Ermittlung der Verschleißursachen beim Spanen von Vermikularguss


Diplomarbeit, 2001

151 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Institut für
Fertigungstechnik und Spanende Werkzeugmaschinen
Universität Hannover
Diplomarbeit
Ermittlung der Verschleißursachen
beim Spanen von Vermikularguss
vorgelegt von
cand. mach. Tobias Schäfer
Hannover, 16. Juli 2001

Abstrakt
Thema
:
Ermittlung der Verschleißursachen beim Spanen von
Vermikularguss
von:
Tobias
Schäfer
Abgabedatum:
16. Juli 2001
Im Rahmen dieser Arbeit wird das Verschleißverhalten verschiedener Schneidstoffe mit
unterschiedlichen Werkzeuggeometrien bei der Zerspanung von Gusseisen mit Vermi-
kulargraphit untersucht. Die Zerspanversuche werden im Außenlängsdrehen von
GJV600 unter Variation der Schnittgeschwindigkeit durchgeführt. Es erfolgt eine Analy-
se der während des Bearbeitungsprozesses auftretenden Zerspankraftkomponenten,
eine Betrachtung von REM-Aufnahmen der Spanflächen, eine Analyse der Elementver-
teilungen auf den Spanflächen mit dem EDX-System sowie eine Untersuchung von Dif-
fustonensvorgängen mit der Mikrosonde. Zur Beurteilung der Spanbildung und des Ein-
flusses der Bearbeitung auf die Werkstückrandzone werden Spanwurzeln erzeugt. Eine
Ermittlung der Temperaturen in der Spanfläche erfolgt beim Orthogonal-Einstechdrehen
von GJV550 und einem Vergleichswerkstoff GJL250.
Gute Standwege können mit Werkzeugen aus Aluminiumoxidkeramik und aus beschich-
tetem Hartmetall erreicht werden. Dabei ist beschichtetes Hartmetall eher für konventio-
nelle Schnittgeschwindigkeiten geeignet, während Aluminiumoxidkeramik im Bereich der
Hochgeschwindigkeitszerspanung einsetzbar ist. Durch das Verrunden der Schneidkan-
te wird die erreichbare Schnittlänge von Werkzeugen aus Al
2
O
3
weiter erhöht.
Der Verschleiß wird verursacht durch hohe mechanische bzw. abrasive Belastungen
aufgrund der Inhomogenität des Werkstoffgefüges und der Graphitmorphologie unter-
stützt durch die Schwächung der Schneidstoffe durch hohe Temperaturen beim
Zerspanprozess und tribochemische Reaktionen bzw. Diffusionen, die wegen der feh-
lenden Ausbildung einer Sulfidschicht zwischen Werkzeug und Werkstoff ablaufen kön-
nen. Außerdem kommt es zu einer mit der Schnittgeschwindigkeit ansteigenden Erhö-
hung der Mikrohärte in der plastisch verformten Randzone der Werkstücke. Bei der Be-
arbeitung von GJV mit Aluminiumoxidkeramik entstehen weiße Schichten auf den Spä-
nen, die vermutlich eine hohe Härte besitzen und stark abrasiv wirken.

Inhaltsverzeichnis
Seite I
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung...1
2
Zielsetzung und Vorgehensweise...2
3
Stand der Kenntnisse ...4
3.1
Gusseisen mit Vermikulargraphit ...4
3.1.1
Gefügeaufbau ...4
3.1.2
Einfluss von Legierungselementen ...6
3.1.3
Mechanische Eigenschaften ...8
3.2
Grundlagen des Drehens ...12
3.2.1
Bewegungen, Geometrie und Eingriffsgrößen beim Drehen...12
3.2.2
Spanbildung ...15
3.2.3
Kräfte beim Drehen...19
3.2.4
Energieumsetzung ...23
3.2.5
Verschleiß ...26
3.2.6
Schneidstoffe ...32
3.3
Zerspanbarkeit von Gusseisen ...38
3.3.1
Gusseisen mit Kugelgraphit ...39
3.3.2
Gusseisen mit Lamellengraphit...39
3.3.3
Gusseisen mit Vermikulargraphit ...40
4
Versuchsdurchführung und -auswertung...42
4.1
Versuchswerkstoffe...42
4.2
Schneidstoffe ...45
4.3
Versuchseinrichtungen...46
4.4
Messeinrichtungen ...48
4.5
Verschleißuntersuchungen ...50
4.6
Spanwurzeluntersuchungen...52
4.7
Temperaturermittlung in der Kontaktzone ...54
5
Ergebnisse der Verschleißuntersuchungen ...56
5.1
Einsatzverhalten von unbeschichtetem Hartmetall HW...56
5.2
Einsatzverhalten von beschichtetem Hartmetall HC ...60
5.3
Einsatzverhalten von kubisch kristallinem Bornitrid BN...64
5.4
Einsatzverhalten von Siliziumnitrid-Keramik CN ...69
5.5
Einsatzverhalten von Aluminiumoxidkeramik CA ...73
5.6
Einsatzverhalten von CA-R mit verrundeter Schneidkante ...78
5.7
Vergleich der Schneidstoffe ...81

Inhaltsverzeichnis
Seite
II
5.8
Variation der Schnittgeschwindigkeit...84
5.8.1
Außenlängsdrehen mit HC bei v
c
= 200 m/min ...84
5.8.2
Außenlängsdrehen mit CA bei v
c
= 200 m/min und v
c
= 1000 m/min ...87
5.8.3
Vergleich der Standwege von HC und CA bei
verschiedenen
Schnittgeschwindigkeiten ...91
6
Ergebnisse der Spanwurzeluntersuchungen ...93
6.1
Spanwurzelerzeugung mit Werkzeugen aus CA bei
verschiedenen
Schnittgeschwindigkeiten...93
6.1.1
Spanbildung bei der Bearbeitung mit CA bei v
c
= 200 m/min ...93
6.1.2
Spanbildung bei der Bearbeitung mit CA bei v
c
= 400 m/min ...95
6.1.3
Spanbildung bei der Bearbeitung mit CA bei v
c
= 600 m/min ...97
6.1.4
Spanbildung bei der Bearbeitung mit CA bei v
c
= 800 m/min ...99
6.1.5
Spanbildung bei der Bearbeitung mit CA bei v
c
= 1000 m/min ...101
6.1.6
Vergleich der Ergebnisse bei der Bearbeitung mit dem
Schneidstoff CA bei verschiedenen Schnittgeschwindigkeiten ...103
6.2
Spanwurzelerzeugung mit Werkzeugen aus HC bei
verschiedenen
Schnittgeschwindigkeiten...105
6.2.1
Spanbildung bei der Bearbeitung mit HC bei v
c
= 200 m/min ...105
6.2.2
Spanbildung bei der Bearbeitung mit HC bei v
c
= 600 m/min ...107
6.2.3
Vergleich der Spanbildung bei der Bearbeitung mit HC...109
6.3
Spanwurzelerzeugung mit verschiedenen Werkzeuggeometrien bei
v
c
= 600 m/min ...111
6.3.1
Spanbildung bei der Verwendung von CA-R ...111
6.3.2
Vergleich der Ergebnisse bei der Bearbeitung mit
verschiedenen Werkzeuggeometrien bei v
c
= 600 m/min ...113
7
Ergebnisse der Temperaturermittlung in der Spanfläche ...115
7.1
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJV550
mit HC bei v
c
= 200 m/min ...115
7.2
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJL250
mit HC bei v
c
= 200 m/min ...117
7.3
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJV550
mit HC bei v
c
= 400 m/min ...120
7.4
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJL250
mit HC bei v
c
= 400 m/min ...122
7.5
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJV550
mit HC bei v
c
= 600 m/min ...125
7.6
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJL250
mit HC bei v
c
= 600 m/min ...127

Inhaltsverzeichnis
Seite
III
7.7
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJV550
mit HC bei v
c
= 800 m/min ...130
7.8
Temperaturen in der Spanfläche bei der Bearbeitung von GJL250
mit HC bei v
c
= 800 m/min ...132
7.9
Vergleich der ermittelten Temperaturen...135
8
Zusammenfassung und Ausblick ...138
9
Literaturverzeichnis ...142

Abkürzungen und Sonderzeichen
Seite IV
Abkürzungen und Sonderzeichen
D Freiwinkel
Grad
E Keilwinkel
Grad
J Spanwinkel
Grad
H Eckenwinkel
Grad
I Scherwinkel
Grad
K Sekundärverformungswinkel
Grad
K Wirkrichtungswinkel
Grad
M Vorschubrichtungswinkel
Grad
N Einstellwinkel
Grad
O Wärmeleitfähigkeit
W/(m
K)
O
b
Spanbreitenstauchung -
O
h
Spandickenstauchung -
O
s
Neigungswinkel
Grad
O
w
Spankürzung
-
U Reibungswinkel
Grad
U Dichte
kg/m
3
A Spanungsquerschnitt
mm
2
A
J
Transformationsmatrix für
J -
A
O
Transformationsmatrix für
O -
A
N
Transformationsmatrix für
N -
a
e
Arbeitseingriff
mm
a
k
Kerbschlagzähigkeit
J/cm²
a
p
Schnittbreite,
Schnitttiefe,
Zustellung
mm
A
S
Transformationsmatrix für Schneidplattenkoordinaten
b Spanungsbreite
mm
b Wärmeeindringkoeffizient
Ws
1/2
/(m
2
K)
b´ Spanbreite
mm
b
St
Stegbreite
mm
BN kubisch
kristallines
Bornitrid
-
CA Aluminiumoxidkeramik
-
CN Siliziumnitridkeramik
-
d
max
Kontaktdurchmesser
mm
E Elastizitätsmodul
Pa
EDX
Energy Dispersive X-Ray Analysis
f Vorschub
mm
F
a
Aktivkraft N
F
c
Schnittkraft N
F
cm
Mittelwert
der
Schnittkraft
N
F
cmax
Schnittkraft bei VB
C
= 0,3 mm
N

Abkürzungen und Sonderzeichen
Seite V
F
f
Vorschubkraft N
F
fm
Mittelwert
der
Vorschubkraft
N
F
fmax
Vorschubkraft bei VB
C
= 0,3 mm
N
F
N
J
Normalkraft auf der Spanfläche
N
F
N
I
Normalkraft an der Scherebene
N
F
p
Passivkraft N
F
pm
Mittelwert
der
Passivkraft
N
F
pmax
Passivkraft bei VB
C
= 0,3 mm
N
F
T
J
Tangentialkraft auf der Spanfläche
N
F
T
I
Tangentialkraft an der Scherebene
N
F
T
O
Tangentialkraft entlang der Schneidkante
N
F
Z
Zerspankraft N
GJL Gusseisen
mit
Lamellengraphit
-
GJS Gusseisen
mit
Kugelgraphit
-
GJV Gusseisen
mit
Vermikulargraphit
-
h Spanungsdicke
mm
h´ Spandicke
mm
HC beschichtetes
Hartmetall
-
HW
unbeschichtetes Hartmetall auf Wolframkarbid-Basis
-
IFW
Institut für Fertigungstechnik und Spanende Werkzeugma-
schinen
-
K Kolkverhältnis
-
KB Kolkbreite
mm
K
Ic
kritischer
Spannungsintensitätsfaktor
Pa
m
1/2
KL primäre
Kontaktlänge
mm
KM Kolkmittenabstand
mm
KT Kolktiefe
mm
l
d
Schnittlänge
beim
Drehen
m
l
f
Vorschubweg
mm
n
W
Werkstückdrehfrequenz
min
-1
q Wärmestromdichte
W/mm³
r
E
Schneidkantenradius
Pm
r
H
Eckenradius
Pm
R
a
arithmetischer Mittenrauhwert
µm
REM Rasterelektronenmikroskop
-
R
max
maximale Rauhtiefe
µm
R
z
gemittelte Rauhtiefe
µm
t Zeit
s
T Standzeit
min
TRS Transverse
Rupture
Strength
Pa
v
I
Schergeschwindigkeit m/min

Abkürzungen und Sonderzeichen
Seite VI
VB Verschleißmarkenbreite
mm
VB
i
Verschleißmarkenbreite im Bereich i = B, C, N
mm
v
c
Schnittgeschwindigkeit
m/min
v
e
Wirkgeschwindigkeit
m/min
v
f
Vorschubgeschwindigkeit
m/min
v
sp
Spangeschwindigkeit m/min
V
W
Zerspanvolumen
mm³
w Spanungslänge
mm
w´ Spanlänge
mm
-
Temperatur °C
-
0
Ausgangstemperatur
°C

1 Einleitung
Seite 1
1 Einleitung
Steigende Anforderungen an die Leistung, den Verbrauch und das Abgasverhalten mo-
derner Kfz-Motoren erfordern eine ständige Weiterentwicklung seitens der Automobil-
entwickler. Zum Erreichen dieser Ziele ist eine weitere Gewichtsreduzierung bei allen
Motorbauarten und ein Erhöhen der Zünddrücke ohne wesentliche Steigerung des Ge-
wichts bei Dieselmotoren ein geeigneter Ansatz. Die konstruktive Lösung dieses Ziel-
konflikts wird durch die Einführung neuer Werkstoffe ermöglicht.
Ein seit langem bekannter jedoch lange Zeit wenig beachteter Werkstoff ist Gusseisen
mit Vermikulargraphit (GJV). Dieses Material wurde lange Zeit als unerwünschte Form
des Gusseisens mit Kugelgraphit angesehen, zeichnet sich jedoch im Vergleich mit
Gusseisen mit Lamellengraphit (GJL) durch eine erhöhte Festigkeit und einen größeren
E-Modul aus, gegenüber Gusseisen mit Kugelgraphit (GJS) durch bessere Dämpfungs-
eigenschaften, eine gute Temperatur-Wechselbeständigkeit und bessere Giesseigen-
schaften. Seit Anfang der 90-er Jahre wurden von mehreren Herstellern Verfahren ent-
wickelt, diesen Werkstoff prozesssicher zu produzieren. 1995 setzte ein großer deut-
scher Automobilhersteller Motoren mit Zylinderblöcken aus GJV im Rennsport ein. Die
ausgezeichneten Eigenschaften dieses Motors erregten das Interesse anderer Herstel-
ler für dieses Material. In Dieselmotoren von Oberklassemodellen, die in Kleinserie ge-
baut werden, sowie in Nutzfahrzeug-Motoren wird der Werkstoff seit 1998 von drei wei-
teren Fahrzeugbauern eingesetzt /LAMP01/.
Um die Wirtschaftlichkeit der Herstellung von Motoren aus Gusseisen mit Vermikular-
graphit zu erhöhen und auch die Massenfertigung zu ermöglichen, ist die Bearbeitung
mit, idealerweise bereits vorhandenen, Transferstraßen notwendig. Diese sind jedoch im
allgemeinen auf die Bearbeitung von Gusseisen mit Lamellengraphit, dem konventionel-
len Werkstoff für Zylinderblöcke, ausgelegt. Es stellte sich schnell heraus, dass bereits
bei konventionellen Schnittgeschwindigkeiten ein um 30 - 50 % geringerer Standweg bei
der Bearbeitung von GJV in Kauf genommen werden musste, bei der Hochgeschwin-
digkeitsbearbeitung fiel dieser Wert sogar um 95 % ab /SAHM98/.
Um die Einrichtung neuer Fertigungsstraßen zu vermeiden, die Produktivität zu steigern
und um die Flexibilität, d. h. die Möglichkeit der Bearbeitung beider Gusswerkstoffe auf
den vorhandenen Maschinen, zu erhalten, ist die Entwicklung neuer Werkzeuge bzw.
Schneidstoffe erforderlich. Dafür müssen allerdings die Verschleißmechanismen und die
Vorgänge bei der Zerspanung bekannt sein.
Die Erforschung der Verschleißmechanismen beim Zerspanen von Gusseisen mit Ver-
mikulargraphit ist somit Inhalt der vorliegenden Arbeit. Die Ergebnisse dienen als Grund-
lage für die Weiterentwicklung bestehender Schneidstoffe bzw. die Entwicklung neuer
Werkzeuge.

2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Seite 2
2 Zielsetzung
und
Vorgehensweise
Ziel dieser Arbeit ist die Ermittlung der Verschleißursachen beim Spanen von Gusseisen
mit Vermikulargraphit. Es soll untersucht werden, nach welchen Mechanismen Werk-
zeuge aus verschiedenen Schneidstoffen und mit verschiedenen Geometrien verschlei-
ßen, um auf dieser Grundlage die Weiter- bzw. Neuentwicklung von Schneidstoffen für
die Bearbeitung dieses vielversprechenden Werkstoffes zu unterstützen.
Der Werkzeugverschleiß ist eines der Bewertungskriterien der Zerspanbarkeit eines
Werkstoffs. Er steht im Zusammenhang mit den Zerspankräften und der Spanart und ist
ein Einflussfaktor auf die Oberflächenausbildung des bearbeiteten Werkstücks.
In der industriellen Praxis hat sich herausgestellt, dass das Ausbohren von Zylinderlauf-
buchsen der Prozess ist, in dem die größten Standzeiteinbußen der Werkzeuge gegen-
über der Bearbeitung von Gusseisen mit Lamellengraphit bzw. der größte Werkzeugver-
schleiß festzustellen ist. Wegen der besseren Zugänglichkeit der Werkstückoberfläche,
und des Werkzeugs im Prozess und der damit verbundenen guten Möglichkeit der Auf-
nahme von Messwerten sowie der einfacheren Werkzeuggeometrie wurde das Drehen
als equivalenter Versuchsprozess gewählt. Wie beim Bohren handelt es sich hierbei um
einen ununterbrochenen Schnitt, auch die Bearbeitungsgeometrie bzw. die Schnittver-
hältnisse sind bei beiden Verfahren ähnlich.
Es stehen eine begrenzte Anzahl von Proben mit verschiedenen Maßen zweier Gussei-
sen mit Vermikulargraphit zur Verfügung: GJV600 und GJV550. Eine Analyse dieser
Werkstoffe durch das Institut für Werkstoffkunde der Universität Hannover liegt vor.
Zunächst werden die verschiedenen Wendeschneidplatten durch das Außenlängsdre-
hen von GJV600 bei definierten Schnittgeschwindigkeiten bis zur Verschleißgrenze be-
ansprucht. Hinsichtlich der Standzeit herausragende Schneidstoffe werden unter Varia-
tion der Schnittgeschwindigkeit weiter untersucht. Die Aufnahme der Kräfte während der
Bearbeitung gibt Aufschluss über die mechanische Belastung der Werkzeuge. Auch der
Einfluss der verschiedenen Werkzeuge bzw. Bearbeitungsparameter auf die Oberflä-
chenrauheit der Werkstücke wird ermittelt. Zur Begutachtung der verschlissenen
Schneidkanten werden am Laserzentrum Hannover REM-Aufnahmen angefertigt. Durch
eine EDX-Analyse am Institut für Werkstoffkunde werden Elementverteilungen auf der
Spanfläche der Schneidplatten ermittelt, um eine Abschätzung der sich gebildeten bzw.
abgelagerten Stoffe liefern zu können. Anschließend werden Querschliffe der Werkzeu-
ge angefertigt, um mit Hilfe der Mikrosonde am Institut für Werkstoffkunde Elementver-
teilungen des Inneren der Schneidstoffe, der Randzone sowie innerhalb der Beläge auf
Span- und Freifläche zu erhalten. Hiermit können Diffusionsvorgänge zwischen
Schneid- und Werkstoff ermittelt werden.

2 Zielsetzung und Vorgehensweise
Seite 3
Durch das Orthogonal-Einstechdrehen von GJV600 mit Schnittkraftunterbrechung wer-
den Spanwurzeln erzeugt, die der Untersuchung der Spanbildung dienen. Ferner wer-
den anhand dieser Spanwurzeln der Scherwinkel gemessen sowie Gefügeveränderun-
gen und -umformungen bzw. Härteänderungen ermittelt.
Abschließend werden beim Orthogonal-Einstechdrehen von GJV550 mit verschiedenen
Schnittgeschwindigkeiten die Temperaturen in der Spanfläche einer Wendeschneidplat-
te mit Thermoelementen ermittelt und die zu erwartenden Temperaturen in der Kontakt-
zone zwischen Spänen und Werkzeug berechnet.
Das Ergebnis der Verknüpfung der ermittelten Daten ist eine mögliche Erklärung der
Verschleißvorgänge für die verschiedenen Schneidstoffe, sowie die Auswahl der am
besten geeigneten Werkzeuge aus den vorhandenen Schneidplatten für verschiedene
Bearbeitungsparameter.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 4
3 Stand der Kenntnisse
3.1 Gusseisen
mit
Vermikulargraphit
Gusseisen mit Vermikulargraphit (EN-Kurzzeichen: GJV) ist schon ebenso lange wie
Gusseisen mit Kugelgraphit bekannt. Auf seine möglicherweise interessanten Eigen-
schaften wurde schon frühzeitig hingewiesen, jedoch gelang es erst 1969 ein Verfahren
zu entwickeln, mit dem dieser Werkstoff industriell hergestellt werden konnte /RÖHR91/.
Die Eigenschaften von Gusseisen mit Vermikulargraphit liegen zwischen denen von
Gusseisen mit Kugelgraphit und Gusseisen mit Lamellengraphit. Gusseisen mit Vermi-
kulargraphit hat eine bessere Festigkeit, Zähigkeit, Steifigkeit, Dauerwechselfestigkeit,
Oxidationsbeständigkeit und Temperaturwechselbeständigkeit als Gusseisen mit Lamel-
lengraphit, sowie bessere Gießeigenschaften, Bearbeitbarkeit, Dämpfungsfähigkeit und
Formbeständigkeit bei Temperaturwechseln als Gusseisen mit Kugelgraphit /RÖHR91/.
3.1.1 Gefügeaufbau
GJV hat seinen Namen von den wurmförmigen, an den Enden abgerundeten Graphit-
gebilden (Vermikeln), die nicht miteinander verbunden sind. Standardgrauguss (Kurz-
zeichen nach DIN EN 1561: GJL) bildet den Graphit in scharfkantigen, miteinander ver-
bundenen Lamellen aus (Gusseisen mit Lamellengraphit), während beim hochfesten
Sphäroguss (Kurzzeichen nach DIN EN 1563: GJS) der Graphit in frei orientierten ku-
gelartigen Formen vorliegt (Gusseisen mit Kugelgraphit) /INDR95/. Bild 3.1 zeigt die
verschiedenen Möglichkeiten der Graphitausbildung im Gusseisen im Vergleich.
Zum Erreichen der gewünschten Eigenschaften muss die Ausbildung des Graphits im
Werkstoff zu mindestens 80 - 90 % in vermikularer Form erfolgen, der Rest muss in
Form von Kugelgraphit vorliegen /NECH84/. Schon geringe Konzentrationen von Lamel-
lengraphit verschlechtern die Eigenschaften des Gusseisens erheblich (siehe Bild 3.5).

3 Stand der Kenntnisse
Seite 5
Bild 3.1:
Graphitmodifikationen bei Gusseisen
Bild 3.5 zeigt die Abhängigkeit der Zugfestigkeit und der Streckgrenze von der Nodulari-
tät. Die Nodularität ist ein Maß für den Gehalt der verschiedenen Graphitmodifikationen
im Gusseisen: 0 % bedeutet das alleinige Vorliegen von Vermikulargraphit, positive Pro-
zentzahlen geben den Gehalt von Kugelgraphit an, negative Prozentzahlen denjenigen
von Lamellengraphit.
Die Eigenschaften des Gusseisens werden außerdem durch die Form der Kristallmatrix
des Eisens bestimmt. Diese kann als Ferrit und als Perlit vorliegen. Bild 3.2 zeigt die
Einteilung des Gusseisens in Abhängigkeit von der Graphitform und vom Perlitanteil.
Innerhalb des Perlits kann das Fe
3
C in Konzentrationen von 8 % bis 15 % enthalten
sein. Auch die Konzentration des Zementits im Perlit beeinflusst die Eigenschaften des
GJV /DAWS99/.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 6
Bild 3.2:
Matrixcharakteristik von Gusseisen
3.1.2 Einfluss
von
Legierungselementen
3.1.2.1 Legierungselemente zur Stabilisierung des Perlits
Gusseisen mit Vermikulargraphit hat eine Tendenz, eine ferritische Matrix zu bilden.
Durch die Zumischung von 1 % Kupfer und 0,1 % Zinn erzielt man eine vorwiegend per-
litische (>95 %) Matrix. Neben Kupfer und Zinn gelten auch Antimon, Mangan und
Chrom als Perlit-Stabilisatoren /DAWS99/.
Durch die Bildung von Mangansulfid bindet das Mangan außerdem den freien Schwefel,
der ansonsten die mechanischen Eigenschaften des Gusseisens verschlechtern würde.
Die Konzentration des Mangans im GJV beträgt üblicherweise 0,35 - 0,45 %. Erst wenn
die Konzentration den zur Bindung des Schwefels nötigen Wert überschreitet, trägt das
Mangan zur Bildung von Perlit bei /DAWS99/.
3.1.2.2 Legierungselemente zur Stabilisierung des Ferrits
Silizium fördert die Bildung einer ferritischen Matrix. Gusseisen mit Vermikulargraphit
enthält typischerweise einen Anteil von 2,0 - 2,4 % Silizium. Durch ein Erhöhen der
Konzentration von Silizium auf 3 % oder darüber, kann eine zu 100 % ferritische Matrix
erzeugt werden. Die erhöhte Siliziumkonzentration verhärtet bzw. versprödet allerdings
die ferritische Matrix. Daher darf GJV in sicherheitsrelevanten Teilen maximal 2,7 % Si

3 Stand der Kenntnisse
Seite 7
enthalten. Ein weiterer Effekt des Siliziums ist die Verringerung der Wärmeleitfähigkeit
des GJV /DAWS99/.
Neben der Bildung der ferritischen Matrix dient das Impfen mit Silizium auch der Bildung
der Graphitkeime /LAMP01a/.
3.1.2.3 Der Einfluss von Magnesium
Magnesium dient der Desoxidierung der Schmelze sowie der Bildung der Graphitkeime
und der sicheren Ausformung der Graphitvermikel. Mit Silizium, Eisen und in der
Schmelze vorhandenem Sauerstoff bildet es das Mineral Olivin ((Fe,Mg)
2
SiO
4
), das in
den Gusswerkstücken homogen verteilt nachgewiesen wurde /LAMP01a/. Magnesium
ist je nach Charge in Konzentrationen von 0,005 % bis ca. 0,03 % im Werkstoff enthal-
ten /SHAO97/.
3.1.2.4 Der Einfluss von Schwefel
Im Gegensatz zu Gusseisen mit Lamellengraphit, dass einen Schwefelanteil von 0,1 %
enthalten kann, darf in Gusseisen mit Vermikulargraphit nur ungefähr 0,01 % des Ele-
ments auftreten, da die Graphitpartikel bei höheren Konzentrationen instabil werden
/DAWS99/.
3.1.2.5 Der Einfluss von Titan
Titan, das mit Kohlenstoff oder Stickstoff ungünstige Einschlüsse in der Form von harten
Karbiden bzw. Nitriden bilden kann, kommt im GJV nur in Spuren von 0,005 - 0,02 %
vor. Titan kann als Legierungselement genutzt werden, um die Verschleißfestigkeit des
Werkstoffs zu erhöhen. In höheren Konzentrationen unterdrückt Titan die Bildung von
Kugelgraphit /DAWS99/.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 8
3.1.3 Mechanische
Eigenschaften
Die komplexe Graphitmorphologie des Gusseisens mit Vermikulargraphit bewirkt eine
starke Trennfestigkeit zwischen dem Graphit und der Eisenmatrix. Sowohl die Rissbil-
dung als auch die Rissfortpflanzung wird gehemmt, so dass hier die Gründe für die bes-
seren mechanischen Eigenschaften gegenüber Gusseisen mit Lamellengraphit zu fin-
den sind /SHAO97/.
Neben der Ausbildung des Graphits, die durch die Nodularität beschrieben wird (siehe
Bild 3.5 und Bild 3.2), ist der Perlitanteil eine weitere die mechanischen Eigenschaften
bestimmende Einflussgröße (siehe Bild 3.2) /SHAO97/.
3.1.3.1 Kennwerte aus dem Zugversuch
Bild 3.5 zeigt die Abhängigkeit der Zugfestigkeit und der 0,2%-Dehngrenze von der No-
dularität. Es ist deutlich zu erkennen, dass bereits geringe Anteile von Lamellengraphit
die Eigenschaften stark verschlechtern. Mit steigender Nodularität steigt die Zugfestig-
keit nahezu linear an, die 0,2%-Dehngrenze bleibt im Bereich des GJV (
%
20
d
Nodulari-
tät) konstant.
Bild 3.4 zeigt die Zugfestigkeit und die 0,2%-Dehngrenze in Abhängigkeit vom Perlitan-
teils des Gefüges. Beide Kenngrößen weisen einen mit steigendem Perlitanteil linear
ansteigenden Verlauf auf.
Auch der Elastizitätsmodul ist von der Nodularität abhängig (Bild 3.5) und verhält sich
ähnlich wie Zugfestigkeit und 0,2%-Dehngrenze. Bild 3.4 zeigt, dass er vom Perlitanteil
nur wenig beeinflusst wird. Bei steigendem Perlitanteil erfolgt nur eine geringe degressi-
ve Zunahme.
3.1.3.2 Kerbschlagzähigkeit
Die Kerbschlagzähigkeit ist ein Maß für das Bruchverhalten eines Werkstoffs. Sie gibt
die im Kerbschlagbiegeversuch ermittelte Brucharbeit bezogen auf den Probenquer-
schnitt an. Bild 3.3 zeigt die Abhängigkeit der Kerbschlagzähigkeit verschiedener Guss-
eisenwerkstoffe von der Temperatur. Neben dem starken Anstieg der Werte beider
Gusseisen mit Vermikulargraphit bei Temperaturen oberhalb 600 °C fällt die stets höhe-
re Kerbschlagzähigkeit des GJV300 mit einer vorwiegend ferritischen Grundmatrix
(56,9 % Ferrit /KLOS93/) gegenüber derjenigen des GJV400 mit einer vorwiegend perli-
tischen Grundmatrix (69 % Perlit /KLOS93/) auf. Die Kerbschlagzähigkeit hängt also
auch vom Perlitanteil ab. Es konnten allerdings in der Literatur keine Hinweise auf den
Einfluss der Nodularität auf die Kerbschlagzähigkeit gefunden werden.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 9
Bild 3.3:
Mechanische Eigenschaften von Gusseisenwerkstoffen im Vergleich /KLOS93/
3.1.3.3 Härte
Die Härte von Gusseisen mit Vermikulargraphit hängt hauptsächlich vom Perlitanteil ab
(Bild 3.4). Bild 3.5 zeigt den deutlich geringeren Einfluss der Nodularität. Auch hier gilt,
dass bereits geringe Anteile von Lamellengraphit die Eigenschaften deutlich verschlech-
tern. GJV weist generell eine um 10% bis 15% höhere Härte auf als Gusseisen mit La-
mellengraphit bei gleichem Perlitanteil /SHAO97/.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 10
Bild 3.4:
Abhängigkeit mechanischer Eigenschaften vom Perlitanteil /SHAO97/
Bild 3.5:
Abhängigkeit mechanischer Eigenschaften von der Nodularität /SHAO97/

3 Stand der Kenntnisse
Seite 11
3.1.3.4 Wärmeleitfähigkeit
Die Wärmeleitfähigkeit von GJV ist um den Faktor 3 bis 5 größer als diejenige von Ferrit
oder Perlit. Es ist daher naheliegend, dass der Anteil und die Form des Graphits die be-
stimmenden Faktoren für die Wärmeleitfähigkeit der verschiedenen Gusseisen sind
/SHAO97/.
Neben dem Graphitgehalt und der Nodularität bestimmen aber dennoch der Perlitanteil
und die Temperatur die Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs. Dieser Zusammenhang wird
in Bild 3.6 dargestellt. Wiederum fällt auf, dass bereits ein geringer Anteil von Lamellen-
graphit eine starke Auswirkung auf den Verlauf der Kurven hat.
Bild 3.6:
Abhängigkeit der Wärmeleitfähigkeit vom Graphitanteil, vom Perlitanteil,
von der Nodularität und von der Temperatur /SHAO97/

3 Stand der Kenntnisse
Seite 12
3.2 Grundlagen des Drehens
3.2.1 Bewegungen, Geometrie und Eingriffsgrößen beim Drehen
Bild 3.7 zeigt die Bewegungen beim Außenlängsdrehen. Die Schnitttiefe a
p
und die Vor-
schubgeschwindigkeit v
f
bestimmen den Spanungsquerschnitt A. Die Schnittgeschwin-
digkeit v
c
ergibt sich aus der Drehfrequenz und dem Kontaktdurchmesser des Werk-
stücks (Gl. 3.1), die Vorschubgeschwindigkeit ergibt sich aus der Drehfrequenz des
Werkstücks und dem Vorschub f (Gl. 3.2) /TÖNS95/.
W
max
c
n
d
v
S
Gl.
3.1
f
n
v
W
f
Gl.
3.2
Bild 3.7:
Bewegungen beim Drehen /TÖNS95/
Durch die Vektoren der Schnittgeschwindigkeit und der Vorschubgeschwindigkeit wird
die Arbeitsebene aufgespannt (Bild 3.8). Die vektorielle Summe aus Schnitt- und Vor-
schubgeschwindigkeit ist die Wirkgeschwindigkeit v
e
. Mit der Schnittgeschwindigkeit
schließt sie den Wirkrichtungswinkel
K ein. Dieser Winkel und auch der Vorschubrich-
tungswinkel
M sind beim Drehen konstant (M = 90°). Für den Wirkrichtungswinkel gilt
folgende Beziehung /TÖNS95/:
M
M
K
cos
v
/
v
sin
tan
f
c
.
Gl. 3.3

3 Stand der Kenntnisse
Seite 13
Bild 3.8:
Wirkrichtung in der Arbeitsebene /TÖNS95/
Bild 3.9 zeigt die am Werkzeug vorhandenen bzw. einstellbaren Winkel sowie die zu
ihrer Definition notwendigen Ebenen. Auch die Bezeichnungen der verschiedenen Flä-
chen des Werkzeugs (hier: Wendeschneidplatte) werden hier dargestellt.
Am Schneidkeil sind in der Keilmessebene, die senkrecht auf Bezugsebene und
Schneidenebene aufgespannt ist, der Freiwinkel
D, der Spanwinkel J und der Keilwinkel
E (E = 90° - (D + J)) messbar. Der Neigungswinkel O
S
wird in der Schneidenebene bzw.
Bezugsebene gemessen. In dieser Ebene sind auch der Einstellwinkel
N und der Ecken-
winkel
H sowie die Schneidkeilrundung mit dem Kantenradius r
E
und dem Eckenradius r
H
definiert /TÖNS95/.
Aus den Eingriffsgrößen Schnitttiefe bzw. Zustellung a
p
und Vorschub f ergibt sich der
Spanungsquerschnitt A (Bild 3.10). Er lässt sich auch in den für die Kennzeichnung des
Spanbildungsvorgangs wesentlichen Größen Spanungsbreite b und Spanungsdicke h
angeben /TÖNS95/.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 14
Bild 3.9:
Bezeichnungen am Drehwerkzeug /TÖNS95/
Bild 3.10:
Schnitt- und Spanungsgrößen /TÖNS95/

3 Stand der Kenntnisse
Seite 15
3.2.2 Spanbildung
Beim Eindringen des Schneidkeils in den Werkstoff wird dieser plastisch verformt und
gleitet als Span über die Spanfläche des Werkzeugs ab. Bild 3.11 zeigt diesen Vorgang
in der Keilmessebene, in der der Stofffluss stattfindet /TÖNS95/.
Bild 3.11: Spanungsquerschnitt
und
Schneidkeil
/TÖNS95/
Da sich die Spanbildung nicht ohne weiteres beobachten lässt, wurden Methoden ent-
wickelt, das Verformungsgeschehen vor dem Schneidkeil sichtbar zu machen.
Bei der Schnittunterbrechung werden Werkzeug und Werkstoff plötzlich voneinander
getrennt. Dies kann durch eine Bewegung des Werkzeugs oder des Werkstücks bzw.
von Segmenten des Werkstücks geschehen. Der Verformungszustand am Werkstück
wird durch diesen Vorgang ,,eingefroren", so dass er nach metallographischer Präparati-
on untersucht werden kann. Bild 3.12 illustriert die am IFW gebräuchliche Methode,
Spanwurzeln zu erzeugen.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 16
Bild 3.12:
Versuchsvorrichtung für die Spanwurzeluntersuchung
Je nach Werkstoff und Zerspanungsbedingungen lassen sich die in Bild 3.13 aufgeführ-
ten Spanbildungsarten unterscheiden.
Bild 3.13: Spanbildungsarten
/TÖNS95/

3 Stand der Kenntnisse
Seite 17
Bei dem im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Werkstoff handelt es sich um ein Mate-
rial, das wenig plastisch verformbar ist und aufgrund starker Inhomogenitäten vorgege-
ben Gleitsysteme bildet. Daher ist beim Drehen mit Reißspanbildung zu rechnen. Hier-
bei werden Teile des Werkstoffs weitgehend unverformt aus dem Stoffverbund heraus-
gerissen. Diese Reißvorgänge bestimmen die Oberfläche des Werkstücks weit stärker
als die Spuren des Werkzeugs /TÖNS95/.
Bei negativen Spanwinkeln, geringeren Schnittgeschwindigkeiten und größeren Spa-
nungsdicken kann es auch zur Scherspanbildung kommen. Hierbei handelt es sich um
die diskontinuierliche Entstehung eines noch zusammenhängenden Spans, der jedoch
deutliche Unterschiede im Verformungsgrad entlang der Fließrichtung aufzeigt
/TÖNS95/.
Da die Fließspanbildung einen duktilen Werkstoff mit einem gleichmäßigen, feinkörnigen
Gefüge voraussetzt, ist mit dieser Form der kontinuierlichen Spanentstehung beim Dre-
hen von Gusseisen mit Vermikulargraphit nicht zu rechnen.
Zur rechnerischen Behandlung des Zerspanprozesses wurde das Scherebenenmodell
(Bild 3.14) gebildet. Nach diesem Ansatz findet die plastische Formänderung während
der Zerspanung alleine in der Scherebene statt. Mit diesem Modell und der Vorausset-
zung des Vorliegens ebener Formänderung (in der Mitte der Spanungsbreite) lässt sich
die Schergeschwindigkeit bestimmen /TÖNS95/:
Bild 3.14:
Scherebenenmodell und Schergeschwindigkeit /TÖNS95/

3 Stand der Kenntnisse
Seite 18
J
I
J
I
J
q
J
q
I
cos
cos
v
90
sin
90
sin
v
v
c
c
.
Gl. 3.4
Unter der Voraussetzung der Volumenkonstanz folgt:
1
w
w
h
h
b
b
c
c
c
oder
1
w
h
b
O
O
O
Gl. 3.5
wenn die Stauchungen
O eingeführt werden. Da eine ebene Formänderung vorausge-
setzt wird, ist die Breitenstauchung
1
b
O
. Daher folgt:
1
w
h
O
O
.
Gl. 3.6
Außerdem gilt
c
sp
w
v
v
w
w
c
O
.
Gl. 3.7
Daraus folgt:
w
sp
c
h
1
v
v
O
O
.
Gl. 3.8
Aus dem in Bild 3.14 dargestellten Geschwindigkeitsplan folgt dann
I
J
I
O
sin
cos
h
.
Gl. 3.9
Der Scherwinkel
I lässt sich entweder direkt in den Schliffbildern der Spanwurzeln er-
mitteln oder über die Spandickenstauchung
O
h
durch Messen der Spandicke oder der
Spanlänge und aus den Einstellgrößen bestimmen /TÖNS95/.

3 Stand der Kenntnisse
Seite 19
3.2.3 Kräfte
beim
Drehen
Beim Spanen des Werkstoffes muss die Zerspankraft F
Z
aufgebracht werden, um den
Widerstand des Materials gegen das Eindringen des Schneidkeils zu überwinden. Bild
3.15 zeigt die Zusammensetzung dieser Kraft aus den Komponenten Schnittkraft F
c
,
Vorschubkraft F
f
und Passivkraft F
p
. Schnittkraft und Vorschubkraft addieren sich vekto-
riell zur Aktivkraft F
a
, diese bildet mit der Passivkraft die Zerspankraft /TÖNS95/:
f
c
a
F
F
F
Gl. 3.10
p
a
Z
F
F
F
.
Gl. 3.11
Bild 3.15:
Komponenten der Zerspankraft /TÖNS95/
Schnitt- und Vorschubkraft tragen zur Leistungsumsetzung bei, da ein ihrer Richtung
eine Relativbewegung zwischen Werkzeug und Werkstück stattfindet. Die Passivkraft
trägt hierzu nicht bei, da keine Relativbewegung stattfindet /TÖNS95/.
Die orthogonalen Zerspankraftkomponenten F
c
, F
f
und F
p
werden im Maschinenkoordi-
natensystem gemessen. Zur analytischen Betrachtung des Zerspanvorgangs ist es not-
wendig, die ermittelten Kraftkomponenten in Schneidplattenkoordinaten zu transformie-
ren (Bild 3.16).

3 Stand der Kenntnisse
Seite 20
Bild 3.16: Koordinatentransformation und Kräftegeometrie beim Orthogonalschnitt
/KLOS93/
Die Koordinatensysteme werden über die Transformationsmatrix A
S
miteinander ver-
knüpft:
¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
J
J
O
c
p
f
S
N
T
T
F
F
F
A
F
F
F
.
Gl. 3.12
Da es sich bei der Transformation um eine reine Drehung des Koordinatensystems um
die Winkel
N, O und J handelt, ergibt sich die Matrix A
S
aus der Multiplikation der einzel-
nen Drehmatrizen. Da die Matrizenmultiplikation im allgemeinen nicht kommutativ ist,
muss die Reihenfolge der einzelnen Drehungen beachtet werden. Aufgrund der Definiti-
on der Winkel folgt /KLOS93/:
N
O
J
A
A
A
A
S
Gl. 3.13
¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
N
q
N
q
N
q
N
q
N
1
0
0
0
90
cos
90
sin
0
90
sin
90
cos
A
Gl. 3.14
¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
O
O
O
O
O
cos
0
sin
0
1
0
sin
0
cos
A
Gl. 3.15

3 Stand der Kenntnisse
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¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
J
J
J
J
J
cos
sin
0
sin
cos
0
0
0
1
A
.
Gl. 3.16
Zur Vereinfachung der Schreibweise wird 90° -
N = k gesetzt. Die Multiplikation der Ma-
trizen ergibt:
¸
¸
¸
¹
·
¨
¨
¨
©
§
J
O
J
J
O
J
O
J
J
O
O
J
J
O
J
J
O
O
O
cos
cos
k
cos
sin
cos
k
sin
sin
cos
k
cos
sin
k
sin
sin
sin
cos
k
sin
sin
sin
k
cos
cos
k
cos
sin
sin
k
sin
cos
sin
k
sin
cos
k
cos
cos
A
S
.
Gl. 3.17
Beim Orthogonal-Einstechdrehen vereinfacht sich die Ermittlung von F
T
J
und F
N
J
erheb-
lich, da eine Kraftkomponente wegfällt. Bild 3.17 zeigt die Kräfteverhältnisse beim Or-
thogonal-Einstechdrehen.
Bild 3.17: Kräftegeometrie
beim
Orthogonal-Einstechdrehen
Mit Gl. 3.18 und Gl. 3.19 können die Normal- und die Tangentialkraft auf der Spanfläche
ermittelt werden.
J
J
J
sin
F
cos
F
F
p
c
N
Gl. 3.18

3 Stand der Kenntnisse
Seite 22
J
J
J
cos
F
sin
F
F
p
c
T
Gl. 3.19
Ende der Leseprobe aus 151 Seiten

Details

Titel
Ermittlung der Verschleißursachen beim Spanen von Vermikularguss
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1.7
Autor
Jahr
2001
Seiten
151
Katalognummer
V186023
ISBN (eBook)
9783869439679
ISBN (Buch)
9783867468077
Dateigröße
8228 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ermittlung, verschleißursachen, spanen, vermikularguss
Arbeit zitieren
Tobias Schäfer (Autor:in), 2001, Ermittlung der Verschleißursachen beim Spanen von Vermikularguss, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186023

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