"Planungen zur Evakuierung hochwassergefährdeter Gebiete der Stadt Kempten / Allgäu"


Masterarbeit, 2008

122 Seiten, Note: 2.2


Leseprobe


Gliederung

Titelblatt

Gliederung

1 Ziel der Arbeit

2 Hochwasserproblematik in Kempten
2.1 Hochwassersituation am Oberlauf der Iller bis Kempten
2.2 Historische Anmerkungen zu den letzten Hochwasserereignissen
2.3 Bisherige Konsequenzen für den technischen Hochwasserschutz
2.4 Annahmen für kommende Hochwasserereignisse
2.5 Überflutungsgebiete, Vorwarnzeit, betroffene Infrastruktur
2.6 Mögliche aktiv und passiv betroffene Personenkreise

3 Evakuierung bzw. Räumung bei Hochwasserlagen
3.1 Differenzierung „Evakuierung“ und „Räumung“
3.2 Indikatoren zur Warnung vor Hochwasser und Einleitung Evakuierung
3.2.1 Meteorologische Gegebenheiten
3.2.2 weitere mögliche Voraussetzungen / Gegebenheiten
3.3 Wasserstände / Fließgeschwindigkeiten / Pegelstandsänderungen
3.4 Vorwarnungen an betroffene Organisationen
3.5 Evakuierungsauslösung
3.6 Ablauf der Evakuierung
3.6.1 Betreuungsübersicht
3.6.2 Räumungs- und Evakuierungsvorbereitungen
3.6.3 Verkehrsplanung
3.6.4 Warnung und Information
3.6.5 Unterbringung
3.6.6 Transport
3.6.7 Aufnahme und Registrierung
3.6.8 unmittelbare Betreuung
3.6.9 Sicherung und Kontrolle
3.6.10 Versorgung und Evakuieren landwirtschaftlicher Betriebe
3.6.11 Rückführung
3.7 Konsequenzen, Nachbereitungen

4 Zusammenfassung

5 Materialien
5.1 Karten / Skizzen
5.2 Abbildungen / Photos
5.3 Texte
5.4 Tabellen
5.5 Abkürzungsverzeichnis

6 Literatur
6.1 Literatur
6.2 Persönliche Gespräche

7 Dank

1 Ziel der Arbeit

Während des Studienganges ,Katastrophenvorsorge / Katastrophenmanagement’ an der Universität Bonn erfolgte meine dienstliche Versetzung nach Kempten / Allgäu. Dabei nahm ich die Iller zunächst als friedlichen, flachen Bach wahr. Sowohl aufgrund eigener Anschauung als auch aufgrund von Erzählungen und anderen Ereignissen (Gedenkfeier am Ehrenmal zur Erinnerung an die ertrunkenen Soldaten der neuen Bundeswehr 1957) erfuhr ich, daß sie auch in Kempten ein dramatischer Gebirgsfluß sein konnte.

Hochwasser und Überflutungen in der Stadt traten immer wieder auf und sind trotz aller technischen Hochwasserschutzmaßnahmen auch für die Zukunft nicht auszuschließen.

Auf diese Weise wurde ich -sowohl als Neubürger in der Stadt als auch aus beruflichen Gründen- mit der Problematik eines sehr rasch auftretenden Flußhochwassers in der Stadt konfrontiert.

Damit ergaben sich die Überlegungen, welche Schritte einzuleiten seien, wenn dieses Er- eignis auftritt. Insbesondere unter Berücksichtigung der sehr kurzen Vorwarnzeiten, der gegebenen technischen Baumaßnahmen und der Einsicht, daß trotz aller Vorsichtsmaß- nahmen im Fall der Fälle eine schnelle Rettung von Menschenleben im Vordergrund ste- hen muß.

Zunächst sollen Determinanten möglicher Überflutungen von Bereichen des Stadtgebietes betrachtet werden und Schnittstellen der Entscheidungsabläufe identifiziert werden, um dann Lösungsvorschläge anzusprechen und eine vorbereitete Evakuierung veranlassen und ausführen zu können.

Dabei erscheint es durchaus möglich, dass auch vorgeschaltete Beratungsinstitutionen wie das Wasserwirtschaftsamt erkennen können, inwieweit bisher mögliche Vorwarnzeiten für einen effektiven Bevölkerungsschutz ausreichend sind.

Ob sich dabei Ideen zur Umsetzung im Kemptener Bereich ergeben, ist unabhängig hiervon zu bedenken und zu erproben.

Dabei erscheint es nicht sinnvoll, schon in diesem Zusammenhang auf die mögliche komplexe Konstellation von Mehrfachkrisen -z. B. die Problematik der Stromausfälle oder Umweltschäden bei Überflutungen mit all ihren Konsequenzen- einzugehen.

Zur besseren Lesbarkeit habe ich die Abbildungen und Karten im Text in reduzierter Größe eingefügt. Um Details erkennbar zu machen, sind sie in größerem Format dem Anhang „Materialien“ (Abschnitt 5) zusätzlich beigefügt.

2 Hochwasserproblematik in Kempten

2.1 Hochwassersituation am Oberlauf der Iller bis Kempten

Die schon in eiszeitlicher Zeit bestehende Iller war immer ein unberechenbarer Gebirgs- fluß, der die beträchtlichen Schmelzwassermengen der Gletscher in Richtung Donau führte. Sie stammt aus einem relativ engbegrenzten, geologisch einigermaßen homo- gen aufgebauten Einzugsgebiet in den Nördlichen Kalkalpen. Sie fließt in nördlicher Richtung und stellt aufgrund ihres flußmorphologischen Bildes in Bezug auf Gefälle, Ge- schiebeführung und Abflußschwankungen von der Quelle bis zur Mündung einen Fluß mit alpinem Charakter dar1.

Dabei war über lange Zeit kein festes Flußbett eingegraben und nach jedem Hochwasser hatte sich auch der Lauf immer wieder geändert. Erst nach Rückzug des Würmeises (ca. 115.000 bis 10.000 Jahre vor Christus)2 und dem Verlanden der entstandenen Seeflächen bildete sich der heutige Verlauf aus. Bis zur Korrektion des Illerursprunges besaß der Fluß eine Geschiebesohle3.

Die heutige Iller fließt über 147 km mit einem Höhenunterschied von 313 m von Oberstdorf bis zur Donau bei Ulm. Das Einzuggebiet beträgt etwa 2152 km2 4, über 900 km2 davon liegen bereits südlich von Kempten bis zum Ursprung hin5 und sind für die Betrachtung von besonderer Bedeutung (Karte 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 1 Einzuggebiet der Iller südlich Kempten (s. Abschnitt 5.1)

2.2 Historische Anmerkungen zu den letzten Hochwasserereignissen

Geht man in der Geschichte zurück, so sind besonders die herausragenden Hochwasserereignisse der Jahre 2005, 1999 und 1910 zu betrachten. Nichtsdestotrotz sind auch in den Jahrhunderten davor und z. B. auch in den Jahren 2000, 2001 und 2002 hohe Wasserstände der Iller und Überflutungen im Stadtgebiet aufgetreten6, dies insbesondere in Verbindung mit jeweils hohen Grundwasserständen7.

Um die Bedeutung solcher Ereignisse zu realisieren, soll am Beispiel des Ereignisses zu Pfingsten 1999 eine kurze Zusammenfassung gegeben werden, die dennoch die Viel- schichtigkeit des Phänomens andeutet8: Die südlich von Kempten gelegenen Flüsse schwollen innerhalb kürzester Zeit aufgrund eines massiven Dauerregens -verbunden mit der Schneeschmelze- stark an, was durch vorhergehende Sättigung der Wasseraufnah- mefähigkeit des Bodens durch kurz vorher niedergegangene Regenfälle verstärkt wurde. Innerhalb der zwei Tage des akuten Hochwassers traten infolgedessen Murenabgänge auf, fielen Strom und Telephonverbindungen großflächig im Landkreis aus, wurden Stras- sen gesperrt, das Immenstädter Krankenhaus mußte evakuiert werden. In Kempten stan- den ganze Stadtteile unter Wasser, wurden Straßen unterspült und unpassierbar, mußten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Darüber hinaus war die Trinkwasserversorgung gefährdet, trat Öl aus umgestürzten Heizöltanks aus, war die öffentliche Verwaltung einge- schränkt bzw. nicht verfügbar. Verdorbene Lebensmittel und Abfälle stellten eine weitere Gefährdung in Bezug auf Verletzungen, Erkrankungen und Folgeschäden dar (s. Abb 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Hochwasser in Kempten 1999 (s. Abschnitt 5.2)

Bereits aus dieser stark verkürzten Auflistung der Problematik wird erkennbar, daß die durch Hochwasser in Kempten auftretenden Folgen ausgesprochen vielschichtig sind und eine Vielzahl von Konsequenzen erfordern.

2.3 Erfolgte Konsequenzen für den technischen Hochwasserschutz

Gerade weil frühere Unterscheidungen in ,natürliche’ und ,menschengemachte’ Kata- strophen (,natural and man-made hazards’) heute nicht mehr zeitgemäß und aufrechtzu- erhalten sind -da aus dem Naturereignis ,Hochwasser’ erst durch Siedlungspolitik, Bau- vorschriften, Gewässerbereinigung usw. eine Katastrophe9 werden kann- , ist heutzutage zuerst ein wohlüberlegtes Flächenmanagement als Hochwasserschutz erforderlich und gesetzlich gefordert10.

Allerdings ist dieses im Bereich von Städten und bestehenden Bebauung nicht generell in nennenswertem Maß durchzuführen. Daher ist hier dann der technisch - bauliche Hochwasserschutz eine Möglichkeit, eine Schadensminimierung zu erreichen.

Aus diesen Gründen sind nach den verschiedenen großen Hochwasserereignissen (z. B. 1910) intensive Planungen eingeleitet worden, um im Stadtbereich die überfluteten Gebie- te zu reduzieren und Zeit zum Reagieren zu gewinnen. Zunächst waren die Planungen gut fortgeschritten, doch der erste Weltkrieg machte eine konsequente Realisierung unmög- lich.

Die deutlich später realisierten Maßnahmen erbrachten dann durchaus die gewünschten Sicherungseffekte, konnten allerdings nicht alle Eventualitäten einschließen. Im Rahmen der Planungen muß sogar von noch höheren Hochwassern ausgegangen werden als den beiden von 1999 und 2005, was zum Beispiel auch in der Rede zur Eröffnung des Flutpolders Weidacher Wiesen im Seifener Becken besonders ausgeführt wurde.11

Die baulichen Hochwasserschutzmaßnahmen, die nach 1999 in Angriff genommen wur- den, haben bereits 2005 ihre Effizienz bewiesen. Bei den für Kempten konzipierten Bau- maßnahmen wurde das Bemessungshochwasser12 und ein Freibord von 75 cm zu Grunde gelegt. Hierbei wurde für die Benennung des Überschwemmungsgebietes das Hochwas- ser von 1999 in Verbindung mit dem damals erst geplanten Polder Weidacher Wiesen als Planungsgrundlage angenommen. Diese entspricht dem HQ30013 der städtischen Verord- nung14.

Damit wurden logische Konsequenzen aus dem Jahr 1999 gezogen. Diese bezogen sich auf:

- natürlichen Rückhalt (erhalten, verbessern bzw. wiederherstellen),
- technische Hochwasserschutzmaßnahmen (verbessern, installieren),
- Hochwasservorsorge (Freihalten Überschwemmungsgebiete, Warnungssysteme aktualisieren, Vorsorge),
- Verbesserung Schadenabwehr (Ergänzung Ausstattung, Ausbildung)15.

Die geplanten und durchgeführten Maßnahmen haben ihre Bewährungsprobe im Jahr 2005 bestanden. Wesentliche Teile der links der Iller gelegenen Stadtgebiete konnten vor einer erneuten Überflutung bewahrt werden, ohne sie völlig verhindern zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 2 Hochwassermauer (rot) im Jahr (s. Abschnitt 5.1)

Bei einem Vergleich stellt sich zum Beispiel im Bereich des neben der Iller gelegenen Feuerwehrgebäudes, in dem auch der Krisenstab arbeitet, einerseits die Rückhaltewirkung heraus, andrerseits aber auch die bereits 2005 grenzwertige Höhe der Maßnahmen dar (Abb. 2 & 3). Bei einem höheren Pegelstand wäre erneut mit einer Überflutung des Gebietes zu rechnen und die Einsetzbarkeit der vorhandenen Fahrzeuge sowie die fortgesetzte Erreichbarkeit des Krisenstabes der Stadt zu prüfen (Karte 3).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 Hochwasser in Kempten 1999, Feuerwehr (s. Abschnitt 5.2)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Hochwasser in Kempten 2005, Feuer- wehr (s. Abschnitt 5.2)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 3 Detail Gelände Feuerwehr / Krisen- stab gemäß Simulation 2005+ (s. Abschnitt 5.1)

Ebenfalls zu den Konsequenzen gehört meines Erachtens die weiter zunehmende Abkehr von der Benutzung des Begriffes ,Jährlichkeiten’ in der Bewertung der Hochwasserereignisse. Dabei wurde eine rein statistische Größe mit allen Risiken statistischer Verfahren auf die Zukunft extrapoliert und gegebenenfalls für die „grobe Einschätzung der Rechtsprechung“ benutzt16. Wesentlich zielführender erscheint die Nutzung des ,flußmengendefinierten Hochwassers’17, wobei damit -durch die genauere Korrelation von Pegelhöhen und Durchflussmengen- bessere Prognosen möglich sind.

2.4 Annahmen für kommende Hochwasserereignisse

Verglich man die beiden letzten großen Hochwasser von 1999 und 2005, so waren die Überflutungen nicht nur von den Wassermengen sowie der Menge der Niederschläge ab- hängig, sondern auch von der Intensität und Heftigkeit der Niederschläge, der vorher be- stehenden Sättigung des Bodens und des Grundwasserstandes. Hinzu kamen bauliche Maßnahmen im Bereich der vorhandenen Retentionsflächen und deren kommerzielle oder private Nutzung18.

Ebenso wurde in persönlichen Gesprächen mit dem Amt für Brand- und Katastrophen- schutz der Stadt Kempten sowie dem Wasserwirtschaftsamt (WWA) Kempten auf die Tat- sache hingewiesen, daß im Hinblick auf die angenommenen Klimaveränderungen durch- aus mit höheren Wassermengen und damit, trotz der baulichen Schutzmaßnahmen, wei- terhin mit Überflutungen zu rechnen sein wird. So waren bereits beim Hochwasser vom August 2005 die eingeplanten Sicherheitszuschläge (Freibord) bis an die Grenzen aus- geschöpft worden19. Dies wird an Hand des als Abbildung 4 eingefügten Bildes klar belegt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 Ausschöpfung Freibord (s. Abschnitt 5.2)

Darüber hinaus hatte sich gerade im Rahmen des Hochwassers von 2005 herausgestellt, daß die Annahme, Starkregen bzw. eine kritische Regendauer von etwa sechs Stunden mit hoher Intensität in einem größerflächigen Gebiet nicht zu einem Hochwasser führen konn- ten, ein Irrtum war. Zumindest gilt dies für den Bereich der Iller südlich Kemptens20, bei dem der bereits erwähnte Gebirgsflußcharakter in die Erwägungen einbezogen werden mußte.

2.5 Überflutungsgebiete, Vorwarnzeit, betroffene Infrastruktur

Die Stadt Kempten ist eine kreisfreie Stadt, die für den Hochwasserschutz und seine Bewältigung selber zuständig ist. Der Landkreis Oberallgäu in Sonthofen kann und darf diese Funktion nicht übernehmen21.

Im Jahre 2006 legte daher die Stadt Kempten das Überschwemmungsgebiet auf Stadtgebiet im Rahmen des Stadtrechtes in einer neuen Verordnung fest.

Sie legte dabei zwischen Stromkilometer 104,115 / Bereich ehemalige Spinnerei / Weberei und Stromkilometer 93,960 / Grenze zu Gemeinden Lauben und Altusried als Hochwassergebiet fest. Und zwar lediglich die Gebiete beiderseits der Iller, die einem dreihundertjährlichen Hochwasserereignis (HQ300) überflutet werden könnten22 (Karte 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 4 Hochwasser HQ300 , Stadt Kempten (s. Abschnitt 5.1)

Entsprechend den Erfahrungen des Jahres 2005 wurde davon ausgegangen, daß das ei- gentliche Stadtgebiet nicht mehr so ausgeprägt gefährdet sei, da es nach § 2.3 der Ver- ordnung durch die Hochwasserschutzeinrichtungen in Form von Mauern und Deichen be- grenzt wird23. Nichtsdestotrotz sind auch weiterhin bereits vor einem geringer ausgepräg- tem Hochwasser entsprechende Maßnahmen zu treffen, z. B. wegen der erforderlichen, vorgeschriebenen Verkehrssicherung und auch wegen der Möglichkeit der Verlegung der Brückendurchflüsse mit konsekutivem Rückstau und Erhöhung des Wasserspiegels (,Ver- klausung’).

An Hand erstellter GIS (Geoinformationssystem) - Karten sowie persönlicher Aussagen der Vertreterr des Wasserwirtschaftsamt Kempten, des Geoinformations- & Vermessungs- service und des Amtes für Brand- und Katastrophenschutz der Stadt Kempten erschien es jedoch sinnvoll und erforderlich, über die letzten Hochwasser hinauszudenken und zu überlegen, welche Gebiete darüber hinaus bedroht sein und weiterer Schutzmaßnahmen bedürfen könnten.

Hierbei legte ich die Computerannahmen der Stadt Kempten zu Grunde, die angestellt wurden, um diese Gebiete zu visualisieren und entsprechende Konsequenzen zu formulieren. Dabei stelle ich zunächst die Karte HQ5 als fast ,normaler Flußverlauf’ der Iller dieser Simulation gegenüber (Karten 5 & 6):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 5 Stadt Kempten, Hochwasser HQ5 (s. Abschnitt 5.1) 2005plus

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 6 Stadt Kempten, Hochwasser Simulation (s. Abschnitt 5.1)

Meines Erachtens war es dabei planerisch sinnvoll, das von der Stadt festgelegte Gebiet in drei Abschnitte zu untergliedern:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 24

Dies erschien sowohl durch die deutlich unterschiedliche Besiedlung der einzelnen Bereiche wie auch wegen der offensichtlich unterschiedlich weiten Strecken bis zu einem sicheren, hochwasserfreien Platz erforderlich.

Nördlich der Nordbrücke sind gering besiedelte Bereiche, teilweise mit landwirtschaftlicher Nutzung sowie Tierhaltung, sodaß hier die Problematik geringer ausgeprägt erscheint.

Rechts der Iller (ostwärts) liegt ein schmaler, langgezogener Streifen im Hochwasserbereich, der auf kurzen Wegen verlassen werden kann und bei dem innerhalb von etwa 2 - 300 m bereits hochwassersichere, höhere Geländeabschnitte erreichbar sind.

Die wesentliche Problematik erscheint links der Iller (westlich) zu sein: stark besiedelte und wirtschaftlich intensiv genutzte Flächen. Aber auch hier sind hochwassersichere Ge- biete aufgrund der geographischen Lage in überschaubarer Entfernung von maximal 1 km.

Infolgedessen betrachtete ich diese drei Bereiche jeweils separat, da sich deutliche Differenzen in den erforderlichen Maßnahmen ergeben.

Aufgrund der derzeit vorhandenen technischen Möglichkeiten, Erfahrungen, Simulationen und Rechnerkapazitäten bestehen nach Ansicht des WWA Kempten realistische Vorwarnzeiten von etwa acht bis zehn Stunden nach Prognoseerstellung25.

2.6 Mögliche aktiv und passiv betroffene Personenkreise

Zur Abschätzung der betroffenen Personenkreise sollte zwischen den direkt oder aktiv Betroffenen und den indirekt oder passiv Betroffenen unterschieden werden.

Mit ,direkt Betroffenen’ sind einerseits die unmittelbar in den überfluteten Gebieten Lebenden oder Arbeitenden gemeint, die in persönlicher Gefahr sind. Hierzu gehören natürlich auch diejenigen, die hier in Krankenhäusern und Heimen untergebracht sind und gegebenenfalls zusätzlich auf fremde Hilfe angewiesen sind.

Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, festzustellen, welche Einrichtungen im definierten Überschwemmungsbereich gelegen sind und daher einem besonderen Risiko ausgesetzt sind:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Bezüglich der Lage zueinander, auch im Verhältnis zu den später erwähnten Notunterkünf- ten, ist Karte 10 (s. Abschnitt 5.1) heranzuziehen.

Bei den potentiell betroffenen Einrichtungen, die ich feststellen konnte, bestand eine deutliche Spannweite bezüglich der Bewohner und deren relevante Handicaps. Von keinerlei Transportbedarf, da alle selber in sichere Bereich gehen können (Sozialmedizinische Zentrum) bis hin zum großen Altersheim, in dem die überwiegende Mehrheit nicht mehr sit- zend bzw. mit Beatmung transportiert werden müßte, und einer ,geschlossenen Abtei- lung’ des Bezirkskrankenhauses, bei der gesetzliche Auflagen bezüglich der kontinuier- lichen Betreuung / Überwachung einzelner Patienten sichergestellt bleiben muß.. Auch dies sprach für eine frühzeitige Information / Warnung, um ausreichend Zeit für die Durchführung einer Evakuierung nutzen zu können.

Die ,indirekt Betroffenen’ leben bzw. befinden sich nicht in unmittelbarer Lebensgefahr, sind aber in gewisser Weise ebenso befaßt durch möglichen Ausfall von Energie, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, gegebenenfalls fehlendem Zugang zu Arbeitsstätten oder auch durch freiwillige bzw. gesetzlich vorgeschriebene Aufnahme direkt Betroffener sowie durch Einsatz als Helfer.

Insbesondere dieser zweite Personenkreis ist zahlenmäßig wesentlich schwieriger zu erfassen, da er in der vorherrschenden Hektik kaum ausreichend dokumentiert bzw. erfaßt wird und häufig durch eine rasche Aufhebung eine Katastrophenzustandes aus der weiteren Unterstützung und Betreuung herausgenommen wird.

3 Evakuierung bzw. Räumung bei Hochwasserlagen

Die Begründung für diese Masterarbeit wurde nach dem Hochwasser 1999 von Hensler in durchaus pointierter Art im „Altstadtbrief 26 / 1999“ kommentiert: Seiner Meinung nach hätte unzureichende Vorwarnung, unzureichende Information, unzureichende Maßnahmen der Einsatzleitung und fehlende Vorbereitungen vorgelegen37.

Ein solch zurückschauender Blick mochte zwar von einem unmittelbar Betroffenen ver- ständlich sein, half für die Zukunft nicht weiter und bedurfte Konsequenzen im Bereich der Lagefeststellungen und vorausschauenden Planungen.

3.1 Differenzierung ,Evakuierung’ und ,Räumung’

Bevor hier die Begriffe ,Räumung’ und ,Evakuierung’ betrachtet werden, sollte zuvor die klare Definition einer Katastrophe angeführt werden. Gemäß DIN 13050 erfolgt zunächst die Differenzierung zwischen ,Großschadenereignis’ und ,Katastrophe’:

„Großschadensereignis (DIN 13050 - 3.10): „Ein Ereignis mit einer so großen Anzahl von Verletzten oder Erkrankten sowie anderen Ge- schädigten oder Betroffenen, daß es mit der vorhandenen und einsetz- baren Vorhaltung des Rettungsdienstes nicht bewältigt werden kann.”

Katastrophe (DIN 13050 - 3.12): „Ein Schadenereignis mit einer Zer- störung der örtlichen Infrastruktur. Es kann mit den Mitteln und Einsatz- strukturen des Rettungsdienstes alleine nicht bewältigt werden.““38

Im Rahmen dieser Arbeit ließ ich die sprachlich-semantische Betrachtung und Entscheidung, ob ein Hochwasserereignis für die Gesamtstadt Kempten ein Großschadenereignis oder eine Katastrophe sein wird, unbeantwortet. Die hierbei zu wertenden, unterschiedlichen Definitionen bezüglich der Zerstörung von Infrastrukturen versus der akuten Überforderung von Material und Personal der Hilfeleistungsstrukturen waren zwar relevant, führten aber in diesem Zusammenhang nicht weiter.

Wichtiger erschien mir die psychologischen Aspekte eines solchen Ereignisses:

„Der Begriff der Katastrophe ist gegenwärtig sowohl politisch als auch im individuellen Verständnis von Menschen unterschiedlich definiert. Für Organisationen und Behörden mit Sicherheitsaufga- ben mag die Katastrophe bei einem Massenanfall von Verletzten beginnen, für den Einzelnen kann der Verlust eines vertrauten Menschen oder seines Arbeitsplatzes eine persönliche Katastrophe sein. Dazu kommt, dass wir in unserer Gesellschaft offenbar sehr weitgehend verlernt haben, mit menschlicher Begrenztheit und Endlichkeit umzugehen und dem Wahn erlegen sind, dass Un- glücke größeren oder größten Ausmaßes grundsätzlich andere treffen.

Im hier zur Debatte stehenden Sinn meint Katastrophe ein Ge- schehen, das auf verschiedenen Ebenen (z.B. intellektuell, emo- tional, körperlich, logistisch, technisch) die gängigen menschlichen Lebens- und Krisenbewältigungsmuster extrem fordert oder über- fordert.“39

Auch wenn im allgemeinsprachlichen Umgang beide Begriffe (,Evakuierung’ und ,Räu- mung’) weitgehend synonym verwandt werden, ist für die weitere Betrachtung doch der Versuch einer möglichst trennscharfen Differenzierung meines Erachtens sinnvoll. Insbesondere geht es hierbei um die Verwendung dieser Begriffe im Krisenstab und bei den beteiligten Hilfsorganisationen.

Im Kontext dieser Arbeit verstand ich unter ,Räumung’ das unvorbereitete, ungeplante Verlassen von Gebäuden, Gebieten bzw. Bereichen; dieses ist in der Fachwelt am Verbrei- testen. Hierbei konnte zusätzlich noch zwischen ,Retten’ (Personen in Sicherheit brin- gen) und ,Bergen’ (Tiere und Sachen in Sicherheit bringen) differenziert werden40.

Bei einer ,Evakuierung’ handelte es sich um einen im Voraus geplanten Vorgang der Entfernung von Personen, ggf. auch Tieren und Gegenständen, aus einem gefährdeten Gebiet, was zusätzlich auch die Versorgung, Registrierung und Rückführung beinhaltete.41 Dabei war es aus einsatztaktischer Sicht zunächst einmal unerheblich, ob und wie lange die Gefahr bestehen oder andauern wird.

Insbesondere war hierbei der klarstellende Artikel von Wolf hilfreich, der ebenfalls eindeutig zwischen beiden aus pragmatischer Sicht unterscheidet:

„Räumung: Das schnelle In-Sicherheit-Bringen von Personen aus einem akut gefährdeten Bereich.

Evakuierung: Das längerfristige Verbringen von Personen aus einem gefährdeten oder zerstörten Bereich in einen intakten Bereich mit gleich- wertiger Versorgungsmöglichkeit aufgrund einer übergeordneten Ent- scheidung.“42

Hierbei wurde eine brauchbare Definition vorgestellt, die dennoch nicht festgelegt, ob diese Evakuierung endgültig oder befristet stattfinden mußte bzw. ob in jedem Fall die Versorgung sofort gleichwertig sein konnte oder ob eine Rückführung möglich war.

Hiermit waren aber bereits eine Reihe der Aufgaben vorgegeben, die im Rahmen einer Evakuierung bzw. der Planung dazu von Bedeutung sind, insbesondere da im Hochwasserfall Zeit eine besondere Mangelressource sein wird:

- Kenntnis der wahrscheinlich Betroffenen und deren Zahl,
- Alarmierung / Warnung im Vorfeld,
- Bereitstellung / Vorplanung von Transportkapazitäten, ggf. auch für nicht gehfähige Personen,
- Bereitstellung des erforderlichen, schichtfähigen Personals der Hilfsdienste,
- Aufenthaltsorte in einem sicheren, intakten Umfeld,
- gleichwertige Versorgung, ggf. über einen längeren Zeitraum,
- spezielle Versorgung aufgrund der Katastrophe in Hinsicht auf medizinische und notfallpsychologische Bereiche,
- Registrierung / Dokumentation,
- Information von Presse, Angehörigen, …
- Rückführungsplanung und
- Überprüfung der geplanten sowie durchgeführten Maßnahmen auf ihre Ef- fizienz.

3.2 Indikatoren zur Warnung vor Hochwasser und Einleitung Evakuierung

Aufgrund der ständigen Beobachtungen und kontinuierlichen Berechnungen des zuständigen Wasserwirtschaftsamtes Kempten, verbunden mit den geographischen Kenntnissen der Region, können an Hand der meteorologischen Bedingungen und der Pegelstandsänderungen Warnungen erarbeitet und weitergegeben werden.

3.2.1 Meteorologische Gegebenheiten

Wie schon bei der kurzen Beschreibung des Hochwassers von 1999 angedeutet worden war, waren die wesentlichen Ursachen eines Hochwassers im Bereich des Oberlaufes der Iller -schon bei Greiving formuliert43 - anhaltende Regenfälle im Einzugsgebiet südlich von Kempten. Je nach Dauer der Regenfälle bzw. bei Starkregenfällen wurde immer wieder die Speichereigenschaft des Bodens überstiegen.

Dabei spielte die sogenannte ,Vb-Wetterlage’ eine besondere Rolle. Hierbei entwickelte sich im Bereich der polaren Frontalzone eine weit südlich reichende Ausbuchtung. Da- durch gelangte in einem Tiefdruckgebiet aus dem Mittelmeerraum (Oberitalien / Adria) feuchte Luft nach Bayern, traf auf entsprechend kältere Luftmassen, kondensierte und regnete aus. Sollte hierbei zusätzlich eine Stauwetterlage an den ostbayrischen Mittelge- birgen herrschen, so konnte es dementsprechend zu besonders stark ausgeprägten (Starkregen) , hochwasserauslösenden Niederschlägen kommen44.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5a „Vb - Wetterlage“ (s. Abschnitt 5.2)

Je nach Jahreszeit kam hier die auch die Schmelzschmelze im Hochgebirge des Einzugsgebietes mit entsprechend freigesetzten Wassermengen hinzu.

3.2.2 weitere mögliche Voraussetzungen / Gegebenheiten

Aufgrund des großräumigen Einzuggebietes der Iller südlich von Kempten waren selbst Starkregenlagen, die sich nicht unmittelbar um die Stadt selber ereigneten, von Bedeu- tung. Darüber hinaus war immer zu berücksichtigen, daß aufgrund der Fließgeschwindig- keit und des Gerölleintrages in den Fluß Geröllbewegungen zu Ablagerungen führten, die zu einem späteren Zeitpunkt die Abflußeigenschaften deutlich verändern konnten.

Ebenso mußte einkalkuliert werden, daß durch vorher gefallene Niederschlagsmengen ei- ne entsprechende Vorsättigung des Bodens und ein hoher Grundwasserstand vorliegen konnte45.

Dabei wirkte sich hochwasserreduzierend aus, daß nördlich von Kempten zunächst geringer besiedeltes Gebiet folgt, kaum Abflußhindernisse für die Wassermassen gelegen sind und flußaufwärts südlich der Stadt, intensive bauliche Hochwassermaßnahmen mit ausgeprägten Retentionsflächen bereits vor dem Abschluß stehen.

Eine weitere, heutzutage eher spekulative Möglichkeit waren wetterbedingten Muren-, Gesteinsabgänge an den teilweise vorhandenen Steilufern der Iller, die die Abflußeigenschaften behindern könnten bzw. die Stauung verstärken könnten.

Ebenso mußte die eher theoretische Möglichkeit erwähnt werden, daß die Steuerung der neuerrichteten Polder (z. B. Weidacher Wiesen) im Ernstfall nicht präzise genug erfolgen kann. Dies könnte bedeuten, daß der Polder zu früh geöffnet wird und daher bei Eintreffen der Scheitelwelle bereits gefüllt ist. Dies hätte zur Folge, daß die Welle ungebremst in Kempten eintrifft und dort die befürchteten Hochwasser auslöst, die das HQ500 des Jahres 2005 noch übersteigen würden46. Äußerungen des Bundes für Naturschutz gingen in diese Richtung und postulierten, daß trotz der Polder Hochwasserereignisse zu deutlichen Überflutungen in Kempten und Neu - Ulm führen werden47.

3.3 Wasserstände / Fließgeschwindigkeiten / Pegelstandsänderungen

Entsprechend den Aussagen des WWA Kempten, werden die Pegelstände und Wasserdurchflußmengen kontinuierlich gemessen und im Rahmen von Simulationen für Vorhersagen, aber auch für das eigene Monitoring, genutzt.

Aufgrund einer üblicherweise direkten Korrelationen zwischen Abflußmenge der Iller und den jeweiligen Pegelständen ist eine entsprechende Genauigkeit gegeben (,flußmengendefiniertes Hochwasser’). Lediglich in größeren Jahresabständen ist die Korrektheit der Pegelangaben zu überprüfen und gegebenenfalls zu berichtigen48.

Allerdings ist derzeit noch zu berücksichtigen, daß bei Extremereignissen die Auswertung im Nachhinein ergab, daß der Vergleich der Niederschlagsprognosen mit dem tatsächlichen Verlauf, die damaligen Modellrechnungen in diesem Gebiet die Ereignisse nicht exakt genug vorhersagen konnten49. Fortschritte lassen sich hier von verbesserten Programmen und größerer Rechnerleistung erwarten.

3.4 Vorwarnungen betroffener Organisationen, Auslösung

Zeichnet sich aufgrund der Situation ein Hochwasser ab, so sollte zu diesem Zeitpunkt ein abgestimmtes Vorgehensschema vorhanden sein, da dies ein gemeinsames Verständnis ermöglicht und jederzeit nachvollziehbare Handlungen ersichtlich werden.

Das nachstehende Flußdiagramm soll ein initiales, rudimentäres Schema dieser Art sein, daß immer wieder verfeinert werden kann, daß auf seine Folgerichtigkeit durch die handelnden Personen überprüft werden muß und gerade in der Anfangsphase Handlungssicherheit geben kann. Die Lesbarkeit kann durch die Einführung von Unterprogrammen / Prozessen gegebenenfalls verbessert und übersichtlicher werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Unabhängig von der generellen Wetterbeobachtung erfaßte das zuständige WWA Kempten ständig die Lage der Iller in Hinsicht auf die Pegelstände und Abflußmengen.

Am Anfang der Annahmen und Lagebewertung steht das WWA Kempten mit der kontinuierlichen Beobachtung des Illerdurchflusses und der aktuellen Wetterbedingungen sowie der künftigen Wetterprognosen. Danach werden zunächst die Niederschlagsankündigungen der nächsten drei bis fünf Tage in Simulationen und Prognosen umgesetzt und bewertet. Gegebenenfalls entstehen dadurch Vorwarnungen für die Stadt Kempten, die daraufhin bereits erste Organisationsmaßnahmen einleiten und umsetzen kann. Hier ist mit einem Zeitansatz bzw. einem Vorlauf von etwa acht bis zehn Stunden zu rechnen. Weitere (abendliche) Prognosen erhöhen dabei die Genauigkeit der Bewertungen und münden unter Umständen bereits in einer präziseren Warnung.

In einem zweiten Schritt werden die dann tatsächlich gemessenen Niederschläge im Sü- den Kemptens mit den Prognosen verglichen und die Genauigkeit der Vorhersage weiter erhöht.

Mit weiterer zeitlicher Verzögerung -der Konzentrierungszeit- können danach die Abfluß- pegel südlich Kemptens durch Erfassen der Abflußspitze noch präziser gemessen werden und damit Prognosen ermöglichen, die den erforderlichen Maßnahmenumfang noch gerichteter werden lassen.

Die Ergebnisse und die daraus abgeleiteten Prognosen für die kommenden Stunden werden der Stadt Kempten kontinuierlich zur Verfügung gestellt bzw. sind nach der Vorwarnung über den bayrischen Hochwassernachrichtendienst abzurufen. Hierbei ist insbesondere die Bewertung wichtig, ob es sich voraussichtlich um ein ,Bemessungshochwasser’ handelt, bei dem die Konsequenzen und Maßnahmen geringer ausgeprägt bleiben werden, oder ob es bei einem ,Extremhochwasser’ darüber hinaus geht wird.

Unabhängig von der Prognose ist die kreisfreie Stadt Kempten als verantwortliche untere Katastrophenschutzbehörde dann für die Einleitung und Umsetzung erforderlicher Maßnahmen verantwortlich.

In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, die Definitionen der in Bayern geltenden Hochwassermeldestufen kurz anzugeben:

- „Meldestufe 1: Stellenweise kleinere Ausuferungen
- Meldestufe 2: Land- und forstwirtschaftliche Flächen überflutet oder leichte Verkehrsbehinderungen auf Hauptverkehrs- und Gemeindestraßen
- Meldestufe 3: Einzelne bebaute Grundstücke oder Keller überflutet oder Sperrung über- örtlicher Verkehrsverbindungen oder vereinzelter Einsatz der Wasser- oder Dammwehr er- forderlich
- Meldestufe 4: Bebaute Gebiete in größerem Umfang überflutet oder Dammwehr in großem Umfang erforderlich“50.

Auf den Pegel Kempten bezogen bedeutet dieses:

- Meldestufe 1 bei einem Wasser- / Pegelstand von 350cm,
- Meldestufe 2 bei 400cm,
- Meldestufe 3 bei 450cm und
- Meldestufe 4 bei 550cm51.

Damit verbunden ist unter anderem

- ab 400cm (Meldestufe 2) die Gefährdung der Trinkwasserversorgung,
- ab 450cm (Meldestufe 3) die Gefährdung des Illersteges sowie die Über- flutung des Weidacher Weges52.

Im Rahmen einer vorausschauenden Planung ist im Vorhinein der Zeitpunkt festzulegen, zu welchem Termin weitere Schritte einzuleiten sind. Bereits mit Erreichen der Hochwassermeldestufe 1 wird der Krisenstab der Stadt alarmiert und aktiviert. Darüber hinaus sind die örtlichen Hilfsorganisationen und Behörden vorab zu informieren. Aufgrund einer solch frühen Einbindung dieser Organisationslagezentren / -leitstellen werden eigene Vorplanungen und Abschätzungen der eigenen personellen und materiellen Ressourcen möglich, Krisenpläne aktualisierbar und auf die erwartete Lage anpaßbar.

Ebenso sollten zu diesem Zeitpunkt bereits einzelne Bürger und Institutionen in exponierter Lage informiert werden (Höfe im nördlichen Bereich sowie bestimmte Heime, die ältere und kranke Bürger betreuen).

Im weiteren Verlauf eines Hochwassers sind vorgeplante Schritte von den jeweils zustän- digen Stellen / Behörden auszulösen, die der Sicherung der Stadt und ihrer Bürger dienen.

Reichen die vorhandenen und eingesetzten technischen Maßnahmen in der absehbaren Folge nicht aus, so muß die Frage der Evakuierung bestimmter Gebiete gestellt und beantwortet werden.

3.5 Evakuierungsauslösung

Im Rahmen der möglichen Notwendigkeit der Auslösung einer Evakuierung eines oder mehrerer der von mir unterschiedenen Gebiete des Hochwasserbereiches der Stadt Kempten53, halte ich es für wichtig festzustellen, daß sich die Stadt und ihre Verwaltung auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren, den rechtlichen Rahmen und Hintergrund schaffen sowie die Ausführung koordinieren und überprüfen sollte. Redundante Kapazitäten können auf diese Weise vermindert werden und den Beauftragten (z. B. BRK, THW) Planungsklarheit und -kompetenz zugesprochen werden. Die Einbindung in ein Gesamthilfesystem ist dann wiederum unter Führung der Stadt zu leisten.

Um die politisch bedeutsame und in ihren Konsequenzen folgenschwere Entscheidung zu treffen, sind eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem:

- eigene und fremde Beiträge zur Lagefeststellung und als Bestandteil der Lage- beurteilung,
- Hochwasserprognosen,
- betroffene, zu evakuierende Gebiete,
- zur Verfügung stehende Zeit,
- Kräftepotential und Transportkapazität und
- Gefährdungs- und Risikoabwägung54.

Am Anfang steht zunächst die frühzeitige Information der Stadtführung und die Einberu- fung des vorgeplanten / vorbenannten Krisenstabes bzw. Katastropheneinsatzleitung. Hier spielt selbstverständlich das WWA eine wesentliche Rolle. Dieses erstellt entsprechende Prognosen, die eine Integration aus Wasserständen, Flußmengen, Berechnungen, Simulationen und meteorologischen Daten darstellen.

An Hand dieser Prognosen erfolgt die gemeinsame Auswertung der Lage zwischen WWA und Stadt. Während das WWA eine wichtige, mitentscheidende Beraterfunktion wahr- nimmt, stellt die Stadt mit ihrem Krisenstab die kontinuierliche Lageauswertung, -beurtei- lung und -entscheidung mit ihren rechtlichen und finanziellen Konsequenzen entsprechend den gültigen Gesetzen sicher.

Den folgenden Auswertungen und Betrachtungen lege ich GIS - Daten und Angaben des Einwohnermeldeamtes der Stadt Kempten vom Oktober 2008 zu Grunde. In den drei se- parat von mir betrachteten Bereiche des von der Stadt ausgewiesenen Hochwassergebie- tes (s. Abschnitt 2.5) leben je nach Höhe des zu erwartenden Pegelstandes mindestens folgende Personen:

1. nördlich der Brü>In diesem Bereich lassen sich die wenigen Bewohner recht eindeutig auf drei

Häuser / Häusergruppen lokalisieren. Einerseits der Bauernhof der Familie Kirchmaier; den Reiterhof Kraemer sowie zwei Häuser links der Iller unmittelbar in der Nähe der Nordbrücke. Die links der Iller gelegene Schrebergartensiedlung und die Lagerhalle in der Nähe des Adenauerringes können nicht als dauerhaft oder regelmäßig bewohnt eingestuft werden.

In einer weiteren GIS-Verschneidung konnte festgestellt werden, dass von diesen 14 Einwohnern 6 Personen über 70 Jahre alt sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 11

2. rechts der Iller (ost): ~ 250 Personen (Karte 12, s. Abschnitt 5.1)

Innerhalb dieses Gebietes leben zu 80% deutschsprachige und zu etwa 10% Personen, die osteuropäische, russische und asiatische (ehemalige UdSSR, z. B. kasachisch) Sprachen als Muttersprache sprechen. Hier sind 80 Personen über 70 Jahre alt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Karte 12

3. links der Iller (west): ~ 3300 Personen (Karte 13, s. Abschnitt 5.1)

Hier leben zu etwa 70% Menschen deutscher, etwa 5% italienischer und etwa 10% mazedonischer Herkunft. Von diesen etwa 3300 sind 503 Personen über 70 Jahre alt. Dies ist hier be- gründet in mehreren, in diesem Areal gelegenen Altenheimen.

Karte 13

Die jeweils fehlenden Prozentzahlen verteilen sich auf eine Vielzahl verschieden großer Gruppen unterschiedlicher Muttersprachen, teilweise auch auf Einzelpersonen.

Die Alterauswertung bezüglich der über Siebzigjährigen beruht auf einer sicherlich willkürlichen Annahme. Sie wurde postuliert, um einen Anhalt zu gewinnen, wie groß der Personenkreis sein könnte (Tabelle 1, s. Abschnitt 5.4), der altersbedingt auf einen Transport mit Kraftfahrzeugen / Bussen angewiesen sein könnte. Auch wenn sich ältere Mitbürger durchaus aus eigener Kraft sowie im Rahmen der Verwandtschafts- und Nachbarschaftshilfe aus dem Gefahrenbereich entfernen können und vielfach auch werden.

Für die weiteren Betrachtungen halte ich es für sinnvoll, diese Zahlen als größtmögliche Anzahl von Betroffenen zu Grunde zu legen, um sinnvolle Annahmen zu treffen. Je nach Wochentag und Tageszeit können jedoch geringere Zahlen vermutet werden (z. B. je nach Tageszeit, Urlaub, Wochenendabwesenheiten, Arbeitstätigkeit).

3.6 Ablauf der Evakuierung

Sofern aufgrund der Prognosen ein Hochwasser mit Überflutungen des Stadtgebietes mit ausreichend sicherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, sind frühzeitig entsprechende Maßnahmen zu veranlassen. Im Hinterkopf muß erhalten bleiben, daß im August 2005, als im Grunde noch von einem Bemessungshochwasser gesprochen werden konnte, bereits 192 Senioren aus zwei Altenheimen und 48 Patienten aus dem Bezirkskrankenhaus in si- chere Gebiete gebracht werden mußten55.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 Evakuierte Gebiete 2005: betroffen Bezirkskrankenhaus, Altenheime, betreutes Wohnen (s. Abschnitt 5.2)

Die vorgegebene Reihenfolge der Maßnahmen umfaßt zunächst Vorbereitung und die grundsätzliche politische Entscheidung, aufgrund von Wetter- und Hochwasserprognosen sowie entsprechender Lagebeurteilungen, Teile der Stadt Kempten zu evakuieren. Formal können erst hiernach die entsprechenden Fachgruppen tätig werden, auch wenn hier sicherlich bereits Entscheidungen vorbereitet worden sind. Diese Sachgruppen lassen sich im Wesentliche untergliedern in:

- Räumungs- / Evakuierungsvorbereitungen,
- Verkehrsplanung,
- Warnung & Information,
- Unterbringung,
- Transport,
- Aufnahme & Registrierung,
- Betreuung,
- Versorgung & Evakuierung von Tieren,
- Sicherung & Kontrolle und
- Rückführung56.

Mit dieser Reihenfolge und Untergliederung soll bewußt nicht postuliert werden, daß diese Bereiche losgelöst und getrennt voneinander zu sehen sind oder zwangsläufig nacheinander ablaufen werden.

1 Sprenger, W. Geologie und Flußgeschichte der Iller, S. 2

2 Boshard, W. u. C. Schlüter. Historisches Lexikon der Schweiz, Band 3, Eiszeiten

3 Sprenger, W. Geologie und Flußgeschichte der Iller, S. 16

4 Bayrisches Landesstelle f. Gewässerkunde: Verzeichnis der Flächeninhalte der Bach- und Flußgebiete in Bayern. Stromgebiet der Donau. B.Iller. S. 12

5 WWA Kempten, Herr Weis, persönliche E-Post

6 Forster, P. Die Iller und ihre Geschichte, Heft 9, S. 45 und Gespräch mit Familie Kirchmaier vom 02. Oktober 2008

7 Walter, H. Wasserpegel Illertal

8 Schlösser, K. Die Jahrhundertflut

9 Gardemann, J. und O. Razum. Internationale humanitäre Hilfe …, S. 6

10 Greiving, S. Hochwasserschutz in der räumlichen Planung, S. 25

11 Rede Staatsminister Dr. W. Schnappauf zur Inbetriebnahme des Flurpolders Weidachwiesen im Seifener Becken am 22. Dezember 2007

12 Für die Ermittlung ist ein Hochwasserereignis zugrunde zu legen, das statistisch einmal in 100 Jahren zu erwarten ist (Bemessungshochwasser) (Bayerisches Wassergesetz, Art. 61d), dabei werden Faktoren der Region wie u. a. Me- teorologie, Hydrologie und Gelände mitbewertet.

13 Der „HQ300“ ist der Hochwasserabfluß der mit einer statistischen Häufigkeit von dreihundert Jahren auftritt

14 Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008

15 Rudolph, S., Vortrag im Februar 2008

16 Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008

17 Hierbei wird an Pegeln gemessene Wasserstände mit gleichzeitig gemessenen Durchflußwassermengen in Be- ziehung gesetzt

18 Bayerisches Landesamt f. Umwelt, Gewässerkundlicher Bericht Hochwasser August 2005, S. 7

19 Gespräch mit Herrn Rudolph, Amt für Brand- und Katastrophenschutz, Stadt Kempten im März 2008

20 Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008

21 Gespräch mit Herrn Rudolph, Amt für Brand- und Katastrophenschutz, Stadt Kempten am 26. August 2008

22 Stadt Kempten, Verordnung über das Überschwemmungsgebiet , § 2, Lageplan

23 Stadt Kempten, Verordnung über das Überschwemmungsgebiet , § 2, Lageplan

24 Stadt Kempten, Verordnung über das Überschwemmungsgebiet , S. 2

25 Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008

26 Gespräch mit Herrn Wild und weiteren Mitarbeitern, Bezirkskrankenhaus Kempten am 28. Oktober 2008

27 Gespräch mit Herrn Schulz, Klinikum Kempten, Memminger Straße am 28. Oktober 2008

28 Internet: http://www.allgaeuhospiz.de/index.php?id=22 vom 15. Dezember 2008 / 21.09 Uhr

29 Gespräch mit Herrn Reus, Wilhelm-Löhe-Haus am 23. Oktober 2008

30 Gespräch mit Frau Westphal, Seniorenbetreuung Altstadt am 06. November 2008

31 Gespräch mit Frau Tschuck, Sozialbau Kempten GmbH am 07. November 2008

32 Gespräch mit Frau Buchenberg, Seniorenbetreuung Altstadt / Tagespflege am 05. November 2008

33 Gespräch mit Herrn Sander, Ev. Siedlungswerk am 05. November 2008

34 Gespräch mit Frau Braun, Ev. Siedlungswerk am 06. November 2008

35 Gespräch mit Herrn Löffler, Körperbehinderte Allgäu gGmbH, am 22. Oktober 2008

36 Gespräch mit Herrn Höck, Sozialpsychiatrisches Zentrum, am 23. Oktober 2008

37 Hensler, Bericht Vorsitzender, Altstadtbrief, S. 2f (Text als Text 7 im Abschnitt 5.3 der Arbeit beigefügt)

38 LÖGD (2001): Materialien Umwelt und Gesundheit 27, S 1

39 Waterstraat, F. „Der Mensch in der Katastrophe: Psychologisch-seelsorgerische Aspekte“ aus BMI „Katastrophenmedizin“, S. 31

40 Land NRW, Polizeidienstvorschrift 100, Anhang 20

41 Land NRW, Polizeidienstvorschrift 100, Anhang 20

42 Wolf, T. Die Unterscheidung der Begriffe „Räumung“ und „Evakuierung“

43 Greiving, S., Hochwasserschutz in der räumlichen Planung, S. 26

44 Bayerisches Landesamt f. Umwelt, Gewässerkundlicher Bericht Hochwasser August 2005, S. 8 & 11 sowie 23

45 Bayerisches Landesamt f. Umwelt, Gewässerkundlicher Bericht Hochwasser August 2005, S. 55ff

46 Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008 und Herrn Volkwein, Geoinformations- & Vermessungsservice, Stadt Kempten am 04. September 2008

47 Bayerischer Rundfunk, Hochwasserschutz in Bayern. Polder - Zwischenspeicher der Iller

48 persönliches Gespräch mit Herrn Weis, WWA Kempten am 02. September 2008

49 Bayerisches Landesamt f. Umwelt, Gewässerkundlicher Bericht Hochwasser August 2005, S.21

50 Bayerisches Landesamt f. Umwelt, Gewässerkundlicher Bericht Hochwasser August 2005, S. 29

51 Bayerisches Landesamt f. Umwelt (undatiert): Hochwassernachrichtendienst. Pegel Kempten

52 Bayerisches Landesamt f. Umwelt (undatiert): Hochwassernachrichtendienst. Pegel Kempten

53 für den sprachlichen Umganges mit dem Begriff wird daran erinnert, daß Gebiete bzw. Häuser evakuiert werden können, nicht aber Menschen. (evakuare = entleeren, zunichte machen; Stowasser, S. 184).

54 Rudolph,S., Vortrag 2008

55 Braubach in einem Vortrag des Studienganges KaVoMa , Modul 4, UE 1 Public Health, Block E, 2007

56 Rudolph, S., Vortrag Februar 2008

Ende der Leseprobe aus 122 Seiten

Details

Titel
"Planungen zur Evakuierung hochwassergefährdeter Gebiete der Stadt Kempten / Allgäu"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
2.2
Autor
Jahr
2008
Seiten
122
Katalognummer
V186686
ISBN (eBook)
9783869435435
ISBN (Buch)
9783869433554
Dateigröße
5655 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
planungen, evakuierung, gebiete, stadt, kempten, allgäu
Arbeit zitieren
Dr.med. Frank Bertling (Autor:in), 2008, "Planungen zur Evakuierung hochwassergefährdeter Gebiete der Stadt Kempten / Allgäu", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186686

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