Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Kulturtransformation


Fachbuch, 2011

105 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Teil 1
Die Gegenwart
Die universelle Enttabuisierung der Grenzen und allgemeine Relativierung der Werte - Die globale kulturelle Babylonisierung

Teil 2
Die unvollendete Vergangenheit
Die großen Kulturrevolutionen – Rückblick und Ausblick

Teil 3
Die ungewisse, begonnene Zukunft
Ein ethisches Szenario: Die Revolution des Altruismus zur Bewältigung des kulturellen Transformationsprozesses
Ein kulturintegratives wissenschaftliches Szenario: Die Steuerung intra- und interkultureller Transformationsprozesse (Abschnitt in englischer Sprache).
Möglichkeiten der Fortentwicklung der kulturellen und interkulturellen Kunst, Wissenschaft und Praxis

Teil 1

Die Gegenwart

Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Kulturtransformation

Die universelle Enttabuisierung der Grenzen und allgemeine Relativierung der Werte:Die globale kulturelle Babylonisierung

Die technisch bedingte sogenannte Kollabierung von Raum und Zeit führt zu einer damit einhergehenden universellen Enttabuisierung der Grenzen und Relativierung der Werte. Der Turm zu Babel war ein vertikaler Versuch menschlicher Entgrenzung und Relativierung des Absoluten, die grenzenlose Globalisierung ist in vieler Hinsicht ein horizontaler Versuch der Entgrenzung und Relativierung des Absoluten. Die zweidimensionale Entgrenzung findet ihre Vollendung in der dreidimensionalen raumzeitlichen Entgrenzung und kosmischen Hybris. Damals folgte eine universelle Sprachenverwirrung, heute eine viel umfassendere Kulturenverwirrung. Die menschlichen Reaktionen auf diesen Sachverhalt bewegen sich in einer Bandbreite, die von der Ausblendung dieses Sachverhalts aus dem Bewusstsein bis hin zum proaktiven interkulturellen Brückenbau reicht.

Beide Prozesse haben dieselbe Ursache und dieselben Konsequenzen, das heißt, menschliche Anmaßung und dadurch bedingte Desintegrationsprozesse der Menschheit. Da sie dieselben Ursachen und Abläufe aufweisen, könnten sie auch durch dieselben Prozesse gesteuert werden, sofern sie reversibel sind. Teil 1 der Erörterung befasst sich vorwiegend mit der Anatomie und Physiologie der Atomisierung der Menschheit, während Teil 2 sich eher mit der Anatomie und Physiologie der Reintegration der Menschheit befasst.

Alle menschlichen Probleme sind durch eine Überschreitung bedingt, beginnend mit dem Garten Eden, als Adam und Eva die Grenzen zu dem verbotenen Baum mit den für den Menschen unzuträglichen Früchten physisch und geistig überschritten haben, weil sie den Maßgaben des Schöpfers gegenüber ungehorsam waren und die Lösung der Probleme beginnt daher mit der Rückkehr aus dem überschrittenen Bereich. Und dieser Archetyp widerholt sich seitdem in vielerlei Gestalt. Individuen und Gruppen beanspruchen die physischen und geistigen Rechte anderer Individuen und Gruppen und dringen in deren Territorium vor. Das Übertreten läuft letztendlich auf Gier und Habsucht und somit den versuchten Übergriff auf Fremdes hinaus. Diese Überschreitung wiederholt sich seitdem und nimmt proportional zu den Mitteln und Möglichkeiten der Überschreitung zu, bis sie gegen Ende des zweiten Jahrtausends die Möglichkeit der Überschreitung aller menschlichen Grenzen auf dem ganzen Erdball in der Gestalt der gegenseitigen, planetaren nuklearen Totalzerstörungsfähigkeit erreicht hat. Dieser globalen Überschreitungsmöglichkeit aller Grenzen ging die Überschreitung der kontinentalen Grenzen zum Zwecke der Kolonialisierung fremder Kontinente und Völker voraus, die die großen Kriege des zwanzigsten Jahrhunderts im Wettbewerb der Überschreitungen und zur Vergrößerung des Anteils an den planetaren Ressourcen ausgelöst hat. Kommunismus und andere Ideologien waren gewiss auch eine Reaktion, die der Logik der usurpatorischen Überschreitungen durch eine weltweite Revolution in der Gestalt der Vergemeinschaftlichung aller Ressourcen entgegnen wollte. Ebenso kann die Reformation unter anderem als eine Reaktion auf eine vermeintliche geistige Überschreitung der Grenzen vom römischen geistigen Zentrum der Zivilisation in die Peripherie der Welt, insbesondere Deutschlands, gedeutet werden.

Reformation, Kommunismus, Faschismus, Immigrationsproblematik und globale Wirtschaftsproblematik gehen also alle mit Überschreitungen von Grenzen, bzw. dem Versuch der Eindämmung desselben einher. Auch die europäische Integrationsgeschichte ist eine solche Reaktion zur Eindämmung von jahrhundertelangen Grenzüberschreitungen von Völkern und Staaten, insbesondere Deutschlands, deren Intensität mit dem Entstehen des Nationalstaates und der materiellen Entwicklung stets zunahm. Ist die ganze Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Überschreitung von Grenzen und die Reaktion darauf? - könnte man durchaus fragen. Vieles spricht dafür und wirft die Frage auf, was deshalb das rechte menschliche Maß ist, das den vermeintlichen Archetyp integrieren und somit diese menschliche Konfliktursache vom Grund her beheben kann.

Die Bibel und einige andere ethische Systeme versuchen offenbar genau an dieser menschlichen archetypischen Tendenz anzusetzen und lehren das diesbezügliche rechte Maß, das die Integrität der Schöpfung und des Geschöpfes bewahrt. Natürlich ist die Frage zulässig, wo die Menschheit entwicklungsmäßig wäre, wenn nicht viele Pioniere Grenzen auf der Suche nach den Eldorados in den diversen Bereichen überschritten hätten. Doch diese Debatte kann und muss man auch mit dem rechten Augenmaß führen und die ethischen Kontexte, Motive und Zielsetzungen in die Analyse der Grenzüberschreitungen miteinbeziehen. Hinsichtlich dieser Grenzüberschreitungen besteht offenbar eine Ambivalenz, denn einerseits können sie vermeintlichen Segen, wie beispielsweise die weltweite Verbreitung der Lehre vom diesbezüglichen rechten Maß in der Gestalt des Christentum, bringen, andererseits können Grenzüberschreitungen aber auch der rücksichtslosen Expansion des Ichs zulasten der legitimen Rechte Dritter dienen. - Somit sind also der Zweck und die Motivation der Grenzüberschreitungen entscheidend. - Dies führt zu einer Reaktion mit dem Ziel der erforderlichen Wiederherstellung der Grenzen, des angemessenen geistig-materiellen Raums, den die Kontinuität des Lebens erfordert. Man kann also einen menschlichen Archetyp, sowie eine damit einhergehende Ambivalenz unter dem Gesichtspunkt der Finalität, bzw. der Ethik erkennen. Dies läuft auf die Frage der Ethik der Grenzüberschreitung als Formel und Maßstab menschlichen Handelns hinaus.

Nicht von ungefähr kommt der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal daher zum Schluss, dass Friede herrschte, wenn ein jeder in seiner Bleibe bliebe. Dann finden keine Grenzüberschreitungen und somit keine Konflikte statt.

Doch die demographische und die Ressourcenlage der Menschheit, sowie die technischen Möglichkeiten fördern und erfordern scheinbar genau die entgegengesetzte Entwicklung, die mit der Planetarisierung der Welt überhaupt keine Grenzen mehr anerkennt. Die transnationale Managementlehre lehrt genau die weltweite Grenzüberschreitung mit allen Mittel, um im globalen Wettbewerb um den Anteil an den Weltressourcen den eigenen organisationalen Nutzen zu maximieren. Dies erfordert natürlich eine proportionale ethische Bewusstseinsbildung, um den mit diesen Überschreitungen einhergehenden Schaden abzuwenden. Daher rührt die Wiederbewusstwerdung des ethischen Paradigmas, insbesondere seit den großen amerikanischen Organisationsdebakeln und den sukzessiven Wirtschafts- und Finanzkrisen, die gegenwärtig das grenzenlose planetare System zu unterminieren drohen.

All diesen Überchreitungen mit ihren Folgen vorgelagert ist natürlich die psychologische Grenzüberschreitung und dies ist eine ethische Frage, die sich heute im Kontext der totalen Werte- und damit ethischen Relativierung in Zusammenhang mit der Säkularisierung im globalen Maßstab stellt. Die menschliche Tendenz zur unethischen Grenzüberschreitung in den diversen gesellschaftlichen Bereichen lässt sich, mit kulturellen Variationen über Zeit und Raum hinweg beobachten und somit die damit einhergehende kulturell variable Konfliktlogik. Die zunehmende Entgrenzung des Menschen, innerlich wie äußerlich, akzentuiert deren Konsequenzen.

Es ist ein evidentes Konfliktpattern im Bereich der Wissenschaft, im sozialen, alltäglichen Bereich, im Gender-Bereich, im Bereich der Wirtschaft, der Ökologie, der Migration, sowie der Kultur etc.

Das wäre weiter nicht verheerend, wenn die Menschen, um eine Freud’sche Kategorie zu bemühen, ihr Superego ethisch verstärken, internalisieren und zu ihrem Maß und Maßstab machen würden, um das in früheren Entwicklungsphasen des Menschen eher in persönliche Macht und Autorität eingebettete Superego zu substituieren. Da diese Internalisierung der Kontrolle nicht zusammen mit der Entgrenzung fortschreitet, führt die Abwesenheit der Kontrolle durch das externalisierte Superego bei Menschen mit geringer ethischer Entwicklung zu anarchischen Verhaltensweisen ohne Werte, ethische Normen und Identität und somit zu antisozialen Einstellungen und Verhaltensmustern. Dasselbe Pattern trifft in einem Kontext totaler Relativierung und Entgrenzung des Menschen vom Individuum über die Organisation und Institution, die Region, die Nation, die supranationale Region bis hin zu weltweiten Tendenzen zu.

Es ist bekannt, dass nicht nur Armeen mit ihren Waffenarsenalen, sondern auch Konzerne durch ihre Grenzüberschreitungen die Integrität fremder Kulturen und Territorien unterminieren und so zerrütten können, dass eine mehr oder weniger gewaltsame Reaktion auf die die Lebensgrenzen überschreitenden Strategien und Politiken von Staaten und Konzernen Konfliktkreisläufe entfesselt.

Die militärische Grenzenverletzung hat die Menschheit in ihrer gesamten Geschichte ohne Unterlass erfahren. Allein im zwanzigsten Jahrhundert hat sie, laut Hofstede, um die achtzig Millionen Menschen das Leben gekostet und diesem Kulturgelehrten zufolge ist für das gegenwärtige Jahrhundert keine wesentliche Änderung zu erwarten - ceteris paribus, wäre man geneigt, hinzuzufügen -, denn wenn eine höhere Spiralwindung dessen, was man im interkulturellen Kontext Sensibilisierung, Bewusstwerdung, Wissen und Kompetenzen nennt, eingeleitet werden kann, dann kann eine Veränderung erfolgen, denn trotz der vermeintlich konträren Hegelschen Evidenz, derzufolge wir aus der Geschichte lernen, dass wir nichts aus ihr lernen, befinden wir uns in der globalen Wissens-, Informations- und Kommunikationsgesellschaft unserer Tage in einer intensiven Transformationsphase des menschlichen Bewusstseins.

Und schließlich ist der Mensch ein lernendes Wesen und es gibt zunehmend augenblickliches weltweites Feedback bei Grenzüberschreitungen gewisser fundamentaler Art, für die der Mensch nun durch seine Sozialisierung, insbesondere durch die jüngere Menschheits- und Weltgeschichte, bereits sensibilisiert ist und Bewusstheit und darüberhinaus zunehmend Vermeidungstendenzen – z. B. hinsichtlich kriegerischer Handlungen und Menschenrechtsverletzungen, zumindest in gewissen Fällen – entwickelt hat.

Basierend auf dem Anthropologen I. Tsuda, der aus einem japanischen Samuraigeschlecht stammend als Japaner in Korea geboren und in Europa gelebt hat - und somit selbst zahllose physische und geistige Grenzen auf der Suche nach der Einheit des Menschen überschritten hat - kann man den Prozess der progressiven wirtschaftlichen Entgrenzung in der Entwicklung vom archaischen zum modernen internationalen Wirtschaftssystem mit seinen Folgen folgendermaßen zusammenfassen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Transcultural Dictionary - Transkulturelles Wörterbuch; Autor. G. Deißler

In den biologischen Wissenschaften und der genetischen Forschung ist die Überschreitung von Grenzen mit unabsehbaren Folgen für die gesamte menschliche Natur und die Schöpfung insgesamt eines der brennendsten Themen unserer Zeit. Weltweit hat man, je nach Grad der ethischen Sensibilisierung, Formen der wissenschaftlichen, ethischen und politischen Kontrolle des Fundaments des Lebens institutionalisiert.

Die expandierende Grenzenüberschreitung in den Raum der Tiefsee mit ihren Ressourcen und in den kosmischen Raum, die technisch immer machbarer werden, sind seit langem Gegenstand der internationalen Rechtsentwicklung, damit sie nicht bereits bekannte Patterns der Grenzüberschreitung im größeren Maßstab reproduzieren

Im Bereich der Ökologie und des Klimas versucht man, von einer Klimakonferenz zur anderen Treibhausgas-Emissionsgrenzen gegen mächtige staatliche Lobbys durchzusetzen, weil diese Art der Grenzüberschreitung die Grenzen des menschlichen Habitats stündlich - beispielsweise in der Gestalt der Rückbildung der Gletscher um einige 10 Meter pro Tag - reduziert. Diese durch die globale wirtschaftliche Grenzüberschreitung bedingte ökologische Grenzüberschreitung, stellt ein Damoklesschwert für die ganze Menschheit dar, von dem nicht wenige Fachleute meinen, dass es den Ast, auf dem sich die Menschheit in der Biosphäre eingerichtet hat, ganz und gar abhacken könnte.

Die allgemeine Entgrenzung, flankiert von einer universellen ethischen und sittlichen Relativierung, ruft Fundamentalismen auf den Plan, die diese Gelegenheit des allgemeinen wertefreien und relativierten geistigen Vakuums des exzessiven Neoliberalismus für die Durchsetzung ihrer extremistischen und fundamentalistischen ideologischen Doktrin nutzen möchten. Der werte- und ethisch relativierte und entgrenzte Mensch, bei dem nur das „Avere und Potere“ zählt, wird aufgrund seiner unvorhersehbaren Verhaltensweisen in Abwesenheit oder infolge der Schwächung seines inneren Kompasses in der Gestalt von rechtlichen, sittlichen und Verhaltensnormen, zu einem psychologischen Risiko für sich selbst und aufgrund seiner dadurch bedingten antisozialen Verhaltensmuster darüberhinaus für die gesamte Gesellschaft, geschweige denn für die guten gesellschaftlichen und insbesondere zwischenmenschlichen, sittlichen und stilvollen Verhaltensweisen.

Letzteres nimmt groteske Ausmaße an, wenn Gruppen auch kein gutes urbanes Sozialisierungsniveau mit entsprechendem Stil haben, der gewisse Relativismen und Entgrenzungen noch durch die implizite soziale Kontrolle in Schach halten und mit einem gewissen menschlichen Antlitz versehen kann. Eine urbane Tradition könnte das Prinzip „Raffe so viel du kannst“ zumindest noch ästhetisch übertünchen.

Der Geschlechterkampf ist eine besondere neuzeitliche, aber fundamentale Variante der geistig-biologischen Grenzüberschreitung, die zusätzlich zwischenmenschliche Grenz- und Identitätsverletzungen im nationalen und globalen Ausmaß, jedoch kulturell variabel, verursachen kann. Es handelt sich um ein Missverständnis der Emanzipation wenn die legitime Gleichstellung der Frau von einem geschlechtlichen, bisweilen omnipräsenten psychophysisch basierten Wettbewerb begleitet wird, der meistens auf Unwissenheit und mangelnde diesbezüglicher Erziehung und Defizite im Bereich des guten Stils zurückzuführen ist. Doch leider ist der interpersonale, alle Grenzen ignorierende Wettbewerb, ein universelles, Gender-unspezifisches Syndrom.

Die epochale religiöse Verwirrung mit der besonderen, im Herzen der germanischen Kultur generierten, kulturell bedingten Spaltung der germanischen von der romanischen Welt in der Gestalt der Reformation mag kausal mit einem Verlust der Gender Identität und Gender Verwirrung zu tun haben, weil die fundamentale biologische Komplementarität und Polarität durch die Elimination der Mariologie in der reformierten Kirche beseitigt und das geistig-biologische Fundament des Lebens dadurch derart unterminiert wurde, dass alle Prozesse, die dieser Anomalie entstammen, in ihrer geistig-biologischen Integrität und Normalität, sowohl individuell also auch kollektiv, verworren sind. Man kann es an Geschlechtergrenzen ignorierenden Verhaltensweisen erkennen.

Zur Behebung der geistig-körperlichen Verkettung im Bereich der religiös bedingten Verwirrung des Menschen, trachtet man danach, in eine weitere Verwirrung in der Gestalt einer Universalreligion oder eines Weltethos zu flüchten. Dazu kommt die Begegnung und gegenseitige Kenntnisnahme der Myriaden von Religionen und Weltanschauungen, an denen sich die Menschen, wie in einem globalen weltanschaulichen Supermarkt bedienen können und ihr eigenes weltanschauliches, synkretistisch relativiertes Menu zusammenstellen können.

Von Verworrenheit kommt nur Verwirrung. Adam und Eva wollten sich von der einen Ordnung lösen, ebenso die Reformation. Beide verursachten und verursachen der Menschheit Folgeprobleme, solange, bis die Relativierung der einen Ordnung in die eine Normalität des das normale Leben Kennzeichnenden zurückgesetzt wird. Gibt es eine Religion, die nicht die polarisierte, integrative menschliche Balance als Motiv hat? Da diese bipolare Entkopplung, deren Integration Kennzeichen der menschlichen Normalität ist, im Protestantismus erfolgt ist, kann man von einer unter anderem dadurch mitbedingten Rückkehr ins tiefste Heidentum sprechen. Denn die dadurch bedingten Verhaltensweisen haben genau jene kannibalistischen Patterns, die sich fraktal vom geistigen über die Genderfrage hinaus in anderen gesellschaftlichen Bereichen manifestieren.

Die Verbannung aus der Ureinheit im Garten Eden hat eine Dialektik eingeleitet, ebenso wie die Verbannung aus der Einheit des Geistes der einen Kirche, die beide eine Regression in die Verbannung der Trennung von der Einheit als Metapher und konkrete Eigenschaft des Lebens sind. Verbannung und Trennung bedeuten Leid, und zwar solange, bis sie aufgehoben werden. Multikulturalisierung und Kirchenspaltung sind Trennungs- und Leidprinzipien, solange sie nicht durch eine Einheitsdynamik erlöst werden, die sie wieder in die Einheit integriert.

Die Verbannung folgte auf das Paradies, auf den Verbannungszustand folgte schließlich eine weitere Regression ins prächristliche Heidentum. Wie wird es weitergehen? Ebenso befinden sich die Verwirrung der Sprachen in Babylon und das heutige kulturelle Babylon als progressive Entfernung vom fundamentalen und integralen Lebensprinzip der Einheit auf einer Achse. Wie wird es weitergehen? In beiden Fällen handelt es sich um eine Progression des Verlustes der Einheit als Kennzeichen wahren Lebens. Die Relativierung dieser Einheit unterminiert die Normalität des Lebens und tangiert all seine Manifestationen, die wir heute weltweit beklagen. Ihre Lösungen können daher nur am Fundament des Lebens mit dessen transzendenten-immanenten Ordnungsrehabilitierung erfolgen, während alle anderen Bemühungen reversibel bleiben. Selbst wenn man Paradies und Babel nur als ungeschichtliche Metaphern, eine Amalgamierung von Geschichte und Heilsgeschichte, betrachtet, ist das abgeleitete Prinzip der Abkehr von der Einheit des Lebens mit seinen Folgeerscheinungen transdisziplinär betrachtet durchaus folgerichtig.

Eine neue Variante der historischen Sprachenverwirrung des alten Babylon als Antwort auf einen Versuch der menschlichen Anmaßung der Grenzüberschreitung hin zum Herrn der Schöpfung ereignet sich heute wiederum in der Gestalt eines kulturellen Babylon, da es, so Kohelet, in der Tat nicht Neues unter der Sonne gibt und da alles, was ist, schon einmal da war. Wir beobachten, wie Kulturen und Kulturmitglieder kulturell entwurzelt und alle Menschen in einen Sog der Konflikte heraufbeschwörenden multikulturellen Hybridisierung mit den damit einhergehenden ethnozentrischen Reaktionen gezogen werden, sowie den Versuch mächtiger kulturell-materieller Aggregate, ihre Kultur rücksichtslos und kompromisslos durchzusetzen.

Einige Migranten, die eigentlich besonderer Rücksichtnahme bedürfen, überschreiten aber nicht nur territoriale, kulturelle und staatliche, sondern auch persönliche Grenzen ohne Rücksichtnahme auf die Zielkultur, die sie als Individuen oder Kollektive zu kolonialisieren gedenken, statt sich mit ihr symbiotisch zu solidarisieren. Sie verletzen bisweilen alle Grenzen, was intrakulturelle Konflikte hervorruft. Doch das ist nicht die Regel, sondern nur ein mögliches Pattern, da der Migrant sich der Ausgangskulturnormen in einem fremdkulturellen Umfeld entzieht und jene der Zielkultur ignoriert oder verweigert. Er befindet sich in einem Niemandsland des Relativismus und handelt im elementaren Selbstinteresse und ohne Rücksicht, wenn er kein einigermaßen entwickeltes Superego und inneren Zensor hat. In einem geistig relativierten, säkularisierten Umfeld, unter demographisch und wirtschaftlich zunehmend belasteten und prekären Bedingungen, neigt er dann zu alle rechtlichen, kulturellen und sittliche Normen überschreitenden Eistellungen und Verhaltensweisen. Deshalb ist die Integration in das Werte- und Normengeflecht einer Zielkultur keine Wunschvorstellung, sondern ein Muss im gesamtgesellschaftlichen Interesse.

Hinter der intra- und interkulturellen Diversitätsproblematik schlechthin schlummert häufig das tiefere Motiv der Eifersucht und des Begehrens fremder Attribute oder deren Missbilligung und letztendlich der Ichsucht (Selbstbezogenheit, Machtsucht und Habgier) auf Kosten Dritter, kulturell Diverser. Ohne dieses menschliche psychologische Motiv könnte alle menschliche Diversität so friedlich wie die Blumen des Gartens und die Pflanzen des Feldes koexistieren. Die Sonne scheint über Ihnen wie den Menschen gleichermaßen, ja selbst den Gerechten, wie den Ungerechten. Letztendlich handelt es sich um Unwissenheit und ein Übertreten des Gebotes des Diversitätsrespektes, das in allen zivilisierten Rechts-, Ethik-, Erziehungs- und Bildungssystemen verankert ist. Letztendlich läuft die kulturelle Diversitätsfrage auf ein Bewusstseins- und Ethikfrage hinaus, also Kolonisierung versus Respektierung fremder Attribute und Eigenschaften.

Das multilinguale Babylon kann nicht nur verbale Verständnisprobleme verursachen, aber die Sprachenverweigerung und Unkenntnis sind in dem Sinne gravierend, dass die Menschen durch die kognitiven/emotionalen Strukturen, die mit der natürlichen Sprache einhergehen, in gewisser Weise interdependent sind und sich dadurch gegenseitig nicht nur missverstehen, sondern auch behindern oder fördern können.

Bei der sprachlich, ethnisch, kulturellen Diversität ist besondere Rücksicht hinsichtlich der interpersonalen Grenzen, sowohl im intrakulturellen als auch im interkulturellen Kontext geboten, damit keine diversitätsbasierten Konflikte entstehen. Dies gehört in den Bereich des Selbstmanagements, wie auch des politischen Managements und der politischen Kulturstrategie oder Migrationspolitik, damit die Kohäsion, Solidarität und somit die Viabilität einer Gemeinschaft erhalten oder wiedergewonnen wird. Der Respekt der ethischen, kulturellen und persönlichen Grenzen im sozialen Bereich ist eine andere Bezeichnung für den Begriff der Gemeinschaft, die nicht eingrenzt, vermasst, verwischt, vermengt und anarchisch ist. Die universelle Entgrenzung und Relativierung kann nur durch einen neuen menschheitlichen Gemeinschaftssinn positiv transformiert werden und der Schlüssel dazu ist ein ethisches Bewusstsein.

Die Kombination des sprachlichen und kulturellen Babylon-Effektes entstammt gleichermaßen der menschlichen Hybris und diversifizieren diesen bis zur Verwirrung, wenn er nicht in der Lage ist, eine diversitätskompensatorische Form der Integration und Einheit zurückzugewinnen, die für normales Leben kennzeichnend ist. Das sprachlich-kulturelle Babylon Syndrom belastet den Menschen dieser Epoche. Die Turmbauhybris hat die erste Welle der Verwirrung hervorgerufen und die damit einhergehende Kommunikationswirrnis gewiss zahllose Konflikte hervorgerufen und die Globalisierungshybris involviert nun eine fundamentalere globale kulturelle Wirrnis, wovon die sprachliche nur ein Teil ist. Und wenn man in Erwägung zieht, wieviel Wirrsal die sprachliche Verwirrung erzeugt hat, so kann man sich ausmalen, was eine viel fundamentalere kulturelle Verwirrung globaler Art an Wirrsal für die Menschheit insgesamt bedeuten kann. Die Vorläufer der kulturellen Verwirrung haben wir bereits in der Gestalt der Migrations- und Integrationsproblematik, des Fundamentalismus mit dem diesen potenzierenden Terrorismus, von links, von rechts, säkular und vermeintlich religiös und alle rechtlichen, staatlichen und kulturellen und ethischen Grenzen und Schranken ohne Einschränkung überschreitend, sowohl materiell, geistig, kulturell, wie auch virtuell.

Wird die kulturelle Verwirrung demographisch und ressourcenbasiert potenziert und in eine Frage des Seins oder Nichtseins umgeprägt, so entsteht aus den kalten Kriegen mit extremistisch, terroristischen“ Intermezzi“ ein heißerer Krieg ohne Grenzen und Schranken und somit eine Rückkehr in die Höhle, denn psychologisch entspricht dieser Status in der Tat, wie es bereits von Denkern formuliert wurde, dem Höhlenmenschen, obwohl er bereits die planetaren Schranken und Grenzen materiell, aber nicht gleichermaßen psychologisch, überwunden hat.

All dies erfordert eine Bewusstseinsbildung hinsichtlich des Verständnisses des Menschen inbezug auf seine eigene Natur und die Möglichkeit der ethischen Flankierung seiner Entgrenzungs- und Relativierungstendenzen durch eine Rehabilitation der Ethik, der Religion und der Erkenntnis oder kurz, der Bewusstseinsbildung. Letzteres beinhaltet und integriert all diese Komponenten, da das Bewusstsein der Integrationsfokus dieser geistigen Funktionen des Menschen ist.

In diesem Sinne möchte ich fortfahren, indem ich Szenarien für das Management der kulturellen Dimension der Grenzüberschreitung formuliere, zunächst ein scheinbar abschreckendes intrakulturelles, zumindest was den Titel anbelangt und andere, sowie eine Lösung durch eine kulturintegrative Universalformel, also gewissermaßen Zuckerbrot und Peitsche oder die Politik des „carrot and the baton“, wie man im Amerikanischen zu sagen pflegt.

Das gesellschaftspolitisch relevante Motiv dieses Exposés ist die Grenze, eine Ethik der Grenze, bzw. der Grenzüberschreitung. Es handelt sich um eine geistig-materielle Territorialdynamik und die nachhaltige Austarierung zentripetaler und zentrifugaler Kräfte innerhalb der menschlichen Psyche. Ihre regulierende Funktion ist durch die Ethik und die Bewusstseinshygiene gegeben. Wie diese Regulierung in intra- und interkultureller Hinsicht erlangt werden kann ist Gegenstand der folgenden Kapitel und sie ist unumgänglich, da das kulturelle Spaltungspotential in der Menschheit im inneren des Menschen vergleichbar mit der nuklearen Spaltung im Bereich der Materie ist. Sie können gleichermaßen verheerend sein und bedürfen daher gleichermaßen der Kontrolle.

Teil 2

Die unvollendete Vergangenheit

DIE GROSSEN KULTURREVOLUTIONEN RÜCKBLICK UND AUSBLICK

Während der vergangenen fünfhundert Jahre hat unsere Welt unter anderen fünf bedeutsame Revolutionen durchlaufen, die bis heute nachwirken und zwar folgende:

Reformation

Marxismus

Nationalismus

Gegenkulturrevolution

Kulturrevolution

Wahrscheinlich wäre der Begriff Regression in vieler Hinsicht angebrachter, wenn man das Unheil bedenkt, das diese fünf Ideologien verursacht haben und auch heute noch weltweit tun. Die Ideen die durch sie in die Welt gesetzt wurden, leben weltweit fort und verursachen, gleich einem Virus, weltweiten Schaden bei all den Menschen und Kulturen, die situationsbedingt anfällig dafür sind. Ein Organismus ist für ein Virus anfällig, wenn er nicht genügend Abwehrkräfte hat. Die Abwehrkräfte bestehen hier, vergleichbar mit einer prophylaktischen Impfung oder in einer digitalen Systemumgebung, einer aktualisieren Antivirussoftware, die die neuesten Mutationen und Entwicklungen des Virus erkennt und Antikörper oder dafür bereitstellen kann, in einer geistigen Disposition die die mentalen Mechanismen entlarvt und davor schützen kann, daß man in ihren Sog mit den oft irreversiblen Konsequenzen gezogen wird.

Alle haben große Menschenopfer gefordert gleich einem heidnischen Gott, der einen unersättlichen Hunger nach Menschenopfer hat. In der Tat, der Gott ist hier kein persönlicher oder ein übernatürliches Prinzip, das es zu besänftigen gilt, aber doch ein abstraktes mentales Prinzip, das verabsolutiert, also nicht vergöttlicht, sondern vergötzt wird. Somit sind sie alle Formen des Götzentums, und insofern eine heidnische Regression. Das klingt schmerzlich in den Ohren von Menschen die all ihre Hoffnung auf diese Götzen gesetzt haben und häufig und millionenfach mit ihrem Leben dafür bezahlt haben.

Sie haben allein im zwanzigsten Jahrhundert vielleicht ebensoviele Menschenleben gefordert, wie das vereinte Deutschland Einwohner hat. Sie basierten auf dem Prinzip des Götzentums und waren dialektische Pendelgegenbewegungen zum Status Quo im Bereich des Religion, der Politik und der Kultur: enormer Kollateralschaden eines Götzentums, das auf mentalen Mechanismen beruhte und nicht durch den Überlebenskampf mit einer unbeherrschbaren Naturgewalt höher Ordnung bedingt war, sondern eher auf der ebenso unbeherrschbaren und noch verheerenderen Naturgewalt des Mentalen des Menschen gründete. Heidnisch, weil die Götzen nicht externalisiert, sondern internalisiert, aber den denselben Absolutheitsanspruch hatten und keinen anderen Götzen neben sich duldeten.

Der Mensch hat einen strukturellen und funktionellen Bedarf nach geistiger und seelischer Integration in einem Einheitsprinz, äußerlich, wie innerlich. Er verabsolutiert das äußere, um seine innere Integration und Einheitserfordernis, seine Widerspruchsfreiheit, deren permanente Spannung er nicht ertragen würde, zu realisieren.

Es erhebt sich die Frage, wie der Mensch die alles überragende Bedingung der inneren Konsistenz und Widerspruchsfreiheit, die seine geistig, psychosomatische Einheit gewährleistetet auf einem Weg erreichen kann, die nicht dialektischer Natur ist und keine Pendelbewegung von konkurrierenden Kräften initialisiert, die alle ihre Ideologien verabsolutieren wollen, in der Hoffnung die strukturell, funktionelle Integration ihres gesamten Wesens dadurch zu erlangen. Diese wird sehr oft höher bewertet als der Wert des Lebens selbst. Doch auf dem Weg der Reaktion und Gegenreaktion gibt es nur Relatives. Und solange das Absolute im Relativen zu finden gehofft wird, schwingt das Pendel von Reaktion und Gegenreaktion weiter und weiter durch die Jahrhunderte, durch ganze Zeitalter, ja selbst durch die gesamte bekannte Menschheitsgeschichte.

Wie kann dieses Pendel der dialektischen Götzenverabsolutisierung, das seinen gesetzmäßigen retrospektiv verifizierbaren und vorhersehbaren Tribut fordert, ins Lot gebracht und das Prinzip der dialektischen Reaktion und Gegenreaktion, die einen endlosen Kreislauf bilden, gesteuert und beherrscht werden? Das ist die Frage, die sich unter dem Strich, als Bilanz der Erkenntnis aus der Analyse und Betrachtung der verschiedenen Revolutionen ergibt, die aber alle dem einen und demselben Prinzip gehorchen, also einer Gesetzmäßigkeit? Es handelt sich nicht um eine äußere Gesetzmäßigkeit, sondern um eine Gesetzmäßigkeit des menschlichen Geistes mit dramatischen Folgen in der äußeren Welt. Die tatsächliche Ursache der Revolutionen liegt nicht im Äußeren, dort liegen nur die auslösenden Motive, sondern in den mentalen Prozessen als Reaktion auf die vermeintlichen Ursachen.

Wie kann der Mensch sein Bedürfnis und somit die Erfordernis einer Gesamtintegration bei gleichzeitiger Beherrschung der Dialektik stillen und erlangen? Das wäre eine konstruktive metarevolutionäre Frage:

Es ist eine Frage der Steuerung der vermeintlichen revolutionären Prozesse, so, daß der dialektische Kreislauf der endlosen Reaktion und Gegenreaktion aufgehoben und die innere Einheit und Widerspruchsfreiheit gewährleiste, und somit kein weiterer pseudorevolutionärer Bedarf mehr besteht. Dies erfordert eine Betrachtung des menschlichen Geistes, um die den Mechanismen zugrundeliegenden Prinzipien zu erforschen, zu erkennen und zu steuern.

Die Pendelbewegung, die durch die Reformation, den Marxismus und den Nationalismus und den heutigen religiös-kulturellen „Kulturalismus“ ausgelöst wurden, pflanzen sich gleich Wellen auf dem Meer der Menschheitsgeschichte endlos fort, verursachen selbst Tsunamis, wenn das geologische Fundament zusätzlich erschüttert wird und noch tiefere strukturelle Schichten des Menschen als die ideologischen bewegt werden. Dann kann es zu verheerenden Verwüstungen und Kriegen kommen

Das Auftreten von Tsunamis im Zeitalter der Phase des Kulturalismus (Kulturkampf und religiöser Fundamentalismus), der kulturell und religiös bedingten Konflikte, ist eine interessante Parallele. Beide sind fundamental. Der Tsunami ist durch das Fundament des Meeres bedingt und erfährt dadurch eine Potenzierung. Der kulturell-religiöse Fundamentalismus ist deshalb fundamental, weil er eine extreme Form einer Ideologie ist die gleichermaßen verheerende Konsequenzen hat und deren Wirkungs- und Ausbreitungsgrad unüberschaubar ist und gleich den Tsunamis ganze Teile der Erde verwüsten kann, besonders jene, deren Lage sehr exponiert und daher gefährdet ist, das heißt, keinerlei höher gelegene für die Flutwelle unerreichbare Erhebungen hat. Ebenso erfordert der Schutz gegen den sogenannten Fundamentalismus eine geistig höhere Positionierung, die für den fundamentalen kulturell-religiösen Fanatismus unanfällig macht; eine höhere geistige Verankerung. Und das gilt auch die anderen Formen der revolutionären, verabsolutierenden Götzenverehrung von Ideologien sozialer, politischer, kultureller und religiöser Art. Demnach wäre die Frage dahingehend umzuformulieren, wie sich der Mensch eine geistige Plattform errichten und sich im Meer der endlosen dialektischen Prozesse so verankern kann, daß der nicht von den Wellen erfaßt und mitgerissen werden kann, denn diese haben kein Ende. Sie transzendieren den Menschen um zahllose Generationen, pflanzen sich in die Endlosigkeit fort, wo doch der Mensch als Krone der Schöpfung so ausgestattet ist, daß er alles, inklusive sich selbst, beherrschen könnte.

Die Dialektik ist endlos, der Mensch dagegen ist endlich. Seine eigene materielle Endlichkeit sollte ihn schon angesichts des ihn überdauernden Meeresgetöses zur Vorsicht mahnen. Gleich einer Welle wird er in der Flut verschwinden. Doch das Spiel der Wellen und Ideologien wird nie enden, sondern nimmt nur stets neue Formen an.

Die ideologischen Dialektiken reihen sich in eine endlose Schnur von Dialektiken mit zahllosen Perlen größerer oder kleinerer Umbrüche und Paradigmenwechsel bis hin zu den historischen Revolutionen ein. Das Prinzip der Perlenschnur oder Perlenkette ist ein Kette, die schicksalhaft um des Menschen Hals gelegte Kette, eine Schlinge, in der er gefangen ist und die ihn bisweilen zu ersticken droht. Von dieser Perlenkette scheint es kein Entrinnen zu geben. Das ist die condition humaine. Die zentrale Frage ist daher, ob es eine Möglichkeit gibt, den Hals aus der Schlinge zu ziehen und die Perlenschur, die ja eine Schlinge ist, abzulegen und sie in die Schmuckschatulle der Evolutionsgeschichte abzulegen. Kann die Endlosschleife durchbrochen werden, das Programm des menschlichen Geistes, der in einer dialektischen Endlosschleife gefangen ist, unterbrochen werden? Der Mensch versucht diese Schlinge, nach Kräften, soweit möglich, als ein makabres Schmuckwerk zu interpretieren. Doch selbst eine goldene Kette bleibt, wenn Sie ohne Unterlaß um den Hals gelegt ist und getragen werden muß, ein zweischneidiges Schwert, ein Damoklesschwert, das ständig determinierend über dem Schicksal hängt. Auch ein goldener Käfig ist und bleibt ein Gefängnis, wenn man darin verweilen muß. Er hört nur auf ein Gefängnis zu sein, wenn man ihn selbstbestimmt betreten und verlassen kann.

Die angestoßenen Gedanken und Ideen, die sich als Ideologien vielfältiger Prägung verdichten, diffundieren in der Zeit und im Raum ad Infinitum. Vielleicht kann man der Problematik etwas habhafter werden, wenn man, wie es in der indischen Psychologie der Fall ist, das Mentale nicht als immateriell, sondern vielmehr als materiell betrachtet. Materie wiederum kann man, so wissen wir vermittels des Komplementaritätsprinzips von Niels Bohr entweder als Teilchen und als Energie betrachten. Betrachtet man sie als Energie so wird verständlicher, daß die als Ideologien verdichteten Gedanken und Ideen sich gleich Wellen, Zellen oder Photonen unendlich diffundieren können. Gleich einem Zahlenstrahl beginnend mit der Zahl eins, setzt er sich endlos fort sobald die Dualisierung begonnen hat.

Auf der mentalen Ebene herrscht das Prinzip der Dualität und der Dialektik. Die mentale Welle stößt zahllose weitere Wellen an und kann im Mentalbereich des Ozeans kein Ende finden, denn Wellen sind seine ureigene Natur, sowie es die Natur der Sonne ist, aufgrund ihrer gewaltigen Energie Licht auszustrahlen. Niemand außer dem Schöpfer dieser Naturkräfte kann ihnen gebieten das nicht zu tun, was ihre ureigene Natur ist. Ebensowenig ist es möglich, im geistigen Bereich dem Mentalen zu gebieten, sich anders zu verhalten, als es durch seine Natur vorgegeben ist. Obschon die Variationen im Bereich des Ozeans des Mentalen myriadenfache Formen und Gestalten annehmen können, bleiben all diese Variationen doch gewissermaßen im horizontalen Bereich der Zeit, im Bereich der imperativen Dialektik, in dem eine Welle die andere auslöst und so fort. Das Optimum das hier zu erhoffen ist, sind Optimierungen aufgrund der Multiplizierung der Alternativen und Synergien aus diesen. Damit könnt man sich zufrieden geben, doch auch diese Optima erzeugen ihrerseits wiederum das endlose Spiel der Wellen auf dem Ozean des menschlichen Geistes. Man bleibt weiter in der Endlosschleife, wenn auch vielleicht auf einer etwas höheren Ebene intellektueller Sophistikation. Etwas extrem formuliert könnte man es als ein Flugzeug in der Warteschleife für die Landung über einer goldenen, traumhaften Stadt einer anderen Welt betrachten. Vom Flugzeug aus kann man die Silhouetten und Attraktionen zum Greifen nah wahrnehmen, aber es gibt keine Landeerlaubnis auf jenem Flughafen; wiederum eine Endloswarteschleife ohne Möglichkeit der Landung an dem Ort, der die Wirklichkeit in einem anderen Licht erscheinen läßt und in dem ganz andere Gesetze und Regeln herrschen als die bekannten. Woher soll man aber die Landecodes und Koordinaten für jenen unbekannten Hafen bekommen? Bislang hat man sich in einem anderen Bewußtseinsraum bewegt, dessen Spezifikationen relativ bekannt sind.

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Ende der Leseprobe aus 105 Seiten

Details

Titel
Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Kulturtransformation
Autor
Jahr
2011
Seiten
105
Katalognummer
V184397
ISBN (eBook)
9783656092469
ISBN (Buch)
9783656566342
Dateigröße
1953 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Deutsch/Englisch
Schlagworte
Management des kulturellen Wandels
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2011, Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Kulturtransformation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184397

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