Die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung: Strukturdefizit oder Folge der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems?


Seminararbeit, 2003

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Die Ministerialverwaltung zwischen Politikdurchführung und Politikformulierung

2 Normative Perspektive: Ansätze zur ministeriellen Politikformulierung als Strukturdefizit
2.1 Max Weber: Bürokratische Herrschaft
2.2 Rolf-Richard Grauhan: Das Modell der legislatorischen Programmsteuerung

3 Ansätze zur ministeriellen Politikformulierung als Folge der Funktionslogik parlamentarischer Regierungssysteme
3.1 Empirische Identifikation: Die Programmentwicklungstätigkeit der Ministerialverwaltung.
3.2 Ursachen für die vermehrte Programmentwicklungstätigkeit der Ministerialverwaltung.
3.2.1 Erfordernisse des parlamentarischen Regierungssystems.
3.2.2 Politische Einstellungen der Ministerialbeamten

4 Fazit: Die Ministerialverwaltung zwischen organisatorischer Kontinuität und Aufgabenwandel

5 Literaturverzeichnis.

1 Die Ministerialverwaltung zwischen Politikdurchführung und Politikformulierung

Mit dem Aufbau des parlamentarischen Regierungssystems nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine Diskussion in der Politik- und Verwaltungswissenschaft belebt, die bis dato mit umgekehrten Vorzeichen geführt wurde. Während bisher auf der einen Seite die politische Führung einen Steuerungsanspruch gegenüber der Verwaltung bekundete und durchzusetzen wusste, hat sich die Verwaltung auf der anderen Seite als Maschinerie der Politik verstanden. Dies lag nicht nur im Selbstverständnis der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein regierenden absolutistischen, monarchistischen und undemokratischen Obrigkeitsstaaten begründet, sondern wurde auch durch die Herrschaftssoziologie des berühmten Soziologen Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts neu befruchtet.1

Entgegen dieser klassischen Dichotomie von Politik und Verwaltung bestimmen heute Schlagworte wie „politische Verwaltung“ oder „verwaltete Politik“ die Diskussion.2 Während der Verwaltung traditionell der Nimbus des neutralen Staatsdieners anhaftet, zitiert man diesen Neutralitätsanspruch heute nicht nur als „,Lebenslüge des Obrigkeitsstaates’“ und hebt insbesondere den politischen Charakter der Bürokratie hervor.3 Dieser Wandel des ministeriellen Bewusstseins muss folglich nicht nur unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten kritisch hinterdacht werden, sondern impliziert auch, dass die ohnehin schwer zu trennenden Bereiche Politik und Verwaltung funktional ineinander greifen und die Verwaltung in Bereiche einzudringen vermag, die sich nach der klassischen Trennung die politische Führung vorbehalten hatte (z.B. Politikformulierung). Vor allem wird hier, angesichts der Befürworter und Gegner der ausschließlichen Verwaltungsführung durch die Politik, die Frage aufgeworfen, ob die funktionale Verschränkung von Politik und Verwaltung ein Strukturdefizit oder eine akzeptable Folge des parlamentarischen Regierungssystems der Bundesrepublik sei.

Um diese Frage zu klären, wartet insbesondere die Politikformulierungstätigkeit in der Ministerialverwaltung als interessanter Untersuchungsgegenstand auf. Während klassische Vorstellungen dem Parlament den Primat der Programmaufstellung unterstellen, und dem Verwaltungsapparat ausschließlich die Programmausführung zuweisen, belegen empirische Daten, dass der unpolitische Vollzug von Programmen als prädominante Aufgabe der Verwaltung längst der Fiktion anheim fällt.4 Am Beispiel der Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung lässt sich somit vor allem auch veranschaulichen, wie und unter welchen Bedingungen die Verwaltung zusammen mit der politischen Führung keine strikt hierarchische, sondern eine kooperative Beziehung zu pflegen weiß.

Diesen Ansatz will die vorliegende Hausarbeit aufgreifen und weitergehend untersuchen, inwiefern die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialbürokratie auf Bundesebene ein Defizit oder eine logische Folge des parlamentarischen Regierungssystems ist. Folgt die Politikformulierungstätigkeit der Ministerialbürokratie einer weitgehend beobachtbaren Logik der Moderne oder handelt es sich nur um einen Auswuchs, den es zu korrigieren gilt?

Methodisch soll hierzu eingangs die klassische Perspektive des Rollenverständnisses von Politik und Verwaltung dargestellt werden, die eine ministerielle Politikformulierung als Strukturdefizit betrachtet und die für eine strikte Trennung vom Politik und Verwaltung plädiert (Abschnitt 2). Aufbauend auf diesem grundlegenden Verständnis wird die Politikformulierungstendenz der Ministerialverwaltung in der Bundesrepublik auf ihre Logik im parlamentarischen Regierungssystem der Gegenwart untersucht (Abschnitt 3). Als Fazit dieser Untersuchung soll sich in Abschnitt 4 ergeben, ob und inwiefern das funktionale Verhältnis von Politik und Verwaltung - und im Speziellen die Politikformulierungstätigkeit der Ministerialverwaltung, einer Logik entspricht oder ob der Rückgriff auf die klassische Dichotomie einen effizienteren Output für Politik und Verwaltung versprechen würde.

2 Normative Perspektive: Ansätze zur ministeriellen Politikformulierung als Strukturdefizit

Begreift man Politik als die Verarbeitung gesellschaftlicher Probleme, so lassen sich die Prozesse der „Politikformulierung“ (als Problemidentifikation, Zielformulierung und Entscheidungsfindung) und der „Politikdurchführung“ (als administrative Durchsetzung der durch die Politik gefundenen Problemlösung) identifizieren.5 Im politischen System der Bundesrepublik fällt die Politikformulierung idealtypisch dem Deutschen Bundestag als Legislative zu, während gleichermaßen auch Bundesregierung und Bundesrat berechtigt sind, Gesetze in den Bundestag einzubringen.6 Eine Programmformulierungsfähigkeit bleibt, dem Verfassungsrahmen folgend, somit eindeutig den demokratisch legitimierten staatlichen Institutionen vorbehalten - die ministerielle Verwaltung scheint insofern auf den ersten Blick von ihr ausgeschlossen. Demgegenüber obliegt die Politikdurchführung der vollziehenden Gewalt, die sich aus der Bundesregierung und der ihr nachgeordneten Verwaltung konstituiert.

Das diese klassische Aufgabenteilung, die streng dem Schemata der traditionellen Gewaltenteilung nach Montesquieu folgt, unter den Bedingungen des modernen parlamentarischen Regierungssystems keinen Bestand mehr haben kann, steht hier außer Frage.7 Dennoch lassen sich im parlamentarischen Regierungssystem klassische Vorstellungen konstatieren, die eine Rezeption beim Aufbau des Ministerialsystems nach dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben.

Im Folgenden soll hierzu exemplarisch die Bürokratietheorie des Max Weber und das Modell legislatorischer Programmsteuerung hervorgehoben werden, die beide eine politische Verwaltungsführung präferieren, welche die Beziehung zwischen politischer und administrativer Sphäre als streng rational und regelgebunden interpretieren und vor allem den instrumentellen Charakter der Verwaltung gegenüber der politischen Führung betonen.

Unbeachtet soll hierbei ihre Vereinbarkeit mit dem parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik bleiben, da sie teilweise auf Grund ihres Alters oder ihrer Fixierung auf den Bereich rationaler Konzepte zur Verwaltungsführung nicht die realen Gegebenheiten berücksichtigen. Aber gerade deswegen offerieren sie einen Ansatz dafür, inwiefern Politikformulierung in der Ministerialverwaltung ein Strukturdefizit sein kann.

2.1 Max Weber: B ü rokratische Herrschaft

Wie jede Organisation arbeitet auch die Ministerialverwaltung mit menschlichen Ressourcen, die je nachdem, wie man sie einzusetzen weiß, einen mehr oder weniger großen Output für die politische Führung produzieren. Da die politische Führung (Bundesregierung) der Ministerialverwaltung übergeordnet ist, liegt es im Sinne eben dieser, die Leistungsfähigkeit des Verwaltungsapparates zu optimieren.

Organisationssoziologisch leistete Max Weber einen großen Beitrag zu diesem Thema. Er begründete in seinem berühmten Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ die bürokratisch organisierte Verwaltung als die Form der Verwaltungsführung, die an „Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verlässlichkeit“8 den Anforderungen der Verwaltungsführer optimal gerecht werde. Die Anforderungen, die Max Weber an Personal und Organisationsstrukturen stellt, sind bis heute verlässliche Merkmale bürokratischer Organisationen, zu denen insbesondere auch die Ministerialbürokratie zählt.

In diesem Zusammenhang ist von eminenter Bedeutung, dass laut Grundgesetz „jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung“9 führt. Da somit der Minister die politische Verantwortung für das Handeln seines Ministeriums übernimmt, ist er stets bestrebt, die effektivste Kontrolle über seinen Verwaltungsapparat auszuüben.

Hier setzt die Aktualität der weberianischen Herrschaftssoziologie an. Über das „Prinzip der Amtshierarchie und des Instanzenzuges, d.h. ein fest geordnetes System von Ueber- und Unterordnung der Behörden unter Beaufsichtigung der unteren durch die oberen,“10 sichert sich der Leiter der Behörde ein Maximum an Kontrolle. Neben der hierarchischen Organisation zeichnet sich der Idealtypus der Bürokratie durch strikte Regelgebundenheit, die genaue Festlegung von Zuständigkeiten und Befugnissen, die Aktenmäßigkeit aller Vorgänge sowie durch die fachliche Kompetenz der staatlichen 11 Auch heute reflektiert die Ministerialverwaltung diese Merkmale des modernen Beamtentums nach Weber ausnahmslos.

Dass Weber die Verwaltung ausschließlich als durchführendes Organ der Weisungen oberer Instanzen versteht, lässt sich in seiner Schätzung des „menschlich unbeteiligten, daher streng ,sachlichen’ Fachmanns“ erkennen, der so quasi als Maschine erst der „Rechtsprechung den Boden für die Durchführung eines begrifflich systematisierten und rationalen Rechts, auf der Grundlage von ,Gesetzen’“ ebnet.12 Somit erstreckt Max Weber den Auftrag der Bürokratie lediglich auf die „Vollstreckung formalgesetzlicher (legaler) Herrschaft“13, und behauptet, dass es „nur die Wahl zwischen ,Bureaukratisierung’ und ,Dilettantisierung’ der Verwaltung“14 gebe.

Dies legt, den Ausführungen Max Webers folgend, zum einen den Schluss nahe, dass die bürokratische Verwaltung der „reibungslose(n) und unverfälschte(n) Übersetzung von politischem Willen in administratives Tun“15 dient, diese weitergehend „keinerlei eigene Zwecke verfolgen darf, sondern ausschließlich der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben dienen soll“16 und ergo die Fähigkeit der Ministerialbeamten zu eigenen Programmformulierungsversuchen zutiefst negiert wird.

2.2 Rolf-Richard Grauhan: Das Modell der legislatorischen Programmsteuerung

Das Modell der legislatorischen Programmsteuerung greift auf ein normatives Modell der modernen Demokratie zurück, das Politik als politische Willensbildung durch Parteien, Parlament und Regierung versteht, und Verwaltung streng genommen als die mechanische Ausführung der politischen Vorgaben in Form von Zielsetzungen, Programmen und Gesetzen.17

[...]


1 Vgl. WEBER, MAX (1972): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. Auflage, Studienausgabe, Tübingen: Mohr, S. 124-130, S. 551-579.

2 Vgl. SONTHEIMER, KURT; WILHELM, BLEEK (2002): Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, akt. Neuausgabe, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 324f.

3 Vgl. JANN, WERNER (1988): Politik als Aufgabe der Bürokratie: Die Ministerialbürokratie im politischen System der Bundesrepublik im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien, in: Politische Bildung, 21/1988, Heft 2, S. 47f.

4 Vgl. GRAUHAN, ROLF-RICHARD (1969): Modelle politischer Verwaltungsführung, Konstanz: Universitätsverlag, S. 9-12.

5 Vgl. JANN, WERNER (1977): Verwaltung im politischen Prozess, in: Verwaltungsrundschau, 30, S. 37, 40.

6 Vgl. DEUTSCHER BUNDESTAG (2002): Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin, Art. 76

Abs. 1: „Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.“

7 Siehe hierzu die Ausführungen auf Seite 11.

8 Vgl. WEBER, M., a.a.O. (Anm. 1): S. 128

9 DEUTSCHER BUNDESTAG, a.a.O. (Anm. 5): Art. 65.

10 Vgl. WEBER, M., a.a.O. (Anm. 1): S. 551

11 Vgl. WEBER, M., a.a.O. (Anm. 1): S. 551f.

12 Vgl. ebd., S. 563.

13 WEINACHT, PAUL-LUDWIG (1988): Bürokratisierung - Geschichte, aktuelle Probleme, in: Politische Bildung, 21/1988, Heft 2, S. 12.

14 Vgl. WEBER, M., a.a.O. (Anm. 1): S. 128.

15 MAYNTZ, RENATE (1985): Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 3. Auflage, Heidelberg: C.F. Müller, S. 62.

16 Ebd.

17 Vgl. BÖHRET, CARL (1983): Politik und Verwaltung. Beiträge zur Verwaltungspolitologie, Opladen: Westdeutscher Verlag: S. 12f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung: Strukturdefizit oder Folge der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems?
Hochschule
Universität Potsdam  (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Veranstaltung
Politik und Verwaltung im Bundesstaat
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V18280
ISBN (eBook)
9783638226639
ISBN (Buch)
9783656072768
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politikformulierungsfähigkeit, Ministerialverwaltung, Strukturdefizit, Folge, Funktionslogik, Regierungssystems, Politik, Verwaltung, Bundesstaat
Arbeit zitieren
Sascha Walther (Autor:in), 2003, Die Politikformulierungsfähigkeit der Ministerialverwaltung: Strukturdefizit oder Folge der Funktionslogik des parlamentarischen Regierungssystems?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18280

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