Nicht-hierarchische Koordination von Gruppen unter Berücksichtigug der Interdependenzproblematik


Diploma Thesis, 1998

101 Pages, Grade: 1.5


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Abkürzungen

1. Einleitung
1.1. Problemstellung
1.2. Aufbau der Arbeit

2. Gruppen als Erkenntnisobjekt verhaltenswissenschaftlicher Forschung
2.1. Definition des Gruppenbegriffs
2.2. Formen von Gruppen
2.3. Gruppenbildung in Organisationen
2.4. Die Gruppe als Erkenntnisobjekt empirischer Sozialforschung
2.4.1. Die „Hawthorne-Studie
2.4.2. Leistungsvorteile von Gruppen
2.4.2.1. Typen des Leistungsvorteils nach Hofstätter
2.4.2.2. Die Kategorisierung nach Franke
2.4.3. Dysfunktionale Gruppenprozesse
2.4.3.1. Groupthink
2.4.3.2. Risikoschübe (Risky Shift)
2.4.3.3. Abschieben der Verantwortung (Diffusion of Responsibility)

3. Interdependenzen von Gruppen in Organisationen
3.1. Gründe für das Entstehen von Interdependenzen
3.2. Formen von Interdependenzen
3.3. Wirkungen von Interdependenzen
3.3.1. Kooperation
3.3.2. Konkurrenz
3.3.3. Konflikt
3.3.4. Zum Verhältnis von Kooperation, Konkurrenz und Konflikt

4. Koordination in Organisationen
4.1. Notwendigkeit von Koordination
4.2. Ursachen des Koordinationsproblems
4.3. Dimensionen des Koordinationsbegriffs
4.4. Die Koordinationsproblematik in der betriebswirtschaftlichen Forschung
4.4.1. Traditioneller entscheidungsorientierter Forschungsansatz
4.4.2. Verhaltenswissenschaftlicher Forschungsansatz
4.4.3. Kontingenztheoretischer Forschungsansatz
4.4.4. Vergleich der Forschungsansätze

5. Hierarchie als Koordinationsform
5.1. Begriff der Hierarchie
5.2. Entstehung von Hierarchie
5.3. Kennzeichen und Ausprägungen von Hierarchie
5.4. Kritik an hierarchischen Strukturen und Grenzen der Hierarchie

6. Nicht-hierarchische Koordination - Abgrenzungs- und Kategorisierungsansätze
6.1. Wesen und Entstehung des Begriffs der nicht-hierarchischen Koordination
6.2. Ausgewählte Definitions- und Kategorisierungsansätze
6.2.1. Varianten nicht-hierarchischer Koordination nach Brockhoff und Hauschildt
6.2.2. Nicht-hierarchische Koordinationsprinzipien nach Laßmann
6.2.3. Formen nicht-hierarchischer Koordination nach Schäffer

7. Organisatorische Ansätze zur Gestaltung nicht-hierarchischer Koordination
7.1. Selbstabstimmung
7.1.1. Gruppen- und Teamarbeit
7.1.1.1. Teilautonome Arbeitsgruppen
7.1.1.2. Projektgruppen
7.1.1.3. Qualitätszirkel
7.1.2. Gremien
7.1.2.1. Gremienformen
7.1.2.2. Vermutungen zur Effizienz von Gremien
7.1.3. Netzwerke
7.2. Interne Märkte
7.3. Beurteilung organisatorischer Ansätze zur Gestaltung nicht-hierarchischer Koordination

8. Ausblick

9. Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Formen von Interdependenzen

Abb. 2: Team-Interdependenzen

Abb. 3: Produktive und nicht produktive Konflikttypen

Abb. 4: Beispiel für eine hierarchische Organisationsstruktur

Abb. 5: Grundidee nicht-hierarchischer Koordination

Abb. 6: Einordnung nicht-hierarchischer Koordinationsmechanismen

Abb. 7: Ausprägungsformen von Gremien

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

Im Zuge der Diskussion um Schlagworte wie „Lean Management“, „flache Hierarchien“, „Dezentralisierung“ oder „teilautonome Gruppenarbeit“ ist die Koordinationsproblematik in der Betriebswirtschaftslehre wieder zu einem zentralen Thema geworden. Immer häufiger werden vertikale, streng hierarchische Koordinationssysteme, in denen Instanzen ihnen nachgeordneten Organisationsmitgliedern Verhaltensnormen bei bestimmten Handlungen und Entscheidungen vorgeben und gegebenenfalls regulierend in Konflikte eingreifen, in Frage gestellt und ihre völlige Ablösung oder teilweise Ergänzung durch horizontale, nicht-hierarchische Abstimmungsmechanismen gefordert.

Auffallend ist, daß trotz der Aktualität des Themas in der Literatur eine umfassende und einheitliche Definition von dem, was unter nicht- hierarchischen Koordinationsformen zu verstehen ist, fehlt. Die bisherigen Veröffentlichungen beziehen sich zumeist auf die Abstimmung einzelner kritischer Funktionsbereiche innerhalb eines Unternehmens.[1] Weitaus seltener sind Kategorisierungs- und Darstellungsansätze von nicht-hierarchischen Koordinationsinstrumenten. Die Publikationen, die zu dieser Fragestellung vorliegen, sind zudem uneinheitlich, teilweise sogar widersprüchlich. Das mag daran liegen, daß sich neben der Betriebswirtschaftslehre auch andere Wissenschaftsdisziplinen mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigen. Als Beispiele seien die Psychologie, die Soziologie, die Sozialpsychologie oder die Verwaltungswissenschaften genannt. Ein weiterer Grund dürfte sein, daß selbst in der betriebswirtschaftlichen Organisationsforschung unterschiedliche Denkrichtungen und damit auch Methoden zur Gewinnung von Theorien existieren.

Vorliegende Arbeit kann die zweifellos bestehende Forschungslücke auf dem Gebiet nicht-hierarchischer Koordinationsformen schwerlich schließen. Es wird aber versucht, die Erkenntnisse verschiedener Forschungsansätze zu den Themenschwerpunkten aufzuzeigen, gegebenenfalls gegenüberzustellen, zu kategorisieren und zu beurteilen. Gleichwohl muß darauf hingewiesen werden, daß eine vollständige und überschneidungsfreie Darstellung aufgrund der Vielzahl und der Heterogenität der Veröffentlichungen kaum möglich ist.

1.2. Aufbau der Arbeit

Im Zentrum der Beobachtungen sollen Gruppen stehen, die unter den Objekten sozialwissenschaftlicher Forschung als intermediärer Aggregatzustand zwischen dem Individuum und der Institution einzuordnen sind. In Kapitel 2 wird zunächst eine umfassende und zweckmäßige Definition des Gruppenbegriffs gegeben. Außerdem werden die verschiedenen Möglichkeiten der Klassifizierung von Gruppen aufgezeigt und die Erklärungsansätze für die Genese von Gruppen in Organisationen be- schrieben. Da sich Gruppen in Bezug auf Handlungen und das Entscheidungs- verhalten oft in erheblichem Maße von Individuen unterscheiden, werden danach die wichtigsten empirischen Befunde zum Gruppenverhalten dargestellt.

Die Ursachen und Formen von Interdependenzen, die der eigentliche Auslöser für die Notwendigkeit von Koordination in komplexen Organisationen sind, werden in Kapitel 3 beleuchtet. Die Wirkungen von Interdependenzen auf das Verhalten interagierender Gruppen werden anschließend auf die Grundmuster Kooperation, Konkurrenz und Konflikt reduziert.

Kapitel 4 wendet sich der Koordination als einem der Grundprobleme betriebswirtschaftlicher Forschungsbemühungen zu. Der Skizzierung der Notwendigkeit und Ursachen von Koordination in Organisationen sowie der Dimensionen des Koordinationsbegriffs folgt eine Diskussion der von unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Forschungsrichtungen gegebenen Erklärungs- und Lösungsansätze der Koordinationsproblematik.

Da die Hierarchie von vielen Autoren als Grundform der Koordination bezeichnet wird, ist ihr Kapitel 5 gewidmet. Nach einer Begriffsdefinition sowie der Beschreibung der Entstehungsvermutungen, Kennzeichen und Ausprägungen von Hierarchie soll veranschaulicht werden, warum hierarchische Strukturen in zahlreichen betriebswirtschaftlichen Schriften in die Kritik geraten sind und wo möglicherweise ihre Grenzen liegen.

Drei ausgewählte Ansätze zur Abgrenzung und Kategorisierung nicht- hierarchischer Koordinationsmechanismen werden in Kapitel 6 ausführlich vorgestellt und diskutiert. Aufbauend auf dem Schema Schäffers[2], der als Grundausprägungen nicht-hierarchischer Koordination in Organisationen die Selbstabstimmung und den Markt identifiziert, bilden in Kapitel 7 die Vorstellung und Beurteilung von verschiedenen Möglichkeiten der Team- und Gruppenarbeit, von Gremien, Netzwerken sowie internen Märkten als organisatorische Ansätze nicht-hierarchischer Koordination sowie ein Ausblick (Kapitel 8) den Abschluß der Arbeit.

2. Gruppen als Erkenntnisobjekt verhaltenswissenschaftlicher Forschung

Obgleich „Gruppen so alt wie die Menschheit selbst“[3] sind, ist der Ausdruck Gruppe in seiner heutigen Bedeutung in der deutschen Sprache relativ neu. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts wurde er aus dem Italienischen und Französischen übernommen. Diese Tatsache verhindert freilich nicht, daß in der heutigen Zeit die Verwendungshäufigkeit und Bedeutungsvielfalt des Gruppenbegriffs in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen eine allgemeingültige Definition kaum möglich machen. Ziel der vorliegenden Arbeit kann es somit nur sein, einen zweckmäßigen, der Fragestellung angepaßten Konstruktionsbegriff zu liefern.

2.1. Definition des Gruppenbegriffs

Im weiteren wird von Gruppen gesprochen, wenn diese folgende Merkmale aufweisen:

- Personenmehrheit: Weitgehend Einigkeit herrscht in der Fachliteratur darüber, daß eine Dyade (Zweipersonengruppe) noch keine Gruppe im sozialwissenschaftlichen Sinne ist, da in ihr einige „bedeutsame sozialpsychologische Phänomene wie z.B. Koalitionsbildung oder Mehrheitsentscheidung“[4] nicht auftreten können. Schwieriger ist die Festlegung einer Obergrenze der Personenzahl, bei deren Überschreiten nicht mehr von dem Aggregatzustand einer Gruppe, sondern von einer Institution oder Masse gesprochen werden muß. Das Gros der Autoren nennt in diesem Zusammenhang keine konkreten Zahlen, sondern führt die Überschaubarkeit und die Möglichkeit der direkten, unmittelbaren Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern als Kriterien an.
- Direkte interne Interaktion: Den Mitgliedern muß es möglich sein, mit jedem anderen Gruppenmitglied direkt in Kontakt zu treten. In der Regel ist diese Interaktion an Interdependenzbeziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern gekoppelt. Keine Angabe findet sich in der Fachliteratur über das minimal notwendige Ausmaß der Interaktion.
- Gemeinsames Ziel oder Motiv: Zielorientierung gilt als allgemeine Eigenschaft sozialen Handelns und strukturiert daher auch jedes Miteinander in Gruppen. Schütz[5] stellt allerdings fest, „daß der Zielbegriff in der gängigen sozialpsychologisch orientierten Gruppenliteratur eine eher untergeordnete Rolle spielt und häufig nur marginal vorkommt.“ Er führt dies auf die Tatsache zurück, daß sich kaum eine allgemeine Aussage darüber treffen läßt, wie Gruppen mit ihren Zielen umgehen. Auch die Frage nach der Zielgewinnung von Gruppen ist nur schwer und nicht eindeutig zu beantworten. Oft werden Ziele und Motive erst während oder nach der Gruppengründung konstituiert. Überdies können sie auf höchst unterschiedliche Weise - zum Beispiel durch Kompromiß,
- ird.“[6] Zumeist ergibt sich ein „System mehr oder minder differenzierter Positionen und Rollen.“[7]
- Existenz von gemeinsamen Normen:[8] Solche Normen regeln die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die zielgerichteten Aktivitäten und machen somit das Funktionieren der Gruppe erst möglich.[9] Normen knüpfen an die gruppeneigenen Rollen als Verhaltensanforderungen an. Porter, Lawler und Hackman[10] nennen drei Merkmale, die Gruppennormen charakterisieren: Erstens betreffen sie grundsätzlich nur das Verhalten, nicht aber die Gedanken und Gefühle der Gruppenmitglieder. Zweitens werden sie nur für Verhaltensweisen entwickelt, die die Mehrheit der Mitglieder als wichtig ansieht, und drittens geben sie in der Regel nur ein Intervall an, innerhalb dessen Grenzen sich das Verhalten zu bewegen hat.

Nicht-hierarchische Koordination von Gruppen

- Zusammengehörigkeits- oder Wir-Gefühl: Dieses Gefühl steigt mit der Häufigkeit der Interaktion. Die Mitglieder nehmen die Gruppe als solche wahr und können klar zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern trennen. Andererseits wird die Gruppe durch ihr Auftreten von anderen Gruppen oder Nichtmitgliedern als Gruppe identifiziert.
- Dauerhaftigkeit: Diesem Merkmal kommt eine Klammerfunktion zu. Denn eine gewisse Dauerhaftigkeit des Gruppenverbunds ist für das Entstehen von Interaktion, Rollendifferenzierung, der Ausbildung gemeinsamer Ziele, Motive und Normen sowie eines Zusammengehörigkeits- und Wir-Gefühls unabdingbar.

2.2. Formen von Gruppen

Ebenso vielfältig und uneinheitlich wie die Definitionen des Gruppenbegriffs ist in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur auch die Kategorisierung von Gruppen in einzelne Ausprägungsformen. Daher sollen im folgenden nur die für die vorliegende Arbeit relevanten Klassifizierungen kurz dargestellt werden. Man unterscheidet:

- Klein- und Großgruppen: Als numerische Grenze werden üblicherweise 15 bis 20 Personen genannt.
- Primär- und Sekundärgruppen: Primärgruppen ermöglichen eine „dauerhafte, persönliche Bindung“[11], Sekundärgruppen sind „vergleichsweise unpersönlich und stärker formal geregelt.“[12] In ähnlicher Weise differenziert Wiswede[13] zwischen instrumentellen (aufgabenorientierten) und sozio-emotionalen Gruppen.
- Formale und informale Gruppen:[14] Formale Gruppen entstehen auf Basis makrostruktureller Regelungen (zum Beispiel eines Organisationsplans), informale Gruppen bilden sich hingegen spontan und aufgrund persönlicher und emotionaler Faktoren (zum Beispiel Sympathie).[15] Für informale Gruppen ist außerdem die Bezeichnung Cliquen gebräuchlich. Im Bereich der Betriebspsychologie unterteilt Dalton[16] je nach hierarchischer Stellung der Gruppenmitglieder im Unternehmen die informalen Gruppen in horizontale Cliquen, die von Personen unterschiedlicher Arbeitsbereiche und Abteilungen aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (zum Beispiel gemeinsame Ausbildung) gebildet werden, vertikale Cliquen, die innerhalb einer Abteilung von unterschiedlichen Hierarchieebenen angehörenden Personen gebildet werden, und gemischte oder zufällige Cliquen („random cliques“), denen Personen unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchieebenen angehören.
- Eigen- und Fremdgruppen:[17] Eine Eigengruppe ist eine Gruppe, deren Mitglied ein Individuum ist. Fremdgruppen sind die Gruppen, denen eine Person nicht angehört, die sie aber als Gruppen wahrnimmt. Besteht zu Eigen- oder Fremdgruppen eine starke emotionale und/oder kognitive Bindung, so wird je nach Ausprägung dieser Bindung oft von positiven oder negativen Bezugsgruppen gesprochen.[18]
- Interagierende, koagierende und konteragierende Gruppen: Dieses Dif- ferenzierungsschema wird häufig gewählt, um das Bestehen und die Stärke von Interdependenzen zwischen den Gruppenmitgliedern aufzuzeigen.[19] In der interagierenden Gruppe sind die Mitglieder voneinander sequentiell abhängig, in derkoagierenden Gruppe sind sie weitgehend unabhängig und in der konteragierenden Gruppe ist die Arbeit der Mitglieder darauf ausgerichtet, Probleme durch Kompromisse oder Verhandlungen zu lösen.

In den folgenden Kapiteln werden unter dem Begriff der Gruppe formale Sekundärgruppen verstanden, sofern eine Abweichung von dieser Abmachung nicht explizit bemerkt wird. Ob es sich um Groß- oder Kleingruppen, Eigenoder Fremdgruppen oder interagierende, koagierende oder konteragierende Gruppen handelt, ergibt sich zumeist aus dem Kontext oder wird - wenn es von besonderer Bedeutung ist - erläutert.

Eine Sonderform von Gruppen sind Teams. Obgleich gerade in der Praktikerliteratur zahlreiche Autoren beide Begriffe undifferenziert verwenden, ist eine klare Trennung angebracht. Für Forster[20] verfügen Teams über intensivere wechselseitige Beziehungen, einen ausgeprägteren Gemeinschaftssinn („Teamgeist“) und einen stärkeren Zusammenhalt als Gruppen im Sinne der in Kapitel 2.1. gegebenen Definition.

2.3. Gruppenbildung in Organisationen

Von Rosenstiel[21] geht von zwei Einflußgrößen aus, die die Genese von Gruppen in Organisationen fördern. Zum einen faßt der Plan einer Organisation einzelne Positionen zu Gruppen zusammen. Zwar resultiert aus solchen formalen Festlegungen nicht zwingend eine Gruppenbildung, doch ist sie aufgrund der arbeitsteilig zu bewältigenden Aufgaben, der ähnlichen organisatorischen Umwelt, der ähnlichen Sachziele und -interessen wahrscheinlich. Zum anderen ist ein Ähnlichkeitsempfinden der Personen in Bezug auf Ausbildung, soziale Herkunft, Interessen und Verhalten dafür verantwortlich, daß die Kontaktaufnahme und Interaktion ansteigt und somit nach von Rosenstiel implizit die zwischenmenschliche Sympathie und letztlich die Genese von Gruppen im sozialwissenschaftlichen Sinne forciert wird.

Weinert[22] weist darauf hin, daß gerade die Gesamtorganisation beziehungsweise die Organisationsleitung bewußt oder unbewußt die Bildung von Gruppen fördern oder verhindern kann. Dies erfolgt zum Beispiel durch die Strukturierung und die Anordnung von Arbeitsplätzen, die Integration oder Isolation bestimmter Aufgaben- und Arbeitsbereiche, das Fördern oder Behindern von Kommunikationsbeziehungen sowie die längerfristige Beibehaltung oder ständige Veränderung von Gruppenstrukturen und - mitgliedschaften.

2.4. Die Gruppe als Erkenntnisobjekt empirischer Sozialforschung

Die wissenschaftliche Erforschung des Verhaltens von und in betriebswirtschaftlich relevanten Gruppen hat erst relativ spät begonnen. Franke[23] faßt zusammen:

„Obgleich die Menschen schon immer in Gruppen gelebt und gearbeitet haben, blieben damit zusammenhängende Sachverhalte im Betrieb lange Zeit wissenschaftlich unbeachtet. Es war wohl zu selbstverständlich, daß mehrere kurz- oder langfristig auf ein gemeinsames Zielsegment gerichtete Menschen ihre wechselseitigen Informationen und Handlungen koordinierten, um damit etwas zu erreichen, was dem einzelnen allein (...) nicht möglich gewesen wäre.“

Inzwischen hat sich in den Sozialwissenschaften weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich Gruppenprozesse oft wesentlich von dem Verhalten von und zwischen Individuen unterscheiden und deswegen eines intensiveren Forschungsinteresses bedürfen. Besonders in den 60er- und 70er Jahren, in denen die Gruppe aufgrund soziokultureller Veränderungen und Trends (zum

Beispiel der Forderung nach der Enthierarchisierung von Organisationsstrukturen) zunehmend in den Blickpunkt rückte, nahm die Zahl diesbezüglicher Veröffentlichungen sprunghaft zu. Die Masse der ge- sammelten Daten und Ergebnisse sowie die Unterschiedlichkeit der For- schungsmethoden lassen schon seit längerer Zeit keine vollständige und exakte Kategorisierung der Gruppenforschung mehr zu.[24] Somit wird in vorliegender Arbeit auch nur ein kurzer Überblick über die grundlegenden und für das weitere Vorgehen relevanten Ergebnisse der empirischen Gruppenforschung gegeben.

2.4.1. Die „Hawthorne-Studie“

Die von Mayo, Roethlisberger und Dickson[25] durchgeführte und dokumentierte „Hawthorne-Studie“ gilt als Grundstein moderner arbeits- und betriebspsycho- logischer Gruppenforschung. Die Studie sollte ursprünglich die Auswirkungen unterschiedlicher physischer Rahmenbedingungen auf die Arbeit einer Montagegruppe im Zweigwerk Hawthorne des US-amerikanischen Unternehmens Western Electric untersuchen. Hierzu wurde gemessen, wie sich der Output bei geänderten Lichtverhältnissen in der Fabrik verändert. Das Ergebnis war überraschend: Beleuchtungsart und -stärke hatten keinen Einfluß auf die Arbeitsleistung. Dafür wurde festgestellt, daß der Output sowohl bei der Experimentalgruppe als auch bei der unter konstanten Bedingungen arbeitenden Kontrollgruppe im Beobachtungszeitraum signifikant anstieg. Selbst als die Lichtintensität gegen Ende des Versuchs in der Experimental- gruppe auf ein minimales Niveau gesenkt wurde, blieb die Leistung ver- gleichsweise hoch. Mayo, Roethlisberger und Dickson schlossen daraus, daß entweder das formale und informale Netzwerk persönlicher Beziehungen, das sich in den künstlich gebildeten Kleingruppen entwickelt hatte, oder die „Ehre“, für das Experiment ausgewählt worden zu sein, die Arbeiter zu höherer Produktivität motiviert hatte.

Auch wenn viele der ursprünglichen Befunde der „Hawthorne-Studien“ mittlerweile modifiziert und sogar teilweise revidiert worden sind, ist ihr Verdienst um die moderne organisationale Gruppenforschung unbestritten. So formulieren Feldman und Arnold[26]:

„However, the Hawthorne Studies did have a tremendous impact on industrial and organizational psychology and inspired substantial further research on the impact groups have on productivity.“

Die in den „Hawthorne-Studien“ gewonnenen Erkenntnisse könnten den Schluß nahelegen, daß eine reduktionistische Sichtweise, die davon ausgeht, daß Gruppen nur die Leistung erbringen, die der Summe der Einzelleistungen ihrer Mitglieder entspricht, obsolet ist. Inzwischen haben allerdings eine Fülle von Untersuchungen gezeigt, daß von einem generellen Leistungsvorteil der Gruppe nicht gesprochen werden kann. Statt dessen scheint eine situative Sichtweise angebracht.[27] So bemerken zahlreiche Autoren[28], daß Gruppen als Problemlöser je nach Art des Problems, der Gruppenzusammensetzung und der Umweltparameter entweder so viel wie ihr schwächstes Mitglied, so viel wie ihr bestes Mitglied oder mehr als ihr bestes Mitglied leisten.

2.4.2. Leistungsvorteile von Gruppen

Stellvertretend für eine Reihe sehr ähnlicher und sich oftmals sogar überlappender Darstellungen seien im folgenden beispielhaft nur zwei Konzepte genannt und kurz beschrieben, die die Leistungsvorteile von Gruppen aufzeigen und kategorisieren.

2.4.2.1. Typen des Leistungsvorteils nach Hofstätter

Große Aufmerksamkeit hat die Unterscheidung Hofstätters[29] gefunden, der drei Typen des Leistungsvorteils von Gruppen nennt:

- Typus des Hebens und Tragens: Mehrere Personen leisten in der Summe mehr als ein Individuum alleine. Nicht berücksichtigt ist die empirisch bestätigte Tatsache, daß bei wachsender Gruppengröße die Gesamtleistung nicht linear ansteigt, sondern der Beitrag des Individuums zur Gruppenleistung sinkt, da unter anderem die Koordination der Einzelleistungen schwieriger wird, die individuelle Motivation sinkt und Beitrag und Verantwortung des einzelnen zur Gesamtleistung schwerer zu evaluieren sind.[30]
- Typus des Suchens und Beurteilens: Es wird behauptet, daß Gruppen zum einen komplexe Aufgaben in der Regel besser lösen als Individuen und daß sie zum anderen bei Beurteilungen und Einschätzungen ein besseres Ergebnis erzielen als Individuen. Voraussetzung für die zweite Vermutung ist allerdings, daß die Gruppenmitglieder ihre Urteile und Einschätzungen isoliert voneinander treffen und diese erst anschließend zusammengefaßt und gemittelt werden, so daß das Prinzip des statistischen Fehlerausgleichs gilt.[31]
- Typus des Bestimmens: Individuen haben in für sie bedeutsamen und ungewissen Situationen das Bedürfnis, sich ein klares Bild von der Realität zu verschaffen. Gelingt dies dem einzelnen nicht, so werden sich in der gleichen Situation befindliche Individuen zu Gruppen zusammenschließen, um Normen zu bestimmen, Vergleichsmaßstäbe zu entwickeln und Problemlösungen zu erarbeiten.

2.4.2.2. Die Kategorisierung nach Franke

Aufbauend auf den allgemeinen und keineswegs nur für den Bereich der Betriebspsychologie gültigen Erkenntnissen Hofstätters sowie weiterer empirischer Arbeiten ermittelt Franke[32] insgesamt sechs „im betrieblichen Sinne fördernswerte Gruppeneffekte.“ Er unterteilt diese in integrierende und differenzierende Effekte. Als integrierende Effekte sind zu nennen:

- Kräftezentrierungseffekt: Er wird durch die Sammlung gleichgerichteter Kräfte erreicht und entspricht damit Hofstätters Typus des Hebens und Tragens.
- Festlegungseffekt: Durch die Festlegung von Gruppenzielen, Symbolwerten und Konventionen wird eine Stabilisierung und Normierung erreicht. Dieser Effekt lehnt sich an Hofstätters Typus des Bestimmens an.
- Anpassungseffekt: Die Gruppenmitglieder passen ihre Verhaltensweisen aneinander an und kontrollieren und regulieren das Gruppenverhalten durch wechselseitiges Einwirken im Falle widersprüchlichen und kooperationsfeindlichen Verhaltens einzelner.

-ls differenzierende Effekte nennt Franke:

- Ergänzungseffekt: Durch die Zusammenfassung verschiedener individueller Leistungsschwerpunkte erfährt die Gruppe einen klaren Leistungsvorteil.
- Anregungseffekt: Das Zusammentragen und Verbinden individueller Beiträge wirkt motivierend auf Gruppe und Individuum und beschleunigt Denk- und Handlungsweisen.
- Anerkennungseffekt: Die Anerkennung durch andere Gruppenmitglieder und informelle Beziehungen steigern den Gruppenzusammenhalt und die individuelle Motivation.

2.4.3. Dysfunktionale Gruppenprozesse

Wie bereits einleitend angemerkt wurde, kann nicht generell von einem Leistungsvorteil von Gruppen gesprochen werden. Statt dessen scheinen bestimmte Rahmenbedingungen und situationsabhängige Variablen dafür verantwortlich zu sein, ob eine Gruppe erfolgreich arbeitet oder im schlimmsten Fall sogar dysfunktionale Ergebnisse erzielt. Drei der wichtigsten Phänomene, die für eine erhebliche Einschränkung der Gruppenleistung verantwortlich gemacht werden, seien kurz dargestellt.

2.4.3.1. Groupthink

Das Begriff des Groupthink wird in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur von Janis[33] begründet. Er kommt bei einer Nachanlayse von vornehmlich außenpolitischen Entscheidungen von US-Regierungsbehörden zu dem Ergebnis, daß gerade Gruppen, die hochkohäsiv sind und einem starken Konformitätsdruck unterliegen, in der Regel qualitativ schlechte Entscheidungen treffen. Nach Janis sind solche Gruppen vom Phänomen des Groupthink betroffen, in denen „das Bemühen der Gruppenmitglieder um Einmütigkeit, ihre Motivation, alternative Wege realistisch zu bewerten, übertönt.“ [34] Als Merkmale des Groupthink nennt Janis:

- Illusion der Unverletzlichkeit der Gruppe, die mit einer Selbstüberschätzung einhergeht,
- Kollektive Rationalisierung, die sich darin äußert, daß mit viel Aufwand Scheinbegründungen gesucht werden, um offensichtliche Schwächen der eigenen Vorgehensweise zu rechtfertigen und zu kaschieren;
- Glaube an die uneingeschränkte Moralität der Gruppe;
- Stereotypisierung von Fremdgruppen, insbesondere von Konkurrenten;
- Druckausübung gegen Mitglieder, die grundlegende Ansichten der Gruppe in Frage stellen;
- Selbstzensur, durch die Mitglieder dazu gezwungen werden, etwaige Zweifel an Gruppenentscheidungen nicht außerhalb des Gruppenverbands zu äußern;
- Illusion der Einmütigkeit von Gruppenentscheidungen.

Während wissenschaftliche Arbeiten, die Janis‘ Behauptungen direkt überprüfen, sehr selten sind, haben zahlreiche Autoren das Modell des Groupthink erweitert und seine Bedeutung für betriebliche Gruppenprozesse analysiert.[35] Dies unterstreicht die Akzeptanz, die die Befunde Janis‘ auch in der Betriebswirtschaftslehre gefunden haben.

2.4.3.2. Risikoschübe (Risky Shift)

Während lange Zeit in den Verhaltenswissenschaften fast durchgängig die Ansicht vertreten wurde, daß sich Gruppen grundsätzlich gemäß dem Prinzip des statistischen Fehlerausgleichs auf ein durchschnittliches Niveau einstellen, wurde seit Anfang der 60er Jahre[36] in mehreren Untersuchungen festgestellt, daß Gruppen bei speziellen Entscheidungs- und Problemlösesituationen extremer reagieren, als ein Individuum für sich entscheiden würde oder als es das arithmetische Gruppenmittel erwarten ließe.[37] Jedoch mußte der ursprünglich häufig vertretene Standpunkt, daß Gruppen prinzipiell risikofreudiger entscheiden als Individuen, mittlerweile revidiert werden. Statt dessen scheint die Ausprägung des Extremitätsschubs risikosituationsabhängig zu sein. Auch ein sehr vorsichtiges Entscheiden von Gruppen ist inzwischen häufig festgestellt worden.[38]

Als einen „fruchtbaren“ Erklärungsansatz für eine übermäßige Risikobereitschaft von Gruppen führt Gebert[39] an, daß Risikobereitschaft an sich einen sozialen Wert darstellt und der einzelne sich somit im Zweifelsfall eher risikofreudig als risikoavers präsentiert, um die Akzeptanz durch die Gruppe nicht zu gefährden. In diesem Fall ist ein Risikoschub auf einen Uniformitätsdruck als Folge hoher Kohäsion zurückzuführen.

2.4.3.3. Abschieben der Verantwortung (Diffusion of Responsibility)

Eine weitere - oft in Verbindung mit den Phänomenen des Groupthink und des Risky Shift genannte - dysfunktionale Eigenschaft von Gruppen ist das Abschieben von Verantwortung, die mit zunehmender Größe der Gruppe steigt. Ein solches Verhalten ist dadurch gekennzeichnet, daß bei Aufgaben, für die die Gruppe als Ganzes verantwortlich ist, niemand die Verantwortung übernimmt und als Folge Verantwortungsmeidung und Exkulpationsbemühungen auftreten.[40]

3. Interdependenzen von Gruppen in Organisationen

Ähnlich wie der Gruppenbegriff lassen sich auch Interdependenzen nur schwer einheitlich definieren. Im wirtschaftswissenschaftlichen Sinne werden zumeist gegenseitige Abhängigkeiten von ökonomischen Größen oder Einheiten als Interdependenzen aufgefaßt. Diese Abgrenzung erscheint zweckmäßig und soll auch vorliegender Arbeit zugrunde gelegt werden. Unproblematisch ist sie aber nicht, da sie in der wissenschaftlichen Literatur nicht durchgängig gebraucht wird. So weist etwa Cordes[41] darauf hin, daß sich mitunter auch die Begriffe „einseitige Interdependenz“ und „stochastische Interdependenz“ [42] finden.

3.1. Gründe für das Entstehen von Interdependenzen

Die Komplexität und die Dynamik externer und interner Situationsbedingungen machen in Organisationen ab einer bestimmten Größe eine vertikale und horizontale Differenzierung notwendig. Der Gesamtaufgabenkomplex wird in homogene, überschaubare und arbeitsteilig zu erfüllende Teilaufgaben untergliedert, die dann einzelnen, in der Regel entweder nach funktionalen und/oder objektorientierten (divisionalen) Gesichtspunkten[43] zusammengefaßten organisatorischen Teileinheiten übertragen werden. Diese Bereiche werden eigene Zielvorstellungen entwickeln, die sich in der Regel am Zielsystem der Gesamtorganisation orientieren. Eine solche Differenzierung erscheint sinnvoll, denn zum einen kann die Organisation auf dieses Weise Spezialisierungsvorteile fördern und nutzen, und zum anderen resultiert hieraus eine Erhöhung der Anpassungsfähigkeit des Gesamtsystems an geänderte organisationsinterne- und externe Gegebenheiten.

Mit wachsender Größe der Organisation und zunehmender Zahl spezialisierter Teileinheiten wird der von Hax[44] theoretisch diskutierte Fall, in dem sich der Organisationserfolg als Summe der Erfolge der einzelnen Einheiten ergibt und die Einheiten bei der Leistungserstellung und -verwertung vollkommen unabhängig voneinander agieren, unrealistisch. Es entstehen Interdependenzen, da die Teilbereiche

- auf die gleichen Ressourcen, die in der Gesamtorganisation in einem Pool zusammengefaßt sind, zugreifen (zum Beispiel auf Kapital oder Arbeitskräfte),
- untereinander über den Austausch von Gütern und/oder Dienstleistungen ein- oder wechselseitig miteinander verbunden sind,
- sich über ihre Interaktion mit der organisationalen Umwelt gegenseitig beeinflussen (zum Beispiel durch gleiche Absatz- und Beschaffungsmärkte),
- konkurrierende oder sogar entgegengesetzte Ziele verfolgen.

3.2. Formen von Interdependenzen

Der gängigste Ansatz zur Klassifikation von Interdependenzen stammt von Thompson[45], der nach Ursache und Intensität drei Grundtypen unterscheidet (vgl. Abb. 1):

- Gebündelte Interdependenzen (pooled interdependence): Sie liegen vor, wenn verschiedene organisatorische Teileinheiten auf einen Pool gemeinsamer und begrenzter Ressourcen zugreifen.
- Sequentielle Interdependenzen (sequential interdependence): Sie resultieren aus Beziehungen von Teileinheiten, die dadurch gekennzeichnet sind, daß der Output einer Einheit zum Input der jeweils nächsten Einheit wird. Die Kopplungen zwischen den Bereichen sind direkt und asymmetrisch. Häufig sind solche Interdependenzen für Produktionsbereiche charakteristisch, die ganz oder teilweise nach dem Fließbandprinzip strukturiert sind.
- Reziproke Interdependenzen (reciprocal interdependence): Sie treten auf, wenn zwischen Teileinheiten wechselseitige Input-Output-Beziehungen bestehen. Ein Beispiel hierfür ist der gegenseitige Austausch von Gütern und/oder Dienstleistungen zwischen Unternehmensbereichen, wie dies zum Beispiel in Profit-Center-Organisationen der Fall ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Formen von Interdependenzen: Klassifikationsschema nach Thompson.

Thompson ist der Ansicht, daß die drei von ihm identifizierten Interdependenztypen in der genannten Reihenfolge aufeinander aufbauen und damit eine Guttman-Skala[46] bilden. Gebündelte Interdependenzen kommen in jeder in Teilbereiche untergliederten Organisation vor; sequentielle Abhängigkeitsbeziehungen setzen gebündelte Interdependenzen voraus und treten nur in komplexeren Organisationen auf. Reziproke Interdependenzen sind nach Auffassung Thompsons die höchste Gütestufe, da sie sequentielle und gebündelte Abhängigkeiten implizieren und nur in sehr komplexen Systemen denkbar sind.

Wenngleich Thompsons Ansatz sehr gebräuchlich ist und in vielen Veröffent- lichungen zitiert und dargestellt wird, kann er nach Auffassung zahlreicher Autoren nur als grobes Orientierungsraster dienen. So stellt etwa Laßmann[47] fest:

„Eine abschließende Bewertung der Gedanken von Thompson fällt schwer. Zentrale Begriffe werden z.T. gar nicht explizit (...) oder nur vage (...) definiert. Die Ausführungen bewegen sich auf einem sehr hohen Abstraktionsniveau und belassen insofern breite Interpretationsmöglichkeiten.“

Und McCann/Galbraith[48], die unter anderem die Guttman-Skalierung der drei Interdependenztypen in Frage stellen, bemerken:

„Like any good theory, Thompson’s paradigm raises as many questions as it answers.“

Den Ansatz Thompsons ist Ausgangspunkt einer Reihe weiterer, teilweise sehr ähnlicher Kategorisierungsversuche.[49] Eine interessante Erweiterung der auf die Interaktion zwischen zwei Teileinheiten beschränkten Systematisierung nehmen Van de Ven et al.[50] vor. Aufbauend auf dem Konzept kommunikativer Vollstrukturen[51], die durch eine vollständige gegenseitige Kommunikation aller Mitglieder einer Gruppe gekennzeichnet sind, sprechen sie von Team- Interdependenzen, wenn zwischen allen Gruppenelementen Input-Output- Beziehungen bestehen (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Team-Interdependenzen nach Van de Ven et. al.

(Quelle: Van de Ven/Delbecq/Koenig, Coordination Modes, 1976, S. 335)

Während sich Thompson und Van de Ven et al. ausschließlich auf die Beziehung hierarchisch gleich gestellter Teilbereiche konzentrieren, unterscheidet Frese[52] vertikale Interdependenzen, die zwischen im Organisationsplan hierarchisch unterschiedlich gestellten Einheiten auftreten, und horizontale Interdependenzen, wenn die Aktivitäten einer Einheit das Entscheidungsfeld einer hierarchisch gleich gestellten anderen Einheit beeinflussen.

Eine Differenzierung nach dem Objekt der Interdependenzen trifft Brummund[53]. Er identifiziert folgende Grundtypen:

- Entscheidungsinterdependenzen, die sich ergeben, wenn Entscheidungen einer Einheit Veränderungen im Entscheidungsfeld einer anderen Einheit bewirken, die diese neben den Daten der äußeren Umwelt als weitere nicht kalkulierbare Einflußgröße in ihr Entscheidungskalkül aufnehmen müssen.
- Handlungsinterdependenzen, die Handlungen der Zusammenarbeit verschiedener Teileinheiten, die Entscheidungen nachgelagert sind, betreffen.

[...]


[1] Aus der Fülle der Veröffentlichungen seien beispielhaft folgende Arbeiten genannt: Benkenstein, Koordinationskonzeptionen, 1987; Brockhoff, Abstimmungsprobleme, 1989 und Reintjes, Strategische Koordination, 1995.

[2] Vgl. Schäffer, Selbstabstimmung, 1996, S. 1099. 8

[3] Lück, Gruppen, 1988, S. 264.

[4] von Rosenstiel, Organisations-Psychologie, 1986, S. 41. 9

[5] Schütz, Gruppenforschung, 1993, S. 30.

[6] von Rosenstiel, Organisations-Psychologie, 1986, S. 42.

[7] Anger/Nachreiner, Gruppenverhalten, 1974, Sp. 1730.

[8] Der Begriff der Normen wird in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur zwar ähnlich, aber nicht identisch definiert. Einen Überblick über ausgewählte Definitionen liefern etwa Goodman/Ravlin/ Schminke, Research, 1987, S. 151 ff.

[9] Ebd.

[10] Vgl. Porter/Lawler/Hackman, Behavior, 1975, S. 391 ff. 10

[11] Schütz, Gruppenforschung, 1993, S. 15.

[12] Ebd.

[13] Vgl. Wiswede, Gruppen, 1992, Sp. 738.

[14] Synonym wird in der Fachliteratur häufig das Begriffspaar formelle und informelle Gruppen gebraucht.

[15] Vgl. Schanz, Organisationsgestaltung, 1994, S. 249 f.

[16] Vgl. Dalton, Administration, 1959.

[17] Vor allem in der psychologisch und sozialpsychologischen Literatur wird zur Beschreibung des gleichen Sachverhalts das Begriffspaar Ingroup und Outgroup verwendet.

[18] Vgl. Wiswede, Gruppen, 1992, Sp. 738.

[19] Vgl. etwa Weinert, Organisationspsychologie, 1987, S. 320.

[20] Vgl. Forster, Teamarbeit, 1981, S. 143 f.

[21] Vgl. von Rosenstiel, Gruppen, 1980, Sp. 794 f.

[22] Vgl. Weinert, Organisationspsychologie, 1987, S. 321. 13

[23] Franke, Sozialpsychologie, 1980, S. 123.

[24] Zu diesem Schluß kommt etwa Schönenberger, Gruppenforschung, 1979, S. 113 ff. 14

[25] Vgl. etwa Mayo, Human Problems, 1993.

[26] Feldman/Arnold, Group Behavior, 1983, S. 485. 15

[27] Die gleiche Sichtweise haben auch die situativen Ansätze in der Führungstheorie. Vgl. etwa Staehle, Führungstheorien, 1992, Sp. 659 f.

[28] Vgl. etwa von Rosenstiel, Gruppen, 1980, Sp. 801 f.

[29] Vgl. Hofstätter, Gruppendynamik, 1971, S. 29 ff. Eine knappe Zusammenfassung der drei Typen liefert etwa Schlingmann, Problemlöse-Prozesse, 1985, S. 42 f.

[30] Vgl. etwa Steiner, Relationships, 1966, S. 273 ff. 16

[31] Auf dieser Erkenntnis basiert beispielsweise das Brainstorming als gruppendynamische Kreativitätstechnik oder die Beurteilung von nicht unmittelbar meßbaren Leistungen in verschiedenen Sportarten (z.B. Eiskunstlaufen oder Turnen).

[32] Vgl. Franke, Sozialpsychologie, 1980, S. 126 ff.

[33] Vgl. Janis, Groupthink, 1972.

[34] Vgl. Janis, Groupthink, 1972, S. 9.

[35] Eine Übersicht über solche Arbeiten aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre liefern beispielsweise Moorhead/Neck, Groupthink, 1987, Sp. 1132 ff.

[36] Als erste Untersuchung, die Risikoschübe bei Gruppenentscheidungen beschreibt, wird 19 durchgängig folgende Arbeit bezeichnet: J. A. F. Stoner: A comparison of individual and group decisions involving risk. Unpublished Master’s Thesis. School of Industrial Management at the Massachusetts Institute of Technology. Chicago, 1961. Vgl. etwa Witte, Gruppenentscheidungen, 1981, S. 169, oder Feldman/Arnold, Group Behavior, 1983, S. 498.

[37] Vgl. etwa Witte, Gruppenentscheidungen, 1981, S. 169 ff.

[38] Vgl. Feldman/Arnold, Group Behavior, 1983, S. 499.

[39] Vgl. Gebert, Gruppengröße, 1987, Sp. 1141.

[40] Vgl. Bronner, Verantwortung, 1992, Sp. 2513. 20

[41] Vgl. Cordes, Interdependenzen, 1976, S. 16.

[42] Cordes weist zu Recht darauf hin, daß es sich bei diesen beiden Begriffen um eine „contradictio in adjecto“ handelt.

[43] Durch die Überlagerung von funktionalen und divisionalen Organisationsstrukturen entsteht die Matrix-Organisation. Vgl. etwa Wöhe, Betriebswirtschaftslehre, 1990, S. 192 f. 21

[44] Vgl. Hax, Entscheidungen, 1965, S. 104 ff.

[45] Vgl. Thompson, Organizations, 1967, S. 54 ff. 22

[46] Vgl. Thompson, Organizations, 1967, S. 59.

[47] Laßmann, Koordination, 1992, S. 14.

[48] McCann/Galbraith, Interdependence, 1981, S. 64.

[49] Nur in Nuancen weicht beispielsweise der Systematisierungsansatz von Emery ab. Vgl. Emery, Organizational Planning, 1969, S. 22 ff.

[50] Vgl. Van de Ven/Delbecq/Koenig, Coordination Modes, 1976, S. 325.

[51] Vgl. etwa Wahren, Kommunikation, 1994, S. 136 f.

[52] Vgl. Frese, Organisation, 1972, S. 404 ff.

[53] Vgl. Brummund, Zusammenarbeit, 1983, S. 22 f. 25

Excerpt out of 101 pages

Details

Title
Nicht-hierarchische Koordination von Gruppen unter Berücksichtigug der Interdependenzproblematik
College
Johannes Gutenberg University Mainz
Grade
1.5
Author
Year
1998
Pages
101
Catalog Number
V185170
ISBN (eBook)
9783656995715
ISBN (Book)
9783867460750
File size
877 KB
Language
German
Keywords
nicht-hierarchische, koordination, gruppen, berücksichtigug, interdependenzproblematik
Quote paper
Ralf Bürkle (Author), 1998, Nicht-hierarchische Koordination von Gruppen unter Berücksichtigug der Interdependenzproblematik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185170

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