengruppen
7.2. Handlungsträger, Gezeigte und Zu Wort Kommende als Personengruppen
7.3. Themenprofile von Personengruppen
7.4. Kritisierte und Kritisierende als Personengruppen
7.5. Formale und Qualitative Aspekte

8. Zusammenfassung

9. Literaturverzeichnis

10. Anhang
10.1. Kommentiertes Kategoriensystem
10.2. Analyse - Beispielbogen

2. Einleitung

Am 11.9.1994 waren zum zweiten Mal seit der Wende Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. In Sachsen gewann die CDU mit über 58 Prozent die absolute Mehrheit in Brandenburg mit über 54 Prozent die SPD. Auch in den Medien spiegelt sich die politische Situation wieder. Aus dem roten Brandenburg und dem schwarzen Sachsen berichten zwei politisch unterschiedlich gefärbte öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Ihre regionale Berichterstattung im politisch so bedeutenden Medium Fernsehen soll diese Arbeit vergleichen. MDR - Sachsen - Spiegel und ORB - Brandenburg - Journal - die Momentaufnahme der medialen Realität - eine Wahlperiode nach der Einheit.

Im Abschnitt 3 wird die zentrale Bedeutung der Medien für die Legitimation des Staates dargestellt. Politische Kommunikation wird verstanden als Grundlage der Demokratie. Logische Konsequenz daraus ist, daß Politiker versuchen, Einfluß auf die Programmgestaltung zu nehmen.

Eine zentrale Stellung im Mediensystem hat dabei das politisch besonders einflußreiche Medium Fernsehen, dessen Spezifik im Abschnitt 4 näher ausgeführt wird. Es bietet, bedingt durch den Zwang zur Visualisierung, den Politikern auch diverse Ansatzpunkte, die ihren Instrumentalisierungsabsichten entgegen kommen. Erörtert werden hier auch Hauptaspekte der Politikdarstellung im Fernsehen und einige Beispiel-Studien zur Problematik.

Der nächste und 5. Abschnitt beschäftigt sich mit der Regionalisierung, auch und vor allem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Regionalfernsehen sollte Beteiligungschancen offenlegen und so auch das Vertrauen der Menschen in die demokratischen Strukturen festigen. Integration und soziale Orientierung haben vor allem in den neuen Bundesländern zentrale Bedeutung. Doch bei der Überführung des einst zentral geleiteten Fernsehens in neue Strukturen wurden auch die Schwächen und Probleme aus dem Westen mit übernommen.

Im Abschnitt 6 wird schlaglichtartig die politische und mediale Situation in Sachsen und Brandenburg dargestellt. Anschließend wird die methodische Herangehensweise der Arbeit problematisiert. Vorläufige Arbeitsthesen bilden den Übergang zum nächsten Abschnitt und die Grundlage der eigentlichen Analyse des Materials in Abschnitt 7. Leider muß sich die Arbeit auf wenige, wenn auch nach meiner Ansicht zentrale Punkte in der Darstellung beschränken. Die Vielzahl der Literatur zum Thema allerdings und die Literaturhinweise ermöglichen eine eingehendere Befassung mit der Problematik.

3. Kommunikation als politischer Prozeß

3.1. Politikvermittlung durch Medien

Gerade was die Politik und das Politische betrifft, kann der Durchschnittsdeutsche heute kaum noch Primärerfahrungen sammeln. Immer mehr tritt durch Medien vermittelte Wirklichkeit und vermittelte Erfahrung an die Stelle von erlebter Wirklichkeit und Präsenterfahrung. /1/ Verschiedentlich wurde sogar vor dem Entstehen einer Scheinwirklichkeit gewarnt, da die Medien gesellschaftliche Realität nicht in ihrer ganzen Komplexität, sondern nur ausschnittweise, also reduziert wiedergeben können. /2/

Das könnte auch für die Politik reale Folgen haben. Denn Politische Informationen und Meinungen werden heute fast ausschließlich über Medien vermittelt und das heißt unvermeidlich: indirekt, öffentlich und einseitig. /3/ Für Wolfgang Bergsdorf sind Medien heute schon das wichtigste Instrument politischer Kommunikation. /4/

Gerade die Kommunikation über politische Inhalte, das Bereitstellen von Informationen über Politik durch die Medien, sei eine entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren des demokratischen politischen Systems. /5/ Auch für Uwe Pöhls ist der Zusammenhang zwischen der Stabilität und Legitimität des politischen Systems und der freien Möglichkeit zur personalen und medialen Kommunikation evident. /6/ Politisch wird eine Meinung nämlich erst dann, wenn die Medien als Verstärker eingesetzt werden, stellen Jaspar und Besson fest. /7/ Die Herstellung von Öffentlichkeit ist denn auch die "politische Generalfunktion" der Massenkommunikation. /8/

Medien definieren so auch den Stellenwert der Politik in der Gesellschaft entscheidend mit. In der Literatur wird ihnen dabei eine Bildungsfunktion, eine Sozialisationsfunktion, eine Informationsfunktion, eine Artikulationsfunktion und eine Krtitik- und Kontrollfunktion zugestanden. /9/

Heftig umstritten ist in der wissenschaftlichen Diskussion die Frage nach den tatsächlichen Wirkungs- und Beeinflußungsmöglichkeiten der Medien. Für den Bereich der Politik wurde unter anderem versucht, folgende Wirkungen zu postulieren: Politisierung (Schatz) /10/; Unterminierung bestehender Parteibindungen, Ansteigen des "öffentlichen Zynismus, des politischen Protestes bzw. wachsender Apathie und Verdrossenheit" (Plasser) /11/; Verstärkung der Neigung zur politischen Abstinenz und Privatheit (Schatz) /12/ Beeinflußung der Wahlentscheidung (Kepplinger) /13/.

So verschieden die Hypothesen, so unterschiedlich auch die Untersuchungsergebnisse. Für Hunziker beispielsweise beschränkt sich das Beeinflussungspotential auf die Bekräftigung und marginale Verstärkung bereits vorhandener Einstellungen und Überzeugungen. /14/ Wirklich zweifelsfrei empirisch belegt werden, konnten langfristige Medienwirkungen bisher jedenfalls nicht. Bergler / Six raten mit Recht zur Vorsicht im Umgang mit den manchmal methodisch recht zweifelhaften Untersuchungsergebnissen der Medienwirkungsforschung. /15/ Es gibt gute Gründe, skeptisch zu sein, was die tatsächlichen Wirkungsmöglichkeiten der Medien gerade auf dem Gebiet der politischen Sozialisation betrifft.

Massenmedien können nicht als geschlossenes, konsistentes System von Sozialisationsinhalten gesehen werden. /16/ Zeitung, Rundfunkanstalten sozialisieren unkoordiniert, manchmal widersprechen sich ihre Angebote sogar, was im extrem pluralistischen Charakter des Subsystems begründet liegt. Dazu kommt: Die Medien können kaum gezielt belohnen oder bestrafen. Sie haben weder die Möglichkeit, Verweigerungen zu sanktionieren, noch den Erfolg der Sozialisation zu kontrollieren. /17/

Insgesamt würde ich da ganz mit Jürgen Hüther gehen, für den die Wirkung der massenmedialen Aussage vor allem abhängt, "vom Vorwissen und der intellektuellen Kompetenz des Rezipienten, seiner emotionalen Verfassung und Motivationslage, der sozialen Situation der Mediennutzung" kurz von den Prädispositionen der Rezipienten. /18/ Deshalb soll diese Arbeit auch einen anderen Zugang zum Problem Politik in den Medien versuchen. Ziel kann und wird es nicht sein, Aussagen über Wirkungen auf die Rezipienten zu machen.

3.2. Mediatisierte Politik und die Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Ob der enormen politischen Funktion und Bedeutung der Medien; aufgrund der unbewiesenen, "aber häufig vertretenen Vermutung, daß Wahlen durch Medien entschieden werden", kann es nicht verwundern, daß gerade Politiker immer wieder versucht haben, Einfluß auf das Mediensystem auszuüben. /19/ Erinnert sei hier nur an den Versuch Konrad Adenauers 1959 ein regierungseigenes Fernsehprogramm als Konkurrenz zur ARD zu institutionalisieren. /20/ Der Versuch scheiterte am Widerstand des Bundesverfassungsgerichts, daß feststellte, daß Art. 5 Grundgesetz ausschließe, "daß der Staat unmittelbar eine Anstalt oder Gesellschaft beherrscht, die Rundfunksendungen veranstaltet." /21/

Auch wenn seitdem nicht mehr versucht wurde, einen Staatsrundfunk in Deutschland zu etablieren, haben Politiker, gerade im Bereich des öffentlich- rechtlichen Rundfunks, beachtliche Einflußmöglichkeiten, die sie natürlich nutzen. Politiker reden mit bei der Festsetzung der Höhe der Gebühren, sie entscheiden über Gründung, Auflösung und Zusammenlegung von öffentlich- rechtlichen Anstalten. Lediglich Bestand und Fortentwicklung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks als Ganzes sind nämlich verfassungsrechtlich garantiert. Und auch Frequenzen sind ohne einen "politischen Preis" nicht zu haben. /22/

Die Parteivertreter in den Aufsichtsgremien stehen unter dem Erwartungsdruck ihrer Parteien, "durch Einflußnahme auf programm- und personalpolitische Entscheidungen die Position ihrer jeweiligen Coleur zu stabilisieren und auszubauen. /23/ Außerdem ist es den Parteien gelungen, in den Rundfunkräten "die übrigen gesellschaftlich relevanten Kräfte, die ja nur Partikularinteressen repräsentieren, an die Wand zu spielen." /24/ Allgemein überwiegt in den Rundfunkräten, die ja neben der Wahl von Intendant und Verwaltungsrat auch den Haushalt genehmigen, den Intendanten in allen Rundfunkfragen beraten und die Einhaltung der Programmrichtlinien kontrollieren, der Einfluß der Parteien. Selbst die vielerorts nach dem ständisch- pluralistischen Modell die Mehrheit stellenden Verbandsvertreter haben meist eine politische "Farbe"./25/

In parteipolitisch gefärbten Zirkeln, denen etwa dreiviertel aller Rundfunkratsmitglieder angehören, werden wichtige Entscheidungen vorgeklärt. /26/ Programmmacher und Programmkontrolleure solidarisieren sich unter parteipolitischem Vorzeichen "zur Kontrolle der anderen. Um parteipolitische Unabhängigkeit ringende Journalisten geraten unter Druck von beiden Seiten." /27/

Auch wenn nicht alle Fragen ausschließlich nach parteipolitischen Gesichtspunkten entschieden werden, /28/ so wurden doch wiederholt von Rundfunkräten und von durch sie gewählten Intendanten Redaktionen unter Druck gesetzt und kritische Stimmen zum Schweigen gebracht. /29/ Insbesondere könne die Schweigepflicht der Rundfunkratsmitglieder, so Seifert weiter, nur einen Zweck haben: zu verhindern, "daß politische Eingriffe, rechtswidriger Druck, Maßregelungen und Willkürakte der Personalpolitik publik werden." /30/

Und so belegt denn auch eine ganze Reihe von Beispielen, wie nach dem Wechsel der Landesregierung auch die "Führungsriege in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ausgetauscht wurde, bis weit hinein in den Mittelbau." /31/

Kaum ein Autor bestreitet noch ernsthaft, daß politischer Einfluß sowohl bei der Besetzung der Gremien, wie auch von administrativen und journalistischen Positionen, eine wesentliche Rolle spielt. /32/ Sogar die Intendanten selbst räumen ein, wenn sie in den Ruhestand getreten sind, in der Auswahl der leitenden Mitarbeiter nicht frei gewesen zu sein. /33/ Eine Folge ist, daß sich zahlreiche Journalisten an diese Situation anpassen, sich selbst einer Partei zuordnen, eine "Schere im Kopf haben" und ihrem Auftrag als Kontrollinstanz nicht mehr ganz gerecht werden können./34/ Aber wer kein "Etikett" trägt, wird bei der Vergabe von Positionen und Funktionen meist ignoriert. /35/

Während in der CDU lediglich Kurt Biedenkopf vor einer zu starken Einflußnahme der Politiker auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk warnte, gab es in der SPD häufiger entsprechende Äußerungen. Für Rudzio ist unverkennbar: die SPD setzt ganz auf `kritische´ Journalisten und sucht ihnen einen möglichst großen Spielraum zu verschaffen. /36/

Insgesamt habe das Massenkommunikationssystem gegenüber der Politik an Eigenständigkeit verloren, erklärt Heribert Schatz. /37/ Gerade was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betrifft, liegt die Vermutung nahe, daß die Medien durch das politische System instrumentalisiert und dominiert werden. /38/

Zwei Grundpfeiler drohen einzustürzen: die Staatsfreiheit und mit ihr die Programmautonomie sowie die Vielfalts-, Neutralitäts- und Ausgewogenheitsverpflichtung. Für Ingeborg Schäfer sind Medien, insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk, nicht mehr als parteiabhängige Sprachrohre. /39/ Aber so kann das Rundfunksystem nicht die ihm in der Demokratie zukommenden, oben angedeuteten, Aufgaben erfüllen und beispielsweise staatliche Gewalt legitimieren. /40/ Für Horst Holzer sind die Medien bereits integrierte Bestandteile des "westdeutschen Herrschaftssystems" /41/

Indem die Parteien Einfluß auf die strukturellen Bedingungen in den Rundfunkanstalten nehmen, versuchen sie, direkt oder indirekt Einfluß auf die Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auszuüben. /42/

An der Autonomie des Rundfunks sind sie nicht interessiert: schließlich wollen die politischen Parteien so oft wie möglich positiv im Programm vertreten sein. Vor allem soll dadurch die Auffassung erzeugt werden, "daß die politische Führung im öffentlichen Interesse handelt und mit allen Problemen ... fertig werden wird; ... daß das Volk die Richtlinien des politischen Handelns mitbestimmt "/43/

Doch nicht nur die Medien sind hier Opfer, nicht nur die Politik allein ist Täter. Der Umkehrschluß ist offenbar durchaus zulässig. Plasser nimmt an, daß nicht nur die Medien immer politischer, sondern auch die Politik immer medialer geworden ist; daß das Politische Subsystem sich im Prozeß einer "Mediatisierung" befindet. / 44/ Staatliches und Mediensystem nähern sich einander an, bilden eine Art Symbiose. "Politik und Medien machen sich wechselseitig zu Opfern." /45/ Auch wenn Ernst Dieter Lueg das heftig bestreitet. /46/

Nicht eindeutig geklärt ist bislang aber die Frage, ob sich die Dominanz der Parteien auf institutioneller Ebene und auf der personellen Führungsebene auch auf das Programm auswirkt. Vergleichende Untersuchungen zwischen Rundfunkanstalten unterschiedlicher politischer Coleur gibt es bisher so gut wie nicht. Nur vereinzelt wurde dies nachgewiesen, wie von Ruhland am Beispiel der innenpolitischen Magazine von ARD und ZDF. / 47/

4. Das Fernsehen als Leitmedium

4.1. Die Macht der Bilder

Das Fernsehen ist für Ofried Jarren und die meisten anderen das wichtigste Massenkommunikationsmittel: das Leitmedium. /48/ 96 % aller Haushalte verfügen über einen Fernsehapparat; der Durchschnittsbürger sieht täglich mehr als 2 Stunden fern. Die Menschen würden das Fernsehen mehr als jedes andere Medium vermissen. /49/ Heinz Bonfadelli hält die Einbindung des Fernsehens in den Freizeit- und Unterhaltungskontext für das Hauptcharakteristikum. /50/

Die höchste Glaubwürdigkeit mißt die Bevölkerung zu 61 % dem Fernsehen (nur zu 20 % der Tageszeitung und zu 16 % dem Hörfunk) zu. /51/ Ein möglicher Grund dafür, könnte die große Überzeugungskraft der bildlichen Darstellung des Geschehenen, die große Authentizität also, sein. /52/ Bergsdorf hält auch die öffentlich-rechtliche Organisationsform von ARD und ZDF, die Unabhängigkeit vom Staat und auch von privaten Interessen "signalisiert und die vollständige Abwesenheit eigener Interessen suggeriert", für einen möglichen Grund. /53/ Außerdem könne Fernsehen sich stärker als andere Medien nur an Tatsachsen orientieren. Aktualität und Unmittelbarkeit verstärkten zusätzlich noch die Glaubwürdigkeit. /54/

Dazu kommt: im Gegensatz zur Zeitung wird das Fernsehen kaum selektiv genutzt. Es bringt Politik zu Leuten, die sich eigentlich nicht dafür interessieren. /55/ Und so sehen es fast alle Autoren als die wichtigste politische Informationsquelle /56/ und das politisch einflußreichste Medium. /57/ Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen kommen Wissenschaftler zu anderen Ergebnissen, wie Klaus Schönbach, der kaum Hinweise dafür finden kann, daß das Fernsehen im Vergleich zur Tageszeitung das mächtigere Medium sei. /58/ Für die meisten anderen Autoren ist Fernsehen, "eine soziale Macht allerersten Ranges". Bei Pöhls heißt es unter Berufung auf Guggenberger weiter: "Nichts ist, was nicht im Fernsehen ist Das Fernsehen ist der neue Zeitsouverän." /59/

Besonders hoch wird die Bedeutung des Fernsehens zu Wahlkampfzeiten eingeschätzt. Die entscheidenden Schlachten würden in Nachrichtensendungen, politischen Magazinen, Politikerdiskussionen, Wahlkampfberichterstattungen und bei Politikerauftritten in nichtpolitischen Sendungen geschlagen, so Peter Radunski, ehemaliger Hauptabteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit in der CDU-Bundesgeschäftstelle. /60/ Bei Heinz Burghart heißt es dazu: "Ein einziger Auftritt im Fernsehen ersetzt die Jahresleistung an Versammlungen. Wäre ich Politiker, müßte ich wohl genauso denken." /61/

4.2. Medienspezifische Aspekte im TV-Journalismus

Im Gegensatz zur Presse definiert sich das Fernsehen vor allem über das bewegte Bild. Da nur konkrete Dinge, Ereignisse und Personen gefilmt werden können und das Fernsehen unter einem gewissen Visualisierungszwang steht, hat dieses Medium tendenziell Probleme, Hintergründe und Zusammenhänge darzustellen. Auch die Politik wird so verkürzt auf das Zeigbare. /62/ Besondere Nachrichtensendungen lassen nur selten komplexe Zusammenhänge erkennen und konzentrieren sich meist auf die reinen Fakten. Dabei sei gerade die Kenntnis von Hintergründen und Zusammenhängen notwendig, um politisch urteilsfähig zu sein. /63/

Das Fernsehen hat generell eine Tendenz zur Generalisierung im Gegensatz zur Differenzierung, bewertet Neues, Außergewöhnliches höher als Überkommenes, Alltägliches. Damit stellt sich das Medium in den Dienst des Wandels, behauptet Franz Ronneberger. /64/ Es offenbare sich eine Tendenz der Berichterstattung zur Modernisierung, indem alte überholte Normen angegriffen und neue Werte propagiert würden, so Ingo Friedrich. /65/ Das steht allerdings im Widerspruch zu zahlreichen Untersuchen vor allem auf dem Gebiet der Politikberichterstattung. Auch das Ergebnis dieser Untersuchung steht dem bis zum einem gewissen Grad entgegen.

Außerdem bevorzugt das Fernsehen Negatives, Ereignisse mit einer gewissen Dramatik und Aktionshaltigkeit und Themen, die sich in verkürzter, vereinfachter Form darstellen lassen. /66/ Zusätzlich behindert noch die Tendenz zu größtmöglicher Aktualität die Berichterstattung über Hintergründe und Zusammenhänge. Meist ist das Fernsehen so an eine Vielzahl tagesaktueller und leicht optisch darstellbarer Ereignisse gebunden. Gerade Konferenzen, Tagungen, Grundsteinlegungen, Sitzungen und Besichtigungen werden so vom Fernsehen ausgewählt, was zu einer "Simplifizierung" auch der politischen Berichterstattung führt. /67/ Allein dadurch verringert sich schon die Auswahl der möglichen Themen.

Auf der anderen Seite versuchen Politiker, Manager und andere an der Anwesenheit des Fernsehens Interessierte sich das zu Nutzen zu machen, indem gezielt solche TV-Ereignisse inszeniert werden, was tendenziell zu einer "Ritualisierung" der gesamten Berichterstattung beiträgt. Immer gleiche Bilder von Pressekonferenzen, Eröffnungen und Wahlveranstaltungen bestimmen das tägliche Nachrichten Einerlei. /68/

Neben der Ritualisierung und den anderen genannten Konsequenzen führt der Visualisierungszwang des Fernsehens auch zu einer verstärkten Personalisierung in der Berichterstattung. Gerade komplizierte Themen werden häufig an Hand von Einzelfällen dargestellt und dadurch auch in ihrer Komplexität reduziert. Das und die Tatsache, das von den Fernsehanstalten besonders gern prominente Personen ausgewählt werden, kommt ebenfalls den Instrumentalisierungsabsichten der Politiker entgegen. Besonders mit den weit verbreiteten Politikerinterviews und O-Ton-Filmen geben die Journalisten auch und gerade ihnen Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. /69/

Schon hier wird deutlich, daß das Fernsehen nicht nur das politisch einflußreichste Medium ist, zu dessen Vorzügen große Authentizität und Aktualität gehören. Es bietet aufgrund seiner Spezifik auch Ansatzpunkte, die den Instrumentalisierungsabsichten der Politiker entgegenkommen. Nicht nur die Einflüsse der Politiker und die subjektiven Konfliktsichten der Redakteure / 70/ schlagen sich möglicherweise im Programm nieder, sondern auch die Komplexität des Produktionsprozesses, die geringe Sendezeit und andere medienspezifische Besonderheiten. /71/

4.3. Politik im Fernsehen

Die Frage nach dem Stellenwert der Politik im Fernsehen wird von den meisten Autoren mit der These beantwortet: Politik und die Parteien würden gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Gruppen sowohl nach ihrer Häufigkeit wie auch nach der Intensität ihrer Darstellung im TV dominieren. /72/ Je journalistischer eine Sendungsart definiert sei, desto weniger Beachtung fänden die Parteien; je größer jedoch ihr Forumcharakter sei, desto größer sei auch der Politikanteil, stellen Buß und andere fest. /73/ Autoren wie Otfried Jarren indes konstatieren, daß die Politik beginne, privilegierte Medienzugänge einzubüßen. /74/

Die oben für das Fernsehen allgemein dargestellten medienspezifischen Anforderungen gelten in besonderem Maße auch für die Berichterstattung über Politik. Politik wird vereinfacht und verkürzt dargestellt, wobei Vorgeschichte, Alternativen, Zusammenhänge und Informationen, politische Entscheidungs- und Organisationsstrukturen häufig nicht öffentlich werden. Die Berichterstattung konzentriert sich vor allem auf öffentliche und dem Fernsehen zugängliche Ereignisse. /75/

Und so sind gerade auf diesem Gebiet die Ritualisierungstendenzen durch Inszenierung von politischen Ereignissen besonders groß. /76/ Politik wird zum Schauspiel: Ein Versuch des Fernsehens, die Nichtvisualisierungsfähigkeit der politischen Willensbildungs- und Entscheidungspozesse zu umgehen. /77/ Schatz kommt nach einer Inhaltsanalyse zu dem Ergebnis, daß mehr als die Hälfte aller Ereignisse, über die in Fernsehnachrichten berichtet wird, "künstliche" vom politisch-administrativen System zumindest teilweise gesteuerte Ereignisse sind. /78/

Bemerkenswert ist weiterhin, daß gerade im Fernsehen der Trend vorherrscht, Politik kaum an Sachthemen oder Programmen, dafür umsomehr an Personen und ihrem persönlichem Charisma festzumachen. Edelmann, Schäfer und andere konstatieren eine Tendenz zur Personalisierung der Politik. /79/ Im Fernsehen werden 89,3 % aller Inhalte mit Personen verknüpft. Die anderen Medien liegen teilweise weit dahinter. /80/

In der Politikberichterstattung kämen so fast nur eine wenige hochrangige Spitzenpolitiker zu Wort, die teilweise mediale Omnipräsenz erreicht hätten. /81/ Politiker kämen vor allem zu Wort, wenn sie hohe Funktionen bekleiden oder wenn sie Positionen vertreten, die von der Politik ihrer Parteien abweichen, erklärt Claudia Mast. /82/ Die Folge ist das Entstehen einer Kommunikationselite. Politische Kommunikation wird tendenziell oligarchisiert. /83/ "Der naheliegende Eindruck: Politik ist nur eine Sache von wenigen verzeichnet aber die Wirklichkeit." /84/ Der gesellschaftliche Bereich außerhalb der an der Macht partizipierenden Parteien und nicht verbandstechnisch organisierte Gruppen werden dabei genauso vernachlässigt, /85/ wie die kleinen Parteien, über die Zeitungen weitaus häufiger berichten als das Fernsehen. /86/. Für Kepplinger und Fritzsch ist damit klar: Das Fernsehen verfestigt die bestehende Hierarchie im Bundestag und in den Parteien. /87/

Bedingt durch Visualisierungszwang und Personalisierung wird das Schwergewicht der Politikberichterstattung auf die Exekutive gelegt; sowohl der Opposition wie auch dem Parlament insgesamt wird dadurch öffentliche Aufmerksamkeit entzogen. Regierungen haben immer wieder Chancen, sich mit neuen Programmen, Vorschlägen und inszenierten Ereignissen, wie Staatsbesuchen, Konferenzen u.s.w., ins rechte Licht zu setzen, während die Opposition sich mit "ergänzenden Voten oder kritischen Stellungnahmen" zufrieden geben muß. /88/ Nur wenige Autoren behaupten wie Kent Asp in Bezug auf den Wahlkampf im schwedischen Fernsehen, daß das unabhängige Fernsehen alle Parteien gleich negativ behandelt und oft gerade über die Themen berichtet, die die Politiker umgehen wollen. /89/ Für Radunski besteht hingegen kein Zweifel daran, daß der Amtsbonus, den Demoskopen den regierenden Parteien im wieder bestätigen, nichts anderes als ein Fernsehbonus ist. /90/

Das Fernsehen und die Medien allgemein wirkten deshalb eher stabilisierend und unterdrückten politische Innovation, meint Ingeborg Schäfer. /91/ Das steht in direktem Widerspruch zu den oben angeführten Ausführungen von Franz Ronneberger und Ingo Friedrich.

Auf diese Art der Politikdarstellung und die Bedeutung des Fernsehens haben sich auch die Politiker selbst eingestellt. Die fernsehgerechte Planung und Inszenierung von Wahlkampfauftritten, und das Schaffen von "Pseudo- Ereignissen" haben höchste Priorität im Wahlkampf. Die Medienkompetenz des Spitzenkandidaten gilt bei Wahlkampfstrategen "als der entscheidende Faktor des angestrebten Wahlerfolges." /92/

4.4. Ausgewählte Studien zur Politikdarstellung im Fernsehen

Zu diesem Problem existieren eine Vielzahl inhaltsanalytischer Untersuchungen. Bevor ich mich der eigentlichen Problematik dieser Untersuchung zuwenden möchte, sollen einige Studien kurz vorgestellt und problematisiert werden. Unvollständige Angaben zu einzelnen Untersuchungsdesigns und das nur schlaglichtartige Herausgreifen einzelner Besonderheiten bitte ich zu entschuldigen; geschuldet sind sie dem Zwang zur Kürze. Die meisten Autoren sind sich einig: die Qualität solcher Untersuchungen, wird vom Anteil der Beachtung optischer Aussagebestandteile bestimmt; deren Dynamik und Komplexität allerdings erschwert vielfach den Zugang./93/

Besonders weit geht da Hans Mathias Kepplinger, dessen Studie zur optischen Kommentierung in der Fernsehberichterstattung über den Bundestagswahlkampf 1976 auch zuerst vorgestellt werden soll. Eine Expertenbefragung unter Kameraleuten ergab, daß sie, um Politiker besonders negativ darzustellen zu anderen optischen Mitteln tendieren würden (Untersicht, starke Draufsicht), als wenn sie einen Politiker besonders schätzen und ihn deshalb positiv darstellen wollten (Tendenz zur Darstellung in Augenhöhe). /94/

Ausgehend von dieser Befragung wurden inhaltsanalytisch alle Wahlberichte in den Magazinsendungen von ARD und ZDF untersucht. Während die Berichterstattung was die Parteien betrifft "optisch ausgewogen" war, zeigten sich deutliche Unterschiede bei der Darstellung der beiden Spitzenkandidaten. "Während Schmidt nur in 31 Einstellungen aus der ungünstigen Frosch- und Vogelperspektive gezeigt wurde, wurde Kohl in immerhin 55 Einstellungen aus dieser Perspektive gezeigt." Außerdem habe besonders das ZDF Oppositionschef Kohl als einen "isolierten und mißachteten Mann" dargestellt, indem signifikant häufiger Einstellungen gezeigt wurden, in denen das Publikum den Oppositionskandidaten auspfiff oder auf andere Weise ablehnte, als das beim amtierenden Kanzler der Fall war. /95/ Kepplinger erkennt so in seiner Arbeit eindeutige Tendenzen der optischen Kommentierung. Das Fernsehen habe so zum Wahlausgang beigetragen, auch wenn es sich in der Regel nicht um bewußte Manipulationen handle.

Kritisiert wurde Kepplinger unter anderem von Klaus Merten in einer Arbeit, die den bezeichnenden Titel: "Der wahlentscheidende Einfluß des Fernsehens auf die Bundestagswahl 1976 - oder Alchemie in der empirischen Sozialforschung" trägt. Mertens Kritik ist zuerst eine methodische. Kepplinger kontrolliere andere beeinflussende Variablen nicht. Generell könne aus einer Inhaltsanalyse nicht auf Wirkungen beim Rezipienten geschlossen werden. /96/

Außerdem sei die Wahl des Kamerawinkels nicht intentional sondern eher zufällig oder durch unkontrollierte Randbedingungen zu erklären. Die Präferenz des Fernsehens für Schmidt könne auch nicht mit dem Zeigen günstiger oder ungünstiger Publikumsreaktionen (Pfiffe, Zwischenrufe) begründet werden. Kepplinger suggeriere damit, daß sich Spitzenkandidaten in politischen Magazinsendungen "wie stumme Pappkonterfeis auf den Wahlplakaten verhalten." Schmidt wirke nun einmal souveräner und habe ein größeres nonverbales Repertoire als Kohl. /97/

Fortgesetzt wurde die Debatte zwischen Kepplinger und Merten in Schulz / Schönbachs Massenmedien und Wahlen. Donsbach stellt sich in einem gemeinsamen Artikel mit Kepplinger auf dessen Seite. Die Studie Kepplingers zur Bundestagswahl wird durch eine experimentelle Untersuchung gestützt, wonach Versuchspersonen, die Aufnahmen eines Redners aus der Augenhöhe gesehen hatten, den Sprecher besser beurteilten, als Versuchspersonen, die die Aufnahmen aus der starken Untersicht oder starken Draufsicht gesehen hatten. /98/ Merten schlägt jetzt sogar noch schärfere Töne an, spricht von einem "akademischen Bubenstück" und von "Dilettantismus". /99/.

Auch Walter Ruhland hat sich mit der Politikdarstellung in den Politischen Magazinen von ARD und ZDF vor der Bundestagswahl 1976 befaßt. Allerdings geht er einen anderen, meinem Ansatz wesentlich ähnlicheren Weg. Er verknüpft quantitative und qualitative Elemente der Inhalts- und Medienanalyse. /100/ Für Ruhland wird deutlich, daß die Dominanz der Parteien in den Gremien sich auch im Programm wiederfindet. Seine Forderungen nach Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sieht er so bestätigt. /101/

Neben der dominierenden Stellung der im Bundestag vertretenen Parteien (bei weitgehender Ausblendung politischer Alternativen), der Bevorzugung der Regierung und der Personalisierung gelingt ihm auch nachzuweisen, daß sich die Berichterstattung nach dem Standpunkt der Magazine differenziert. Überraschenderweise orientieren sich die in ihrer Themenwahl aber eher am politischen Gegner als an den ihnen nahestehenden Parteien. /102/ Möglicherweise sind die politischen Gegner deshalb so oft ein Thema in den Magazinen, weil sie auch am meisten kritisiert werden. Ruhland kann das nicht feststellen, da er nur eine Personengruppe, die Handlungsträger, kennt und beispielsweise Kritisierende und Kritisierte nicht extra kodiert.

Neben der einfachen Erfassung der Handlungsträger versucht Ruhland, erstmals auch die Binnenstruktur der politischen Handlungsträger, also ihre politische Funktion und ihren Rang zu erfassen. Diese doppelte Filterführung wurde von mir übernommen, ausgebaut und in Bezug auf die Analyse von Regionalsendungen weiterentwickelt. Wenn Politiker als Handlungsträger auftreten, dann handelt es sich meist um Vertreter der oberen und mittleren Ebene der Binnenstruktur, so das Ergebnis von Ruhlands Betrachtungen der Binnenstruktur. /103/

Neben der Erfassung von Handlungsträgern, reinen Strukturdaten, Themenkategorien und einigen qualitativen Aspekten erfaßt Ruhland den Rang der Parteien in der Berichterstattung und den Bezug zu Grundwerten. Er versucht auch die persönliche Position von Moderator und Autor näher zu bestimmen /104/ Das ist wohl die problematischste seiner Kategorien, da der persönliche politische Standort der Produzenten nur schwer erfaßbar und auch kaum von professionellen und standardisierten Bewertungen zu trennen sein dürfte. Aus dem Korruptionsvorwurf eines Journalisten gegen die CDU-Fraktion ist die politische Meinung des Reporters (und am Ende gar die des Magazins!) eben nicht ohne weiteres ablesbar.

Uwe Pöhls untersucht am Beispiel der großen TV-Nachrichtensendungen Deutschlands, Frankreichs und der USA die Darstellung von Politik im Fernsehen. Besonders am deutschen Beispiel gelingt ihm der Nachweis der hohen Personalisierungsanteile. Pöhls kann zeigen, daß gerade hier konservative Politiker stark überrepräsentiert sind, genau wie Staatsführung, Regierung und Verwaltung von den Funktionsbereichen aus gesehen. /105/

Neben der Erfassung von Handlungsträgern (auch Pöhls kennt nur eine personenbezogene Kategorie), Themenkategorie, Handlungsebene und Präsentationsform, untersucht Pöhls auch einige Handlungs- und Situationsbezogene Kategorien. So wird der Handlungstyp kodiert, um offizielle und ritualisierte Handlungsanlässe aufzeigen zu können. Der geographische Rahmen der Handlung und sogar die Personen in der Umgebung des Handlungsträgers werden erfaßt. Gerade was meine spätere Kategorie Ereignissbezug betrifft, sind hier Anknüpfungspunkte zu sehen. Pöhls Versuch, Einstellungsgröße und Grad der Verdecktheit des Handlungsträgers mit in die Untersuchung einzubeziehen, wird im Gegensatz dazu von mir nicht aufgenommen. /106/ Der Zusammenhang zwischen meiner Problematik und der Verwendung einzelner Kameraperspektiven scheint mir denn doch alles andere als evident zu sein. Zufälle und andere nicht kontrollierte Variablen spielen hier sicher eine große Rolle.

Auch Schatz und andere haben größere Probleme mit dieser Art der Beachtung optischer Aussagebestandteile. Sie haben wohl Recht mit der Behauptung, daß der Schluß von bestimmten Bildern auf Aussagen und Wertungen der Macher bei Magazinen und Nachrichten nicht mit derselben Stringenz gezogen werden kann, wie bei Spielfilmen. /107/ Auch ich werde mich in diesem Punkt relativ zurückhalten; die gegen Kepplinger und andere vorgebrachte Kritik steht noch im Raum.

Nach einer inhaltsanalytischen Untersuchung von Fernsehnachrichten findet Schatz die Personalisierungsthese bestätigt, auch wenn die Nachrichten gerade bei den formalen Merkmalen größere Varianzen aufweisen, als "wir dies nach unserer Instrumentalisierungsthese vermutet hätten." /108/ Insgesamt gesehen dominieren aber Funktionsträger aus dem Bereich des politisch-administrativen Systems, wobei ein Bonus für die amtierende Regierung nicht zu leugnen ist. Interessant ist bei Schatz noch die Art und Weise des Umgangs mit den Anlässen der Berichterstattung, die er in drei Kategorien einteilt: 1. Voll oder überwiegend durch das politische System steuerbar. 2. Teilweise steuerbar. 3. Spontan / nicht steuerbar. Für das Design der Kategorie Ereignisbezug sind auch in dieser Arbeit Anknüpfungspunkte zu suchen. /109/

5. Das Konzept Regionalisierung

5.1. Regionalisierung in den alten Bundesländern

Mit der Konzeption des Rundfunks in der Bundesrepublik als regionale Anstalten öffentlichen Rechts war die Regionalisierung an sich im System schon angelegt. Folgerichtig begannen die Anstalten in den 60iger Jahren mit der konsequenten Regionalisierung ihrer Programme. Für immer mehr Menschen gewinnt seitdem die Nahwelt, die eigene Region, wieder an Bedeutung. Die Internationalisierung der Kommunikation geht so einher mit einer Renaissance der Nahwelt. /110/ Philosophisch gesehen, so Hilf, sei das nichts anders als der "Aufstand des einzelnen gegen seine totale Vergesellschaftung." /111/ Die Gründe sind für Will Teichert klar: Die Bürokratisierung des Alltags und Verrechtlichung der Daseinsvorsorge, Zentralisierungstendenzen und Funktionsverluste der Gemeinden, Legitimationsprobleme der Parteien und Verbände, Leistungsdefizite der Massenmedien. /112/ Und so wächst auch wieder das Interesse der Zuschauer an regionaler Berichterstattung, Regionalprogramme sind längst "das Standbein" im Überlebenskampf einer Anstalt. /113/

Seit 1954 gibt es regionale Berichterstattung auch im politisch so bedeutenden Medium Fernsehen. Der Bayrische Rundfunk strahlte damals erstmals die Münchner Abendschau aus. Die Tendenz zur Regionalisierung verstärkte sich in den 70iger Jahren, bestimmt vor allem durch die Entwicklung der 3. Fernsehprogramme der ARD zu regionalen Vollprogrammen. /114/ Später dann konnten sich auch die Privaten und das ZDF der Entwicklung nicht verschließen. Die Regionalisierung wurde zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor im dualen Rundfunksystem als 1988 in Hamburg mit RTL plus und SAT 1 Privatsender erstmals ein regionales Fenster einrichteten. /115/

Ohne lange auf die besonders bei Teichert ausführlich dargestellte Diskussion um den Begriff der Region einzugehen, ist es kaum mehr zu bestreiten, daß Regionalfernsehen heute weitgehend Landesfernsehen ist, auch wenn die Michelskomission feststellte, daß Rundfunkföderalismus und Länderföderalismus nicht identisch sein müssen. /116/ Eine länderzentrierte Programmpolitik entspricht wohl am ehsten den Interessen der Parteien, Verbände und staatlichen Institutionen. Nichtsdestotrotz soll Region hier verstanden werden, als ein Raum mit mindestens 500 000 Einwohnern dessen Höchstentfernung in 90 PKW Zeitminuten durchfahren werden kann. /117/ Subjektiv schlägt sich die Region als Bewußtsein von Zugehörigkeit (Wir- Gefühl) bei ihren Bewohnern nieder. /118/

Untersucht wurde regionales Fernsehen unter anderem von Karsten Renckstorf und Alex Ehmcke in ihrer vielbeachteten Studie zu den Landesprogrammen des NDR in Hamburg. Während sich der Hörfunk stärker mit Politik und Wirtschaft auseinandersetzt, dominieren beim Fernsehen die eher politikfernen Themen der unmittelbaren sozialen und kulturellen Umwelt, bei den Tageszeitungen die human intrest Themen. /119/ Nach einer Inhaltsanalyse der drei Medien wurde auch eine Publikumsbefragung und eine Gruppendiskussion über den Umgang mit regionalen Informationsangeboten durchgeführt. Tagesaktualität und

Information über Hintergründe und Zusammenhänge sind zentrale Erwartungen der Zuschauer. /120/

Ausgesprochen politische Themen sind wenig gefragt. Erst wenn sie Fragen der individuellen Lebensgestaltung beträfen, würden sie für den einzelnen interessant. Zu diesem Ergebnis kommt Will Teichert nach seiner Fallstudie zum Südwestfunk. Wichtig für die Befragten seien auch allgemeine Orientierungshilfe und Ratgeberleistungen sowie regional eingefärbte Unterhaltungsangebote. /121/ Wie die Studien zum NDR und zum Südwestfunk befaßten sich die Analysen regionaler Programmangebote bisher so gut wie nicht mit dem Problem der Politikdarstellung im Regionalen. Diese Arbeit versucht denn auch die Integration zweier bisher weitgehend getrennter Forschungsrichtungen: verbunden werden die inhaltsanalytischen Untersuchungen von Regionalsendungen und die spezielleren Erhebungen zur Darstellung von Politik im Fernsehen, die bisher fast ausschließlich am Beispiel der bundesweiten Nachrichtensendungen und politischen Magazine vorgenommen wurden.

Relevant ist diese Problemstellung vor allem ob der hauptsächlichen Funktion der regionalen TV-Berichterstattung, die, da besteht weitgehend Einigkeit, in der sozialen Orientierung gesehen wird. Regionales Fernsehen soll den Menschen helfen, sich in ihrem sozialen Umfeld zurechtzufinden. Politisch verstanden heißt Regionalfernsehen, demokratische Institutionen in der Region auf Beteiligungschancen hin zu untersuchen und wenn es sie gibt, exemplarisch darzustellen. Wenn die Zuschauer selbst sich in ihrem Regionalprogramm wiederfinden, wenn Bürgerinteressen, auch von Minderheiten, beachtet werden, dann bekommt Regionalfernsehen eine iminent politische, eine partizipatorische Dimension.

Bei der Regionalisierung des Fernsehens spielte die medienpolitische Absicht der Integration und Identitätsstiftung eine wichtige Rolle. Abseitsstehende sollten in das gesellschaftliche Leben einbezogen, zur Teilnahme motiviert und befähigt werden. /122/ Nur wenn die Medien Information als dafür nötige Voraussetzung zur Verfügung stellen, ist Partizipation denkbar. Die Regionalisierung in den alten Ländern sollte so nicht nur die Leistungsdefizite der Medien selbst kompensieren, sondern ein Stück weit auch die des politischen Systems selbst.

5.2. Regionalisierung in den neuen Ländern

Nach der Gründung der DDR 1949 wurde am 1.1.1952 der Rundfunk der DDR zentralisiert. Als 1956 das DDR-Fernsehen seinen Sendebetrieb aufnahm, war die prophagandistische und agitatorische Aufgabe dieses Mediums Ausgangspunkt für das Unterbleiben jeglicher Regionalisierungsbestrebungen um die politische Kontrollierbarkeit zu erleichtern. Sogar die Sportberichterstattung wurde politisch instrumentalisiert, wie die bemerkenswerte Dissertation von Heinz Florian Oertel, dem wohl bekanntesten DDR-Sportreporter, zeigt. /123/ Auch mit der Einführung des zweiten DDR- Fernsehens 1969 änderte sich an der zentralen Steuerung der totalitären Massenkommunikation in der DDR nichts. /124/

Ohne die vor allem bei Kathrin Welzel und Ernst Dohlus ausführlich dargestellte Entwicklung des DDR-Fernsehens noch einmal lückenlos nachvollziehen zu wollen, es ist unbestreitbar, die Wende war die Chance zur Abkehr vom politisch beherrschten Fernsehen hin zu einem wirklich unabhängigen Medium. Alles begann am 30.11.1989 mit der Auflösung der staatlichen Komitees für Rundfunk und Fernsehen in der DDR. Als im Dezember 1989 Hans Bentzien neuer Intendant, des einen Monat später zum öffentlich-rechtlichen Deutschen Fernsehfunk (DFF) umstrukturierten Senders wurde, gab es keine Regionalen Sendungen. /125/ Im März 1990 wurde erstmals ein Länderprogramm "Neues aus den Ländern" im DFF ausgestrahlt, um dem föderalen Charakter des Staatswesens Rechnung zu tragen. /126/

Mit dem Wegfall der Zensur entwickelte sich ein unabhängiger, junger, der Aufklärung verpflichteter Journalismus, der die Zuschauer wirklich informieren wollte, den öffentlichen Diskurs vorantreiben wollte. /127/ Relativ schnell scheiterte jedoch der Versuch, den DFF als drittes nationales TV-Programm zu erhalten, am Widerstand der Bundesregierung, der ARD-Anstalten und schließlich auch der DDR-Regierung. Das DDR-Fernsehen wurde allmählich nach westlichem Muster umstrukturiert. Die Ergebnisse des Regionalisierungsprozesses in den alten Ländern wurden dabei fast unverändert übernommen./128/ Die Chance wurde vertan, neue, von Politikern, Parteienherrschaft und Proporzdenken unabhängige Rundfunkstrukturen zu schaffen, meint Heinz Burghart. /129/ .

Während die Regionalprogramme ausgebaut wurden und die Entwicklung verstärkt in Richtung Ländermagazine nach westlichem Vorbild ging, wurde im Einigungsvertrag die Abwicklung des Deutschen Fernsehfunks bis zum 31.12.1991 festgelegt. Gemeinsam mit dem Rundfunk der DDR geht der Sender in der "Einrichtung" auf, zu derem Leiter gegen den Widerstand von Manfred Stolpe und der SPD Rudolf Mühlfenzel, der Mann Helmut Kohls, berufen wird. /130/ Am 15.12.1990 schließlich wird das ARD-Programm auf die 1. DFF-Kette aufgeschaltet. Die Einrichtung produziert ein Vollprogramm mit 6 Regionalfenstern für die einzelnen Bundesländer, die neue Länderkette, und liefert regionale Elemente dem ARD-Programm zu.

Es beginnen die Verhandlungen zwischen den Regierungen der neuen Länder um die Bildung von Mehrländeranstalten. Schon am 30.5.1991 unterzeichnen die CDU-regierten Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen den Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk, zu dessen Intendanten wenig später Udo Reiter gewählt wird. Der Sender sieht sich als Nachfolger der am 11.3.1924 gegründeten Mitteldeutschen Rundfunk AG (Mirag), die 1933 und 1952 quasi aufgelöst wurde. /131/ 3 Landesfunkhäuser sollen ab dem Sendestart des MDR am 1.1.1992 die Berichterstattung aus den 3 Ländern übernehmen. Die Landesprogramme der Landesfunkhäuser sollen das öffentliche Geschehen, die politischen Ereignisse, das kulturelle Leben sowie die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern darstellen und landesspezifisches Erscheinungsbild tragen. /132/ Im Fernsehbereich werden halbstündige Regionalmagazine konzipiert. Der Sachsen - Spiegel, das Thüringen - Journal und Sachsen - Anhalt heute werden vom 1.1.92 an jeden Abend 19.00 im MDR-Fernsehen gesendet. Außerdem werden von den Landesfunkhäusern Spartenmagazine, Gesprächssendungen TV-Features sowie je ein Hörfunkvollprogramm produziert.

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Ende der Leseprobe aus 95 Seiten

Details

Titel
Wahlberichterstattung im Regionalfernsehen
Hochschule
Universität Leipzig
Autor
Jahr
1995
Seiten
95
Katalognummer
V186761
ISBN (eBook)
9783869434933
ISBN (Buch)
9783869434056
Dateigröße
781 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wahlberichterstattung, regionalfernsehen
Arbeit zitieren
Dr. André Puffert (Autor:in), 1995, Wahlberichterstattung im Regionalfernsehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186761

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