Konsequenzen der Liberalisierung der Ladenschlussbestimmungen im deutschen Einzelhandel


Diplomarbeit, 2007

107 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


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1 Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

„Für derartige Gesetze bringe ich kein Verständnis auf“ 1 , äußerte der damalige Wirtschaftsminister Ludwig Erhard bereits bei der Einführung des Ladenschlussgesetzes im Jahr 1956. Seitdem hat sich das Thema Ladenschluss in der teilweise sehr ideologisch geführten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Diskussion zum „Dauerbrenner“ und zum „Kampffeld“ für verschiedene Interessensgruppen entwickelt. 2 Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Argumentationen eines Für und Wider von gesetzlich geregelten Ladenöffnungszeiten nicht wesentlich verändert, dafür aber deren Gewichtung im Zuge des gesellschaftlichen Wandels. Während anfangs religiöse und sozialpolitische Motive im Vordergrund standen, sind heutzutage zunehmend Aspekte wirtschaftlicher Gewerbe- und Gestaltungsfreiheit sowie der Konsumentensouveränität in den Vordergrund getreten. 3 Es ist sehr problematisch, die Interessen aller Betroffenen in Bezug auf die Ladenschlusszeiten angemessen zu berücksichtigen und lange Zeit wurde das Ladenschlussgesetz als ein gelungener Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessensgruppen betrachtet. Dieser Kompromiss wurde allerdings insbesondere im Laufe der letzten zehn Jahre in mehreren, teilweise weit reichenden Gesetzesänderungen modifiziert, was der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen sollten.

Ihren Höhepunkt hat die Ladenschlussdebatte allerdings erst vor einigen Monaten Ende 2006 erreicht, als im Rahmen der Föderalismusreform die Gesetzgebungskom-

petenz für die Ladenöffnungszeiten an die Bundesländer übertragen worden ist. Die meisten Bundesländer haben darauf hin eigene Ladenöffnungsgesetze erlassen, die explizit den liberalen Öffnungsaspekt betonten, im Gegensatz zu dem Ladenschlussgesetz der Bundesrepublik. Die Mehrzahl dieser bereits erlassenen oder in Gesetzgebungsprozessen begriffenen Ladenöffnungsgesetze sieht eine vollständige Freigabe der Öffnungszeiten an Werktagen vor. Damit ergibt sich aber das Problem einer möglicherweise mangelnden Berücksichtigung zahlreicher Interessen und damit eines fehlenden Kompromisscharakters der Ladenöffnungsregelungen auf Landesebene. Somit liegt die Zielsetzung dieser Arbeit darin, die Konsequenzen zu untersuchen, die sich aus der Li- 1 Rinderspacher, J.P. (1988), S. 70.

2 Vgl. Wallerath, M. (2001), S. 781.

3 Vgl. Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 10 f.; Rühling, M. (2003), S. 14 ff.

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beralisierung der Ladenöffnungsregelungen ergeben und zwar für die hauptsächlich betroffenen gesellschaftlichen Interessensgruppen, zu denen der Einzelhandel selbst gehört, aber auch die Einzelhandelsangestellten, die Verbraucher und die Innenstädte. Dabei wird dargestellt, inwieweit die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in den Bereichen Handelsumfeld, Arbeitnehmerschutz und Konsumentenverhalten eine Liberalisierung der Ladenschlusszeiten rechtfertigen und sogar erfordern. Da in den Jahren 1989, 1996 und 2003 bereits Liberalisierungen des Ladenschlusses stattgefunden haben, sollen die damals gemachten Erfahrungen herangezogen und überprüft werden im Hinblick auf die komplette Freigabe der Ladenschlusszeiten. Außerdem haben die Ladenschlussregelungen in Deutschland vor der Föderalismusreform, neben den Regelungen in der Schweiz und in Österreich, zu den restriktivsten Bestimmungen in ganz Europa gehört. 4 Somit ist es teilweise möglich, die im Ausland gemachten Erfahrung im Zuge der Ladenschlussliberalisierung auf Deutschland zu übertragen, um insbesondere die qualitativen Auswirkungen auf die betroffenen Interessensgruppen abzuschätzen.

2.2 Aufbau der Arbeit

In der Arbeit werden zunächst in Kapitel 2 die gesetzlichen Ladenschlussregelungen, ihre Entwicklung und die Hintergründe dargestellt. Kapitel 2.5 beschreibt dabei die Standpunkte der Betroffenen im Rahmen der Liberalisierung der Ladenschlusszeiten im Zuge der Föderalismusreform und leitet damit die folgenden vier Kapitel ein, die die Konsequenzen dieser Liberalisierung beleuchten.

Der Gliederung der Arbeit in die Hauptkapitel 3 bis 5 liegt somit die Differenzierung in die betroffenen Interessensgruppen zugrunde, für die sich jeweils unterschiedliche Auswirkungen ergeben. In Kapitel 3 werden die Konsequenzen der liberalisierten Ladenschlusszeiten für den Einzelhandel betrachtet, und zwar vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Handelslandschaft und der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Kapitel 3.1). Dabei wird aufgezeigt, welche Folgen sich für die Wettbewerbsfähigkeit (Kapitel 3.2), den Strukturwandel (Kapitel 3.3) und die Kostensituation (Kapitel 3.4) im Einzelhandel unter Berücksichtigung des tatsächlichen Öffnungsverhaltens (Kapitel 3.5) ergeben.

4 Vgl. Baur, M/Ott, W. (2005), S. 39 f.

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2 Entwicklung der gesetzlichen Ladenschlussregelungen in Deutschland

2.1 Historie der Ladenschlussregelungen bis 1956

Die historischen Wurzeln des deutschen Ladenschlussgesetztes, das seit 1956 in mehr oder weniger veränderter Form bis heute existiert, gehen bis weit in das 19. Jahrhundert zurück. Lediglich die Begründungen für seine Aufrechterhaltung haben sich im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung und unter verschiedenen politischen Einflüssen ge-wandelt. 5 Anfang des 19. Jahrhunderts spielten insbesondere religiöse Motive die Hauptrolle für Verkaufsbeschränkungen an Sonn- und Feiertagen, denn jedem Bürger sollte die Möglichkeit gewährt werden, an Gottesdiensten teilzunehmen. 6 Im Laufe des 19. Jahrhunderts gewannen zunehmend sozialpolitische Motive an Bedeutung. So wurden in das 1891 erlassene Arbeitsschutzgesetz die Ladenschlusszeiten einbezogen, 7 damit die Beschäftigten im Handel in ihren Arbeitszeiten nicht schlechter gestellt waren als die Arbeitnehmer in den übrigen Wirtschaftssektoren. 8 Zunehmend zeigte sich auch der Einfluss der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Gewerkschaften, denn in die Gewerbeordnung um 1900 bezog man die werktägliche Schließung der Läden von 21 bis 5 Uhr mit ein. 9 Im Jahr 1950 ergriff der Bundestag erstmal die Initiative zu einer einheitlichen Regelung des Ladenschlusses in Deutschland, die darin mündete, dass am 28. November 1956 das Gesetz über den Ladenschluss (LSchlG) erlassen worden ist. 10

2.2 Das deutsche Ladenschlussgesetz von 1956

Obwohl die Ladenschlussregelungen inzwischen in die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer übergegangen sind, erscheint eine Betrachtung des ursprünglichen Bundesgesetzes, seiner Entwicklung und seines Zwecks an dieser Stelle sinnvoll. Denn zum einen haben sich die Bundesländer bei ihren Gesetzesformulierungen eng an das Bundesgesetz angelehnt, zum anderen gilt das Bundesgesetz mangels eigener Regelungen weiterhin in einigen Bundesländern wie Bayern und Bremen. Des Weiteren ermöglicht

5 Vgl. Enke, M./Wolf, C./Wild, U. (1999), S. 3.

6 Vgl. Rühling, M. (2003), S. 20 ff.; Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 10.

7 Vgl. Anzinger, R. (1996), S. 1.

8 Vgl. Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 10.

9 Vgl. Enke, M./Wolf, C./Wild, U. (1999), S. 3.

10 Vgl. Stober, R. (2000), S. 6.; Anzinger, R. (1996), S.1.

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Verwaltungsbehörden festgelegt werden (vgl. Anhang 1). Trotz mehrerer Rechtstreitigkeiten im Laufe der Jahre wurde das LSchlG sowohl als verfassungsgemäß wie auch als europarechtskonform bestätigt. 18

2.3 Liberalisierungsstufen und -gründe der Ladenschlusszeiten

Zwischen seiner Entstehung im Jahr 1956 und seiner heutigen Form mit der letzten Änderung im Oktober 2006, hat das LSchlG mehrere Gesetzesänderungen erfahren, die der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen sollten. 19 Eine Übersicht über die wichtigsten Änderungen des Ladenschlussgesetzes findet sich in Anhang 2, während die wesentlichen Gesetzesänderungen der Jahre 1989, 1996 und 2003 kurz umrissen werden. So wurde im Jahr 1989 der so genannte „Dienstleistungsabend“ 20 eingeführt, der die Ladenöffnungszeiten an Donnerstagen von 18:30 Uhr auf 20:30 Uhr erweiterte. 21 Im Jahr 1996 erfolgte eine weitreichende Liberalisierung, die die allgemeinen Ladenöffnungszeiten an allen Werktagen von 18:30 Uhr auf 20 Uhr und an Samstagen von 14 Uhr auf 16 Uhr verlängerte. 22 Im Jahr 2003 wurden schließlich die Ladenöffnungszeiten an Samstagen denen an Werktagen angepasst und damit die Ladenöffnung ebenfalls bis 20 Uhr ausgedehnt. 23

Schon bei seiner Entstehung wurde das LSchlG als Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen des Einzelhandels, der dort Beschäftigten und der Verbraucher betrachtet, 24 wobei allerdings die Aspekte der wirtschaftlichen Gewerbe-und Gestaltungsfreiheit sowie der Konsumentensouveränität anfangs eine eher unterge-ordnete Rolle gespielt haben. 25 Doch im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Motive für die Aufrechterhaltung des Ladenschlussgesetzes gewandelt. Der Arbeitnehmerschutz wurde zunehmend von anderen Gesetzen wie dem Arbeitszeitgesetz und den tariflichen und betrieblichen Verträgen effektiver geregelt, 26 was in Kapitel 4.2 detailliert behan-

18 Vgl.Anzinger, R. (1996), S.5 f.; Zmarzlik, J./Roggendorff, P. (1997), S. 38 f.

19 Vgl. Rühling, M. (2003), S. 14 f.

20 Schröder, H./Horst, J.P./Krönfeld, B. (1992), S. 1.

21 Vgl. Anzinger, R. (1996), S. 1.

22 Vgl. Schake, S. (1997), S. 8.

23 Vgl. Rühling, M. (2003), S. 14.

24 Vgl. Zmarzlik, J./Roggendorff, P. (1997), S. 36.; Stober, R. (2000), S. 11.

25 Vgl. Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 13.

26 Vgl. George, T. (1996), S. 20 ff.; Schunder, A. (1994), S. 28 ff.

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delt wird. Der Wettbewerbsschutz wurde weitgehend zu einem Mittelstandsschutz ab-gewandelt, 27 denn es ging nun vielmehr um den Schutz kleiner und mittlerer Verkaufsstellen vor Großunternehmen durch die Vermeidung kostenintensiver Wettbewerbe am Abend. 28 Allerdings sind vermehrt Vorwürfe aufgekommen, die das LSchlG als wettbewerbsverzerrend bezeichnet haben, da der öffnungszeitengebundene stationäre Ein-zelhandel gegenüber dem Versandhandel benachteiligt wurde, 29 was genauer in Kapitel 3.2.2 behandelt wird. Der Verwaltungskontrolle wurde eine immer geringere Bedeutung beigemessen und keine eigenständige Bedeutung zur Begründung des Ladenschlusses zugesprochen. 30 Dafür traten aber die Argumente der Konsumentensouveränität immer stärker in den Vordergrund, angesichts derer das LSchlG als eine Beschränkung der Verbraucherfreiheit interpretiert wurde, 31 wodurch es ab 1989 zu einer verstärkten Liberalisierung der Ladenschlusszeiten kam. Die Fragen nach der Notwendigkeit einer bundesrechtlichen Regulierung der Ladenöffnungszeiten wurden immer lauter und mündeten schließlich in einer Neuordnung im Rahmen der Föderalismusreform.

2.4 Änderungen im Rahmen der Föderalismusreform 2006

2.4.1 Übertragung der Gesetzgebungskompetenz zum Ladenschluss

Die am 1. September 2006 in Kraft getretene Föderalismusreform gilt als die weit reichendste Änderung des Grundgesetzes seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutsch-land, denn sie betraf insgesamt 25 der 183 Artikel des Grundgesetzes. 32 Ziel dieser Re-form war es, die legislativen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu festzulegen. 33 Dabei wurde einerseits die Anzahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze reduziert, um die Leistungsfähigkeit des Staates zu sichern, 34 andererseits erhielten die Bundesländer ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen wie beim Strafvollzugsrecht, in Teilen des öffentlichen Dienstrechtes und beim Ladenschluss. 35 Die

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27 Vgl. Enke, M./Wolf, C./Wild, U. (1999), S. 5.

28 Vgl. Schunder, A. (1994), S. 37.

29 Vgl. Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 90.

30 Vgl. Enke, M./Wolf, C./Wild, U. (1999), S. 5.

31 Vgl. Täger, U.C./Vogler-Ludwig, K../Munz, S. (1995), S. 97.; Enke, M./Wolf, C./Wild, U. (1999), S. 5.

32 Vgl. Reutter, W. (2006), S. 12.

33 Vgl. CDU/CSU Fraktion im deutschen Bundestag (2006), S. 1 (04.01.2007).

34 Vgl. Reutter, W. (2006), S. 12.

35 Vgl. Artikel 1, Nr. 7 ff Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes.

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Übertragung der Gesetzgebungskompetenz beim Ladenschluss auf die Bundesländer vollzog sich derart, dass der Ladenschluss durch eine Ergänzung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG aus der Gesetzgebung des Bundes ausgeschlossen wurde. Damit diese Grundgesetzänderung das geltende Ladenschlussgesetz nicht sofort außer Kraft setzte, wurde eine Übergangsregelung in Art. 125a Abs. 1 GG getroffen, nach der der Ladenschluss Bundesrecht verbleibt, solange es nicht durch Landesrecht ersetzt wird. 36

2.4.2 Ladenschlussregelungen der Bundesländer

Damit stand es nun den Bundesländern frei, eigene Regelungen zum Ladenschluss zu treffen, wovon die meisten auch Gebrauch gemacht und eigene Ladenöffnungsgesetze, im Gegensatz zum ehemaligen Ladenschlussgesetz, erlassen haben. Abgesehen von der weitgehenden Freigabe der Ladenöffnungszeiten erfolgte bei der Gesetzesformulierung vielfach eine Anlehnung an das ursprüngliche bundesweite Ladenschlussgesetz, weswegen an dieser Stelle die Ladenschlussregelungen in den Bundesländern nur kurz umrissen werden.

Berlin war das erste Bundesland, in dem am 17. November 2006 ein neues Ladenöffnungsgesetz in Kraft getreten ist, wonach die Geschäfte von Montag bis Samstag rund um die Uhr öffnen können. 37 Sonntage bleiben dabei grundsätzlich geschützt, abgesehen von den Adventssonntagen und maximal sechs weiteren Sonntagen, was insbesondere von Kirchenvertretern scharf kritisiert worden ist. 38 Direkt danach hat auch Nordrhein-Westfalen den Geschäften eine Öffnung rund um die Uhr an Werktagen mit dem neuen Ladenöffnungsgesetz ermöglicht, das am 21. November 2006 in Kraft getreten ist. Die Regelungen für Sonn- und Feiertage entsprechen weitgehend dem vorher gültigen Bundesrecht. 39 Am 1. Dezember 2006 führten gleich mehrere Bundesländer die so genannte „6x24-Regelung“ 40 ein, nach der die Läden von Montag bis Samstag durchgehend geöffnet sein dürfen, und zwar Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Hessen und Schleswig-Holstein. Die Regelung mit den vier verkaufsoffenen Sonntagen entspricht in

36 Vgl. Kingreen, T./Pieroth, B. (2006a), S. 2.

37 Vgl. § 3 BerlLadÖffG.

38 Vgl. o.V. (2006h), (04.01.2007).

39 Vgl. § 4 LÖG NRW.

40 o.V. (2006i), (04.01.2007).

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auf zwei verkaufsoffene Sonntage im Gespräch. 51 Bayern hat als einziges Bundesland nach einer Abstimmungsniederlage der CSU-Landtagsfraktion beschlossen, die Ladenschlussregelung vorerst beim Alten zu belassen ohne ein eigenes Ladenöffnungsgesetz zu verabschieden und zu beobachten, welche Erfahrungen die anderen Länder mit den längeren Ladenöffnungszeiten sammeln. 52

2.5 Gegenwärtige Ladenschlussdebatte

Auseinandersetzungen um das Ladenschlussgesetz haben, laut Wallerath, bereits Tradition, denn „aufgeladen mit einem beachtlichen rechtspolitischen wie rechtsdogmatischen Konfliktpotenzial, gehört es zu den umstrittensten Gebieten des Gewerbe- und Arbeitsschutzrechts“. 53 Schon immer wurde die öffentliche Diskussion von stark ideologischen und Interessensstandpunkten geprägt, 54 und das Ladenschlussrecht als „Kampffeld“ 55 für Verbände, Verbraucher und unterschiedliche Gruppen von Gewerbetreibenden betrachtet. Doch in der heutigen Situation hat diese Diskussion eine neue Qualität bekommen, denn das Ladenschlussgesetz wurde in vielen Bundsländern bereits durch eine liberale Ladenöffnungszeitenregelung ersetzt, während in einigen Bundesländern die Gesetzgebungsprozesse noch im Gang sind. Damit haben sich die Meinungen der betroffenen gesellschaftlichen Gruppierungen noch weiter polarisiert. Zu diesen Gruppierungen gehören insbesondere die Arbeitnehmer, der Einzelhandel selbst, die Verbraucher und die Städte.

Die Vertretung der Arbeitnehmer in Form der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi steht jeglichen Liberalisierungen der Ladenschlusszeiten konsequent über die Jahre hinweg negativ gegenüber. Dabei werden zahlreiche Argumente angebracht, die sich insbesondere auf die Unzumutbarkeit der Arbeitszeiten für die Angestellten beziehen, die zu enormen Beeinträchtigungen im Privatleben führen würden. 56 Verdi sieht aber auch für Verbraucher auf lange Sicht keine Vorteile, wenn es zu einer „Rund-um-die-

51 Vgl.o.V. (2006i), (04.01.2007).

52 Vgl. o.V. (2006f), S. 3.

53 Wallerath, M. (2001), S. 781.

54 Vgl. Clemenz, G./Inderst, G. (1989), S. 35.

55 Wallerath, M. (2001), S. 781.

56 Vgl. Verdi (2006b), S. 1 (05.01.2007).

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3 Konsequenzen liberalisierter Ladenöffnungszeiten für den Einzelhandel

3.1 Der Einzelhandel in Deutschland

3.1.1 Begriffliche Abgrenzung

In einem umfassenden Sinne wird unter Handel der „Austausch von wirtschaftlichen Gütern“ 70 verstanden, wobei des Weiteren zwischen dem Handel im funktionellen und institutionellen Sinne unterschieden wird. 71 Handel im funktionellen Sinne beinhaltet den Sachverhalt, dass „Marktteilnehmer Güter, die sie in der Regel nicht selbst be- oder verarbeiten (Handelsware), von anderen Marktteilnehmern beschaffen und an Dritte absetzen.“ 72 In diesem weiten Sinne wird Handel nicht nur von Handelsunternehmungen betrieben, sondern auch von Industrieunternehmen, die ihr Vertriebsprogramm um fremdbezogene Ware ergänzen. 73 Insofern erscheint es zweckmäßig für die Problemstellung der Arbeit den institutionellen Handelsbegriff heranzuziehen, der „auch als Handelsunternehmung, Handelsbetrieb oder Handlung bezeichnet „…“ jene Institutionen (umfasst), deren wirtschaftliche Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend dem Handel im funktionellen Sinne zuzurechnen ist.“ 74 Diese Definition ermöglicht es, Handelsunternehmungen von anderen Unternehmungen in einer Volkswirtschaft abzugrenzen und ihnen spezifische Handelsfunktionen zuzuweisen, die darin liegen, Spannungen räumlicher, zeitlicher und quantitativer Art zwischen Güterherstellern und -verwendern zu überwinden. 75 Des Weiteren ist die Unterscheidung zwischen Groß- und Einzelhandel notwendig, da die Regelungen zu den Ladenöffnungszeiten für beide Betriebsformen unterschiedlich sind und sich die Betrachtung dieser Arbeit auf den Einzelhandel konzentriert. Während Großhandelsbetriebe die Handelsware „an Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter, gewerbliche Verwender „…“ oder an sonstige Institutionen (z.B. Kantinen, Vereine), soweit es sich nicht um private Haushalte handelt, absetzen“ 76 , verkaufen die Einzelhandelsbetriebe an private Haushalte bzw. Endverbraucher.

70 Tietz, B. (1993), S. 1.

71 Vgl. Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 27 f.

72 Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 27.

73 Vgl. Liebmann, H.P/Zentes, J. (2001), S.2.

74 Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 27.

75 Vgl. Müller-Hagedorn, L. (2002), S.2.

76 Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution (2006), S. 37.

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3.1.2 Bedeutung und Entwicklung des deutschen Einzelhandels

Der Einzelhandel gehört mit 2,7 Mio. Beschäftigten und einem Umsatz von 556 Mrd. € 77 im Jahr 2005 zu den bedeutendsten Wirtschaftsbranchen Deutschlands. 78 Die Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 2.246 Mrd. € beträgt damit knapp 25 %. 79 Diese Zahlen beziehen sich auf den Handel im weiteren Sinne, also inklusive des Kraftfahrzeug-Einzelhandels und der Umsätze von Tankstellen und Apotheken. Klammert man diese Segmente aus, um die Einflüsse der Modellpolitik der Automobilindustrie, des Kartellverhaltens der OPEC sowie der Steuer-, Energie-, Umwelt und Gesundheitspolitik herauszurechnen, 80 erhält man den Handelsumsatz im engeren Sinne. Im Jahr 2005 belief sich dieser Umsatz auf 390 Mrd. € 81 , was einer Relation von über 17 % zum BIP entsprach. 82

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Abbildung 1: Entwicklung des Einzelhandelsumsatzes und des BIP

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77 Mit Umsatzsteuer

78 Vgl. Auer, J. (2006), S. 3. (25.12.2006).

79 Vgl. Institut der deutschen Wirtschaft Köln (2006), S. 19.

80 Vgl. Auer, J. (2006), S. 3. (25.12.2006).

81 Mit Umsatzsteuer

82 Vgl. EHI Retail Institute (2006), S. 192.

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Konsequenzen der Liberalisierung der Ladenschlussbestimmungen im deutschen Einzelhandel
Hochschule
Universität Bayreuth
Note
1.7
Autor
Jahr
2007
Seiten
107
Katalognummer
V186290
ISBN (eBook)
9783869438009
ISBN (Buch)
9783869431062
Dateigröße
912 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konsequenzen, liberalisierung, ladenschlussbestimmungen, einzelhandel
Arbeit zitieren
Paulina Gugenheimer (Autor:in), 2007, Konsequenzen der Liberalisierung der Ladenschlussbestimmungen im deutschen Einzelhandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186290

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