Die Verschwörung des Fiesko zu Genua - Ein republikanisches Trauerspiel (1783)


Forschungsarbeit, 1985

21 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

Staatsaktion und Herz - „Situationen für die Menschheit“ - Funktion der Vorrede - Anthropologische und politische Dimension - Bedeutung der Schreibsituation - Argumentationsstruktur - Basis: „Druck des bürgerlichen Lebens“ - der große einzelne als Garant der Rettung - Fiesko als Karl Moor

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Höfisches Fest - galantes Treiben - Leonore als Betrogene - der Ehemann und Held - Privates und Öffentliches - Szenenfolge im ersten Akt - auch Klamauk: Fremdgehaktionen, Mordversuch, Vergewaltigung - Politische Handlung privat motiviert - „Bilder“ statt Auftritten

(2)

Handlungsblöcke - Leonore als beständig Treue - Julia als feudales Flittchen - Notwendigkeit der Revolte - Empörung bei den Handwerkern - Verschwörung im Adel - Position der handeltreibenden Patrizier - Fiesco Republikaner oder Herzog

(3)

Tendenz nach Größe -Retardierendes - Milieu - Putsch und erhabener Großmut - Leonore zu Fieskos Plänen - Empfindsamkeit und Politik -Distanz zwischen den Gatten

(4)

Handlungsblöcke - Gianettino als gerichteter Tyrann - Bertha und Bourgognino als ein Moment der Versöhnung - der Mohr: ein Vertreter der Plebs - Andreas Doria und das bürgerliche Aufklärungsideal des vernünftigen Herrschers - pirvates Leid und öffentlicher Triumph: der Gattenmord aus Versehen - phobos und eleos - der Tod Fieskos als dramatische Notwendigkeit

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Der rote Faden des Trauerspiels, die Handlungsdynamik - Bedrohung der aufgeklärten Herrscherposition durch persönliche Willkür - Rebellion des Adels oder der Aufstand der Vielen - Tote aus Notwendigkeit - Die Mannheimer Fassung - Fiesko und Tell - Größe, Heldentum als Voraussetzung für gesellschaftliche Änderungen - verschiedene Modelle von Herrschaft - Geschichte als Kampf - Fiesko als poetisierter Ausdruck zeitgemäßer Probleme des 18. Jahrhunderts

Titel und Untertitel lassen vermuten, um was es in dem Stück gehen wird: um die (scheiternde) Verschwörung des Adligen Fiesko gegen den Versuch der Errichtung eines (absolutistischen) erblichen Herzogtums in Genua, das die ‘Republik’, d.h. die Selbstbestimmung der Adligen im Rat vernichten würde. Vom Stoff her sind italienische Renaissance-Verhält­nisse poetisiert; das Stück spielt 1547 in Genua (nach der Angabe des Dichters am Ende des Personenverzeichnisses). Dunkel bleibt, in welche Richtung konkret Fieskos Verschwörung gehen wird, was er selbst anstrebt. Geht es um eine Frondebewegung, eine Erhebung des Adels gegen die ihn einengende Zentralgewalt des Fürsten oder steht Fiesko auch für die Bür­ger, gar für das ganze Volk? Republikanisches Trauerspiel mag den Le­ser vorsichtig machen in der Vermutung, daß es Fiesko um die Erhaltung oder Herstellung einer (Volks-)Republik gehe. Jedenfalls wird durch diese Überschriften eine ganz bestimmte Erwartung geweckt. Es müßte wesent­lich um Politisches gehen.

Was Titel und Untertitel nicht nennen, verrät sogleich die Vorrede, die so gesehen antithetisch ausgleicht: daß es nicht allein um den politische(n) Helde(n) gehen kann, daß vielmehr die kalte, unfruchtbare Staatsaktion aus dem menschlichen Herzen herauszuspinnen sei[1]. Was das heißt, wird sich an der ersten Szene des Stückes deutlich zeigen lassen. Der Poet will das Politische an das menschliche Herz anknüpfen und - das entspricht aufklärerischem Sendungsbewußtsein - ­Situationen für die Menschheit entwerfen. So ist mit Nachdruck be­tont, daß das Stück thematisch ein Doppeltes durchspielt: Privates und Öf­fentliches. Der Interpret wird sich vor Einseitigkeiten hüten müssen und genau zu lesen haben. Storz überakzentuiert, wenn er schreibt: Der poli­tische Gehalt des historischen Stoffes wird also eindeutig und uneinge­schränkt als Hindernis für die Arbeit des Dramatikers und als Gefahr für die dichterische Wirkung des Dramas gesehen[2]. Politisches ist nicht bloß Hindernis, sondern Mittel, an dem das Beweisinteresse sich abarbeiten und artikulieren kann. Storz muß auch zugeben, daß einem Politikverständnis, dem Staatsaktion als erfindrische Intrige[3] gilt, die Kritik der Aufklärung am Principe des Machiavelli einerseits, Empfindsamkeit und bürgerliches Selbstgefühl andererseits eingeschrieben sind[4]. Auch fest­zuhalten bleibt als wichtiges Ergebnis geistesgeschichtlicher Forschung, was der Gegensatz Staatsaktion vs. Herz bedeutet: Die Gegenüberstellung von menschlicher Unverdorbenheit des an der Politik Unbeteiligten einerseits, von moralischer Verkommenheit des Staatsmannes andererseits (der im Deutschland des 18. Jahrhunderts vom Hofmann nicht wohl unterschieden werden

konnte) war um 1780 längst geläufig.[5] Daß der Gegensatz längst geläufig war, belegt nur, wie wichtig er dem dichtenden Zeitge­nossen erschien. Er wird dadurch nicht unbedeutend.

Genaue Betrachtung verdient auch der letzte Satz der Vorrede: Mein Verhältnis mit der bürgerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter als dem Kabinett, und vielleicht ist ebendiese politische Schwäche zu einer poetischen Tugend geworden. Genaues Lesen heißt hier, daß man das apologetische und verdeckende Moment in dieser Versi­cherung bemerkt: zunächst ist richtig, daß Schiller als Privatmann nicht allzuviel von Kabinettssachen, politischen Vorgängen wissen konnte. Andrer­seits soll der Satz suggerieren, es sei ihm darum auch nicht gegangen. Die Bemerkung beruhigt Zensor, Verleger, Publikum: um Politisches geht es doch gar nicht, versichert sie implizite. Der Satz ist Ausdruck der Inter­nalisierung objektiver Zwänge, zugleich Hinweis darauf, daß mit den Auf­forderungen - konkret etwa des Mannheimer Intendanten von Dalberg - nichts politisch Anstößiges zu bringen, die Sache nicht vergessen war.

Im übrigen läßt sich schön verdeutlichen, wie der Adressat das Ver­ständnis bestimmt. Glaubt man einer brieflichen Äußerung gegenüber Dal­berg, dann ging es dem Dichter um ein ganz groses Gemählde des wür­kenden und gestürzten Ehrgeizes (16. 11. 1782). Schiller negiert dem adligen Intendanten gegenüber die mögliche politische Dimension des Stückes und wendet alles ins Anthropologische; etwas, was Lessing schon mit Emilia Galotti gemacht hatte, der auch alles Politische fremd sei. Andrerseits schreibt er an den späteren Schwager Reinwald, der ein motziges Bewußtsein als subalterner fürstlicher Bibliothekar entfaltet, quasi in einem privaten Brief, in der Pfalz habe das Publikum (zu fragen wäre welches? Nämlich das adlige, das bürgerliche?) mit Freiheit nichts im Sinn.

Das sind keine Widersprüche, sondern aus Schreibsituationen erklär­bare Differenzen. Basis der Argumentation in diesem Stück ist die Er­fahrung vom Druck des bürgerlichen Lebens.[6] Durch die Ambivalenz in der Bedeutung des Wortes bürgerlich entsteht im übrigen die Doppel­dimension des Fiesko: im 18. Jahrhundert bezeichnet er die Schicht der Bürger (im Unterschied zum Adel und den unterbürgerlichen Schichten der Bauern, Tagelöhner), also primär die wohlhabenden Städter: Kauf­leute, In­telligenz, Handwerkermeister; dann aber steht das Wort für: häuslich, pri­vat, die einzelne Person betreffend.

Aus der Erfahrung von Druck resultiert die Frage, was zu tun sei. Wie schon in den Räubern taucht der große starke Einzelne auf, der als Garant einer möglichen, verbessernden Änderung gilt. Er ist eine Figuration des aus anderen Sturm- und Drang-Dichtungen bekannten Selbsthelfers, der es der Welt einmal zeigen will.

Fiesko ist charaktertypentheoretisch identisch mit Karl Moor, eine Variante des Starken, der eine - wie auch immer beschaffene - politische Änderung will (hier den Umsturz der Republik) aus der Hoffnung heraus: wenn erst das Ganze gut, wenigstens besser sei, dann müsse es auch dem armen Einzelnen endlich mal ordentlicher gehen.

Für das Verständnis vorklärend ist die genaue Beschreibung der Per­sonen des Stücks in der ersten Ausgabe von 1783 beim Mannheimer Ver­leger Schwan. Die ungewöhnliche Ausführlichkeit, hervorgerufen durch die Theaternähe - die Fassung läßt sich als Vorlage für Aufführungen und da­mit als Hinweis des Dichters für Besetzungen verstehen - bringt deutliche Charakterisierungen, eine Palette wesentlicher Figuren der Schillerzeit

(und nicht bloß der Renaissance): Der alte Doria, Doge von Genua, wird als Ehrwürdiger Greis von 80 Jahren gedacht. Spuren von Feuer. Ein Haupt­zug: Gewicht und strenge befehlende Kürze. Er ist der Patriarch, der strenge Gott und Vater, der kaum Widerspruch hervorruft. Man fühlt sich von ihm streng, aber gerecht behandelt. Er kann als guter Herrscher gel­ten, damit als Modell bürgerlich-reformerischer Aufklärung für die Staats­spitze.

Anders der als Nachfolger vorgesehene Neffe Gianettino, der nach dem Wunsch des Alten das Dogenamt übernehmen und damit eine erbliche Herrschaft errichten soll, die die Privilegien des Adels gefährdet. Der jun­ge Doria ist Rauh und anstößig in Sprache, Gang und Manieren. Bäurisch ­stolz. Die Bildung [das Äußere] zerrissen. Damit ist durch Gestik und Mimik schon das Schlechte in seiner Thronprätention angedeutet.

Die Titelfigur Fiesko ist ein Junger, schlanker, blühendschöner Mann von 23 Jahren - stolz mit Anstand - freundlich mit Majestät - höfisch geschmeidig, und ebenso tückisch. Schiller hat das Schwankende seines Charakters hier bezeichnet. Für die Strukturierung der Erwartung ist we­sentlich, was sonst an Personen genannt wird: Verrina, verschworner Re­publikaner; dann weitere Verschworene, Mißvergnügte, auf­rührerische Bürger. Das ist die eine Seite des Programms: diejenigen, die gegen die bestehende Herrschaft agieren werden. Die andere ist nur schwach vertre­ten: Lomellino, Gianettinos Vertrauter, ist ein ausgetrockneter Hofmann.

Nicht nur die auftretenden Männer sind typisiert, auch die wenigen Frauen. Leonore, die Gemahlin Fieskos, ist eine Dame von 18 Jahren. Blaß und schmächtig. Fein und empfindsam. Sehr anziehend, aber weniger blendend. Im Gesicht schwärmerische Melancholie. Schwarze Kleidung.

Was sie ist, wird besonders deutlich, wenn man sich ihre Gegenspie­lerin ansieht: Julia, Gräfin Witwe Imperiali, Dorias Schwester, wegen der Fiesko (anscheinend) untreu wird. Sie ist eine Dame von 25 Jahren. Groß und voll. Stolze Kokette. Schönheit verdorben durch Bizarrerie. Blendend und nicht gefallend. Im Gesicht ein böser moquanter Charakter. Schwarze Kleidung. Schwer ist zu verbalisieren, wofür beide Frauen stehen: Julia für die galante höfische Welt, sie ist deren vom Dichter kritisch gemeintes Bild; Leonore für Tendenzen, die mit dem höfischen Glanz ihre Probleme haben. Der Dichter charakterisiert sie mit Modewörtern wie empfindsam, schwärmerisch, Melancholie. Somit wird deutlich, daß beide Charaktertypen des letzten Drittels, jedenfalls der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertreten. Es sind Menschen seiner, Schillers, Zeit, nicht der des historischen Stoffes. Deutlich auch, daß beide Typen wesentliche der Zeit sein müssen. Schließlich deutlich, daß beide über ihre historische Bestimmtheit hinaus schon klassisch allgemeinere menschliche Charaktere vertreten. Wenn man will, ist Leonore die Introvertierte, Julia extravertiert, auf ge­sellige Zerstreuung gerichtet. Für die Poetik des Stückes mag erwähnt werden, daß Schiller hier mit wenigen Zügen ein breites Bild der Zeit und ihrer Probleme entwirft.

(1)

Das Stück beginnt mit einem adlig-höfischen Fest, einem galanten Ball, einer Redoute. Leonore hat bemerkt: Es ist am Tag; dies nämlich: daß der Gatte mit Julia be­schäftigt ist, modern flirtet, fremdzugehen vorhat. Sie ist als Empfindsame erschüttert: vor meinen weinenden Augen. Tröstungen des Kammermäd­chens: nein, eine Galanterie, kann sie nicht akzeptieren. Mit dieser Auffassung von Moral bzw. schlicht: menschlichem Leben, hat sie nichts zu tun. Sie sanktioniert nicht modisch die Versuche erotisch- sexueller Ausschweifung des Gatten. Sie stellt gleichsam natürliche Eifersucht gegen das galante Wesen. Bliebe es nur dabei, so käme das Stück über, modern, eine Boule­vardkomödie nicht hinaus. Schiller hat es aber nicht bei diesen privaten Di­mensionen gelassen, sondern Öffentliches hineingebunden. Bei der Trauung, so erinnert die sich betrogen Fühlende sentimental, melancholisch, dachte sie: dieser dein Fiesko [wird] uns Genua von seinen Thyrannen er­lösen![7] Sie sieht den Gatten also emphatisch als öffentlichen Helden ­nicht bloß als Ehemann, was ihr das Kammermädchen auch ironisch vor­hält[8]. Tiefe - wenn der Terminus gestattet ist - gewinnt das Stück durch diese Verbindung der privaten und öffentlichen Dimension Ach Mädchen! Nicht Genua allein verlor seinen Helden - auch ich meinen Gemahl! Gestaltet wird so das Leben. Die erste Szene deutet die Thematik deutlich an.

Die folgenden Szenen wären auf einer Drehbühne zu spielen oder, in­dem aus dem Hintergrund des Festtreibens einzelne Personen und Gruppen nach vorn treten. Sie hängen zunächst nicht zusammen. Gianettino mas­kiert im grünen Mantel (was später noch bedeutsam wird) bespricht mit dem Mohren die Ermordung Fieskos (I,2). In die höfische Atmosphäre kommt auf diese Weise, was Schiller auch im Geisterseher benutzt: Verbrecherisch-Verruchtes, hier im Gewand von Praktiken der italieni­schen Renaissance. Kalkagno, ein Verschworener, gesteht einem Freund, daß er Leonore liebt; er spinnt damit die galante Motivreihe weiter. Gleich­zeitig versichert der Freund: Ich bin ein Bettler, wenn die itzige Ver­fassung nicht übern Haufen fällt. Die dritte Szene ist damit, wie die er­ste, semantisch strukturiert: sie verknüpft Privates und Öffentliches: Eine Staatsveränderung soll mir Luft machen.

Der vierte Auftritt bestätigt dem Zuschauer sinnlich, daß Fiesko hinter Julia her ist, daß die Gattin also nicht falsch vermutet bzw. gesehen hat. Er betont damit die private, gesellige Dimension. Der fünfte Auftritt steht dazu antithetisch. Gianettino halb betrunken, verspricht dem Lomellino die Prokuratorwürde, wenn er ihm eine bestimmte Frau verschafft. Ich will du sollst Prokurator sein, das ist so viel als alle Stimmen der Signoria! Gezeigt wird, was den Ge­nuesern, wenn Gianettino Herr ist, ins Haus steht: fürstlich-absolutisti­sche Willkür, primärer Sinn der Politik: Befriedigung der privaten Interessen des Fürsten. Vorbereitet wird so, legitimiert, die Notwendigkeit der Ver­schwörung.[9]

Dagegen wiederum ist - und hier mag deutlich werden, daß die schnelle Szenenfolge im ersten Aufzug kunstvoll durchdacht ist - antithe­tisch gesetzt der Revolutionsverzicht Fieskos im Gespräch mit dem jungen Doria (I,6): Gianettino herrscht über meinen Kopf und Genua; über mein Herz Ihre liebens­würdige Schwester, versichert er dem Prätendenten. Gianettino Doria mag über Genua herrschen. Fiesko wird lieben. Fiesko anerkennt Doria als Herzog; er selbst ist ganz Epikureer worden. Ange­deutet ist, wie politische Absicht erlahmt, in gutem Leben erliegt. In der Szene selbst antithetisch gegen die Ergebung Fieskos gesetzt, ist der Schluß: Platz dem Namen des Herzogs! Darauf eine von den drei Masken (den Verschworenen): In der Hölle! Niemal in Genua!

Die Verschworenen melden Protest an; in der folgenden Szene (I,7) bei Fiesko unmittelbar. Er ist ihnen Gesunkener Sohn der Republik; sie tragen Trauerkleider um Genua. Fiesko kann nur von seinem anakreontisch-galanten Erlebnissystem her antworten: Wir trinken Cyprier und küssen schöne Mädchen. Staatsgeschäfte werden uns keine grauen Haare mehr machen. Er merkt allerdings, daß Verrina, dieser Republikaner, hart wie Stahl ist. Vor­bereitet wird so schon die Peripetie, der Umschlag seiner Haltung. Zunächst aber (I,8) wird noch Milieu gemacht: Bourgognino, der frühere Verehrer Leonores, fordert Fiesko zum Duell - als Reaktion auf dessen Verrat an der Gattin; Bourgognino will die noch immer Geliebte rächen. Das bleibt, weil Fiesko ein Duell ablehnt, ohne Folgen. Es genügt aber für eine wich­tige Einsicht des Helden, die mit zu seiner Änderung beiträgt: Wenn diese Flammen [der Begeisterung für eine Sache] ins Vaterland schlagen, mögen die Doria feste stehen.[10] In das Renaissance- und Feudalmilieu als ge­selliges dringt Gesellschaftlich-Politisches in der Andeutung, daß Re­bellion möglich werden könnte.

Was so vorbereitet wurde, die Gesinnungs­änderung Fieskos, bringt die nächste Szene (I,9) sehr weit voran: der Mohr will ausführen, wofür er in I,2 von Doria beauftragt wurde. Die Ermordung bleibt Versuch, sie öffnet Fiesko aber die Augen. Er verzichtet beim Moh­ren auf Rache und macht ihn zu seinem Helfer: suche die Witterung des Staats. Lege dich wohl auf Kundschaft, wie man von der Regierung denkt und vom Haus Doria flüstert, sondiere daneben, was meine Mitbürger von meinem Schlaraffenleben und meinem Liebesroman halten. Den großen Lauschangriff gab es also schon immer.

Während diese Szene bei Fiesko die Peripetie nur vorbereitet, tritt sie in der folgen­den bei Verrina ein: er findet die sonst fröhliche Tochter traurig, vergewaltigt von einer Maske, deren Mantel grün war. Für ihn war vorher schon klar, daß Genuas Freiheit [...] dahin (ist). Er sieht daß der Bube in das Heiligtum der Gesetze griff. Doria hat vor, Öffentliches, die Einrichtung des Staates absolutistisch zu ändern. Er hat auch Privates zer­stört: Der Bube mußte noch ins Heiligtum deines [Verrinas] Bluts greifen. Verständlich ist, daß der so getroffene Vater sich an Virginius und dessen Tochter erinnert (bei Schiller zweifellos vermittelt durch Lessings Emilia Galotti).

Die elfte Szene ist epischer Bestandteil: Verrina berichtet rhetorisch poetisch geschmückt den Genossen, was geschehen. Auch der Rest des Auf­zuges bringt, was extrapolierbar wäre: Bourgognino, der potentielle Bräu­tigam der Vergewaltigten erscheint, schwört, wie sich das gehört, den Do­ria zu töten - und damit implizite Genuas Freiheit zu retten. So ist wich­tig: daß das, was Staatsaktion (auch) ist, privat (mit-)motiviert wird.[11] Den Anstoß zum Losschlagen gibt die private Ausschweifung des Prätenden­ten, sein strafrechtlich zu ahndendes Vergehen. Seine politisch-staatliche Schuld, die Usurpation, spielt im Stück beiher - vielleicht nicht in der Sa­che. In der letzten Szene überlegen die Verschworenen, ob Verbündete ge­wonnen werden sollen. Man will zunächst mit Fiesko anfangen, prüfen, wie er, der doch vor der Hinwendung zur republikanischen Sache steht, sich verhält. Der erste Aufzug bringt zwei Bilder, die nur äußerlich formal durch den Auftritt von Personen in Auftritte gegliedert sind. Bild hier ganz in dem Sinn, wie es aus den Räubern bekannt ist: das erste Bild ist der Ball bei Fiesko mit seinen antithetisch strukturierten Szenen und Motiven: ehe­liche Treue, deren Enttäuschung durch Untreue, galantes Wesen vs. Empfind­samkeit. Dieses Bild, das die private Problemebene sinnlich entfaltet, wird ergänzt durch Zimmer bei Verrina (I,10), worin die zweite Dimension des Stücks, die öffentliche, zu spielen beginnt. Absolutheitsanspruch eines Einzelnen vs. Ansprüche mehrerer (historisch: der Signoria, der Vertreter des Adels und des Patriziats); Willkür des absoluten Fürsten, Notwendigkeit der Rebellion, Gefahr der Anpassung (hier durch das erotisch-galante Treiben motiviert) bei Fiesko, bzw. Gefahr im Sinne der republikanisch Gesinnten, daß Fiesko die Umstände nutzt und sich selbst zum Herzog macht. Der erste Aufzug ist so von einer Fülle von Szenen, die in sich sinnvoll struk­turiert sind und antithetisch zusammenhängen, bestimmt. Er entwirft in großer Breite die Thematik, ist im Sinne dramenpoetischer Bestimmungen Exposition. Man ist, wenn man folgen konnte und von dem schnellen Szenen­wechsel nicht verwirrt wurde, gespannt, wie es weitergeht.

[...]


[1] Zitate nach: Schillers Werke, hrsg. v. L. Bellermann, Leipzig o.J., Bd. 2, S. 172. Deshalb sind die Positionen in der Forschung z.T. sehr einseitig: Korff (Goethezeit I, 208 ff), nach ihm Lützeler, Die große Linie zu einem Brutuskopfe. Republikanismus und Cäsarismus in Schil lers Fiesko, in: Monatshefte, 70, 1978, S. 15-28). Außerdem H. Kraft, Um Schiller betrogen, 1978, S. 59-69 betonen die politische Dimension: wobei allemal klar ist, wo der Poet im Streit zwischen Freiheit und Despotie (Korff) steht. Regine Otto, in der DDR-Li teraturgeschichte, Bd. 6, 1979, S. 823, nimmt hier Schillers Selbst explikation ernster: Fieskos Charakter und Handeln sind auf den un ter den gegebenen Klassenverhältnissen unversöhnlichen Widerspruch zwischen Politik und Herz, zwischen Macht und Menschlichkeit ge gründet. Durch diese Polarisierung führte Schiller das Menschenbild des Dramas aus seiner gleichsam individuellen Begrenzung hinüber in die Epochenproblematik. In mehrsträngiger Beweisführung demonstriert das Werk die Unmenschlichkeit als einen objektiven Wesenszug der fürstlichen Macht.

[2] G. Storz. D. Dichter Fr. Sch., Stuttgart 1959, S. 75. Storz, geb. 1898, natürlich Mitglied im NS-Lehrerbund, Oberstudiendirektor, CDU-Mitglied und sechs Jahre Kultusminister in Baden-Württemberg (1958-1964) schreibt ganz im Stil der unpolitischen Werkinterpreation der Adenauer-Ära.

[3] Vorrede

[4] Storz, Titel A. 3, S. 75

[5] Ebd., S. 75f., Storz verweist auf Lessings Emilia Galotti (Appiani vs. Marinelli), Goethes Götz (Gegensatz zwischen Jagsthausen und Bamberg) und Clavigo (Beaumarchais vs. Carlos).

[6] NA 22, S. 90.

[7] Gesperrt bei Schiller

[8] Und diese Vorstellung kam einem Frauenzimmer am Brauttag?

[9] Im übrigen erinnert die Szene an Lessings Emilia Galotti, wo auch der Berater in ähnlicher Weise die sexuellen Wünsche seines Fürsten befriedigen will.

[10] Auch dieses Motiv wird später (in I,12) wieder aufgegriffen. Für die poetische Struktur des Aufzuges bleibt das festzuhalten.

[11] G. Storz schreibt (Titel A. 3), S. 80): "Nicht weil Gianettino die Verfassung der Republik offenkundig verachtet, ist er für Bourgognino ein Tyrann, sondern weil er die Gesetze der Menschlichkeit mit Füßen getreten und seine Bertha mißbraucht hat."

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Verschwörung des Fiesko zu Genua - Ein republikanisches Trauerspiel (1783)
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1985
Seiten
21
Katalognummer
V184846
ISBN (eBook)
9783656102922
ISBN (Buch)
9783656102663
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schillers Fiesko, der für ihn selbst zu einem Fiasko wurde, wird kritisch, unter Eiunbezug der wissenschaftlichen Literatur für uns heute interpretiert.
Schlagworte
verschwörung, fiesko, genua, trauerspiel
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Erwin Leibfried (Autor:in), 1985, Die Verschwörung des Fiesko zu Genua - Ein republikanisches Trauerspiel (1783), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184846

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