Klima und Gesellschaft im Wandel

Zur Vulnerabilität der Sahelzone am Beispiel des Senegal


Diplomarbeit, 2011

199 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Konzeptionelle Überlegungen

Kapitel I: Sahelzone, sozialer Wandel und Klimawandel
1. Die Sahelzone
1.1 Geographische Einordnung
1.2 Geologie und Böden
1.3 Vegetation
1.4 Klimatische Bedingungen und Wasserhaushalt
1.5 Bevölkerung
1.6 Politik und Ökonomie
2. Der Senegal als typisches Sahelland
2.1 Bevölkerung des Senegal
2.2 Ökologie des Senegal
3. Sozialer Wandel
3.1 Theorien des sozialen Wandels
3.2 Sozialer Wandel in Afrika - die Suche nach einer Theorie
4. Der Klimawandel
4.1 Grundlagen des Klimawandels
4.2 Ursachen des Klimawandels
4.3 Auswirkungen des Klimawandels
4.3.1 Bisherige Auswirkungen
4.3.2 Zukünftige Auswirkungen
4.4 Das Konzept der Vulnerabilität

Kapitel II: Methodik
1. Beschreibung der Vorgehensweise
2. Grundlegende Begriffe
2.1 Der Systembegriff
2.2 Der Modellbegriff
3. Entwicklung von Modellen des sozialen Wandels nach Smelser
4. Das Simulationstool ithink

Kapitel III: Die Dürre im Sahel der 1970er Jahre und ihre Folgen
1. Begriffsbestimmung und Abgrenzung von Dürre
2. Die „normalen“ Jahre vor der Dürre
3. Die Situation im Sahel in den 1970er und 1980er Jahren
3.1 Ursachen und Verlauf der Dürre
3.2 Folgen der Dürre für die Landwirtschaft
3.3 Sozioökonomische Folgen
3.3.1 Demografie
3.3.1.1 Populationsgröße
3.3.1.2 Geburtenrate
3.3.1.3 Kindersterblichkeit
3.3.1.4 Altersstruktur
3.3.1.5 Lebenserwartung
3.3.1.6 Urbanisation
3.3.1.7 Haushaltsstruktur
3.3.2 Ökonomie
3.3.2.1 Bruttoinlandsprodukt
3.3.2.2 Cash Crops und landwirtschaftliche Produktion
3.3.2.3 Staatsverschuldung
3.3.2.4 Wirtschaftssektoren
3.3.2.5 Informeller Sektor
3.3.3 Gesundheit
3.3.3.1 Emährungssicherung undEnergieversorgung
3.3.3.2 Erkrankungen und medizinische Versorgung
3.3.4 Migration
3.3.4.1 Binnenmigration
3.3.4.2 Internationale Migration innerhalb Afrikas
3.3.5 Konflikte
3.3.5.1 Ressourcenkonflikte um Wasser, Land und Wald
3.3.5.2 Ethnische Konflikte
3.3.5.3 Der Tuareg Konflikt in den 1990er Jahren
3.3.6 Der Klimawandel ist nicht geschlechtsneutral
4. Faktoren-Matrix: Verknüpfung der Ursachen und Folgen der Dürre
5. Zukünftige Klimaentwicklung im Sahel

Kapitel IV: Das Tragfähigkeitsmodell: Eine Simulation der Klimafolgen im Sahel
1. Zweck des Modells
2. Modellansatz
3. Aufbau und Beziehungen der Teilmodelle
3.1 TeilmodellBevölkerung
3.2 Teilmodell Niederschlag
3.3 Teilmodell Flächenressource
3.4 Teilmodell Holzenergie
3.5 Teilmodell Getreide
3.6 Teilmodell Viehbestand
4. Verbindung der Teilmodelle zum Tragfähigkeitsmodell
5. Das Interface
6. Ergebnisfindung und -beschreibung
6.1 Modellgültigkeit
6.2 Simulationsverlauf und Ergebnisse
6.2.1 Allgemeines Modell
6.2.2 Beispielsimulation für die Region Matam

Kapitel V: Das Wandlungsmodell: Entwicklung eines Modells des sozialen Wandels für den Sahel
1. Abgrenzung der unabhängigen Variablen
2. Bestimmung der Wandlungsdeterminanten
3. Beschreibung des Wandels und Abgrenzung der abhängigenVariablen
4. Verknüpfung der unabhängigen und der abhängigenVariablen
5. Hypothesenbildung
6. Wie sich der Klimawandel auf die Gesellschaft der Sahelzone auswirkt...
7. Vulnerabilität der Sahelbevölkerung

Kapitel VI: Lösungsansätze: Strategien zur Anpassung an den Klimawandel im Sahel
1. Climate Proofing
2. Kontursteinmauern
3. Die Grüne Mauer
4. Nachhaltige Waldwirtschaft und verbesserte Herde

Schlussbetrachtung

1. Zusammenfassung und Ergebnisse

2. Grenzen und Probleme

3. Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Mitgliedsstaaten der CLISS

Abbildung 2: Klimatologische Zonen des Sahel

Abbildung 3 Abweichung der Sahelzonen-Niederschlagsmenge vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts, zwischen 1900 und heute

Abbildung 4: Lage des Senegal

Abbildung 5: Bevölkerungsdaten des Sahel und des Senegal

Abbildung 6: Karte gemäß der Köppen-Geiger Klima Klassifikation

Abbildung 7: C02-Einfluss auf den Strahlungsantrieb

Abbildung 8: Stock

Abbildung 9: Flow

Abbildung 10: Converter

Abbildung 11: Bevölkerungsmodell

Abbildung 12: Dürre und Desertifikation

Abbildung 13: Entwicklung des Tierbestands und der Bevölkerung im Senegal 1950-1970

Abbildung 14: Abweichung der Sahelzonen-Niederschlagsmenge vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts, zwischen 1900 und heute

Abbildung 15: Entwicklung des Rinder-, Schaf- und Ziegenbestands im Senegal 1968-1974

Abbildung 16: Entwicklung des Tierbestands und der Bevölkerung im Senegal 1968-1974

Abbildung 17: Entwicklung der Pflanzenproduktion im Senegal 1968-1974

Abbildung 18: Geerntete landwirtschaftliche Fläche des Senegal nach Getreideart 1968-1974

Abbildung 19: Bevölkerungspyramide Senegal 1976

Abbildung 20: Altersaufbau Deutschland 1980

Abbildung 21: Entwicklung des BIP im Senegal 1968-1976

Abbildung 22: Erdnussproduktion im Senegal 1965-1976

Abbildung 23: Baumwollproduktion und Weltmarktpreise Senegal 1968-1976..

Abbildung 24 Meningitis-Gürtel

Abbildung 25 Kindersterblichkeit in Bandafassi, Senegal

Abbildung 26: Migrationsstrom in Mali 1986

Abbildung 27: Wanderungsbilanz westafrikanischer Staaten zwischen 1960 und 1990

Abbildung 28: Faktoren-Matrix

Abbildung 29: Senegal 2050 Temperatur

Abbildung 30: Senegal 2080 Temperatur

Abbildung 31: Senegal2050Niederschlag

Abbildung 32: Senegal2080Niederschlag

Abbildung 33 Isohyetenverschiebung bis 2080

Abbildung 34: Tragfähigkeitsmodell Sahel

Abbildung 35: Interface des Tragfähigkeitsmodells

Abbildung 36: Weideengpass in Abhängigkeit der Isohyete

Abbildung 37: Nahrungsdefizit in Abhängigkeit der Isohyete

Abbildung 38: Einkommensengpässe in Abhängigkeit der Isohyete

Abbildung 39: Region Matam, Senegal

Abbildung 40: Einkommensverteilung Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 41: Verteilung Nahrungsdefizit

Abbildung 42: Verteilung Energieengpass

Konzeptionelle Überlegungen

Seit einigen Jahren ist in den Medien regelmäßig die Rede von Naturkatastrophen, die durch den Klimawandel verursacht werden und in immer regelmäßigeren Ab­ständen auftreten. Es wird über Dürren, Überschwemmungen, Tsunamis und Hur­rikans berichtet (vgl. bspw. Süddeutsche Zeitung 2010; Frankfurter Rundschau 2010). Doch nicht nur in den Medien sondern auch in vielen wissenschaftlichen Disziplinen wird über die Ursachen und Folgen diskutiert und geforscht. Trotz dieser hohen Präsenz ist dieses Thema nicht neu: Bereits in den 1970er und 1980er Jahren richtete sich der Fokus des öffentlichen Interesses zeitweise auf Regionen, die mit verheerenden Dürren und Hungersnöten zu kämpfen hatten. So stellte der Journalist Herbert Kaufmann bei einem Aufenthalt im Süden Maureta­niens bereits 1973 fest:

„Um das Städtchen Rosso drängen sich die Zelte, weiß und braun, unabsehbar, als seien sie von einer Welle angeschwemmt worden. Wer Rosso erreichte, ist ge­rettet. Wer Nouakchott und Kaedi, Kiffa und Aioun - el Atros erreichte, hat zwar seine Herden verloren, aber das Leben erhalten. Niemals seit Menschengedenken hat es eine solche Katastrophe gegeben“ (FAZ vom 30.07.1973).

Neben Zeitungsberichten machten Spendenaktionen und Benefizkonzerte wie Live Aid (1985) auf die Trockenheit in der Sahelzone aufmerksam. Nachdem je­doch der Regen in dieser Region wieder einsetzte, ließ das öffentliche Interesse schnell nach.

Heute werden Sturmfluten, Wirbelstürme und Dürren eindeutig auf die klimati­schen Veränderungen zurückgeführt und sind überall spürbare Realität geworden. Der globale Klimawandel bewirkt weltweit langfristige Veränderungen wie bei­spielsweise den Anstieg des Meeresspiegels durch eine Temperaturerhöhung oder extreme, immer häufiger auftretende Wetterereignisse. Dies hat zur Folge, dass lebenswichtige Bereiche wie die Wasser- und Nahrungsversorgung, die landwirt­schaftliche Produktion, die Energieversorgung oder auch der Gesundheitssektor bereits gefährdet sind oder zukünftig bedroht sein werden. Die negativen Folgen des Klimawandels sind in verschiedenen Regionen der Welt ganz unterschiedlich zu spüren. Während einige Regionen momentan mit dem Hochwasser kämpfen (z.B. Pakistan, Brasilien, Australien), leiden andere an Wasserknappheit. Klima­forscher warnen davor, dass einige Küstenregion und Inseln in Zukunft permanent überflutet sein werden (z.B. Malediven oder Marshall-Inseln) während in anderen Gebieten Dürren häufiger und intensiver auftreten werden (vgl. u.a. Latif 2006; Rahmstorf; Schellnhuber 2007; Mäder 2008).

"Die Klimaänderung ist nicht nur, wie zu viele Menschen noch glauben, ein Um­weltthema. Sie ist eine allumfassende Bedrohung. Sie ist eine Bedrohung für die Gesundheit [...]. Sie könnte die Welternährung gefährden [...]. Sie könnte die Grundlagen gefährden, von denen fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt.“

Kofi Annan am 15.11.2006 zum Klimagipfel in Nairobi

Für Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der UNO, ist der Klimawandel mehr als eine meteorologische Veränderung. Er ist eine Veränderung - gar eine Gefahr - für weite Teile der Weltbevölkerung.

Der vierte Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) von 2007 betont, dass der Klimawandel menschenverursacht und nicht mehr aufzuhalten ist, selbst bei sofortiger Vermeidung aller CO2-Emissionen (vgl. Solomom et al. 2007a). Der Fokus der internationalen Klimapolitik kann deshalb nicht nur auf der Vermeidung bzw. Verminderung des CO2-Ausstoßes liegen, sondern muss auch auf Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel ab­zielen.

Ob nun Vermeidungs- oder Anpassungsstrategien angewendet werden, ist regio­nal sehr unterschiedlich und von vielen Faktoren abhängig. Regionaler Schwer­punkt dieser Arbeit ist der Sahel. Die Instabilität dieser Zone, südlich der Sahara gelegen, gilt in der Klimadiskussion, als einer der Kipp-Punkte, die nach ihrem Kippen einem unaufhaltsamen und unumkehrbaren Wandlungsprozess, verursacht durch den Klimawandel, unterliegen (vgl. Mäder 2008: 12). Diesem Prozess müs­sen sich auch die Menschen in der Sahelzone beugen - gleichgültig ob sie dafür verantwortlich sind oder nicht.

Trotz der hohen Aktualität dieses Themas und seiner zunehmenden zukünftigen Bedeutung, ist der vom Klimawandel besonders betroffene afrikanische Konti­nent, insbesondere der subsaharische Raum, bisher eine Art blinder Fleck. Dieser blinde Fleck soll ein wenig mehr ins Sichtfeld der Wissenschaft und der Öffent­lichkeit geraten. Ein fachübergreifender Austausch von Klima- und Sozialwissen­schaftlern, wenn es um die Auswirkungen des Klimawandels auf Gesellschaften außerhalb Europas und Nordamerikas geht, findet kaum statt. Ausnahmen bilden hier besonders aufsehenerregende Beispiele wie die Malediven, die im Jahr 2009 eine Kabinettssitzung unter Wasser, begleitet von der internationalen Presse, ab­gehalten haben (vgl. taz 2009; Handelsblatt 2009; RP 2009).

Bislang richtete sich die Forschung hauptsächlich auf die Umweltveränderungen als Folge des Klimawandels. Wenig Aufmerksamkeit wird demgegenüber sozia­len Auswirkungen zuteil, obgleich sie immer deutlicher spürbar werden und sich räumlich sehr unterschiedlich in Wechselwirkung mit kontextspezifischen physi­schen, sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen manifestieren. Klimawandel wird im Zusammenspiel mit gesellschaftlichen Ungleichheiten und Verteilungs- und Machtasymmetrien zu einem ökologischen und vor allem sozia­len Konfliktfeld.

Genau an diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Nicht nur auf den ökolo­gischen, sondern insbesondere auf den sozialen Folgen liegt der Fokus. Ziel dieser Arbeit ist es, die zukünftigen sozialen Auswirkungen des Klimawandels auf die Bevölkerung der Sahelzone aufzuzeigen. Es wird der Frage nachgegangen, welche Folgen der Klimawandel für die Gesellschaft und den Einzelnen in der Sahelzone hat. Ist hier eine hohe oder niedrige Vulnerabilität anzutreffen?

Hierzu wird zunächst das Problem des Klimawandels für Soziologen und andere Geistes- und Sozialwissenschaftler, in einer verständlichen Form aufbereitet. Ziel ist nicht die Vermittlung von höheren chemischen oder physikalischen Kenntnis­sen, sondern die Darstellung von Zusammenhängen des Klimawandels und ihrer meteorologischen Folgen. Diese Kenntnis ist die Grundvoraussetzung, um Aussa­gen über die Folgen des Klimawandels im fachspezifischen Kontext treffen zu können. Zudem ermöglicht eine Kenntnis der klimatischen Vorgänge und Zu­sammenhänge erst eine Einbeziehung eben dieser.

Darüber hinaus wird ein Überblick über die geografischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Sahelzone gegeben. Neben den klimawissenschaftlichen Grund­kenntnissen ist eine detaillierte Beschreibung der zu untersuchenden Region er­forderlich, um die Auswirkungen des Klimawandels in einer Region einschätzen zu können. Erst durch die Verknüpfung von Klimadaten können grundlegende Entscheidungen über Strategien, dem Klimawandel entgegen zu treten, getroffen werden. Wie zu Anfang angedeutet, handelt es sich hierbei um eine Entscheidung zwischen den Alternativen Vermeidung und Anpassung bzw. beidem. Oftmals handelt es sich jedoch weniger um eine Entscheidung, als vielmehr um einen Zwang. Vermieden werden können nur noch zukünftige Eingriffe in das Klima. Für eine spürbare Vermeidung von bspw. Klimagasen ist zudem ein hoher Anteil am Ausstoß dieser Gase Voraussetzung. Bei einem nur geringen Anteil daran, wird eine Senkung des Ausstoßes das Klima kaum beeinflussen. Gerade Ländern ärmerer Regionen bleibt demzufolge keine Wahl. Viele Länder des Sahel sind nur gering entwickelt, was die Reaktionsmöglichkeiten einschränkt (vgl. Krings 2006). Der Senegal ist beispielhaft für die Länder des Sahel gewählt worden, weil die Datenlage besser als bei den anderen Ländern der Sahelzone ist. Neben der Verknüpfung von Klimadaten und den jeweiligen Daten der Länder muss ein fachspezifischer Kontext entwickelt werden. Hierzu wird der, durch den Klima­wandel hervorgerufene, mögliche soziale Wandel betrachtet. Um diesen unter der Prämisse des zukünftigen Klimawandels betrachten zu können, werden Theorien aus verschiedenen theoretischen Strömungen behandelt. Diese Theorien, sofern sie geeignet sind, sollen die Grundlage für ein Modell des sozialen Wandels bil­den. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, das Modell ausschließlich anhand empirischer Daten der Vergangenheit zu konstruieren. Das Modell wird demzu­folge keinen bisherigen, sondern den zukünftigen Wandel und seine Folgen nach­bilden. Hierzu ist es jedoch notwendig, diesen Wandel möglichst genau zu prog­nostizieren.

Bereits vor 40 Jahren gab es in der Sahelzone eine große Dürrekatastrophe, die empirische Daten über den Verlauf einer Dürre und die vorherige Situation be­reitstellt (vgl. Mensching 1986). Zunächst wird der Begriff der Dürre definiert. Anschließend anhand der empirischen Daten die Situation vor der Dürre der 1970er Jahre beschrieben, um Veränderungen, die durch die Dürre hervorgerufen wurden, besser identifizieren zu können. Schließlich geht es um diese Verände­rungen und ihre Folgen. Die Auswirkungen müssen jedoch noch genauer opera- tionalisiert werden. Hierzu findet die Bildung von abhängigen und unabhängigen Variablen statt. Das Klima wird hier als unabhängige Variable betrachtet. Durch die Analyse der Situation des Sahel vor und nach der Dürre, fällt es leichter, die­jenigen Variablen zu isolieren, die unmittelbar oder mittelbar vom Klima bzw. dessen Wandel abhängig sind. Denn nicht jede Veränderung ist auf das Klima zurückzuführen. Es muss also auch noch ein sinnvoller Zusammenhang zwischen der abhängigen Variable und dem Klima vorhanden sein. Die Ermittlung der Va­riablen bildet die Grundlagen für die, in dieser Arbeit angewandten Werkzeuge.

Das wichtigste genutzte Werkzeug der Arbeit heißt ithink. Es handelt sich hierbei um ein Programm zur Entwicklung von Simulationsmodellen. Sein grundlegender Aufbau wird bereits im Methodenteil beschrieben. Ziel ist es, ein bisher einzigar­tiges Modell zu entwickeln, das die Verknüpfung von klimatischen Daten und den Folgen auf sozialer Ebene ermöglicht. Dieses Simulationsmodell wird für die ge­samte Sahelregion anwendbar und über ein Interface für jeden zu bedienen sein. Das Modell wird als sogenanntes Tragfähigkeitsmodell konstruiert sein. Es deckt folglich nicht den gesamten Sahel zugleich ab, sondern ermittelt die Tragfähigkeit einer beliebig gewählten Region.

Die klimatischen Umstände der Dürre dienen als Rahmenbedingungen des Trag­fähigkeitsmodells. Zukünftige Veränderungen dieser Rahmenbedingungen wer­den, mittels Klimavorhersagen, im Modell angepasst. Das Tragfähigkeitsmodell simuliert dann über einen gewissen Zeitraum die direkten Auswirkungen des Kli­mawandels auf Faktoren, die das Leben der Sahelbevölkerung prägen. Die Ergeb­nisse werden mit einem einfachen System, bspw. einem Ampelsystem, leicht ver­ständlich dargestellt. Es wird sich aber nicht um einfache, absolute Ergebnisse handeln. Ziel ist, Wahrscheinlichkeiten von Verteilungen zu ermitteln. Letztend­lich werden diejenigen Fälle errechnet, in denen ein bestimmtes Ereignis eintritt. Das Ergebnis wird dann nicht lauten: Bei einem bestimmten Klima treten folgen­de Zustände ein, sondern in einer bestimmten Anzahl von Fällen tritt ein bestimm­tes Ergebnis ein,je nach Verhalten des Klimas.

Zudem soll die Möglichkeit vorhanden sein, verschiedene Faktoren, insbesondere Rahmenbedingungen, über ein Interface verändern zu können. Hierdurch wird gewährleistet, dass das Simulationsmodell für jede Region der Sahelzone einsetz­bar ist. Hier liegt auch gleichzeitig eine Einschränkung dieses Modells. Es wird explizit für die Sahelzone und ihre Eigenschaften konzipiert, um möglichst aussa­gekräftige Ergebnisse mittels der Simulation zu erzielen. Eine Verwendung in anderen Regionen der Erde erfordert eine Anpassung aller Rahmenbedingungen und eine empirische Überprüfung der Ergebnisse. Die Ergebnisse der Simulation werden zunächst für eine abstrakte, nicht genauer bestimmte Region des Sahel ermittelt. Anschließend werden die Daten einer konkreten Region der Sahelzone bzw. des Senegal verwendet.

Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels müssen auch die mit­telbaren Auswirkungen identifiziert werden. Das Simulationsmodell wird deshalb noch durch ein weiteres Werkzeug, die Faktoren-Matrix, ergänzt. Unter Faktoren werden die abhängigen und unabhängigen Variablen verstanden. Diese Faktoren­matrix wird die Unterscheidung zwischen einem unmittelbaren und einem mittel­baren Einfluss der unabhängigen auf die abhängigen Variablen zeigen. Darüber hinaus werden auch die Rückkopplungen innerhalb der abhängigen Variablen aufgezeigt. All diese Abhängigkeiten und Rückkopplungen werden ebenfalls über die Analyse der Dürre in den 1970er Jahren ermittelt. Hier liegt eine zweite Ein­schränkung. Es werden empirische Daten benötigt. Wenn keine Daten vorhanden sind, wird mittels Schätzverfahren versucht diese zu errechnen. Sollte auch dies nicht möglich sein, werden an dieser Stelle rein qualitative Daten verwendet. Un­ter Umständen können auch gar keine Aussagen getroffen werden. Die Datenlage kann somit die Aussagekraft des Modells einschränken.

Die Ergebnisse der Simulation werden mithilfe der Faktoren-Matrix in einem Modell des sozialen Wandels verarbeitet. Bisher wurde kein solches Modell für den Sahel unter der Prämisse eines sich ändernden Klimas entwickelt. Dieses Wandlungsmodell zeigt die Folgen der klimatischen Veränderung für die Men­schen und die Gesellschaft des Sahel auf. Es wird mithilfe eines Ansatzes von Neil J. Smelser entwickelt und bezieht sich auf die Folgen unter der Bedingung, dass sich die Rahmenbedingungen kaum ändern. Lediglich Rahmenbedingungen, die direkt im Tragfähigkeitsmodell verarbeitet wurden, können angepasst werden.

Unerwartete externe oder interne Schocks, wie Völkermorde oder langanhaltende Epidemien, können nicht direkt berücksichtigt werden. Auch werden andere Ein­flüsse, wie bspw. die koloniale Vergangenheit als Erklärung für die Unterentwick­lung bewusst ausgeblendet, damit explizit der Einfluss des Klimas berücksichtig werden kann.

Nachdem ein Modell des sozialen Wandels für die Sahelzone aufgestellt worden ist, werden Lösungsstrategien für erwartete Probleme aufgezeigt. Es handelt sich hierbei um exemplarische Lösungen, die meist in Form von Projekten in den je­weiligen Ländern und Regionen durchgeführt werden. Das Ziel solcher Projekte muss es letztendlich sein, die im Wandlungsmodell aufgezeigten Abhängigkeiten zu durchbrechen und Alternativen zu schaffen.

Aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt sich folgende Gliederung:

Das erste Kapitel informiert über die ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse in der Sahelzone. Darüber hinaus wird eine Einfüh­rung in die Themen sozialer Wandel und Klimawandel gegeben.

Im zweiten Kapitel wird die methodische Vorgehensweise bei der Erstellung dieser Arbeit erläutert.

Kapitel drei beschreibt den Verlauf und die Folgen der Dürreperiode in den 1970er Jahren im Sahel. Hieraus werden Daten für das Tragfähigkeitsmodell ex­trahiert. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel die abhängigen Variablen des sozialen Wandels identifiziert.

Das vierte Kapitel erklärt die genaue Funktionsweise des Tragfähigkeitsmodells und seiner Teilmodelle. Hier werden auch die Ergebnisse der Simulationsdurch­läufe unter den verschiedenen klimatischen Bedingungen präsentiert.

Kapitel fünf verarbeitet schließlich alle bis dahin gewonnenen Erkenntnisse in einem Modell des sozialen Wandels. Es beschreibt, den durch den zukünftigen Klimawandel verursachten sozialen Wandel in der Sahelzone.

Im sechsten Kapitel werden mögliche Lösungsansätze fur nachteilige Auswir­kungen des Klimas aufgezeigt. Hierbei wird es sich um eine exemplarische Aus­wahl von Lösungen handeln.

Die Schlussbetrachtung fast die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen und zeigt die Grenzen der Modelle auf.

Kapitel I: Sahelzone, sozialer Wandel und Klima­wandel

Das erste Kapitel dieser Arbeit gibt einen grundlegenden Einblick in die Themen Sahelzone, sozialen Wandel und Klimawandel. Der Sahel wird im ersten Ab­schnitt vorgestellt. Hier werden insbesondere soziale, klimatische sowie geogra­phische Gegebenheiten beleuchtet. Darauf folgend wird der Senegal als typisches Sahelland behandelt. Der zweite Abschnitt stellt einige Theorien des sozialen Wandels vor, um einen Überblick über die wichtigsten Theorien zu geben und einen möglichen Ansatz für ein Modell des sozialen Wandels zu ermitteln. Der letzte Abschnitt zeigt Grundlagen des Klimawandels auf. Hier werden Kenntnisse der Klimaforschung verständlich aufbereitet.

1. Die Sahelzone

Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Sahelzone gegeben. Es wird auf die Sahelländer, die Geologie, die Vegetation, das Klima und die in dieser Region lebenden Menschen eingegangen, um einen Eindruck über die vorherrschenden Lebensbedingungen zu erhalten.

1.1 Geographische Einordnung

Die Sahelzone ist ein semiarider Übergangsraum zwischen der Sa­hara und der Trocken- bzw. Feuchtsavanne und hat eine Nord­Süd-Ausdehnung von ca. 200km (vgl. Krings: 2006: X, Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Mitgliedsstaaten der CLISS

Quelle: GTZ 2010

Das arabische Wort für Sahel (Es- Sahil) kann mit Ufer- oder Rand­zone übersetzt werden und be­zeichnet damit das Randgebiet der Sahara und der sich südlich anschließenden Feuchtsavanne. Dieses Gebiet stellt, aufgrund der hier existierenden Weidegründe für Nutztiere, Märkte und Wasser­zugänge, tatsächlich das „rettende Ufer“ für viele Nomaden aus der Wüste dar (vgl. Mensching 1986: 3). Der Begriff Sahelländer unterscheidet sich jedoch von der geoökologisch definierten Sahelzone und ist das Ergebnis der kolonialen Staa­tenbildung Afrikas (vgl. Krings 2006: X; Abbildung 1). Ihre Grenzen gehen meist weit über die Sahelzone hinaus. So reichen sie zum einen in die Feuchtsavannen im Süden und erstrecken sich zum anderen weit in den Norden bis zur Sahara. Mit Ausnahme von Gambia und Kap Verde ist allen Sahelländern gemein, dass sie durch die französische Kolonialzeit geprägt sind, seit Jahrhunderten vom Islam beeinflusst wurden, alle mit ähnlichen Strukturproblemen zu kämpfen haben und eine regionale Disparität aufweisen (vgl. Krings 2006: X f.). In der vorherrschen­den Literatur finden sich unterschiedliche Angaben darüber, welche Länder zu der Sahelzone gezählt werden (vgl. Schiffers 1976; Mensching 1986, Krings 2006). Durch ihren Übergangscharakter sind eindeutige Abgrenzungen und Zuordnungs­kriterien schwer auszumachen. Im Folgenden wird sich auf die Mitgliedstaaten des Comité Permanent Inter Etats de lutte contre la Sécheresse dans le Sahel (Ständiges zwischenstaatliches Komitee zur Bekämpfung der Dürre im Sahel), kurz CILSS bezogen, das neun Länder zur Sahelzone zählt: Burkina Faso, Kap Verde, Gambia, Guinea-Bissau, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal und den Tschad (Institut du Sahel 2010).

1.2 Geologie und Böden

Geoökologisch werden die Sahel- und die Sudanzone meist zusammengefasst (vgl. Mensching 1986: 4), da die Sahelzone durch ihren Übergangscharakter, wie bereits erwähnt, keine eindeutigen Grenzen aufweist. So werden die unterschiedli­chen Landschaftsmerkmale wie Vegetation, Wasserhaushalt oder Böden für die Sahel- und Sudanzone gemeinsam betrachtet. Obwohl die Sahelzone mit einer West-Ost-Ausdehnung von ca. 4000km eine große Fläche bedeckt, sind die Land­schaftsmerkmale überall sehr ähnlich und somit charakteristisch für dieses Gebiet. Trotz der Ähnlichkeit kann zwischen fünf verschiedenen geomorphologischen Großeinheiten unterschieden werden. Mensching (1986: S. 6) benennt diese wie folgt:

- Die weitflächigen Lateritplateaus sind zumeist im Westsahel anzut­reffen und bestehen aus relativ jungen Sedimentschichten. Ein oft bis zu mehreren Metern dicker Eisenpanzer führt zu stark verhärteten Bö­den, sodass in diesen Gebieten kaum Vegetation zu finden ist.
- Weiträumige Becken, wie beispielsweise der Tschadsee, sind mit fei­neren Sedimenten aufgefüllt und für die Nutzung und Beweidung zu­meist ungeeignet.
- Der Altdünengürtel des Sahel erstreckt sich über mehrere hundert Kilometer vom Senegal über den Tschad bis zum Nil. Hierbei handelt es sich um parallel verlaufende Dünen, die in regelmäßigen Abständen (l-10km) auftreten und Höhen von bis zu 30 Metern vorweisen. Diese Altdünen entstanden vor ca. 20.000 Jahren aus der Umlagerung ver­witterter Sandsteine, die durch starke Nord-Ost-Passate bis in den Se­negal transportiert wurden und sich hier als Sandmassen ablagerten. Bedingt durch die menschliche Übernutzung sind in dieser Region Akazien und Gräser nur noch sehr selten zu finden. Die zunehmende Degradation der natürlichen Vegetation begünstigt die Desertifikation.
- Größere Flachmuldentäler und Wadis[1] transportieren während der Regenzeit feine Sedimente, die die Böden mit neuen Nährstoffen ver­sorgen. Die nährstoffreichen Böden und die gute Erreichbarkeit von Grundwasservorkommen machen diese Regionen zu beliebten Gunst­standorten von Bauern und Nomaden.
- Vulkanisches Bergland und Gebirgsregionen machen ebenfalls ei­nen Anteil des Landschaftsbildes der Sahelzone aus. Die wichtigsten Vulkankomplexe sind in Mali (Adrar der Iforas, 900m) und im Niger (Air, 1900m) zu finden. Diese Gebirgsregionen erhalten während der Regenzeit mehr Niederschläge als das Tiefland. Somit werden die Tä­ler mit Oberflächenwasser beliefert und der Grundwasserspiegel er­gänzt. Des Weiteren werden fruchtbare vulkanische Sedimente durch den Regen abgetragen und fließen bis ins Vorland, was wiederum die Bewirtschaftung in den Tälern stark begünstigt.

1.3 Vegetation

Die Vegetation der Sahelzone lässt sich in vier klimaökologische Zonen einteilen, die nach den mittleren jährlichen Niederschlagsmengen unterteilt werden. Diese stellen den entscheidenden ökologischen Faktor dar, von dem die Landnutzung abhängt. Abbildung 2 zeigt die von Norden nach Süden festgelegten Zonen: Sahe- lische Zone, Sudan-Sahel Zone, Sudanzone und Guineazone (vgl. FAO 1998: 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Klimatologische Zonen des Sahel

Quelle: FAO 1998

Die Sahelische Zone grenzt im Norden an die Sahara, weshalb der durchschnittli­che Jahresniederschlag hier nur 250mm bis 500mm beträgt. In dieser Dornbusch­savanne ist kaum Vegetation zu finden, lediglich vereinzelte Akazienbäume und Savannengräser haben sich dem trockenen Gebiet angepasst (vgl. Gueye 2008: 6). Von der Sahara reichen noch wenige Dattelpalmen in den Sahel, die zumeist in Trockentälern mit erreichbarem Grundwasser wachsen. In der Sudan-Sahel Zone liegen die Niederschläge bei 500 bis 900mm pro Jahr, so dass auch hier, in Ver­bindung mit den hohen Temperaturen und Verdunstungsverlusten (Evapotranspi­ration), nur wenig Vegetation zu finden ist (vgl. FAO 1998: 8). Die Sudanzone zeichnet sich ebenfalls durch eine verkürzte Regenzeit aus, wobei die jährlichen Niederschläge hier schon bei 900mm bis 1100mm liegen, sodass in dieser Tro­ckensavanne Baumvegetation vorkommt. Diese besteht aus Akazien und wenigen anderen Baumarten. Die meisten Baumarten haben eine maximale Höhe von 10 Metern und eine verhältnismäßig dicke Borke, die sie vor Buschfeuern schützen soll. Eine typische Baumart der Sudanzone ist der Affenbrotbaum, der aufgrund seines vielfältigen Nutzens weit verbreitet und charakteristisch für das Land­schaftsbild u.a. in Mali, Burkina Faso und im Senegal ist (vgl. Krings 2006: 27f). Den Süden der Sahelzone bildet die klimaökologische Guineazone. Der mittlere Jahresniederschlag liegt hier bei über 1100mm. Geographisch gehören der Süden Senegals und Malis sowie der Südwesten Burkina Fasos zu dieser Vegetationszo­ne. Bei 6-7 Regenmonaten im Jahr ist das Landschaftsbild von wesentlich arten­reicheren Wäldern, Grasfluren und bewirtschafteten Feldern geprägt.

Die Niederschlagsmenge in den einzelnen Vegetationszonen im Sahel nimmt von Norden nach Süden zu. Das also schon natürlich verarmte Ökosystem der Sahel­zone unterliegt zusätzlich noch menschlichen Eingriffen, so dass das frühere Landschaftsbild in seiner natürlichen Form kaum noch erhalten ist. Neben über­nutzten Weideflächen mit immer weniger Strauch- und Baumvegetation prägen auch brach liegende landwirtschaftliche Flächen, die nicht mehr zum Anbau ge­eignet sind, das Landschaftsbild.

1.4 Klimatische Bedingungen und Wasserhaushalt

Der Naturraum der Sahelländer wird besonders durch seine Aridität geprägt. Das Klima, das sich durch relativ hohe Temperaturen und geringe Jahresniederschläge auszeichnet, wirkt sich auf die Vegetation und den Wasserhaushalt in diesem Ge­biet aus. Kennzeichnend für die Sahelzone ist der Wechsel von langen Trockenpe­rioden und einer relativ kurzen Regenzeit, die makroklimatisch stark von den Strömungsverhältnissen der inneren Tropenzone beeinflusst werden (vgl. Krings 2006: 21). Innerhalb der tropischen Konvergenzzone (ITC) kommt es im Sahel- gebiet zu einer etwa dreimonatigen Regenzeit während des Sonnenhöchststandes, wobei die tropischen Regenfronten von der Feuchtsavanne nordwärts wandern (vgl. Mensching 1986: 4 f.). In der Guineazone setzt die Regenzeit bereits im Mai ein und dauert etwa sechs Monate an, während die Regenzeit in der Sahelischen Zone mit etwa zwei bis vier Monaten deutlich kürzer ist. Die ITC bestimmt neben der Niederschlagshöhe auch die Niederschlagscharaktere wie Verteilung, Verlässlichkeit sowie Intensität und unterliegt großen Schwankungen (vgl. Mensching 1986: 5). Diese hohe Variabilität der Niederschläge während der Regenzeit verur­sacht eine große Unsicherheit für die gesamte Sahelzone im Bezug auf Ernteerträ­ge und Trinkwasservorräte. Auch im Jahresvergleich variieren die Nieder­schlagsmengen erheblich und können sich im Niederschlagsverlauf deutlich un­terscheiden. Somit ergibt sich für die gesamte Sahelzone ein Jahresmittel von ca. 350mm (vgl. Mensching 1986: 5). Abbildung 3 zeigt die Abweichungen der Nie­derschlagsmengen vom Mittelwert der Sahelzone zwischen den Jahren 1920 und 2010. Bis in die 1950er Jahre war die Verteilung von Feucht- und Trockenjahren recht ausgeglichen. Ab 1950 folgte dann eine knapp 20 Jahre andauernde Phase, in der es ausreichend Niederschläge gab. Ende der 1960er Jahre blieben die Niederschläge im Sahel generell unter dem Jahresmittel und hatten eine über 20 Jahre andauernde Dürreperiode zur Folge. Zudem führt die beim Aufprall freigelassene kinetische Energie der Niederschläge bei vegetationslosen Böden zur Zerkleine­rung der Bodenaggregate, die wiederum eine Verstopfung der Grobporen nach sich zieht. Durch die Sonneneinstrahlung verbackt der Boden zu einer wasserun­durchlässigen Kruste. Hierdurch wird die Trockenheit der Böden noch verstärkt. Durch anthropogene Einflüsse (Abholzung, Überweidung) nimmt die Bodendeg­radation weiter zu (vgl. Sepp 1994: 13). Diese langanhaltenden Trockenjahre führten zu Ernteausfällen und damit Nahrungsmittelengpässen, sowie zu einem erheblichen Wassermangel für Menschen und Weidetiere, der durch die Verduns­tung von Oberflächengewässern und aus dem Absinken des Grundwasserspiegels resultierte (vgl. Krings 2006: 23).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Jahrhunderts, zwischen 1920 und heute

Quelle:jisao 2010

Das ökologische System der Sahelzone kann also als instabil und in hohem Maß von Niederschlägen abhängig bezeichnet werden.

1.5 Bevölkerung

Nach Angaben der Weltbank (2010) belief sich die Gesamteinwohnerzahl für die Sahelländer im Jahre 2007 auf 70,57 Millionen Personen, wobei das durchschnitt­liche Bevölkerungswachstum bei ca. 2,7% liegt (vgl. Anhang Überblick Faktoren Sahelländer: XXVI). Eine Betrachtung der Bevölkerungsdichte dieser Länder ist wenig aussagekräftig, da große Unterschiede zwischen den wenigen großen Städ­ten (Ballungsgebiete) und den ländlichen Gebieten bestehen. Im Senegal bei­spielsweise liegt die durchschnittliche Bevölkerungsdichte bei nur 61 Einwohnern pro km2, in der Hauptstadt Dakar leben jedoch gut 12.500 Personen pro km2. Trotz der hohen Bevölkerungsdichte in den Städten entspricht der Anteil der länd­lichen Bevölkerung gut 63% der Gesamtbevölkerung der Sahelzone.

Die Sahelzone ist eine Region mit ausgeprägter ethnischer und linguistischer He­terogenität. Durch das Gebiet verläuft die Grenze zwischen den stark arabisierten (Halb-)Nomaden und der sesshaften negriden Bevölkerung (vgl. Krings 2006: 32). Zu den bekanntesten und weit verbreitetsten nomadischen Völkern gehören die Tuareg, die Fulbe und die Mauren, die sich als klassische Viehzüchter-Völker innerhalb der Sahara und der Sahelzone bewegen (vgl. Mensching 1986: 15). Die Mehrheit der westlichen Sahelbevölkerung stellen allerdings die negriden Bauernvölker dar, zu denen u.a. die Wollof, Malinke, Mossi, Songhai und die Haussa gehören. Die Heterogenität der ethnischen Gruppen spiegelt sich nicht nur zwischen den Staaten wider, sondern wird auch innerhalb der einzelnen Länder deutlich. Im Senegal beispielsweise gibt es rund 20 verschiedene Volksgruppen (vgl. Inwent 2010). Durch die ethnischen Gegensätze, die vor allem aus den ver­schiedenen Lebensweisen (sesshafte Ackerbauern vs. Nomaden) resultieren, ent­stehen in dieser Region immer wieder Konflikte um konkurrierende Landnutzun­gen (vgl. Mensching 1986: 15). Aufgrund der immer schlechteren ökologischen Bedingungen der letzten 50 Jahre, staatlicher Reglementierungen und fortschrei­tender Modernisierung ist in einigen Teilen der Sahelzone ein Wandel der noma­dischen Lebensweise hin zur Sesshaftigkeit zu beobachten (vgl. Krings 2006: 32).

Kulturell ist die Sahelzone ebenfalls sehr stark durch die jeweils vorherrschende Religion geprägt, wobei der Islam für die große Mehrheit (95%) der Sahelbevöl­kerung die moralische und kulturelle Grundlage liefert (vgl. Krings 2006: 51). Neben dem Islam sind noch traditionelle Religionen zu finden, die jedoch auch aufgrund der niedrigen Alphabetisierungsrate keine niedergeschriebenen Lehren besitzen, wodurch Traditionen und Werte meist nur mündlich überliefert werden. Dem Christentum gehört in den Sahelländern nur ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung an (vgl. Krings 2006: 49f).

1.6 Politik und Ökonomie

Bis I960 gehörten nahezu alle Länder der Sahelzone zum französischen Kolonial­gebiet, wodurch Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zum Teil massiv beeinflusst wurden (vgl. Krings 2006: 14). Nach der Unabhängigkeit gab es in den Sahellän­dern eine Vielzahl politischer Systeme. Heute ist die Staatsform der meisten Län­der eine Präsidialrepublik, in der jedoch häufig eine Vermischung privater und öffentlicher Interessen von Seiten der staatlichen Organe stattfindet (vgl. Mehler 2005: 236 f.). Nicht selten werden politische Ämter an Bekannte oder Verwandte vergeben. Hinzu kommt die schon zur Normalität gewordene Korruption vieler Staatsdiener, die sich besonders an den ärmeren Bevölkerungsschichten im Lande bereichern (vgl. Krings 2006: 64).

Das Bruttoinlandprodukt aller neun Sahelländer betrug 2007 insgesamt 41,24 Mil­liarden US$[2] (vgl. Anhang Überblick Faktoren Sahelländer: XXVI). Da das BIP aufgrund der Aussparung des informellen Sektors und der Subsistenzwirtschaft die Produktionsleistung und nicht den Wohlstand einer Volkswirtschaft wider­spiegelt, eignet es sich eigentlich nicht für einen Ländervergleich. Wenn man je­doch, wie im Fall des Sahel davon ausgeht, dass der informelle Sektor eine sehr ähnliche Rolle in allen Ländern spielt, kann das BIP dennoch zu Vergleichszwe­cken heran gezogen werden. Um weitere Aussagen über die Entwicklung der Sa­helländer treffen zu können, gibt es neben dem BIP den Human Development Index (HDI). Der HDI soll eine Messung des Entwicklungsstandes anhand rele­vanter Indikatoren ermöglichen und wird in die drei Bereiche Lebensdauer (Le­benserwartung bei der Geburt), Bildungsniveau (Alphabetisierungsrate, Schulein­trittsrate) und Lebensstandard (reale Kaufkraft pro Kopf) aufgeteilt (vgl. UNDP 2007: 225). Insgesamt werden die 182 erfassten Länder in drei Hauptgruppen un­terteilt: Länder mit hoher Entwicklung, Länder mit mittlerer Entwicklung und Länder mit geringer Entwicklung. Die Sahelländer liegen im Schnitt auf Platz 157 und gehören somit (wie auch der Senegal mit Platz 156) zu den Ländern mit ge­ringer Entwicklung. Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad und Guinea Bissau liegen dicht bei einander in den 170er Rängen und sind somit sehr gering entwickelt. Den fortschrittlichsten Entwicklungsstand weisen Mauretanien mit Platz 137 und Kap Verde mit Platz 102 auf.

80-90% der Sahelbevölkerung arbeiten im primären Sektor und sind von der Landwirtschaft abhängig (vgl. Krings 2006: 116). Aufgrund der bereits angespro­chenen ökologischen Bedingungen nimmt der Anteil der bestellten Flächen von Norden nach Süden zu. Den Großteil der landwirtschaftlichen Fläche nimmt der Anbau von Nahrungskulturen für die Subsistenzproduktion ein, die allerdings seit der Kolonialzeit und der Erschließung des ländlichen Raumes mit der Produktion für den Binnen- und Weltmarkt (Cash-Crops) kombiniert werden (vgl. Krings 2006: 116). Zu den bedeutendsten Exportprodukten gehören Erdnüsse (Senegal, Gambia) und Baumwolle (Burkina Faso, Mali).

Die wichtigsten Kulturarten zur Subsistenzwirtschaft im Senegal sind Reis, Mais, Sorghum und Millet[3] (vgl. Franke; Chasin 1980: 6). Die Pflanzenproduktion wird zum Großteil in familiären Kleinbetrieben von den Bauern erwirtschaftet. In der Casamance und im Erdnussbecken werden vorwiegend Erdnüsse, als Cash-Crops, zurVermarktung angebaut (vgl. Franke; Chasin 1980: 6).

Das traditionelle Feldbausystem der Sahelländer beschränkt sich fast ausschließ­lich auf die Subsistenzproduktion. Wanderhackbau und Rotationsfeldbau stellen die Regel dar, wobei nur 10-20% der Felder bewirtschaftet werden, der andere Teil liegt brach und kann sich regenerieren (vgl. Dürste; Fenner 1981: 10). Die sich während der Brache bildende Sekundärvegetation wird anschließend abge­brannt und dient der Düngung (vgl. Dürste; Fenner 1981: 10). Diese traditionellen Anbausysteme bieten ein ausgeprägtes Produktionsspektrum, das sich an die hohe Niederschlagsvariabilität anpassen kann und geringere Investitionen in den Boden bedarf (vgl. WBGU 1994: 203). Anders als durch moderne Pflüge, kann bei der Bearbeitung des Bodens mit dem Hackstock nur die obere Schicht aufgelockert werden. Hierdurch ist die Zersetzung in den unteren Schichten weniger effektiv und somit die Fruchtbarkeit des Bodens grundsätzlich geringer (vgl. WBGU 1994: 203).

Die Viehwirtschaft hat auf Haushaltsebene verschiedene Funktionen. Die Produktion tierischer Nahrungsmittel wie Fleisch, Milch und Eier zählt dabei zu den bedeutensten, denn sie bieten wichtige Nährstoffe und ergänzen die sonst sehr einseitige Ernährung (Getreide) der Sahelbevölkerung (vgl. Krings 2006: 146 f.). Des Weiteren kann die Viehwirtschaft die ökonomische Situation der Haushalte verbessern, denn durch den Verkauf von tierischen Produkten oder Lebendvieh kann ein monetäres Einkommen generiert werden, das es der Bevölkerung wiederum ermöglicht zusätzliche Nahrungsmittel zu kaufen (vgl. Krings 2006: 146). Eine weitere Funktion der Viehwirtschaft liegt in der Risikoabsicherung. In wirtschaftlich und klimatisch guten Zeiten werden neue Tiere gekauft, um sie in Krisen (Ernteausfällen, Dürren) wieder zu verkaufen oder von ihnen zu leben. Das Vieh stellt somit eine Kapitalanlage dar, weil es kaum andere Investitionsmöglichkeiten gibt. Größere Nutztiere, wie Esel, Pferde oder Rinder eignen sich zudem als Arbeitstiere auf den Feldern. Dies ermöglicht den Bauern größere Flächen zu bewirtschaften und höhere Erträge zu generieren (vgl. Krings 2006: 147). Es findet vermehrt eine Integration von Viehhaltung und Ackerbau statt, die außerdem den Vorteil hat, dass der Tierdung als Dünger auf den Feldern eingesetzt werden kann. Viele Bauern lassen ihr Vieh auf den Feldern weiden oder erlauben den Nomaden ihre Herden auf den Feldern abzustellen, damit der Dung auf die Felder gebracht werden kann. In einigen Sahelländern wird Dung auch als Brennstoff und Baumaterial verwendet (vgl. Davidson; Dankelman 1990: 93).

Die hohe Variabilität der örtlichen Niederschläge erlaubte es den Viehhaltern nicht, sich dauerhaft an einem Ort aufzuhalten. Daher ist das Umherziehen der Tierherden, wie es auch die Nomaden praktizieren, eine logische Konsequenz, um den Futterbedarf der Tiere zu sichern, und kann durchaus als eine an die ökologi­sche Situation angepasste Landnutzung bezeichnet werden (vgl. Schiffers 1976: 30). Der Viehbestand der Bauern und Nomaden kann durch diese bessere Fütte­rungsmöglichkeit in regenreichen Jahren ansteigen, istjedoch insgesamt durch die jährlich variierenden Niederschläge begrenzt. Auch das Tränken der Tierherden ist an die hohe Niederschlagsvariabilität gekoppelt und konnte in der Trockenzeit weite Wege der Bauern in Anspruch nehmen. Nach Schiffers (1976: 30 f.) liegt der Wasserbedarf eines Zebus (Buckelrind) bei durchschnittlich 19 Litern pro Tag. Während der Regenzeit stellt das Tränken der Tiere kein Problem dar, da fast überall wasserführende Flussläufe zu finden sind (vgl. Krings 2006: 147). Mit der Einführung der Tiefbrunnen Ende der 1960er Jahre konnten die Nomaden und auch die sesshaften Bauern ihre Tierherden weiter vergrößern (vgl. Schiffers 1976: 36).

Die Waldwirtschaft spielt, aufgrund der Nutzung des Brennholzes als Hauptener­giequelle in Haushalten zum Kochen, Heizen oder als Lichtquelle, eine besonders große Rolle. Über 90% der Gesamtbevölkerung und 98% der ländlichen Bevölke­rung sind von dieser Ressource abhängig (vgl. Krings 2006: 73). Durch die tradi­tionelle sowie kommerzielle (Über-) Nutzung von Baumbeständen findet eine zunehmende Verknappung dieser Ressource statt (vgl. Bliss; Gaesing 1992: 20). In den Bereich der kommerziellen Entwaldung, die den Großteil ausmacht, fällt die industrielle Abholzung, die Rodung von Buschland für Cash Crops oder die Abholzung zur Erweiterung der Infrastruktur (vgl. Bliss; Gaesing 1992: 28). Die traditionelle Nutzung von Brennholz zur Haushaltsenergieversorgung durch die lokale Bevölkerung ist hingegen nur geringfügig für die Waldabnahme verant­wortlich, da die lokale Bevölkerung das Auflesen von Totholz dem Schlagen fri­scher Bäume vorzieht. Eine bedeutendere Ursache für die Brennholzverknappung stellt die Landwirtschaft dar. Der vorhandene Wald wird dabei als Flächenreserve angesehen, bei Bedarf gerodet und für die landwirtschaftliche Nutzung zugänglich gemacht. Vor allem der Bevölkerungszuwachs ist verantwortlich für den erhöhten Energiebedarf und die Zunahme an benötigter landwirtschaftlicher Fläche (vgl. Bliss; Gaesing 1992: 30). Die fortschreitende Entwaldung ist hauptsächlich in der Umgebung mittlerer und großer afrikanischer Städte zu verzeichnen. Grund dafür ist, dass die Entwaldung, bedingt durch kurze Transportwege, zuerst im unmittel­baren Einzugsbereich von Städten stattfindet und ausgehend von den städtischen Gebieten in konzentrischen Kreisen voran schreitet (vgl. Sepp; Mann 2007: 286). Aufgrund der immer weiteren Transportwege und damit einhergehend immer hö­heren Preisen für Brennholz und Holzkohle ist die Bevölkerung gezwungen, diese zu zahlen oder auf Ersatzbrennstoffe wie Dung oder Hirsestängel umzusteigen (vgl. Krings 2006: 73).

Der sekundäre Sektor ist in fast allen Sahelländem wenig ausgeprägt und konzent­riert sich ausschließlich in den Hauptstädten. Im Jahr 2007 betrug der Anteil der Industrie am BIP im Senegal und in Mali jeweils 24%, in Burkina Faso 23% und in Gambia sogar nur 15% (vgl. Anhang Überblick Faktoren Sahelländer: XXVI). In Bezug auf die Beschäftigungsrate ist der Industriesektor fast unbedeutend. Die mineralischen Ressourcen sind im Sahel nicht so ausgeprägt wie im südlicheren Afrika, aber dennoch durchaus vorhanden. So wird beispielsweise in Mauretanien Eisenerz abgebaut. Gold ist in Mali, Burkina Faso und im Senegal vorhanden und auch Phosphat bildet in Mali und im Senegal eine wichtige Devisenquelle (vgl. Krings 2006: 155).

Der tertiäre Sektor, der u.a. Tourismus, Handel und Verkehr umfasst, ist in den Sahelländem nur mäßig ausgeprägt. Dominierend sind die Märkte, die täglich oder im drei bis sieben Tage Rhythmus stattfinden. Hier werden meist agrarische oder handwerkliche Produkte angeboten und von der lokalen Bevölkerung ge­kauft. Die Produktauswahl besteht je nach Jahreszeit aus Mangos, Orangen und verschiedenen Hirsesorten, Maiskolben oder Guaven (vgl. Krings 2006: 169). Neben der Beschaffung von Grundnahrungsmitteln dienen die Märkte ebenso als Zentrum des sozialen Kontaktes und der Gespräche. Für Nomaden aus der Savan­ne dienen diese Märkte dem Informationsaustausch (vgl. Krings 2006: 170).

Der Tourismus im Sahel ist, außer im Senegal und in Gambia, bis heute wenig verbreitet. Besonders innenpolitische Unruhen (z.B. Casamance-Konflikt seit 1992), die unzulängliche Infrastruktur und die gesundheitlichen Risiken (z.B. Ma­laria) in den Sahelländem führten zu einer Stagnation des Fremdenverkehrsaus­baus und zur Verunsicherung auf Seiten der potentiellen Touristen. Durch die Lage am Atlantik bietet der Senegal das größte touristischste Potential und ist heute dementsprechend von seiner Infrastruktur (Hotels, Verkehr) international wettbewerbsfähig (vgl. Krings 2006: 171).

Trotz der starken Unterentwicklung ist in kaum einem anderen Kontinent die Mo­bilität so hoch wie in Afrika. Die Motivation resultiert aus der notwendigen Über­lebenssicherung der Bevölkerung, die zur Arbeitssuche in die urbanen Zentren oder sogar in benachbarte Staaten abwandern (vgl. Krings 2006: 181). Diese Rei­sen der Wanderarbeiter finden größtenteils in der Trockenzeit statt, da die Bevöl­kerung in den Monaten zuvor genügend Arbeit auf den Feldern findet. Das wich­tigste Verkehrsmittel stellen dabei die Kraftfahrzeuge dar, weil die wenigen Ei­senbahnlinien seit der Unabhängigkeit kaum weiter ausgebaut wurden. In den großen Städten gibt es neben Taxis auch Mini- oder Kleinbusse, in denen 10-25 Personen (teilweise auch Nutztiere wie Ziegen, Schafe oder Hühner) befördert werden können (vgl. Krings 2006: 180). In den ländlichen Gebieten und den Kleinstädten ist das Angebot öffentlicher Verkehrsmittel kaum vorhanden. Hier werden Fahrräder, Mopeds oder Viehkarren zur Fortbewegung genutzt, während mittellose Personen oft weite Strecken zu Fuß zurücklegen, um beispielsweise zu den Marktorten zu gelangen oder Brennholz zu sammeln (vgl. Krings 2006: 18).

Die politische und ökonomische Lage der Sahelländer wird durch drei Faktoren­bündel besonders beeinflusst. Interne Faktoren, wie die hohe Heterogenität der ethnischen und sozialen Gruppen und das Problem des „nation building“ (vgl. Krings 2006: 64) ermöglichen immer wieder Putschversuche und Gewaltaktionen von Seiten der Militärs. Auf der anderen Seite stehen externe Faktoren wie z.B. die stark schwankenden Weltmarktpreise für Rohstoffe oder ungünstige Zins- und Handelsbedingungen (vgl. Krings 2006: 64). Den dritten entwicklungslähmenden Bereich stellen strukturelle Faktoren dar, wie bspw. die Binnenlage von Mali, Niger oder Burkina Faso, die die Im- und Exportpreise stark erhöhen (vgl. Krings 2006: 64).

Der Sahel weist demzufolge einen geringen Entwicklungsstand, gemessen am HDI, ein niedriges BIP und einen hohen Anteil des primären Sektors auf. Trotz dieser geringen Entwicklung besteht eine verhältnismäßig hohe Mobilität. Die Mehrheit der dort beheimateten Menschen leben in ländlichen Gegenden und die ethnische Zusammensetzung kann als außerordentlich heterogen bezeichnet wer­den.

2. Der Senegal als typisches Sahelland

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Lage des Senegal Quelle: Transafrika 2010

Der nachfolgende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Senegal, der als Beispiel näher betrachtet werden soll. Der Senegal kann als typisches Sahelland gesehen werden, da er ökologisch, klimatisch und gesellschaft­lich die Lage der anderen Sahelländer gut widerspie­gelt. Des Weiteren gibt es im Gegensatz zu vielen anderen Sahelländern eine relativ gute, wenn auch nicht immer einheitliche Datenlage über den Senegal. Abbildung 4 zeigt die Lage des Senegal an der Westküste Afrikas, die Nachbarländer und die größten Städte.

2.1 Bevölkerung des Senegal

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5: Bevölkerungsdaten des Sahel und des Senegal

Quelle: eigene Darstellung (vgl. Anhang Überblick Faktoren durch den Hafen für den tran- Sahelländer: XXVI)

Der Senegal ist das westlich gelegenste Sahelland und zählte 2007 ca. 12 Millionen Einwohner (vgl. World Bank 2009). Rund um die Haupt­stadt Dakar leben fast 25% der gesamten Bevölkerung des Senegal. Dies liegt vor allem an der wirtschaftlich vorteilhaften Ausgangslage satlantischen Handel (vgl. World Bank 2009: 9). Die Abbildung 5 zeigt, dass der Anteil der ländlichen Bevölkerung mit 57% etwas unter dem Saheldurchschnitt von 63,9% liegt, während die Bevölkerungsdichte, aufgrund des wirtschaftlich günstigen Standpunktes des Senegal, mit fast 62% höher ist als in den anderen Sahelländem (54,1%). Des Weiteren sieht man, dass das jährliche Bevölkerungs­wachstum des Senegal von 2,6% fast exakt das Durchschnittsbevölkerungswach­stum des Sahel (2,7%) repräsentiert.

Von seiner ökonomischen Zusammensetzung ist der Senegal verhältnismäßig weit entwickelt. Das Pro Kopf Bruttoinlandprodukt ist im Senegal vergleichsweise hoch (952 US$ im Senegal im Vergleich zu 790US$ im Saheldurchschnitt). Be­sonders der Tertiäre Sektor hat mit 63% den höchsten Anteil am BIP und liegt damit gut 15% über dem Saheldurchschnitt (vgl. Anhang Überblick Faktoren Sa- helländer: XXVI). Die bedeutendsten Arbeitgeber im formellen Sektor sind zum einen der Staat, der Arbeitsplätze in der Regierung, Armee, Verwaltung oder im Bereich Bildung vergibt, zum anderen aber auch zunehmend das Tourismusge­werbe, welches einen großen Anteil am tertiären Sektor ausmacht (vgl. Krings 2006: 165).

Der informelle Sektor stellt in den Sahelländem und auch im Senegal für über die Hälfte der Bevölkerung die Lebensgrundlage dar. In den großen Städten des Se­negal wird übermäßig ambulanter Straßenhandel betrieben, bei dem Zigaretten, Telefonkarten oder Kinderspielzeuge an im Stau stehende Autofahrer verkauft werden (vgl. Krings 2006: 165).

2.2 Ökologie des Senegal

Ökologisch betrachtet ist der Senegal ein typisches Sahelland und lässt sich eben­falls in verschiedene ökologische Zonen einteilen, die von Süden nach Norden immer arider werden. Die im Norden gelegene Sahelische Zone zeichnet sich durch ein sehr trockene Klima aus (vgl. Gueye 2008: 6). Weiter südlich geht der Bereich der Sahelischen Zone in den der Sudan-Sahelischen Zone über, in der die jährlichen Niederschläge bei bereits 900 mm liegen. Aufgrund der längeren Re­genzeit ist hier der Baumbewuchs dichter. In der Guineazone des Senegal (Casa- mance, südlich von Gambia) dauert die Regenzeit zwischen vier und fünf Monate an. Dichte Wälder und Mangrovensümpfe kennzeichnen dieses Gebiet (vgl. Gueye 2008: 6). Das Klima im Senegal wird genau wie in den Sahelländem durch die Regenzeit (Juli bis Oktober) und die Trockenzeit (November bis Juni) be­stimmt.

Im durchschnittlichen Vergleich zu den anderen Sahelländern (26%) hält der Se­negal mit 45% einen recht hohen Anteil an Waldfläche, was auf die hohen Wald­bestände im Süden des Landes zurückzuführen ist. Trotzdem beträgt der Rück­gang der Waldfläche jährlich ca. 0,5% (Sahelländer: 0,7%) und wird hauptsäch­lich durch Abholzung und Brandrodung verursacht (vgl. FAO 2009: 110). Fast 90% der städtischen Bevölkerung und 98% der ländlichen Bevölkerung im Sene­gal ist von Brennholz und Holzkohle als Hauptenergieträger abhängig und nutzt Brennholz zum Kochen, als Lichtquelle oder auch zum Heizen (vgl. Krings 2006: 73). Daneben werden größere Holzmengen von kleinen Betrieben wie Bäckereien, Schmieden o.ä. genutzt (vgl. Krings 2006: 73). Insgesamt wird im Senegal der Pro Kopf Holzverbrauch auf 1 m3 (~0,75t) im Jahr geschätzt. Vor allem Brennholz hat den Vorteil, dass es als freies Gut für den Energiebedarf selbst gesammelt oder geschlagen bzw. auf den Märkten zu einem relativ niedrigen Festpreis gekauft werden kann. Durch den zunehmenden Bevölkerungszuwachs verschärft sich al­lerdings der Druck auf die bestehenden Waldflächen. Neben dem erhöhten Ener­giebedarf wird auch immer mehr landwirtschaftliche Fläche benötigt, die wiede­rum aus der Rodung von Wäldern gewonnen wird. Die konzentrische Entwaldung rund um die Städte hat zur Folge, dass für die städtische Bevölkerung meist keine Möglichkeit besteht, Brennholz oder Biomasse in ausreichender Menge für die häusliche Energieversorgung selbst zu sammeln. Das Brennholz muss über immer weitere Strecken transportiert werden und somit steigt auch der Preis für Brenn­holz in den Städten stetig (vgl. Davidson; Dankelman 1990: 69).

Der Senegal kann also beispielhaft für die Sahelzone herangezogen werden. Er wird eine Vielzahl der hier verwendeten Daten liefern. Gesellschaftliche sowie politische Strukturen, Ökonomie und Ökologie des Sahel wurden aufgezeigt. Nachdem nun die Sahelzone abgegrenzt und vorgestellt wurde, wird im nächsten Abschnitt der soziale Wandel allgemein behandelt.

3. Sozialer Wandel

Die Recherche zu diesem Abschnitt ergab eine Vielzahl von Konzepten und Theo­rien zu sozialem Wandel. Daher werden zunächst grundlegende Elemente und anschließend die wichtigsten Theorien des sozialen Wandels vorgestellt. Die hier dargestellten Theorien geben einen Überblick über die verschiedenen Ansätze.

Unter sozialem Wandel versteht man grundsätzlich eine Veränderung der Sozial­struktur einer Gesellschaft (vgl. Zapf 2003: 427). Durch ihre Wechselwirkungen mit Umwälzungen äußerer Bedingungen oder innerer Spannungen ändern sich Institutionen, Kulturmuster, soziale Handlungen und Bewusstseinsinhalte (vgl. Kleining 2001: 425, Zapf 2003: 427). Die sozialen Strukturen, welche in einer Gesellschaft Ordnung schaffen, wandeln sich folglich, und eine Veränderung eben dieser Ordnung wird als sozialer Wandel bezeichnet (vgl. Zapf 2003: 425). Er tritt als Modernisierung, Entwicklung, Evolution oder Transformation auf (vgl. Erb­recht 2002: 225).

Obwohl der Begriff des sozialen Wandels erstmals 1922 von William F. Ogburn eingeführt wurde, haben sich bereits klassische Autoren der Soziologie mit den Antriebsfedern des Wandels einer Gesellschaft beschäftigt. Unterschieden werden endogene, exogene, dominante und multifaktorielle Ursachen und der anschlie­ßende Verlauf ist keineswegs ausschließlich linear, sondern kann unterschiedlich­ste Verläufe, exponentiell oder stufenartig, aufweisen (vgl. Zapf 2003: 427 ff.). Eine Steuerung des ganzen Prozesses ist nur bedingt möglich, bleibt aber "eines derkonstitutiven Projekte der Soziologie" (Zapf2003: 429).

Im nachfolgenden Abschnitt werden zunächst die Theorien klassischer Autoren wie Marx oder Comte im Bezug auf sozialen Wandel dargestellt und anschließend sogenannte moderne Theorien behandelt. Allen Theorien gemein ist, dass ihr Rea­litätsbezug nicht sehr ausgeprägt ist[4], was sichjedoch erst im geschichtlichen Ver­lauf gezeigt hat (vgl. Kleining 2001: 233). Abschließend wird ein Blick auf die Innovationstheorie geworfen, die keine Theorie des sozialen Wandels ist, sondern vielmehr als Teil dessen zu betrachten ist. Dieses Konzept erlaubt einen anderen Blickwinkel auf die möglichen Antriebe sozialen Wandels (vgl. Zapf 2003: 431).

3.1 Theorien des sozialen Wandels

Nach Auguste Comte (Positivismus) entwickelt sich die Gesellschaft entspre­chend dem von ihm entworfenen Dreistadiengesetz. Die zunehmende Verbreitung von Bildung und Vernunft im Zuge der Aufklärung, „produire la lente et difficile révolution qui conduit enfin l'esprit humain de la philosophie théologique et mé­taphysique à une système homogène complet et exclusif de philosophie positive“ (Comte 1938: 466). Wenn statt Theologie oder Metaphysik nur noch die reine Vernunft gilt, die Naturgesetze und gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten erforscht und vollständig zu verstehen versucht, ist die Ebene der Positivität erreicht (vgl. Kleining 2001: 276).

Marx und Engels (historischer Materialismus) erklären Wandel der Gesellschaft mit vorherrschenden Produktions- und Eigentumsverhältnissen. Durch den Kapi­talismus wird die Kluft zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der priva­ten Aneignung der Residuen immer größer, was zu Konflikten, Unruhen und re­volutionären Umwälzungen führt. Der Gesellschaft wohnt, durch den Kampf ei­nerseits und die Einheit andererseits, fortwährender Wandel inne (vgl. Kleining 2001:427).

Herbert Spencer und Emile Durkheim sahen Gesellschaften wie Organismen, die sich im darwinschen Sinne verändern. Durch fortschreitende Differenzierung wird die Gesellschaft zwar immer weiter geteilt, aber durch die Solidarität - organische Solidarität bei komplexen, ausdifferenzierten Gesellschaften und mechanische Solidarität bei einfachen Gesellschaften - zusammengehalten (vgl. Kleining 2001: 427 f.).

Auf den klassischen Theorien aufbauend wurden zahlreiche moderne Theorien entwickelt, um insbesondere den Wandel moderner Industriegesellschaften im 20. Jahrhundert zu erklären. Die nach Kleining (2001: 228) wichtigsten werden an­schließend knapp erläutert.

Max Weber verknüpft Typen der Herrschaft mit denen des sozialen Handelns und schließt auf verschiedene Typen des sozialen Handelns: zweckrational, wertratio­nal, affektuell und traditionell. Der moderne Kapitalismus führt zu Rationalisie­rung, was auch die Gesellschaft und ihre Organisation rationaler werden lässt (vgl. Kleining 2001: 228).

Der bereits oben erwähnte William F. Ogbum hebt Kultur als Antrieb sozialen Wandels hervor und Zivilisation als moderne Form der Kultur. Er trennt Kultur in materielle und immaterielle, die fortwährend Entdeckungen und Erfindungen her­vorbringt und so Wandel und Anpassung erzeugt (vgl. Kleining 2001: 229).

Die kritische Theorie der Frankfurter Schule, unter dem Einfluss des totalitären Regimes der Nationalsozialisten, geht davon aus, dass die objektive Vernunft sich in einem Apparat verselbstständigt, der zur Zerstörung des Individuums führt. Rationalität befreie die Menschen vom Mythos und werde, in ihrer pervertierten Form, zu dem selbigen im autoritären Staat (vgl. Kleining 2001: 229).

Der Aufbau der Gesellschaft wird von Talcott Parsons über verschiedene Systeme erklärt, wobei alle Systemen von vier Grundfunktionen bestimmt sind: Erhaltung des Identitätsmusters, Integration seiner Teile, Verfolgung seiner Ziele und An­passung an die Umwelten. Hier wird bereits deutlich, dass Wandel durch exogene und endogene Einflüsse stattfinden kann und zu Anpassung oder Wiederherstel­lung eines Zustandes führt. Wandel von Gesellschaften wird evolutionär durch Anpassung an die jeweilige Entwicklungsform der Gesellschaft vorangetrieben (vgl. Kleining 2001: 230).

Niklas Luhmann beschreibt die Anpassung von Systemen weniger evolutionär, sondern auf drei verschiedenen Ebenen: die bereits bekannte Anpassung an die Umwelt, die Selbstanpassung (und nicht unbedingt Wiederherstellung) und die Morphogenese[5]. Letztendlich fußen alle Strukturänderungen auf Anpassungen oder unkontrollierten, strukturveränderten Prozessen und sind selten zielgerichtet. Dieser Strukturwandel repräsentiert den sozialen Wandel (vgl. Kleining 2001: 231).

Das Konzept von Lebenswelt und System nach Jürgen Habermas versucht sozia­len Wandel durch die "Kolonialisierung der Lebenswelt" (Habermas 1988: 522) zu erklären. Das zweckrationale System[6] dringt immer tiefer in die von kommuni­kativer Vernunft geprägte Lebenswelt ein. Die dadurch fortschreitende Rationali­sierung von Lebenswelten führt zu sozialem Wandel (vgl. Kleining 2001. 231).

Allen diesen Theorien gemein ist, dass sie nicht auf die hier vorliegende Frages­tellung angewendet werden können. Ihre Konzeption scheint durch die jeweiligen

Lebensumstände des Theoretikers geprägt und bezieht sich daher zumeist auf so­zialen Wandel in Europa und Nordamerika und geht von einer fortschreitenden Entwicklung aus. Einzig Luhmann kann hiervon ausgenommen werden, da An­passung nicht mit fortschreitender Entwicklung gleichgesetzt werden kann.

Nachdem nun verschiedene theoretische Ansätze über sozialen Wandel vorgestellt wurden, werden abschließend soziale Innovationen im Zusammenhang mit sozia­lem Wandel behandelt. Als soziale Innovation bezeichnet man "eine von bestimmten Akteuren bzw. Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukonfiguration sozialer Praktiken in be­stimmten Handlungsfeldern bzw. sozialen Kontexten, mit dem Ziel, Prob­leme oder Bedürfnisse besser zu lösen bzw. zu befriedigen, als dies auf Grundlage etablierter Praktiken möglich ist" (vgl. Howald; Schwarz 2010: 89).

Soziale Innovationen sind also im Gegensatz zu sozialem Wandel immer gewollt und zielgerichtet, wobei ein Wandel der sozialen Struktur als Ergebnis[7] angestrebt wird und auch erst dann von Innovation gesprochen werden kann[8], wenn ein sol­cher erzielt wurde (vgl. Howald; Jacobsen 2010: 12, Howald; Schwarz 2010: 90). Soziale Innovationen werden demzufolge auf, für die Gesellschaft dringende, Probleme oder wichtige Ziele ausgerichtet sein. Sie gelten als Voraussetzung und Begleiterscheinung von sozialem Wandel und dienen der Gestaltung von Prozes­sen und Teilprozessen auf allen gesellschaftlichen Ebenen[9] (vgl. Howald; Schwarz 2010: 91 f.). Ihre gesellschaftliche Diffusion, also der Übergang von Erfindung und potentieller Innovation zur Innovation, führt über verschiedenste Ebenen - vom Markt bis hin zur Verbreitung über charismatische Persönlichkeiten (vgl. Howald; Schwarz 2010: 94).

Die Erwähnung von sozialen Innovationen wird hier als wichtig erachtet, weil sie in allen Bereichen als Antrieb und Begleiterscheinung von sozialem Wandel auf­treten. Sie beschränken sich nicht auf einzelne Epochen oder Regionen der Erde und sind nicht auf eine bestimmte Richtung, wie bspw. Materialismus oder Positi­vismus, festgelegt. Gerade der Klimawandel, als eines der wichtigsten Probleme der Menschheit erfordert eine Vielzahl von sozialen Innovationen (vgl. BMBF 2007: 13).

3.2 Sozialer Wandel in Afrika - die Suche nach einer Theorie

Wie im obigen Abschnitt dargelegt, beschäftigen sich die klassischen und moder­nen Ansätze zu sozialem Wandel hauptsächlich mit diesem in Industrienationen. Der Wandel in Entwicklungsländern wurde in aller Regel in Bezug zu entwickel­ten Ländern gesetzt und es wurden Versuche unternommen den Grad der Moder­nisierung zu ermitteln (vgl. hierzu u.a. Kleining 2001:231 f; Giddens 1995: 563 ff.). Probleme und Veränderungen wurden meist aus dem Blickwinkel der moder­nen Gesellschaften betrachtet und eben auch aus einer modernisierten Entwick­lung abgeleitet, wie bereits Senghaas (1974) gezeigt hat.

Als Antrieb des sozialen Wandels wurden viele Faktoren identifiziert, jedoch oft die "geographisch-klimatologischen [...] aus Unkenntnis ausgeblendet" (Tetzlaff; Jakobeit 2005: 28). Sie wurden nicht vollständig ignoriert, sondern schon seit der Aufklärung als Begründung für Unterentwicklung der afrikanischen Länder he­rangezogen, aber meist vernachlässigt. Andere endogene oder exogene Faktoren wurden als Erklärung des sozialen Wandels herangezogen (vgl. Tetzlaff; Jakobeit 2005: 28; 32). Arbeiten, die sich explizit mit Klimawandel befassen, nennen zwar die Länder im Sahel als die weltweit am stärksten betroffene Region durch Kli­mawandel[10], beschränken sich aber im wesentlichen auf Möglichkeiten zur Ver­meidung von Klimaschädigung (mitigation measure) auf Ebene der Industriestaa­ten und kaum mit Anpassungsmöglichkeiten (adaption measure) auf Ebene der Entwicklungsländer (vgl. hierzu u.a. Beck 2010).

Es gibt also keine Theorie des sozialen Wandels in den Ländern südlich der Saha­ra, die in der hier vorliegenden Arbeit als Grundlage dienen könnte. Grundsätzlich wird ein, für den Zweck dieser Arbeit, nicht zielführender Blickwinkel - aus der Sicht der Industrienationen - eingenommen. Es wird meist der Versuch unter­nommen, Unterentwicklung der nachkolonialen Zeit zu erklären, wobei endogene und exogene Faktoren zwar gleichermaßen herangezogen werden, der Blickwin­kel aber stets der gleiche bleibt. Hier soll ebendieser nicht eingenommen werden, sondern vielmehr ein interner. Der Hauptfokus soll auf dem durch den Klimawandel verursachten sozialen Wandel liegen und erklären, wie der Klimawandel auf die Menschen dort wirkt und welche Strategien sie heute schon anwenden und in Zukunft noch anwenden können, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Die Frage, wie der Klimawandel zur Unterentwicklung beiträgt, ist für diese Ar­beit von geringerer Bedeutung.

Es besteht also die Notwendigkeit, ein eigenes Modell, ohne einen der oben ge­nannten theoretischen Hintergründe, zu entwickeln. Es wird den sozialen Wandel, bedingt durch den Klimawandel, aufzeigen. Aufgrund der oben erwähnten „geog- raphisch-klimatologischen“ Unkenntnis zeigt der nachfolgende Abschnitt die Grundlagen des Klimawandels auf. Er dient zur allgemein verständlichen Darstel­lungen eines zu oft vernachlässigten Aspekts bei der Behandlung von sozialem Wandel.

4. Der Klimawandel

Im folgenden Abschnitt sollen neueste Erkenntnisse zum Klimawandel zusam­mengefasst und erläutert werden. Zunächst werden grundlegende Begriffe und Themen wie Klima oder Klimawandel definiert und aufgegriffen, um anschlie­ßend die Ursachen des Klimawandels, nach heutigem Kenntnisstand, aufzuzeigen. Nachfolgend wird näher auf die Auswirkungen, Vulnerabilität und den Klima­schutz eingegangen. Als Grundlage hierfür dient der vierte Sachstandsbericht (AR4) des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Es wird ein all­gemeiner Überblick gegeben, wobei hier natürlich kein allumfassender Überblick der Klimaentstehung und -veränderung erarbeitet werden kann.

4.1 Grundlagen des Klimawandels

Um sich den Grundlagen des Klimawandels anzunähern, muss erst einmal festge­legt werden, was unter Klima zu verstehen ist. Vereinfacht gesagt: die statistische Aufarbeitung des Wetters. Es werden Mittelwerte der Temperatur, Niederschlag usw. ermittelt, sowie weitere Kennwerte, bspw. Varianz oder Spannweite, über einen bestimmten Zeitraum[11] gemessen (vgl. Hupfer; Kutler 2006: 5). Als wich­tigste Variablen gelten hier Temperatur und Niederschlag, insbesondere deren

Mittelwerte. Zusätzlich dienen untergeordnete Kategorien, wie Feuchtigkeit, Windverhältnisse oder Schneefallmenge, je nach Jahreszeit, der Ermittlung des Klimas. Die Werte der einzelnen Perioden[12] schwanken um langfristige Mittel­werte, die das Klima abbilden, und werden in der kurzfristigen Betrachtung als Wetter bezeichnet (vgl. Joussaumme 1996: 20). Grundsätzlich ergibt sich also aus der langfristigen Betrachtung des Wetters und der Ermittlung der Mittelwerte oben genannter Variablen sowie weiterer Ausprägungsmerkmale das Klima.

Mit den bisherigen Ausführungen kann zwar ein weltweites Klima beschrieben werden, was aber nicht besonders zweckmäßig für die hier vorliegende Problem­stellung ist. So ergäbe eine Erwärmung der nördlichen Hemisphäre um 10°C und eine Abkühlung der südlichen um 10°C eine Veränderung im Mittel von 0°C bei einer Varianz von 100°C. Hier fehlt eine regionale Zuordnung, denn eine Erwär­mung von 0°C mit entsprechender Varianz sagt nur aus, dass es große regionale Unterschiede gibt, die aber scheinbar keinen Einfluss auf das Gesamtbild haben. Es muss demzufolge noch eine regionale Beschreibung des Klimas folgen. In die­ser regionalen Beschreibung werden noch weitere, spezifische, Ausprägungen von Variablen wie Hitze-, Kältewellen, Überschwemmungen und Dürren vorgestellt (vgl. Joussaume 1996: 20). Hieraus können dann verschiedene Klimata für Zeit­räume, bspw. das monatliche Klima, und Regionen ermittelt werden, um einzelne Regionen wiederum zu Klimaregionen zusammenfassen zu können. Als weiterer Indikator für die Gleichartigkeit von Regionen wird die Flora hinzugezogen, weil sie als eine der geeignetsten Ausprägungen für unterschiedliche Klimata gilt (vgl. Joussaume 1996: 20 f.).

Weltweiter Standard ist die von Wladimir Köppen entwickelte Klimakarte, die er anschließend mit Rudolph Geiger noch mehrmals überarbeitete und die von Gei­ger 1961 in ihrer letztendlichen Version veröffentlicht wurde (vgl. Kraus 2004: 370). Das Klima wird gemäß Köppen in Klimazonen, Klimatypen (nach Nieder­schlag) und Klimauntertypen (nach Temperatur) untergliedert und so ergibt sich eine regionale Unterscheidung mit jeweils drei Merkmalsausprägungen[13] (vgl. Kraus 2004: 370):

[...]


[1] Zeitweilig ausgetrockneter Flusslauf in einem Trockental.

[2] Zum Vergleich BIP Deutschland: 2.498 Mrd. € (~ 3.297 US$) (Statistisches Bundesamt Deutsch­land 2011).

[3] Sorghum und Millet sind Hirsearten, die besonders gut in warmen und trockenen Gebieten wach­sen.

[4] Wobei im aktuellen Diskurs auch die gegenläufige Meinung vorhanden ist, dass bestehende Mo­delle ausreichend seien, um die Realität abzubilden (vgl. Reißig 2009: 15 f.).

[5] Strukturbildung, bzw. Möglichkeiten und Hemmnisse zu ebendieser.

[6] Mit den Subsystemen Staat und Wirtschaft.

[7] Ohne natürlich die Ausprägung vorhersagen zu können.

[8] In Anlehnung an den ökonomischen Innovationsbegriff und zur Abgrenzung von Erfindungen oder Entdeckungen.

[9] Mikro-, Meso- und Makro-Ebene.

[10] Zumindest von denjenigen Ländern, die nicht unterhalb des zukünftigen Wasserspiegels liegen.

29

[11] I.d.R. sind 30 Jahre nötig, um ausreichend signifikante Werte zu erhalten.

[12] Als Periode ist ein Jahr bzw. ein Jahresabschnitt (Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Regenzeit, Trockenzeit etc.) zu verstehen.

[13] Köppen verwendet Buchstaben für jede Ausprägung, sodass sich für jede Region eine Kombina­tion aus drei Buchstaben bilden lässt.

Ende der Leseprobe aus 199 Seiten

Details

Titel
Klima und Gesellschaft im Wandel
Untertitel
Zur Vulnerabilität der Sahelzone am Beispiel des Senegal
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Soziologie)
Note
1,0
Autoren
Jahr
2011
Seiten
199
Katalognummer
V185095
ISBN (eBook)
9783656099765
ISBN (Buch)
9783656099635
Dateigröße
21072 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Diplomarbeit beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels und der Verletzbarkeit der Sahelbevölkerung. Zunächst wird ein historischer Abriss dargelegt und die Dürre der 1970er Jahre thematisiert. Es wird mithilfe eines Simulationstools (ithink/Stella) der Verlauf und die Auswirkungen des Klimawandels auf ausgewählte Faktoren simuliert. Zudem wird ein sehr verständlicher Überblick über den aktuellen Stand der Klimaforschung gegeben. Abschließend werden verschiedene Lösungsansätze aufgezeigt.
Schlagworte
Klima, Klimawandel, Sahel, Sahelzone, Klimasimulation, Vulnerabilität, Entwicklungszusammenarbeit
Arbeit zitieren
Bjoern Schueler (Autor:in)Sissy Sepp (Autor:in), 2011, Klima und Gesellschaft im Wandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185095

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