Pressefreiheit in Frankreich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

32 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Rechtliche Grundlagen der Pressefreiheit in Frankreich
2.1 Der verfassungsrechtliche Rahmen
2.2 Das „Pressegesetz“ von 1881
2.3 Kritik der Rechtslage

3. Das Verhältnis zwischen Staat und Medien
3.1 Zentralismus
3.2 Staat als Hüter des Gemeinwohls
3.3 Pressesubventionen
3.4 Unterschiedliche Grade der Abhängigkeit: Rundfunk und Presse
3.5 Journalistisches Selbstverständnis: Journalistische Lämmer?

4. Frankreich verstößt gegen die Menschenrechte - Die Ente vor Gericht
4.1 „Enfant terrible“ der französischen Presse: „Le Canard Enchaîné“
4.2 Calvet gegen „Le Canard Enchaîné“
4.3 Fressoz/Roire gegen Frankreich

5. Kritik der aktuellen Situation - Berichte der „Reporter ohne Grenzen“
5.1 „Reporter ohne Grenzen“
5.2 Jahresbericht Frankreich 2002
5.3 Erster weltweiter Pressefreiheitsindex

6. Fazit und Thesen

7. Literatur- und Quellenverzeichnis
Anhang: Handout des Referats

1. Einleitung

„Es gibt in Frankreich keine Pressefreiheit. Keine jedenfalls, wie sie einer modernen Demokratie gebührt.“[1] Mit dieser provokanten Aussage spitzt Isabelle Bourgeois ihre Kritik an den Arbeitsbedingungen der französischen Presse zu. Die Schärfe des Vorwurfs ist offensichtlich, denn Frankreich ist ein hochangesehenes Mitglied der Europäischen Union und eine der sogenannten „alten westlichen Demokratien“, in denen Menschen- und Freiheitsrechte als Rechtsgrundlage seit langem manifestiert sind.

Dennoch, niemand kann Bourgeois, die trotz des französisch klingenden Namens eine Deutsche ist, die Kompetenz zur Beurteilung des französischen Mediensystems absprechen. Sie arbeitet als Medienjournalistin und beobachtet Frankreich als Korrespondentin für den Evangelischen Pressedienst (epd-medien). Darüber hinaus verfasst sie für den Länderbericht Frankreich die jeweiligen Kapitel zu Medien und Presse.[2]

Wie also kommt die deutsche Beobachterin zu einem derart harschen Urteil, das sie im Jahr 1999 in einem Artikel unter der ähnlich deutlichen Überschrift „Fremdwort Pressefreiheit“[3] formulierte? Diese Frage soll mich in der Hausarbeit „Aspekte der Pressefreiheit in Frankreich“ beschäftigen. Wie der Titel schon sagt, werde ich ausgewählte Aspekten der Presse- und Medienfreiheit des französischen Nachbarlandes untersuchen.

Ausgehend von den geschichtlichen und rechtlichen Grundlagen der Pressefreiheit in Frankreich wird der Bogen zur aktuellen Situation gespannt. In den Fokus gerät dabei das Verhältnis zwischen Staat und Medien, das sich auf die Arbeit der Journalisten direkt und indirekt auswirkt.

Was kann diese Hausarbeit leisten? Natürlich kann ich nur einzelne Aspekte der Pressefreiheit hervorheben und näher betrachten. Dem Anspruch an eine umfangreiche und systematische Gesamtdarstellung, die auch in der deutschen Fachliteratur noch aussteht, kann die Hausarbeit nicht gerecht werden, weil der zu bearbeitende Stoff den Rahmen einer Seminararbeit sprengen würde.

Ich habe mich, um die Stoffmenge einzugrenzen, vor allem auf die Pressefreiheit im Sinne von „Unabhängigkeit von staatlichen Einflussfaktoren oder Kontrollmechanismen“ konzentriert. Wirtschaftliche Abhängigkeiten von Medien gegenüber Großkonzernen, wie sie sich zum Beispiel in Konzentrationsprozessen wiederspiegeln, nehmen ebenfalls negativen Einfluss auf die Gesamtsituation der Pressefreiheit. Ress charakterisiert: „Die Konzentration im französischen Pressewesen ist beachtlich. Sie hat vorwiegend ökonomische Gründe“[4]. Dennoch, diesen Teilbereich der Pressefreiheit im Sinne von „Unabhängigkeit gegenüber ökonomischen Einflussfaktoren“ musste ich notgedrungen, aber bewusst aus der Hausarbeit ausklammern.

Es wäre thematisch spannend gewesen, komparativ über Deutschland und Frankreich zu schreiben. Doch auch hier wäre die Fülle des Stoffs zu umfangreich für die Hausarbeit gewesen. Komparative Elemente habe ich nur an Stellen in der Hausarbeit eingefügt, an denen ich sie als notwendig für ein gutes Verständnis erachtet habe. Ein solides Basiswissen über die Pressefreiheit in Deutschland und die Arbeitsbedingungen der deutschen Presse setze ich für das Verständnis der Hausarbeit voraus.

Aktualität und Praxisbezug sind mir besonders wichtig, deshalb habe ich einen bemerkenswerten Konflikt der jüngeren Vergangenheit zur näheren Betrachtung ausgewählt: Es handelt sich um den Rechtsstreit zwischen dem ehemaligen Peugeot-Chef Jacques Calvet und dem Enthüllungs- und Satireblatt „Le Canard Enchaîné“. In diesem Fall spiegeln sich - geradezu exemplarisch - einige Kernprobleme des französischen Pressewesens. Im Verlauf der juristischen Auseinandersetzung geriet die französische Rechtssprechung selbst unter Anklage, als sich zwei Journalisten des „Le Canard Enchaîné“ vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte[5] gegen ein Urteil der französischen Gerichte wehrten.

Ein weiteres Kapitel, das dem Anspruch an einen hohen Praxisbezug und eine hohe Aktualität gerecht werden soll, befasst sich mit der regierungsunabhängigen Organisation „Reporter ohne Grenzen“[6], die jährlich einen weltweiten Bericht zur Pressefreiheit herausgibt. Außerdem haben die „Reporter ohne Grenzen“ im letzten Jahr ein Nationenranking zur Pressefreiheit erarbeitet. Frankreichs Position in diesem Ranking und die entsprechenden Ausführungen im Jahresbericht 2002 werden von mir untersucht.

Zur Literaturlage ist anzumerken, dass das Themenfeld „Pressefreiheit in Frankreich“ von der deutschen Fachliteratur mangelhaft erschlossen ist. Neben der fehlenden deutschen Gesamtdarstellung ist die Vielzahl verstreuter Artikel und Aufsätze in Zeitschriften und Sammelbänden ein weiteres Indiz dafür. Oft spielt die Pressefreiheit in Frankreich in den verschiedenen Texten nur eine untergeordnete Rolle. Die Literaturrecherche kam deshalb einem Puzzlespiel gleich, bei dem das Internet als Quelle eine große Bedeutung hatte.

Die Aussage von Bourgeois, in Frankreich existiere keine Pressefreiheit, steht nun also im Raum. Wie diese Äußerung zu bewerten ist, ob und, wenn ja, vor welchen Hintergründen sie zutrifft, wird sich auf den folgenden Seiten zeigen.

2. Grundlagen der Pressefreiheit in Frankreich

Das heutige Presserecht und damit auch die Pressefreiheit in Frankreich ruhen auf zwei wesentlichen Säulen: der Verfassung und dem sogenannten Pressegesetz von 1881. Beide Säulen lassen sich nur in ihrem historischen Kontext verstehen. Sie werden kurz vorgestellt.

2.1 Der verfassungsrechtliche Rahmen

Bis zur Französischen Revolution von 1789 waren sämtliche Presseerzeugnisse der absoluten königlichen Macht unterstellt. Sie mussten sich einer „oft sehr willkürlichen Zensur“[7] beugen. Als Beispiel sei die berühmte „Gazette de France“ erwähnt. Diese Wochenzeitschrift erschien seit 1631 in Paris. Ihr Besitzer und Chefredakteur war der Arzt Théophraste Renaudot. Doch Pressefreiheit war für Renaudot ein Fremdwort, denn er „übt[e] sein Metier nicht unabhängig aus, sondern unter den wohlwollenden Augen des Kardinals Richelieu.“[8] Die Gazette blieb bis zur Revolution die beherrschende politische Zeitung, sie wurde sogar schon als Regierungsorgan Ludwigs XV. und Ludwigs XVI. bezeichnet.[9]

Den Umbruch für die Entwicklung zur Pressefreiheit brachte die Revolution 1789. „L’article 11 de la Déclaration des droit de l’homme et du citoyen (26 août 1789) définit le principe nouveau de la liberté de la presse « La libre communication est un des droits les plus précieux de l’homme: tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre des abus de cette liberté dans les cas déterminés par la loi. »“[10]

Folge dieser ersten Erklärung der Meinungs- und Pressefreiheit war eine starke Zunahme des Angebots an Printmedien. „De mai 1789 à décembre 1799, il est paru en France plus de 1500 périodiques divers de toutes formes et tendances.“[11] Die neugewährte Freiheit hielt nicht lange vor. Unter der Herrschaft Robespierres und des Direktoriums verschwanden viele unbequeme Zeitungen und Journalisten. Nicht wenige werden der Guillotine zum Opfer gefallen sein.[12]

Napoleon erkannte die Bedeutung der Presse. Entsprechend straff führte er nach dem Staatsstreich von 1799 seine Pressepolitik. „Nach dem Motto: ‚Wir sind dazu da, die öffentliche Meinung zu lenken, nicht, sie zu erörtern’ reduziert[e] er die Zahl der Zeitungen in Paris auf vier, in den Departments auf eine; der Moniteur universel wird [wurde] zum offiziellen Regierungsorgan.“[13]

Der nachfolgende Verlauf der Pressegeschichte in Frankreich ist nicht Thema der Hausarbeit, es lässt sich aber grob vereinfacht sagen, dass die Pressefreiheit von der jeweiligen Regierungsform stark beeinflusst wurde. Während in den Phasen der Monarchie die Zeitungen und Zeitschriften Einschränkungen erfuhren, konnten sie sich in den Jahren der Republiken verhältnismäßig frei entfalten.[14] Grundlage war dabei der oben zitierte verfassungsrechtliche Grundsatz, der auch in die Präambeln der 1946 gegründeten Vierten und der 1958 gegründeten Fünften Republik übernommen wurde. Er ist bis heute die Basis der Pressefreiheit in Frankreich, deshalb muss erneut zwischen seinen Zeilen gelesen werden.

Dass die Pressefreiheit in Frankreich ein verfassungsrechtlich anerkanntes Bürgerrecht sei, stellt Georg Ress heraus: „Diese jedem Bürger zustehende Freiheit zu sprechen, zu schreiben und zu drucken, ist der älteste Ausdruck und wesentlicher Bestandteil der in Frankreich mit Verfassungsrang geltenden Freiheit im Bereich des Pressewesens, welche nur eine Konsequenz der durch Art. 10 der Erklärung der Bürger und Menschenrechte proklamierten Meinungsfreiheit ist. [...] Die Erklärung der Menschenrechte erwähnt die Pressefreiheit dagegen nicht.“[15] Er erkennt, dass die Präambel eine sehr individualistisch ausgerichtete Formulierung beinhaltet, die lediglich das Recht des Einzelnen, frei zu schreiben und zu drucken, zum Ausdruck bringt.

Diese Formulierung wirke auf das Selbstverständnis der Journalisten, sagt Irene Preisinger: „Überspitzt formuliert verstehen französische Journalisten unter Pressefreiheit also nicht zuerst Faktenfreiheit, sondern Meinungsfreiheit im ursprünglichen Wortsinn.“[16] Die Vermittlung von Information sei ebenso wichtig wie der Transport von Meinungen und Gedanken. Fazit: Hier wird im Gesetzestext und im historischen Kontext seines Entstehens eine Auffassung von Pressefreiheit geprägt, die vom deutschen Begriffsverständnis abweicht.

Für die Bundesrepublik Deutschland ist der Artikel 5 des Grundsgesetzes fundamental. Er beinhaltet neben dem subjektiven Grundrecht eine Garantie für ein freies, von staatlichen Einfluss unabhängiges Medienwesen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“[17]

Der Unterschied liegt auf der Hand: Die Erklärung der Menschenrechte und das Pressegesetz von 1881 (vgl. Kapitel 2.2) gewährleisten in Frankreich ein individuelles Recht auf Meinungsäußerung, vom Anspruch auf Information ist dabei nicht die Rede. Demgegenüber sind in Deutschland Meinungs-, Informations-, (institutionelle) Presse-, Berichterstattungs- und Zensurfreiheit kodifiziert.[18] Bourgeois sieht für die französischen Medien keine mit dem 5. Artikel des deutschen Grundgesetzes vergleichbare verfassungsrechtliche Freiheitsgarantie, von der das gesamte Rechtsgefüge abhinge. Die Medien in Frankreich würden nicht per Gesetz zur „vierten Gewalt“ erhoben.[19] In Frankreich gäbe es dementsprechend keine nationale Instanz (wie das Bundesverfassungsgericht), die letztlich die Freiheit der Medien verteidigen könnte.[20]

Die Meinungsfreiheit steht in Frankreich zusätzlich unter einem sehr weitgehenden Gesetzesvorbehalt, der Artikel 11 der Menschenrechtserklärung nennt einschränkende Bedingungen. Der Gesetzgeber bestimmt die Fälle des Missbrauchs dieser Freiheit.[21] Bourgeois folgert: „In der deutschen Medienordnung beherrscht das Grundrecht der Medienfreiheit - bezogen auf die Medien selbst - als oberstes Gebot die gesamte Medienordnung. In Frankreich haben die Gesetzesschranken für die Ausübung der Medientätigkeit Vorrang.“[22] Es wird näher zu untersuchen sein (vgl. Kapitel 3.), wie sich diese Einschränkungen in das „jakobinische Verständnis“[23] von Pressefreiheit einpassen, in dem die Regierung die Unabhängigkeit der Medien zu wahren hat und ob die praktische Umsetzung der Unabhängigkeit der Medien durch fehlende gesetzliche Unterstützung eingeschränkt wird. Zunächst soll jedoch das Pressegesetz von 1881 vorgestellt werden, dass auf der verfassungsrechtlichen Basis, den Rechtsraum, in dem die Medien wirken, bis heute ausgestaltet.

2.2 Das Pressegesetz von 1881

Mehr als hundert Jahre nach der Erklärung der Menschenrechte, wurde die Pressefreiheit in einem eigenen Gesetz fixiert. Der erste Artikel des neuen Gesetzes lautet: „L’imprimerie et la libraire sont libre.“[24] Der fünfte Artikel sichert die Freiheit periodischer Schriften mit den Worten: „Tout journal ou écrit périodique peut être publié, sans autorisation préalable et sans dépôt de cautionnement, après la déclaration prescrite par l’articles 7.“[25]

Die Bedeutung des Pressegesetzes vom Januar 1881 beschreibt Pierre Albert: „La loi du 29. juillet 1881: enfin, au pouvoir en janvier 1879, les républicains préparèrent longuement la nouvelle loi sur la presse, que représente avec ses soixante-dix articles le plus gros effort législatif entrepris en la matière; elle assura la plus grande liberté á la presse et réduisit à très peu les délits de presse.“[26]

Bevor das Gesetz in Kraft trat, wurden alle anderen Verordnungen und Erlasse aus der Vorzeit aufgehoben. Zwei Bereiche des Strafrechts, die zuvor die Pressefreiheit besonders eingeschränkt hatten, fielen weg. Zum einen wurde die Strafbarkeit einer Veröffentlichung ohne vorherige staatliche Genehmigung gestrichen. Die Zensur war damit abgeschafft. Zum anderen wurde das Meinungsdelikt entfernt, dass die Äußerung bestimmter politischer Meinungen in der Presse unter Strafe gestellt hatte. Obwohl das Gesetz grundsätzlich der Pressefreiheit dient, enthält es zugleich Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Presse.[27] Diese Einschränkungen gestalten die entsprechende Formulierung in der Präambel der Verfassung aus und bezeichnen die Grenzen der Pressefreiheit. Ein völlig freies und uneingeschränktes Pressewesen wurde nicht anvisiert. Dennoch erweiterte das Gesetz die Spielräume der französischen Presse enorm, denn jegliche staatliche Restriktionsmaßnahme wie Zensur, Konzessionierung, Bürgschaftsleistung zur Herausgabe oder Stempelsteuer waren fortan abgeschafft. Die Meinungsäußerungen wurden dem Allgemeinwohl unterstellt und Verantwortlichkeiten für die Publikationen wurden definiert: „Ein Missbrauch der Pressefreiheit [...] wird nicht nur dem Zeitungsdirektor (Herausgeber), sondern auch dem Verfasser eines fraglichen Artikels - als Quasi-Beihelfer - angelastet. Dadurch zeichnet jeder Journalist für den Inhalt der Zeitungen mitverantwortlich.“[28] Auf Basis des Gesetzes von 1881 haftet jeder einzelne Autor mit für seine Aussagen und kann entsprechend gerichtlich belangt werden.

Das Gesetz erlaubt es aber auch jedem unbescholtenen Bürger Frankreichs, eine Zeitung oder Zeitschrift herauszugeben.[29] Die Publikationsfreiheit bewirkte einen Anstieg der Neugründungen von Zeitungen und Zeitschriften. In Frankreich brach das sogenannte „Goldene Zeitalter der Presse“ („L’âge d’or de la presse“) an, das bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges andauerte.[30] Dann folgte ein Rückschlag; die beiden Weltkriege brachten für Frankreichs Presse nicht nur erhebliche Einschränkungen, Zensur und Propaganda, sondern auch einen erheblichen Image- und Glaubwürdigkeitsverlust. Ohne weiter auf die Pressegeschichte eingehen zu wollen, bleibt festzuhalten: Das Gesetz von 1881 hat alle historischen Umbrüche überstanden und ist noch immer die juristische Grundlage für Arbeit der Medien.[31]

Mit den Jahren musste es mehrfach verändert oder an neue Verhältnisse angepasst werden. Im folgenden sollen einige Beispiele für die Ergänzungen und Novellierungen des Gesetzes angeführt werden. So wurde es unter anderem im Jahr 1944 grundlegend modifiziert. Diese Novellierung wurde durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges und die Kollaboration von französischen Medienunternehmen mit dem Dritten Reich ausgelöst und in ihrer Form geprägt. Die Widerstandspresse wurde gestärkt, die Blätter der Kollaborateure verboten. Dementsprechend umfasste die Modifikation des Gesetzes von 1881 vor allem Vorschriften zur Struktur der Presseunternehmen, Regelungen zur Publikations- und Verbreitungsfreiheit, sowie eine Legaldefinition des Berufes „Journalist“.[32]

Das Entstehen neuer Medien zwang den französischen Gesetzgeber zu Erweiterungen, weil sich das Pressegesetz von 1881 zunächst nur auf das Kommunikationsmittel der schreibenden Presse bezog. Die Erweiterung der Medien, in denen Delikte gegen das Gesetzes von 1881 begangen werden können, um Fernsehen und Radio bestätigte der Gesetzgeber erst 1982 durch das Gesetz über Rundfunk und Fernsehen. Schon 1985 erweiterte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Pressegesetzes erneut, diesmal auf jedes andere Kommunikationsmittel. Seitdem gilt das Pressegesetz von 1881 für jedes Medium von der Zeitung bis zum Internet.[33]

Als letzte wichtige Veränderung des Pressegesetzes von 1881 sei das sogenannte Lex Hersant erwähnt. Es entstand während der ersten Kohabitation und trat im Jahr 1884 in Kraft. Sein Zweck war es, im Zuge der beginnenden Liberalisierung des Rundfunkmarktes die Bildung von Doppelmonopolen für Print- und audiovisuelle Medien zu vermeiden. Sein Inhalt: Höchsten 10 Prozent der nationalen Tageszeitungsauflage durften in einer Hand liegen.[34] Benannt ist das Gesetz nach dem französischen Pressekonzern Hersant. Die komplexen Konzernverflechtungen von Hersant, der zu dieser Zeit etwa ein Fünftel des Regionalzeitungsmarktes und ein Drittel des Pariser Zeitungsmarktes beherrschte und sich mit der italienischen Berlusconi-Gruppe an dem Kanal „Le Cinq“ (inzwischen wieder eingestellt) beteiligte, hatten zur Verabschiedung des neuen Gesetzes geführt.[35]

Die Regelung war wenig erfolgreich. Zwei Jahre später wurde sie unter einer konservativen Parlamentsmehrheit abgelöst. Die neue Konzentrationsgrenze für nationale Tageszeitungsauflage erlaubte fortan einen Anteil bis zu 30 Prozent in einer Hand.

2.3 Kritik der Rechtslage

Um die gesetzlichen Grundlagen des Presse- und Medienwesens in Frankreich ist viel gestritten worden. Einigen Kritikern, wie Bourgeois, gehen die Rechte der Presse nicht weit genug, während sie die Grenzen für zu dicht gesteckt halten. In diesem abschließenden Kapitel zum juristischen Fundament der Pressefreiheit in Frankreich soll auf Basis vorhandener Kritiken eine eigene Stellungnahme zur Rechtsgrundlage entwickelt werden.

[...]


[1] Bourgeois (1999): „Le Canard Enchaîné“ befreit die Pressefreiheit. S. 3.

[2] Vgl. Bourgeois: Frankreichs Medien zwischen Staat und Markt. In: Christadler/Uterwedde (Hrsg.) (1999): Länderbericht Frankreich. S. 423 ff.

[3] Bourgeois (1999): „Le Canard Enchaîné“ befreit die Pressefreiheit. S. 3.

[4] Ress: Die Freiheit der Presse und die innere Struktur der Zeitungsunternehmen in Frankreich. In: Doering (u.a.) (1974): Pressefreiheit und innere Struktur von Presseunternehmen in westlichen Demokratien. S. 48.

[5] Fortan als EGM abgekürzt.

[6] Da die Gruppe sich in Frankreich gegründet hat, lautet ihr Originalname „Reporters sans frontières“, kurz auch RSF. Allerdings übersetzt die Organisation, die weltweit agiert, ihren Namen in die jeweilige Landessprache. In der Hausarbeit soll sie deshalb als „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnet werden.

[7] Handbuch der Weltpresse (1970), S. 158.

[8] Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 80.

[9] Vgl. Handbuch der Weltpresse (1970). S. 158.

[10] Albert (1998): La presse française. S. 162. Den relevanten 11. Artikel der Deklaration übersetzt Irene Preisinger folgendermaßen:
„Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschrechte. Jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.“ In: Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 100.

[11] Albert (1998): La presse française. S. 162.

[12] Vgl. Handbuch der Weltpresse (1970). S. 159.

[13] Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 83.

[14] Vgl. Handbuch der Weltpresse (1970). S. 160.

[15] Ress: Die Freiheit der Presse und die innere Struktur der Zeitungsunternehmen in Frankreich. In: Doering (u.a.) (1974): Pressefreiheit und innere Struktur von Presseunternehmen in westlichen Demokratien. S. 51 f.

[16] Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 100.

[17] Zitiert nach Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 100 f.

[18] Vgl. Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 100.

[19] Vgl. Bourgeois: Frankreichs Medien zwischen Staat und Markt. In: Christadler/Uterwedde (Hrsg.) (1999): Länderbericht Frankreich. S. 423.

[20] Vgl. ders. (1999): „Le Canard Enchaîné“ befreit die Pressefreiheit. S. 4.

[21] Vgl. Ress: Die Freiheit der Presse und die innere Struktur der Zeitungsunternehmen in Frankreich. In: Doering (u.a.) (1974): Pressefreiheit und innere Struktur von Presseunternehmen in westlichen Demokratien. S. 51 ff.

[22] Vgl. Bourgeois: Frankreichs Medien zwischen Staat und Markt. In: Christadler/Uterwedde (Hrsg.) (1999): Länderbericht Frankreich. S. 423.

[23] Ebd.

[24] Zitiert nach Handbuch der Weltpresse (1970). S. 162.

[25] Zitiert nach Ress: Die Freiheit der Presse und die innere Struktur der Zeitungsunternehmen in Frankreich. In: Doering (u.a.) (1974): Pressefreiheit und innere Struktur von Presseunternehmen in westlichen Demokratien. S. 42 ff.

[26] Albert (1998): La presse française. S. 168.

[27] Vgl. Krämer (2001): Die zivilrechtliche Haftung der Medien für Persönlichkeitsverletzungen im französischen Recht. S. 18 f.

[28] Fischer (u.a.) (1975): Innere Pressefreiheit in Europa. S. 140.

[29] Vgl. ebd.

[30] Vgl. Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 87.

[31] Vgl. Krämer (2001): Die zivilrechtliche Haftung der Medien für Persönlichkeitsverletzungen im französischen Recht. S. 18.

[32] Vgl. Preisinger (2002): Information zwischen Interpretation und Kritik. S. 91 f.; S.103.

[33] Vgl. Krämer (2001): Die zivilrechtliche Haftung der Medien für Persönlichkeitsverletzungen im französischen Recht. S. 19.

[34] Vgl. Holtz-Bacha: Ungelöste Strukturprobleme. In: Media Perspektiven (10/1994), S. 492.

[35] Vgl. Bourgeois: Frankreichs Medien zwischen Staat und Markt. In: Christadler/Uterwedde (Hrsg.) (1999): Länderbericht Frankreich. S. 427 f.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Pressefreiheit in Frankreich
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften)
Veranstaltung
Mediensystem der Republik Frankreich
Note
1.0
Autor
Jahr
2003
Seiten
32
Katalognummer
V18466
ISBN (eBook)
9783638228114
ISBN (Buch)
9783638826730
Dateigröße
633 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit ist ein Rundumschlag zur Pressefreiheit in Frankreich. Kritiker behaupten, dass es in Prinzip in Frankreich gar keine Pressefreiheit gebe. Diesen Vorwürfen geht die Hausarbeit nach. Und tatsächlich finden sich gravierende Unterschiede in Geschichte, Gesetzeslage und der Einstellung des Staates zum Thema Medien verglichen mit dem anglo-amerikanischen Raum, zum dem such Deutschland zu zählen ist.
Schlagworte
Pressefreiheit, Frankreich, Mediensystem, Republik, Frankreich
Arbeit zitieren
Lars-Marten Nagel (Autor:in), 2003, Pressefreiheit in Frankreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18466

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