Fugenelemente bei Substantivkomposita mit nominalem Erstglied


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Formen
2.1 phonologisch
2.2 morphologisch

3 Funktionen
3.1 phonologisch
3.2 morphologisch
3.3 semantisch / syntaktisch

4 Distribution
4.1 -s-
4.2 -es-
4.3 -e-
4.4 -(e)n-
4.5 -er-
4.6 -(e)ns-

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Als Fugenelement - auch Bindevokal oder linking morpheme - werden Laute oder Lautfolgen bezeichnet, die an der Nahtstelle zwischen unmittelbaren Konstituenten von Zusammensetzungen sowie bestimmten Ableitungstypen auftreten.[1] Im ersten Fall stehen sie zwischen Erst- und Zweitglied (Zeitung-s-junge), in letzterem entsprechend zwischen Stamm und Suffix (greis-en-haft).[2]

Zwei Drittel der Komposita im Deutschen kommen jedoch ohne ein solches Verbindungszeichen aus. So werden Kopulativkomposita generell ohne Fugenelement gebildet. Ebenso verhält es sich bei Determinativkomposita mit nicht flektierbarem Bestimmungswort wie Adverbien, Präpositionen usw., und auch Zusammensetzungen mit adjektivischem Erstglied weisen i.d.R. kein Fugenelement auf. Ähnliches gilt für Komposita des Typs Verb + Substantiv: In den meisten Fällen erfolgt auch hier die Zusammensetzung nahtlos, wobei die Infinitivendung des Verbs entfällt, und nur bei etwa 10 – 20% tritt zwischen verbales Erst- und nominales Zweitglied ein Bindevokal (-e-). Ganz anders jedoch bei Substantivkomposita mit nominalem Determinans. Die große Vielfalt der hier auftretenden Fugenelemente erinnert an die Formvarianz der Flexion – hat jedoch zumindest synchron kaum noch etwas mit dieser zu tun und wird offenbar auch durch andere Regeln gesteuert.

Da das Phänomen des Fugenelements also nur relativ eingeschränkt in Erscheinung tritt und sich hauptsächlich auf Substantivkomposita bezieht, kann eine allgemeine Funktion der Fugenelemente für die Komposition als Wortbildungsprozess kaum anzunehmen sein. Andererseits spricht gerade die nicht willkürliche, sondern regelhaft wirkende Setzung der Fugenelemente in diesen wenigen Fällen dafür, dass diese Elemente eben nicht funktionslos sind. Allerdings scheint eine klare und umfassende Systematik bzw. eine eindeutige Funktion angesichts der unterschiedlichen Kriterien und Regularitäten der Fugenbildung nur schwer nachweisbar zu sein.

„Für eine zusammenfassende und am Prototypischen interessierte Beschreibung der Fuge gilt das im besonderen, was für die Wortbildung im allgemeinen gilt: Man kann nicht hoffen, die Vielfalt der Erscheinungen auch nur halbwegs vollständig zu erfassen.“[3]

Die unterschiedlichen Bezeichnungen wie Bindevokal, Verbindungszeichen oder linking morpheme werfen zudem die Frage auf, um was es sich bei den Fugenelementen überhaupt handelt. Um Laute bzw. Lautfolgen mit rein phonologisch-prosodischer Funktion, um Affixe oder Morpheme? Johannes Erben spricht von einer Art von Flexiven, welche die Kompositionsfuge markieren, ihren sprachüblichen grammatischen Wert (Signal für Plural oder Genitiv Singular) aber eingebüßt haben.[4] Dressler hingegen hält eine Beschreibung der Fugenelemente als Stamm- bzw. Suffixerweiterungen für wenig sinnvoll, „da sie nach zu vielen Stämmen und vor zu vielen Suffixen“ auftreten, und interpretiert sie als Interfixe.[5] Als „echte“ Morpheme wiederum (mit entsprechend morpho-syntaktischer wie semantischer Funktion) können die Fugenelemente nach Fuhrhop zumindest synchronisch nicht analysiert werden. Trotz alledem erscheint gerade die Fuge als offenbar einziges charakteristisches Formmittel bei der ansonsten kaum restringierten Komposition des Typs SBST + SBST und (neben der Anordnung bzw. Reihenfolge der Kompositionsglieder) als wichtigste morphologische Einheit zur Strukturierung dieser Komposita.[6]

In meiner Arbeit beschränke ich mich daher auf die Analyse von Fugenelementen bei Determinativkomposita mit substantivischem Erst- und Zweitglied.[7] Ausgehend von den Formen der hier auftretenden Fugenelemente, v.a. der phonologischen Substanz sowie ihrer Korrespondenz mit Formen der Flexionsparadigmen (Kapitel 2), wird auf mögliche Funktionen in phonologischer, morphologischer sowie semantisch-syntaktischer Hinsicht geschlossen (Kapitel 3). Anhand von Beispielen schließt sich mit Kapitel 4 eine Übersicht über die Distribution der einzelnen Fugenelemente an, anhand derer die Thesen zu möglichen Funktionen überprüft werden sollen. Dieser Versuch einer Systematik bietet zudem einen Blick auf Unregelmäßigkeiten und Widersprüche, mit denen ich meine Arbeit abschließen und gleichsam eine Perspektive für weitere Diskussionen eröffnen möchte (Kapitel 5).

2. Formen

2.1 phonologisch

Die Fugenelemente, die in deutschen Komposita neben der dominierenden Null-Fuge (-ø-) vorkommen, sind -e- (Hundeleine), -s- (Zweifelsfall), -es- (Siegeswille), -n- (Blumenvase), -en- (Heldenmut), -er- (Kindergarten) und -(e)ns- (Herzenswunsch).[8] Die „fremden“ Fugen[9] -al-/ -ial- (Gymnasiallehrer) und -o- (Elektrotechnik) können als adjektivische Formen der Erstglieder interpretiert werden und spielen bei den hier untersuchten Komposita des Typs SBST+SBST keine Rolle.[10] Eine weitere Differenzierung, wie sie Žepić[11] vornimmt, indem er die „negativen“ Morphe -en- und -e- sowie den Tausch -e- gegen -s- als eigenständige Fugen ansieht, ist nicht nötig, wenn man auf einer übergeordneten Ebene annimmt, dass Fugenelemente sowohl additiv als auch subtraktiv und substitutiv auftreten können. Im ersten Fall fügen sich diese an den Stamm bzw. die Wurzel des Erstgliedes an. Von einer subtraktiven Fuge spricht man, wenn das stammauslautende Schwa in der Komposition getilgt wird. In manchen Fällen wird dieses jedoch auch durch ein Fugen-s ersetzt (substitutives Fugeelement). Daraus ergibt sich anhand von Beispielen folgende Übersicht:

additiv e Pferdewagen, Mausefalle

s Zweifelsfall, Urlaubsgeld

es Siegeswille, Lobeshymne

n Blumenvase, Bauernhof, Sonnenblume

en Heldenmut, Schwanenfeder

er Kindergarten

(e)ns Herzenslust, Schmerzensschrei

subtraktiv e®ø Rebstock, Mietvertrag, Wolldecke

substitutiv e®s Gebirgsmassiv, Geschichtslehrer, Hilfskraft

Eine Definition, nach welcher alles das als Fuge angesehen wird, was über die Form des Nominativ Singular eines substantivischen Determinans hinausgeht, greift also zu kurz. Berücksichtigt man, dass manche Fugen gleichzeitig an Umlautung gebunden sind (Bücherregal, Hühnerhof), könnte man als Fuge „jede phonologische Veränderung gegenüber einer bestimmten Stammform“ annehmen.[12]

Ihrer phonologischen Substanz zufolge sind alle Fugenelemente (außer -s- und -n-) silbisch und unbetonbar. Während die Fuge -n- grundsätzlich nur in Schwa-Silben auftritt[13] und damit den übrigen Fugenelementen gleicht, bei denen es sich ebenfalls ausnahmslos um Schwa-Silben handelt, ist das Fugen-s prosodisch weit weniger eingeschränkt. Als einziges Element kann dieses in betonbaren Silben stehen sowie der Sonoritätshierarchie entsprechend (fast) allen Lauten in der gleichen Silbe folgen. Damit ist das -s- als unsilbisches Fugenelement prädestiniert.

Aufgrund ihrer phonotaktischen Eigenschaften verbleiben alle Fugenelemente stets im Silbenendrand des ersten Kompositionsgliedes, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Entsprechend seiner niedrigen Sonorität könnte das unsilbische Fugen-s bei Syllabierung in die nächste Silbe gezogen werden, um dem Coda-Law gemäß die Zahl aufeinanderfolgender Konsonanten im Silbenendrand so gering wie möglich zu halten. Dass dies jedoch nicht geschieht, hängt mit den starken Restriktionen des Silbenanfangs im Deutschen zusammen. Nur in Ausnahmen wie Skat ist das [s] in Kombination mit anderen Konsonanten im Anlaut möglich. Während das Fugen-s also aufgrund kombinatorischer Einschränkungen stets im Silbenendrand verbleibt, werden die Fugenelemente -n- und -r- aufgrund ihrer hohen Sonorität nicht in die nächste Silbe gezogen. Bei den übrigen silbischen Fugen liegt dies auf der Hand: Sie bilden mit den Konsonanten des Erstgliedes als Anfangsrand eine eigene Silbe, liefern selbst aber keine Konsonanten für einen Anfangsrand des Zweitgliedes.[14]

Kann man also die Fugenelemente bereits aus phonotaktischen Überlegungen dem Erstglied des Kompositums zuordnen, wird dies aus morphologischer Sicht noch deutlicher.

[...]


[1] Bußmann, S.255

[2] Glück, S.222

[3] Eisenberg, S.227

[4] Erben, S.61

[5] Dressler, zitiert nacht Erben, S.62 (Anmerkung 10)

[6] vgl. Eisenberg, S.227

[7] Fugenelemente bei Komposita mit adjektivischem Erst- oder Zweitglied sowie bei Ableitungen sind Gegenstand eines zweiten Referats von Katja Henze.

[8] Der Einfachheit halber, und da es sich ja nicht nur um phonologische, sondern auch um graphische Elemente handelt, werden die Fugenelemente im Folgenden orthographisch wiedergegeben.

[9] Eisenberg, S.227

[10] Sie sind damit vielmehr Gegenstand der Arbeit meiner Co-Referentin Katja Henze, auf die ich bereits hingewiesen habe.

[11] vgl. Ortner, S.55

[12] vgl. Eisenberg, S.228

[13] weshalb die beiden Formen -en- und -n- oft zusammengefasst als -(e)n- betrachtet werden

[14] vgl. Fuhrhop: Grenzfälle, S.189

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Fugenelemente bei Substantivkomposita mit nominalem Erstglied
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für deutsche Sprache und Linguistik)
Veranstaltung
Wort- und Begriffsbildung im Deutschen
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V18548
ISBN (eBook)
9783638228749
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fugenelemente, Substantivkomposita, Erstglied, Wort-, Begriffsbildung, Deutschen
Arbeit zitieren
Astrid Lukas (Autor:in), 2003, Fugenelemente bei Substantivkomposita mit nominalem Erstglied, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18548

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