Deconstruction - Eine strategietheoretische Analyse


Diplomarbeit, 2002

91 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Philipps-Universität Marburg
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre,
Organisation und Personalwirtschaft
Diplomarbeit zur Speziellen Betriebswirtschaftslehre
,,Organisation und Personalwirtschaft"
Thema:
Deconstruction ­
Eine strategietheoretische Analyse
Vorgelegt von: Michael
Staudinger
Breidenbach, den 21.05.2002

II
INHALTSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS ... V
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ...VI
1. EINLEITUNG ... 1
1.1 Problemstellung... 1
1.2 Zielsetzung ... 2
1.3 Vorgehensweise... 3
2. POSITIONIERUNG AUF DER WERTSCHÖPFUNGSKETTE ALS
STRATEGISCHES ENTSCHEIDUNGSPROBLEM DER UNTERNEHMUNG .. 3
2.1 Zum Begriff der Leistungstiefe ... 3
2.2 Die Optimierung der Leistungstiefe und Optionen zur Konfiguration der
Wertschöpfung ... 5
3. DER DECONSTRUCTION-ANSATZ DER BOSTON CONSULTING GROUP
ALS BASISKONZEPT DER UNTERSUCHUNG ... 7
3.1 Die These der Dekonstruktion von Wertschöpfungsketten... 7
3.2 Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen und weitere Konsequenzen ... 8
3.3 Implikationen für die strategische Unternehmensführung ... 9
4. EMPIRISCHE ENTWICKLUNGSMUSTER DES VERTIKALEN INTEGRA-
TIONSGRADES IM ZEITABLAUF ... 10
4.1 Die Tendenz zur Internalisierung von Wertschöpfungsstufen seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts ... 11
4.2 Die zunehmende Tendenz zur Externalisierung von Wertschöpfungsstufen im
Laufe des 20. Jahrhunderts ... 12
4.2.1 Phase I ­ Entwicklung seit den 40er Jahren... 12
4.2.2 Phase II ­ Entwicklung seit den 80er Jahren ... 13
4.3 Zwischenfazit... 16
5. ÖKONOMISCHE THEORIEANSÄTZE UND IHRE BEITRÄGE ZUR
ERKLÄRUNG DER DECONSTRUCTION-ENTWICKLUNG ... 17
5.1 Produktionskostentheoretische Ansätze der Betriebswirtschaftslehre ... 18

III
5.1.1 Der Einfluss von Veränderungen des Kostenniveaus ... 18
5.1.1.1 Größen- und Verbundeffekte der Leistungserstellung ... 18
5.1.1.2 Arbeitsteilung und Faktorpreisunterschiede... 21
5.1.2 Der Einfluss von Veränderungen der Kostenstruktur ... 22
5.1.2.1 Die zunehmende Fixkostenbelastung der Unternehmen ... 22
5.1.2.2 Zum Zusammenhang zwischen Kostenstrukturveränderungen
und Deconstruction... 24
5.1.3 Kritik ... 26
5.2 Die Transaktionskostentheorie ... 27
5.2.1 Grundzüge der Transaktionskostentheorie... 27
5.2.2 Transaktionskosten und Unternehmensgrenzen... 30
5.2.3 Erklärungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung... 31
5.2.4 Kritik ... 37
5.3 Ein marktorientierter Ansatz ... 38
5.3.1 Die strategische Grundsatzentscheidung des vertikalen
Integrationsgrades vor dem Hintergrund unterschiedlicher
Marktkonstellationen... 38
5.3.2 Erklärungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung... 41
5.3.3 Kritik ... 43
5.4 Konzepte der ressourcenorientierten Strategielehre ... 43
5.4.1 Grundzüge des Resource Based View ... 44
5.4.2 Das Konzept der Kernkompetenzen als spezifische Ausprägung des
Resource Based View ... 46
5.4.3 Festlegung der vertikalen Unternehmensgrenzen und Formen des
Aufbaus von Kernkompetenzen... 47
5.4.4 Erklärungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung... 49
5.4.5 Kritik ... 50
5.5 Ein kapitalmarktorientierter Ansatz... 51
5.5.1 Zum Zusammenhang zwischen Fokussierung der Geschäftstätigkeit
und Unternehmensbewertung durch den Kapitalmarkt... 51
5.5.2 Die zunehmende Bedeutung des Kapitalmarktes für die strategische
Unternehmensführung... 54

IV
5.5.3 Erklärungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung... 55
5.5.4 Kritik ... 56
5.6 Transaktionsschnittstellen, Produktbeschaffenheit und Kundenbedürfnisse im
Branchenzyklus ­ Ein dynamischer Erklärungsansatz... 56
5.6.1 Die Stigler-Hypothese als Ausgangspunkt... 56
5.6.2 Das Modell von Christensen, Verlinden und Westerman... 57
5.6.2.1 Die Beschaffenheit von Austauschschnittstellen als
grundsätzliche Einflussdeterminante der
Wertschöpfungskonfiguration ... 57
5.6.2.2 Elemente des Erklärungsmodells... 58
5.6.2.3 Die Entwicklung des vertikalen Integrationsgrades im Ablauf
der Marktphasen ... 60
5.6.2.4 Erklärungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung ... 63
5.6.2.3 Kritik ... 64
6. ZUSAMMENFASSUNG ... 64
7. ABSCHLIEßENDE BEMERKUNGEN UND AUSBLICK... 66
LITERATURVERZEICHNIS... VIII
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG...XXIV

V
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 1: Beispiele für Entscheidungsalternativen der Leistungstiefenkonfiguration ... 6
Abb. 2: Unterschiedliche Fertigungstiefen in der europäischen Automobilindustrie
(1985-1995)... 14
Abb. 3: Der Einfluss von Informations- und Kommunikationstechnik auf die
Transaktionskostenverläufe ... 36
Abb. 4: Die überschneidenden Entwicklungen des technischen Fortschritts von
Produkten und des anteiligen Absorptionsgrades der Produktnutzer ... 59
Abb. 5: Der Zusammenhang zwischen Kundenbedürfnissen, Produktbeschaffenheit und
Wettbewerbsbedingungen... 62

VI
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
BCG
(The)
Boston
Consulting
Group
bspw.
beispielsweise
bzw.
beziehungsweise
c.p.
ceteris
paribus
ggf.
gegebenenfalls
IKS
Informations-
und
Kommunikationssysteme
o.g.
oben
genannte(n)
PDA
Personal
Digital
Assistant
s.o.
siehe
oben
sog.
so
genannte
usw.
und
so
weiter
z.B.
zum
Beispiel

1
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
,,[.] Old Economy or New, vertical empires don't work. For the likes of
General Motors, Ford, and Lockheed Martin, it's a case of been there, done
that. They spent decades combining suppliers and manufacturing operations
to cut costs. It turned out to be an expensive failure. Big manufacturers are
now shedding everything but their core businesses, replacing the old model
of vertical integration with a lean, mean approach based on outsourcing."
1
Business Week, June 12, 2000
Der obenstehende Ausschnitt aus einem Zeitschriftenartikel fasst prägnant den fundamentalen
Paradigmenwandel zusammen, der sich in der ökonomischen Diskussion hinsichtlich des op-
timalen vertikalen Integrationsgrades der Unternehmung im Laufe des letzten Jahrhunderts
vollzogen hat.
Für den Beginn des 20. Jahrhunderts berichtet der Wirtschaftshistoriker C
HANDLER
von einer
großen Zahl von Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen, welche einen möglichst
hohen vertikalen Integrationsgrad anstreben. Bekannt geworden ist dabei vor allem das Bei-
spiel der Ford Motor Company, die in dieser Zeit nahezu alle Inputs ihres legendären ,,Model
T" selbst herstellte.
2
Scheinbar diametral hat sich diese Beurteilung der optimalen Leistungs-
tiefe zum Ausgang des 20. Jahrhunderts umgekehrt. Strategische Allianzen, virtuelle Unter-
nehmen, (strategisches) Outsourcing oder die vielbeschworene Konzentration auf die Kern-
kompetenzen des Unternehmens
3
sind nur einige der Schlagworte, die heute in diesem Zu-
sammenhang propagiert werden und gleichzeitig von der wieder auflebenden Brisanz dieser
prinzipiell zeitlosen Entscheidungsaufgabe zeugen. Seit einiger Zeit bestimmt offensichtlich
die Desintegration und der Fremdbezug von Leistungserstellungsaktivitäten das unternehme-
rische Handeln.
Hier drängt sich die Frage auf, welche Faktoren zu dieser empirischen Bewegung der Verrin-
gerung der Leistungstiefe geführt haben bzw. wie die veränderte Einschätzung in Wissen-
schaft und Praxis zu begründen ist. Die Verwendung des Terminus der ,,Dekonstruktion" von
1
Crock (2000).
2
Vgl. Chandler (1964), S. 14; Chandler (1990), S. 90ff, S. 208ff.
3
Vgl. z.B. Picot et al. (1996), S. 66; Quinn, Hilmer (1995), S. 48ff; Prahalad, Hamel (1990), S. 79ff.

2
Wertschöpfungsketten in diesem Kontext geht auf das gleichnamige Konzept der Unterneh-
mensberatungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG) zurück, welches für die vorlie-
gende Arbeit titelgebend war und deshalb den Ausgangspunkt der Betrachtungen bilden soll.
1.2 Zielsetzung
Die übergeordnete Zielsetzung der folgenden Ausführungen ist die theoretische Fundierung
des empirischen Phänomens der Dekonstruktion von Wertschöpfungsketten im Allgemeinen
bzw. der Verringerung von Leistungstiefen im Besonderen. Daraus lassen sich mehrere Teil-
ziele ableiten.
Zum einen soll die Deconstruction-Entwicklung im Lichte verschiedener Theorien betrachtet
werden und gleichzeitig die Erklärungskraft der ausgewählten theoretischen Ansätze geprüft
werden. Hier ist zu beachten, dass die optimale Leistungstiefe und damit auch ihre Verände-
rung im Zeitablauf grundsätzlich immer spezifische Aspekte einzelner Branchen bzw. Unter-
nehmen aufweist. Dennoch soll hier eine generische Betrachtung im Vordergrund stehen.
Ferner kann und soll nicht die ganze Vielfalt der in der Literatur im Zusammenhang mit der
Leistungstiefen-Entscheidung diskutierten Variablen einbezogen werden.
4
Vielmehr erfolgt
eine Konzentration auf diejenigen Variablen, deren Veränderungen im Zeitablauf einen Erklä-
rungsbeitrag zur Deconstruction-Entwicklung leisten.
5
Weiterhin sollen auf Grund der zeitun-
abhängigen Gültigkeit der Prämisse gewinnmaximierenden Verhaltens seitens der Unterneh-
men besonders diejenigen Faktoren ausgeklammert werden, die allein mit dem Hinweis auf
eine zunehmende Wettbewerbsintensität die empirisch vorzufindende Tendenz zur Verringe-
rung der Leistungstiefe zu erhellen vermögen.
6
Gleichwohl kann dem zunehmenden Wettbe-
werbsdruck regelmäßig eine verstärkende Wirkung beigemessen werden.
Ein weiteres Teilziel ist die kritische Hinterfragung der Annahmen und Aussagen des BCG-
Konzepts.
4
Vgl. für einen Überblick Bohr, Weiß (1994a), S. 341ff; Bohr, Weiß (1994b), S. 437ff.
5
So kann etwa die Steuergesetzgebung in einem Land sehr wohl die Leistungstiefenentscheidung von Unter-
nehmen bestimmen. Vgl. Bohr, Weiß (1994b), S. 439. Angesichts der Heterogenität der im internationalen Kon-
text vorzufindenden Steuersysteme stellt dies aber keinen befriedigenden Ansatz zur Erklärung der Deconstruc-
tion-Entwicklung dar.
6
Bspw. kann der Übergang von Eigenfertigung zu Fremdbezug den Zugang zu Marktinformationen verbessern.
Vgl. Porter (1997), S. 394f. Fundierte Informationen über Beschaffungs- und Absatzmärkte sind aber vielmehr
aus der übergeordneten Zielsetzung der Gewinnmaximierung abzuleiten, als dass diese Notwendigkeit originär
aus dem Umstand einer zunehmenden Wettbewerbsintensität erwächst.

3
1.3 Vorgehensweise
Um die weiteren Ausführungen in ihren betriebswirtschaftlichen Zusammenhang einordnen
zu können, soll zunächst das grundsätzliche strategische Entscheidungsproblem der Positio-
nierung auf der Wertschöpfungskette näher beleuchtet werden. Den eigentlichen Ausgangs-
punkt der Analyse bildet dann die Vorstellung des Deconstruction-Konzepts der BCG.
Daran anschließend soll dieses Konzept einer ersten Prüfung unterzogen werden, indem die
empirische Evidenz der getroffenen Prämissen und Aussagen betrachtet wird.
Den Kernabschnitt der vorliegenden Arbeit stellt dann die Diskussion ausgewählter ökonomi-
scher Theorieansätze und die Erörterung der jeweiligen Erklärungsbeiträge zur Deconstruc-
tion-Entwicklung dar. Hierzu sollen verschiedene auf Produktionskosten abstellende Ansätze,
die Transaktionskostentheorie, ein marktorientierter Ansatz, Konzepte der ressourcenorien-
tierten Strategielehre, ein kapitalmarktorientierter Ansatz und ein modelltheoretischer Markt-
phasenansatz herangezogen werden.
Den Abschluss bilden eine knappe Zusammenfassung bzw. Integration der Einzelansätze und
ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungsrichtungen.
2. Positionierung auf der Wertschöpfungskette als strategisches Entscheidungsproblem
der Unternehmung
2.1 Zum Begriff der Leistungstiefe
Die Erstellung und Distribution eines industriellen Produkts stellt einen mehrstufigen Prozess
mit zahlreichen ineinander greifenden materiellen und immateriellen Wertschöpfungsstufen
dar.
7
Dieser beginnt mit der Urproduktion, setzt sich mit der Erstellung von Vor-, Zwischen-
und schließlich Endprodukten fort und endet mit der Übermittlung an den Kunden bzw. mit
After Sales-Leistungen (,,[...] from ultraraw materials to ultimate consumers"
8
). Anzahl und
Ausmaß der durchzuführenden Teilprozesse werden dabei bestimmt durch die Komplexität
des Gesamtproduktionsprozesses
9
und diese(r) wiederum durch die Beschaffenheit der zu
erstellenden Leistung.
7
Für nicht-industrielle Leistungen gilt das Grundprinzip der mehrstufigen Leistungserstellung analog.
8
Harrigan (1985a), S. 398.
9
Vgl. Bohr, Weiß (1994a), S. 345.

4
Der Begriff ,,Fertigungs-" bzw. ,,Leistungstiefe"
10 11
umschreibt in diesem Zusammenhang
das Entscheidungsproblem, welcher Anteil der sukzessive anfallenden Teilprozesse von ei-
nem Unternehmen durchgeführt und welcher Anteil von anderen Unternehmen zugekauft
wird (,,Phasenanteil am gesamtwirtschaftlichen Leistungsprozess"
12
). Die Leistungstiefe
nimmt daher mit zunehmender (abnehmender) Anzahl von Leistungsstufen, die ein Produkt in
demselben Unternehmen durchläuft, zu (ab).
13
Verändert ein Unternehmen seine Leistungstiefe und damit die Positionierung auf der Wert-
schöpfungskette, so werden Bewegungen in konsumfernere Wertschöpfungsstufen als Rück-
wärtsintegration (backward oder upstream integration), Bewegungen in konsumnähere Stufen
als Vorwärtsintegration (forward oder downstream integration) bezeichnet. Vertikale Integra-
tion ist damit der Zusammenschluss von Unternehmen, die auf sukzessiven Wertschöpfungs-
stufen stehen und in einem Zulieferer/Abnehmer-Verhältnis stehen. Vertikale Desintegration
meint die Verringerung der Betriebstiefe durch Ausgliederung von Leistungserstellungsaktivi-
täten aus dem eigenen Unternehmen bei gleichzeitigem Übergang zum Bezug dieser Leistun-
gen über den Markt.
14
Von vertikaler Desintegration im engeren Sinne wird gesprochen, wenn
unternehmensinterne Zulieferer organisatorisch so verselbständigt werden, dass sie eigenstän-
dig auf dem Markt agieren.
15
Die empirische Messung der Leistungstiefe ist mit erheblichen Problemen verbunden.
16
Zur
Operationalisierung werden üblicherweise die Größen Wertschöpfung und Wertschöpfungs-
quote herangezogen. Dabei berechnet sich die Wertschöpfung als Differenz zwischen der Ge-
samtleistung (Umsatzerlöse, Bestandsveränderungen) abzüglich der Summe aller Vorleistun-
10
In der deutschsprachigen Literatur geht der Begriff ,,Fertigungstiefe" üblicherweise über eine einseitige Beto-
nung von im Produktionsbereich erstellten Leistungen hinaus. Vgl. z.B. Dichtl (1991), S. 54. Dennoch soll in der
vorliegenden Arbeit aus Gründen der Anschaulichkeit der Begriff ,,Leistungstiefe" (oder synonym: ,,Betriebstie-
fe" bzw. ,,Wertschöpfungstiefe") Verwendung finden.
11
In der angelsächsischen Literatur wird der Sachverhalt der Leistungstiefe unter dem Stichwort der ,,vertikalen
Integration" diskutiert. Vgl. z.B. Harrigan (1985a), S. 397ff. In Abgrenzung dazu soll im folgenden von ,,vertika-
ler Diversifikation" gesprochen werden, wenn eine Unternehmung Vor- bzw. Zwischenprodukte zusätzlich zur
unternehmensinternen Weiterverarbeitung als Endprodukte verkauft (eigenständige Markttätigkeit). Vgl. z.B.
Bohr, Weiß (1994b), S. 440.
12
Schäfer (1974), S. 103.
13
Vgl. Picot (1991), S. 337.
14
Vgl. Bohr, Weiß (1994a), S. 342.
15
Vgl. Wittke (1996), S. 8.
16
Vgl. z.B. George et al. (1991), S. 64f; Bohr, Weiß (1994a), S. 342; Ihde (1988), S. 14f und besonders Scherer
(1980), S. 78ff; Caves, Bradburd (1988), S. 265ff.

5
gen (zugekauftes Material, fremde Dienstleistungen, Zinsen). Die Wertschöpfungsquote er-
gibt sich aus dem Verhältnis von Wertschöpfung zu Gesamtleistung.
17
2.2 Die Optimierung der Leistungstiefe und Optionen zur Konfiguration der Wertschöpfung
Der komplexen Entscheidung der Unternehmung über die optimale Positionierung auf der
Wertschöpfungskette wird in der Literatur strategische Bedeutung beigemessen.
18
Der Grad
vertikaler Integration wirkt sich ganzheitlich und funktionsbereichsübergreifend auf alle Un-
ternehmensaktivitäten aus und gilt daher als kritische Größe zur Erklärung des Unterneh-
menserfolgs.
19
Als übergeordnete Ziele dieses Entscheidungsproblems werden üblicherweise die Maximie-
rung des Unternehmensgewinns und die Reduktion von Unsicherheit (Versorgungsrisiko)
genannt.
20
Da mit unterschiedlichen Leistungstiefen unterschiedliche Erreichungsgrade dieser
Ziele verbunden sind, kann die Festlegung des vertikalen Integrationsgrades als Optimie-
rungsproblem formuliert werden. Optimierung meint dabei das Auffinden des betriebsoptima-
len Verhältnisses von Eigenerstellung und Fremdbezug.
21
Hier ist gleichzeitig die Abgrenzung zum Begriff des "Outsourcing"
22
zu sehen. Während
Outsourcing nämlich auf die Entscheidung über Eigenerstellung oder Fremdbezug einzelner
Leistungserstellungsaktivitäten abstellt (Partialoptimierung), umfasst die Wahl des vertikalen
Integrationsgrades die ganzheitliche Entscheidung über alle Leistungserstellungsaktivitäten
hinweg (Totaloptimierung). Somit stellt das Outsourcing lediglich eine Facette des grundsätz-
lichen Problems der Optimierung der Betriebstiefe dar.
23
Ferner stellt die Optimierung der Leistungstiefe kein statisches Problem im Sinne einer ein-
maligen Entscheidung dar. Vielmehr handelt es sich um ein ständig virulentes Problem, wel-
ches somit kontinuierliches Überdenken und ggf. Anpassungsmaßnahmen erforderlich macht.
Dabei zu berücksichtigende Einflussfaktoren stellen die grundlegenden Ansatzpunkte für die
Erklärung der Deconstruction-Entwicklung dar und sollen im weiteren Verlauf diskutiert wer-
den.
17
Vgl. Picot (1991), S. 337f.
18
Vgl. z.B. Foss (2001), S. 99f; Benkenstein, Henke (1993), S. 77; Mahoney (1992), S. 559.
19
Vgl. Ihde (1988), S. 13.
20
Vgl. Bohr, Weiß (1994b), S. 439.
21
Vgl. Picot (1991), S. 339ff; Bohr, Weiß (1994a), S. 341ff; Bohr, Weiß (1994b), S. 437ff.
22
Das Akronym Outsourcing steht für Outside Resource Using.
23
Vgl. Bogaschewsky (1996), S. 125f.

6
Mit der Positionierung auf der Wertschöpfungskette legt die Unternehmung simultan die Un-
ternehmensgrenzen fest. Eine eindeutige dichotome Abgrenzung zwischen der unternehmens-
internen Durchführung von Leistungserstellungsprozessen (,,make"-Option) und dem Fremd-
bezug (,,buy"-Option) wird dabei erschwert durch eine Vielzahl denkbarer und in der Praxis
vorkommender hybrider Formen. Zur Veranschaulichung lassen sich diese auf einem Konti-
nuum vertikaler Integrationsgrade mit den Extrempositionen vollständige Eigenerstellung
einerseits und vollständiger Fremdbezug der Endprodukte am Markt andererseits darstellen
(siehe Abb. 1).
24
Abb. 1: Beispiele für Entscheidungsalternativen der Leistungstiefenkonfiguration
Quelle: Picot (1991), S. 340; ähnlich: Benkenstein, Henke (1993), S. 87.
Auf Grund dieser Operationalisierungsschwierigkeiten soll auf die Festlegung eines absoluten
Punktes auf dem Kontinuum, an dem die Eigenerstellung auf einen Fremdbezug übergeht,
verzichtet werden. Um im Rahmen der vorliegenden Arbeit dennoch die Deconstruction-
Entwicklung adäquat erfassen zu können, soll hier dann von einer Verringerung der Leis-
tungstiefe gesprochen werden, wenn eine vorgenommene Änderung der Koordinationsform
als diskrete Bewegung in Richtung des Fremdbezugs zu interpretieren ist (abnehmender verti-
kaler Integrationsgrad).
24
Vgl. zur Operationalisierung der Unternehmensgrenzen und damit des Übergangs von Eigenfertigung zu
Fremdbezug bei Beteiligungen und Unternehmensverbunden Benkenstein (1993), S. 443ff.

7
3. Der Deconstruction-Ansatz der Boston Consulting Group als Basiskonzept der Unter-
suchung
Die hier betrachtete betriebswirtschaftliche Fragestellung des optimalen vertikalen Inte-
grationsgrades einer Unternehmung ist nicht neu. Sie beschäftigt Theorie und Praxis seit mehr
als einhundert Jahren. Gerade in der jüngeren Vergangenheit haben aber verschiedene Ent-
wicklungen in der Umwelt der Unternehmen dazu geführt, dass die prinzipiell zeitlose Dis-
kussion über die Positionierung auf der Wertschöpfungskette wieder an besonderer Aktualität
gewonnen hat.
In der unternehmerischen Praxis kann dabei u.a. der Deconstruction-Ansatz der Boston Con-
sulting Group als initiierend und federführend angesehen werden. Daher soll dieses Konzept
hier ausgewählt werden und als Basis der vorliegenden Arbeit dienen.
Gleichwohl soll nicht verschwiegen werden, dass ähnliche Überlegungen ­ wenn auch natur-
gemäß unter anderen Bezeichnungen ­ ebenso bei anderen renommierten Unternehmensbera-
tungen zu finden sind.
25
Insofern kann von einem beraterinduzierten Aufleben der Diskussion
gesprochen werden.
3.1 Die These der Dekonstruktion von Wertschöpfungsketten
Grundlegender Ausgangspunkt des Deconstruction-Konzepts der BCG ist die Annahme, dass
Veränderungen in der Umwelt der Unternehmen das bisher praktizierte Paradigma einer tiefen
vertikalen Integration obsolet werden lassen.
Als relevante Einflussfaktoren werden dabei vor allem die Liberalisierung vormals regulierter
Märkte, der Abbau internationaler Handelshemmnisse und die damit verbundene Globalisie-
rung der Märkte, technologische Fortschritte und der zunehmende Druck der Kapitalmärkte
genannt.
26
Besonders dem Internet wird herausragende Bedeutung beigemessen. Obwohl die De-
konstruktion von Wertschöpfungsketten bereits vorher einsetzte, habe sie durch das Internet
den entscheidenden Schub erhalten.
27
Dies resultiert aus zwei Gründen. Zum einen führen die
technischen Möglichkeiten des Internet in Verbindung mit internationalen Standards zu einer
erheblichen Senkung der Informations- und Kommunikationskosten. Somit wird die Koordi-
25
Beispielhaft seien genannt: Bain & Company, vgl. z.B. Bechek, Zook (o.J.), S. 4ff; Booz, Allen & Hamilton,
vgl. z.B. Beck et al. (2001), S. 1ff; McKinsey & Comp., vgl. z.B. Hagel III, Singer (1999), S. 147ff; Mercer
Management Consulting, vgl. z.B. Nehls, Kalmbach (1998), S. 5.
26
Vgl. Oetinger (2000), S. 258.
27
Vgl. Oetinger (2000), S. 258.

8
nation arbeitsteiliger Prozesse auch unternehmensgrenzenübergreifend kostengünstiger mög-
lich.
28
Zum anderen ermöglicht das Internet die Trennung von physischen und informatori-
schen Produktkomponenten. Die Information ­ vormals untrennbarer Bestandteil des Leis-
tungsbündels ­ wird zu einem eigenständigen marktfähigen Produkt.
29
Die Tragweite dieser
Effekte des Internet tritt umso stärker zu Tage, je weiter die Informationsvernetzung zwischen
den Wirtschaftssubjekten (Konnektivität) voranschreitet.
30
Zusammengenommen führen diese Faktoren zu einem Aufbrechen vormals gebündelter
Marktleistungen und einer Trennung traditionell integrierter Wertschöpfungsstufen (Decon-
struction). O
ETINGER
definiert Deconstruction daher als ,,das Zerlegen und die neuartige Zu-
sammensetzung der vorhandenen Wirtschafts- und Organisationsstrukturen, die ein Geschäft
bestimmen. Ziel ist es, Geschäftsalternativen, die in bestehenden Strukturen verborgen und
daher unbekannt waren, plötzlich frei zu setzen und zum Ausgangspunkt eines neuen Ge-
schäftsverständnisses zu machen."
31
3.2 Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen und weitere Konsequenzen
Für die von der Deconstruction-Entwicklung betroffenen Märkte ergeben sich zahlreiche tief-
greifende Konsequenzen. Hier sind in erster Linie die Veränderungen im wettbewerblichen
Bereich zu nennen.
Durch das Zerfallen der Wertschöpfungsketten werden einzelne Wertschöpfungselemente
separiert. Stellen diese eine eigenständige und marktgängige Leistung (sog. Schicht) dar, so
können potentiell neue, sich auf diesen Ausschnitt fokussierende Geschäftsmodelle mit eige-
nen Wettbewerbsregeln entstehen.
32
Nach E
VANS
resultiert die besondere Bedrohung der Deconstruction-Entwicklung für vertikal
integrierte Unternehmen dabei aus der Tatsache, dass mit einer breiten Abdeckung der verti-
kalen Wertschöpfungskette durch ein einzelnes Unternehmen zwangsläufig brachliegende
Erfolgspotentiale verbunden sind, die jetzt transparent und angreifbar werden.
33
Weil für die
einzelnen Elemente der Wertschöpfungskette unterschiedliche economies of scale- bzw. eco-
nomies of scope-Effekte gelten, geht mit einem hohen vertikalen Integrationsgrad eine Quer-
28
Vgl. Stern (1998), S. 275.
29
Vgl. Oetinger (2000), S. 259.
30
Oetinger (2000), S. 259.
31
Oetinger (2000), S. 256.
32
Vgl. Oetinger (2000), S. 259f.
33
Vgl. Evans (1998), S. 324ff.

9
subventionierung zwischen relativ zu Konkurrenzunternehmen erfolgreichen zu weniger er-
folgreichen Wertschöpfungsstufen einher (Averaging)
34
Weisen die konkurrierenden Anbieter eines Marktes einen vergleichbaren vertikalen Integra-
tionsgrad auf, so muss ein auf Gesamtkostenbasis wettbewerbsfähiges Unternehmen nicht
unbedingt auf jeder einzelnen Wertschöpfungsstufe einen Kostenvorteil besitzen.
35
Zerfallen
nun aber die Wertschöpfungsketten in einzelne Schichten, so werden neue Wettbewerber auf
den Markt treten und das vertikal integrierte Unternehmen auf jeder einzelnen Schicht angrei-
fen, da sie durch die ausschließliche Konzentration auf einzelne Wertschöpfungsstufen eine
überlegene Kostenstruktur besitzen.
36
Die Folge ist eine erhebliche Intensivierung des (nun-
mehr Schichten-) Wettbewerbs.
Als weitere Konsequenz der Deconstruction-Entwicklung ist die Verschiebung von Unter-
nehmensgrenzen zu nennen. Diese verlieren durch das Aufbrechen von Wertschöpfungsketten
und das Entstehen neuer Geschäftsmodelle an Starrheit. Daraus folgt, dass traditionelle Defi-
nitionen von Geschäftsmodellen und Branchen obsolet werden. Auf Grund des höheren Aus-
maßes der Arbeitsteilung wächst gleichzeitig die Bedeutung unternehmensübergreifender Ko-
operationen.
37
3.3 Implikationen für die strategische Unternehmensführung
Das BCG-Konzept leistet nicht nur den Problemaufriss, sondern liefert gleichzeitig eine Leit-
linie, wie Unternehmen auf die veränderten Bedingungen reagieren sollten. Danach besteht
die ,,einzig mögliche Reaktion"
38
in der Orchestrierung von Schichten.
39
Die Deconstruction-Entwicklung zwingt Unternehmen zur vertikalen Desintegration. Das
Auftreten von horizontal agierenden Schichtenanbietern führt dazu, dass die mit der Ab-
deckung mehrerer Elemente der Wertschöpfungskette zwangsläufig einhergehende Durch-
34
Vgl. Evans (1998), S. 324. Implizit unterstellt wird dabei, dass die Unternehmung die Leistungen einer verti-
kalen Zwischenstufe nur zur eigenen Weiterverwertung nutzt und nicht zusätzlich an unternehmensexterne Ab-
nehmer verkauft (vertikale Diversifikation). In dem Maße wie hingegen die Zwischenprodukte ebenso an andere
Marktteilnehmer vertrieben werden, ergeben sich auf Grund des positiven Zusammenhangs zwischen zusätzli-
chen Abnehmern und produzierter Gesamtmenge andere Größen- und Verbundeffekte, die den hier skizzierten
Zusammenhang verwischen lassen.
35
Vgl. Evans (1998), S. 324.
36
Vgl. Evans, Wurster (1997), S. 294f.
37
Vgl. Stern (1998), S. 276f.
38
Oetinger (2000), S. 261.
39
Vgl. Edelman (1998), S. 314ff. Ähnliche Konzepte finden sich in der Literatur unter den Stichworten ,,fokales
Unternehmen", ,,hub firm" bzw. ,,Broker". Vgl. z.B. Lüthje (1998), S. 1ff; Jarillo (1988), S. 32; Miles, Snow
(1986), S. 64f.

10
schnittsbildung nicht mehr konkurrenzfähig ist.
40
Somit müssen sich Unternehmen auf die
Schichten konzentrieren, bei denen sie einen überlegenen Wettbewerbsvorteil besitzen und
die den größten ökonomischen Erfolg versprechen bzw. sich konsequent von denjenigen
Schichten trennen, bei denen dies nicht der Fall ist (De-Averaging).
41
Daher kann die Not-
wendigkeit einer systematischen Verringerung der Leistungstiefe als Kernthese des Decon-
struction-Ansatzes gesehen werden.
Orchestrierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die betrachtete Unternehmung zwar
dazu übergeht, einen Teil der vormals selbst erstellten Leistungen von anderen Unternehmen
zu beziehen, gleichzeitig aber die dominante Steuerung eines Großteils der Wertschöpfungs-
kette behält bzw. übernimmt. Als erfolgskritische Voraussetzungen, um diese anspruchsvolle
Rolle des Orchestrators einnehmen und dauerhaft verteidigen zu können, werden eine starke
Marke, die Kontrolle über kritische Informationen sowie das Vorhandensein weiterer einzig-
artiger Fähigkeiten genannt.
42
4. Empirische Entwicklungsmuster des vertikalen Integrationsgrades im Zeitablauf
Das Deconstruction-Konzept der BCG postuliert im Kern das Aufbrechen vertikal integrierter
Wertschöpfungsketten. Wie bereits dargestellt ist damit eine erhebliche Intensivierung des
Wettbewerbs und für das einzelne Unternehmen der Zwang zur vertikalen Desintegration ver-
bunden. Konzeptkonform wäre somit in der Empirie ein Überdenken und Verändern der bis-
her praktizierten Leistungstiefe als Reaktionsmuster der strategischen Unternehmensführung
zu erwarten. Daher soll nun zunächst die These der Dekonstruktion vertikaler Wertschöp-
fungsketten unter Rückgriff auf die Ergebnisse ausgewählter Studien auf ihre empirische Evi-
denz hin untersucht werden. Um Veränderungen in einem größeren Bedeutungszusammen-
hang erfassen zu können, wird dabei der Zeitraum von Ende des 19. Jahrhunderts bis heute
betrachtet. Besonderes Augenmerk soll aber auf die Entwicklung in der jüngeren Vergangen-
heit gelegt werden.
43
40
Vgl. Evans (1998), S. 324ff.
41
Vgl. Oetinger (2000), S. 265.
42
Vgl. Edelman (1998), S. 314.
43
Die im nachfolgenden aufgeführten Quellen verwenden teilweise unterschiedliche Messkonzepte zur Erfas-
sung des vertikalen Integrationsgrades. Da eine Betrachtung von Veränderungsrichtungen hierdurch jedoch nicht
in Frage gestellt wird, soll auf eine Standardisierung der Konzepte verzichtet werden.

11
4.1 Die Tendenz zur Internalisierung von Wertschöpfungsstufen seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts
Zum Ende des 19. Jahrhundert, aber auch bis in das 20. Jahrhundert hinein reichend, herrschte
die Maxime einer möglichst weitgehenden vertikalen Integration vor. Anschaulich zusam-
mengefasst wird dies durch das Chandler'sche Leitbild der ,,modernen" Unternehmung, wel-
che durch absolute Größe und starke vertikale Integration überdurchschnittlich erfolgreich
ist.
44
Dazu finden sich in der Literatur vielfältige Beispiele, von denen hier einige stellvertre-
tend dargelegt werden sollen.
Das in diesem Zusammenhang am häufigsten zitierte Unternehmen ist sicherlich die Ford
Motor Company. Im Jahr 1913 erreichte Ford den Höhepunkt seiner Integrationsbestrebungen
und produzierte nahezu alle seine Inputs selbst, war somit zu fast 100 Prozent vertikal integ-
riert.
45
Darüber hinaus gehend liefert S
ILVER
eine große Zahl von Belegen mit breitem Branchenfo-
kus.
46
Er sieht für den Zeitraum von 1880 bis 1930 einen starken Trend zur Vergrößerung der
Leistungstiefe u.a. bei Unternehmen der Automobil-, Öl-, Textil-, Chemie-, Schiffsbau- und
stahlverarbeitenden Industrie in den USA, Europa und Japan. Hinsichtlich der Integrations-
richtung berichtet er, dass die Rückwärtsintegration häufiger praktiziert wird als die Vor-
wärtsintegration. Erwähnenswert erscheint weiterhin, dass die Integrationsbewegungen in den
verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Vehemenz durchgeführt werden. So wird bspw.
die skizzierte Entwicklung in Deutschland als früher beginnend und mit größerer Stärke ab-
laufend als in England eingeschätzt.
47
Die damaligen Beweggründe für die Tendenz zu starker vertikaler Integration waren primär
defensiver Natur. So findet sich regelmäßig der Hinweis, dass zunächst geeignete Beschaf-
fungsquellen für die Unternehmen gänzlich nicht vorhanden waren und später die Sicherstel-
lung eines adäquaten Beschaffungsstroms das Hauptmotiv für eine rückwärtsgerichtete Ver-
größerung der Leistungstiefe war.
48
Erklärt wird dies dadurch, dass mit einer geringen Anzahl
adäquater Lieferanten eine hohe Marktmacht derselben einhergeht und daraus für das beschaf-
44
Vgl. Chandler (1990), S. 36ff.
45
Vgl. z.B. Schlueter-Langdon, Shaw (2000), S. 2.
46
Vgl. Silver (1984), S. 23ff. Weitgehend konsistent dazu sind die Ergebnisse von Scherer für den nordamerika-
nischen Raum. Vgl. Scherer (1980), S. 78ff.
47
Vgl. Silver (1984), S. 34f.
48
Vgl. Chandler (1962), S. 85, S. 119; Perry (1989), S. 206.

12
fende Unternehmen die Gefahr überhöhter Preisforderungen resultieren kann (small number
bargaining problem bzw. market foreclosure).
49
C
HANDLER
berichtet zwar für die Mitte der zwanziger Jahre, dass das starke Wachstum der
Unternehmen in Verbindung mit einem hohen vertikalen Integrationsgrad erhebliche Steue-
rungsprobleme verursachte.
50
Die ,,fundamental policy"
51
der vertikalen Integration wurde
dennoch nicht in Frage gestellt.
4.2 Die zunehmende Tendenz zur Externalisierung von Wertschöpfungsstufen im Laufe des
20. Jahrhunderts
Im folgenden soll die empirische Entwicklung des vertikalen Integrationsgrades der Unter-
nehmen während des 20. Jahrhunderts skizziert werden. Dabei wird eine Aufteilung des Be-
trachtungszeitraums in zwei Phasen vorgenommen. Auf Grund der Komplexität des realen
Geschehens kann dies naturgemäß nicht vollkommen trennscharf erfolgen, sondern stellt
vielmehr eine Vereinfachung dar.
4.2.1 Phase I ­ Entwicklung seit den 40er Jahren
Für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg kommt S
CHERER
nach der Auswertung diverser Pri-
märquellen zu dem Ergebnis, dass in den USA die Bestrebungen zur Rückwärtsintegration
seit dem Jahr 1910 nach vormals starker Zunahme auf hohem Niveau stagnierten. Die Ten-
denz zur Vorwärtsintegration war im selben Zeitraum signifikant schwächer ausgeprägt. Nach
dem Jahr 1930 kann er keinen eindeutigen Trend der Veränderung des vertikalen Integrati-
onsgrades mehr ausmachen.
52
Seit den 40er Jahren zeigen sich dann erste Anzeichen einer Veränderung hinsichtlich der
Einschätzung einer optimalen Wertschöpfungstiefe der Unternehmung. Im Zuge der weiteren
industriellen Entwicklung vergrößerte sich die Zahl potentieller Zulieferer und Distributoren
für die produzierenden Unternehmen. Folgerichtig konstatiert C
HANDLER
für die Jahre wäh-
rend bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg, dass ,,in established industries the need for assured
supplies and outlets through vertical integration lessened."
53
49
Vgl. Schlueter-Langdon, Shaw (2000), S. 2.
50
Vgl. Chandler (1962), S. 163.
51
Chandler (1962), S. 171.
52
Vgl. Scherer (1980), S. 79f.
53
Chandler (1990), S. 613.
Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Deconstruction - Eine strategietheoretische Analyse
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
91
Katalognummer
V185812
ISBN (eBook)
9783656981879
ISBN (Buch)
9783867466929
Dateigröße
1183 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deconstruction, eine, analyse
Arbeit zitieren
Michael Staudinger (Autor:in), 2002, Deconstruction - Eine strategietheoretische Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185812

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