Japanische Teeästhetik als symbolisches Kapital

Überlegungen zur Ästhetik der japanischen Teezeremonie aus soziologischer Sicht


Skript, 2011

14 Seiten


Leseprobe


Einleitung

Ästhetik und Japan sind im gängigen westlichen Bewusstsein eng verbunden.1 Insbesondere wird die japanische Teezeremonie, mit höchsten ästhetischen Prädikaten versehen, inzwischen in alle Welt exportiert. Zu dieser Entwicklung wesentlich beigetragen hat das 1906 in englischer Sprache verfasste und erst einige Jahre später auf Japanisch übersetzte „The Book of Tea“ von K. Okakura. Dieses Buch stellt die Teezeremonie dem Westen als japanische Kunstform vor und charakterisiert sie als „Religion des Ästhetizismus“.2 Dass diese neue Hochschätzung der Teezeremonie im Kontext damaliger gesellschaftlicher Entwicklungen zu sehen ist, zeigt etwa schon nur die Tatsache,dass sie nochin einer wichtigen japanischen Enzyklopädie (Enzyklopädie der alten Dinge; Kojiruien) anfangs der Meiji-Zeit (1867-1912) lediglich unter der Rubrik „Kinderspiele und Vergnügungen“ erwähnt wird. 3

Tatsächlich ist die Interpretation der Teezeremonie durch Okakura ein Ausdruck für die Neuformierungsversuche japanischer Identität jener Zeit, die sich dem Westen in möglichst vorteilhaftem Lichte zu präsentierten suchten.4 Die Verbindung von Ästhetik und nationaler Selbstdarstellung kam andererseits einem westlichen Bedürfnis nach Orientalismen entgegen und regte in der Folge in Ost und West zu ähnlichen Darstellungen japanischer Kultur und Kunst an. Er gerät damit in die Nähe der Literatur, die in der japanologischen Forschung unter dem Begriff nihonjinron (Japaner–Diskurse), zusammengefasst wird.5 In der kritischen Auseinandersetzung mit japanischen Ästhetikdiskursenu.a. diesenHintergrunds spricht H. Danzer von „einem Kontrast zwischen der Realität und dem, was man den ästhetischen Mythos Japans nennen könnte.“ 6 Aufgrund eigener Erfahrung in Japan stellte sich ihm zunehmend die Frage, „was tatsächlich von der international gelobten Welt des Schönen lebendig ist.“7

Eine solche Rezeptionserfahrung, die über skeptische Distanzierung bis zu Frustration verläuft, ist mir selber aufgrund meiner Praxis der Teezeremonie in Japan nicht unbekannt. Der Kontrast zwischen einer überformalisierten Praxis und hochfliegenden Theorien regte mich zu einer soziologischen Fragestellung an. Dazu beigetragen hat auch die Einsicht, dass diese Domäne erst Ende des 19. Jahrhunderts „feminisiert“ wurde, der Anteil der Frauen bei den Teepraktizierenden liegt heute bei 90 %. Die Theorie ist aber Sache der Männer geblieben, die sich gewöhnlich nicht mit der Praxis abmühen, wie etwa auch der erwähnte K. Okakura.8 Solche Widersprüche bieten Anlass dazu,die Blickrichtungeinmal umzukehren und statt in das allgemeine Lob der „wahren Tee-Ästhetik“ und des „wahren Teemenschen“ einzustimmen, nach der historischen und sozialen Standortsgebundenheit solcher Kategorien zu fragen. Dazu soll die Entstehung der wabi- Teezeremonie im 16. Jahrhundert mit einem Fokus auf den Teemeister Sen Rikyu betrachtet werden. Die von ihm entwickelte „wabi“ –Ästhetik mit ihrem Schönheitsideal des Ärmlichen und Schlichten9 steht in einem auffallenden Gegensatz zur elitären gesellschaftlichen Position seines Schöpfers. In welchem Verhältnis der wabi – Geschmack zum sozialen Feld seiner Genese passt, ist daher die Leitfrage dieser Arbeit.

Sekundärliteratur und Fragestellung

Soziologische Fragestellungen haben in der Japanologie allgemein erst Ende der sechziger Jahre Einzug gehalten. Speziell im Blick auf die Teezeremonie herrschen bis heute in der deutschsprachigen Literatur rein historische, philosophisch-religiös oder kunsttheoretisch orientierte Betrachtungsweisen vor. Das repräsentative und einflussreiche Buch von H. Hammitzsch favorisiert die ideologische Verbindung mit dem Zen-Buddhismus, neuere Publikationen wie die im Jahre 1994 erschienene Darstellung von H. Hennemann sprechen mit Vorliebe von „Teekunst“ oder „Tee-Ethik“.10 Für unbefriedigend halte ich, dass diese Terminologie weder geklärt noch hinreichend begründet wird. Im Japanischen wird dieTeezeremonie seit den Anfängen cha no yu genannt, was einfach „heisses Wasser“ bedeutet. Daneben finden sich auch die Bezeichnungen sado oder chado („Teeweg“), die erst später gebräuchlich wurden. Mir ist keine Publikation bekannt, welche den auch englischsprachig üblichen Begriff „Teezeremonie“ ritualtheoretisch diskutieren oder begründen würde. Dennoch bleibe ich in dieser Arbeit bei dieser herkömmlichen Bezeichnung.

Einige wenige Betrachtungen zur Teezeremonie aus soziologischer, soziokultureller oder kulturanthropologischer Sicht liegen in englischsprachigen Publikationen vor, die hier kurz vorgestellt seien. Die Soziologin B. L.R. Mori gibt Einblick in die heutige Situation der Teezeremonie-Ausbildung, indem sie ihre Erfahrungen als Schülerin der bekanntesten Teezeremonieschule Urasenke schildert und die Schwierigkeiten erörtert, diese japanische Tradition in Amerika zu akkulturieren.11

Eher in die Nähe meiner Fragestellung kommen die in diesem Buch enthaltenen Beiträge zur Macht- und Autoritätsstruktur der Urasenke-Institution und zu ihren Monopolisierungs- Expansionsstrategien im modernen Japan. Bei diesem grossen Unternehmen lässt sich heute noch das Phänomen einer Umwandlung von Kapitalformen beobachten, natürlich unter völlig anderen Bedingungen als im 16. Jahrhundert. Soziologisch ausgerichtet ist auch die Untersuchung von E. Kato, die nach der sozialen Funktion der Teezeremonie für praktizierende Japanerinnen heute fragt.12 Die Verfasserin bezeichnet diese Funktion als „empowerment“, insofern diese Frauen sich durch das Erlernen der Teezeremonie kulturelles undsymbolisches Kapital aneignen, das dem Ökonomie- und Bildungskapital ihrer Ehemänner durchaus gleichwertig sei. Dieses Ergebnis ist m.E. insofern problematisch, als die Möglichkeit einer Umwandlung in ökonomisches Kapital für die betreffenden Frauen gerade nicht gegeben ist. Auch diesbezüglich nimmt die Verfasserin den Ansatz von P. Bourdieu nicht konsequent auf. Ausserdem verwendet sie den Begriff „empowerment“ ohne sozialkritische Perspektive. Kulturanthropologisch ausgerichtet ist schliesslich das Buch von E. Ikegami über die Rolle der Ästhetik in der Geschichte Japans. Untersucht wird die Transformation ästhetischer Bilder vom Mittelalter bis in die Meiji-Zeit. Dabei kommt sie zum Urteil, die Teezeremonie sei „an independent art form“, ein Raum für die „formation of congenial egalitarian relationships among the members.“13 Damit unterstützt sie eine verbreitete Ansicht, die hier bestritten werden soll.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich zunächst das historische und soziale Umfeld der Entwicklung der Teezeremonie des wabi-Stils im 16. Jahrhundert Japans skizzieren (1). Darauf soll auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Teepraxis und ihrer Vertreter der Teemeister Sen Rikyu vorgestellt werden (2). Einer Beschreibung seines neuen Teestils (3) folgt dessen soziologische Betrachtung, wozu Theoriekonzepte von P. Bourdieu aufgenommen werden (4). Das Ganze wird zum Schluss kurz zusammengefasst (5).

1. Zum historischen Hintergrund

Das 16. Jahrhundert Japans war gezeichnet vom Zusammenbruch und der Umformierung politischer Mächte. Seit vier Jahrhunderten hatte das Shogunat (militäraristokratische Regierung) die kaiserliche Herrschaft zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit abgedrängt.14 In der „Periode der kämpfenden Reiche“ (sengoku 1467-1568) verarmte der Kaiserhof vollends und das Shogunat verlor seinerseits durch Dezentralisierungsprozesse seine Macht. Das Land zerfiel in viele kleine Fürstentümer, die sich gegenseitig aufs blutigste bekämpften. Die militärischen und politischen Wirren gingen einher mit aufblühendem Kunstsinn und Mäzenentum unter Rittern und Händlern. Die Wirren der Zeit fanden Ausdruck in dem zeitgenössischen Sprichwort gekujo: „Das Untere besiegt das Obere.“ Bauern und Samurais niedrigen Standes bildeten Bündnisse (ikki), um sich gegen die Machtansprüche der Oberen zu schützen und nach eigenen Vorteilen vertikal zu verbünden.15

So löste sich die Rittergesellschaft in den Machtkämpfen um die Einigung des Landes langsam auf.

Gleichzeitig expandierte der Aussenhandel, die ersten europäischen Händler trafen in Japan ein und brachten Feuerwaffen mit (1543). In die Rolle des ersten militärischen Reichseinigers stieg der Samurai Oda Nobunaga (1534-1582) auf, durch eine kompromisslose Mischstrategie von Zerstören und Taktieren. Die nötigen finanziellen Mittel holte er sich durch Raubzüge und schaffte es, die Gegenden der bedeutenden Städte Kyoto (Kaiser-, Tempel- und Kulturstadt) und Sakai (Handelsstadt) 1578 unter seine Kontrolle zu bringen. Durch geschickte Pflege der Beziehung zu den traditionellen Mächten (Shogunat und Kaiserhof) stabilisierte er seine Macht. Nach seinem Tod führte Toyotomi Hideyoshi (1537-1598) die Reichseinigung fort durch Einführung von Landvermessung, Steuersystem und rigider Ständeordnung. Auf ihn folgte der nachmalige Shogun Tokugawa Ieyasu (1542-1616). In der Edo-Zeit (1600-1868) bildete sich ein zentralistisches Staatswesen aus, an deren Spitze der Schwertadel stand und das für die kommenden 270 Jahre dem Ausland gegenüber eine Politik der Abschliessung betrieb.

Ins Zentrum der Entwicklung des wabi-Tees rückte in dieser Zeit die Stadt Sakai, die seit 1484 von einem lokalen Konzil (egoshu) autonom verwaltet war und sich, von Kriegswirren verschont, zur reichsten und mächtigsten Handelsstadt entwickelte. Die dort und in anderen Freihandelsstädten ansässigen Händler, die oft dem niedrigen Schwertadel entstammten, gewannen an ökonomischer Macht und dominierten zunehmend auch den Geldhandel. Aus ihren Kreisen gingen die bedeutendsten Teemeister der Zeit hervor, zu denen auch Sen Rikyu gehörte.

2. Der Teemeister Sen Rikyu (1522-1591) und sein soziales Feld

In der Literatur wird der Teemeister Sen Rikyu als Träger ausserordentlicher künstlerischer Fähigkeiten präsentiert und mitunter sogar zum Heiligen der japanischen Nation stilisiert.16 Von Rikyu selber ist wenig Geschriebenes erhalten. Als Basis seines Persönlichkeitsbildes und seiner Teelehre gelten die von ihm signierten Aufzeichnungen seines Schülers und Gefährten Yamanoue no Soji (1544-1590). In der Schrift Yama no Sooji-ki stellt Yamanoue Rikyu als Erbe der drei damals bekannten Tee-Schulen dar.17 Diese Konstruktion ist historisch nicht zutreffend, da einige dieser Teelehrer eine Generation früher lebten. Hinter der falschen Aussage steht wahrscheinlich nicht die Unkenntnis des Yamanoue, sondern dessen Absicht, seinen Lehrer als den bedeutendsten Teemeister darzustellen. In zeitgenössischen Teeaufzeichnungen wird Yamanoue auch sonst als eigenwilliger Teemeister erwähnt, dessen unabhängige Äusserungen dazu führten, dass der Herrscher Hideyoshi ihm Nase und Ohren abschneiden und 1590, eine Jahr vor Sen Rikyu, hinrichten liess.

Rikyū wurde als Sohn des reichen Lagerhausbesitzers Tanaka in der Handelsfreistadt Sakai geboren. Sein Geburtsname war Yoshinase. Schon früh wurde er in die Kreise der bekanntesten Teemeister eingeführt und lernte bei ihnen. Da viele Tempel damals bedeutende Bildungsstätten waren, studierte er auch, wie das üblich war, Zen in einem Tempel in Sakai und erhielt den buddhistischen Namen Hosensai Soeki. Zeit seines Lebens pflegte Rikyu intensive Beziehungen zum Daitoku-ji Tempel in Kyoto, der sich später zur Hochburg der Teezeremonie entwickelte. Zwischen Händlern und Tempel bestanden da enge Beziehungen: Nach der Zerstörung des Daitoku-ji im Onin-Krieg (1467-1477) waren es die Händler aus Sakai, die dessen Wiederaufbau finanzierten.

Rikyu änderte seinen Geburtsnamen Tanaka und wählte den koreanischen Familiennamen Sen seines Großvaters, der aus Korea eingewandert war. Diese Tatsache scheint mir insofern bedeutsam, als Rikyu sich dadurch bewusst in Verbindung brachte mit dem Kulturfürsten und Shogun Ashikaga Yoshimasa (1435-90), in dessen Diensten schon sein Grossvater (als Kunstexperte?) gestanden hatte.18 Unter dem Patronat von Ashikaga Yoshimasa bildete sich der Beruf des professionellen Tee-Experten (meikiki) aus. Zu diesem Milieu gehörte auch der begüterte Händler und Teemeister Takeno Joo (1502-1555), von dem Rikyu den informellen, sogenannten Grashütten-Teestil (soan) lernte.19

Takeno Joo stammte aus dem Schwertadel, sein Vater hatte es im Handel mit Kriegsrüstungen zu grossem Vermögen gebracht. In jungen Jahren genoss er eine Ausbildung in einem Tempel in Kyoto und lernte dort in Künstlerkreisen Teezeremonie und Dichtkunst. Zurück in Sakai widmete er sich ausschliesslich der Teepraxis. Seine Sammlung von Teeutensilien war berühmt, und mit Unterstützung des Daitoku-ji Tempels brachte er es bis an die Spitze der Teemeister. Zu den Gästen seiner Teeveranstaltungen zählten Mitglieder der Elite aus Klerus, Kaiserhof und Schwertadel. Als Takeno Joo 1555 starb, erklärte sich Rikyu eigenmächtig zu seinem Nachfolger. Während er seinen eigenen Teestil (wabi) entwickelte, war er gleichzeitig in den Waffenhandel involviert. Sein u.a. daraus resultierender Reichtum wird dokumentiert durch die Sammlung von teuren Teeutensilien und Rollbildern. Er pflegte enge Beziehungen zum politischen Feld: Seine sieben Hauptschüler waren regionale Fürsten (daimyo), die nacheinander alle drei Reichseiniger (Nobunaga, Hideyoshi und Tokugawa) militärisch unterstützten. Durch die Teepraxis ergaben sich auch Beziehungen zum ausserordentlich reichen und mächtigen Händler und Teemeister Imai Sookyu, der ihn persönlich beim Herrscher Nobunaga als Teemeister einführte.20 Die Teezeremonie war für Nobunaga ein wichtiges Instrument zur Steuerung seiner Politik. Sie diente ihm dazu, politische und soziale Netzwerke zu knüpfen und festigen. Der von ihm eingeführte Ausdruck „Teezeremonie-Politik“ drückt das deutlich aus.21

Sein Nachfolger Toyotomi Hideyoshi stammte aus der Bauernschicht und konnte weder lesen noch schreiben. Als Krieger und guter Stratege gelang es ihm aber, in die höchsten politischen Kreise aufzusteigen. In welchem Masse die Politik über die neue Teebewegung bestimmte und zum eigenen Vorteil auszunutzen wusste, zeigt sich etwa darin, dass Hideyoshi von Nobunaga zum Teemeister ermächtigt wurde, obwohl beide erst wenige Jahre Tee praktiziert hatten. Die symbolische Bedeutung der Teekultur war Hideyoshi bewusst, weshalb er sogleich den charismatischen Rikyu zum engsten politischen Berater und führenden Teemeister berief (1575). Hideyoshi schenkte ihm ausserdem ein Anwesen und ernannte ihn zu seinem Stellvertreter über das Schloss Osaka. In den Tee-Kreisen um den militärischen Machthaber wurde ihm eine geradezu absolute Kompetenz attestiert, Teeutensilien zu beurteilen und ihren Wert festzulegen. Der Wert eines Objektes stieg oder sank rapide nach seinem Urteil.22

Rikyu selber beherrschte alle Tee-Stile und entwickelte zunehmend seinen eigenen. Seine ästhetischen Neuerungen standen im Gegensatz zu den traditionellen Vorstellungen des Kaiserhofes, der von jeher das ästhetische Monopol innehatte.23 Diese Tatsache war Hideyoshi bewusst, und er versuchte, beide Exponenten der symbolischen Macht vorerst koexistieren zu lassen. Das zeigt z.B. die folgende Begebenheit. Als Hideyoshi 1585 zum kaiserlichen Berater ernannt wurde, veranstaltete er am Hof eine Teezeremonie mit neuen Geräten. Da Rikyu als Nichtadliger den Kaiserpalast nicht betreten durfte, veranlasste Hideyoshi den Kaiser, ihm (d.h. Rikyu) einen buddhistischen Titel zu verleihen, aufgrund dessen er an der Teeveranstaltung nicht nur teilnehmen konnte, sondern musste. Im Jahr veranstaltete er für den Hofadel eine Teezeremonie in deutlichem Kontrast zur wabi- Ästhetik Rikyus: in einem goldenen Teepavillon mit goldenen Teegeräten. Umgekehrt wusste sich Hideyoshi der neuen Ästhetik Rikyus auch zu bedienen, wenn es um seine Popularität im Volk ging. Im Jahr 1587 lud er zu einer großen Teeversammlung in Kyōto ein, zu dem ausdrücklich die ganze Bevölkerung eingeladen war. Gleichzeitig wurde, wer nicht teilnahm, mit dem Verbot belegt, künftig Tee zu praktizieren. Den goldenen Teepavillon stellte der Regent neben zwei schlichten wabi-Teehäusern zwar auch auf, mischte sich dann aber selber unter die kleinen Leute und bereitete da und dort den Tee zu. Durch diese symbolische Herablassung im Stile Rikyus konnte er sich die auch in niedrigen Schichten aufblühenden Sympathien für die neue Teebewegung politisch nutzbar machen.

In der Spannungssituation zwischen alter und neuer Teeästhetik und damit zwischen den beiden symbolischen Machtfeldern war Rikyu zuletzt der Verlierer. Zu seinem rituellen Selbstmord, den Hideyoshi von ihm forderte, gibt es in der Literatur verschiedene Deutungen. Es gibt Spekulationen über eine Verschwörung gegen Hideyoshi, an der Rikyu angeblich beteiligt gewesen sein soll. Andere meinen, dass er sich grundsätzlich zu stark in die Politik eingemischt habe oder dass er selber Christ geworden sei und deshalb die Gunst seines Protektors verloren habe.24 Sicherheiten gibt es diesbezüglich keine. Sieht man das Ende Rikyus auf dem Hintergrund der skizzierten Spannungen zwischen den konkurrierenden Exponenten der ästhetischen Definitionsmacht ist die Annahme plausibel, dass Hideyoshi, im Interesse der Konsolidierung seiner Zentralmacht und der Integration der charismatischen Teebewegung, schliesslich der herkömmlichen legitimen Instanz für Kunst und Kultur den Vorrang gab. Hat Rikyu den Konflikt im symbolischen Feld unterschätzt?

[...]


1 Schaumann, Werner (Hg.); Ästhetik und Ästhetisierung in Japan. Referate des 3. Japanologentages der Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens (OAG) 1992, 7-10.

2 K. Okakura, The Book of Tea, New York 1906, deutsch 1979, 9; durch die Lektüre des Buches sollen die Anhänger der Teezeremonie „zu Aristokraten guten Geschmacks“ werden, ebd.9. Die religiös- philosophische Deutung der Teezeremonie, die Zen-und Tee-Praxis für geradezu identisch erklärt, wurde später stärker ausgearbeitet, z.B. von Sh. Hisamatsu („Die Religion des Wabi ist eine Religion des Nichts“); vgl. N.J. Gülberg, Eine philosophische Ästhetik des Teeweges – zum Werk Hisamatsu Shin’ichs (1889-1980); in: W. Schaumann (Hg.), Ästhetik und Ästhetisierung in Japan, 1993, 119-129, 125.

3 Vgl. W. Schaumann (Hg.); Ästhetik und Ästhetisierung in Japan. 111. Freilich gibt es schon aus der ersten Begegnung von Europäern im 16. Jahrhundert Berichte, wonach das dem europäischen Geschmack fremde Schlichtheitsideal der Teezeremonie Erstaunen und Interesse weckte. Deren Studium und Praxis wurde Teil der jesuitischen Missionsstrategie im Interesse einer kulturellen Adaption.

4 So soll und kann nach Okakura, Das Buch vom Tee 1979, 10, der Leser durch die Teezeremonie den „wahren Geist östlicher Demokratie“ kennenlernen.

5 Als Charakteristika des nihnjinron gelten: Betonung der rassenspezifischen Besonderheit und Homogenität des japanischen Volkes, der Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit seiner Kultur, wobei meist davon ausgegangen wird, dass Nichtjapaner die japanische „Seele“ eigentlich nicht verstehen können; vgl. W. Schaumann, 103.

6 vgl. H. Danzer, Ästhetik als Bewältigungsstrategie. Ein Denkanstoß - Die Aufbereitung gesellschaftlicher Probleme in den japanischen Fernsehdramen; in: W. Schaumann (Hg.), Ästhetik, 11-36

7 H. Danzer, Ästhetik, 13.

8 Vgl. dazu E. Kato, The Tea Ceremony and Women`s Empowerment In Modern Japan, New York 2004, v.a. 23-25, 69-71.

9 Der Begriff wabi stammt aus der klassischen japanischen Literatur und hat die Bedeutungen Mangel, Verlorenheit, Verlust und Kummer. Das sich darin ausdrückende höfische Ideal einer verfeinerten Gefühlswelt (ga) verbindet Schönheit mit Traurigkeit und der buddhistischen Empfindung der Vergänglichkeit der Dinge (mujokan). Vgl. dazu: T.u.T. Izutsu. Die Theorie des Schönen in Japan. Beiträge zur klassischen japanischen Ästhetik, Dumont, 1988.

10 H. Hammitzsch, Cha-do. Der Tee-Weg, 1958; gekürzte Neuausgabe: Zen in der Kunst der Tee-Zeremonie, 1977; zur Kritik vgl. etwa E. Kato, Tea Ceremony.8, Die Ersetzung der Bezeichnung „Teezeremonie“ durch „Teekunst“ geht zurück auf F. Ehmke, Der japanische Teeweg. Bewusstseinsschulung und Gesamtkunstwerk. (1991) Ihr folgt ohne Begründung: H. Hennemann, Chasho. Geist und Geschichte der Theorien japanischer Teekunst, 1994. 11 B.L.R. Mori, „Americans studying the traditional Japanese Art of the Tea Ceremony“, 1992.

12 E. Kato, “The Tea Ceremony and Women's Empowerment in Modern Japan. Bodies representing the past.” 69,

13 E. Ikegami, Bonds of Civility. Aesthetic Networks and the Political Origins of Japanese Culture, 120f. Nicht zugänglich war mir D. Kondo, The Tea Ceremony: A Symbolic Analysis, 1985. Hier wird der Versuch unternommen, die Teezeremonie im Rahmen des symbolischen Interaktionismus zu deuten.

14 Vgl. dazu etwa: G. Elison u. B.L. Smith ( Hgg.); Warlords, Artists, & Commoners: Japan in the sixteenth century, 1981.

15 Dazu bes. E. Ikegami, Bonds of Civility. Aesthetic Networks and the Political Origins of Japanese Culture, 2005.

16 Dazu bes. E. Kato, The Tea Ceremony. 69f.

17 Dazu zählen die Higashiyama-Schule (Noami, Shima Ukyoo, Kitamuki Doochin), die Nara-Schule (Murata Jukoo, Juushi-Ya Soogo) und die Sakai-Schule (Take no Joo); vgl. H.S. Hennemann, Chasho. Geist und Geschichte der Theorien japanischer Teekunst. 1994, 132-134.

18 Der politisch entmachtete Shogun (militärischer Oberbefehlshaber) Ashikaga Yoshimasa lebte zurückgezogen in seiner Villa in Higashiyama. Er pflegte Blumenkunst und Weihrauchzeremonie, förderte das No-Theater und hatte einen Kunstexpertenstab (doboshu ) um sich, der den Shoin-Teestil entwickelte.

19 Vgl. dazu unten S. 7f.

20 Die schillernde Figur des Imai Sookyu und sein soziales Feld beschreibt A.M. Watsky, Commerce, Politics and Tea: The career of Imai Sokyu (1520-1593), in: M. Pitelka (Hg.) Japanese Tea Culture. Art, History and Practice, 2003, 18-38. Der Autor zeigt, dass Nobunaga den wirtschaftlichen und politischen Einfluss dieses reichen Händlers und Teemeisters zu nutzen wusste, indem er ihn zu seinem persönlichen Berater und Vermittler machte. Beide Persönlichkeiten profitierten voneinander in verschiedener Hinsicht. Im Verlauf der Kooperation mit dem Herrscher Nobunaga baute Imai Sokyu seine Händlertätigkeit zu einem Grossunternehmen aus. Er besass mehrere Lagerhallen, kontrollierte Silber -und Eisenminen, verfügte über eine eigene Waffenproduktion, über Transportschiffe und Ländereien, von denen er, wenn nötig mit militärischem Druck, Steuern einzog. Nobunaga bestimmte ihn ausserdem zum Erben des exquisiten Nachlasses von Takeno Joo, während der eigentlich erbberechtigte Sohn leer ausgehen musste.

21 Dazu: E. Ikegami, Bonds of Civility, S. 121

22 E. Ikegami, Civility, 125: „Once the tea master gave his expert opinion on a new type or pattern of tea utensil, its price skyrocketed.”

23 Dazu: T. u. T. Izutsu, Die Theorie des Schönen in Japan. Beiträge zur klassischen japanischen Ästhetik, 1988, S. 70.

24 1587 verhängte Hideyoshi ein Verbot des Christentums. Takayama Ukon Shigemoto (1553-1615), ein Teeschüler von Rikyu, widersetzte sich als christlicher Daimyo und wurde 1614 des Landes verwiesen.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Japanische Teeästhetik als symbolisches Kapital
Untertitel
Überlegungen zur Ästhetik der japanischen Teezeremonie aus soziologischer Sicht
Autor
Jahr
2011
Seiten
14
Katalognummer
V183052
ISBN (eBook)
9783656074182
ISBN (Buch)
9783656074236
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Teezeremonie, Japan, Ästhetik, Friede, symbolisches Kapital, Bourdieu, Teekunst
Arbeit zitieren
Rosmarie Wider (Autor:in), 2011, Japanische Teeästhetik als symbolisches Kapital , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183052

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