Case Management in österreichischen Krankenanstalten

Herausforderung und Chance


Masterarbeit, 2011

99 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Themenstellung und Relevanz der Themenstellung
1.2. Formulierung der Forschungsfragen
1.3. Stand der Literatur
1.4. Methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

2. Das österreichische Gesundheitswesen und seine Reformen
2.1. Die Entwicklung des österreichischen Gesundheitswesens
2.2. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG)
2.3. Die Vereinbarungen gemäß Artikel 15a B-VG von 1978 bis 2013
2.4. Die Reformen des Gesundheitswesens

3. Nahtstellenmanagement
3.1. Was ist das Nahtstellenmanagement?
3.2. Wie ist das Nahtstellenmanagement in der Art. 15a B-VG Vereinbarung verankert?

4. Case Management
4.1. Definitionen von Case Management
4.2. Der Ursprung und die Entwicklung des Case Managements
4.3. Funktionsweise und Aufbau des Case Managements
4.4. Qualitätsstandards zum Case Management
4.4.1. Klärungsphase
4.4.2. Assessment
4.4.3. Serviceplanung
4.4.4. Linking
4.4.5. Monitoring
4.4.6. Evaluation
4.4.7. Case Management auf der institutionellen Netzwerkebene
4.5. Analyse der Qualitätsstandards
4.6. Bewertung der Qualitätsstandards

5. Nahtstellenmanagement versus Case Management
5.1. Die aktuellen Reformpoolprojekte in den Ländern
5.2. Reformpoolprojekt des Landes Wien
5.2.1. Analyse
5.2.2. Bewertung
5.3. Reformpoolprojekte des Landes Niederösterreich
5.3.1. Analyse
5.3.2. Bewertung
5.4. Reformpoolprojekt des Landes Burgenland
5.4.1. Bewertung
5.5. Reformpoolprojekt des Landes Steiermark
5.5.1. Analyse
5.5.2. Bewertung
5.6. Reformpoolprojekte des Landes Tirol
5.7. Reformpoolprojekt des Landes Vorarlberg
5.7.1. Analyse
5.7.2. Bewertung
5.8. Reformpoolprojekte des Landes Kärnten
5.9. Reformpoolprojekt des Landes Salzburg
5.9.1. Analyse
5.9.2. Bewertung
5.10. Das Nahtstellenmanagement im Land Oberösterreich
5.10.1. Analyse
5.10.2. Bewertung
5.11. Das Nahtstellenmanagement - ein ungeliebtes Thema

6. Case Management versus Nahtstellenmanagement
6.1. Das Kölner Case Management Modell
6.2. Vom Nahtstellenmanagement zum Case Management
6.3. Die Maßnahmen
6.4. Die Auswirkungen
6.5. Das Case Management und die österreichische Gesundheitspolitik

7. Conclusio
7.1. Wahl des Themas
7.2. Gesetzliche Grundlagen
7.3. Gesundheitsreformen
7.4. Maßnahmen ab dem Jahr 2000
7.5. Wie geht die Politik mit dem Nahtstellenmanagement um?
7.6. Wo kann das Case Management ansetzen?
7.7. Maßnahmen zur Implementierung und ihre Auswirkungen
7.8. Reformoption ja oder nein?

8. Literaturverzeichnis
8.1. Internetquellen
8.2. Gesetze, Verordnungen, Rundschreiben
8.3. Abbildungsverzeichnis

Anmerkung zum Gendering:

Nachfolgend wird stets das generische Maskulinum ob der besseren Lesbarkeit willen verwendet

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

1.1. Themenstellung und Relevanz der Themenstellung

Die mangelhaft aufeinander abgestimmte Betreuung der Patienten in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen und auf den verschiedenen Versorgungsebenen ist ein nach wie vor unbewältigtes Problem im österreichischen Gesundheitssystem. Um eine durchgehende Betreuung des Patienten zu gewährleisten ist die Optimierung des Nahtstellenmanagements1 beziehungsweise des Schnittstellenmanagements2 zwischen ambulanten und stationären Leistungserbringern ein formal angestrebtes und im Gesetz festgeschriebenes, aber tatsächlich nicht umgesetztes Reformziel des österreichischen Gesundheitswesens.

Die notwendige Voraussetzung zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs durch die Vermeidung von Folgeerkrankungen besteht in der Förderung der Selbst- verantwortung des Patienten und dies bedingt grundsätzlich ein erfolgreiches Nahtstellenmanagement. Die steigenden Gesundheitskosten und die immer kürzer werdende Verweildauer im Krankenaus erfordern es, dass der Patient rasch und kostensparend durch den Behandlungsprozess geführt und begleitet wird. Diese Situation verlangt die Implementierung eines koordinierten Managementsystems einerseits zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten bei der Patientenbetreuung und andererseits um kostensparend agieren zu können. Zurüberbrückung der Bruchstellen zwischen den Leistungserbringern bietet sich die verbindliche Anwendung des Case Managements3 an, welches geeignet ist eineüber- oder Unterversorgung der Patienten auszugleichen und damit, aus ökonomischer Sicht, als Korrektiv auf die steigenden Gesundheitsausgaben zu wirken.

Mit der Implementierung des Case Managements besteht die Möglichkeit, den steigenden Ansprüche an die Versorgungsleistungen des Gesundheitswesens durch eine immer älter werdenden Bevölkerung und den zunehmend multimorbiden Erkrankungen zu begegnen sowie den verstärkt betreuungsbedürftigen Patienten einen entsprechenden Zugang zu den notwendigen Versorgungsleistungen zu verschaffen.

Im Zuge der Gesundheitsreform 2005 wurden in der für die Jahre 2005 bis 2008 abgeschlossenen Art. 15a B-VG Vereinbarungüber die „Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens“ in Artikel 5 derselben die Grundsätze für das Management an den Nahtstellen im Interesse der Patienten festgeschrieben um die Verbesserung eines patientenorientierten, raschen, reibungs- und lückenlosen, effektiven, effizienten und sinnvollen Betreuungsverlaufes zu gewährleisten.4 In Verbindung mit der bereits ab dem Jahre 1997 eingeführten „Leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung“5 (LKF) sollte die Optimierung des Ressourcen- einsatzes im Gesundheitsbereich und damit eine langfristige Eindämmung der bisherigenüberproportionalen Kostensteigerungsraten im Krankenanstaltenbereich erreicht werden.6 Im Zuge von Reformpoolprojekten7 wurden diesbezüglich in regionalen Netzwerken auf freiwilliger Basis vereinzelte Projekte entwickelt in deren Vordergrund, als Teilbereich des Nahtstellenmanagements, insbesondere die Optimierung der Aufnahme- und Entlassungsabläufe im Krankenhaus - unter Einbeziehung der extramuralen8 Partner - standen. Diese Projekte wurden aufgrund der langfristigen Planungs- und Umsetzungsphase in die derzeit aktuelle für die Jahre 2008 bis 2013 abgeschlossene Art. 15a B-VG Vereinbarungüber die „Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens“übernommen und weitergeführt.9

Da das Management an den Nahtstellen im Sinne der Patienten bisher nur in vereinzelten Pilotprojekten umgesetzt wurde, kann von einer einheitlichen und lückenlosen Vorgehensweise nicht ausgegangen werden. Vergleicht man die NSM- Projekte mit dem Case Managementsystem, ist festzustellen, dass das Nahtstellenmanagement nur Teilbereiche abdeckt. Die Ergebnisse der Projekte werden im Kapitel 5. dieser Arbeit analysiert und bilden aufgrund der gewonnenen Erfahrungswerte eine brauchbare Basis für die Implementierung des Case Managements als Managementsystem für das Gesundheitswesen.

Da sich das österreichische Gesundheitswesen in einem permanenten Umgestaltungsprozess befindet, ist im Hinblick auf die zunehmende Ressourcen- knappheit und auf die steigenden Qualitätsanforderungen eine durchgehende und nachvollziehbare Begleitung des Patienten im Sinne der Vermeidung von Doppel- gleisigkeiten sowie von Kosteneinsparungen sinnvoll und wünschenswert. Mit der Einführung eines patientenorientierten Case Managements bietet sich die Chance, eine durchgehende Betreuung der Patienten bereits bei der Aufnahme in ein Krankenhaus,über die Versorgung während des Krankenhausaufenthalts bis zur Nachsorge und Betreuung beziehungsweise pflegerischen Unterbringung zu gewährleisten. Mit dieser durchgehenden Patientenbetreuung steigt die Zufriedenheit der Patienten und ihrer Angehörigen bereits während der Behandlung sowie gegebenenfalls in der Nachbetreuung und es bietet jenen Einrichtungen, welche die Vor- und Nachbetreuung der Patientenübernehmen bessere Versorgungs- möglichkeiten.

Bei der bereits erfolgreichen Anwendung des Case Managements in anderen Ländern lässt sich eine positive Auswirkung auf die Versorgungsqualität feststellen.10

1.2. Formulierung der Forschungsfragen

Das österreichische Gesundheitswesen ist nicht nur eines der besten Gesundheitssysteme, es ist auch eines der kostspieligsten Gesundheitssysteme der Welt. Um diesen hohen Standard halten zu können, gilt es die Qualitäts- anforderungen permanent zu verbessern dies bedingt steigende Gesundheitskosten. Eine zunehmend alternde Bevölkerung und gleichzeitig eine fortschreitende Technologie im medizinisch-technischen Bereich werden in den kommenden Jahrzehnten einen großen Kostendruck auf das Gesundheitssystem ausüben. Vor diesem Hintergrund werden auch in Zukunft Systemreformen im Gesundheitsbereich, die den bestmöglichen und kosteneffizientesten Einsatz der Ressourcen sicherstellen, notwendig sein.11

Das österreichische Gesundheitssystem ist permanent mit den Schlagworten „Kosten“, „Standard“ und „Qualität“ konfrontiert, die sich in den Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG sowie in politischen Reformpapieren wiederfinden. Im Zuge von Gesundheitsreformen gibt es immer wieder Anstrengungen die Qualitäts- standards zu erhöhen und gleichzeitig die Gesundheitskosten zu senken. Da diese beiden Ziele diametral zueinander stehen, ist ein messbarer Erfolg dieser Reformschritte denkbar gering.

Die Anpassung eines Gesundheitssystems an die gesellschaftlichen Entwicklungen erfordert kontinuierliche Reformbemühungen, da deren Erfolg oder Misserfolg von einer Reihe von Determinanten abhängt. Es ist dies zum Einen die Informationüber das Gesundheitswesen und die Zusammenhänge sowie die frühzeitige Einbindung von Experten und Betroffenen und zum Anderen die notwendige politische Durchsetzungskraft sowie das richtige Maß von Dezentralisierung.12

Um mit einer Reform auch eine entsprechende Wirkung zu erzielen bedarf es der langfristigen und auf die Zielerreichung zugeschnittenen Planung. Idealtypisch ist der Prozess der Implementierung einer Reform zyklusartig ausgestattet. Für den Gesamterfolg des Prozesses ist ebenso wie die zeitgerechte Kommunikation und der Dialog zwischen den einzelnen Stufen, der positive Verlauf jeder einzelnen Reformphase zwingend erforderlich.13

Mit der verbindlichen Einführung des Case Managements als Managementsystem in den österreichischen Krankenanstalten sind die Weichen für eine grundlegende Reformierung der Qualität der Behandlung sowie der Qualität der Betreuung der Patienten gestellt.

Die dieser Arbeit zugrunde gelegten Forschungsfragen eröffnen eine neue Sichtweise im Sinne einer nachhaltigen Verbesserung der Qualitätsstandards für den Patienten mit entsprechenden Reformschritten in diese Richtung und ziehen längerfristig gesehen auch einen kostensenkenden Effekt mit sich.

Wurde die verbindliche Einführung des Nahtstellenmanagements trotz gesetzlicher Verankerung in der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG verabsäumt?

Kann die Implementierung des Case Managements in den österreichischen Krankenanstalten die Zufriedenheit der Patienten im Sinne einer besseren Betreuung und Begleitung durch den Behandlungsverlauf steigern sowie die Qualität der Leistungen des österreichischen Gesundheitssystems verbessern?

Ist die verbindliche Einführung des Case Managements in den österreichischen Krankenanstalten eine Reformoption für das österreichische Gesundheitswesen?

In dieser Masterthesis wird die immer wieder propagierte Patientenfreundlichkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Aus diesem Blickwinkel wird einerseits analysiert, inwieweit die Politik ihren gesetzlich festgeschriebenen Verpflichtungen gegenüber den Patienten nachkommt und andererseits werden Möglichkeiten ausgearbeitet, die eine konsequente und verbindliche Entwicklung des Case Managements aufzeigen. Diese Arbeit zieht die laufenden Projekte des Nahtstellen- managements als Grundlage für die zu entwickelnden Thesen rund um die Forschungsfragen heran. In erster Linie werden die Betreuung und die Begleitung eines Patienten durch seinen ganz persönlichen Krankheitsverlauf dargestellt, der Patient steht im Zentrum der Analyse, mögliche ökonomische Aspekte die eine Einführung des Case Managements nach sich zieht, werden in zweiter Linie behandelt.

Die Bedeutung der Forschungsfragen ergibt sich aus der fortwährenden Medienpräsenz des Themas „Gesundheit“ in Österreich und unterstreicht gleichermaßen die Aktualität der Themen „Patientenfreundlichkeit“, „Patienten- zufriedenheit“ und „Qualität im Gesundheitswesen“.

Die Implementierung eines verbindlich anzuwendenden Case Managements in den österreichischen Krankenanstalten, unter Miteinbeziehung des extramuralen Bereichs, lässt eine nachhaltige Steigerung der Patientenzufriedenheit erwarten. Unabhängig von möglicherweise kurzfristig entstehenden Mehrkosten in der Anfangsphase sollten aber auch langfristig die Möglichkeiten der Kosten- einsparungen durch die Einführung des Case Managements gesehen werden.

Das Ergebnis dieser Arbeit zeigt die Qualitätsverbesserung im Bereich der Patienten- betreuung und die daraus resultierende Patientenzufriedenheit auf, stellt aber gleichfalls Schritte einer möglichen Reformoption für das Gesundheitswesen vor.

Aufgrund der Vielfalt der Einblicke, die auf einer langjährigen Tätigkeit im Bundes- ministerium für Gesundheit beruhen und der Möglichkeit eine Masterthesis zu verfassen, hat es sich angeboten, das Thema „Nahtstellenmanagement“ zu analysieren und gleichzeitig im Sinne der Implementierung eines revolutionären Projektmanagements das „Case Management“ auf dessen Basis zu entwickeln.

Neben der wissenschaftlichen Fragestellung wird ein weiteres Augenmerk dieser Masterthesis auch auf die „Patientenorientierung“ im österreichischen Gesundheitswesen gerichtet sein, die als intrinsische Ziel14 der WHO definiert wurde.

1.3. Stand der Literatur

In der Literatur finden sich zahlreiche Quellen die sich mit dem Case Management auseinandersetzen. Eine wissenschaftliche Betrachtung der Implementierung des Case Managements in das österreichische Gesundheitswesen ist der Literatur nicht bekannt. Wesentlich für die Beantwortung der Forschungsfragen werden daher neben den relevanten Gesetzen die Unterlagen zu den Gesundheitsreformen der letzten Jahre, wie auch die Projektberichte einzelner Landesgesundheitsfonds sein, welche das Nahtstellenmanagement im Zuge von Reformpoolprojekten unverbindlich für einen ausgewählten Zeitraum in einzelnen Krankenanstalten umgesetzt haben beziehungsweise im Begriff sind mit der Weiterführung der Projekte durch die aktuelle Art. 15a B-VG Vereinbarungüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, abgeschlossen für die Jahre 2008 bis 2013, fortzufahren.

1.4. Methodische Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit

Bevor auf die Forschungsfragen näher eingegangen werden kann ist durch Recherche in der Fachliteratur ein sukzessives Herantasten an das Thema „Case Management“ erforderlich. Im theoretischen Kern der Arbeit wird die rechtliche Stellung des Begriffs Nahtstellenmanagement und ihre derzeitige Umsetzung in Österreich abgeklärt. Anschließend ist die Auseinandersetzung mit dem Thema „Case Management“ und der Verbindung zum Nahtstellenmanagement erforderlich. Auf Basis dieser Darstellungen erfolgt die hypothetische Realisierung der Einführung eines österreichweiten verbindlichen Case Managements im intramuralen15 Bereich unter Einbindung des extramuralen16 Bereichs, bevor in Kapitel 6. dieser Arbeit die Forschungsfragen erarbeitet werden.

Das Ziel dieser Arbeit ist, das Case Managementsystem in das österreichische Gesundheitswesen zu integrieren, des Weiteren wird die schrittweise Entwicklung des patientenorientierten, sinnvollen Betreuungsverlaufes aufgezeigt. Im Kapitel 2.

werden die für das österreichische Gesundheitswesen relevanten rechtlichen Grundlagen sowie die gesetzten Maßnahmen zum Thema Nahtstellenmanagement seitens des Bundes und der Länder vom Jahr 1978 an herausgearbeitet. In dieser Masterthesis werden verschiedene theoretische wie auch praktische Ansätze zur Einführung des Case Managements im intramuralen Bereich entwickelt. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen:

Nach einführender Erklärung der Themenstellung und Relevanz des Themas im ersten Kapitel werden im zweiten Kapitel die Entwicklung sowie die rechtlichen Grundlagen des österreichischen Gesundheitswesens vorgestellt. Im dritten Kapitel wird der Begriff „Nahtstellenmanagement“ definiert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff „Case Management“, zum einen, um einenüberblicküber die Einsatzmöglichkeiten dieses Instruments zu geben und zum anderen, um zu zeigen, welche Möglichkeiten das Case Management in seiner Anwendung eröffnet. Im fünften Kapitel werden die laufenden Nahtstellenmanagementprojekte besprochen, das sechste Kapitel beleuchtet die bestehenden rechtlichen Grundlagen des Nahtstellenmanagements in Österreich anhand vorliegender gesetzlicher Bestimmungen und im Anschluss daran werden die Forschungsfragen in Verbindung mit dem Case Management entwickelt. Dabei werden anhand verschiedener theoretischer Modelle jene Faktoren abgeleitet, welche die Einführung des Case Managements entscheidend beeinflussen. Auf Basis dieser Größen werden jene Rahmenbedingungen herauszuarbeiten sein, die verändert werden müssen, um die verbindliche Einführung des Case Managements in Österreich umzusetzen. In einem abschließenden siebenten Kapitel werden die Ergebnisse dieser Masterthesis zusammengefasst.

Zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung wird die Methode der Literaturrecherche verwendet. Da das Case Management vorwiegend im Sozialbereich und nur vereinzelt als Teilsegment auch im Gesundheitsbereich angewendet wird, sind Erfahrungsberichte in nur sehr eingeschränktem Ausmaß vorzufinden. Die Projektberichte einzelner Landesgesundheitsfonds, welche auf freiwilliger Basis unter dem Titel „Nahtstellenmanagement“ Projekte im Rahmen des Reformpools entwickelt und durchgeführt haben, fließen in diese Arbeit ein.

Da das Case Management im allgemeinen Verständnis vorwiegend mit dem Sozialwesen in Verbindung gebracht wird, beruht diese Arbeit auf theoretischenüberlegungen, die es notwendig machen, einen direkten Zuschnitt auf das beziehungsweise eine Verbindung zum Gesundheitswesen zu konstruieren. Die Grundlagen und die Definitionen für das Case Management finden sich in der Literatur.

2. Das österreichische Gesundheitswesen und seine Reformen

Gesundheitsreformen sind primär darauf ausgerichtet, durch die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven eine Ausgabendämpfung zu erreichen sowie mit Hilfe von Strukturreformen die Idee einer besseren Planung von Kapazitäten, einer Kooperation der Akteure und einer Koordinierung der Finanzierungsströme zu verfolgen. Trotz jahrelanger Bemühungen ist es bislang nicht gelungen die Versorgungsketteüber die administrativ und finanziell bedingten Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sowie akuter und Langzeitversorgung hinweg bedarfsgerecht zu gestalten.

Eine Gesundheitsreform der Zukunft muss die Finanzierungsbasis sichern um Gesundheitsleistungen bedarfsorientiert gewährleisten zu können, die Produktivität der Beschäftigten und Einrichtungen im Gesundheitswesen weiter erhöhen sowie durch die Sicherstellung des Mitteleinsatzes im Hinblick auf die Steigerung der Qualitätssicherung in Form von neuen Technologiebewertungsmethoden und vermehrten Investitionsentscheidungen einen gesundheitsrelevanten Nutzen erzielen.17 Derzeit finanziert sich das Gesundheitssystem durch eine Mischung aus einkommensabhängigen Sozialversicherungsbeiträgen, steuerfinanzierten öffent- lichen Geldern und aus privaten Zuzahlungen in Form von direkten und indirekten Kostenbeteiligungen.18

2.1. Die Entwicklung des österreichischen Gesundheitswesens

Historisch betrachtet geht die Entwicklung des Gesundheitssystems mit der Errichtung des Wohlfahrtsstaates auf dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie ab dem Jahre 1867 einher. Die gesetzlichen Grundlagen für einen öffentlichen Gesundheitsdienst wurden mit dem Reichssanitätsgesetz von 187019 festgelegt. Das Reichssanitätsgesetz von 1870 hat bis heute seine Gültigkeit bewahrt, jedoch kam es durch Verfassungsänderungen zu Kompetenz- verschiebungen innerhalb der Verwaltungsebenen und durch die Spezialisierung von Arbeitsbereichen wurden detailliertere Regelungen in Form von Materiengesetzen notwendig.20 Das Reichssanitätsgesetz von 1870 sah unter anderem vor, dass Behörden in Gesundheitsbelangen erst nach Anhörung von Experten Entscheidungen treffen sollten.21 Das entspricht der materiellen Grundlage für die Errichtung des Obersten Sanitätsrates auf Bundesebene sowie der Errichtung des Landessanitätsrates auf Landesebene.

Österreich entwickelte sich ab dem Jahr 1848 zu einem Verfassungsstaat, damals traten an die Stelle der bisher kollegial organisierten zentralen Gesundheitsbehörden die Ministerien. Die gesundheitspolitischen Aufgaben wurden in der Form aufgeteilt, als die Aufgaben der Sanitätshofdeputation in das Innenministerium eingegliedert, die Aufgaben der Sanitätskommissionen den Landesregierungen unterstellt sowie die Bezirksämter als die untersten landesfürstlichen Behörden eingerichtet wurden. In diesem Zusammenhang bestimmte das Gemeindegesetz von 1862 die Aufgaben der Gesundheitspolizei als eine Aufgabe der Gemeinden. Somit war der heute noch bestehende dreigliedrige Behördenaufbau geschaffen.22

Im Jahr 1945 trat die Bundesverfassung von 192923 In-Kraft. In den Artikeln 10 bis 15 des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) wird die Zuständigkeit des Bundes beziehungsweise der Länder bei der Gesetzgebung und der Vollziehung von Gesetzen generell geregelt. Es wird unter anderem unterschieden zwischen Angelegenheiten, die sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Vollziehung in die Zuständigkeit des Bundes fallen und Angelegenheiten, bei denen die Gesetzgebungüber die Grundsätze dem Bund, die Erlassung von Ausführungsgesetzen und deren Vollziehung dem Land obliegt. Der Föderalismus kennzeichnet die klare Hierarchie des Bundes gegenüber den Ländern. Aus diesem Grund bedingen die Verflechtungen der Ebenen des Bundes und der Länder in institutioneller und in organisatorischer Hinsicht ein hohes Maß an Kooperation, welche mit Hilfe von formellen Instrumenten wahrgenommen wird.

Ausgehend vom Reichssanitätsgesetz von 1870 wurde die Kompetenzverteilung des Sanitätswesens zwischen Bund und Ländern im B-VG dahingehend verändert, als die Gesetzgebung und die Vollziehung der Gesetze für das Gesundheitswesen - mit wenigen Ausnahmen24 - nunmehr Angelegenheit des Bundes ist. Jedoch beschränkt sich die Kompetenz des Bundes in Angelegenheiten der Krankenanstalten auf die Grundsatzgesetzgebung sowie auf die sanitäre Aufsicht.

Das B-VG bestimmt im Artikel 15a: „ Bund und Länder können untereinander Vereinbarungenüber Angelegenheiten ihres jeweiligen Wirkungsbereiches schließen. Der Abschluss solcher Vereinbarungen namens des Bundes obliegt je nach dem Gegenstand der Bundesregierung oder den Bundesministern. Vereinbarungen, die auch die Organe der Bundesgesetzgebung binden sollen, dürfen nur von der Bundesregierung mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen werden, wobei Art. 50 Abs. 3 auf solche Beschlüsse des Nationalrates sinngem äß anzuwenden ist; sie sind im Bundesgesetzblatt kundzu machen “ .25

Diese Bestimmung im B-VG ist die Grundlage für die institutionellen Verflechtungen von Bund und Ländern, welche als Instrumentarium für die kooperative Zusammenarbeit im Bereich des Gesundheitswesens herangezogen wird.

Eine grundlegende Voraussetzung für den Abschluss von Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG stellt das Finanz-Verfassungsgesetz 194826 (F-VG) dar, welches in Art. 13 B-VG geregelt ist und den rechtlichen Rahmen für die finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sicherstellt. Auf Basis dieses Gesetzes wird festgelegt, welche Besteuerungsrechte dem Bund obliegen, in welcher Form Zuschüsse an Länder und Gemeinden zu leisten sind und es beeinflusstüber den Finanzausgleich27 die Leistungsfähigkeit der Gebietskörperschaften.28

Das aktuelle Finanzausgleichsgesetzes 200829 (FAG 2008) regelt den Finanzausgleich für die Jahre 2008 bis 2013. Dieses befristete Bundesgesetz wird von den Finanzausgleichspartnern ausverhandelt und beinhaltet Detailregelungenüber die finanziellen Beziehungen der Gebietskörperschaften.

Im Folgenden behandelt das Kapitel 2.3. die Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG, die seit dem Jahr 1978 im Rahmen der Sicherstellung der Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beschlossen wurden. Zuvor wird im Kapitel 2.2. in einem knappen Abriss das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz vorgestellt.

2.2. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG)

Mit der schrittweisen Einführung30 der Unfall- und Krankenversicherung ab dem Jahre 1887/1888, die sich an der Sozialpolitik von Bismarck orientierte, wurde die Grundlage für das heutige österreichische Sozialversicherungssystem geschaffen. 1881 startete das Bismarck - Modell31 mit einer von Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck initiierten „Kaiserlichen Botschaft“, in welcher der Aufbau einer Sozial- versicherung angekündigt wurde um den enormen Zulauf der unteren Schichten zu sozialistischen Bewegungen einzudämmen. Die Grundlage für dieses Sozial- versicherungssystem bildeten einkommensabhängige Pflichtbeiträge, welche von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert wurden. Die Leistungen wurden von privaten Trägern erbracht, die jedoch unter staatlicher Aufsicht standen.32

Im Jahr 1918 gab es auf dem Gebiet des heutigen Österreichs bereits 600 Sozialversicherungsträger bestehend aus Kranken- Pensions- und Unfallversicherungen. Im Jahr 1920 wurde durch das Aufblühen der Sozialdemokratie eine Arbeitslosenversicherung eingeführt und eine Ausweitung der Krankenversicherung auf alle im Dienst- oder Lohnverhältnis stehenden Personen sowie die Einbeziehung der Familienmitglieder in die Krankenversicherung vorgenommen.33 Durch die sich verschärfende Wirtschaftslage war schon bald erkennbar, dass sich die Finanzierung dieses Sozialversicherungssystems als schwierig erweisen sollte.

Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise erreichten im Jahr 1932/1933 ihren Höhepunkt, die mit Einschränkungen und Reduktion von Leistungen einherging.

„ Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Wiedererrichtung der Republik

Österreich wurde mit dem Sozialversicherungs-überleitungsgesetz vom 12. Juni 1947 die Sozialversicherung auf eine neue organisatorische Grundlage gestellt. Wichtigste Maßnahme war die Wiedereinführung der Selbstverwaltung sowie die Errichtung des Hauptverbandes derösterreichischen Sozialversicherungsträger als Dachorganisation.

Das ab 1.1.1956 geltende Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) löste die bis dahin geltenden Gesetze auf dem Gebiet der Sozialversicherung ab. Es fasste die Kranken-, Unfall und Pensionsversicherung für die Arbeiter/innen und Angestellten in Industrie, Bergbau, Gewerbe, Handel, Verkehr und Land- und Forstwirtschaft zusammen und regelte außerdem die Krankenversicherung der Pensionistinnen und Pensionisten. Für einige Sonderversicherungen blieben Sozialversicherungsgesetze außerhalb des ASVG bestehen. Das ASVG gliedert sich in zehn Teile. In der Zwischenzeit wurden in Anpassung an die fortschreitende gesellschafts- und sozialpolitische Entwicklung zahlreicheänderungen und Gesetzesnovellen vorgenommen. “ 34

Derzeit zählt das österreichische Sozialversicherungssystem 6.447.172 beitragsleistende krankenversicherte Personen (Zählung: Stand 2010, veröffentlicht März 2011). Die soziale Krankenversicherung versorgt insgesamt 8,3 Millionen geschützte Personen, das sind 99,3 % der Bevölkerung mit Leistungen aus der sozialen Krankenversicherung; zu den geschützten Personen zählen neben den Beitragsleistenden auch mitversicherte Angehörige und Pensionisten. Die Einnahmen der sozialen Krankenversicherung betragen 14.617 Millionen Euro, diesen stehen Ausgaben von insgesamt 14.337 Millionen Euro gegenüber.35

Seit dem Jahr 1980 hat das Sozialversicherungssystem bedingt durch einen Konjunktureinbruch große Finanzierungsprobleme, das Gesundheitssystem hat mit stark steigenden Gesundheitsausgaben zu kämpfen da die Aufwendungen für Krankenanstaltenüberproportional zur ärztlichen Hilfe beziehungsweise zu Medikamenten gestiegen sind. Diese Schwierigkeiten ergeben sich einerseits aus dem laufenden Ausbau von Leistungen und andererseits aus der Kompetenzfrage zwischen Bund und Ländern betreffend das Gesundheitswesen, welche klare Entscheidungen auf diesem Gebiet erschweren.36

2.3. Die Vereinbarungen gemäß Artikel 15a B-VG von 1978 bis 2013

Das politische System in Österreich ist darauf ausgerichtet sowohl die Verantwortung als auch die Entscheidung für die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen auf Bund, Länder und auf durch die Politik autorisierte Organisationen zu verteilen. Die in Kapitel 2.2. angesprochenen Versicherungsgemeinschaften sind mit Kompetenzen ausgestattet, die eine Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen gewährleisten können. Eine unabdingbare Grundlage für dieses System ist die gesetzliche Sozialversicherung, eine Pflichtversicherung.

Innerhalb des gesetzlich definierten Rahmens werden die Versorgung und die Finanzierung durch diese Zusammenarbeit sichergestellt. Die Organisation der Pflichtversicherung ist durch Selbstverwaltung demokratisch legitimiert. Sie verfügtüber dezentral organisierte Beitragseinnahmenhoheit und verhandelt Verträge mit Leistungserbringern.“37

Die österreichische Bundesverfassung ermöglicht auf Grundlage von Vereinbarungen gemäß Artikel 15a B-VG die wechselseitige Sicherstellung der Gesundheitsleistungen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten durch Bund und Länder. Diesbezügliche Steuerungen im Bereich des Gesundheitswesens sind seit den 1970er Jahren durch Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG zwischen Bund und Ländern geregelt.

Die erste Vereinbarung wurde im Jahr 1978 zwischen dem Bund und den Bundesländern abgeschlossen38, gleichzeitig wurde der Krankenanstalten- Zusammenarbeitsfonds (KRAZAF) errichtet, um die Finanzierung von Kranken- anstalten sicherzustellen.39 Der KRAZAF wurde aus Mitteln der Umsatzsteuer und der Sozialversicherung dotiert.40 Mit Hilfe dieses Fonds wurde sowohl die Planungs- und Steuerungsfunktion als auch die Mittelverteilung gesteuert. Krankenanstalten erhielten unter Einhaltung vorgegebener Auflagen wie die Durchführung einer Kostenrechnung oder die Einführung einer Leistungsstatistik nach ICD-941 Zuschüsse. Mit diesem Fonds, der von 1978 bis 1996 bestand, wurde das Ziel einer leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung verfolgt, er wurde im Jahr 1997 durch den auf Bundesebene eingerichteten Strukturfonds und die Landesgesundheitsfonds der Bundesländer ersetzt. Die Vereinbarungen der nachfolgenden Jahre hatten gleichermaßen, vom Inhalt kaum abweichend, die Sicherstellung der Finanzierung der für alle Bürger frei zugänglichen Gesund- heitsversorgung in Österreich zum Ziel.

In der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VGüber die Neustrukturierung des Gesundheitswesens und der Krankenanstaltenfinanzierung vom 16. April 2002, BGBl. I Nr. 60/2002, werden erstmals in den Artikeln fünf und sechs derselben das Thema „Qualität im österreichischen Gesundheitswesen“ und „Schnittstellen- management“ aufgegriffen. Dies ist als ein erster Gedanke in Richtung einer patientenorientierten Behandlung zu sehen. Erstmals gilt es, neben der Finanzierung, nach dem Stand des geltenden Qualitätsniveaus eine rasche, lückenlose sowie medizinisch und ökonomisch sinnvolle Behandlungskette für den Patienten zu schaffen, welche geeignet ist, die Hürden an den Schnittstellen, begründet durch die verschiedenen Leistungsanbieter, zuüberwinden. Diesbezüglich liegt die Blickrichtung der zu setzenden Handlungen auf einem lückenlosen und akkordierten Informationstransfer. Als Voraussetzung für Maßnahmen und die Durchführung geeigneter Projekte im Bereich des Schnittstellenmanagements gilt es den Diagnosenschlüssel ICD-10 einzusetzen. Die Einführung eines österreichweiten Qualitätssystems in österreichischen Krankenanstalten beinhaltet unter anderem auch die Verbesserung der Zuweisungs-, Aufnahme- und Entlassungsqualität für den Patienten, jedoch steht es den Vertragsparteien im Rahmen ihrer Verhandlungs- möglichkeiten frei, bezüglich des Schnittstellenmanagements konkrete Projekte zu initiieren.

Eine begriffliche Weiterentwicklung nimmt das Schnittstellenmanagement in der nachfolgenden Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VGüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens, BGBl. I Nr. 73/2005, abgeschlossen für die Jahre 2005 bis 2008. Hier wird nunmehr der Begriff Schnittstellenmanagement durch den Begriff Nahtstellenmanagement ersetzt, welcher gleichermaßen geeignet sein sollte einen patientenorientierten Betreuungsverlauf auf ein Optimum zu verbessern. Im Folgenden wird in dieser Arbeit ausschließlich der Begriff des Nahtstellen- managements verwendet werden. Ergänzend wird vereinbart, dass die Bundes- gesundheitsagentur (BGA)42 österreichweit geltende Rahmenrichtlinien zu erlassen hat sowie nahtstellenrelevante Ergebnisse aus durchgeführten Projekten in die Rahmenvorgaben einzufließen haben.

Erstmals wurden mit der Gesundheitsreform 2005 Reformpoolprojekte initiiert, die sich unter anderem mit den Aufnahme- und Entlassungsabläufen in einem Krankenhaus, im Sinne des Nahtstellenmanagements gemäß der Artikel 15a B-VG Vereinbarung, auseinandergesetzt haben.

An dieser Stelle soll der Begriff „Reformpoolprojekt“ kurz erklärt werden. Es handelt sich um Projekte der integrierten Versorgung sowie um Projekte, welche die Leistungsverschiebungen zwischen dem intramuralen Bereich, dem Versorgungs- bereich innerhalb der Krankenanstalten und dem extramuralen Bereich, dem Bereich der niedergelassenen Versorgung, zur Folge haben. Diese Projekte werdenüber den Kooperationsbereich Reformpool43 durch die auf Landesebene zuständige Sozialversicherung und dem jeweiligen Landesgesundheitsfonds finanziert. Voraussetzung für die Förderung eines Reformpoolprojekts ist das Einvernehmen zwischen der Sozialversicherung und dem Landesgesundheitsfondsüber die Durchführung dieser Maßnahme.44

Der Umgang mit einer patientenfreundlichen, patientenorientierten und sinnvollen Behandlung von Menschen wird durch die derzeit aktuelle Art. 15a B-VG Vereinbarungüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens45 abgeschlossen für die Jahre 2008 bis 2013 unverändert weitergeführt.

Das folgende Kapitel stellt die Reformbestrebungen der Politik für das Gesundheitswesen dar. Als Grundlage dafür gelten die bereits vorgestellten Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG.

2.4. Die Reformen des Gesundheitswesens

Gesundheitspolitik und gesundheitspolitische Gestaltung basiert auf bestimmten Grundprinzipien. Diese Grundprinzipien erfassen Werthaltungen, Einstellungen und Vorstellungen vom Gesundheitswesen und von dessen Funktionsfähigkeit.“ „ Wenn Prinzipien in demokratischen Gesellschaften breiteren Konsens finden, erfüllen sie Leitcharakter für die Politik.“ „ Wenn ein Paradigma zur Erklärung oder Lösung einer grundsätzlichen Problematik nicht mehr ausreicht, werden Grundprinzipien als Leitideen zunehmendüberdacht und in Frage gestellt.“46

Letztlich kann dies zu einem Paradigmenwechsel47 führen, der durch die Politik mit dem Label „Reform“ versehen wird.48

In den Regierungsprogrammen, abgeschlossen für die laufenden Gesetzgebungsperioden, bekennt sich die Regierung dazu, die umfassende medizinische Versorgung für alle Menschen unabhängig von Alter und Einkommen zu erhalten. Seit Mitte der 1990er Jahre wurde verstärkt und explizit das Ziel formuliert, die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems sicher zu stellen.49

Die Vereinbarungen gemäß Art. 15a B-VG bilden die theoretischen Grundlagen für Gesundheitsreformen. Das Instrument „Gesundheitsreform“ wird von der Politik im Allgemeinen dazu verwendet, die Bevölkerung auf die gute, flächendeckende Versorgung und die ausgezeichneten Standards in Diagnose und Therapie, insbesondere auf die hervorragende medizinische und wissenschaftliche Erfahrung hinzuweisen um im Gegenzug zeitgleich entsprechende Maßnahmen hinsichtlich Kosteneinsparung und Finanzierung zu präsentieren. Betrachtet man die im Zuge von Vereinbarungen gesetzten Reformschritte der letzten fünfundzwanzig Jahre, so ist erkennbar, dass es immer oberstes Ziel der Politik war, eine kostengünstige Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung zu erreichen.

Nachfolgende Tabelle gibt einenüberblicküber die Reformschritte im österreichischen Gesundheitswesen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


1 Nahtstellenmanagement: rasche, lückenlose sowie medizinisch und ökonomisch sinnvolle Behandlungskette für einen Patienten.

2 Schnittstellenmanagement: Vermeidung von Problemen an den Schnittstellen, beziehungsweise zwischen den Leistungsanbietern, um einen möglichst reibungslosen Ablauf der Patientenbetreuung zu gewährleisten.

3 Case Management: der einzelne Fall (case) steht im Zentrum der Bemühungen um eine bedürfnis- und bedarfsorientierte Betreuung. Ausgehend von den jeweiligen institutionellen Ressourcen und den speziellen Bedürfnissen eines Patienten werden die erforderlichen Leistungen methodisch nicht allein innerhalb einer Organisation, sondernüber die Grenzen von Versorgungseinheiten hinweg im Hinblick auf adäquate Qualität und Dauer der Betreuung zugänglich gemacht.

4 BGBl. I Nr. 73/2005, Vereinbarung gemäß Artikel 15a B-VGüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens abgeschlossen für die Jahre 2005 bis 2008

5 Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung: Finanzierungssystem das Transparenz in das Leistungsgeschehen bringt und entsprechende Anreize zu Sparsamkeit und wirtschaftlichem Verhalten der Krankenanstalten setzt. Die Abrechnung der Leistungen erfolgt in diesem System anhand von Fallpauschalen, die auf Diagnosen und medizinischen Einzelleistungen basieren.

6 http://www.noegkk.at/mediaDB/MMDB115341_10_06_Amler_S.%20388-402.pdf, abgefragt: 21.8.2011, 15.00 Uhr

7 Reformpoolprojekte: Projekte, welche Leistungsverschiebungen zwischen dem intramuralen Bereich - dem Versorgungsbereich innerhalb der Krankenanstalten - und dem extramuralen Bereich zur Folge haben.

8 extramural: Versorgung außerhalb des Krankenhauses durch niedergelassene Fachärzte sowie Ärzte für Allgemeinmedizin.

9 vgl. Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VGüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheits- wesens, BGBl. I. Nr. 105/2008 abgeschlossen für die Jahre 2008-2013, Artikel 31, Abs. 2, Pkt. 4.

10 vgl. Czypionka & Kraus & Röhrling & Straka, Case Management in Österreich und Europa, in Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Hg) Health System Watch, Beilage zur Fachzeitschrift Soziale Sicherheit (2008) S 1

11 vgl. Czypionka & Riedel & Röhrling & Mayer, Erfolg und Scheitern von Gesundheitsreformen, in Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (Hg) Health System Watch, Beilage zur Fachzeitschrift Soziale Sicherheit (2010) S 1

12 vgl. Czypionka & Riedel & Röhrling & Mayer, a.a.O., S 1 10

13 vgl. Czypionka & Riedel & Röhrling & Mayer, a.a.O., S 2

14 Ein intrinsisches Ziel ist ein definiertes Oberziel. Die WHO hat anhand von definierten Oberzielen die Performance von Gesundheitssystemen verschiedenster Länder gemessen und bewertet.

15 intramuraler Bereich: Versorgungsbereich innerhalb der Krankenanstalten

16 extramuraler Bereich: Bereich der niedergelassenen Versorgung (niedergelassene Fachärzte sowie Ärzte für Allgemeinmedizin)

17 vgl. Hofmarcher & Rack, Gesundheitssysteme im Wandel (2006) S xix

18 vgl. Bundesministerium für Gesundheit, Das Österreichische Gesundheitssystem (2010) S 18 15

19 Reichsgesetzblatt für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, XXV. Stück, ausgegeben und versendet am 12. Mai 1870/68. Gesetz vom 30. April 1870 betreffend die Organisation des öffentlichen Sanitätsdienstes.

20 vgl. Praschinger, Wiener Krankenanstalten ab 1900 (2008) S 27

21 vgl. Sablik K. in Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 17

22 vgl. Richter H. in Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 17 16

23 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930; Gemäß Art. III § 56 BVG, BGBl. II Nr. 75/1934 (Verfassungsübergangsgesetz 1934) trat die Verfassung 1934, BGBl. II Nr. 1/1934, von einigen Ausnahmen abgesehen, am 1. Juli 1934 in Kraft. Der größte Teil der Bestimmungen des B- VG ist demnach mit Ablauf des 30. Juni 1934 außer Kraft getreten. Einzelne Bestimmungen des B- VG (Art. 44 Abs. 2 und Art. 50) sind zufolge Art. I BVG, BGBl. I Nr. 255/1934 bereits am 30. April 1934 aufgehoben worden. Da spätestens mit dem BVG, BGBl. I Nr. 255/1934 ein Verfassungsbruch erfolgte, erscheint es nicht ausgeschlossen, die Derogation des B-VG bereits per 1. Mai 1934 anzunehmen. Um die Dokumentation nicht zuüberfrachten, wird generell als Datum des Außerkrafttretens des B-VG der 1. Juli 1934 angenommen. Das Wiederinkrafttreten des B-VG erfolgte nach herrschender Auffassung am 19. Dezember 1945.

24 Ausnahmen sind das Leichen- und Bestattungswesen, der Gemeindesanitätsdienst und das Rettungswesen, welche Angelegenheit der Bundesländer werden.

25 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, i. d. g. F., Art. 15a, Abs. 1

26 Finanz-Verfassungsgesetz 1948 (F-VG 1948), BGBl. Nr. 45/1948, Bundesverfassungsgesetzüber die Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und denübrigen Gebietskörperschaften

27 Finanzausgleich: die Verteilung von Aufgaben, Einnahmen und Ausgaben zwischen und innerhalb der verschiedenen staatlichen Ebenen. Die Aufgabenverteilung wird als passiver Finanzausgleich und die Einnahmenverteilung als aktiver Finanzausgleich bezeichnet.

28 vgl. Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 27

29 Finanzausgleichsgesetz 2008 (FAG 2008), BGBl. I Nr. 103/2007, i. d. g. F., Bundesgesetz mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 2008 bis 2013 geregelt wird und sonstige finanzaus- gleichsrechtlichen Bestimmungen getroffen werden

30 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 i. d. g. F.

31 Bismarck-Modell: Im Zuge der Sozialgesetze führte Otto von Bismarck 1883 die Kranken- versicherung und 1884 die Unfallversicherung ein. Zunächst waren nur Arbeiter zwangsversichert. Beide Gesetze machten die Schaffung von Krankenkassen notwendig, um den Arbeiter bei einer möglichen Arbeitsunfähigkeit vor großer Not zu bewahren. Die Beiträge zur Krankenversicherung wurden zu einem Drittel von den Arbeitgebern und zu zwei Dritteln von den Arbeitnehmern getragen, die Unfallversicherung hingegen finanzierte der Arbeitgeber komplett. Die Pensionsversicherung wurde unter erheblichen Anfechtungen 1906 eingeführt, hier erfolgte die Aufteilung der Beiträge gestaffelt nach Gehaltsklassen.

32 http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2005/0209/politik/0... , abgefragt: 21.8.2011, 15.00 Uhr

33 vgl. Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 19ff

34 https://www.sozialversicherung.at/portal27/portal/noegkkportal/channel_content/cmsWindow?- action=2&p_menuid=1645&p_tabid=6, abgefragt: 21.8.2011, 15.15 Uhr

35 https://www.sozialversicherung.at/mediaDB/776065_Sozialversicherung_in_Zahlen.pdf, abgefragt: 21.8.2011, 15.15 Uhr

36 vgl. Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 27

37 Hofmarcher & Rack, a.a.O., S 33

38 BGBl. Nr. 453/1978, Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VGüber die Krankenanstaltenfinanzierung und die Dotierung des Wasserwirtschaftsfonds

39 BGBl. Nr. 454/1978, Errichtung eines Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds

40 BGBl. Nr. 458/1978, Finanzielle Beteiligung der Träger der sozialen Krankenversicherung am Krankenanstalten-Zusammenarbeitsfonds

41 ICD-9: Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesund- heitsprobleme (ICD, engl.: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikations- und Verschlüsselungs- system der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle, international gültige und derzeit in Österreich verwendete Ausgabe ist der Diagnosen- schlüssel ICD-10 BMSG 2001. Er basiert auf der vom Deutschen Institut für medizinische Doku- mentation und Information (DIMDI) veröffentlichten deutschsprachigen Version 1.3 der ICD-10.

42 Bundesgesundheitsagentur (BGA): Öffentlich-rechtlicher Fonds zur Planung, Steuerung und Finanzierung des Gesundheitswesens auf Bundesebene. Die Einrichtung der Bundesgesund- heitsagentur auf Bundesebene sowie der Gesundheitsfonds auf Länderebene soll erstmals eine gemeinschaftliche Steuerung und Planung sowie eine gesamthafte Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens ermöglichen.

43 Kooperationsbereich Reformpool: geregelt in Artikel 31 der Vereinbarung gemäß Artikel 15a B- VGüber die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens

44 http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Gesundheitssystem_Qualitaetssicherung/Reformpool/- Reformpool_Grundsaetzliches_Leitlinien_fuer_Reformpool_Projekte, abgefragt: 21.8.2011, 15.30 Uhr

45 BGBl. I Nr.105/2008, Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VGüber die Organisation und Finanzierung die Gesundheitswesens

46 Ö sterle A. in Meggeneder O., Reformbedarf und Reformwirklichkeit (2004), S 16 24

47 Paradigmenwechsel: ist eine radikale Änderung eines Blickwinkels auf ein wissenschaftliches Feld, wenn durch diese Änderung die Grundlage für eine Weiterentwicklung der Forschung und des bereits vorhandenen Wissens gegeben ist. (vgl. Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Para- /digmenwechsel), abgefragt: 21.8.2011, 15.15 Uhr

48 vgl. Österle A. a.a.O., S 16

49 vgl. Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Soziales Österreich: Sicherungs- systeme imüberblick o. S.

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Case Management in österreichischen Krankenanstalten
Untertitel
Herausforderung und Chance
Hochschule
World Wide Education  (Hans Sachs Institut)
Veranstaltung
Public Management
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2011
Seiten
99
Katalognummer
V183503
ISBN (eBook)
9783656077749
ISBN (Buch)
9783656078517
Dateigröße
5303 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Case Management, österreichisches Gesundheitswesen, Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG
Arbeit zitieren
MPA Susanna Gottwald (Autor:in), 2011, Case Management in österreichischen Krankenanstalten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183503

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