Die Bedeutung des frühen Fremdsprachenunterrichts und der Methode des storytellings in der Grundschule

Exemplarische Darstellung des Einsatzes von authentischer Kinderliteratur im Englischunterricht einer bilingualen Klasse der dritten Jahrgangsstufe


Examensarbeit, 2011

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Gründe für den Frühbeginn
2.1 Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung
2.1.1 Zu den Begriffen Muttersprache, Zweitsprache und Fremdsprache
2.1.2 Spracherwerb und Sprachenlernen
2.1.3 Die Critical Period Hypothesis
2.2 Bildungspolitische Gründe

3 Die Entwicklung des frühen Fremdsprachenunterrichts
3.1 Anfänge in den 20er Jahren
3.2 Die erste Hochphase des Frühbeginns in den 60er und 70er Jahren
3.3 Neue Entwicklungen seit den 90er Jahren: „Lernen für Europa“
3.4 Didaktische Konzepte des Fremdsprachenunterrichts
3.4.1 Das Immersionskonzept
3.4.2 Begegnung mit Fremdsprachen
3.4.3 Das systematische Lehrgangskonzept
3.5 Die aktuelle Situation in Deutschland

4 Prinzipien eines grundschulgemäßen Fremdsprachen­unterrichts
4.1 Kindorientierung
4.2 Handlungsorientierung
4.3 Authentizität

5 Inhalte und Ziele des frühen Fremdsprachenunterrichts
5.1 Sprachliche Fertigkeiten
5.1.1 Hörverstehen
5.1.2 Sprechen
5.1.3 Lesen und Schreiben
5.1.4 Language awareness
5.2 Cultural awareness
5.3 Affektive und motivationale Ziele

6 Storytelling
6.1 Die Bedeutung des storytellings für das frühe Fremdsprachenlernen
6.2 Kriterien zur Auswahl geeigneter Geschichten
6.3 Semantisierungshilfen
6.4 Techniken des storytellings
6.5 Phasen des storytellings
6.5.1 Die pre-storytelling-Phase
6.5.2 Die while-storytelling-Phase
6.5.3 Die post-storytelling-Phase

7 Praktische Unterrichtseinheit zum Thema storytelling
7.1 Schulprofil
7.2 Klassenprofil
7.3 Sachanalyse
7.4 Lehrplanbezug
7.5 Allgemeine didaktisch-methodische Überlegungen zur Unterrichts­einheit
7.6 Didaktisch-methodische Überlegungen zu den einzelnen Unterrichts­stunden
7.6.1 Die erste Unterrichtsstunde: Vorentlastung
7.6.2 Die zweite Unterrichtsstunde: storytelling Teil 1
7.6.3 Die dritte Unterrichtsstunde: storytelling Teil 2
7.6.4 Die vierte Unterrichtsstunde: Ergebnissicherung
7.7 Reflexion der Unterrichtseinheit
7.7.1 Reflexion der ersten Unterrichtsstunde
7.7.2 Reflexion der zweiten Unterrichtsstunde
7.7.3 Reflexion der dritten Unterrichtsstunde
7.7.4 Reflexion der vierten Unterrichtsstunde
7.7.5 Auswertung der Feedbackbögen
7.7.6 Abschließende Reflexion der gesamten Unterrichtseinheit

8 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Seit seiner flächendeckenden Einführung in Deutschland ist der Fremdsprachenun­terricht in der Grundschule ein kontroverses und teils heftig diskutiertes bildungspoli­tisches Thema. So veröffentlichte beispielsweise der Spiegel dazu einen kritischen Artikel mit dem programmatischen Titel „Effekt gleich null“[1], in dem die Effizienz des Englischunterrichts in der Primarstufe und sein Nutzen für die weiterführenden Schulen angezweifelt wird. Zu Recht wird als Kritikpunkt die übereilte Reaktion der Bildungspolitiker genannt, welche bei der Einführung des Frühbeginns die Fragen nach der Qualifikation der Lehrkräfte und der Anknüpfung in der Sekundarstufe au­ßer Acht ließen. Viele Lehrer[2] wurden trotz fehlender didaktischer und fremdsprach­licher Ausbildung plötzlich vor die Aufgabe gestellt, in ihren Grundschulklassen Eng­lisch zu unterrichten, und hatten keine andere Wahl, als ihren Fremdsprachenunter­richt nach bestem Wissen und Gewissen zu gestalten. Dieses Wissen speist sich in der Regel aus den eigenen Erfahrungen mit dem Fremdsprachenunterricht in der Sekundarstufe; das Fremdsprachenlernen in der Grundschule gehorcht jedoch sei­nen eigenen Prinzipien, da Kinder ganz andere Lernvoraussetzungen mitbringen, als ältere Schüler. Nur unter der Berücksichtigung dieser besonderen Vorausset­zungen und der Erkenntnisse aus der Sprachlehrforschung kann der Fremdspra­chenunterricht in der Primarstufe auch sinnvoll und effektiv gestaltet werden. Diese Tatsache muss nicht nur den Grundschullehrern, sondern auch den Lehrkräften der weiterführenden Schulen bewusst gemacht werden, die sich über fehlerhafte fremd­sprachliche Äußerungen ihrer Fünftklässler beschweren, statt die kommunikative Leistung der Schüler anzuerkennen. Wer einmal die Gelegenheit bekommt, einem modernen und qualitativ hochwertigen Englischunterricht in der Grundschule beizu­wohnen, wird schnell feststellen, dass der Effekt keineswegs „gleich null“ ist. Bei einer entsprechenden Gestaltung des Unterrichts verfügen die Schüler am Ende ihrer Grundschulzeit über grundlegende sprachliche Redemittel, welche sie zu ein­fachen Äußerungen in der Fremdsprache befähigen. Sie sind in der Lage Hörver­stehensstrategien anzuwenden, die es möglich machen, ganze englischsprachige Kinderbücher zu verstehen, und haben bereits landeskundliches Wissen über die Zielsprachenländer erworben. Man kann vor allem aber beobachten, mit welch spürbarer Freude und Begeisterung die Kinder dem Unterricht folgen und wie offen und wissbegierig sie der fremden Sprache und Kultur begegnen. Genau diese posi­tiven Erfahrungen sind es, die die Schüler für das weitere Sprachenlernen motivie­ren und sie zu weltoffenen und toleranten Bürgern heranwachsen lassen. Damit diese positiven Einstellungen der Schüler auch in ihrer weiteren Schullaufbahn er­halten bleiben, bedarf es unbedingt einer engeren Zusammenarbeit zwischen Pri­mar- und Sekundarstufe. Aufgabe der Grundschule ist es, die Kinder über die An­forderungen der weiterführenden Schulen zu informieren, während diese dazu an­gehalten sind, „sich mit dem Verständnis der Grundschule von Lehren und Lernen aus­einanderzusetzen und Perspektiven für den weiteren Lernprozess der Kinder durch Fortführung des Bekannten und Verknüpfen mit dem Neuen [...] zu entwickeln“ (Bliesener/Edelenbos 1998: 55).

Dass es in jedem Fall noch weiterer Aufklärungsarbeit hinsichtlich der Begründung für den frühen Fremdsprachenunterricht und dessen praktischer Umsetzung bedarf, wird mir selbst immer wieder in Gesprächen mit Kommilitonen bewusst (meist eben­falls Lehramtsstudenten), die nicht wissen, dass Englisch bereits in der Grundschule unterrichtet wird.

In dieser Arbeit werden zunächst die Gründe aufgeführt, die für ein frühes Fremd­sprachenlernen sprechen. Der darauffolgende Überblick über die historische Ent­wicklung des frühen Fremdsprachenunterrichts soll verständlich machen, welche politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu dessen Etablierung geführt haben und welche didaktischen Konzepte diskutiert worden sind, bevor der Fremd­sprachenunterricht in den deutschen Grundschulen flächendeckend und verbindlich eingeführt wurde. Nachdem die grundlegenden fremdsprachendidaktischen Prinzi­pien erläutert wurden, wird dargelegt, welche Ziele der Englischunterricht in der Grundschule verfolgt und an welchen Inhalten diese festgemacht werden können. Da eine umfassende Darstellung der didaktischen Möglichkeiten zur Gestaltung des Unterrichts den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, konzentriert sich diese auf die Methode des storytellings, welche meiner Ansicht nach mehrere zent­rale Aspekte des Fremdsprachenlernens auf ideale Weise vereint. Den ausführli­chen Erläuterungen zum gezielten Einsatz von authentischer Kinderliteratur im Eng­lischunterricht der Grundschule folgt die Beschreibung einer praktischen Unter­richtseinheit, die die Möglichkeiten dieser Methode exemplarisch aufzeigen soll. Die Durchführung der Unterrichtsstunden erfolgte in einer bilingualen dritten Klasse der St.-Anna-Volksschule in Augsburg.

2 Gründe für den Frühbeginn

Die diversen Begründungen, die letztlich zur Einführung des früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts geführt haben, können im Wesentlichen unter zwei Punk­ten zusammengefasst werden. Zum einen wird hier auf Grundlage der Spracher- werbsforschung argumentiert, deren Erkenntnisse die Vermutung nahe legen, dass Fremdsprachen im Kindesalter besonders erfolgreich gelernt werden können. In welchem Maße dies tatsächlich zutrifft, soll im Folgenden noch näher erläutert wer­den. Zum anderen ist die Notwendigkeit des frühen Fremdsprachenlernens mit den bildungspolitischen Forderungen nach Mehrsprachigkeit und der Grundlegung einer interkulturellen Kompetenz zu begründen, welche vor dem Hintergrund der zuneh­menden Globalisierung und Verflechtung der internationalen Beziehungen immer mehr an Bedeutung gewinnen (vgl. Roos 2007: 13).

2.1 Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung

Werfen wir also zunächst einen Blick in das Forschungsgebiet des Spracherwerbs. Dies ist nicht nur deshalb aufschlussreich, weil dort die Wurzeln der Diskussion um den Frühbeginn liegen, sondern vor allem auch weil sich dort die Grundlage für die Fremdsprachendidaktik befindet. Indem die Spracherwerbsforschung die Prozesse der Sprachaneignung genauer untersucht, liefert sie zugleich Antworten auf die - für die Didaktik entscheidenden - Fragen, inwieweit diese Prozesse durch einen geziel­ten Fremdsprachenunterricht steuerbar sind, in welchem Alter Fremdsprachen am erfolgreichsten gelernt werden können und welche Methoden sich für die Vermitt­lung einer Fremdsprache am besten eignen (vgl. Pienemann 2006: 34).

Bevor diese Fragen vor ihrem wissenschaftlichen Hintergrund erörtert werden, ist eine kurze Klärung der relevanten Begriffe Mutter-, Zweit- und Fremdsprache hilf­reich. Da diese Termini in der Fachliteratur uneinheitlich verwendet werden und häufig nicht klar definiert sind, kann und soll auch an dieser Stelle keine eindeutige begriffliche Definition geliefert werden. Der folgende Absatz dient vielmehr dazu, einen Überblick über die Bedeutungsmöglichkeiten dieser Begriffe zu verschaffen.

2.1.1 Zu den Begriffen Muttersprache, Zweitsprache und Fremdspra­che

Um die Prozesse des Spracherwerbs präzise untersuchen und beschreiben zu kön­nen, wird in der Forschung nach Muttersprache (L1) - also der Sprache, die der Sprecher im Säuglingsalter „ohne formale Unterweisung“ erwirbt (Glück 2010: 637) - und Nicht-Muttersprache (L2) unterschieden. In der Kategorie der Nicht­Muttersprache kann nach der Funktion, die die L2 für den Lernenden einnimmt, zu­sätzlich zwischen Zweitsprache und Fremdsprache unterschieden werden. Hat die L2 für den Sprecher eine existentielle sozialisatorische Funktion, wie beispielsweise die Sprache des Einwanderungslandes für Migranten, handelt es sich um seine Zweitsprache; ist dies nicht der Fall, bezeichnet man diese als Fremdsprache. In der Fachliteratur werden die Begriffe Zweit- und Fremdsprache nicht immer in diesem spezifischen Sinne gebraucht, sondern stehen oft synonym für den Oberbegriff der Nicht-Muttersprachen bzw. L2 (vgl. Edmondson/House 2000: 9f.).

Je intensiver sich die Forschung mit dem Spracherwerb auseinandersetzt, desto schwieriger gestaltet sich die eindeutige Abgrenzung dieser Begriffe zueinander, da zwischen den Aneignungsprozessen bei Mutter-, Zweit- und Fremdsprache eine größere Parallelität besteht, als ursprünglich angenommen. Diese Problematik wird an der häufig getroffenen Unterscheidung zwischen Spracherwerb und Sprachen­lernen besonders deutlich.

2.1.2 Spracherwerb und Sprachenlernen

Wird in der Forschung zwischen Spracherwerb und Sprachenlernen differenziert, so gilt als Unterscheidungskriterium in der Regel einerseits der Kontext, in dem die Sprachaneignung erfolgt, andererseits die Art der Prozesse, die sich dabei vollzie­hen. Wird die Sprache wie bei der Erstsprachentwicklung durch natürliche soziale Kontakte erworben und spielen dabei vor allem unterbewusste, intuitive Prozesse eine Rolle, spricht man üblicherweise von Erwerb. Findet die Sprachaneignung da­gegen in einem institutionalisierten Kontext statt, in der die Lernprozesse bewusst gesteuert werden, verwendet man eher den Begriff des Sprachenlernens. Demzu­folge werden Muttersprache und Zweitsprache erworben, während Fremdsprachen (in der Schule oder in anderen Institutionen) gelernt werden (vgl. Edmondson/House 2000:

Diese Unterscheidung erweist sich jedoch aus zweierlei Gründen als problematisch: Zum einen beschränkt sich der Spracherwerb nicht auf rein imitative Lernprozesse, sondern schließt auch bewusstes Nachdenken über sprachliche Gesetzmäßigkeiten der Mutter- oder Zweitsprache mit ein, das vor- und außerschulisch stattfindet (vgl. Waas/Hamm 2004: 34). Zum anderen gründet diese Unterscheidung auf der Prä­misse, dass der Verlauf der Sprachaneignung im institutionalisierten Kontext vom natürlichen Spracherwerb abweicht, weil durch Unterricht auf die Lernprozesse ge­zielt Einfluss genommen werden kann. Diese Annahme wurde durch die jüngere Forschung jedoch widerlegt oder zumindest relativiert. Die Ergebnisse von Ver­gleichsstudien haben gezeigt, dass bei der Aneignung von L1 und L2 dieselben Entwicklungsstufen durchlaufen werden, tatsächlich also eine deutliche Parallelität der beim Spracherwerb und Sprachenlernen wirksamen Prozesse besteht. Diese Entwicklungssequenz ist (abgesehen von geringer individueller Lernervarianz) uni­versell gültig und kann auch „durch unterrichtliche Steuerung nicht außer Kraft ge­setzt werden“ (Pienemann 2006: 45) - wenngleich der Erwerbsverlauf durch Unter­richt beschleunigt werden kann. Dies legt nahe, dass Sprache durch unser Gehirn - unabhängig vom Kontext, in dem die Sprachaneignung stattfindet - nach denselben Prinzipien verarbeitet wird. Unterschiede in der Entwicklung von L1 und L2 sind demnach auf die ungleiche Lernsituation hinsichtlich Quantität und Qualität des sprachlichen Inputs und auf die - meist altersbedingt - veränderten Voraussetzun­gen des Sprachenlerners (kognitiven Fähigkeiten, metalinguistisches Bewusstsein, Motivation usw.) zurückzuführen (vgl. Elsner 2010: 31ff.). Hierzu zählt auch der Ein­fluss der Muttersprache auf den Erwerb weiterer Sprachen (vgl. Bleyhl 2003: 10).

Herauszufinden, welchen Einfluss diese einzelnen Faktoren auf das Sprachenlernen ausüben und wie sie durch den Fremdsprachenunterricht positiv beeinflusst werden können, ist das Anliegen der Spracherwerbs- und Sprachlehrforschung. Da viele der Faktoren stark mit dem Alter des Lerners zusammenhängen, bleibt bis heute die Frage nach dem „Einfluss des Alters auf das menschliche Spracherwerbsvermögen [...] eines der spannendsten, aber auch umstrittensten Themen der Spracherwerbs- forschung" (Dimroth/Haberzettl 2008: 227). Entbrannt ist die wissenschaftliche Dis­kussion um diese Thematik mit der Formulierung der sogenannten Critical Period Hypothesis.

2.1.3 Die Critical Period Hypothesis

Als die Idee des früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts erstmals in Deutsch­land diskutiert wurde (siehe 3.2), geschah dies vor dem Hintergrund neuer wissen­schaftlicher Befunde aus der Hirn- und Spracherwerbsforschung. Die kanadischen Neurophysiologen und Hirnforscher Penfield und Roberts entwickelten im Jahr 1959 auf Grundlage ihrer Forschungsergebnisse die sogenannte Critical Period Hypothe­sis, die später von Lenneberg weiterentwickelt und publik gemacht wurde. Diese Spracherwerbstheorie geht davon aus, dass eine fremde Sprache nur im Kindesal­ter optimal erworben werden könne, da das Gehirn in dieser Zeit noch über eine hohe Plastizität und damit über eine gesteigerte Aufnahme- und Vernetzungsfähig­keit verfüge. Nach Ablauf dieser ,sensiblen Phase’, die sich bis zur Pubertät erstre­cke, komme es durch die Lateralisierung der Gehirnhälften zum Verlust der Sprach- lernfähigkeit, wodurch das Erreichen eines muttersprachlichen Sprachniveaus für Erwachsene unmöglich werde (vgl. Roos 2007: 14).

Bis heute bleibt die Critical Period Hypothesis eine der meist diskutierten und kon­troversesten Theorien der Spracherwerbsforschung. Auch wenn die Frage, welche Rolle das Alter beim Spracherwerb spielt, noch nicht eindeutig geklärt ist, lässt sich aus den zahlreichen Untersuchungen zu diesem Thema schließen, dass diese The­orie in ihrer ursprünglichen, radikalen Form nicht mehr haltbar ist, da sie davon aus­geht, dass Kinder älteren Sprachlernern gegenüber grundsätzlich im Vorteil sind:

„The ’younger = better’ premise on which the case for an early introduc­tion of L2s tended to be made in the past can no longer be accepted in its simple form“ (Singleton/Ryan 2004: 223).

Diese Annahme wurde durch Studien widerlegt, die gezeigt haben, dass Erwachse­ne im Sprachlernprozess zunächst schneller voranschreiten als jüngere Lerner und ihnen in Teilaspekten des Spracherwerbs sogar überlegen sind (vgl. Roos 2007: 19). Daher ist man dazu übergegangen, eher von einer ,schwachen Version’ der Theorie auszugehen, der zufolge es zwar eine sensible Phase für Sprache gibt, ein erfolgreicher Spracherwerb nach Ablauf dieser Phase dennoch nicht ausgeschlos­sen ist. Weitere Relativierungen der These ergeben sich durch die Erkenntnis, dass es nicht nur eine sensible Phase für den gesamten Spracherwerb zu geben scheint, sondern sich das kognitive Zeitfenster je nach Sprachbereich unterscheidet (vgl. Bleyhl 2003: 7).

Damit wird deutlich, dass es sich beim Spracherwerb um einen komplexen Vorgang handelt, über den kaum pauschale Aussagen getroffen werden können. So finden sich in diesem Forschungsgebiet zahlreiche unterschiedliche Theorien und teils wi­dersprüchliche Erkenntnisse, die nach wie vor weitere Fragen aufwerfen[3]. Zusam­menfassend kann bezüglich der Frage, ob der Frühbeginn aus spracherwerbstheo- retischer Sicht begründet werden kann, daher lediglich folgende Aussage getroffen werden: Der bisherige Forschungsstand legt nahe, „dass das Alter [...] durchaus einen Einfluss auf das Lernen einer Fremdsprache besitzt“ (Klippel 2000: 15); es sollte jedoch nicht als einziger Faktor für sichtbare Unterschiede im Lernerfolg he­rangezogen werden, da „ein früher Beginn allein [...] nicht automatisch zu einem erfolgreichen Zweitspracherwerb führen [muss]“ (Roos 2007: 22). Entscheidend hierfür sind - wie bereits an früherer Stelle erwähnt - eine Reihe weiterer Faktoren, die sich auf die Qualität des Unterrichts einerseits und die Person des Lernenden andererseits beziehen.

Mag auch der Frühbeginn aus Sicht der Spracherwerbstheorie nicht ausreichend begründet sein, so spricht vieles aus gesel lschafts- und bildungspolitischer Sicht eindeutig für einen frühen Fremdsprachenunterricht in der Grundschule.

2.2 Bildungspolitische Gründe

Die heutigen Schüler finden sich in einer veränderten Lebenswelt wieder, die ihnen unzählige Möglichkeiten und Freiheiten eröffnet, gleichzeitig aber auch für Desorien­tierung und Verunsicherung sorgen kann. Aufgabe der Schule ist es, den Kindern dabei zu helfen, sich in der modernen Welt zurecht zu finden, und sie mit den Fer­tigkeiten auszurüsten, die sie benötigen, um die Chancen einer globalisierten Ge­sellschaft für sich nutzen zu können. Dazu gehört unter anderem die Vermittlung fundierter Fremdsprachenkenntnisse, die längst nicht mehr Privileg einer elitären Gesellschaftsschicht sind, sondern heute unbestritten zu den grundlegenden Kultur­techniken zählen. Daher ist es zwingend notwendig, den Kindern bereits frühzeitig Fremdsprachen zu lehren, um sie so angemessen auf ihre Zukunft in einem verein­ten und mobilen Europa vorzubereiten. Doch auch aus einer gegenwärtigen Per­spektive kann auf ein Fremdsprachenlernen in der Grundschule nicht mehr verzich­tet werden, ist doch die Begegnung mit Produkten aus dem Ausland, fremdsprachli­chen Begriffen, Lied- und Werbetexten sowie mit Menschen anderer Kulturen längst Teil der täglichen Lebenswelt der Kinder geworden.

„Es gehört somit sicherlich ebenso zu einer kind- und zeitgemäßen All­gemeinbildung, die Kinder über die Herkunft und Bedeutung solcher Wör­ter im Rahmen des Fremdsprachenunterrichts aufzuklären, wie ihnen ein erstes kommunikatives Rüstzeug für die Begegnung mit anderssprachi­gen Texten, Medien und Menschen mitzugeben“ (Elsner 2010: 25).

Neben der fremdsprachlichen Kompetenz im Sinne einer kommunikativen Hand­lungsfähigkeit fordert das Leben in einem multinationalen Europa von seinen Bür­gern auch Toleranz und „Verständnis für die Lebensart und die Denkweise anderer Menschen und für [deren] kulturelles Erbe“ (Trim/North/Coste 2001: 15). Gerade im Hinblick auf die Ausbildung einer interkulturellen Kompetenz, die einen friedfertigen und respektvollen Umgang mit Menschen anderer Nationen sichern soll, zeigt der früh beginnende Fremdsprachenunterricht einen positiven Effekt: Kinder, die sich bereits in der Grundschule (oder früher) mit fremden Sprachen und Kulturen ausei­nandersetzen, entwickeln nachweislich eine weltoffenere Einstellung gegenüber dem Fremdartigen und lernen die kulturelle Diversität als Normalität zu begreifen (vgl. Elsner 2010: 25).

Diese Unvoreingenommenheit ist eine der zahlreichen kindlichen Eigenschaften, die für den Fremdsprachenunterricht positiv genutzt werden können. Kinder begegnen fremden Sprachen generell weitaus ungezwungener als erwachsene Lerner: Sie haben weniger Hemmungen vor der sprachlichen Produktion und unternehmen - getrieben von ihrer kindlichen Neugierde - frühzeitig Versuche, sich in der Fremd­sprache zu verständigen, auch wenn ihr Sprechvermögen noch gering ist. Ihre Freude am spielerischen und handlungsorientierten Umgang mit dem Lerngegens­tand eröffnet eine Vielfalt an Übungsformen, die nachhaltig für den Fremdsprachen­unterricht motivieren, Erwachsenen aber nur schwer zugänglich sind (vgl. Klippel 2000: 16 f.). Idealerweise sollte mit dem Fremdsprachenunterricht schon vor der dritten Jahrgangsstufe begonnen werden, da die Angst davor, beim Sprechen Feh­ler zu machen, gegen Ende der Grundschulzeit meist größer wird. Die Forderung der Europäischen Kommission, bereits in der Kindergartenzeit mit dem Fremdspra­chenlernen zu beginnen (vgl. Europäische Kommission 1995: 62), ist in Deutschland bedauerlicherweise bisher noch nicht umgesetzt worden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der früh beginnende Fremdsprachen­unterricht nicht nur die „Denkweisen und Verhaltensmuster im Hinblick auf spätere Kontakte zu fremden Sprachen und Kulturen“ (Klippel 2000: 18) formt, sondern auch die Freude und Motivation am weiteren Sprachenlernen weckt. Lässt sich also der Frühbeginn aus Sicht der Spracherwerbstheorie nicht ausreichend begründen, so sprechen seine positiven Auswirkungen im affektiven Bereich und die Intensivierung des Sprachenlernens durch eine verlängerte Lernzeit dennoch zweifellos für den frühen Fremdsprachenunterricht in der Grundschule. Trotz allem kann dieser erst auf eine kurze Geschichte zurückblicken. Diese Arbeit soll nur eine knappe Zusam­menfassung ihrer Entwicklung geben, um einen Einblick in die diskutierten Konzepte zur Umsetzung des Frühbeginns zu gewähren und so den gegenwärtigen Stand der Fremdsprachendidaktik der Primarstufe zu erklären.

3 Die Entwicklung des frühen Fremdsprachenunterrichts

3.1 Anfänge in den 20er Jahren

Erste Ansätze zum frühen Fremdsprachenlernen in Deutschland sind an den Wal­dorfschulen zu verorten, wo bereits seit 1919 Englisch und Französisch ab der ers­ten bzw. zweiten Jahrgangsstufe unterrichtet werden. Der Unterricht gestaltet sich nach dem Prinzip der Handlungsorientierung, wobei besonders auf musisch­künstlerische Tätigkeiten, wie beispielsweise dem Singen von Liedern, dem Rezitie­ren von Texten und dem Schauspiel, großer Wert gelegt wird. Einige staatliche Schulen zeigten sich bemüht, im Rahmen der Reformpädagogik, an diese Ansätze anzuknüpfen, ab 1933 wurden diese Versuche jedoch wieder eingestellt (vgl. Bött- ger 2010: 14f.).

3.2 Die erste Hochphase des Frühbeginns in den 60er und 70er Jahren

Eine Renaissance erlebte das frühe Fremdsprachenlernen um 1960 vor dem Hin­tergrund des sog. Sputnikschocks, der in den USA wegen der Befürchtung eines technologischen und wissenschaftlichen Rückstands gegenüber der damaligen UdSSR zahlreiche Reformen im Bildungswesen auslöste. Mit Programmen wie FLES (Foreign Languages in Elementary Schools) erprobte man in den Vereinigten Staaten die Möglichkeiten des Frühbeginns zur Steigerung der nationalen Wettbe­werbsfähigkeit. Es folgten ähnliche Versuche zunächst in den westeuropäischen Ländern - wie etwa das englische Projekt French in the Primary School - bis der Impuls schließlich auch Deutschland erreichte und dort diverse Schulversuche in Gang setzte (Schmid-Schönbein 2001: 11f.).

Den entscheidenden Anstoß für die Entwicklung gaben die UNESCO-Konferenzen von 1958 und 1962, nicht zuletzt aufgrund des dort präsentierten Forschungsbe­richts des kanadischen Fremdsprachendidaktikers H. H. Stern, in dem „die Freude des Grundschulkindes an sprachlicher Erfahrung und Aktivität“ (Hellwig 1995: 11) sowie die dem kognitiven Lernen noch vorherrschende Imitationsfähigkeit bei Kin­dern als besonders günstige Voraussetzungen junger Fremdsprachenlerner hervor­gehoben wurden. Diese Auffassung traf sich mit der Lernpsychologie der Behavio­risten, die sich - ausgehend von einem rein mechanisch konditionierten Lernver­ständnis - von der häufigen Wiederholung typischer Satzbaumuster (sog. pattern drills) im Fremdsprachenunterricht den größten Lernerfolg versprachen (Schmid- Schönbein 2001: 13). Auch die neurophysiologischen Befunde der Hirnforscher Penfields und Roberts und die bereits in 2.1.3 erwähnte Critical Period Hypothesis, die für die Überlegenheit jüngerer Fremdsprachenlerner sprach, waren Gründe für die zahlreichen Schulversuche zum frühen Fremdsprachenlernen.

Obwohl die Erprobung des früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts nicht nur breite Zustimmung unter Schülern, Lehrern und Eltern fand, sondern auch zu ein­deutig positiven Leistungsergebnissen führte - wie die Resultate des bedeutenden Braunschweiger Forschungsprojekts von Doyé und Lüttge belegen (vgl. Waas/Hamm 2004: 24) - kam es zunächst zu keiner Institutionalisierung des Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe (vgl. Roos 2007: 29f.). Mögliche Grün­de für dieses Scheitern sieht Hellwig u. a. in einer „gewisse[n] Reformmüdigkeit nach den entwicklungsintensiven späten 60er und frühen 70er Jahren“ und dem Fehlen eines „sprachenpolitischen Gesamtkonzept[s]“ (Hellwig 1995: 19). So stand in den 90er Jahren, als die Idee des früh beginnenden Fremdsprachenunterrichts wieder an Bedeutung gewann, vor allem die Frage nach dem besten fremdspra­chendidaktischen Konzept im Mittelpunkt der Diskussion (vgl. Keßler 2006: 39).

3.3 Neue Entwicklungen seit den 90er Jahren: „Lernen für Eu­ropa“

Die zweite Hochphase des Frühbeginns beruht auf den umfassenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen der 90er Jahre. Mit dem Fall der Berliner Mau­er, der Gründung der Europäischen Union und der Verwirklichung eines gemeinsa­men europäischen Binnenmarktes wuchs Europa nun immer weiter zusammen. Die Intensivierung der internationalen Beziehungen verlangte nach sprachkompetenten EU-Bürgern; in der Bildungspolitik wurden Forderungen nach Mehrsprachigkeit, Wahrung der sprachlichen Vielfalt und kultureller Kompetenz laut (vgl. Hellwig 1995: 22). So konstatierte die Europäische Kommission in dem 1995 vorgelegten „Weiß­buch zur allgemeinen und beruflichen Bildung“, dass „[d]as Beherrschen mehrerer Gemeinschaftssprachen [...] zu einer unab­dingbaren Voraussetzung dafür geworden [ist], daß die Bürger der Union die beruflichen und persönlichen Möglichkeiten nutzen können, die sich ihnen mit der Vollendung des Binnenmarktes ohne Grenzen bieten.

Diese Sprachkenntnisse müssen einhergehen mit der Fähigkeit zur An­passung an von unterschiedlichen Kulturen geprägte Arbeits- und Le­bensverhältnisse“ (Europäische Kommission 1995: 62).

Es bestand nun Einigkeit darüber, dass die Vorverlegung des Fremdsprachenunter­richts in die Primarstufe diesen Zielen förderlich sein würde (vgl. Rat der Europäi­schen Union 1997: 1); lediglich die Frage, welches didaktische Konzept sich für den Frühbeginn am besten eignete, stand noch zur Debatte.

3.4 Didaktische Konzepte des Fremdsprachenunterrichts

In der fachdidaktischen Diskussion wurden insbesondere das nordrheinwestfälische „Begegnungssprachenkonzept“ und das „Systematische Lehrgangskonzept“ einan­der gegenübergestellt. „Immersive“ Ansätze nahmen aus praktischen Gründen eher eine Randstellung ein (vgl. Keßler 2006: 39).

3.4.1 Das Immersionskonzept

Grundgedanke des Immersionskonzepts ist es, fachliche Unterrichtsinhalte in der Fremdsprache zu vermitteln, im Idealfall durch einen Muttersprachler. Damit ist die Fremdsprache nicht mehr Unterrichtsgegenstand, sondern wird in ihrer Funktion als kommunikatives Mittel gebraucht. Der Lernprozess steht damit dem natürlichen Spracherwerb näher (vgl. Keßler 2006: 46). Immersive Ansätze werden in mehr­sprachigen Ländern wie Kanada, Luxemburg oder der Schweiz bevorzugt prakti­ziert, da hier die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung gegeben sind. Häufig scheitert das Konzept in der Praxis an dem Mangel an ausgebildeten Fachlehrkräften (vgl. Waas/Hamm 2004: 25). In Deutschland setzt sich vor allem der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Henning Wode für eine Einführung des bilingua­len Unterrichts im Primarbereich ein.

3.4.2 Begegnung mit Fremdsprachen

Das stark kindorientierte Begegnungssprachenkonzept wurde vom Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Hier fand der Fremd­sprachenunterricht nicht in speziellen Unterrichtsstunden statt, sondern sollte in

Form von spielerischen „Begegnungsphasen“ (Bebermeier/Alberts 1992: 11) in den regulären Unterricht integriert werden. „Begegnungssprache“ konnte neben dem Englischen jede beliebige andere Fremdsprache sein, mit der die Kinder im Alltag in Kontakt kamen, denn vorrangiges Ziel war bei diesem Konzept nicht die Entwick­lung einer fremdsprachlichen Kompetenz, sondern die vorurteilsfreie Begegnung mit dem Andersartigen und die Freude an fremden Sprachen.

Wegen seiner ausschließlichen Konzentration auf affektiv-emotionale Aspekte des Sprachenlernens, der Vagheit der verfolgten Lernziele sowie der fehlenden Überle­gungen zum Übergang in die weiterführenden Schulen wurde das Begegnungs­sprachenkonzept teils heftig kritisiert (vgl. Keßler 2006: 40-44). Doyé, der schon in Folge seines Braunschweiger Forschungsprojekts die kontinuierliche Fortsetzung des Englischunterrichts in der Sekundarstufe als eine der wichtigsten Bedingungen für einen erfolgreichen Frühbeginn erkannt hatte (Doyé/Lüttge 1977: 113), merkte zynisch dazu an: „Wo nichts gelernt wird, braucht auch nichts fortgeführt werden“ (Doyé 1991: 145).

Trotz dieser Kritikpunkte ist positiv festzuhalten, dass beim Begegnungssprachen­konzept die individuellen sprachlichen und kulturellen Hintergründe der Kinder be­sondere Wertschätzung erfahren und dass auf diese Weise dazu beigetragen wird, den Weg zu einem respektvollen und friedfertigen Umgang in einer multikulturellen Gesellschaft zu ebnen (vgl. Keßler 2006: 42).

3.4.3 Das systematische Lehrgangskonzept

Das Gegenkonzept zur „Begegnung mit Sprachen“ bildet der systematische, lehr­gangsorientierte Fremdsprachenunterricht, der in Schulversuchen der 60er Jahre von Hellwig oder Doyé und Lüttge erprobt wurde. Während beim Begegnungsspra­chenkonzept vage formulierte interkulturelle Ziele verfolgt werden, hat der systema­tische Fremdsprachenunterricht den Aufbau einer kommunikativen und sprachlichen Kompetenz zum Ziel. Der Unterricht erfolgt nach einem präzise ausgearbeiteten Curriculum, das u. a. eine festgelegte Wortschatzliste und eine Auflistung sprachli­cher Grundstrukturen umfasst. Anders als die „Begegnung mit Sprachen“ be­schränkt sich der systematische Fremdsprachenunterricht auf nur eine Fremdspra­che, die in eigens dafür vorgesehenen Unterrichtsstunden systematisch gelehrt wird (vgl. Doyé 1997a: 45-48). Auch wenn diese Form der Fremdsprachenvermittlung

eine Weiterführung in der Sekundarstufe vorsieht, handelt es sich dabei nicht - wie Hellwig betont - um einen „unmodifiziert-unkritisch vorverlegte[n] Fremdsprachen­unterricht des 5. Schuljahres“ (Hellwig 1995: 13), da der Unterricht auf grundschul- pädagogischen Prinzipien beruht, d. h. durch spielerische Methoden und kindge­rechte Inhalte den besonderen Bedürfnissen und Voraussetzungen der Grundschul­kinder Rechnung getragen wird. Verfechter des systematischen Lehrgangskonzepts betonen den motivationsfördernden Effekt präzise festgelegter sprachlicher Lernzie­le, die den Lernzuwachs erst konkret messbar machen. Schließlich sei es ja gerade „ein Charakteristikum lernender Kinder im Grundschulalter, dass sie auf sichtbare Erfolge stolz sind“ (Doyé 1991: 145).

Die Kontroverse zwischen extremen Verfechtern des Begegnungssprachenkonzepts auf der einen und des systematischen Lehrgangskonzepts auf der anderen Seite wurde schlussendlich überwunden, indem man darin übereinkam, dass „sprachliches Lernen und interkulturelles Lernen [...] keine Gegensätze, sondern integrale Bestandteile einer Erziehung zur Aufgeschlossenheit und Toleranz gegenüber Menschen anderer Sprachen und Kultur und zur Kommunikationsfähigkeit mit diesen Menschen [sind]“ (Doyé 1997b: 47).

3.5 Die aktuelle Situation in Deutschland

Trotz gewisser regionaler Unterschiede in der Organisation und Durchführung des frühen Fremdsprachenunterrichts wird diese Vorstellung seit dessen flächende­ckender, verbindlicher Einführung im Schuljahr 2004/2005 von allen 16 Bundeslän­dern vertreten. Die deutschen Lehrpläne unterscheiden sich inzwischen nur noch marginal hinsichtlich der Unterrichtsinhalte und -ziele und lassen alle einen Trend zum ergebnisorientierten Unterricht erkennen (vgl. Roos 2007: 39f.). Denn mittler­weile „herrscht in einer zunehmenden Zahl von Ländern [Einigkeit] darin, dass neben dem Begegnungskonzept das eher systematische und themenori­entierte Fremdsprachenlernen auf der Grundlage eines (Rahmen-)Lehr- plans mit ergebnisorientierter Progression ebenfalls die grundschulspezi- fische, handlungsorientierte und anschauliche Vermittlung vorsieht“ (Kul­tusministerkonferenz 2002: 2).

Die nun weitreichende Überzeugung, dass Lernzielorientierung und Grundschulge­mäßheit im Fremdsprachenunterricht - genau wie in anderen Fachbereichen der Primarstufe - durchaus vereinbar sind, und die Erkenntnis, dass sich interkulturelle und sprachliche Ziele keineswegs ausschließen, sondern sich vielmehr komplemen­tär ergänzen (vgl. Schmid-Schönbein 2001: 61), schlagen sich in der Gestaltung aller deutschen Lehrpläne nieder. Unterschiede finden sich hingegen in der Art der Leistungsbewertung: Nur vier Bundesländer geben anstelle von Zensuren verbale Beurteilungen. Auch setzt der Fremdsprachenunterricht nicht in allen Ländern erst ab der dritten Jahrgangsstufe ein. Die Bundesländer Brandenburg, Baden­Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zeigen sich hier fortschritt­lich und unterrichten ihre Schüler bereits ab der ersten Klasse in einer Fremdspra­che. Einige der Länder bieten neben Englisch auch in der Grundschule schon weite­re Fremdsprachen an (vgl. Elsner 2010: 20).

4 Prinzipien eines grundschulgemäßen Fremdsprachen­unterrichts

Bevor im nächsten Kapitel die konkreten Inhalte und Ziele des Englischunterrichts in der Grundschule und die Möglichkeiten zu deren methodischer Umsetzung näher erläutert werden, sollen drei grundlegende Prinzipien genannt werden, die bei der Gestaltung eines zeitgemäßen Fremdsprachenunterrichts in der Primarstufe zu be­achten sind.

4.1 Kindorientierung

Ebenso wie in den übrigen Fächern der Grundschule müssen auch im Fremdspra­chenunterricht die besonderen Lernvoraussetzungen berücksichtigt werden, die Kinder im Gegensatz zu erwachsenen Lernern mitbringen. Ein wesentlicher Unter­schied ist dabei, dass Kinder auf einen geringeren Erfahrungsschatz zurückgreifen können und sich in Abhängigkeit von Erwachsenen zunächst noch in einer begrenz­ten Lebenswelt bewegen. Aus diesem Grund ist es wichtig, im Unterricht solche Themen zu behandeln, die der Lebenswelt der Kinder entnommen und daher für sie von Relevanz und Interesse sind. Nur so haben die Schüler die Möglichkeit, die neuen Inhalte mit ihren bisherigen Erfahrungen zu verknüpfen und ihr bestehendes Wissen zu erweitern. Gleichzeitig bringen Kinder aber auch besondere Eigenschaf­ten mit, die mit zunehmendem Alter leider häufig verloren gehen: Sie haben große Freude an spielerischen Aktivitäten und eine rege Fantasie. Gelingt es der Lehrkraft die fremdsprachlichen Lerninhalte so aufzubereiten, dass sie genau diesen beson­deren Eigenschaften der Kinder gerecht werden, können ihre Schüler den Unterricht als höchst motivierend empfinden und den Lerntätigkeiten mit Ausdauer und Be­geisterung nachgehen. Gerade diese hohe intrinsische Motivation verspricht erwie­senermaßen einen größeren Lernerfolg. Es gibt zahlreiche Spiele (wie etwa Simon says, What’s on my back? usw.), die im Englischunterricht hervorragend eingesetzt werden können, um ein effektives und lustvolles Sprachenlernen zu ermöglichen. Da für die Schüler das Spielziel im Vordergrund steht, welches sich häufig vom Lernziel unterscheidet, ist ihnen die mit dem Spiel verfolgte Lernabsicht meist nicht explizit bewusst. Dadurch sind sie frei von Leistungsdruck und können der Lernakti­vität unbefangen nachgehen (vgl. Elsner 2010: 57). Zu den besonders motivieren­den Aktivitäten des Sprachunterrichts zählen außerdem musische, künstlerische und sportliche Tätigkeiten sowie das Erzählen von fantasievollen, lustigen oder spannenden Geschichten. Auf letztere wird in Kapitel 6 am Beispiel des storytellings noch näher eingegangen. Durch eine sinnvolle Integration dieser Aktivitäten in den Englischunterricht kann man dem Anspruch eines sowohl kindgerechten als auch ergebnisorientierten Sprachenlernens gerecht werden.

4.2 Handlungsorientierung

Ein weiteres wesentliches Prinzip für einen effektiven Unterricht, das nicht nur für den Englischunterricht, sondern auch für alle anderen Fächer gilt, ist die Hand­lungsorientierung. Damit die Schüler optimal lernen können, müssen sie ganzheit­lich und aktiv in das Unterrichtsgeschehen eingebunden werden. Gemeint ist damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen kognitivem, affektivem und psychomotori­schem Lernen, das es ermöglicht, alle Sinne des Lerners anzusprechen. Für den Englischunterricht bedeutet dies, Aktivitäten anzubieten, „bei denen Sprache und Handlung spielerisch miteinander verbunden werden können und die in ihrer Form dem Naturell von Grundschulkindern entsprechen“ (Elsner 2010: 47). Eine Möglich­keit, die in diesem Zusammenhang genannt werden sollte, ist die von James Asher entwickelte Methode des total physical response (TPR). Hierbei handelt es sich um einen multisensorischen Ansatz der Sprachvermittlung, der sich vor allem in der anfänglichen Phase des Fremdsprachenunterrichts hervorragend für die Schulung des Hörverstehens, aber auch für die Entwicklung der Sprechfertigkeit eignet. Dabei werden neue sprachliche Einheiten in Verknüpfung mit konkreten Handlungen vom Lerner zunächst nur rezeptiv aufgenommen und ihre Bedeutung visuell erschlossen. In der Phase führt die Lehrkraft die Handlungen, die sie gerade in der Fremdspra­che beschreibt, gleichzeitig aus. Im nächsten Schritt erfolgt die gesamtphysische Reaktion der Schüler, die die Bewegungen der Lehrkraft zunächst stumm imitieren, während diese die Handlung weiter in der Fremdsprache kommentiert. Nach und nach kann die Lehrkraft die Bewegungen dann weglassen, um zu überprüfen, ob die Schüler die Bedeutung der englischen Sätze entschlüsselt haben und in der Lage sind, die Aufforderungen auch ohne visuelle Stütze richtig auszuführen. Im letzten Schritt können die Schüler die Sätze dann selbst mitsprechen oder diese sogar ei­genständig produzieren und in Partner- oder Gruppenarbeit anderen Schülern An­weisungen geben (vgl. Bleyhl 2000: 32ff.). Diese Aktivität kann leicht in einen spiele­rischen Rahmen eingebettet werden, beispielsweise durch das amerikanische Spiel Simon says, welches sich nicht nur für ein handlungsorientiertes Lernen ausge­zeichnet eignet, sondern gleichzeitig ein Stück Kultur des Zielsprachenlandes reprä­sentiert. Ideal sind in diesem Zusammenhang auch sogenannte action songs, die nach der TPR-Methode erarbeitet werden können, wie etwa das bekannte Kinder­lied Head and shoulders, oder action rhymes wie zum Beispiel Five little monkeys. Diese Lehrmethode wird besonders kinästhetischen Lernertypen gerecht, hilft aber auch den übrigen Schülern, sich fremdsprachliche Inhalte leichter einzuprägen (vgl. Elsner 2010: 130). Alle diese zuvor genannten Beispiele für englische Spiele, Lieder oder Reime erfüllen zugleich ein weiteres wichtiges Kriterium für den Englischunter­richt: die Authentizität.

4.3 Authentizität

Das Prinzip der Authentizität findet im Fremdsprachenunterricht in zweierlei Hinsicht Anwendung: bei der Entscheidung, welche Materialien und Texte im Unterricht ver­wendet werden sollen, sowie bei der Wahl der Inhalte und Kommunikationssituatio­nen, die die Lehrkraft mit den Schülern erarbeiten möchte.

Der Einsatz authentischer Texte ist für den Fremdsprachenunterricht deswegen von großer Bedeutung, weil sie Teile der fremdsprachlichen Wirklichkeit repräsentieren, auf die der Unterricht die Schüler vorbereiten möchte. Gerade aufgrund dieses di­rekten Realitätsbezugs wirken authentische Materialien in hohem Maße motivie­rend. Zugleich werden die Schüler auf diese Weise mit kulturellen Erzeugnissen der Zielsprachenländer und mit den Lebensweisen anderer Nationen vertraut. Selbst­verständlich muss bei der Wahl der Materialien darauf geachtet werden, dass das Niveau der Texte die sprachlichen Fertigkeiten der Kinder nicht übersteigt, da der Sprachunterricht für die Lerner sonst zu einem frustrierenden Erlebnis wird. Es exis­tieren jedoch zahlreiche englischsprachige Lieder, Reime, Auszählverse, Erzählun­gen und Kinderbücher, die sich gut für den Fremdsprachenunterricht in der Primar- stufe eignen, da sie meist kurz gehalten und in einer einfachen, verständlichen und kindgemäßen Sprache verfasst sind. Auch die Erarbeitung kleinerer Sachtexte (z. B. Speisekarten, Schilder, Produktbeschriftungen, Stundenpläne oder kurze Zeitungs­ausschnitte) ist für die Schüler interessant und sinnstiftend. Wie auch in anderen Bereichen des Sprachunterrichts ist hier eine Progression vom Simplen zum Kom­plexen sinnvoll. Die Auseinandersetzung mit schwierigeren Texten oder authenti­schen Sprachaufnahmen sollte selbstverständlich erst nach dem Erwerb grundle­gender Kenntnisse in der Fremdsprache erfolgen (vgl. Elsner 2010: 66f.). Nach wel­chen Kriterien authentische Kinderbücher ausgewählt werden sollten und welche Hilfen den Schülern für das Verständnis der englischsprachigen Texte angeboten werden können, wird in Kapitel 6 noch ausführlich geschildert.

Eine weitere Forderung für den Englischunterricht ist der authentische Sprach­gebrauch. Die Inhalte und Kommunikationssituationen aus dem Unterricht sollten auch über diesen hinaus Relevanz haben und auf außerschulische Kontexte über­tragbar sein. Gefragt sind hier also Themen aus dem Interessensbereich der Kinder, die als reelle Sprechanlässe dienen können. Dabei spielt es „eine untergeordnete Rolle, ob Handlungssituationen im konkreten Au­genblick real oder arrangiert sind; wesentlich für die Authentizität einer Situation ist allein, dass sie von den Kommunikationspartnern als lebens­echt akzeptiert wird“ (Bach/Timm 2009: 13).

Weiter sollte darauf geachtet werden, dass Unterrichtsgespräche nicht affektiert wirken, indem die Schüler beispielsweise dazu aufgefordert werden, auf Fragen in ganzen Sätzen zu antworten, obwohl in außerschulischen Kommunikationen eine kurze Antwort deutlich natürlicher und völlig ausreichend wäre. Generell gilt für den Fremdsprachenunterricht das Prinzip „message before accuracy‘ (Timm 2009: 204). Demzufolge ist der kommunikative Gehalt einer Schüleraussage zunächst bedeut­samer als deren formale Korrektheit - so wie es auch im Gespräch mit einem native speaker der Fall ist (vgl. Elsner 2010: 69 f.). Die Korrektur sprachlicher Fehler sollte möglichst nicht direkt, sondern in Form eines corrective feedbacks erfolgen (siehe Kapitel 5.1.2), um die Demotivierung der Schüler zu vermeiden.

Gute Anlässe für einen authentischen Sprachgebrauch bietet auch das alltägliche Unterrichtsgeschehen. Wiederkehrende Routinen wie etwa Begrüßung und Verab­schiedung, Lob und Tadel, das Erteilen von Arbeitsanweisungen sowie die Äuße­rung einfacher Fragen, Wünsche und Bitten sollten stets in der Fremdsprache erfol­gen. Anfänglich werden die Schüler diese sogenannten classroom phrases nur re­zeptiv aufnehmen; durch den regelmäßigen Gebrauch wird es ihnen aber schon bald gelingen, einfache Aussagen und Fragen zum Unterrichtsgeschehen selbst zu formulieren - ein Plakat im Klassenzimmer mit den wichtigsten Sprachmitteln kann ihnen dabei helfen (vgl. Elsner 2010: 70). Die ideale Gelegenheit, die Fremdsprache in einem sachgebundenen Kontext zu gebrauchen, ergibt sich durch die Verknüp­fung mit anderen Schulfächern. Für einen fächerübergreifenden Unterricht bieten sich dabei vor allem die musischen Fächer an, aber auch im Sachunterricht ist es möglich, einzelne Themen in der Fremdsprache zu erarbeiten. Englischsprachige Kinderbücher liefern hierfür oft eine gute Basis (siehe auch Kapitel 6.1).

[...]


[1] Greiner <http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,601836,00.html>

[2] Aus Gründen der Lesbarkeit wird in diesem Dokument durchgehend das generische Mas­kulinum verwendet, welches das weibliche Geschlecht selbstverständlich mit einschließt.

[3] Für nähere Informationen zu diesem Thema siehe auch Schmelter (2010) und Grot­jahn/Schlak/Berndt (2010).

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Die Bedeutung des frühen Fremdsprachenunterrichts und der Methode des storytellings in der Grundschule
Untertitel
Exemplarische Darstellung des Einsatzes von authentischer Kinderliteratur im Englischunterricht einer bilingualen Klasse der dritten Jahrgangsstufe
Hochschule
Universität Augsburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
91
Katalognummer
V184791
ISBN (eBook)
9783656109563
ISBN (Buch)
9783656110712
Dateigröße
655 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bedeutung, fremdsprachenunterrichts, methode, grundschule, exemplarische, darstellung, einsatzes, kinderliteratur, englischunterricht, klasse, jahrgangsstufe
Arbeit zitieren
Simona Lau (Autor:in), 2011, Die Bedeutung des frühen Fremdsprachenunterrichts und der Methode des storytellings in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184791

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