Drehbuchliteratur - Kochbücher für Einheitsbrei?

Eine kritische Bestandsaufnahme


Diplomarbeit, 2003

98 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichte des Drehbuchs in Deutschland

3. Zeitgenössische Drehbuchliteratur
3.1 Drei amerikanische Dramaturgien
3.1.1 Das dramaturgische Konzept von Syd Field
3.1.1.1 Struktur
3.1.1.2 Figuren
3.1.1.3 Kritik
3.1.2 Das dramaturgische Konzept von Christopher Vogler
3.1.2.1 Struktur
3.1.2.2 Figuren
3.1.2.3 Kritik
3.1.3 Das dramaturgische Konzept von Robert McKee
3.1.3.1 Struktur
3.1.3.2 Figuren
3.1.3.3 Kritik
3.2 Drei europäische Dramaturgien
3.2.1 Das dramaturgische Konzept von Oliver Schütte
3.2.1.1 Struktur
3.2.1.2 Figuren
3.2.1.3 Kritik
3.2.2 Das dramaturgische Konzept von Michel Chion
3.2.2.1 Struktur
3.2.2.2 Figuren
3.2.2.3 Kritik
3.2.3 Das dramaturgische Konzept von Ari Hiltunen
3.2.3.1 Struktur
3.2.3.2 Figuren
3.2.3.3 Kritik

4. Vergleich und Bewertung
4.1 Merkmale der untersuchten dramaturgischen Konzepte
4.2 Merkmale der populären Dramaturgie
4.3 Vergleich mit anderen dramaturgischen Formen
4.3.1 Die Merkmale des geschlossenen Dramas
4.3.2 Die Merkmale des offenen Dramas
4.4 Unterscheidung der Dramenformen
4.5 Bewertung der populären Dramaturgie

5. Zusammenfassung

6. Literatur- und Abbildungsverzeichnis
6.1 Literaturverzeichnis
6.2 Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Die wichtigste Rolle beim Filmemachen spielen die Autoren. Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um zu verhindern, daß sie es herausfinden.

Irving Thalberg

Hatte Irving Thalberg, der allmächtige Metro-Goldwyn-Mayer-Studioboß auch nicht unbedingt viel für Autoren übrig, so wußte er ihr Werk, ein gutes Drehbuch, wohl zu schätzen. Noch unmißverständlicher formulierte es Alfred Hitchcock in seinem vielzitierten Aperçu über die drei wesentlichen Faktoren für einen erfolgreichen Film: 1. ein gutes Drehbuch, 2. ein gutes Drehbuch, 3. ein gutes Drehbuch.

Doch was ist ein gutes Drehbuch? Einfach eine spannend erzählte Geschichte? Oder technischer ausgedrückt: eine Abfolge von Ereignissen innerhalb einer bestimmten Struktur? Aus welchen Teilen setzt sich die zu erzählende Geschichte zusammen, in welchen Verhältnissen sind ihre Teile gemischt, welche Dramaturgie - im wörtlichen Sinne als Lehre von den Wirkungen - steckt dahinter? Ist das Geheimnis guter Drehbücher überhaupt zu lüften oder liegen letztendlich die Erfindungsgabe, die Intuition und das Talent des jeweiligen Autors zugrunde, also weder meß- noch vermittelbare Größen?

Die Verfasser von Handbüchern über das Drehbuchschreiben sind sich im allgemeinen darüber einig, daß eben genannte Fähigkeiten zwar hilfreich seien, das Handwerk des Drehbuchschreibens aber grundsätzlich jedermann zu vermitteln ist. Eine breite Käuferschicht und die damit verbundene große Verbreitung dieser Art Literatur scheinen den Autoren Recht zu geben: Heute steht dem interessierten Leser eine kaum zu bewältigende Flut von Büchern über das Drehbuchschreiben zur Verfügung, das, jedes für sich, das Geheimnis eines guten Drehbuchs zu enthüllen verspricht.[1]

Ironischerweise wird einer Vielzahl dieser Bücher von ihren Rezipienten, darunter eine lange Reihe professioneller Drehbuchautoren[2], vorgeworfen, nicht nur keine besseren Drehbücher hervorzubringen, sondern durch ihre vereinfachenden, normierten Verfahren gerade eine schablonenhafte Erzählweise zu begünstigen. Die Handbuchautoren würden ”Rezept”- oder ”Kochbuch”-Dramaturgien herstellen, die jeden Stoff, jede Idee, jeden originären Geschichtenentwurf in ein dramaturgisches Prokrustesbett zwängen, und damit dem ”Einheitsbrei” in der Filmproduktion Vorschub leisten.

Aus mehr als dreißig dieser Bücher über das Drehbuchschreiben wurden sechs Autoren ausgewählt, deren Theorien in dieser Arbeit untersucht werden sollen. Es handelt sich dabei um drei amerikanische Autoren, Syd Field, Christopher Vogler und Robert McKee sowie um drei Europäer, Oliver Schütte, Michel Chion und Ari Hiltunen. Die Theorien dieser Drehbuchliteraten werden vorgestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Dabei findet eine Fokussierung auf den Kern ihrer Theorien statt, also die dramaturgischen Konzepte, nach denen ein Drehbuch erstellt werden soll. Andere Kapitel in den Lehrbüchern dieser Autoren, wie solche über das Finden von Stoffideen, Hilfestellungen beim Schreibprozeß, besondere filmtechnische Aspekte, Verwertungsmöglichkeiten des Drehbuchs usw., finden dagegen keine Berücksichtigung.

Die Gründe für die Auswahl dieser Autoren bzw. ihrer dramaturgischen Konzepte stellen sich wie folgt dar. Sechs Theorien aufzuführen erwies sich als ideale Anzahl, um einen mehr als nur flüchtigen Einblick in die Drehbuchdramaturgie zu gewährleisten. Sie erlaubt eine Vertiefung in die einzelnen Dramaturgien, ohne andererseits den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen. Die untersuchten Bücher lagen in der jeweils jüngsten Ausgabe vor und sind in Deutschland zwischen 1998 und 2001 erschienen. Dies ermöglicht eine vergleichende Übersicht über die auf dem heimischen Markt aktuell kursierenden Theorien. Bei der ungeheuerlichen Menge an Drehbuchliteratur ist es natürlich nicht zu vermeiden, daß selbst zum Teil weithin bekannte Autoren, wie Linda Seger, Eugene Vale, Lajos Egri, David Howard, Edward Mabley, David Lodge, Jean Claude Carrière, Pascal Bonitzer oder David Mamet, nicht mit in die Untersuchung aufgenommen werden konnten.

Die Entscheidung für die Auswahl von drei amerikanischen und drei europäischen Dramaturgien ist insofern willkürlich, als daß sie nicht die tatsächliche Vorherrschaft der amerikanischen Literatur auf dem Markt widerspiegelt. Jedoch läßt zum einen die deutsche Provenienz der vorliegenden Arbeit grundsätzlich eine besondere Beachtung von europäischen Autoren angemessen erscheinen. Zum anderen ist diese Arbeit damit nach eigenen Recherchen die bisher einzige kritische Untersuchung, die amerikanische und europäische Dramaturgien gleichermaßen in diesem Umfang behandelt.

Bei der weiteren Auswahl der Autoren standen vor allem ihre Popularität und die Medienpräsenz ihrer Werke im Vordergrund. Das bedeutet, daß alle hier aufgeführten Autoren zu den führenden Vertretern ihrer Branche gehören. Einschränkend sei noch einmal angemerkt, daß der Einfluß der Amerikaner ungleich höher ist als der von europäischen Autoren, da jene auf beiden Kontinenten in punkto Bekanntheitsgrad an erster Stelle stehen. Merkmale für die Prominenz der Autoren sind ihre langjährige Erfahrung als Drehbuchlehrer, hier in erster Linie ihre Lehrtätigkeit an renommierten Einrichtungen (Universitäten, Filmakademien) in unterschiedlichen Ländern, ihre Mitarbeit in erstrangigen Filmunternehmen sowie besondere Auszeichnungen, wie etwa gewonnene Preise. Unter Präsenz ihrer Werke wird ihre selbstverständliche Verfügbarkeit auf dem Buchmarkt verstanden; in Filmhochschulen und Universitäten mit Kursen in Filmdramaturgie gehören sie zum festen Bestand der Bibliotheken. Die hier untersuchten Drehbuchliteraturen sind bis auf eine Ausnahme (Oliver Schütte) in mehrere Sprachen übersetzt und werden von verschiedenen Dozenten als Lehrmaterial in Seminaren und Workshops eingesetzt. Ferner hinterlassen sie einen spürbaren Niederschlag in der Fachpresse, sei es, daß sie Gegenstand von Analysen in Sekundärliteraturen sind, daß sie in Fachzeitschriften bevorzugt zitiert und rezensiert werden, daß wiederholt auf sie verwiesen wird oder sie in sonst einer Weise Erwähnung finden, beispielsweise als Vergleichsobjekt, an denen sich neu erschienene Literaturen zu messen haben.

Bei der Wahl der dramaturgischen Konzepte wurde weiterhin darauf geachtet, daß es sich um jeweils verschiedene theoretische Ansätze handelt. Syd Field stellt ein anschauliches, dabei betont regelhaftes Modell für das Geschichtenerzählen vor, Christopher Vogler formt seinen Ansatz aus Tiefenpsychologie und Mythenforschung, Robert McKee richtet sein besonderes Augenmerk auf die Verzahnung von Figur und Handlung, Oliver Schütte möchte seine Dramaturgie als Analyseinstrument zur Überarbeitung eines bestehenden Drehbuchs verstanden wissen, Michel Chion entwickelt sein Konzept aus einer vergleichenden Untersuchung bereits veröffentlichter Drehbuchmanuale und Ari Hiltunen schließlich wandelt auf den Spuren von Aristoteles und läßt dessen Regelpoetik, unter besonderer Beachtung der Wirkungsweise des Dramas, wieder aufleben. Trotz der für diese Arbeit notwendigen Selektion sollte damit ein ansprechender Eindruck von der Vielfalt der auf dem Markt vorhandenen Drehbuchdramaturgien gegeben sein.

Die dramaturgischen Konzepte werden im Folgenden ausführlich betrachtet und einer konzisen Kritik unterzogen. Daraufhin werden die einzelnen Konzepte unter eine gemeinsame Dramaturgieform zusammengeführt, was die Möglichkeit eröffnet, sie als Gesamtheit mit anderen dramaturgischen Formen zu vergleichen. Stärken und Schwächen der untersuchten dramaturgischen Konzepte können somit noch einmal in einem größeren Zusammenhang bewertet werden.

Am Ende dieser Arbeit wird der eingangs erwähnte Vorwurf der ”Kochbuch”-Dramaturgie erneut aufgegriffen. Anhand der Ergebnisse aus den vorangegangenen Analysen dürfte es nun möglich sein, zu dieser Frage konkret Stellung zu nehmen.

Zunächst jedoch erfolgt zur Einführung in das Thema ein kurzer historischer Abriß über die Entwicklung des Drehbuchs in Deutschland.[3]

2. Geschichte des Drehbuchs in Deutschland

Zwischen 1895 und 1905, dem ersten Jahrzehnt der Kinematographie, waren Drehbücher als detaillierte Entwürfe für zu realisierende Filme noch nicht erfunden, daher ist “eine Ursprungstheorie des Drehbuchschreibens [...] kaum zu fixieren.”[4] Für die kurzen Filmchen von etwa drei Minuten Länge waren allenfalls Skizzen nötig, alles andere ergab sich durch Improvisation direkt am Drehort.

Bald aber, nicht zuletzt dank technischer Innovationen, wie z.B. dem Malteserkreuz, das die Schonung der Perforation und eine flimmerfreie Projektion ermöglichte, wurden die Filme länger. Um den beständig wachsenden Bedarf an Filmideen zu decken, war es eine gängige und sehr massenwirksame Praxis der Produktionsfirmen, Preisausschreiben zu veranstalten, bei denen die besten Filmideen prämiert wurden. Die Autorenschaft jener Zeit rekrutierte sich aus Journalisten, unterbeschäftigten Unterhaltungsautoren und interessierten Laien, deren Namen im fertigen Film nicht mehr auftauchten.

Hinweise auf eine ausschließliche Tätigkeit als Drehbuchautor(in) lassen sich ab 1910 finden. Die Schauspielerin Rosa Porten schrieb von 1910-1927 25 Filme und Luise del Zopp, ehemalige Theaterschauspielerin, war von 1911-1915 mit 35 Drehbüchern überaus aktiv.[5] Zur weiteren Entwicklung des Filmmanuskripts trugen eine nochmals erhöhte Filmlänge und die Etablierung von Lichtspielhäusern bei. Der Film verlor allmählich sein Image als Jahrmarktsattraktion, und man versuchte, das bürgerliche Publikum ins Kino zu locken.

Das niedrige Niveau der einfachen Filmszenarien sollte überwunden werden, indem man bekannte Bühnenautoren und Schriftsteller für den Film gewann (Schnitzler, von Hofmannsthal, Hauptmann u.a.m.). Überwiegend wurden jedoch bereits existierende Vorlagen verfilmt, originäre Filmstoffe von Literaten waren eher selten anzutreffen (wie beispielsweise Paul Lindaus ”Der Andere” (1912) oder Hanns Heinz Ewers ”Der Student von Prag” (1913)).

Ab 1912 lieferten sich die beiden größten deutschen Filmgesellschaften, die ”Deutsche Bioscop” und die ”Projektions AG Union” (PAGU) ein werbeträchtiges Wettrennen um Autoren. Später gründeten sie gemeinsam eine Vertriebsstelle für Drehbücher und Filmideen, was den Autoren für kurze Zeit außergewöhnlich günstige Konditionen hinsichtlich Honorar und Mitspracherecht bescherte, wie sie bis heute nicht wieder erreicht wurden.

Die literarische Avantgarde im Umkreis der Expressionisten lieferte ihren Beitrag zum Filmskript in Kurt Pinthus’ ”Das Kinobuch” (1913/14).[6] Den Texten ermangelte es jedoch an der filmischen Realisierbarkeit, so daß nur eine der Filmideen überhaupt verfilmt wurde (in der Tat war sie bereits in Arbeit, als das Buch erschien). Von historischem Interesse ist die Absage von Franz Blei, der statt einer Filmidee ein erstes Realismuskonzept für den Film einschickte, in dem er forderte, das Leben des einfachen Menschen von der Straße im Film darzustellen.

In den zehner und zwanziger Jahren tauchten jedoch eine ganze Reihe weiterer Handbücher über das Drehbuchschreiben auf. Sie waren vornehmlich an Laien gerichtet und stellten, da es zu jener Zeit keine offiziellen Ausbildungsmöglichkeiten gab, für die meisten Leser die einzigen Hilfsmittel zum Erlernen dieser Kunst dar. Daß diese Kunst keineswegs immer als Selbstzweck gedacht war, machen einige der Werke schon im Titel unmißverständlich klar, darunter Peter Pauls ”Das Filmbuch. Wie schreibe ich einen Film und wie mache ich ihn zu Geld?” (1914) oder Ewald André Duponts ”Wie ein Film geschrieben wird und wie man ihn verwertet” (1919).

Von Interesse ist ferner, daß sich bereits in der ersten Phase der Drehbuchliteratur Autoren abgrenzten, um einem offensichtlich frühzeitig entstandenen Vorurteil zu begegnen. So schreibt 1919 Franz van der Groth gleich zu Beginn seiner Arbeit: “[Dieses Buch, T. W.] ist kein Kochbuch für Filmszenarien.”[7] Einen ebenfalls bis in unsere Zeit aktuellen Streitpunkt formuliert Richard Ott 1926 in seinem Buch ”Das Filmmanuskript”. Darin bemängelt er ganz offen: “Heute fehlt es an guten Manuskripten!”[8]. Häufig wurde dies mit der Nachfrage nach ”guten Autoren” gleichgesetzt, was aber keineswegs dazu führte, Nachwuchsautoren größere Erfolgschancen einzuräumen. Die Filmherstellung, so Ott, sei viel zu kostspielig, um sich auf namenlose Autoren zu verlassen.[9]

Ob nun Produzenten oder Drehbuchautoren die Schuld daran trugen, anspruchsvolle Dramatik oder gehobene Prosa wurden im Kino jener Tage jedenfalls nicht geboten. Vorherrschend waren Erzählmotive und -techniken der Schauergeschichte, der Sage, des Märchens und des Melodrams in einem romantisch-phantastischen Sujet. Das Verhältnis von äußerer Aktion und psychologisch dichter Ausarbeitung, von Sensationshandlungen und visuellen Stimmungen war dabei nur selten ausgewogen.

Die wirtschaftliche Struktur der deutschen Filmproduktion veränderte sich grundlegend während des Ersten Weltkriegs, in dessen Verlauf aus einem Gewerbe eine großkapitalistische Industrie heranwuchs. Das Medium Film wurde zu staatlichen Propagandazwecken okkupiert, und die Banken investierten, weil sie sich durch den Film beträchtliche Gewinne erhofften. Die Bedingungen waren denkbar günstig, da der heimische Markt nahezu vollständig von ausländischer Konkurrenz befreit war. In diese Phase fällt auch die Gründung des damals größten europäischen Filmkonzerns, der ”Universum-Film AG” (Ufa), am 18. Dezember 1917.

Nach Kriegsende vermehrten sich rasch auch kleine und mittlere Produktionsbetriebe. Die hohen Etats führten zu einer weiteren Vergrößerung der Filmlänge, die zwischen 1918 und 1921 die heute übliche Länge von 90 Minuten erreichte.[10] Bedingt durch die erheblich gestiegenen Produktionskosten wurde nun eine gründliche Strukturierung des Stoffes unerläßlich. “Erwartet wurden dramaturgische Verklammerungen disparater Szenen, Stimmigkeit in der Logik der Abläufe, psychologische Genauigkeit und Motivierung der Charaktere, Bildmächtigkeit der Vorgänge und Szenenentwürfe sowie eine medienspezifische Gestaltung und Formulierung, die auch die technischen Aufnahmebedingungen verstärkt mit einbezog.”[11]

Das Filmgeschäft boomte, um 1920 wurden bis zu 600 Filme pro Jahr hergestellt.[12] Der Berufsstand des Filmfachautors hatte sich etabliert. Grob kann man die Provenienz der Autoren in vier Gruppen unterteilen. Zur ersten Gruppe gehörten die Unterhaltungs- und Tagesschriftsteller, wie Thea von Harbou, Marie Luise Droop oder Fanny Carlsen. Eine zweite Gruppe der Filmautoren stammte aus dem Journalismus bzw. der Filmkritik: Willy Haas, Norbert Falk, Fred Hildenbrandt u.a.

Die dritte Gruppe setzte sich aus Szenaristen (ehemalige Dramaturgen, Regisseure oder Theaterleiter) zusammen. Zu ihnen gehörten u.a. Carl Mayer, Arthur Kahane und Heinrich Galeen. Abschließend die Gruppe der Autoren-Regisseure, die ihre Werke selbst schrieben und inszenierten: Fritz Lang, Joe May, Ewald André Dupont, in ihrer Anfangszeit auch Ernst Lubitsch, Friedrich Wilhelm Murnau und Georg Wilhelm Pabst.

Die reinen Literaten waren zu Beginn der 20er Jahre aus dem Filmgeschäft fast verschwunden, obgleich nach wie vor literarische Stoffe für den Film adaptiert wurden.

Schon früh in der Film- und Autorengeschichte wurden die Status- und Verwertungsprobleme der Autoren deutlich. Zum einen führte die übliche Rechteabtretung an die Filmgesellschaft, zum anderen die unzureichende materielle und soziale Absicherung des Autors bei der Stoffentwicklung zu Klagen. 1919 gründete sich daher der ”Verband deutscher Filmautoren”, eine berufsständische Interessenvertretung und Agentur, die sich weitreichende Aufgaben zur Verbesserung der Lage des Autors stellte: bessere ideelle, wirtschaftliche und rechtliche Anerkennung des Autors, Mindesthonorare, Tantiemenbeteiligung am Film, Schutz des Autorennamens bei der Filmankündigung, Mitwirkung des Autors bei der Filmherstellung, Schutz der Urheberrechte sowie der Versuch, eine kommerziell betriebene Vertriebsstelle für Filmstoffe einzurichten.

Diese Aufgaben konnten jedoch nur in geringem Maße umgesetzt werden. 1928 trat der Verband der ”Dachorganisation der filmschaffenden Künstler Deutschlands” bei.

Die Umstellung der Industrie auf den Tonfilm zu Beginn der 30er Jahre führte zu einer weiteren, drastischen Erhöhung der Produktionskosten. Zugleich änderten sich die inhaltlichen Anforderungen an das Drehbuch. Für das Schreiben von Dialogen wurde daher verstärkt auf die Erfahrung von Schriftstellern und Dramatikern zurückgegriffen.

Die politischen Umstände der Zeit brachten ebenfalls einschneidende Veränderungen mit sich. Nach 1933 diente der Drehbuchautor in Deutschland als “Zulieferer einer zentral gelenkten Ideologieproduktion in den Massenmedien des faschistischen Regimes.”[13] Zahlreiche Autoren emigrierten, und wer zurückblieb, hatte für die von Goebbels geforderte nationalsozialistische Ideologie zu schreiben. Als ideales Transportmittel dieser Ideen erwies sich in der Folgezeit der scheinbar unpolitische Unterhaltungsfilm. Die Autoren hatte man durch eine zwangsweise Mitgliedschaft in der Reichsfilmkammer im Auge, ihre Stoffe unterlagen seit dem Reichslichtspielgesetz von 1934 einer Vorzensur durch einen Reichsfilmdramaturgen. Zusätzlich fanden in der 1938 gegründeten Filmakademie in Babelsberg durch den persönlich von Goebbels eingesetzten Produktionschef der Ufa, Wolfgang Liebeneiner, ideologisch getrimmte Autorenkurse statt.[14] Autoren wie Laien standen darüber hinaus eine ganze Reihe von Handbüchern über das Drehbuchschreiben zur Verfügung, darunter populistische Ausgaben wie Fritz Aeckerles ”Wie schreibe ich ein Drehbuch?” (1940), praxisorientierte Anleitungen wie Edmund Th. Kauers ”Der Film” (1943) oder auch theoretisch fundierte Werke wie Gottfried Müllers ”Dramaturgie des Theaters und des Films” (1944).

Mit dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes zerfiel auch die deutsche Filmindustrie. Wurden zwischen 1941 und 1945 noch durchschnittlich 75 Filme pro Jahr gedreht, waren es 1946 nur vier, 1947 gerade elf und 1948 erst 37 Filme.[15] Es fehlte an Nachwuchsautoren, und emigrierte Autoren kamen nur in den seltensten Fällen nach Deutschland zurück. Dies führte dazu, daß auch nach dem Krieg die meisten Filme von Autoren der NS-Zeit geschrieben wurden: 157 Autoren waren in der Nachkriegszeit tätig, die auch zwischen 1933 und 1945 Drehbücher verfaßt hatten. Noch 1953 deckten sie 90 % aller deutschen Filmgeschichten ab.[16]

Vielleicht ist es auch deshalb nicht verwunderlich, daß viele Stoffe und Motive im Nachkriegsdeutschland denen der 30er Jahre gleichen. Ernsthafte Versuche des Aufarbeitens waren selten (Wolfgang Staudte: ”Die Mörder sind unter uns” (1946) und ”Rotation” (1948)). An der Tagesordnung waren oberflächliche Heimkehrer- und Trümmerfilme in gewohnter Dramaturgie. Teilweise wurde auch übriggebliebenes Material aus nationalsozialistischen Tagen aufbereitet oder Wiederverfilmungen im neuen Gewande aufgeführt. Selbst Kriegsfilme wurden wieder hergestellt (”Urlaub auf Ehrenwort” von Felix Lützkendorf, erstmals realisiert 1937).

“Im deutschen Film der fünfziger und frühen sechziger Jahre war der Mangel an wahrhaftigen gesellschaftsbezogenen oder -kritischen Darstellungsformen bei Autoren und Regisseuren unübersehbar” resümiert Jürgen Kasten[17], und auch der Trend des ”Problemfilms” war nur selten formal und thematisch anspruchsvoll (wie z.B. bei Wolfgang Staudtes ”Rosen für den Staatsanwalt” (1959)). Generell ist das Fehlen brisanter aktueller Stoffe zu verzeichnen.

Die Filmproduktion in der DDR hingegen löste sich von den überkommenen ästhetischen Strukturen des Films der 30er und 40er Jahre sowie dem prätentiösen Bild- und Erzählstil der Ufa-Produktionen. Hier bemühte man sich - angelehnt an den italienischen Neorealismus - um vergangenheitsbewältigende Aufarbeitung und Darstellung sozialer Realität (Wolfgang Kohlhaase ”Eine Berliner Romanze” (1956) und ”Berlin – Ecke Schönhauser” (1957)).

Zu Beginn der 60er Jahre fand ein bedeutender Umbruch in der Medienlandschaft statt. Das Fernsehen wurde immer populärer, bis es schließlich zum führenden Massenmedium avancierte. Wie im Film wurden in der Anfangszeit bekannte Literaten als Autoren gesucht und auch gefunden: Wolfgang Hildesheimer, Walter Jens, Martin Walser u.a. Aber den Großteil an originären Fernsehspielen schrieben Autoren, die - wie 1913 - nur bedingt oder weniger erfolgreich im Literaturbetrieb tätig waren.

Der Status des Fernsehautors war einigermaßen befriedigend. Er wurde als Urheber der Fernsehspiele im Film genannt und finanziell ausreichend vergütet (Wiederholungshonorar, Nebenrechte wie Auslandsverkauf, Schallplatten- und Buchverwertung). Der Verband der Bühnenverleger schaffte es sogar, eine Art Tarifvertrag mit den öffentlich-rechtlichen Sendern auszuhandeln.[18] Weiterhin gelang im Gegensatz zum Film der frühen 60er Jahre im Fernsehspiel häufig eine kritische Auseinandersetzung mit der Gegenwartsrealität und der unmittelbaren Vergangenheit (Christian Geißler ”Die Anfrage” (1962), Günter Lys ”Ein Tag” (1965), Wolfgang Menge ”Das Millionenspiel” (1970) und ”Smog” (1973)).

Derweil blieb die Sorge um den bundesdeutschen Film. Schon 1961 beklagte sich der Literat Alfred Andersch über dessen Stand und forderte - ebenfalls wie es bereits 1913 geschehen war -, daß sich die Literaten in den Film einbringen müßten, um ihm zu Qualität zu verhelfen und alte Strukturen zu brechen. Diesmal sollte es jedoch zu einer ganz anderen Art von ”Autorenfilm” kommen. Beeinflußt durch die französische ”Nouvelle Vague” stellten Jungfilmer 1962 das ”Oberhausener Manifest” auf, worin sie sich für die Aufhebung der Arbeitsteilung zwischen Autor, Produzent und Regisseur einsetzten. Durch die letztendliche Vorherrschaft des Regisseurs in diesem Modell konnten sie jedoch kaum Literaten davon überzeugen (berühmtestes Beispiel ist hier das Treffen von Literaten der Gruppe 47 mit den Jungfilmern im Literarischen Colloquium Berlin 1962).

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre setzte sich das neue Modell des Autorenfilms durch. Häufig waren nun Drehbuch, Regie und Produktion in einer Person vereint. Berühmte Vertreter waren Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder, Edgar Reitz, Werner Herzog, Wim Wenders und Werner Schröter. Wegen der schlechten Finanzlage der Filmwirtschaft arbeiteten einige der Autorenfilmer auch beim Fernsehen und bereicherten die Fernsehspiele mit ihren filmästhetischen Vorstellungen (z.B. ”Acht Stunden sind kein Tag” (1974/75) von Fassbinder).

Mitte der 70er Jahre fanden die Fernsehspiele allmählich ein Ende. Gründe hierfür waren die zunehmende Bürokratisierung und politische Rücksichtnahmen der Fernsehanstalten auf Partei- oder Konfessionszugehörigkeit von Inhabern wichtiger Posten sowie immer stärkere interne Schwierigkeiten (Verlängerung der Abnahmeprozedur durch Exposé, Treatment, 1., 2. und 3. Fassung eines Drehbuchs[19], darüber hinaus erhöhte Eingriffe durch Redakteur, Hauptabteilungsleiter, Programmdirektor, Intendant, Produzent und Regisseur).

Nach Ausstrahlung der US-amerikanischen Mini-Serie ”Holocaust” (1979) wurde ein neues Format, das der Serie, immer beliebter. Zwar gab es auch weiterhin anspruchsvolle Serien und Reihen, wie ”Berlin Alexanderplatz” (1980) von Fassbinder, Peter Stripps ”Rote Erde” (1983) oder Peter Steinbachs/Edgar Reitz’ ”Heimat” (1984). Dagegen bestimmten aber Mitte der 80er Jahre - nach Etablierung der Privatsender - 30- oder 45-Minuten-Episoden langlaufender Unterhaltungsserien das Programm.

Die deutschen Autoren hatten sich an neue Erzähltechniken und Arbeitsbedingungen zu gewöhnen. Neben der Arbeitsteilung im Team nach amerikanischem Vorbild (dort wurden schon 1910 Drehbuchabteilungen in den Produktionsfirmen eingerichtet, in denen festangestellte Autoren Drehbücher in Teamarbeit erstellten) und strengen Vorgaben des Settings (Figurenpersonal, Raum- und Zeitvorgaben) mußte oftmals quasi im Akkord geschrieben werden, um die schnell abgedrehten ”Daily-Soaps” beliefern zu können. Diese industrieähnlich organisierte Herstellung von Drehbüchern bringt es jedoch mit sich, “daß die Motive immer geläufiger werden, die Dramaturgien und Geschichten schablonenhaft wirken, große dramatische Spannungsbögen und visuelle Opulenz nicht möglich sind.”[20]

Der erfolgreiche Autorenprotest gegen die im 1985 zu novellierenden bundesdeutschen Filmgesetz erwogene Streichung der Drehbuchförderung führte 1986 zur Gründung des ”Verbands deutscher Drehbuchautoren e.V.”. Dieser unabhängige Interessenverband von Autoren zählt zu seinen Aufgaben, regelmäßige kollegiale Gesprächskreise zu veranstalten, selbstbestimmte Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu schaffen, eine öffentliche Wiedersichtbarmachung des kreativen Autorenanteils am Film zu erreichen, eine Rechtsberatung anzubieten sowie um eine Verbesserung des Urheberrechts und der Honorarsätze zu kämpfen. Bis heute sind dem Verband mehr als 450 Autoren beigetreten.[21],[22]

Nach dem Ende des Autorenfilms, zu Beginn der 80er Jahre, stand der deutsche Film vor einer ästhetischen und finanziellen Krise, für die man den Schuldigen schnell gefunden hatte: Der Mangel an guten Drehbüchern und Autoren sei daran schuld. Zu dieser im Grunde periodisch wiederkehrenden, mal stärker, mal schwächer ausfallenden Produzentenklage bemerkte 1988 der Drehbuchautor Markus Scholz: “Aber [...] die Fernsehanstalten schreien doch ständig nach neuen Autoren. Ja, das tun sie in der Tat. Aber dieses Geschrei ist dem Knarren tibetanischer Gebetsmühlen vergleichbar und dient ausschließlich der Selbstdarstellung der Fernseh-Hierarchen. In der Praxis erweist sich dieser ”Schrei” als Theaterdonner, als das Echo einer Illusion.”[23] Geändert hat sich daran auch elf Jahre später nichts, wie folgendes Zitat aus der Fachzeitschrift ”Grip” zeigt: “Der Kreis der vielbeschäftigten und immer wieder angefragten Autoren ist sehr klein. [...] Den jungen, neuen Autoren, nach denen angeblich so händeringend gesucht wird, mißtrauen Sender und Produzenten im Grunde.”[24]

Immerhin führte diese Diskussion gegen Ende des Jahrzehnts in ganz Europa zu einer neuen Aufmerksamkeit gegenüber den Autoren. Andere, schwerwiegende Probleme wurden jedoch überdeckt: zum einen das Fehlen ökonomisch kompetenter, ästhetisch entwicklungsbereiter Produzenten und zum anderen die wirtschaftliche Dominanz der amerikanischen Major Companies (durch Aufkaufen kleinerer Produktionsfirmen und den Zusammenschluß größerer Firmen wurde auch schon 1933 im Hinblick auf eine Monopolisierung in die Filmindustrie eingegriffen[25] ).

Übersehen wurde ferner, daß selbst in der Hochzeit des Autorenfilms zahlreiche Regisseure eng mit Drehbuchautoren zusammenarbeiteten: Werner Fassbinder mit Peter Märthesheimer, Wim Wenders mit Peter Handke, Rudolf Thomé und Klaus Lemke mit Max Zihlmann, Robert van Ackeren mit Joy Markert u.a.m.

Positiv zu vermerken ist, daß die einsetzende Diskussion um den Status des Drehbuchautors zu einer Erweiterung staatlicher Förderprogramme[26] und zu einer verstärkten Auslobung von Drehbuchpreisen[27] führte. Auch die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten wurden ausgebaut bzw. erst geschaffen.[28] An Filmhochschulen, -akademien und an Universitäten wurden Kurse oder Studiengänge eingerichtet.[29] Privat veranstaltete Workshops und praktische Übungen für Drehbuchautoren und diejenigen, die es einmal werden wollen, bescheren seither - vor allem amerikanischen Lehrern - volle Kassen.

Mit dieser Entwicklung einhergehend überschwemmt seit Mitte der 80er Jahre eine kaum zu überblickende Menge an Drehbuchliteratur den Markt. Wie schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts, besteht die Leserschaft zu einem guten Teil aus interessierten Laien oder ambitionierten Hobby-Schreibern. Darüber hinaus wird es sich heute kein Filmstudent, kein Drehbuchautor und kaum ein Produzent leisten können, die führenden Theorien dieser Autoren unbeachtet zu lassen.

3. Zeitgenössische Drehbuchliteratur

Aus der Vielzahl von auf dem Markt befindlichen Drehbuchliteraturen wurden sechs Manuale bzw. ihre dramaturgischen Konzepte für diese Arbeit ausgesucht, die als richtungsweisend für die gegenwärtige Entwicklung der Filmdramaturgie betrachtet werden können. In mehr oder weniger apodiktischer Weise versuchen diese Konzepte, Strukturen und Regeln für den Bau eines Drehbuchs oder auch das Geschichtenerzählen im allgemeinen aufzustellen. Interessant ist dabei zunächst, daß alle Autoren bei ihren theoretischen Überlegungen von einem jeweils verschiedenen Ansatzpunkt ausgehen. Die Ansätze und deren Ergebnisse seien im Folgenden dargestellt.

Begonnen werden soll mit drei der erfolgreichsten Dramaturgie-Modelle des amerikanischen Marktes. Im zweiten Teil dieses Kapitels folgen dann drei der derzeit populärsten europäischen Konzepte.

3.1 Drei amerikanische Dramaturgien

Nachfolgend werden die Dramaturgie-Konzepte von Syd Field, Christopher Vogler und Robert McKee vorgestellt. Alle drei gehören zu den weltweit bekanntesten Autoren ihres Metiers und haben durch ihre Arbeit in Hollywood sowie ihre Tätigkeit als Drehbuchlehrer in den USA und Europa maßgeblichen Anteil an der Popularisierung des Drehbuchschreibens. Ihre Bücher gelten heute allesamt als Standardwerke. Die von ihnen entwickelten Dramaturgien werden in Filmschulen, Universitäten und auf Workshops unterrichtet, darüber hinaus ist der in ihren Dramaturgien entwickelte Begriffsapparat zum festen Bestandteil in fachlichen Diskussionen geworden.

3.1.1 Das dramaturgische Konzept von Syd Field

Syd Field, der ”Guru aller Drehbuchautoren” (CNN) und laut ”Hollywood Reporter” der meistgefragte Drehbuchlehrer der Welt, veröffentlichte gleich drei Standardwerke zur Drehbuchliteratur. An einen Personenkreis aus Laien und Professionellen gerichtet, gehören sie in fast 400 Schulen und Universitäten zur Pflichtlektüre und sind bisher in 19 Sprachen übersetzt worden.[30]

Field arbeitete als Cheflektor bei Cinemobile Systems und Cine Arts, dann als Drehbuchberater für 20th Century Fox, die Disney Studios, Universal and Tristar Pictures. Darüber hinaus veranstaltete er weltweit Drehbuch-Workshops und hielt Kurse in verschiedenen renommierten Universitäten ab (Harvard, Stanford, Berkeley u.a.).

Seine in äußerstem Maße pragmatische Methode des Drehbuchschreibens ist wegen ihrer Einfachheit ebenso beliebt, wie sie wegen ihres normativen Charakters umstritten ist. Die starke Betonung der Form, deren wichtigste Elemente (ohne darauf hinzuweisen) Aristoteles’ ”Poetik”[31] entnommen sind, wie Drei-Akt-Struktur[32], Wendepunkte, Kohärenz der Ereignisse, Linearität u.v.a.m., läßt der Kreativität nur eine untergeordnete Rolle zukommen. Dies führt dazu, daß gerade im Falle von Fields Dramaturgie häufig von ”Rezeptbuch”-Dramaturgie gesprochen wird.

3.1.1.1 Struktur

“Ein Drehbuch ist eine Geschichte, die mit Bildern, Dialogen und Beschreibungen im Rahmen einer dramatischen Struktur erzählt wird.”[33] Die dramatische Struktur definiert Field als “[...] lineare Anordnung aufeinander bezogener Vorfälle, Episoden oder Ereignisse, die zu einer dramatischen Auflösung hinführen.”[34] Er stellt ferner die Behauptung auf: “Alle Drehbücher folgen dieser geradlinigen Grundstruktur.”[35]

Field schlägt vor, ein Drehbuch zunächst in drei Akte zu unterteilen. Der erste Akt stellt die Exposition dar, der zweite Akt die Konfrontation und der dritte Akt die Auflösung. Field geht von einem Richtwert von 120 Drehbuchseiten für einen abendfüllenden Spielfilm aus, wobei eine Drehbuchseite ca. einer Minute Film entspricht, und unterteilt die drei Akte in folgende Längen: Die Expostion beginnt auf Seite 1 und endet auf Seite 30 bzw. mit Minute 30, mit einem Plot Point (Wendepunkt) zwischen Seite 25 und Seite 27. Der zweite Akt ist doppelt so lang wie die beiden anderen Akte und verläuft von Seite 30 bis Seite 90, mit einem Plot Point zwischen Seite 85 und Seite 90. Der dritte Akt umfaßt wieder 30 Seiten/Minuten, von Seite 90 bis Seite 120. Jeder Akt stellt eine Einheit dramatischer Handlung dar, auf den die übergeordnete Struktur der Geschichte übertragen wird, d.h. ein Akt besteht ebenso aus Anfang, Mitte und Ende und verfügt über einen eigenen Spannungsbogen.

Ende, Anfang, der Plot Point am Ende des 1. Akts und der Plot Point am Ende des 2. Akts stellen für Field die vier Grundelemente des Drehbuchs dar.

1. Akt: Exposition (setup). Die Exposition etabliert die Geschichte und muß folgendes enthalten: “Wer ist die Hauptfigur, wovon handelt die Geschichte, wie ist die Situation?”[36] Am Ende des 1. Akts gibt es den ersten Wendepunkt, der die Geschichte in eine andere Richtung lenkt und in den 2. Akt überleitet.

Den 1. Akt unterteilt Field wiederum in drei gleich große Abschnitte. Dabei weist er immer wieder auf die Bedeutung der ersten zehn Seiten des Drehbuchs hin, denn hier würde ein Lektor oder Produzent entscheiden, später der Zuschauer im Kino, ob ihm der Film gefällt oder nicht. Field betrachtet die ersten zehn Seiten als eigenständige dramatische Handlungseinheit.

In den darauffolgenden zehn Seiten sollte der Autor so dicht wie möglich an seiner Hauptfigur dranbleiben. Sie sollte in jeder Szene vorkommen und möglichst aktiv sein. Auf den dritten zehn Seiten wird dann das Problem definiert, um das es in der Geschichte gehen wird.

2. Akt: Konfrontation. Sie umfaßt den Großteil der Geschichte. Dem Protagonisten, der ein bestimmtes Ziel verfolgt, werden Hindernisse in den Weg gelegt. Durch den Versuch, diese Hindernisse zu überwinden, entstehen Konflikte. Diese sind nach Field die Basis jeder dramatischen Handlung.

Am Ende des 2. Akts folgt der zweite Wendepunkt, der die Geschichte erneut in eine andere Richtung treibt, und in den 3. Akt überführt.

Auch der 2. Akt wird in kleinere Abschnitte unterteilt. Zunächst gibt es eine Zäsur in der Mitte des Akts (Seite 60 des Drehbuchs), die Field den ”zentralen Punkt” nennt, und der die beiden Teile des 2. Akts verbinden soll. Dies kann ein Plot Point, eine Sequenz, eine Szene, eine Dialogzeile, eine Entscheidung oder auch eine Begebenheit sein (z.B. ändert sich hier die Haltung einer Person ihrer Umwelt gegenüber).

Field fährt fort, daß daraufhin auch in den Mitten der beiden Blocks des 2. Akts Schlüsselszenen, sogenannte ”Klammern”, eingerichtet werden sollen (auf Seite 45 und Seite 75). “Ihr Zweck ist es, die Geschichte auf der Spur zu halten.”[37]

3. Akt: Auflösung. Die Konflikte werden gelöst und die Handlungsstränge zu Ende geführt. Eine vom Autor beabsichtigte Wandlung von Figurencharakteren muß hier abgeschlossen sein. Eine zusätzliche Klammer und Plot Points sind möglich, jedoch nicht verbindlich.

Zur besseren Veranschaulichung wird die von Syd Field empfohlene Grundbauweise einer Erzählung, ”Paradigma” genannt, hier noch einmal in graphischer Form dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Das Paradigma als Strukturmodell[38]

Nach Darlegung des Strukturmodells geht Field auf verschiedene Elemente eines Drehbuchs näher ein.

Schlüsse und Anfänge: Field geht davon aus, daß man den Schluß seiner Geschichte kennt, bevor man mit dem Schreiben beginnt. Denn nur so kann seiner Meinung nach konsequent von Anfang an auf das Ziel, das Ende, hingearbeitet werden. Andernfalls wird man zu keiner stimmigen Lösung kommen. Alle im Film gestellten Fragen müssen am Schluß beantwortet werden. Bevorzugt wird das Happy End: “Geht der ewige Kampf von gut und böse jemals zugunsten des Bösen aus? Nie. So ist es. Auf lange Sicht triumphiert das Gute immer über das Böse. Denken Sie daran.”[39]

Field betont, daß Anfang und Ende der Geschichte eng zusammengehören. Als Eröffnungsbilder empfiehlt er Actionszenen oder Charakterstudien, also entweder fesselnde oder einführende Anfänge.

“Das System Drehbuch setzt sich zusammen aus Schluß, Anfang, Plot Points, Einstellungen und Effekten, Szenen und Sequenzen.”[40]

Die Sequenz bezeichnet Field als das wichtigste Element eines Drehbuchs, als das Skelett oder auch Rückgrat. Die Sequenz ist “eine Serie von Szenen, die durch eine einzige Idee zusammengehalten wird”[41] (z.B. die Hochzeitssequenz von ”The Godfather/Der Pate”). Sie stellt eine Einheit, einen Block dramatischer Aktion dar, ebenso aufgebaut wie ein Akt mit einem eigenen Anfang, einer Mitte und einem Ende. Ein Drehbuch ist somit zu begreifen als eine Reihe von Sequenzen, die durch eine dramatische Handlung miteinander verknüpft werden. Die Anzahl der verwendeten Sequenzen in einem Drehbuch hängt von der Geschichte ab.

Der Plot Point (Wendepunkt) greift in die Handlung ein und gibt ihr eine andere Richtung. Dadurch treibt er die Geschichte voran. Plot Points sind nach Field die Fixpunkte des Handlungsablaufs und gehören an das Ende des 1. und des 2. Akts. Das fertige Drehbuch kann insgesamt weit mehr Plot Points aufweisen, es sollten jedoch nicht mehr als fünfzehn sein (Field führt als Beispiel ”Chinatown” an, eine Geschichte, die nach seiner Rechnung allein im 2. Akt über zehn Plot Points verfügt). Der Plot Point muß kein besonders dramatisches Ereignis oder eine Actionszene sein, es kann sich auch um eine ruhige und entspannte Szene handeln, in der aber deutlich wird, daß ab diesem Zeitpunkt die Ereignisse der Geschichte eine andere Wendung nehmen.

Die Szene ist nach Field das wichtigste Einzelelement eines Drehbuchs. Im Gegensatz zur Sequenz stellt sie eine spezielle Handlungseinheit dar, deren Zweck es ist, die Geschichte voranzutreiben. Die Mindestanforderung an eine Szene ist darum auch, daß sie zumindest eine wichtige Information enthalten sollte.

Die Grundbedingungen für jede Szene sind Ort und Zeit (was sich auch in der Schriftform des Drehbuchs niederschlägt durch die Angaben Innen/Außen sowie Ort und Tag/Nacht). Es werden dialogische und visuelle Arten von Szenen unterschieden, die aber in der Praxis meist gemischt auftreten. Eine Szenenlänge ist nicht festgelegt, sondern hängt von den Bedürfnissen der Geschichte bzw. der Sequenz ab.

Auch eine Szene hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Im Gegensatz zu den Akten und den Sequenzen werden diese aber nicht immer ausgeschrieben. Field folgt hier dem Ratschlag des Regisseurs William Goldman, eine Szene so spät wie möglich einsetzen zu lassen, um den Zuschauer nicht mit unnötigen Informationen zu langweilen und Spannung und Tempo aufrechtzuerhalten.

Dialoge haben in Fields dramaturgischer Struktur sechs klar definierte Aufgaben. Sie sollten jeweils mindestens eine der folgenden Kriterien erfüllen:

- die Geschichte vorwärts treiben,
- Fakten und Informationen an den Zuschauer weitergeben,
- den Charakter der Figuren erhellen, äußere und innere Konflikte enthüllen,
- Beziehungen zwischen den Figuren schaffen (was u.U. zu notwendigen Konflikten
führen kann),
- als Kommentar zur Handlung dienen,
- Szenen miteinander verbinden.

Im Gegensatz zu sonstigen Szenen schlägt Field bei Dialogszenen eine maximale Länge vor: sie sollten drei Seiten nicht überschreiten.

3.1.1.2 Figuren

“Drama ist Konflikt. Ohne Konflikt gibt es keine Figur, ohne Figur keine Handlung, ohne Handlung keine Geschichte - und ohne Geschichte gibt es kein Drehbuch.”[42]

Danach werden Figuren in einem Drehbuch ebenso dramatisiert wie Aktionen, d.h. sie müssen in Handlung eingebunden werden. Entscheident ist, was den Figuren zustößt und wie sie darauf reagieren.

Field empfiehlt, sich für eine Hauptfigur zu entscheiden. Selbst bei zwei scheinbar gleichen Hauptfiguren sollte eine die aktivere sein und die Entscheidungen übernehmen.

Zunächst sollte für die Figuren ein Charakterporträt erstellt werden, das sich aus einem inneren und einem äußeren Porträt zusammensetzt. Das innere Porträt beginnt bei der Geburt und reicht bis zu dem Augenblick, wo die Geschichte anfängt. Field nennt es den Prozeß, der den Charakter formt. Das äußere Porträt beginnt am Filmanfang und endet an dessen Schluß. Darunter ist ein Prozeß zu verstehen, der den Charakter der Figur enthüllt.

Field betont, daß es wichtig ist zu wissen, was vor dem eigentlichen Beginn der Geschichte passiert, um den bestmöglichen Einstieg in den Film zu finden.

Um zu vieldimensionalen Figuren zu kommen, müssen die Lebensumstände der Figuren in die drei Grundkomponenten Beruf, Beziehungen und Privatleben unterschieden und sichtbar gemacht werden.

Ferner benötigt eine gelungene Figur: ein dramatisches Ziel (was die Figur erreichen will), einen Standpunkt (wie die Person die Welt sieht), Veränderung (die Hauptfigur muß sich verändern oder als Katalysator für die Veränderung von anderen Figuren fungieren) sowie eine bestimmte Haltung (Wesensmerkmale wie positiv, negativ, kritisch, naiv usw.; dies gibt der Figur Tiefe).

Darüber hinaus unterscheidet Field drei Arten der Interaktion von dramatischen Figuren: Entweder sie geraten in Konfliktsituationen, um ihre dramatischen Bedürfnisse zu befriedigen, sie interagieren mit anderen Figuren oder sie interagieren mit sich selbst.

Grundsätzlich muß der Autor darauf achten, daß er Bilder wählt, die seine Figuren filmisch dramatisieren. Es sollte nie vergessen werden, daß der Film ein visuelles Medium darstellt. Zu beachten ist hier allerdings, daß Field einen großen Unterschied zwischen Kino und Fernsehen macht. Der Unterschied im Fernsehen kommt vor allem durch den im Vergleich zur Leinwand kleinen Bildschirm und das Zuschneiden der Fernsehprogramme auf die Werbung zum Tragen.

Field bezeichnet Fernsehen als ein ”sprechendes” Medium[43], ein auf die Sprache fixiertes Medium. Die Personen darin reden über ihre Emotionen und sagen was sie wollen oder was sie zu tun haben. Sie beschreiben ihre Gefühle mit Worten anstatt sie in Bildern zu zeigen. Im Film dagegen macht gerade die optisch wahrnehmbare Haltung eine Figur deutlich, die Handlung erst macht die Figuren: “Eine Figur ist, was sie tut.”[44]

3.1.1.3 Kritik

Fields dramaturgisches Modell basiert auf der Einteilung der kompletten Geschichte in kleine, eigenständige Handlungseinheiten. Nach einer ersten großen Gliederung in drei Akte entstehen im 1. Akt drei Blöcke zu je zehn Seiten und im 2. Akt vier Blöcke zu je fünfzehn Seiten. Der 3. Akt kann nach Bedarf in zusätzliche Blöcke unterteilt werden. Die Wendepunkte (hierzu zähle ich auch den ”zentralen Punkt” und die ”Klammern”, da sie im Grunde diese Funktion innehaben, nur speziell auf den 2. Akt zugeschnitten) auf den Seiten 25, 45, 60, 75 und 85 sollen ihrerseits für abwechslungsreiche und überraschende Momente in kurzen Abständen sorgen.

Die angestrebte Übersichtlichkeit und Klarheit dieser Struktur mit den für jeden Handlungsblock streng vorgeschriebenen Funktionszuweisungen unterläuft aber durch ihre schon mathematische Genauigkeit fast zwangsweise der Gefahr, die Bedürfnisse einer originären Filmidee dem festgeschriebenen Schema unterzuordnen. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, welchen Überraschungswert Wendepunkte haben sollen, die zum immer gleichen Zeitpunkt auftreten.

Ein anderer Nachteil bei der Präferenz der Form vor dem Inhalt oder des Schreibens von außen nach innen zeigt sich in der Entwicklungsarbeit der Charaktere. Die Notwendigkeit, eine mit einem festgelegten Ziel versehene Figur in eine lineare Handlungskonstruktion einpassen zu müssen, führt nur allzu leicht dazu, ihr äußerliche, dem Verlauf dienliche Wesensmerkmale und Eigenschaften anzuheften, anstatt sie mit einer tiefgreifenden Psychologie auszustatten.

Field selbst schwächt sein System und seine dramaturgische Kompetenz, wenn er zigmal von der vorausweisenden Bedeutung der ersten zehn Drehbuchseiten schreibt und dann anhand eines von ihm als musterhaft ausgewählten Analysebeispiels (”Thelma und Louise”) im Plauderstil erklärt, daß er den Film im Kino nach den ersten zehn Minuten irrtümlich für eine Komödie gehalten habe. Auf den in der Filmkritik häufig angesprochenen Mangel vom schnellen Persönlichkeitswandel der Figur ”Thelma” antwortet Field: “Das mag schon stimmen, aber wen kümmert es?”[45]

3.1.2 Das dramaturgische Konzept von Christopher Vogler

Christopher Vogler ist mit ”Odyssee des Drehbuchschreibers” der Verfasser eines weiteren Standardwerks der Drehbuchliteratur. Er arbeitete für verschiedene große Hollywood-Studios (z.B. Fox 2000 Pictures, Walt Disney Company, Warner Bros.) und ist heute freier Produzent und Dozent für kreatives Schreiben an zwei Universitäten in Kalifornien (UCLA und USC School of Cinema-Television). Nach einer Eigenwerbung auf dem Buchdeckel zählt Vogler laut Filmmagazin ”Fame” zu den ”100 wichtigsten Leuten Hollywoods”.

Konzipiert ist Voglers Buch in erster Linie für Autoren, Laien wie Professionelle. Der Leserkreis ist darüber hinaus aber generell offen, da er seine Dramaturgie als metaphorisch begreift und immer wieder beispielhaft seine Anwendung für das reale Leben - explizit als Lebenshilfe formuliert - aufzeigt.

Vogler entwickelte sein Dramaturgie-Konzept auf der Grundlage der Tiefenpsychologie von Carl Gustav Jung sowie aus den Mythosstudien von Joseph Campbell. Aus diesen Forschungen sollte eine Verbindung zum zeitgenössischen Geschichtenerzählen geschaffen werden. Vogler zufolge gelang es Campbell erstmals, “das Modell zu enthüllen, das allen jemals erzählten Geschichten zugrundeliegt”[46]. Von Jung übernahm er die Einteilung in ”Archetypen”, also in beständig wiederkehrende Charaktere oder Kräfte, die in den Träumen aller Menschen und den Mythen sämtlicher Kulturen erscheinen.

Voglers Konzeption der ”Heldenreise” besteht aus einer Reihe grundlegender Prinzipien, die für das Erzählen so bedeutend sind wie die Naturgesetzte und eine Art ”ewige Wirklichkeit” darstellen sollen.[47] Er verweist von Anfang an darauf, daß er keine Formel für das Geschichtenerzählen vorführen will, sondern daß seine Methode jedesmal neu auf die individuelle Geschichte anzuwenden sei.

3.1.2.1 Struktur

Auch Vogler spricht sich für eine Einteilung der Geschichte in drei Akte aus. Im 1. Akt wird uns (dem Leser oder Zuschauer) die Entscheidung des Helden zu handeln vorgeführt, im 2. Akt erleben wir die Handlung selbst, und im 3. Akt sehen wir die Konsequenzen, die daraus entstehen.

Für den 1. Akt schlägt Vogler eine Länge von 30 Seiten vor, für den 2. Akt 60 Seiten und für den 3. Akt wieder 30 Seiten.[48]

Die Reise des Helden, die ebenso eine Reise ins Innere wie eine Reise an neue Orte sein kann, wird in zwölf Stadien unterteilt: 1. Gewohnte Welt, 2. Ruf des Abenteuers, 3. Weigerung, 4. Begegnung mit dem Mentor, 5. Überschreiten der ersten Schwelle, 6. Bewährungsproben, Verbündete, Feinde, 7. Vordringen zur tiefsten Höhle/zum empfindlichsten Kern, 8. Entscheidende Prüfung, 9. Belohnung, 10. Rückweg, 11. Auferstehung, 12. Rückkehr mit dem Elixier.

1. Gewohnte Welt

Die gewohnte Welt ist der Platz für die Vorgeschichte, die Exposition und die Bekanntgabe des Themas, auf das sich alles in der späteren Geschichte beziehen wird. Der Anfang einer Geschichte hat mehrere Aufgaben: Er muß den Zuhörer fesseln, die Grundtonart der Geschichte festlegen und er muß eine ganze Reihe von Informationen vermitteln, ohne zu langweilen. Die meisten Geschichten beginnen mit der Darstellung der gewohnten Welt, sie ist Kontext, Ausgangspunkt und Hintergrund des Helden. Sie ergibt den Kontrast zu der Welt, in die der Held aufbricht. Häufig gibt es hier bereits eine Vorankündigung auf kommende Ereignisse. Sie stellt die Hauptfigur vor und wirft die dramatische Frage der Geschichte auf, ob der Held sein Ziel erreichen wird.

Jeder Held braucht ein inneres und ein äußeres Problem, um als Figur Tiefe zu erreichen. Bereits das erste Auftreten der Hauptfigur sollte etwas über Haltung, Gefühlszustand, Hintergrund, Stärken und Probleme einer Figur sagen. Alle Helden haben einen Mangel: Ihnen fehlt etwas Wichtiges, was sie nie besaßen oder was ihnen gerade genommen wurde. Dies macht sie einerseits menschlicher, andererseits gibt es den Anstoß zur Geschichte. Der Zuschauer muß früh wissen, was für den Helden auf dem Spiel steht, welches Ziel er hat und welche Folgen das haben wird.

2. Ruf des Abenteuers

Anderer Begriff für Initialmoment, katalytisches Moment oder Auslöser. Es ist das Ereignis, das die Geschichte in Gang bringt, sobald die wichtigsten Figuren vorgestellt worden sind. Der Held wird mit einem Problem konfrontiert, das ihn zwingt, sich zum Verweilen oder zum Verlassen der gewohnten Welt zu entscheiden. Dies kann ein Telegramm sein, eine durch einen Boten überbrachte Nachricht, ein inneres Bedürfnis, ein Verlust, eine Bedrohung u.v.a.m. Wenn sich die Helden weigern und ihrer Verantwortung entziehen wollen, muß der Ruf u.U. wiederholt werden.

[...]


[1] Siehe Jarothe, Sabine: Die Kunst des Drehbuchschreibens. Eine internationale Bibliographie der Literatur zum Drehbuchschreiben, München 1991. Der Band umfaßt mehr als 700 Einträge.

[2] Beispielhaft dazu die Aufsatzsammlung: Jenseits von Hollywood, Altenburg, Christiane; Fließ, Ingo (Hrsg.), Frankfurt/M 2000, oder Fachartikel, wie Dettweiler, Marco: Am Anfang war das Drehbuch. Interview mit Oliver Simon, in: Filmforum, Sonderheft Drehbuch Nr. 2, Herbst 2000, Berlin, S. 38-40 und Jungfleisch, Martina: Erzählmuster sprengen. Der Drehbuchautor Günter Schütter über die deutsche Drehbuchpolitik, in: Filmforum, Heft 14, 1998, Berlin, S. 16-19, sowie sonstige in regelmäßigen Abständen wiederkehrende Beiträge zu diesem Thema in weiteren Fachzeitschriften, wie Grip und Medien-Bulletin, Anm. d. Verf.

[3] Darüber hinaus die sicherlich bedeutsame Drehbuchgeschichte der USA darzustellen, wurde aus zwei Gründen zurückgestellt: Zum einen soll, wie schon oben bei den Auswahlkriterien der sechs Dramaturgien angedeutet, der Schwerpunkt dieser Arbeit auf dem einheimischen Markt liegen, zum anderen würde die Beschreibung der amerikanischen Drehbuchgeschichte wegen des zum Teil gänzlich unterschiedlichen Verlaufs einen zu großen Platz einnehmen und damit den historischen Abschnitt dieser Arbeit unangemessen anwachsen lassen. Zur Drehbuchgeschichte in den USA siehe: Eidsvik, Charles: Drehbücher aus der Fabrik. Schreiben für die amerikanische Filmindustrie, in: Das Drehbuch. Geschichte, Theorie, Praxis, Bauer, Ludwig und Schwarz, Alexander (Hrsg.), erschienen in der Reihe: diskurs film. Münchner Beiträge zur Filmphilologie, Band 5, München 1992, S. 173-195.

[4] Kasten, Jürgen: Von den Filmen berühmter Autoren zum Autorenfilm, in: Drehbuch Schreiben. Eine Bestandsaufnahme, Ernst, Gustav und Pluch, Thomas (Hrsg.), Wien 1999, S. 31.

[5] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 20f.

[6] Das Erscheinungsdatum im Buch ist 1914, tatsächlich wurde es aber schon Ende 1913 veröffentlicht, Anm. d. Verf.

[7] Groth, Franz von der: Der Filmschriftsteller, Weimar 1919, S. 3.

[8] Ott, Richard: Das Film-Manuskript. Sein Wesen, sein Aufbau, seine Erfordernisse, 2. Auflage, Berlin 1926, S. 12.

[9] Ebda., S. 20. Siehe hierzu auch Fußnoten 23 und 24.

[10] Die Form des Drehbuchs entsprach allerdings noch nicht dem heutigen Standard. Nach Jürgen Kasten gehörte es seit den späten zwanziger Jahren dazu, im Drehbuch Einstellungen, Kamerabewegungen, Blendenformate oder Schnittmarken vorzuschlagen und sogar filmtechnische Trickaufnahmen vorzukonstruieren (nach Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 113. Siehe dazu auch Kauer, Edmund Th.: Der Film. Vom Werden einer neuen Kunstgattung, Berlin 1943, S. 145f.). Zunächst orientierte man sich für das Drehbuch an der Form eines Dramentextes, später wurde dann zu einer zweispaltigen Gestaltung übergegangen. Links standen die Kameraanweisungen, rechts Ton und Dialog (siehe: Aeckerle, Fritz: Wie schreibe ich ein Drehbuch? Exposé, Treatment, Drehbuch, Berlin 1940,
S. 23ff. oder auch Geiger, Franz: Zauberei in Zelluloid. Das Buch vom Film, München 1955, S. 47). In der DDR hielt sich dieses System - mit Angaben über Licht, Blenden, ungefähr zu verfilmende Länge in Metern - bis in die siebziger Jahre (zahlreiche Beispiele mit Analysen in: Sonnabend, Martin: Das Drehbuch für Kinospielfilme als Grundlage optimaler, ökonomischer und produktionstechnischer Parameter, Diplomarbeit, Potsdam 1973). Heute ist das einspaltige Format mit eingerückten Dialogzeilen üblich. Technische Angaben werden nur noch in Ausnahmefällen angebracht.

[11] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 44.

[12] Ebda., S. 45.

[13] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 115.

[14] Witte, Karsten: Direktor Musenfett. Ein Volksfeind und Die Ästhetik der Nebensachen. Zur Geschichte und Theorie des Drehbuchschreibens in Deutschland, in: Schreiben für den Film. Das Drehbuch als eine andere Art des Erzählens, Brunow, Jochen (Hrsg.), 3. Auflage, München 1991, S. 58.

[15] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 128.

[16] Kasten, Jürgen: Von den Filmen berühmter Autoren zum Autorenfilm, in: Drehbuch Schreiben. Eine Bestandsaufnahme, Ernst, Gustav und Pluch, Thomas (Hrsg.), Wien 1999, S. 43.

[17] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 141.

[18] In der sogenannten ”Regelsammlung” wurden Mindest- und Standardhonorare ausgehandelt. Für einen 90-Minuten-Film werden heute 20000-25000 € bezahlt (Wiederholungsrate: 100%). Bei Buy-Out-Verträgen, also einer einmaligen Abfindung, muß mit 35000-70000 € gerechnet werden. Bei Drehbüchern für Kinofilme ist die Lage weit unübersichtlicher. Hier werden Beträge zwischen 25000 und 175000 € angesetzt. Als Daumenregel gilt: 2-4 % des Filmbudgets (nach Friedmann, Julian: Drehbücher schreiben, präsentieren, verkaufen, Bergisch Gladbach 1999, S. 64f.) In den USA liegt der Etat für das Drehbuch bei 5 % des Filmbudgets. Da hier die Produktionskosten jedoch ungleich höher sind, wurden schon Honorare von 1 Mio. Dollar erzielt (siehe Eidsvik, Charles: Drehbücher aus der Fabrik. Schreiben für die amerikanische Filmindustrie, in: Das Drehbuch. Geschichte, Theorie, Praxis, Bauer, Ludwig und Schwarz, Alexander (Hrsg.), erschienen in der Reihe: diskurs film. Münchner Beiträge zur Filmphilologie, Band 5, München 1992, S. 174).

[19] Eine ähnlich lange Vorlaufzeit schildert Ellen Korfes Anfang der sechziger Jahre für das Drehbuch in der DDR: Zunächst wurde eine Skizze entworfen, dann ein Exposé, eine Novelle und ein Szenarium. Erst nach diesen Vorarbeiten entstand das optische Drehbuch (mit Dekorationsangaben und Aufbauten in chronologischer Reihenfolge für den Filmarchitekten) und das Regiedrehbuch für den Regisseur.

Korfes, Ellen: Das Drehbuch und seine Analyse, Examensarbeit, Potsdam 1961, S. 10ff.

[20] Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs, Wien 1990, S. 159.

[21] Siehe www.drehbuchautoren.de. Download vom 20.1.2003.

[22] Zum Vergleich: Die ”Writers Guild of America” als die stärkste Gewerkschaft Hollywoods zählt etwa 9000 Mitglieder. Hier ist die Mitgliedschaft nach dem Verkauf des ersten Buchs jedoch auch Pflicht. Nach Eidsvik, Charles: Drehbücher aus der Fabrik. Schreiben für die amerikanische Filmindustrie, in: Das Drehbuch. Geschichte, Theorie, Praxis, Bauer, Ludwig und Schwarz, Alexander (Hrsg.), erschienen in der Reihe: diskurs film. Münchner Beiträge zur Filmphilologie, Band 5, München 1992, S. 187f.

[23] Scholz, Marcus: Die Drehbuchmacher. Eine theoretische und praktische Einführung in die Fernsehspieldramaturgie, Köln 1988, S. 156.

[24] Altenburg, Christiane; Fließ, Ingo: Beruf Drehbuchautor. Chancen und Mühen eines Berufstandes, in: Grip, Heft 21, Winter 1999, Frankfurt a. M., S. 27.

[25] Diskussionsbeitrag von Jochen Brunow, in: Witte, Karsten: Direktor Musenfett, Ein Volksfeind und Die Ästhetik der Nebensachen. Zur Geschichte und Theorie des Drehbuchschreibens in Deutschland, in: Schreiben für den Film. Das Drehbuch als eine andere Art des Erzählens, Brunow, Jochen (Hrsg.), 3. Auflage, München 1991, S. 68.

[26] Eine Drehbuchförderung ist heute in allen deutschen Bundesländern möglich (häufig jedoch wird bereits bei der Anmeldung ein betreuender Produzent gefordert), Anm. d. Verf.

[27] Der Deutsche Drehbuchpreis des Bundesbeauftragten für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Drehbuchpreis Münsterland, Nürnberger Drehbuchpreis, Deutscher Drehbuchpreis KunstSalon u.a. Siehe: www.kunstsalon.de/download/drehbuchstudie.pdf. Download vom 20.1.2003.

[28] Hier können nur einige genannt werden: die Drehbuchwerkstatt Rhein/Ruhr in Düsseldorf, die Master School Drehbuch in Berlin, das Frankfurter Filmhaus. Siehe dazu auch Hanke, Andrea: Aus- und Fortbildung für Drehbuchautoren, in: Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film, Verlagsausgabe, München 2001, S. 199-209.

[29] Etwa an der Hochschule für Film und Fernsehen ”Konrad Wolf” in Potsdam, dem Billy Wilder Institute of Film and TV Studies in Bonn, der Kunsthochschule für Medien in Köln und einigen anderen mehr. Siehe dazu auch Hanke, Andrea: Aus- und Fortbildung für Drehbuchautoren, in: Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film, Verlagsausgabe, München 2001, S. 209-215.

[30] Quelle: http://www.sydfield.com/about.htm. Download vom 9.4.2003.

[31] Hier wird der vorurteilslose Umgang beim Übergang vom Medium Theater zum Medium Film deutlich, dem sich auch die anderen in dieser Arbeit aufgeführten Autoren bedienen werden, Anm. d. Verf.

[32] Bei Aristoteles heißt es noch ”Anfang, Mitte, Ende”. Die Einteilung von Dramen in Akte entstand in der Praxis des Stückeschreibens, das sich häufig an der Antike orientierte. Erst seit Gustav Freytags ”Die Technik des Dramas” von 1867, in der verschiedene Funktionen der Akte theoretisch behandelt werden, gilt die Akteinteilung als verbindlich, Anm. d. Verf.

[33] Field, Syd: Filme schreiben. Wie Drehbücher funktionieren, Hamburg/Wien 2001, S. 17.

[34] Field, Syd; Meyer, Andreas; Witte, Gunther u.a.: Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film, München 2001, S. 14.

[35] Ebda., S. 13.

[36] Ebda., S. 12.

[37] Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch,
13. Auflage, Frankfurt am Main 2001, S. 168.

[38] Quelle: Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch, 13. Auflage, Frankfurt am Main 2001, S. 142.

[39] Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch, 13. Auflage, Frankfurt am Main 2001, S. 195.

[40] Ebda., S. 70.

[41] Ebda., S. 70.

[42] Field, Syd: Filme schreiben. Wie Drehbücher funktionieren, Hamburg/Wien 2001, S. 18.

[43] Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch, 13. Auflage, Frankfurt am Main 2001, S. 90.

[44] Field, Syd; Meyer, Andreas; Witte, Gunther u.a.: Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film, München 2001, S. 25.

[45] Field, Syd: Filme schreiben. Wie Drehbücher funktionieren, Hamburg/Wien 2001, S. 86.

[46] Vogler, Christopher: Die Odyssee des Drehbuchschreibers, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1998, S. 50.

[47] Ebda., S. 10.

[48] Diese Art der Einteilung ist sehr populär und u.a. auch bei Field, Schütte, Hant, mit geringen Abweichungen auch bei Seger und McKee zu finden, Anm. d. Verf.

Ende der Leseprobe aus 98 Seiten

Details

Titel
Drehbuchliteratur - Kochbücher für Einheitsbrei?
Untertitel
Eine kritische Bestandsaufnahme
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Fachgebiet Medienberatung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
98
Katalognummer
V183135
ISBN (eBook)
9783656073574
ISBN (Buch)
9783656073468
Dateigröße
707 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Drehbücher, Field, Dramaturgie
Arbeit zitieren
Thomas Wörther (Autor:in), 2003, Drehbuchliteratur - Kochbücher für Einheitsbrei?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183135

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