Rechnergestützte Arbeitssystemmodellierung in der manuellen Motorradmontage


Studienarbeit, 2001

205 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Große Studienarbeit
Rechnergestützte Arbeitssystemmodellierung in der manuellen
Motorradmontage
Verfasser:
cand. mach. Tobias Schäfer
Hannover, 27. Februar 2001

Abstrakt
Tobias Schäfer
Institut für Qualitätssicherung
Abstrakt
Thema:
Rechnergestützte Arbeitssystemmodellierung in der manuel-
len Motorradmontage
Verfasser:
cand. mach. Tobias Schäfer
Abgabedatum:
27. Februar 2001
Ziel der Arbeit war die Darstellung der Einsatzmöglichkeiten und -grenzen des
Programmpakets eM-Workplace der Firma Tecnomatix zur Simulation von manu-
ellen Montagevorgängen.
Dazu wurde ein Montagearbeitsplatz der Firma BMW Motorrad AG abgebildet, der
Montagevorgang mit dem Modul eM-Human simuliert, Ergonomieanalysen mit
dem Modul eM-Human Ergo und MTM-Analysen mit dem Modul eM-Human Time
durchgeführt.
Im Ergebnis zeigen die Untersuchungen, dass die dreidimensionale Darstellung
komplexer Arbeitsumgebungen gut realisierbar ist, dass aber das Menschmodell
durch konzeptbedingte Einschränkungen eine wirklich realistische Darstellung der
Arbeitsvorgänge nicht bieten kann. Daher können die Ergebnisse der durchgeführ-
ten Analysen lediglich Hinweise auf möglich Probleme hinsichtlich der Ergonomie
bzw. Abschätzungen bezüglich des Zeitbedarfs geben.
Schlagwörter:
Arbeitsplatzgestaltung, Simulation, Visualisierung, Montage,
Ergonomie, OWAS-Analyse, NIOSH-Analyse, Burandt-
Schultetus-Analyse, Zeitanalyse, MTM

Inhaltsverzeichnis
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Institut für Qualitätssicherung
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ... iv
1
Einleitung ... 1
2
Grundlagen... 2
2.1
Ergonomische Grunddaten... 2
2.1.1
Körpermaße und Aktionsräume ... 2
2.1.2
Körperkräfte ... 5
2.1.3
Formen der Muskelarbeit ... 7
2.2
Werkzeuge und Hilfsmittel zur ergonomischen
Arbeitsplatzgestaltung ... 8
2.2.1
Berechnung mit Körpermaßtabellen ... 8
2.2.2
Standard-Arbeitsplatztypen... 9
2.2.3
Schablonensomatographie ... 10
2.2.4
Video-Somatographie ... 10
2.2.5
EDV-gestützte Verfahren ... 12
2.3
Ergonomie-Analyse-Methoden ... 16
2.3.1
Die visuelle Begutachtung ... 17
2.3.2
Die Selbst- und Fremdbeobachtung ... 17
2.3.3
Die mündliche und schriftliche Befragung ... 18
2.3.4
Die Vornahme von Messungen... 19
2.3.5
Analyse von Körperhaltungen ... 19
2.3.6
Analyse von Aktionskräften... 24
2.3.7
Analyse von manuellen Lastenhandhabungen ... 30
2.4
MTM-Verfahren... 37
2.4.1
Die Entwicklung des MTM-Verfahrens... 37
2.4.2
Die Verbreitung des MTM-Verfahrens ... 39
2.4.3
Die Grundbegriffe des MTM-Verfahrens ... 40
2.4.4
Die MTM-Standarddaten... 43
2.4.5
Rechnerunterstützung für MTM-Verfahren ... 45

Inhaltsverzeichnis
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2.5
Das Programmpaket eM-Workplace ... 45
3
Das Gestalten von Szenarien mit eM-Workplace... 48
3.1
Gestalten von Bauteilen und Einrichtungen... 48
3.1.1
Erzeugen ebener Geometrien... 48
3.1.2
Erzeugen dreidimensionaler Geometrien... 49
3.1.3
Erzeugen und Bearbeiten von Kinematiken ... 51
3.2
Simulation des Menschmodells mit eM-Human ... 52
3.2.1
Markieren von Punkten ... 52
3.2.2
Bewegen des Menschmodells ... 53
3.2.3
Handhaben von Objekten ... 54
3.2.4
Zusätzliche Möglichkeiten der Ablaufsteuerung... 55
3.3
Filmerstellung ... 56
4
Szenario: Montage der Vorderradgabel der BMW R
1100 S ... 57
4.1
Der Montagearbeitsplatz ... 57
4.1.1
Darstellung des Arbeitsplatzes in eM-Workplace... 62
4.1.2
Diskussion ... 62
4.2
Beschreibung des Montagevorgangs ... 63
4.2.1
Darstellung des Montagevorgangs in eM-Workplace... 67
4.2.2
Diskussion ... 67
5
Ergonomieanalysen im Beispielszenario ... 72
5.1
OWAS-Analyse... 72
5.1.1
Durchführung und Auswertung ... 72
5.1.2
Diskussion ... 74
5.2
Hand-Arm-Kraft-Analyse nach Burandt und Schultetus ... 76
5.2.1
Durchführung und Auswertung ... 76
5.2.2
Diskussion ... 78

Inhaltsverzeichnis
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5.3
Die Lift-Analyse für Hebe- und Tragevorgänge... 80
5.3.1
Durchführung und Auswertung ... 80
5.3.2
Diskussion ... 82
5.4
Diskussion... 84
6
Zeitstudien nach MTM im Beispielszenario... 85
6.1
Durchführung ... 85
6.2
Auswertung ... 87
6.3
Diskussion... 89
7
Zusammenfassung und Ausblick... 91
8
Literaturverzeichnis... 93

Abkürzungsverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis
AVI
Dateiendung für Filmdateien
BAuA
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
BMA
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
CAD
Computer Aided Design
CATIA CAD-System
CD Compact
Disk
DXF Austauschformat
für
CAD-Daten
ERA
Dateiendung für die Protokolldatei der Ergonomieanalysen von
eM-Human Ergo
GB Giga-Byte
GEO
Dateiendung für Geometriedateien von eM-Workplace
GIF
Dateiendung für Bild- und Grafikdateien
GRP
Datenformat für Gruppen aus Geometrien von eM-Workplace
iges Austauschformat
für
CAD-Daten
KIN
Dateiendung für Kinematikdateien von eM-Workplace
LAY
Dateiendung für Layoutdateien von eM-Workplace
LI Lifting
Index
LMS-Verfahren
Verfahren zur Leistungsnivellierung nach Lowry, Maynard und
Stegmerten
MB Mega-Byte
MFB
Dateiendung der MTM-Protokolldateien von eM-Human Time
MOV
Dateiendung für Filmdateien
MTM Methods-Time
Measurement
MTM-GPD
Methods-Time Measurement General Purpose Data
MTM-SD
Methods-Time Measurement Standard-Daten
NIOSH
National Institute for Occupational Safety and Health
OWAS
Ovako Working posture Analysing System
prEN
prospective Europäische Norm
PRG
Dateiendung für Simulationsprogramme von eM-Workplace
STL Austauschformat
für
CAD-Daten
TMU
Time Measurement Unit
VRML2 Austauschformat
für
CAD-Daten
XLP
Dateiendung der Excel-Ausgangsdaten der MTM-Analyse von
eM-Human Time

1 Einleitung
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1
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1 Einleitung
Die Gestaltung von Montagearbeitsplätzen stellt an den Planer hohe Anforderun-
gen. Da die Montage in vielen Firmen das größte Wertschöpfungspotential besitzt,
sollte ein neuer Arbeitsplatz von Anfang an optimiert aufgebaut sein und hinsicht-
lich Ausbringung und Qualität die gewünschten Ergebnisse liefern. Dies ist in vor-
wiegend manuellen Montagesystemen nur gewährleistet, wenn der Werker ein
Tätigkeitsfeld vorfindet, das ihm durch die Anordnung der Einrichtungen sowie der
bereitgestellten Bauteile eine wenig belastende und rationelle Arbeitsweise ermög-
licht.
Nachdem das Erstellen von Arbeitsumgebungen mit Hilfe von CAD-Systemen seit
einigen Jahren Stand der Technik in den Unternehmen ist, sollte ein Montagear-
beitsplatz vor seiner Realisierung auch in Hinsicht auf ergonomische Forderungen
und Zeitstudien mit Hilfe von Simulationsprogrammen überprüft werden.
Das Programmpaket eM-Workplace der Firma Tecnomatix ermöglicht das Abbil-
den von Montagearbeitsplätzen, die Simulation der Arbeitsvorgänge, die Überprü-
fung der Tätigkeiten mit verschiedenen Ergonomieanalyseverfahren sowie die
Durchführung von Zeitstudien nach dem MTM-Verfahren.
Am Beispiel eines Montagearbeitsplatzes bei der BMW Motorrad AG in Berlin-
Spandau liefert die vorliegende Arbeit einen Überblick über die Möglichkeiten und
Grenzen des Programmpakets. Der Schwerpunkt liegt hierbei in der Durchführung
der Ergonomieanalysen und der Zeitstudien.
Zunächst werden die Grundlagen der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung und
der MTM-Verfahren erläutert. Nach einem Überblick über die Vorgehensweise bei
der Gestaltung und Simulation von Montagevorgängen in eM-Workplace, wird der
reale Arbeitsplatz beim Industriepartner sowie seine Darstellung und Simulation
betrachtet. In den beiden darauf folgenden Kapiteln werden die Durchführung der
Ergonomie- und MTM-Analysen, die Ergebnisse dieser Analysen sowie Kritikpunk-
te dargelegt. Abschließend erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein
kurzer Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen im Bereich der Montage-
simulation.

2 Grundlagen
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2
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2 Grundlagen
2.1 Ergonomische
Grunddaten
2.1.1 Körpermaße und Aktionsräume
2.1.1.1 Körpermaße
Um einen Arbeitsplatz menschengerecht zu gestalten, d.h. ihn an die Körperform
und -funktion des Menschen anzupassen, müssen zunächst die relevanten Ab-
messungen ermittelt werden. Die Anthropometrie ist die Lehre von den Maßver-
hältnissen am menschlichen Körper und deren exakten Bestimmung [BULL-94].
Da die Definition eines ,,Durchschnittsmenschen" wenig sinnvoll ist, wurden Ober-
und Untergrenzen für die Körpermaße breiter Bevölkerungsgruppen festgelegt und
diese in Perzentile unterteilt: Ein Perzentilwert gibt an, wie viel Prozent der Men-
schen in einer Bevölkerungsgruppe - in bezug auf ein bestimmtes Körpermaß -
kleiner sind als der jeweils angegebene Wert (Bild 2.1) [BULL-94].
Bild 2.1:
Körpermaße des unbekleideten Menschen [BULL-94]

2 Grundlagen
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3
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2.1.1.2 Wirkraum des Hand-Arm-Systems (Greifraum)
Als Greifraum wird jener Bereich bezeichnet, in dem Gegenstände mit der Hand
berührt, gegriffen und bewegt werden können (Bild 2.2, Bild 2.3). Der Arbeitsbe-
reich der Hände ist im Sitzen kleiner als im Stehen. Dennoch wird im allgemeinen
bei der Auslegung des Greifraums nicht nach sitzender oder stehender Körperhal-
tung unterschieden. Innerhalb des Greifraums können vier Zonen unterschieden
werden, in denen die Bewegungsabläufe und die auftretenden Belastungen
grundsätzlich verschieden sind (Bild 2.3) [BULL-94]:
-
Zone 1:
Arbeitszentrum. Beide Hände arbeiten nahe beieinander im
Blickfeld.
Montageort.
-
Zone 2:
Erweitertes Arbeitszentrum. Beide Hände arbeiten im Blickfeld
und erreichen alle Orte dieser Zone.
-
Zone 3:
Einhandzone. Zone zum Lagern von Teilen und Handwerk-
zeugen, die einhändig gegriffen werden.
-
Zone 4:
Erweiterte Einhandzone. Äußerste nutzbare Zone.
Bild 2.2:
Vertikalschnitt durch den Greifraum in der Schultergelenkebene, 5.
Perzentil Frau [BULL-94]

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Bild 2.3:
Horizontalschnitt durch den Greifraum in Ellenbogenhöhe, 5.
Perzentil
Frau
[BULL-94]
2.1.1.3 Körperstellung und Körperhaltung
Unter Körperstellung versteht man die Stellung des Körpers zur Arbeitsaufgabe.
Die Körperhaltung ist eine mögliche Bewegungsvariante innerhalb der Körperstel-
lung (Bild 2.4) [BULL-94]. Aus Bild 2.4 kann ersehen werden, welche Beanspru-
chungsdifferenzen sich aus den verschiedenen Körperhaltungen ergeben.
2.1.1.4 Bewegungsräume
Bei jeder Arbeit ist ausreichend Bewegungsraum erforderlich. Unter dem Begriff
Bewegungsraum ist der Raumbedarf bei verschiedenen Körperstellungen und
Körperhaltungen und die Mindestgrundfläche bzw. der Mindestraum je Arbeits-
platz zu verstehen.
Nach § 24 der Betriebsstättenverordnung vom 20.03.1975 muss die freie, unver-
stellte Fläche so bemessen sein, dass sich die Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit
ungehindert bewegen können. Als unverstellbare Bewegungsfläche am Arbeits-
platz müssen mindestens 1,5 m² pro Beschäftigtem vorgesehen werden, wobei
diese an keiner Stelle kleiner als 1 m² sein soll [BULL-94].

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Bild 2.4:
Beanspruchungen bei verschiedenen Körperhaltungen [BULL-94]
2.1.2 Körperkräfte
An Montagearbeitsplätzen müssen Kräfte und häufig auch Drehmomente aufge-
bracht werden. Die hierdurch verursachten Belastungen dürfen zu keiner Überbe-
anspruchung der Mitarbeiter führen. Hierzu ist die Kenntnis der Körperkräfte des
Menschen notwendig [SCHU-87].
Maximale Körperkräfte haben für die praktische Arbeitsgestaltung eine eher unter-
geordnete Bedeutung. Sie geben nur an, ob eine bestimmte Kraftleistung über-
haupt erbracht werden kann. Sehr viel wichtiger sind die Kräfte, die zulässig sind,
also als erträglich eingestuft werden können [BULL-94].

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Problematisch ist die Vielzahl der Einflussfaktoren, die die Beanspruchung der
Arbeitsperson bestimmen und die berücksichtigt werden müssen. Hinzu tritt die
Schwierigkeit, den Einfluss der verschiedenen Faktoren zu gewichten. Um prakti-
kabel zu bleiben, kann nur ein Teil der Einflussgrößen berücksichtigt werden
[BULL-94].
2.1.2.1 Kraftwerte
In sogenannten Kräfteatlanten und -tabellen sind die maximalen Stellungskräfte
des Menschen dokumentiert. Bild 2.5 und Bild 2.6 geben hierzu Beispiele.
Bild 2.5:
Isodynen von waagerechten Arm-Stellungskräften von Männern
[BULL-94]
Bild 2.6:
Maximale Stellungskräfte und -momente von Männern im Bewe-
gungsraum des rechten Hand-Arm-Systems, stehend [BULL-94]

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2.1.3 Formen der Muskelarbeit
2.1.3.1 Dynamische Muskelarbeit
Bei dynamischer Muskelarbeit wird Arbeit im physikalischen Sinne durch den
Muskel geleistet. Es wechseln Anspannung und Erschlaffung des Muskels ab.
Man unterscheidet zwischen schwerer dynamischer und einseitiger dynamischer
Muskelarbeit (Bild 2.7) [SCHU-87].
2.1.3.2 Schwere dynamische Muskelarbeit
Hierunter wird das Bewegen des Körpers, der Gliedmaßen und von Lasten durch
große Muskelgruppen (z.B. Rumpf- und Beinmuskeln) verstanden (Bild 2.7).
Schwere dynamische Muskelarbeit führt zu erhöhtem Energieumsatz [SCHU-87].
2.1.3.3 Einseitige dynamische Muskelarbeit
Bei der einseitigen dynamischen Muskelarbeit bezieht die dynamische Tätigkeit
kleine Muskelgruppen (z.B. Finger-, Hand-, Arm- oder Fußmuskeln) ein (Bild 2.7).
Die häufig hohe Bewegungsfrequenz bei der Arbeit dieser Muskeln kann zu einer
hohen Beanspruchung führen, ohne dass der Energieumsatz messbar erhöht ist
oder eine Reaktion des Kreislaufs zu beobachten ist [SCHU-87].
2.1.3.4 Statische Muskelarbeit
Bei statischer Muskelarbeit ist keine Bewegung der Gliedmaßen erkennbar. Hier
wird der Muskel längere Zeit (länger als 0,1 min.) gegen eine äußere Kraft ange-
spannt (statische Haltearbeit). Statische Muskelarbeit tritt auch dann auf, wenn
große oder kleine Muskelgruppen lediglich zur Fixierung von Gelenk- oder Körper-
stellungen eingesetzt werden (statische Haltungsarbeit) (Bild 2.7).
Durch die Kontraktion des Muskels wird der Muskelinnendruck erhöht und dadurch
die Blutversorgung gedrosselt und die Entschlackung des Muskels stark herabge-

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setzt. Der Kreislauf reagiert bei derartiger Belastung mit erhöhter Pulsfrequenz
[SCHU-87].
Bild 2.7:
Einteilung der Muskelarbeit entsprechend unterschiedlicher
Beanspruchung
[SCHU-87]
2.2 Werkzeuge und Hilfsmittel zur ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung
2.2.1 Berechnung mit Körpermaßtabellen
Zur maßlichen Arbeitsplatzgestaltung können anthropometrische Maßtabellen he-
rangezogen und unter Beachtung ergonomischer Gestaltungsregeln die Maße des
Arbeitsplatzes berechnet werden (vergleiche Kap. 2.1.1). Die wichtigste Gestal-
tungsregel fordert, dass die Arbeitsplatzmaße sich nicht an den durchschnittlichen
Körpermaßen der Arbeitspersonen orientieren dürfen, sondern dass die Spanne
vom 5. Perzentil bis zum 95. Perzentil aller Körpermaße berücksichtigt werden

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muss. In Bild 2.8 wird exemplarisch gezeigt, welchen Maßen das 5. und welchen
das 95. Perzentil zugrunde gelegt wird [BULL-94].
Bild 2.8:
Festlegung ausgewählter Maße an einem Sitzarbeitsplatz [BULL-94]
2.2.2 Standard-Arbeitsplatztypen
Insbesondere für Standardarbeitsplätze gibt es in der Literatur vollständige Maß-
vorschläge. Dabei können in der Regel nur wenige Einflussfaktoren wie Arbeits-
person, Art der Tätigkeit oder Werkstückhöhe berücksichtigt werden [BULL-94].
2.2.2.1 Steharbeitsplatz
Das Einrichten von Arbeitsplätzen, an denen nur stehend gearbeitet wird, ist nur
dann angemessen und erlaubt, wenn es organisatorische, technische oder ergo-
nomische Gründe erzwingen [BULL-94].
2.2.2.2 Sitz- / Steharbeitsplatz
Dem arbeitenden Menschen sollte ermöglicht werden, zwischen sitzender und
stehender Körperhaltung zu wechseln. Dabei ist der zeitliche Schwerpunkt auf
sitzende Tätigkeiten zu legen. Diese Art von Arbeitsplatz entspricht weitgehend
der ergonomischen Forderung nach ausgewogener Belastung / Beanspruchung.

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Um sicher zu gehen, dass die vorhandene Wechselmöglichkeit auch genutzt wird,
muss der Sitz bei Bedarf schnell bereitgestellt und auch wieder entfernt werden
können.
Der menschliche Positions- und Lagesinn reagiert sehr empfindlich auf Änderun-
gen der Arbeitshöhe. Die Augen und Hände sollten sich daher bei beiden Arbeits-
haltungen in genau der gleichen Höhe befinden. Stimmen diese beiden Höhen
nicht überein, wird eine der beiden Körperhaltungen schnell als unbequem beur-
teilt [BULL-94].
2.2.3 Schablonensomatographie
Bei der Schablonensomatographie handelt es sich um eine konstruktive Methode,
bei der mit Hilfe der technischen Zeichnung das Layout eines Arbeitsplatzes an
die Körpermaße und -funktionen der Arbeitsperson angepasst wird. Dabei benötigt
man zur Darstellung des menschlichen Körpers Schablonen, die auf Grundlage
des somatographischen Körpermaßsystems und gemäss den Regeln der techni-
schen Zeichnungen meistens im Maßstab 1:5 oder 1:10 aus durchsichtigem Mate-
rial hergestellt werden. Um die räumliche Darstellung mit den entsprechenden
Abmessungen eines Arbeitsplatzes zu ermöglichen, bedarf es sowohl für den Ar-
beitsplatz als auch für den menschlichen Körper der Vorder- und Seitenansicht
sowie der Draufsicht. Die Schablonen bieten diese drei Ansichten (Bild 2.9).
Maßstabgetreu sind auf diesen Schablonen auch die Lage der Gelenkmittelpunk-
te, die maximale Auslenkung der Körperteile in Winkelgrad sowie der Augenmit-
telpunkt und der Blicklinienbereich angegeben [ELIA-87].
2.2.4 Video-Somatographie
Die Methode beruht auf dem Prinzip der Mischung oder Überblendung mehrerer
Bilder von Arbeitsplatz und Arbeitsperson zu einer maßstabsgetreuen Darstellung
auf einem Bildschirm.

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Die technische Ausstattung besteht aus mindestens zwei Videokameras, einem
Bildmischer, zwei Monitoren, einem Videorecorder, einer Hardcopy-Einrichtung
oder einer Fotokamera.
Bild 2.9:
Somatographieschablonen [BULL-94]
Das Arbeitsprinzip kann man folgendermaßen beschreiben (Bild 2.10): Die Kame-
ra 1 wird auf die Zeichnung des Arbeitsplatzes gerichtet; die zweite Kamera er-
fasst die Arbeitsperson in der gleichen Ansicht. Die Signale beider Kameras wer-
den von einem Bildmischer elektronisch gemischt und die entstandenen Bildsigna-
le auf einen oder mehrere Monitore übertragen. Diese Bilder werden mit einem
Videorecorder zwecks späterer Analyse aufgezeichnet. Von einem zweiten Moni-

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tor kann man mit Hilfe einer Fotokamera verschieden Körperstellungen bei der
Ausführung der Tätigkeit festhalten [ELIA-87].
Bild 2.10:
Prinzip der Video-Somatographie [ELIA-87]
Statt auf Papierzeichnungen des Arbeitsplatzes können auch direkt CAD-
Bildschirmzeichnungen eingesetzt werden. In diesem Fall spricht man von CAD-
Video-Somatographie [BULL-94].
2.2.5 EDV-gestützte
Verfahren
Der zunehmende Einsatz von CAD-Systemen in den Bereichen der Arbeitsgestal-
tung eröffnet neue Möglichkeiten zur Erhöhung der Effizienz besonders auch bei
der Arbeitsplatzgestaltung. Vor allem die Möglichkeiten der Variantenkonstruktion,
der einfachen Änderung von Konstruktionsdetails und des schnellen Variierens
einzelner Baugruppen eines Arbeitssystems verbessern die Voraussetzungen für
eine umfassende ergonomische Gestaltung ganzer Arbeitssysteme [BULL-94].

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Die Anfänge der Rechnerunterstützung in der ergonomischen Arbeitsgestaltung
liegen in den 60-er Jahren. Seitdem wird versucht, Teile eines ergonomischen Me-
thodeninventars rechnergestützt ablaufen zu lassen [LAND-97].
Es muss zwischen grafischen Mensch-Modellen und Methoden zur Belastungs-
bewertung unterschieden werden. Im ersten Fall ist die Modellierung anthropologi-
scher, biomechanischer und physiologischer Daten zu beweglichen 3-D-Mensch-
Modellen gemeint, während der zweite Fall Modelle beschreibt, anhand derer auf
der Basis von äußeren Kräften und Momenten Prognosen zur physischen Bela-
stung für den arbeitenden Menschen erstellt werden.
Ein Qualitätssprung in der technisch-ergonomischen Arbeitsgestaltung wurde
durch die synchrone Anwendung anthropologischer, biomechanischer und physio-
logischer Methoden erreicht. Durch Einbeziehung weiterer naturwissenschaftlich-
technischer Disziplinen und technischer Prinzipien, durch den Einsatz moderner
Bildaufzeichnungsverfahren und der Rechentechnik sind weitere Fortschritte er-
reichbar [LAND-97].
2.2.5.1 Grafische Mensch-Modelle
Die Computeranthropometrie ermöglicht die Substitution herkömmlicher darstel-
lender Methoden (z.B. Schablonensomatographie) und die Integration vorherge-
hender Anwendungen des Rechnereinsatzes (z.B. CAD-Daten) in Form einer
komplexen Applikation.
Für die Entwicklung von Computeranthropometrie-Software waren drei Vorausset-
zungen ausschlaggebend:
-
Das Vorliegen einer Fülle numerischer Daten der Anthropometrie und die
Kenntnis biomechanischer Gesetzmäßigkeiten hat in der Ergonomie ma-
thematische Beschreibungswünsche des menschlichen Körpers hervorge-
rufen. Mit dem verstärkten Aufkommen der Rechentechnik wurde diese
Entwicklung entsprechend dem Wissensfortschritt auf einem höheren Ni-
veau fortgesetzt.
-
Mit dem Einzug der CAD-Technik in Konstruktion und Projektierung ver-
schwanden teilweise die Medien ,,technische Zeichnung" und ,,gegenständ-

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liches Modell". An ihre Stelle trat das Medium ,,Bildschirm". Zu diesem Me-
dium sind die konventionelle Zeichenschablone oder das im Modellbau ge-
fertigte Abbild des Menschen nicht mehr kompatibel. Um das Einfließen er-
gonomisch-anthropometrischer Erkenntnisse in den Konstruktions- und
Projektierungsprozess zu sichern, war die Entwicklung entsprechender
Software unausweichlich.
-
Die Entwicklung von Anthropometie-Software wurde durch die Animations-
technologie für Trickfilme, die konstruktive Animation, die Anfertigung von
TV-Werbespots bzw. Videoclips sowie die kommerzielle und künstlerische
Computergrafik entscheidend stimuliert und beeinflusst. In diesem Zusam-
menhang waren auch Anwendungsfälle aus der Medizin (z.B. Prothetik, Or-
thopädie), der Verkehrstechnik (Simulation von Crash-Versuchen) und des
Leistungssports (Simulation von Bewegungsabläufen) interessant.
Bis 1997 waren über 50 Programme bekannt, wovon etwa 20 Software-Pakete als
anspruchsvoll zu charakterisieren waren [LAND-97]. Bild 2.11 gibt einen Überblick
über wichtige Schritte der Computeranthropometrie.
Bild 2.11:
Ausgewählte wichtige Schritte der Computeranthropometrie [LAND-
97]

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Gegenwärtig werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Modellie-
rungsschärfe gegenüber der menschlichen Realität zu erhöhen. Dies betrifft vor
allem langwierige Labor- und Felduntersuchungen zur Ermittlung der real ge-
bräuchlichen Körperhaltungen des Menschen [LAND-97].
In den meisten Simulationsprogrammen werden typische Körperhaltungen und
-stellungen langwierig im Dialogbetrieb über die Werte der modellierten Bewe-
gungsachsen des Körpers eingestellt und in Bibliotheken für die Wiederverwen-
dung abgespeichert. Wenige Systeme enthalten mathematische Verfahren, mit
denen das Programm unter Berücksichtigung biomechanischer Grundsätze eine
Körperhaltung nach vorgegebenen Zielpunkten für Extremitäten und Körperbasis
selbst findet [LAND-97].
Mensch-Modelle sollen auch der ergonomischen Bewertung von in Planung be-
findlichen Arbeitssystemen dienen. Dieser Aufgabe können sie oft jedoch noch
nicht umfassend gerecht werden, weil
-
die Belastungsanalyse anhand einzelner Arbeitshaltungen vorgenommen
wird, wobei nicht sichergestellt werden kann, dass der Benutzer in jedem
Fall kritische Arbeitshaltungen erkennt,
-
oft nicht sicher gestellt werden kann, dass der Benutzer organismische
Engpässe erkennt und bei der Belastungsanalyse berücksichtigt,
-
oft nicht sicher ist, dass die autoanimierten oder vom Benutzer durch Ge-
lenkwinkeleditierung eingestellten Arbeitshaltungen den natürlichen Ar-
beitshaltungen entsprechen,
-
die Belastungsanalyse Einzelsituationen prüft, jedoch eine Kumulation der
Belastung über die Schichtzeit - vor allem bezüglich der Überschreitung von
Dauerleistungsgrenzwerten - nicht vorgenommen wird [LAND-97].
2.2.5.2 Rechnergestützte Methoden der Belastungsbewertung
In Bezug auf die Bewertung der Handhabung von Lasten wurden vier Modellklas-
sen entwickelt: Physiologische, psychophysikalische, biomechanische und epide-
miologische Modelle.

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Physiologische Modelle basieren vor allem auf Erkenntnissen zur Beurteilung der
Langzeitwirkung einer Arbeit (Kriterium der Erträglichkeit). Schäden, die durch
einmalige Spitzenbelastungen hervorgerufen werden, können damit nicht progno-
stiziert werden.
Psychophysikalische Modelle setzen die Intensität eines physikalischen Reizes
und dessen Empfindung durch den Mitarbeiter zueinander in Beziehung (Kriterium
der individuellen oder kollektiven Zumutbarkeit).
Epidemiologische Modelle machen Aussagen zum Zusammenhang beruflicher
Belastungen und arbeitsbedingter Erkrankungen bzw. Berufskrankheiten (Kriteri-
um der Erträglichkeit).
Eine Sonderrolle spielen biomechanische Modelle, bei denen es gilt, die Interakti-
on zwischen arbeitsinhaltbezogenen physikalischen Größen und dem lebenden
Körper zu erfassen. Biomechanische Modelle liefern mit Hilfe mechanische Analy-
sen Aussagen über:
-
die Standsicherheit des Körpers,
-
die maximalen Körperkräfte,
-
die Bewegungsabläufe,
-
die mechanische Beanspruchung einzelner Organe,
-
die geleistete mechanische Arbeit [LAND-97].
2.3 Ergonomie-Analyse-Methoden
Auch wenn bei der Planung eines Arbeitsplatzes auf ergonomische Gesichtspunk-
te Rücksicht genommen wurde, sind die Ergebnisse zunächst lediglich Nähe-
rungslösungen.
Aus diesem Grunde ist es notwendig, die projektierten Gestaltungsvarianten auf
ihre ergonomische Qualität hin zu prüfen. Hierzu stellt die Ergonomie eine Vielzahl
von Methodiken bereit, von denen im folgenden eine Auswahl aufgelistet wird.

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2.3.1 Die
visuelle
Begutachtung
Die visuelle Begutachtung (Beobachtung) ist eine der ältesten wissenschaftlichen
Methoden, aber eine sehr effiziente und relativ aufwendungsarme Methodik. Mit
minimalen Aufwendungen kann man eine viele Mängel bei der ergonomischen
Gestaltung von Arbeitsplätzen aufdecken und Informationen zu deren konkreter
Gestaltungsqualität gewinnen [MARQ-97].
Auf der Grundlage eines breiten Fachwissens zur Ergonomie oder anhand von
Checklisten wird eine Bestandsaufnahme zur ergonomischen Gestaltung mit ei-
nem Soll-Ist-Vergleich durchgeführt. Man erhält so einen ersten Gesamteindruck
und mitunter bereits relevante Informationen, die für die weitere Analysetätigkeit
von Bedeutung sein können. So lassen sich z.B. Stolperstellen, Trittunsicherheiten
oder scharfe Kanten eindeutig einschätzen. Auch zu den anthropometrischen Be-
dingungen (räumliche Verhältnisse, metrische Relationen, An- und Zuordnungen
von Regalen etc.) kann der Begutachter durch einfaches Beobachten Informatio-
nen erlangen [MARQ-97].
2.3.2 Die Selbst- und Fremdbeobachtung
Die vorhergehend dargestellte Methode der visuellen Begutachtung ist eigentlich
immer untrennbar mit einer Selbstbeobachtung verbunden. Mit der Realisierung
der Selbstbeobachtung, das heißt bei der Durchführung des Arbeitsvorgangs
durch den Begutachter in der Rolle der Arbeitsperson, lassen sich weitere fundier-
te Informationen zur ergonomischen Qualität abschöpfen [MARQ-97].
Die erlangten Begutachtungsergebnisse sind natürlich mit einem sehr hohen Grad
an Subjektivität belastet. Zu beachten ist hierbei unbedingt, dass die ergonomi-
schen Ergebnisse gravierend verfälscht werden können, wenn große Erfahrungen
mit der Spezifik des begutachteten Objekts vorliegen (,,Betriebsblindheit"). Dies
kann beispielsweise bei Ingenieuren der Fall sein, wenn diese an der Entwicklung
des Arbeitsplatzes von Anfang an mitgewirkt haben. Daher sollten nach Möglich-
keit weitgehend mit dem Projekt nicht vertraute (unbefangene) Personen eine Be-
gutachtung durchführen [MARQ-97].

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Um keiner Selbsttäuschung zu unterliegen und um ein höheres Maß an Objektivi-
tät anzustreben, sollten die Ergebnisse der Selbstbeobachtung mit einer Fremd-
beobachtung komplettiert werden. Diese Methodik kommt insbesondere auch
dann in Frage, wenn dem Begutachter die Kompetenz zur Bedienung einer Anlage
oder zur Durchführung der Montageaufgabe fehlt oder die Bedienung nur durch
Fachpersonal zulässig ist. Als Begutachter begutachtet man in diesem Falle den
Mitarbeiter bei der Ausführung seiner Aufgabe und protokolliert auftretende
Schwierigkeiten bzw. Probleme [MARQ-97].
2.3.3 Die mündliche und schriftliche Befragung
Mittels Befragung von Arbeitspersonen oder Experten (z.B. Ausbilder) kann der
Informationsumfang zur ergonomischen Qualität weiter komplettiert werden, so
dass sich ein insgesamt vollständigeres Bild der ergonomischen Gestaltung ergibt.
Mitunter gibt es gar keine Alternative, wenn beispielsweise der Begutachter das
Begutachtungsobjekt aus Sicherheitsgründen nicht betreten darf [MARQ-97].
Auf der Grundlage von Erfahrungen, die bei der visuellen Begutachtung und bei
der Selbst- und Fremdbeobachtung gewonnen wurden, kann sich der Untersu-
chende einen gezielten Fragenspiegel ausarbeiten und eine bestimmte Anzahl
von Mitarbeitern und Experten befragen. Die bei der mündlichen Befragung erziel-
ten Ergebnisse sind allerdings kritisch zu bewerten, da das Interview als unstan-
dardisierte Methode mit einer Reihe von Problemen behaftet ist. Diese Methodik
setzt einen großen Erfahrungsschatz voraus, es können aber unter Umständen
Informationen abgeleitet werden, die ansonsten mit einem ungleich höheren Auf-
wand oder gar nicht erzielbar wären [MARQ-97].
Mit Hilfe eines Fragebogens lassen sich ebenfalls wesentliche Informationen ge-
winnen. Es müssen hierbei durch den Untersuchungsdurchführenden eine Reihe
von Fragen zur ergonomischen Gestaltung ausgearbeitet und formuliert werden.
Von Vorteil erweist es sich dabei, die Qualität anhand von Ratingskalen (Schätz-
skalen) beurteilen zu lassen, wobei sich der Aufwand zur Auswertung wesentlich
reduziert [MARQ-97].
Vorzugsweise sollte man sich einer sechsstufigen Notenskala bedienen, da diese
allgemein bekannt sein dürfte und so ohne größere Probleme durch die Adressan-

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ten handhabbar sein müsste. Diese Methode bietet sich an, wenn der Begutachter
wenig Erfahrung mit dem Begutachtungsobjekt besitzt, wenn dieser nur wenig Zeit
in die Untersuchung investieren oder wenn dieser überhaupt nicht präsent sein
kann [MARQ-97].
Es sollten mindestens 30 Mitarbeiter befragt werden bzw. den Fragebogen ausfül-
len, um eine fundierte statistische Auswertung zu ermöglichen. Für die Anwen-
dung von Fragebögen müssen Instruktionen erarbeitet werden, damit die Ver-
suchspersonen über den Gegenstand der Befragung informiert und für die Befra-
gung motiviert sind [MARQ-97].
2.3.4 Die Vornahme von Messungen
Die Sicherheitsabstände in den Arbeitszonen, die Umweltfaktoren und die anthro-
pometrischen und physiologischen Parameter (Maße, Kräfte, Drehmomente) wer-
den metrisch registriert [MARQ-97].
Es gibt in der Praxis eine Vielzahl von gebräuchlichen Verfahren, die gewonnenen
Messwerte und die aus den verschiedenen Formen der Befragung bzw. Beobach-
tung erlangten Erkenntnisse miteinander in Beziehung zu setzen und auszuwer-
ten. Viele dieser Analysen stellen lediglich firmeninterne Entwicklungen dar, die
rechtlich nicht bindend sind, die aber in der Anwendung dennoch verbreitet und
gebräuchlich sind.
Eine Auswahl dieser Analyseverfahren wird im Folgenden beschrieben.
2.3.5 Analyse von Körperhaltungen
2.3.5.1 Sämann
Das Verfahren nach Sämann wurde im Rahmen einer Dissertation am Institut für
Arbeitswissenschaft der Technischen Universität Berlin entwickelt. Es besteht aus
einem Vergleich der bei der Tätigkeit vorliegenden Körperhaltung mit der Sä-
mann´schen Rangreihe und dem Ablesen des Ranges. Die Rangreihe (Bild 2.12)

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besteht aus 14 Körperhaltungen, die für die Praxis typische Arbeitstellungen und -
haltungen enthält.
Das Verfahren betrachtet isolierte Muskeln anstelle von Muskelketten, die zur Auf-
rechterhaltung einer Körperhaltung nötig sind. Neben der Bewertung der Ganz-
körperhaltung fehlt ein Ansatz zur Bewertung lokaler Engpässe, falls diese das
Ausüben einer bestimmten Tätigkeit terminieren.
Aufgrund der geringen Anzahl der berücksichtigten Haltungen ist die Methode
schnell durchführbar, enthält allerdings auch nur wenige Differenzierungsmöglich-
keiten. Das Verfahren gestattet in erster Linie eine Bewertung statischer Körper-
haltungen. Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass dynamische Körper-
haltungen hinsichtlich ihres Belastungsniveaus überbewertet werden.
Bild 2.12:
Körperhaltungssystematik nach Sämann (Ausschnitt) [LAND-97]
Der Sämann´schen Rangreihe liegen folgende Bewertungskriterien zugrunde:
-
Energiebedarf einer Körperhaltung gegenüber der Ruhelage
-
Pulsfrequenzerhöhung gegenüber der Ruhelage
-
EMG-Befunde (EMG = Elektromyographie) einer Körperhaltung an dafür
ausgewählten Muskel(-gruppen)

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Untersucht werden statische und dynamische Haltungen mit und ohne äußere Be-
lastung [LAND-97].
2.3.5.2 Modifikationen und Erweiterungen innerhalb eines ,,Systems zur A-
nalyse von Körperhaltungen" (SAK)
SAK wurde bei der Daimler-Chrysler AG in Bremen entwickelt und ist ein dreistufi-
ges Verfahren zur systematischen Erfassung und Bewertung von besonders bela-
stenden Arbeitsplätzen. Dabei wird in Stufe 2 und 3 eine ,,summarische Bela-
stungsrangstufe" (SBR) mit unterschiedlichem Detaillierungsgrad ermittelt, welche
neben der Sämann´schen Rangplatznummer auch Auftretenshäufigkeiten und
andere Faktoren berücksichtigt [LAND-97].
Bild 2.13 zeigt die Zuordnung der Belastungskategorien zu den summarischen
Belastungsrangstufen.
SBR1
Kategorie
Belastung
Handlungsbedarf
5
,
4
SBR
5
,
2
d
C
mittel
Arbeitsplätze, deren Arbeitsbelastungen durch
Arbeitsplatzrotation zufriedenstellend reduziert
werden können
8
SBR
5
,
4
d
B
hoch
Arbeitsplätze, deren Arbeitsbelastungen eine
baldige Umgestaltung erfordern (spätestens jedoch
beim, nächsten Modellwechsel)
8
SBR
!
A
höchst
Arbeitsplätze, deren Arbeitsbelastungen eine
schnellstmögliche Umgestaltung erfordern (entwe-
der durch Arbeitsgestaltung oder entlastende
Arbeitsplatzrotation)
Bild 2.13:
Zusammenhang von summarischer Belastungsrangstufe und
Handlungsbedarf
[LAND-97]
2.3.5.3 OWAS
Das OWAS-Verfahren (Ovako Working posture Analysing System) ist eine schnell
und universal einsetzbare, international anerkannte Methode, mit der Standard-
Körperhaltungen analysiert werden können. Das Verfahren wurde zunächst im
finnischen Stahlwerk OVAKO entwickelt und später durch den finnischen Rationa-
lisierungsrat weiter verfeinert [LAND-97].

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Es existieren zwei Versionen:
-
OWAS-Basis-Methode: Für Arbeiten, bei denen der Mensch mit dem ge-
samten Körper beteiligt ist
-
Punktuelle OWAS-Methode: Für sitzende oder stehende Tätigkeiten bei
(fast) ortsgebundenen Tätigkeiten
Jede Körperhaltung wird mit Hilfe eines 4- oder 5-stelligen Zahlencodes beschrie-
ben und entweder als Ganzkörperhaltung oder als beteiligte Teilkörperhaltung be-
wertet (Bild 2.14) [LAND-97] [EMHU-00].
Bild 2.14:
OWAS Körperhaltungscodierungen [LAND-97]
Mit Hilfe der in Bild 2.15 dargestellten Tabelle wird aus dem Zahlencode eine
Maßnahmenklasse abgeleitet, welche in Abhängigkeit von der Güte der Körperhal-
tung notwendige Maßnahmen zur Arbeitsplatzgestaltung beschreibt. Bild 2.16
zeigt ein Beispiel zur Ermittlung der Maßnahmenklassen, die in Bild 2.17 darge-
stellt werden.

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Bild 2.15:
Zuweisung der OWAS-Maßnahmenklassen [LAND-97]
Bild 2.16:
Ermittlung der OWAS-Maßnahmenklassen [EMHU-00]

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Bild 2.17:
Maßnahmenklassen nach der OWAS-Methode [LAND-97]
2.3.6 Analyse von Aktionskräften
Unter Aktionskräften versteht man Kräfte, welche vom Menschen nach außen ab-
gegeben werden. Sie setzen sich aus Muskel- und Massenkräften zusammen.
Besonderes Augenmerk gilt dabei statischen Aktionskräften, da durch die stati-
sche Muskelanspannung die Blutzufuhr gedrosselt wird und somit der Muskel
nicht ausreichend durchblutet wird. Dies führt zu einer schnelleren Ermüdung des
Muskels als bei dynamischer Arbeit, wo sich Blutbedarf und Durchblutung weitge-
hend im Gleichgewicht befinden [LAND-97].
2.3.6.1 Hand-Arm-Kraft-Analyse nach Burandt und Schultetus
Die Burandt-Schultetus-Analyse wurde von ihren Namensgebern in den Ergono-
mielaboren von Siemens entwickelt. Sie lässt im Gegensatz zu den meisten ande-
ren Verfahren neben der Kraftrichtung und dem Kraftangriffspunkt auch tätigkeits-
und personenbezogene Parameter in den Berechnungsgang einfließen:
-
Persönliche Faktoren (Geschlecht, Alter, Trainiertheit),
-
Kraftaufbringung (statisch / dynamisch),
-
Häufigkeit und Dauer der Kraftausübung,
-
Kraftangriffspunkt (weit / mittel / nah sowie vor dem Körper / seitlich / dia-
gonal und Kopfhöhe / Schulterhöhe / Taillenhöhe / Beckenhöhe),
-
Handstellung und Kraftrichtung.

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Zunächst werden die tätigkeits- und personenbezogenen Parameter ermittelt. Da-
nach werden die Referenzkraft- und Referenzmomentwerte (z.T. in Abhängigkeit
weiterer Parameter wie z.B. Kraftangriffspunkt und Kraftrichtung) aus Tabellen
abgelesen und mit Hilfe der oben genannten Parameter korrigiert. Das Ergebnis
der Berechnung ist die ,,zulässige Grenzkraft" bzw. das ,,zulässige Grenzmoment".
Bild 2.18 zeigt ein Arbeitsblatt zur Durchführung des Rechengangs.
Ein deutlicher Kritikpunkt ist die unsichere, nicht mehr recherchierbare Datenquel-
le. Da zur Zeit der Entstehung dieses Verfahrens eine Perzentildarstellung von
Kraftwerten noch unüblich war, ist zu vermuten, dass es sich bei den Referenz-
kraftwerten in den Tabellen um Kraftmittelwerte (evtl. mit leichten Abschlägen)
handelt, was einen großen Teil der Arbeitsbevölkerung überfordern würde. Be-
denklich erscheint auch der Faktor Trainiertheit, der je nach Verfahren Abschläge
von 20%, aber auch Zuschläge von bis zu 60% gestattet. Mit dem Einschätzen
dieses Parameters dürfte der ,,normale" Arbeitsgestalter überfordert sein [LAND-
97].

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Bild 2.18:
Arbeitsblatt zur Ermittlung von Grenzkräften und -momenten [SCHU-
87]

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2.3.6.2 Kräfteatlas
Der Kräfteatlas entstammt dem Institut für Arbeitswissenschaft der Technischen
Hochschule Darmstadt. Er enthält nur Kraftwerte. Personen- und tätigkeitsbezo-
gene Parameter werden nicht berücksichtigt.
Für vorgegebene Kraftrichtungen und Kraftangriffspunkte können in Tabellen ma-
ximale statische Aktionskräfte und -momente in perzentilisierter Form abgelesen
werden (Bild 2.19) [LAND-97].
Bild 2.19:
Auszug aus dem Kräfteatlas mit Krafttabelle und zugehöriger
Körperstellung
[LAND-97]

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2.3.6.3 DIN 33411
Die DIN 33411 entstand aus Forschungsergebnissen des Institutes für Arbeitswis-
senschaft der TH Darmstadt und des Lehrstuhls für Ergonomie der TU München.
In Abhängigkeit von Geschlecht, Kraftausübung (ein-, beidhändig), Angriffspunkt
und Richtung der Kraft- / Momentenausübung können aus Tabellen die Werte der
maximal erreichbaren statischen Aktionskräfte / -momente als ausgewählte Kraft-
perzentile abgelesen werden (Bild 2.20, Bild 2.21, Bild 2.22). Zu personen- oder
tätigkeitsbezogenen Parametern werden keine Angaben gemacht [LAND-97].
DIN 33411 ist nicht als Methode oder Verfahren anzusehen. Sie ist eine Daten-
sammlung, die wissenschaftlichen Gütekriterien genügt. Die in ihr enthaltenen Da-
ten können aber bei der Anwendung von Verfahren wie z.B. Burandt / Schultetus,
EN 1005-3 berücksichtigt werden [LAND-97].
Bild 2.20:
DIN 33411-3 Tabelle 1, maximale statische Aktionskräfte an
Handrädern
[DIN33411-3]
Bild 2.21:
Datensatz aus DIN 33411-4 mit Ablesebeispiel [DIN33411-4]

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Bild 2.22:
Auszug aus DIN 33411-5 [DIN33411-5]
2.3.6.4 EN 1005-3
Bei der EN 1005-3 handelt es sich um einen Normentwurf im Rahmen der EU-
Maschinenrichtlinie. Das Verfahren berücksichtigt die Verteilung von Geschlecht
und Alter in der Nutzerpopulation. In den Berechnungsvorgang fließt die Ge-
schwindigkeit der Kraftausübung, Frequenz und Dauer der Kraftausübung, sowie
die Arbeitsdauer ein. Mit Hilfe eines Korrekturfaktors werden für eine gewählte
Kraftausübung (Körperhaltung, Kraftrichtung, Kraftangriffspunkt) aus den Maxi-
malwerten empfohlene Kraftgrenzen abgeleitet.
Das Verfahren berechnet auf der Basis statischer Aktionskräfte empfohlene Gren-
zen für das Ausüben von Kräften. Die im Verfahren angewandten Korrekturfakto-
ren sind teils als wissenschaftlich gesichert, teils als Expertenurteil anzusehen. Die
im Hauptteil dargestellten Referenzkräfte entstammen einer französischen Norm.
Sie sind teils als Messwerte, teils als Expertenrating zu betrachten und entspre-
chen somit nicht dem Qualitätsstandard deutscher Kraftnormen. Auch erscheint
die Auswahl der zur Verfügung stehenden Kraftwerte eher dürftig [LAND-97].

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2.3.7 Analyse von manuellen Lastenhandhabungen
2.3.7.1 Burandt-Schultetus-Analyse für Lastheben
Die beim Heben und Tragen eingesetzte Burandt-Schultetus-Analyse berücksich-
tigt zusätzlich zum Hand-Arm-System auch das Rückgrat und die Beine [EMHU-
00].
Das Verfahren gliedert sich in zwei Ablaufschritte. Zunächst werden in Abhängig-
keit von Alter, Geschlecht und Trainiertheit, den Korrekturfaktoren für ,,Heben zu
zweit" und ,,einhändiges Heben", individuelle Maximalkräfte ermittelt, die von der
Körpergröße sowie der Griffsausgangs- und Griffendhöhe abhängen (Bild 2.23).
In einem zweiten Schritt wird aus der individuellen Maximalkraft und den Korrek-
turfaktoren für die ,,Häufigkeiten der Kraftanstrengungen", das ,,mitbewegte
Rumpfgewicht" und die ,,schweren Nebentätigkeiten" eine ,,erträgliche Grenzlast"
errechnet (Bild 2.24) [LAND-97].
Bild 2.23:
Ermittlung der individuellen Grenzkraft [LAND-97]

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Bild 2.24:
Ermittlung der erträglichen Grenzkraft [LAND-97]
Das Verfahren beruht auf Maximalkraftmessungen und sollte daher nur dann an-
gewendet werden, wenn der Belastungsengpass primär in einer lokalen Muskel-
ermüdung des Hand-Arm-Schulter-Systems liegt, d.h. Lasten mit einer aufrechten,
nicht gedrehten Körperhaltung im körpernahen Bereich manipuliert werden.
Da sich das Verfahren auf die Bewertung der Aktionskräfte beschränkt, liegt der
Bereich des maximalen Kraftvermögens im bodennahen Bereich. Dies suggeriert
dem ergonomisch nicht versierten Anwender, dass schwere Lasten in Bodennähe
manipuliert werden sollten, was ein hohes Schadensrisiko für die Lendenwirbel-
säule birgt.

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Das Verfahren berücksichtigt somit nicht das Schädigungsrisiko der Lendenwir-
belsäule, das bei der Manipulation schwerer Lasten oder der Lastenmanipulation
unter ungünstigen Bedingungen (z.B. körperfern, mit gebeugtem / gedrehtem
Rumpf) vorliegt [LAND-97].
2.3.7.2 NIOSH
Das Verfahren entstammt dem US-amerikanischen National Institute of Occupa-
tional Safety and Health (NIOSH). 1981 wurde es im ,,Work Practices Guide for
Manual Lifting" herausgegeben. 1991 folgte eine überarbeitete Version [LAND-97].
Im Gegensatz zu der 81er Analyse berücksichtigt die Version von 1991 auch He-
bevorgänge mit asymmetrischer Körperhaltung. Die ältere Version liefert ein ,,Ac-
tion Limit", einen Gewichtswert, der für 75% der weiblichen und 99% der männli-
chen Arbeiter akzeptabel ist und ein ,,Maximum permissible Limit", einen Ge-
wichtswert, der für 1% der weiblichen und für 25% der männlichen Beschäftigten
akzeptabel ist [EMHU-00].
Da die NIOSH91-Analyse die alte Version ablöste, wird im folgenden nur noch die
neue Variante behandelt.
In Abhängigkeit von horizontaler und vertikaler Griffentfernung zu Hubbeginn und
Hubende, sowie von vertikaler Hubdistanz, Rumpfdrehung, Greifbedingungen,
Hubfrequenz und Dauer der Handhabungstätigkeiten wird eine empfohlene Grenz-
last (Recommended Weight Limit, RWL) berechnet (Bild 2.25). Der ,,Lifting Index"
LI als Quotient aus aktueller Last und empfohlener Grenzlast gibt Auskunft über
akzeptable (
1
LI
d ) und nicht akzeptable (
1
LI
! ) Arbeitsbedingungen [LAND-97].
Die Ermittlung / Beurteilung von Grenzlasten erfolgt auf Basis eines dreidimensio-
nalen Ansatzes, der biomechanische (Kompressionsfestigkeit der Lendenwirbel-
säule), physiologische (zulässiger Energieumsatz) und psychophysische (als ma-
ximal zulässig empfundene Grenzlasten) Kriterien beinhaltet [LAND-97].

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Bild 2.25:
Ermittlung von Grenzlasten nach NIOSH [LAND-97]
Das Verfahren berücksichtigt Alter und Geschlecht, d.h. Haupteinflussfaktoren auf
die physische Leistungsfähigkeit, nicht.
Die gewählten Wirbelsäulenkompressionswerte können bei Frauen zwischen dem
30. und 40., bei Männern zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr zu Überlastungen
führen. Auch ist die Aussagekraft psychophysischer Verfahren für Kraftaus-
übungsfälle, welche große Muskelmassen einschließen, aber gleichzeitig hohe
Wirbelsäulenbelastungen bewirken, zumindest umstritten.

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Der multiplikative Verknüpfungsansatz führt dazu, dass bei einem gleichzeitigen
Vorliegen mehrerer ungünstiger Bedingungen die empfohlene Grenzlast relativ
schnell gegen Null strebt.
Insgesamt wird durch den dreidimensionalen Bewertungsansatz ein prinzipiell hö-
heres Schutzniveau erreicht als dies bei den klassischen deutschen Verfahren
möglich ist, die nur auf der Basis von Maximalkraftwerten beruhen [LAND-97].
2.3.7.3 BMA Gutachten 1981
Das ,,Gutachten über Gewichtsgrenzen für Männer, Frauen und Jugendliche" wur-
de 1981 von Prof. Hettinger, Universität-GH-Wuppertal, im Auftrag des Bundesmi-
nisters für Arbeit und Sozialordnung erstellt. In Bild 2.26 sind die Ergebnisse des
Gutachtens zusammengefasst. Es berücksichtigt nach Angaben des Autors fol-
gende Körpersysteme:
-
Skelettsystem und dessen Belastbarkeit,
-
Muskulatur, Kraft und deren Trainierbarkeit,
-
Kardiopulmunares System, Ausdauer und deren Anpassungsfähigkeit,
-
Psychomotorik und deren Übbarkeit sowie
-
anatomisch geschlechtsspezifische Gesichtspunkte.
Bild 2.26:
Gewichtsgrenzen beim Handhaben von Lasten [LAND-97]
Das Verfahren ist einerseits in seiner Form als Tabelle sehr einfach anwendbar,
andererseits differenziert es im Hinblick auf die Betätigungsfrequenz mit den Ein-
stufungen ,,gelegentlich" (weniger als zweimal pro Stunde) und ,,häufig" (mehr als
zwei- bis dreimal pro Stunde) nur sehr ungenügend. Auch erscheint die Höhe der
Ende der Leseprobe aus 205 Seiten

Details

Titel
Rechnergestützte Arbeitssystemmodellierung in der manuellen Motorradmontage
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1.3
Autor
Jahr
2001
Seiten
205
Katalognummer
V186024
ISBN (eBook)
9783869439662
ISBN (Buch)
9783869430546
Dateigröße
5829 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rechnergestützte, arbeitssystemmodellierung, motorradmontage
Arbeit zitieren
Tobias Schäfer (Autor:in), 2001, Rechnergestützte Arbeitssystemmodellierung in der manuellen Motorradmontage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186024

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