Eine niedersächsische Straußenfarm in der Politikverflechtungsfalle

Europäische Ebene, Verbandsebene, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzip


Hausarbeit, 2003

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Das Föderalismusprinzip
1.1. Arten der Gesetzgebung
1.1.1. Ausschließliche Gesetzgebung
1.1.2. Konkurrierende Gesetzgebung
1.1.3. Rahmengesetzgebung
1.2. Artikel 23 (Europäische Union)

2. Der Europarat

3. Das Bundesministerium
3.1. Das Ressort- und das Kollegialprinzip

4. Verbände
4.1. Der Deutsche Bauernverband
4.2. Bundesverband Deutscher Straußenzüchter e.V

5. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Einleitung

„Die Bürokraten klammern sich an Vorschriften, die wissenschaftlich längst überholt seien.“[1] So zitiert der Journalist Thomas Sulzyc der Zeitung „Neue Stader Wochenblatt“ in der Titel­geschichte „Behörden wollen die Strauße verbannen“ den Bundesverband Deutscher Strau­ßenzüchter. Zentraler Gegenstand der Story ist die von behördlicher Seite drohende Schlie­ßung der Straußenfarm von Familie Hauschild in Lusthoop bei Stade nach zweijähriger Dul­dung.[2] Der Grund der möglichen Schließung ist ein Mangel am Tiergehege bzw. dessen unzureichende Überdachung.

Was auf den ersten Blick wie ein gänzlich normaler Artikel eines Anzeigenblattes erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung schnell als poten­tieller Untersuchungsgegenstand politischer Determinanten auf unterschiedlichen Ebe­nen. Zum einen führt die Bezirksregie­rung die drohende Schließung auf geltendes Europa­recht zurück: „Die Lusthooper Farm ent­spreche nicht den EU-Mindestanforderungen an die Strau­ßenhaltung.“, zum anderen auf „ei­nen gesonderten niedersächsischen Erlass“[3], was folg­lich der Landesebene, also dem föderalistischen Verfassungsprinzip entspricht. Des weiteren zeigt sich, wie in dem einleiten­den Satz dieser Arbeit bereits zitiert, der Bundesverband Deut­scher Straußenzüchter nicht einverstanden mit diesen Verordnungen und spricht eigene Empfehlungen bezüglich der Straußenhaltung und Aufzucht aus: „Birgit und Ingo Hauschild haben ihre Farm nach den Empfehlungen des Fachverbandes eingerichtet.“[4] Dieses beschreibt die Verbandsebene. Letzt­lich kommt gleichermaßen das Rechtstaatsprinzip zum tragen, wenn Thomas Sulzyc schreibt: „Birgit Hausschild will notfalls auch vor Gericht für sie kämpfen.“[5] Es lassen sich also bereits in dieser kurzen Titelgeschichte vier Ebenen feststellen, welche auf den Ge­genstand einwir­ken – die europäische und die Verbandsebene sowie das Recht­staats- und Föderalismusprin­zip.

Die Ausarbeitungen dieser Arbeit sollen versuchen zu klären, wie jene Ebenen insbesondere im Grundgesetz legitimiert sind und wie sie sich gegenseitig be­dingen. Dazu werde ich die Ebenen darstellen und versuchen, sie kritisch auf deren Effektivi­tät hin in Bezug zum kon­kreten Untersuchungsgegenstand, der drohenden Schließung einer Straußen­farm, zu beurtei­len. Ich beginne meine Darstel­lung mit dem Föderalismusprinzip und gehe dann zur über­nächsten Größe, dem Europarecht über. In einem dritten und vierten Schritt widme ich mich der Bundesebene sowie den Verbänden. Abschließend wird noch kurz auf das Rechtstaats­prinzip eingegangen, da auch das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall eine Rolle spielt und ebenso Frau Hauschild sich laut Zeitungsartikel rechtliche Schritte vorbehält.

1. Das Föderalismusprinzip

Artikel 20 (1) Grundgesetz (GG): „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Neben dem Sozialstaats- und dem Demokratieprinzip ist im Arti­kel 20 GG die bundesstaatliche Ordnung verankert. Dieser Grundsatz der bundesstaatlichen Ordnung genießt die Bestandsgarantie des Artikels 79 (3) GG: „Eine Änderung dieses Grund­gesetztes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“ Das bedeutet, dass eine Abschaffung des Föderalismusprin­zips mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, wohl aber eine Neugliederung der Bundesländer gemäß den Artikeln 29 (Neugliederung des Bundesgebietes) und 118 a (Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg). Die föderalistische Ordnung ist folglich nicht einmal durch eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit zu beseitigen.

Die Bundesländer sind durch Artikel 28 (1) GG (Verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern (Homogenitätsgebot); Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung) legitimiert, sich eigene Verfassungen zu geben, sofern diese mit den Prinzipien des Grundgesetztes überein­stimmen. Damit verfügen sie über das Recht eines eigenständigen parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems, inklusive Parlament, Regierung, Verwaltung und Ge­richtsbarkeit. Diese Befugnis gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern muss sich an dem geltenden Bundesrecht orientieren, welches gegebenenfalls dem Landesrecht übergeordnet wird, wie es auch in Artikel 31 GG (Vorrang des Bundesrechts) bestimmt ist. Hierbei unter­scheidet das Grundgesetz jedoch verschiedene Arten der Gesetzgebung. Diese Differenzie­rungen betreffen die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis des Bundes gemäß Artikel 71 GG (Ausschließliche Gesetzgebung des Bundes) und Artikel 73 GG (Gegenstände der aus­schließlichen Gesetzgebung des Bundes) und die konkurrierende Gesetzgebung gemäß den Artikeln 72 GG (Konkurrierende Gesetzgebung), 74 GG (Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes) und 74 a GG (Konkurrierende Gesetzgebung des Bundes für die Besoldung und Versorgung im öffentlichen Dienst). Der jeweilige Umfang der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes, der konkurrierenden Gesetzgebung zwischen dem Bund und den Ländern sowie der Rahmengesetzgebung sollen im Folgenden kurz beschrieben, er­klärt und veranschaulicht werden, da diese unterschiedlichen Gesetzgebungsarten auch in dem konkreten Fall dieser Arbeit relevant sind.

1.1. Arten der Gesetzgebung

1.1.1. Ausschließliche Gesetzgebung

Der Artikel 73 GG beschreibt 12 Bereiche, in denen der Bund über das Recht der ausschließ­lichen Gesetzgebung verfügt. Diese Bereiche betreffen etwa Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung, die Staatsangehörigkeit und das Passwesen, Zölle, Außenhandel, die Deutsche Bahn und den Luftverkehr wie auch das Währungs- und Geldwesen. Die ausschließliche Ge­setzgebungsbefugnis hat der Bund also überwiegend bei der Regelung überregionaler Probleme. Jedoch hat die Bundesregierung gemäß Artikel 23 (5) GG (Europäische Union) die Pflicht, die Stellungnahme des Bundesrates zu berücksichtigen, sofern Länderinteressen be­rührt sind. Es verfügen jedoch ebenso die Länder über ausschließliche Gesetzgebungskompe­tenzen. Dieses gilt vor allem für kulturelle Bereiche, das Polizei-, Schul- und Bildungswesen, Gesundheitswesen, Presse, Hörfunk und Fernsehen sowie das Kommunalwesen.

1.1.2. Konkurrierende Gesetzgebung

Für einige Rechtsgebiete sind nach dem Grundgesetz der Bund und die Länder gemeinsam zuständig, wobei das Grundgesetz in Artikel 31 regelt, dass Bundesrecht Landesrecht bricht. Auf diesen Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebung können die Länder eigene Gesetze erlassen, sofern der Bund von dessen Vorrecht keinen Gebrauch macht. Solche Gesetze betreffen etwa das Bürgerliche Recht, das Strafrecht und den Strafvollzug, das Vereins- und Versammlungsrecht, Wirtschafts- und Arbeitsrecht sowie das Aufenthaltsrecht für Ausländer. Dieses Bundesvorrecht gemäß Artikel 72 (1) GG sichert dem Bund in Verbindung mit Absatz 2 des gleichen Artikels (Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet) immense Kompetenzen zu, in die Kompetenzen der Länder einzugreifen und diese neu zu verteilen. Der Bund kann aus drei Gründen sein Gesetzgebungsrecht in Anspruch nehmen:

1. Eine Angelegenheit kann durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam gere­gelt werden.
2. Die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz könnte die Interessen ande­rer Länder oder der Gesamtheit beeinträchtigen.
3. Sofern die Rechts- oder Wirtschaftseinheit zu wahren ist - im besonderen die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus.[6]

Ein für den Fall der Straußenfarm konkretes Beispiel für die Legitimation konkurrierender Gesetzgebung des Bundes findet sich in Artikel 74 (1) 20: „den Schutz beim Verkehr mit Le­bens- und Genussmitteln, [...] sowie den Tierschutz“. Der Bund ist jedoch ebenso in der Lage aufgrund seines Rechts gemäß Artikel 75 GG (Rahmengesetzgebung des Bundes) den Län­dern die Gesetzgebungsbefugnis zu überlassen, wobei Gesetze dann von den Ländern inner­halb einer angemessenen Frist zu erlassen sind.

1.1.3. Rahmengesetzgebung

Die Rahmengesetzgebung ist in Artikel 75 GG geregelt. Der Bund gibt hier in verschiedenen Bereichen lediglich den Rahmen vor, welcher von den Ländern durch Gesetz zu füllen ist. Das bedeutet, dass die Angelegenheiten nicht bis ins einzelne durch den Bund geregelt sein dürfen. Den Ländern muss ein entsprechender gesetzgeberischer Spielraum gegeben werden. Dieses betrifft unter anderem die Bereiche Hochschulwesen, Jagdwesen, Naturschutz und Landschaftspflege, die Bodenverteilung und Raumordnung sowie das Melde- und Ausweis­wesen. In engem Verhältnis steht der Artikel 75 mit dem Artikel 72 GG (Konkurrierende Ge­setzgebung). Dort heißt es in Absatz 3: „Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, dass eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des Absatzes 2 nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann.“

Zusammenfassend kann man also feststellen, dass Tierschutz laut Grundgesetz Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung ist. Dem Bund fällt dabei jedoch die Kompetenz zu, diese Regelung in eine Gesetzgebung der Länder oder Rahmengesetzgebung zu wandeln, sofern „die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Rege­lung“ nicht erforderlich macht (Artikel 72 (2) GG).

Ein Beispiel für die Abtretung von Kompetenzen stellt der § 23 (Tiergehege) des Bundesna­turschutzgesetzes (BNatSchG) in seiner Fassung vor dem 25. März 2002 dar: „(1) Die Er­richtung, Erweiterung und der Betrieb von Tiergehegen bedürfen der Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde. [...] (3) Das Nähere regeln die Länder [...].“ Hier wird also der Rahmen vorgegeben, in dem Tierschutz stattfinden muss. Dieses Gesetz wurde jedoch zum 25.03.2002 gestrichen bzw. komplett geändert (§ 24 (Naturparke) BNatSchG), sodass der Bund nicht länger von seinem vorrangigen Recht gemäß Artikel 72 (1) GG Gebrauch macht. Damit wandelt sich dieser Bereich der Rahmengesetzgebung zu Gesetzgebung der Länder, welche somit auch für das Straußengehege von Familie Hauschild Gültigkeit besitzt. Im ge­nauen besteht diese Gültigkeit in § 45 c (Tiergehege) des Niedersächsischen Naturschutzge­setzes, welcher durch einen Erlass vom Niedersächsischen Ministerialblatt[7] Nr. 36 vom 16.10.2002 in Bezug zur Straußenhaltung konkretisiert wird. Dieser Erlass verweist in dessen Formulierung auf drei Ausführungen:

1. Das Gutachten einer Sachverständigengruppe über die tierschutzgerechte Haltung von Vögeln: Mindestanforderungen an die Haltung von Straußenvögeln, außer Kiwis vom 10.06.1994 (in der ergänzten Fassung vom 10.09.1996).[8]
2. Die Empfehlungen des Europarates von 1997 als verbindliche Grundlage für die tier­schutzfachliche Beurteilung von Straußenhaltungen.[9]
3. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.1999, in dem die Empfehlungen des Europarates als verbindlich anerkannt werden.[10]

Damit unterliegt das Straußengehege von Familie Hauschild dem direkten Einfluss europäischen Rechts. Am 22.04.1997 hat der Ständige Ausschuss des Europäischen Überein­kommens zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen die „Empfehlung für die Haltung von Straußenvögeln“ angenommen, welche am 22.10.1997 in Kraft getreten ist.

[...]


[1] Vergl. Titelseite Thomas Sulzyc: Behörden wollen die Strauße verbannen; in: „Neue Stader Wochenblatt“, Ausgabe 36 vom 03.09.2003.

[2] Siehe Anhang 1.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Vergl. S. 63 Frank Pilz / Heike Ortwein: Das politische System Deutschlands – Prinzipien, Institutionen und Politikfelder, München / Wien (R. Oldenbourg Verlag) 3. Aufl. 2000, S. 1 – 492.

[7] Siehe Anhang 2.

[8] Vergl. http://www.verbraucherministerium.de/tierschutz/straussenvoegel/straussenvoegel-inhalt.pdf .

[9] Vergl. http://bmvel.zadi.de/tiergesundheit/rechtsvorschriften_tierhaltung/empfehlung_strausse.pdf .

[10] Vergl. http://www.bundesverfassungsgericht.de/cgi-bin/link.pl?entscheidungen .

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Eine niedersächsische Straußenfarm in der Politikverflechtungsfalle
Untertitel
Europäische Ebene, Verbandsebene, Rechtsstaats- und Föderalismusprinzip
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Lektürekurs: Regierungssystem BRD
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
22
Katalognummer
V18555
ISBN (eBook)
9783638228794
ISBN (Buch)
9783656447269
Dateigröße
757 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Inhaltlich gibt es Ausführungen zum GG, Föderalismus-, Kanzler-, Ressort- und Kollegialprinzip, Verbändesystem, Europarat, Bundeslandwirtschaftsministerium und zum BVerfG. Der Fall ist ein Musterbeispiel an Politikverflechtung (Scharpf). Die Note entspricht der Wissenschaftsnote (nicht geschönt).
Schlagworte
Eine, Straußenfarm, Politikverflechtungsfalle, Lektürekurs, Regierungssystem
Arbeit zitieren
Markus Scheliga (Autor:in), 2003, Eine niedersächsische Straußenfarm in der Politikverflechtungsfalle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18555

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Eine niedersächsische Straußenfarm in der 
Politikverflechtungsfalle



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden