Bob Marley und die Entwicklung der populären Musik Jamaikas


Seminararbeit, 2001

26 Seiten

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Kindheit und Jugend

4. Die ersten musikalischen Schritte

6. Exkurs III: Ska

7. Erste Erfolge

8. Exkurs IV: Vom Ska zum Rocksteady zum Reggae

9. Die Wailers im Wandel der Stile

10. Internationale Erfolge

11. Bob Marleys Solokarriere

12. Nach dem Tod Bob Marleys - ein Fazit

Literatur

1. Einleitung

Die populare Musik auf Jamaika seit 1960 lasst sich im wesentlichen in drei Zeitabschnitte unterteilen, der jeder fur sich einen bestimmten Musikstil mit ei- nem fur ihn charakteristischen Beat aufweist. Von ca. 1960 bis Mitte 1966 war Ska die dominante Musikform, die in den Jahren von 1966 bis ca. 1968 vom Rocksteady abgelost wurde. Ab etwa 1969 bis 1983 war Reggae die am meis- ten produzierte und konsumierte Musik, wobei hier noch zwischen dem ‘fruhen Reggae’ (1969 bis 1974) und dem so genannten ‘Roots Reggae’ (1975 bis 1983) unterschieden werden muss.[1] Seit ca. 1983 ist Dancehall der populare Musikstil auf Jamaika und erreicht mit Kunstlern wie Shaba Ranks, Shaggy, Beenie Man und anderen heute mehr internationale Popularitat als sogar Bob Marley zu Lebzeiten erreichen konnte.

Uber die Entstehung des Wortes ,Reggae’ gibt es verschiedene Versionen. Es wird gesagt, die Vokabel sei zuruck zu fuhren, auf das englische Wort „ragged- ness" (zerlumpt), da Reggae -wie die meisten popularen Musikstile Jamaikas- in den Armengebieten oder Ghettos des Landes entstanden ist. Manche fuhren den Begriff auf das Wort „streggae" zuruck, was im jamaikanischen Slang „Prostituierte" bedeutet. Viele verstehen das Wort „Reggae" einfach nur als eine Beschreibung fur seinen charakteristischen Rhythmus’. Diese Auffassung teilte auch Toots Hibbert, der zusammen mit den Maytals den Begriff in dem Lied „Do the Reggay" 1967 erstmals aufbrachte. Eine Gruppe von Musikwissenschaftlern fuhrt die Wurzeln des Wortes „Reggae" auf das afrikanischen Wort „e rega" zu­ruck, was soviel bedeutet wie „konigliche Musik". Im Concise Oxford Dictionary findet man unter dem Eintrag "Reggae” zwei verschiedene Definitionen: Zu- nachst wird Reggae beschrieben als eine Gattungsbezeichnung fur alle jamai- kanische Musik. (West Indian style of music with a strongly accented subsidiary beat.) Weiter wird Reggae definiert als ein bestimmter Beat bzw. Stil, der in Ja­maika von 1969 bis 1983 popular war. Tatsachlich hat Reggae neben diesen

Definitionen eine Vielzahl weiterer Bedeutungen und Konnotationen, da diese Musik fur viele Menschen unterschiedliche Dinge beinhaltet. Fur manche ist sie eine Art „bewusste" Musik, die sich mit sozialen und Rassenproblemen befasst. Fur sie wird Reggae durch seine Wut- und Protestlieder oder durch das Ver- standnis von Reggae als „Outlaw Music" bestimmt. Andere erkennen in ihr eine neuerwachte afrikanische Kunstform, wahrend wieder andere Reggae schlicht als einen tanzbaren Rhythmus bezeichnen wurden. Das internationale Interes- se, am Reggae kann sicherlich auch durch den exotisch-karibischen Flair er- klart werden, der ihm gerade in Nordamerika und Europa zugesprochen wird.

Reggae ist eine Musik, die nicht kunstlich durch auGere Einflusse oder Sanktio- nen am Leben erhalten wurde oder an Festivals, Paraden oder ahnliches ge- bunden ist, wie etwa der Calypso in Trinidad, der dort nur fur eine kurze Zeit im Jahr wirklich popular ist. Tatsachlich waren wahrend der Blutezeit des Reggae 90% der Platten in den Top40 durch diese Musik bestimmt; ein Phanomen, das heute in gleicher Form beim Dancehall zu beobachten ist. Reggae genieGt weltweite Popularitat. In Teilen Afrikas und Brasiliens hat es teilweise sogar die einheimische Musik verdrangt.[2] Bob Marley war ein Ehrengast bei Zimbabwes Unabhangigkeitsfeier 1980, chinesische Studenten sangen ,Get Up Stand Up’ 1989 beim Marsch auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Als die Berliner Mauer fiel standen Feiernde auf den Uberresten und sangen stundenlang „Three little Birds’.[3] Kein anderes Land vergleichbarer GroGe hat mehr Einfluss auf die internationale populare Kultur als Jamaika. Unterschiedliche Gemein- schaften horen Reggae. Die Hopi und Havasuapi Indianer in Arizona, die Ma­roons in Kolumbien, Jugendliche in Nigeria, Arbeiterklasse-Skinheads in GroG- britannien, die Aborigines in Australiens und vielen andere stellen nur eine Auswahl der mannigfaltigen sozialen Gruppen dar, die sich fur diese jamaikani- sche Musik begeistern und sich teilweise mit ihr identifizieren.

Bob Marley ist sicherlich die schillerndste Personlichkeit der jamaikanischen Musikgeschichte. Oft wird er bezeichnet als der „Konig des Reggae". Fur viele steht er als Symbol des Widerstands; andere sehen in ihm einfach einen talen- tierten Musiker, der seine Musik international verbreitete. Obwohl die Biografie Bob Marleys einzigartig und ungewohnlich ist, finden sich in ihr dennoch eine Vielzahl typischer, jamaikanischer Charakteristika, so dass es sich lohnt, das Leben Bob Marleys, sein musikalisches, soziales und politisches Umfeld naher zu beleuchten. Die weiteren Ausfuhrungen uber die Biografie des Reggae- Kunstlers beziehen sich im wesentlichen auf Timothy Whites Buch „Bob Mar- ley", das, 1993 in der deutschen Ausgabe erschienen, als eines der Standard- werke uber den Musiker gilt.

2. Kindheit und Juqend

Das erste typisch jamaikanische Charakteristikum findet sich bereits bei der Geburt von Bob Marley, denn sein genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt. In seinem Pass wird der 6. Marz 1945 als sein Geburtstag angegeben, seine Mut­ter gab an, er sei genau 2 Monate vorher geboren. Allgemein gilt aber der 6. Februar als sein Geburtsdatum. In der Tat ist es bis heute so, dass viele Jamai- kaner nicht wissen, wann sie geboren sind oder sogar wer ihre leiblichen Eltern sind. Vor allem unter der armeren Landbevolkerung, fur die die Ausstellung ei- ner Geburtsurkunde mit einer beschwerlichen Reise in eine groGere Stadt ver- bunden ist und die oftmals zudem noch Angst vor den staatlichen Behorden haben, ist dieses Phanomen verbreitet.

Robert Nesta Marley (Bob Marley) wurde in Nine Miles, im Bezirk St. Ann’s ge­boren. Seine Mutter Cedella Booker, geborene Malcolm, bei seiner Geburt neu- zehn Jahre alt, war schwarz. Sein Vater, Captain Norval Sinclair Marley, ein bri- tischer Soldat schottischer Abstammung und dem British West India Regiment unterstellt, war WeiGer. Dieser verlieG seine im dritten Monat schwangere Frau einen Tag nach der Heirat und ging nach Kingston. Bob Marley wuchs mit sei­ner Mutter im Hause des GroGvaters, Omeriah Malcolm auf, der in Nine Miles, die Stellung des respektierten Dorfaltesten innehatte. Schon in fruhester Kind­heit lernte er den ein Jahr jungeren Neville ’Bunny’ Livingston kennen, zu dem sich bald ein fast bruderliches Verhaltnis aufbaute. Nachdem Captain Marley lange Zeit nichts hatte von sich horen lassen, uberredete er Cedella Marley 1951 in mehreren Briefen, Bob in der Hauptstadt Kingston eine schulische Bil- dung zukommen zu lassen. Nach der Ankunft des Jungen lieG er den Sohn je- doch verschwinden, indem er ihn bei einer Bekannten unterbrachte und ihn so aus dem Blickfeld der Mutter entfuhrte. Nur durch einen Zufall gelang es Cedel­la, den Sohn nach fast einem Jahr wiederzufinden und ihn nach St. Ann’s zu- ruckzubringen.

1957 zog Bob mit seiner Mutter nach Kingston. Gemeinsam mit Neville Livings­ton und dessen Vater, wohnten sie in dem Ghettobezirk Trenchtown in einem der ..Government Yards", den von der Regierung finanzierten Gebaudekomple- xen mit armlichen, kleinen Sozialwohnungen. Nach Beendigung seiner dreijah- rigen Schullaufbahn begann Bob 1960 eine Ausbildung zum SchweiGer. Im gleichen Jahr zog seine Mutter in die USA nach Delaware, wo sie neu heiratete und fortan Cedella Marley Booker hieG. Bob sieht wie seine Freunde aus dem Ghetto zu Rude Boys werden. Diese aus den Ghettos der GroGstadte stam- menden Gangs bestanden aus halbstarken, in der Regel arbeitslosen, junge Mannern und Jugendlichen, die die triste Leere ihres Alltags mit Kleinkriminali- tat und aggressivem Gruppenverhalten fullten und sich nicht selten einem be- stimmten Sound-System-DJ zugehorig fuhlte. Anfang der 60er Jahre nutzten die beiden politischen Parteien Jamaikas, die Jamaican Labour Party (JLP) und Peoples National Party (PNP), die Rude Boys mehr und mehr fur ihre Zwecke aus, indem sie die Gangs mit Waffen versorgten und sie so zu politisierten schlagkraftigen Trupps formierten.

3. Exkurs I: Die Sound Systems

Die 50er Jahre waren die Zeit der Sound Systems auf Jamaika. Diese Erfin- dung machte es moglich, vielen Menschen, gerade auch aus armeren Gebie- ten, Zugang zu Musik zu verschaffen. Sound Systems waren nichts anderes als groGe Lautsprecher, die meist auf einem LKW installiert und offentlich aufge- stellt wurden. Ursprunglich waren sie aus einer okonomischen Notwendigkeit heraus geboren worden, da die meisten Jamaikaner sich ein Radio nicht leisten konnten.[4]

Die DJs dieser Anlagen, auf Jamaika „Selector" genannt, spielten hauptsachlich R&B aus den USA, wie die Musik von Chuck Berry, Louis Jordan oder Fats Domino. Sie gelangten nicht selten zu beinahe kultischer Popularitat, gaben sich klangvolle Kunstlernamen und zogen allein durch ihren Ruf junge Leute meist aus den Armenvierteln zu ihren Shows. Die bekanntesten Sound System- DJs waren Clement ’Coxone’ Dodd, der spater das beruhmte Studio One grun- dete, Duke Reid und Tom the Great Sebastien. Unter den einzelnen DJs herrschte enorme Rivalitat. Mitunter schickten sie Spione zu den Veranstaltun- gen konkurrierender Sound Systems, um heraus zu finden, welche Platte dort besonders popular war. Oft wurde daher die Titelbezeichnung auf den Platten- aufklebern uberschreiben oder abgeandert. Die Anhangerschaften der einzel­nen Selectors lieferten sich verbitterte StraGenkampfe, bei denen es auch Tote und Verletzte geben konnte.

Ende der 50er Jahre begann sich die Musik in den Vereinigten Staaten zu an- dern. Rock and Roll kam auf und loste den R&B mehr und mehr ab. Die Jamai­kaner konnten dem ungewohnten harten Rhythmen nicht viel abgewinnen und die DJs hatten Schwierigkeiten mit neuen R&B-Platten nachzukommen. So er- gab es sich, dass auch die ersten Aufnahmen auf Jamaika aus einer okonomi- schen Notwendigkeit heraus entstanden. Zunachst ging es den Produzenten, die in der Regel selber DJs waren, um die Versorgung der Sound Systems mit neuer Musik. Eine kommerzielle Vermarktung von Produktionen in Form von Verkauf der Tontrager war anfangs nicht geplant. Bald wurden massenhaft jun- ge Talente gesucht, die meist fur einen Hungerlohn eine Aufnahme machen sollten, die gepresst und von den Sound Systems gespielt werden sollte. Die Produzenten, holten sich die fast immer unbekannten Musiker von der Strafe und produzierten die Aufnahmen in den unabhangigen Studios auf eigenes Ri- siko. Sehr bald galten sie als Halsabschneider und Schinder, da sie meist nicht mehr als drei oder vier jamaikanische Pfund fur eine Aufnahme bezahlten - ein Ruf der sich teilweise bis heute auf Jamaika gehalten hat.

Eines der ersten Studios auf Jamaika war Ken Khouris Federal Studio, in dem hauptsachlich R&B, jedoch auch ein wenig Calypso und Mento fur die Sound Systems aufgenommen wurde. Der erste groGe Hit wurde 1960 von Edward Seaga produziert, der im Jahr 1980 Primieminister von Jamaika werden sollte. Er machte fur sein Label WIRL (West Indies Recording Limited) eine Aufnahme mit Joe Higgs und Wilson und produzierte das Lied „Manny O". Da die Jamai- kaner einerseits R&B horen wollten, anderseits jedoch den amerikanischen R&B nicht wirklich kopieren konnten, unter anderem, weil in ihrer Musikge- schichte zu viele andere musikalische Einflusse vorhanden waren, war der Weg geebnet fur einen neuen Musikstil, den Ska.

4. Die ersten musikalischen Schritte

Im Jahr 1961 lernte Bob Marley Desmond Dekker kennen, der spater selbst ein erfolgreicher Musiker werden und mit Songs wie ..Israelites" und „Shantytown" die Charts erobern sollte. Dekker animierte den jungen Marley zum Singen und Gitarrespielen. Fortan war es Bobs erklartes Ziel, Musiker zu werden, einen Wunsch den er mit unzahligen anderen Jungen aus dem Ghetto teilte, denen die Musik als einziger Ausweg aus der Armut und der Kriminaltat erschien. Durch einen Zufall lernte Bob den chinesischen Jamaikaner Leslie Kong ken­nen, fur den er seiner erste Aufnahme machte. Er nahm die erste Single .Judge Not" (Ska) auf, die von Kongs Beverl’s Label im Federal Studio produziert wur­de. Eine zweite Aufnahme „Cup of Coffee" wurde kurz darauf produziert und die Singles erschienen in mehreren Jukeboxes in Kingston. Der junge Bob ver- brachte wochenlang damit, immer wieder seine Platte in einem der kleinen Su- permarkte in Kingston abzuspielen, um die Reaktionen der Passanten zu beo- bachten, bis der Ladenbesitzer Marley aus dem Laden warf und die Platte aus dem Automaten nahm.

1963 grundete Bob Marley mit seinen Freunden Peter McIntosh, der sich spater Peter Tosh nannte, und Neville Livingston, der sich fortan Bunny Wailer nennen sollte, die Wailing Wailers. Bunny ubernahm die Percussion, Peter war bereits ein recht guter Gitarrist und auch Bob hatte seine musikalischen Fahigkeiten auf der Gitarre und im Gesang, die er sich bis dahin autodidaktisch angeeignet hatte, verbessert. Alle drei aber wollten sie singen und hatten in gleichen MaGe Anteil am Leadgesang der Wailing Wailers, die sich spater in The Wailers um- benannten. Die drei wurden musikalisch unterstutzt von Junior Braithwaite und Beverly Kelso, die Bass und Schlagzeug spielten. AuGerdem bekamen sie mu- sikalische Hilfestellung von Alvin Seeco Petterson, der Schlagzeuger, und Joe Higgs, der bereits ein bekannter Sanger war. Sie boten den Wailers eine Art musikalische Ausbildung und ubten das Arrangieren und das Zusammenspiel. Joe Higgs war es auch, der den Wailers schlieGlich den Produzenten Clement ’Coxone’ Dodd vorstellte und ihnen somit zu ihren ersten Plattenvertrag verhalf. Neben ihren musikalischen Mentoren bekamen die Wailers und vor allem Bob Marley auch einen spirituellen Fuhrer: den Rastafari-Fuhrer Mortimer Planno.

5. Exkurs II: Rastafarianismus

„Rasta starts with Marcus Garvey“[5] [6], heiGt es in „Reggae Bloodlines", einem der bekanntesten Werke uber Jamaika und seine Musik. Marcus Garvey wurde 1887 in St. Ann’s auf Jamaika geboren. Im Alter von 20 Jahren verlieG er seine Heimat, reiste durch Sud- und Mittelamerika und betatigte sich als Burgerrecht- ler. 1916 grundete er in New York die Universal Negro Improvement Association (UNIA), die sich fur die Rechte der Schwarzen in Nordamerika einsetzte und in den 20er Jahren etwa 5 Millionen Mitglieder verzeichnen konnte. AuGerdem grundete er die Burgerrechtszeitung „The Negro World" und eroffnete eine Schifffahrtslinie mit dem Namen „Black Star Line", die irgendwann einmal Schwarze aus Amerika zuruck in ihre „eigentliche Heimat" Afrika bringen sollte. Dazu kam es jedoch nie. Die Black Star Line bildete lediglich eine Verbindung zwischen Jamaika und den USA und wurde 1927 geschlossen, Marcus Garvey wegen Steuerhinterziehung zu einer Gefangnisstrafe verurteilt. 1924 hatte Gar­vey in seiner Zeitung der Welt mitgeteilt: „Seht nach Afrika, auf die Kronung ei- nes schwarzen Konigs, er wird unser Erloser sein."

Im Jahr 1930 wurde Ras Tafari Makonnen der 225. Nachfolger des Konig Da­vid, zum Kaiser von Athiopien gekront. Er nannte sich „Haile Selassie" (Herr der Dreifaltigkeit), „Lord of Lords", „Conquering Lion of the Tribe of Judah". Leo­nard Howell war einer der ersten, der begann, die Menschen auf Jamaika dazu aufzurufen, Haile Selassie als den neuen, von Marcus Garvey prophezeiten, Gott, als „Jah" anzuerkennen und ihm zu huldigen. Eine neue Religion, der Rastafarianismus, wurde gegrundet. Sie machte es vielen Schwarzen ertragli- cher, in einer Welt zu leben, in der es in ihren Augen nur Unterdruckung und Armut, hervorgerufen durch die dominanten, kapitalistischen WeiGen, gab. Die Religion beinhaltete Freiheit und Gerechtigkeit fur die schwarze Rasse, eine Befeiung von psychischer und physischer Sklaverei. Ferner glaubten die Rastas an einen schwarzen Jesus und fuhlten sich mit dem versklavten Volk der Juden verwandt. Sie bezeichneten die weiGe westliche Welt als „Babylon", ein Begriff, der auch fur den Verlust einer Verbindung zur Natur und fur die weiGe kapitalis- tische Welt allgemein stand, einen Ort der Sklaverei. Auch Jamaika war in den Augen der Rastas nicht die Heimat der Schwarzen. Sie wollten zuruck nach Afrika. Fur sie war die Repatriation die einzige mogliche Losung der Rassen- spannungen; eine Erlosung durch die Ruckkehr in die „Heimat", aus Babylon nach „Zion" (Athiopien).

Fur die Rastas gab es sechs heilige Wahrheiten:

- Erstens: Haile Selassie ist der lebende Gott.
- Zweitens: Athiopien ist der Himmel, Babylon ist die Holle.
- Drittens: Jah wird die Repatriation nach Afrika arrangieren.
- Viertens: Die Schwarzen sind Nachkommen der Israeliten und sind vom weiGen Mann versklavt worden.
- Funftens: Die weiGen Menschen sind den schwarzen von Natur aus un- tergeordnet.
- Sechstens: In der Zukunft werden die Schwarzen die Welt fuhren.

AuGerdem gab es im Rastafarianismus bestimmte Lebensregeln, deren Befol- gung sie „Natural Living" nannten. Zum einen lieGen sie sich die Haare wach- sen und zu den charakteristischen Dreadlocks[7] verfilzen (, auch wenn es durchaus auch Rastas ohne diese Haartracht gab). Die „Lowenmahne" war auch ein Symbol fur Starke und eine Ehrung fur den Lowen von Judah, Haile Selassie. Sie tranken keinen Alkohol, aGen kein Fleisch, keine Raubfische und kein Salz. Dafur war der Konsum, das Rauchen von Ganja (Marijuhana), Teil ihrer Religion und sollte sie durch das Erreichen eines meditativen Trancezu- stand ihrem Gott naher bringen.

6. Exkurs III: Ska

Wie bereits einleitend erwahnt,[8] war ab ca. 1960 Ska der populare Musikstil auf Jamaika. Manche sagen Ska entstand direkt aus Mento, der dominanten Musik in Jamaika vom spaten 19. Jahrhundert bis in die 1930er. Mento wurde be- stimmt durch einen klaren starken Vierteltakt, der lokalen Sprachmustern folgte, und beinhaltete haufig Instrumente wie Piccolo- und Bambuspfeifen, Gitarren, Rumba Boxen, Fiedel oder Banjo. Die schwindende Bedeutung von Mento zeig- te auch die Bewegung der Leute in die Stadte an, die Landflucht, der ja auch Cedella Marley mit ihrem Sohn gefolgt war. Denn in den groGeren Stadten be- gann man mehr den schwarzem amerikanischen R&B zu horen, der von den wenigen Leuten, die ein Radio besaGen, von den US-amerikanischen Radiosta- tionen in New Orleans oder Miami empfangen oder auf den Shows der Sound- System-DJs rezipiert werden konnte.

In der Regel gilt Ska jedoch als die jamaikanische Form des R&B, der aus der Not der Selectors heraus entstand, neue Musik fur die Sound Systems finden. Dementsprechend gab es zuerst viele Produktionen, die sich wie amerikani- scher R&B anhorten und haufig auch einfach nur Covers amerikanischer Songs waren. Die meisten jamaikanischen Gruppen versuchten in der Anfangszeit amerikanische Kunstler zu imitieren, da man sich selbst einen eigenen Musikstil nicht zutraute. Die Maytals waren die ersten, die begannen, eigene jamaikani­sche Musik zu machen, und bald entstand ein nationaler Stolz, der sich insbe- sondere auf diese neue Musikkultur grundete. Der erste, wirkliche Ska-Hit „Oh Carolina" wurde 1960 von Prince Buster produziert.

Charakteristisch fur den Ska ist der, im Vergleich zum Mento, wesentlich schwachere Hauptbeat und der dafur umso starkere Afterbeat, der noch immer die wichtigste jamaikanische Synkopisierung darstellt. Das Piano spielte weni- ger Basstone, der Bass hatte vor allem die Aufgabe, die Synkopisierung her- vorzuheben. Das Schlagzeug betonte die 2. und 3., wahrend die Gitarre „the Up" der 2., 3. und 4. Zahlzeit unterstutzte. Horner und Saxophon betonten den Gitarrenbeat, ein wirkliches „Hauptinstrument" gab es nicht. Allgemein kann gesagt werden, dass auf Jamaika durch die Einflusse von Mento, Rastafa- ritrommeln, Gospel und R&B mit Ska eine neue Stilrichtung entstand. Die Texte handelten meist von Sex und Liebe, hatten aber aufgrund der Masse, der pro- duzierten Songs bald alle nur erdenklichen Inhalte, so dass sogar Verpackungs- texte von Milchkartons und Konservendosen oder StraGenschilder vertont wur- den. Der erste Ska-Song, der internationalen Erfolg verzeichnen konnte, war Millie Small’s "My Boy Lollipop", der 1962 produziert und vor allem auch in Eng­land verkauft wurde.

1964 initiierte Edward Seaga eine Promotion Tour fur Ska in die USA zum New York World Fair, um dort fur die jamaikanische Musik zu werben. Erst auf dieser Musikveranstaltung entstand der beruhmte Tanz „Ska", den die jamaikanischen Delegierten praktisch aus dem Stehgreif improvisierten, um ihre Musik wettbe- werbsfahig zu machen. Toots and the Maytals wurden in den 60er Jahren zur best verkauften Band. Immer mehr tauchten Musikgruppen auf, die in ihren Tex- ten zur Rude-Boy-Mentalitat ermutigten. Dazu gehorten auch die Wailers, die ihren ersten Ska-Hit im Jahr 1963 auf dem Markt brachten.

7. Erste Erfolge

Die erste Single der Wailers „Simmer Down" landete auf Platz 1 der jamaikani- schen Charts und hielt sich dort uber Neujahr fur zwei Monate. Produziert wur- de sie von Clement ’Coxsone’ Dodd, in seinem Studio One. Mit ihm als Produ- zenten hatten die Wailers mehrere erfolgreiche Songs, bekamen aber sehr we- nig Geld. Dodd bemuhte sich, aus den Wailers eine gute Liveband zu machen. Er staffierte sie mit teuren Buhnenoutfits aus und lieG sie anfangs Curtis May­field and the Impressions imitieren. Mit der Zeit begannen die Wailers, mehr und mehr Rude-Boy-Lieder zu spielen. (Songs wie „Jailhouse" und „Simmer Down" sind nur zwei Beispiele fur diese Schaffensperiode.) Zu dieser Zeit wohnte Bob Marley bei Clement Dodd in einer kleinen Hutte in dessen Hinterhof. Durch den Kontakt zu dem Gitarristen Al Anderson, der viel mit den Wailers spielte, lernte Marley dessen Schwerster, die Sangerin Rita Anderson kennen, die sich gegen das ausdruckliche Verbot ihrer Tante, die das Sorgerecht fur das junge Mad- chen hatte, heimlich mit Bob traf und bald seine Freundin und Hauptbezugsper- son wurde. Im Februar 1966 heirateten die beiden. Bob Marley handelte an- schlieGend wie sein Vater, indem er einen Tag nach der Hochzeit Jamaika ver- lieG und fur 8 Monate zu seiner Mutter nach Wilmington (Delaware) zog. Dort arbeitete er in unterschiedlichen Jobs, als SchweiGer im Chryslerwerk, als Taxi- fahrer und Zeitungsbote. Hauptsachlich aber nutzte er die Zeit, um Musik zu- schreiben, die er spater mit den Wailers produzieren wollte. Den Staatsbesuch von Haile Selassie im April 1966 verpasste er durch seinen Amerikaaufenthalt. Nach seiner Ruckkehr nach Kingston, Ende 1966, gab es zunachst kleine Prob- leme bei der Neuformation der Wailers, die wahrend der Abwesenheit Marleys teilweise mit anderen Projekten beschaftigt waren. Die Songs, die er in den USA geschrieben hatte, fanden jedoch bei den Musikern und ihrem Produzen- ten so viel Anklang, dass die Wailers sehr bald wieder in Dodds Studio One Aufnahmen machten. Mit wachsender Popularitat forderten die Wailers mehr Geld und mehr Mitbestimmung bei der Produktion der Songs von ’Coxsone’, so dass es zu immer heftigeren Konfrontationen mit Dodd fuhrte, bis dieser schlieGlich sogar eine Pistole zog und sie gegen Peter Tosh richtete. Daraufhin kundigten die Wailers 1967 ihre Zusammenarbeit mit ihm auf und grundeten ihr eigenes Label „Wail N’ Sound Productions", das spatere Tuff Gong Label. Ab Mitte der 60er Jahre wurde Bob Marley immer mehr zum Rastafarian, obwohl er noch nicht einmal ansatzweise seine charakteristischen Dreadlocks hatte. Die Wailers begannen, weniger Rudeboy-Songs und mehr Rasta-Songs zu schrei- ben. Die Liedtexte wurden sozialkritischer und spiritueller. In Jamaika herrschte gerade die Rocksteady-Ara.

8. Exkurs IV: Vom Ska zum Rocksteady zum Reggae

Manche behaupteten, der heiGe Sommer von 1966 sei Schuld daran, dass zu den schnellen Beats des Ska von den aufgeheizten Tanzern nicht mehr getanzt werden konnten. Die kurze Ara des Rocksteady begann im Oktober 1966 und machte sich in musikalischer Hinsicht durch verschiedene Veranderungen zum Ska bemerkbar. Zunachst einmal fiel die Sektion der Blechblaser weg. Statt- dessen wurde die Gitarre dominanter und wurde jetzt durch auffallige Gitarren- riffs bestimmt. Auch der Bass gewann an Bedeutung, wurde im Vergleich zu dem fur den Ska typischen „Walking Bass" ruhiger, gleichzeitig aber auch lauter und „patternorientierter".

Zu dieser Zeit gab es viele Rudeboy-Songs: „Jailhouse" von den Wailers, „Rude Boy Train" und „Shanty Town", das beruhmtestes Rudeboylied, das 1967 von Desmond Dekker auf Duke Reid’s Treasure Isle Label, das dominanteste Label dieser Zeit, aufgenommen worden war. Ende der 60er Jahre hatten sich drei Musikstudios, die auch als "The Big Three" bezeichnet wurden, als die wichtigs- ten etabliert: Das Federal Studio, das von Ken Khouri gegrundet, das erste ja- maikanische Studio war. Die Dynamic Studios, in denen auch die Wailers in den 70er Jahren die meisten ihrer Alben aufnahmen, und die Jamaika Recording

[...]


Vgl. Chang, Kevin O’Brien/ Chen, Wayne: Reggae Routes, The Story of Jamaican Music, Philadelphia 1998, S. X.

[2] Vgl. Chang / Chen: S. 2.

[3] Vgl. Chang / Chen: S. 3.

[4] Vgl. Davis, Stephen und Simon, Peter: Reggae Bloodlines, In Search of the Music and Culture of Jamaica, New York 1992, S. 13 ff.

[5] Vg,. Davis: S. 66 ff.

[6] Davis: S. 66.

[7] dread (egl.): Schrecken, Grauen (fur die Rastas ein Wort des Lobes)

[8] Vgl. Chang/ Chen: S. 30 ff.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Bob Marley und die Entwicklung der populären Musik Jamaikas
Hochschule
Universität Lüneburg  (Fachbereich Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Musikkulturen der Karibik
Jahr
2001
Seiten
26
Katalognummer
V18232
ISBN (eBook)
9783638226219
ISBN (Buch)
9783638645591
Dateigröße
548 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marley, Entwicklung, Musik, Jamaikas, Musikkulturen, Karibik
Arbeit zitieren
Anonym, 2001, Bob Marley und die Entwicklung der populären Musik Jamaikas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18232

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