Diversion - Vorteile und Gefahren


Hausarbeit, 2003

33 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

Einleitung

1. Was ist Diversion?
1.1. Begriff
1.2. Entwicklung

2. Gesetzliche Grundlage

3. Praktische Anwendung
3.1. § 45 JGG Absehen von Verfolgung
3.2. § 47 JGG Einstellung des Verfahrens durch den Richter
3.3. § 37 BtmG Absehen von Verfolgung
3.4. §§ 153, 153a, 153b StPO Einstellung wegen Geringfügigkeit, nach Erfüllung von Auflagen, bei Absehen von Strafe

4. Die Diversionsmaßnahmen

5. Weitere ”Sanktionsmöglichkeiten” im Rahmen eines Diversionsverfahrens
5.1. Auflagen und Weisungen nach § 45 Abs. 3 JGG
5.2. Drogentherapie

6. Ziele
6.1. Verminderung von Etikettierung und Stigmatisierung
6.2. Flexible angemessene Reaktion auf Jugendkriminalität
6.3. Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte

7. Vorteile

8. Gefahren
8.1. Ausweitung der sozialen Kontrolle
8.2. Ist der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG gewährleistet?
8.3. ”Freiwilligkeit” durch staatlichen Eingriff
8.4. Wie wichtig ist die Entlastung der Strafverfolgungsbehörde?
8.5. Nach wie vor Etikettierung durch staatliche Intervention
8.6. Erneute Schädigung des Opfers
8.7. Mangelnde Abschreckung

9. Resümee

Literatur

Bücher

Aufsätze

Einleitung

Seit ca. 20 Jahren gewinnt die Diversion vor allem im Jugendstrafrecht immer mehr an Bedeutung. Eine Studie der Konstanzer Inventar Sanktionsforschung besagt, dass in den 90er Jahren ca. 2/3 der Sanktionsverfahren informell beendet wurden. Den größten Anteil daran haben Jugendliche und Heranwachsende, für die das JGG Anwendung findet (Schwind, 2002,

S. 68). Ursache dafür sind verschiedene Faktoren. Einerseits sind es kriminologische Erkenntnisse, die zeigen, dass sich Jugendkriminalität in Ursache, Art und Ausführung von der Erwachsenenkriminalität unterscheidet und dass Erziehung in den meisten Fällen effektiver ist als Strafe. Andererseits hat man eingesehen, dass eine formelle Verurteilung (auch bei Erwachsenen) nicht immer eine angemessene Reaktion auf delinquentes Verhalten ist. Außerdem gibt es auch verfahrensökonomische Gründe, die (wenn auch zweitrangig) dazu beitragen, dass ein Verfahren im Rahmen einer Diversion eingestellt wird.

Im Folgenden werde ich den Begriff und die Entwicklung von Diversion allgemein erklären und unter welchen Bedingungen sie im Jugend- und im Erwachsenenstrafrecht angewendet werden kann. Dabei werde ich auf die Vorschriften des JGG und deren Anwendung detaillierter eingehen, da im Zusammenhang mit dem Jugendstrafrecht vom engen Diversionsbegriff die Rede ist, während der erweiterte sich auf das Erwachsenenstrafrecht bezieht.

Auch bei den Zielvorstellungen, Vorteilen und Gefahren werde ich mich ausschließlich auf die Jugendkriminalität beziehen, weil (obwohl sich die Ziele bei Jugendlichen und Erwachsenen in gewisser Weise ähneln) wesentlich mehr Verfahren nach §§ 45 und 47 JGG eingestellt werden als nach §§ 153ff StPO und weil Diversion im eigentlichen Sinne nur im Jugendstrafrecht angewendet wird (enger Diversionsbegriff).

1. Was ist Diversion?

1.1. Begriff

Der Ursprung des Wortes ”Diversion” liegt laut Duden im lateinischen Wort ”divertere” und bedeutet umleiten, Abbrechen von Strafverfolgung.

Unter Diversion versteht man also die ”Umleitung um ein förmliches Strafverfahren, durch Absehen von Strafverfolgung” oftmals in Verbindung mit unterschiedlichen Erziehungsmaßnahmen. Der Richter kann ggf. zusätzlich auf Anregung des Staatsanwaltes Ermahnungen, Weisungen oder Auflagen erteilen.

Diversion im engen Sinne wird im Jugendstrafrecht angewendet, weil dessen Grundgedanke Erziehung statt Strafe ist und die Diversionsmaßnahmen erzieherische Maßnahmen sind.

Es gibt aber auch den erweiterten Diversionsbegriff, der im Erwachsenenstrafrecht Anwendung finden kann. Der Begriff Diversion wird generell nicht mit Erwachsenendelinquenz in Zusammenhang gebracht, statt dessen wird ein Verfahren unter gewissen Voraussetzungen eingestellt. Die Erfüllung von Auflagen oder Weisungen ist meistens eine Voraussetzung (mit Ausnahmen der Voraussetzungen nach § 153 StPO) dafür, dass das Verfahren eingestellt werden kann, während im Jugendstrafrecht die Erteilung von Auflagen und Weisungen in keinem Fall zwingend ist, sondern im Ermessen von Staatsanwalt und Richter liegt.

1.2. Entwicklung

Erste Diversionsansätze gab es hierzulande bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, wenn auch nicht in der heute bekannten Form. Bereits 1923 waren die Zielvorstellungen des Jugendgerichtsgesetzes dahingehend, einen jungen Menschen um ein förmliches Strafverfahren ”herumzuführen”, um ihn ”möglichst vor den mit einem Strafverfahren verbundenen Schäden zu bewahren.” (Heinz/Storz, 1993, S. 15).

Durch die Neufassung des Jugendgerichtsgesetzes von 1953 wurde es schließlich möglich, dass der Jugendrichter auf Anregung des Staatsanwaltes von einer Strafverfolgung absehen konnte, wenn der Beschuldigte geständig war (§ 45 Abs. 1 JGG v. 1953), ohne Zustimmung des Richters war die Einstellung nur möglich, wenn bereits eine erzieherische Maßnahme angeordnet war oder wenn die Voraussetzungen des § 153 StGB vorlagen (§ 45 Abs. 2 JGG v. 1953).

Im Zuge der Reform des Jugendgerichtsgesetz im Jahre 1990 wurde auch § 45 verändert. Dieser besagt nun, dass es dem Staatsanwalt generell möglich ist, ein Verfahren ohne Zustimmung des Richters einzustellen. Durch diese Reform wurde der Weg zur Diversion weiter geebnet, weil es seit dem möglich ist, Strafverfahren zu einem sehr frühen Zeitpunkt einzustellen, da eine Beteiligung des Richters nicht mehr notwendig ist.

Die Entwicklung des Diversionsbegriffs begann in den 60er Jahren in den USA (Heinz/Storz, 1993, S. 7). Entsprechende Maßnahmen wurden ebenfalls erstmals im amerikanischen Jugendrecht durchgeführt, auch bei ganz leichten Delikten, wie z. B. Schuleschwänzen (Enquête-Kommision, 2000, S. 120). In den 70er Jahren gab es in den USA verschiedene Diversionsprogramme. Die Studien, die anlässlich dieser Programme durchgeführt wurden, hatten unterschiedliche Ergebnisse, wobei aber die Grundidee prinzipiell Zustimmung fand (Kuhlen, 1988, S. 2f ).

Anfang der 80er Jahre wurde sie in der BRD aufgegriffen (Enquête-Kommision, 2000, S. 120) und fand zunehmend Zuspruch im Jugendstrafrecht, weil kriminologische Forschung, gezeigt hatte, dass Jugendkriminalität im Gegensatz zu Erwachsenenkriminalität allgegenwärtig, normal und episodenhaft ist (Clages, Kriminalstatistik-Skript). Dadurch erschienen die üblichen strafrechtlichen Sanktionen bei leichter und mittelschwerer Kriminalität wenig geeignet, um der Jugendkriminalität in adäquater Weise zu begegnen. Basierend auf diese Forschungsergebnisse entwickelte sich die Diversion zu einem festen Bestandteil des Jugendstrafrechts.

2. Gesetzliche Grundlage

Im Jugendstrafverfahren ist es (wie bereits erwähnt) möglich, ein Verfahren durch den Staatsanwalt im Rahmen einer Diversion nach § 45 JGG einzustellen, wenn die Voraussetzungen des § 153 StGB (s. 3.4.) vorliegen (Abs. 1) oder wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet wurde und er weder eine Beteiligung des Richters, noch eine Anklageerhebung für erforderlich hält (Abs. 2). Der Staatsanwalt kann des weiteren die Erteilung einer Ermahnung, Weisungen oder Auflagen durch den Richter (nach § 10 JGG) anregen, allerdings nur wenn der Beschuldigte geständig ist und der Staatsanwalt diese richterliche Maßnahme jedoch keine Anklageerhebung für erforderlich hält. Entspricht der Jugendrichter dieser Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, nachdem der Jugendliche den Weisungen oder Auflagen nachgekommen ist (Abs. 3).

Ist die Anklage jedoch bereits eingereicht worden, so kann der Richter die Diversion einleiten (§ 47 JGG), wenn entweder die Voraussetzungen des § 153 StGB vorliegen oder eine erzieherische Maßnahme nach § 45 Abs. 2 JGG bereits durchgeführt bzw. eingeleitet wurde oder der Richter eine Entscheidung durch Urteil für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine der Maßnahmen nach § 45 Abs. 3 S. 1 JGG anordnet oder wenn der Angeklagte mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist. Der Richter hat mit Zustimmung des Staatsanwalts auch die Möglichkeit, das Verfahren erst vorläufig einzustellen und dem Jugendlichen eine maximal sechsmonatige Frist aufzuerlegen, binnen der er den Auflagen, Weisungen oder erzieherischen Maßnahmen nachzukommen hat. Tut er dies, so stellt der Richter das Verfahren nach erfolgreicher Erledigung endgültig ein. Hier gibt es jedoch nicht die Möglichkeit, wie in § 11 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 S. 2 JGG beschrieben, nachdem bei schuldhafter Zuwiderhandlung ein Jugendarrest bis zu vier Wochen verhängt werden kann (Abs. 1). Die Einstellung bedarf prinzipiell der Zustimmung des Staatsanwaltes, es sei denn er hat bereits der vorläufigen Einstellung zugestimmt. Der Einstellungsbeschluss kann auch erst in der Hauptverhandlung ergehen und wird mit Gründen versehen, die nicht anfechtbar sind. Diese Gründe werden dem Angeklagten jedoch nicht mitgeteilt, wenn Nachteile für die Erziehung zu befürchten sind (Abs. 2). Ist ein Verfahren eingestellt, so kann wegen derselben Tat nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel von neuem Anklage erhoben werden (Abs. 3).

Die §§ 45 und 47 JGG bilden die Grundlage des sogenannten engen Diversionsbegriffs. Wie aber bereits erwähnt, gibt es in begrenztem Maße auch bei Erwachsenen die Möglichkeit, ein formelles Verfahren zu umgehen bzw. einzustellen (erweiterter Diversionsbegriff). An erster Stelle ist dabei § 37 BtMG zu nennen. Abs. 1 besagt, dass ein Verfahren eingestellt werden kann, wenn eine Straftat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde und eine maximale Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu erwarten ist und der Beschuldigte nachweist, dass er sich wegen seiner Abhängigkeit seit mindestens drei Monaten in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet und seine Resozialisierung zu erwarten ist. Ist die Klage bereits erhoben worden, so kann der Richter das Verfahren zu jedem Zeitpunkt der Hauptverhandlung, mit Zustimmung des Staatsanwalts, unter den gleichen Voraussetzungen, wie in Abs. 1, vorläufig einstellen. Diese Art der Verfahrenseinstellung ist für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene möglich. Eine weitere Form der ”erweiterten Diversion” sind die §§ 153, 153a und 153b StPO. § 153 besagt, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen kann, wenn es sich bei der zu bestrafenden Tat um ein Vergehen handelt, die Schuld als zu gering erachtet wird und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Handelt es sich um ein Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die verursachten Folgen der Tat gering sind, so kann der Staatsanwalt das Verfahren auch ohne vorherige Zustimmung des Gerichts einstellen (Abs. 1). Ist die Klage jedoch bereits erhoben, so kann das Gericht auch in diesem Fall mit Zustimmung des Staatsanwaltes, unter Voraussetzung des Abs. 1, das Verfahren einstellen.

Nach § 153a StPO kann ein Staatsanwalt im Strafverfahren eines Erwachsenen auch dann von der Strafverfolgung und der Erhebung einer öffentlichen Klage absehen, wenn diesem gleichzeitig eine Schadenswiedergutmachung (in Verbindung mit § 46a StGB), die Zahlung eines Geldbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse, sonstige gemeinnützige Leistungen oder das Nachkommen der Unterhaltspflicht in einer bestimmten Höhe auferlegt wird. Diese Auflagen und Weisungen müssen dazu geeignet sein, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und dürfen der Schwere der Schuld nicht entgegen stehen. Dem Beklagten wird in diesem Fall eine Frist gesetzt, innerhalb der er die Auflagen und Weisungen zu erfüllen hat. Der Staatsanwalt kann diese nachträglich aufheben oder mit Zustimmung des Beschuldigten auch ändern oder nachträglich auferlegen. Werden die Auflagen und Weisungen nicht erfüllt, so kann in diesem Fall die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden (Abs. 1). Wie bereits in den meisten vorherigen Fällen, kann auch hier der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwaltes zu den in Abs. 1 genannten Bedingungen einstellen (Abs. 2).

§ 153b ähnelt in gewisser Weise den §§ 45 und 47 JGG. Er besagt, dass der Staatsanwalt mit Zustimmung des Gerichts von der Klageerhebung absehen kann, wenn die Voraussetzungen wie z. B. geringe Schuld, mangelndes öffentliches Interesse, freiwillige Wiedergutmachung (Rössner/Klaus, 1998, S. 64) dafür erfüllt sind (Abs. 1). Abs. 2 besagt, dass das Gericht nach Klageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung mit Zustimmung des Staatsanwalts und des Beklagten das Verfahren einstellen kann.

Der Unterschied zu § 153a liegt demnach in der Freiwilligkeit der Erfüllung von Auflagen und Weisungen (die dem Beschuldigten nicht vom Gericht auferlegt werden), um der Schwere der Schuld positiv entgegenzuwirken und das öffentliche Interesse damit zu beseitigen.

3. Praktische Anwendung

Bei der Anwendung von Rechtsvorschriften herrscht in der Regel der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. D. h. es muss überprüft werden, ob eine Maßnahme geeignet und notwendig ist. Dieses sogenannte Stufenprinzip läßt sich am Beispiel des § 45 JGG im folgenden leicht verdeutlichen (Clages, Kriminologie-Skript).

3.1. § 45 JGG Absehen von Verfolgung

§ 45 kann für Jugendliche und auch für Heranwachsende (vor einem für allgemeine Straftaten zuständigen Gericht) verwendet werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nach § 105 Abs. 1 erfüllt sind (Diemer, 1995, S. 433).

Zunächst muss ein Anfangsverdacht vorliegen, der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würde, weil eine Einstellung im Rahmen einer Diversion nach § 45 für den Jugendlichen bedeutet, dass in jedem Fall eine Eintragung im Erziehungsregister erfolgt. Gibt es diesen Tatverdacht nicht, so muss dieses Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werden (Diemer, 1995, S. 437). Weitere Voraussetzungen sind die des § 153 StPO, nämlich geringe Schuld, kein öffentliches Interesse an der Verfolgung und dass es sich bei dem Straftatbestand um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB: eine Tat, die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder einer Geldstrafe bedroht ist) handelt (vgl. 3.4.).

§ 45 Abs. 1 JGG ist eine Ermessensvorschrift für den Staatsanwalt, d. h. dass er lediglich die o. g. Voraussetzungen zu prüfen hat und danach entscheiden kann, ob er das Verfahren einstellt oder nicht. Sie wird oftmals bei Ersttätern verwendet und wenn es sich bei den Straftaten um jugendtypische Vergehen wie z. B. Kaufhausdiebstahl, Schwarzfahren oder Fahren ohne Fahrerlaubnis handelt (Clages, Diversion im Jugendstrafrecht). Unter gewissen Umständen kann Abs. 1 auch bei Mehrfachtätern in Fällen angewendet werden, in denen die begangen Straftaten zeitlich weit auseinander liegen oder wenn die Straftaten nicht vergleichbar sind, wie z. B. Kaufhausdiebstahl und Fahren ohne Führerschein (Diemer, 1995, S. 441).

Abs. 2 ist nicht auf Vergehen beschränkt. Der Staatsanwalt ist hiernach verpflichtet die Diversion einzuleiten, wenn eine Maßnahme, die zur Erziehung des Jugendlichen eingeleitet oder bereits durchgeführt wurde (Diemer, 1995, S. 441). Für die Anwendung von Abs. 2 ist nicht die Art des Deliktes maßgeblich, sondern die Geeignetheit (Entscheidung des Staatsanwaltes) der erzieherischen Maßnahme (Eisenberg, 2000, S. 480). Auf die Maßnahmen im einzelnen werde ich in Kapitel 4 näher eingehen.

Die Verfahrenseinstellung nach Abs. 2 unterliegt also nicht mehr dem Ermessen des Staatsanwaltes, da er zur Einstellung im Rahmen einer Diversion verpflichtet ist, wenn eine erzieherische Maßnahme durchgeführt oder eingeleitet wurde. Wird eine solche Maßnahme erst in absehbarer Zeit eingeleitet, so wartet er ab, wenn nicht erzieherische Gründe dagegen sprechen oder aber die informelle Verfahrenserledigung nicht wie vorgeschrieben beschleunigt, sondern verzögert wird. Nach Einleitung der erzieherischen Maßnahme wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen darf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach Abs. 1 und 2 nicht von einem Geständnis des Jugendlichen abhängig gemacht werden (Diemer, 1995, S. 444).

Kommt eine Diversion nach Abs. 1 oder 2 nicht in Frage, so besteht noch die Einstellungsmöglichkeit nach Abs. 3 unter richterlicher Beteiligung. Er wird ebenfalls für Straftaten, die über ein Vergehen hinausgehen, angewendet und gestattet dem Richter, belastende Rechtsfolgen in Form von Auflagen und Weisungen (wenn auch eingeschränkt) ohne formelles Verfahren anzuordnen. Hierfür ist allerdings ein Geständnis des Beschuldigten erforderlich, um die Schuldfrage weitgehend zu klären. Eine eingehende Überprüfung dieses Geständnisses erfolgt jedoch nicht, um einer schnellen, informellen Erledigung nicht im Wege zu stehen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass das Ausmaß der Schuld und des dadurch deutlich gewordenen Erziehungsdefizits so groß ist, dass eine Verfahrenseinstellung nach Abs. 1 und 2, die in den meisten Fällen kaum Konsequenzen nach sich zieht, nicht gerechtfertigt ist. Gleichzeitig ist nach Ansicht des Staatsanwaltes die Anklageerhebung nicht erforderlich, weil die Schuldfrage durch das Geständnis hinreichend geklärt ist, eine Hauptverhandlung jedoch aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich ist.

Nach Abs. 3 besteht nun zu den bereits erwähnten Erziehungsmaßnahmen noch die Möglichkeit der Ermahnung, Weisungen und Auflagen, die durch den Jugendrichter auf Anregung des Staatsanwaltes erteilt werden. Nach dem bereits erwähnten Stufenprinzip steht an erster Stelle die Ermahnung, die mündlich durch den Richter erfolgt. Sollte diese nicht ausreichen, kommen auch noch Weisungen und Auflagen in Betracht, die ich ebenfalls im letzten Teil dieses Kapitels näher erläutern werde.

Auch nach Abs. 3 kann der Staatsanwalt nicht nach eigenem Ermessen das Verfahren einstellen, wenn die Voraussetzungen erfüllt werden und der Richter den Anregungen entspricht und muss somit die Diversion einleiten. Sollte der Richter jedoch nicht den Vorschlägen entsprechen bzw. andere zulässige Maßnahmen anordnen, so liegt die Verfahrenseinstellung letztendlich wiederum im Ermessen des Staatsanwaltes. Da der Richter aber nicht an die Anregungen des Staatsanwaltes gebunden ist, kann er diesen widersprechen und ebenso eine Einstellung ablehnen, so dass der Staatsanwalt in einem solchen Fall Anklage erhebt. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, wenn sich Staatsanwalt und Richter im Vorfeld austauschen, um ein Verfahren nicht unnötig in die Länge zu ziehen (Diemer, 1995, S. 447).

Der Jugendrichter überwacht die Erfüllung der Weisungen und Auflagen, für die er eine Frist festsetzt, die aber nicht zu lang sein darf. Eine Abänderung der Weisungen und Auflagen ist nur in Ausnahmefällen gestattet. Nachdem der Jugendliche den Weisungen und Auflagen nachgekommen ist, stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein. Andernfalls erhebt er Anklage (Diemer, 1995, S. 448).

3.2. § 47 JGG Einstellung des Verfahrens durch den Richter § 47 kann für Jugendliche immer und bei Heranwachsenden unter der Voraussetzung des § 105 Abs. 1, mit Ausnahme des § 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Abs. 2 S. 4, angewendet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Diversion - Vorteile und Gefahren
Hochschule
Fachhochschule Mannheim, Hochschule für Sozialwesen
Veranstaltung
Strafrecht/Jugendstrafrecht
Note
2,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
33
Katalognummer
V18538
ISBN (eBook)
9783638228671
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Diversion, Vorteile, Gefahren, Strafrecht/Jugendstrafrecht
Arbeit zitieren
Nicole Haßdenteufel (Autor:in), 2003, Diversion - Vorteile und Gefahren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18538

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