Gruppe 47 - Literatur des 20. Jahrhunderts


Seminararbeit, 2002

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorgeschichte

3. Konstitutionsperiode (1947-1949)

4. Aufstiegsperiode (1950-1957)

5. Hochperiode (1958-1963)

6. Spätperiode und Zerfall (1964-1990)

7. Literatur

1. Einleitung

Hans Magnus Enzensberger nannte die Gruppe 47 einmal das "Zentralcafé einer Literatur ohne Hauptstadt".[1] Diese Gruppe, die zunächst eigentlich nur ein lockeres Zusammentreffen junger Autoren war, die nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam nach einer neuen deutschen Literatur suchten, war über zwanzig Jahre das Forum für literarische Diskussion und Kommunikation sowie für gesellschaftliche Reflexion. Ihre Streit-, Debatten- und Diskussionskultur ist auch noch heute, nach dem Ende der Gruppe in der literarischen Szene spürbar.

Um die Bedeutung der Gruppe von Literaten vollständig erfassen zu können, ist es notwendig, zunächst auf die Vorgeschichte einzugehen. Im weiteren sollen dann die Entwicklungsphasen der Gruppe 47, (nach einer Aufteilung von Friedhelm Kröll)[2]: die Konstitutionsperiode, die Aufstiegsperiode, die Hochperiode, die Spätperiode und der Zerfall näher erläutert werden und sowohl typische literarische als auch gruppeninterne Strukturen und Veränderungen erläutert werden.

2. Vorgeschichte

Als „Gründungsvater der Gruppe wird im Allgemeinen Journalist und Schriftsteller Hans Werner Richter genannt. Während seiner Zeit als amerikanischen Kriegsgefangener arbeitete dieser zusammen mit anderen Kriegsgefangenen als Redakteur der Zeitschrift „Der Ruf – Blätter für deutsche Kriegsgefangene.“. Nach seiner Freilassung gründete er im August 1946, in München, zusammen mit Alfred Andersch, den er aus der Kriegsgefangenschaft kannte, die Zeitschrift „Der Ruf – Unabhängige Blätter der jungen Generation“.

Es beteiligten sich durchweg junge, damals noch unbekannte Autoren links-demokratischer Gesinnung, so zum Beispiel Gustav René Hocke, Walter Maria Guggenheimer, Hans Sahl, Karl Krolow und Wolfdietrich Schnurre.

Ihre Themen bezogen sich auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland. Damit knüpften die Herausgeber an die Tradition des ursprünglichen „Ruf“ an, verfolgten sie doch auch wie die Amerikaner das Ziel der Umerziehung nach dem Nationalsozialismus, der Aufklärung zu Demokratie, Sozialismus und Toleranz. Andererseits standen sie der Umerziehungspolitik der Besatzungsmächte kritisch gegenüber. Richter, am Sozialismus orientiert, sah den Nationalsozialismus als die Folge kapitalistischen Denkens und damit in Kleinbürgertum und Großkapital begründet. Er war deshalb gegen die These von einer Kollektivschuld und lehnte die sich abzeichnenden Ansätze der Restauration des Kapitalismus ab.

Diese kritische Einstellung, die sich in Inhalt und Ton der Beiträge im „Ruf“ zeigte, führte im April 1947 zum Lizenzentzug durch die ,, Information Control Division" der US-Militärregierung. Begründung: Nihilismus. Der Druck der Zeitschrift musste zwangsläufig eingestellt werden.

Doch Richter ließ sich nicht einschüchtern und plante zusammen mit seinen Schriftstellerfreunden eine neue diesmal vorwiegend literarisch und weniger politisch orientierte Zeitschrift, „Der Skorpion“. Die Konzentration auf den literarischen Aspekt resultierte aus der Erkenntnis, dass politisches Wirken nicht auf direktem Weg möglich sei. Richter glaubte, nur indirekt, mit Hilfe des Wortes, also über die Literatur, die Mentalität der Deutschen grundsätzlich verändern zu können.

3. Konstitutionsperiode (1947-1949)

Anfang September 1947 lud Hans Werner Richter die ehemaligen Mitglieder des „Ruf“ zu einer Redaktionstagung des neu gegründeten „Skorpion“ in das Haus von Ilse Schneider-Lengyel am Bannwaldsee ein. Man wollte über die Zeitschrift reden, die Beiträge besprechen, sie vorlesen und diskutieren.

Die Schriftsteller Walter Kolbenhoff, Heinz Ulrich, Wolfdietrich Schnurre, Heinz Friedrich u.a., die hier erschienen, waren zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger unbekannte, literarische Anfänger, die alle die selbe Motivation zusammen trieb: etwas zu ändern, sich anderen mitzuteilen und die unterdrückte deutsche Literatur wieder auferstehen zu lassen. Bis spät in den Abend wurde gelesen und das Gelesene kritisiert.

Die Tagung, ihr Werkstattcharakter und die ausgelassene, freundschaftliche Atmosphäre blieben allen gut in Erinnerung, so dass, obwohl „Der Skorpion“ keine Lizenz bekam, klar war, dass dies unbedingt wiederholt werden musste.

Damit wurde der niemals veröffentlichte „Skorpion“ zum Auslöser für die Konstituierung der Gruppe.

Später schlug Hans Georg Brenner vor, diese Gruppe nach der spanischen „Generation von 98“, die ähnliche Vorstellungen hatte, „Gruppe 47“ zu nennen. Richter betonte auch später immer wieder die spontane Entstehung der „Gruppe, die keine ist.“[3]. Und auch wenn er als die treibende Kraft gezählt werden muss, die von nun an zweimal im Jahr durch persönlich geschriebene Postkarten zu den Tagungen einlud, ist es doch notwendig festzuhalten, dass es sich bei der Gruppe 47 niemals um einen Verein mit Manifest, festen Mitgliedern und Vorsitzenden gehandelt hat. Gerade in den ersten drei Jahren, der Konstitutionsperiode, war der Charakter der Zusammenkünfte geprägt von kollegialer Arbeitskritik unter Schriftstellern und einer literarischen Werkstattarbeit. Dabei wurden die vorherrschenden Modi der ersten und einzigen Redaktionssitzung des „Skorpion“ auch in den weiteren Tagungen der Gruppe fortgeführt. Durch die Ablehnung von obrigkeitsstaatlichem Denken und als Reaktion auf die totale Organisation der Menschen in der Nazizeit gab es keine festgelegte Regeln. Anknüpfend an die erste Redaktionssitzung prägten sich langsam Gewohnheiten aus, die auch in den folgenden Jahren beibehalten wurden. So galt bei den Lesungen, dass die jeweils vortragenden Autoren, neben Hans Werner Richter sitzend, einen Ausschnitt aus einem unveröffentlichten Werk lasen der dann anschließend von allen Anwesenden, kritisiert werden konnte. Der Autor selbst durfte sich zu dieser Kritik nicht äußern. Das hatte einen Grund:

Da während der Nazizeit eine freie Literaturausübung unterdrückt worden war, war es den zumeist literarisch-publizistisch unerfahrenen Schriftstellern wichtig, eine eigene schriftstellerische Identität zu finden. Dadurch dass sie sich im Rahmen der Lesungen nicht rechtfertigen konnten, sollten sie lernen mit Kritik umzugehen und erfahren, wie sie mit ihrer Literatur auf andere wirkten.

Die Kritik selbst war geprägt von Spontaneität und produktiver Rücksichtslosigkeit im Rahmen eines freundschaftlichen Treffens. Man ging davon aus, dass die kollegiale Kritik auf diesem direkten Weg den literarischen Sozialisationsprozess fördern würde.

Bei den Diskussionen herrschte der unausgesprochene Konsens, dass nur reine Formkritik geübt und nicht auf programmatischer, gesellschafts-politischer Ebene kritisiert wurde. Denn der Gruppe 47 ging es nicht um direkte Gesellschaftskritik, sondern um die Entwicklung eines neuen Literaturverständnisses, darum, politisches Engagement durch die Literatur selbst zu zeigen. Für Richter „hatte die Literatur einen anderen Stellenwert als die Politik, kam zuerst die Literatur und dann die Politik, stand am Anfang das Wort und nicht die Tat. Wir glaubten noch – anders als heute – an die Wirkung des geschriebenen Worts, an die Literatur als das große durch nichts zu ersetzende Aufklärungsinstrument.“[4]

Die wichtigste Aufgabe ihrer Arbeit sahen die Schriftsteller in einem radikalen Neuanfang von Inhalt und Sprache der Literatur. Dies zeigte sich in ihren Werken, die als Kahlschlagliteratur, oft auch Trümmer- oder Heimkehrerliteratur bezeichnet werden. Kahlschlag ist in sofern passender, als sich die Schriftsteller mit ihrer Literatur von den bestehenden Sprachnormen lösen und vollkommen neu beginnen wollten. Heist betont: „Das Wesen unserer Zeit ist Zusammenbruch[5] und meint damit sowohl den Zusammenbruch der Wirtschafts- und Sozialstruktur als auch die individuelle soziale und politische Orientierungslosigkeit. Aus den Trümmern der alten Welt „sei eine Restauration des Menschen von gestern so wenig möglich, wie die Restauration einer vergangenen Gesellschaftsordnung aus den Ruinen unserer Städte möglich erscheint.[6] Man sah also die Gesellschaft als an einem Nullpunkt angekommen, von dem aus kein Ansatz für Neues sichtbar war. Für die Schriftsteller war dies eine Chance ganz von vorne anzufangen. Genauso wie sie die politischen Konzepte der Vergangenheit für überholt hielten, misstrauten sie auch der Anlehnung an literarische Traditionen. Sie wehrten sich gegen die Sprachzerstörung und den Missbrauch von Sprache durch den Nationalsozialismus und wollten auch keine Modelle der Vorkriegszeit aufgreifen und übernehmen. Sie wollten sich stattdessen mit einer neuen, klaren, realistischen und nichts beschönigenden Sprache auf die Gegenwart beziehen. „Verpönt war die bürgerliche Kunstsprache, alles erschien veraltet, verrostet, verlogen: der schöne Satz, die gepflegt Sprache, ja, die stilisierte Schönschreibekunst in all ihren Variationen. Nichts hatte mehr Bestand in der Wirklichkeit, in der wir lebten. Eine neue Sprache war notwendig, um diese Wirklichkeit transparent zu machen, eine Sprache der direkten Aussage, klar eindeutig, präzise.“[7]

Es ging darum, die Angst vor den Kriegserfahrungen zu überwinden und der Realität ins Auge zu blicken. Die Schriftsteller wollten eine Bestandsaufnahme der Wirklichkeit leisten und sich mit dem befassen, was sie unmittelbar betraf. Besonders deutlich wird dies in Günter Eichs Gedicht „Inventur“:

Dies ist meine Mütze,

dies ist mein Mantel,

hier ist mein Rasierzeug

im Beutel aus Leinen.

Konservenbüchse:

Mein Teller, mein Becher,

ich hab in das Weißblech

den Namen geritzt.

Geritzt hier mit diesem

kostbaren Nagel,

den vor begehrlichen

Augen ich berge.

Im Brotbeutel sind

ein Paar wollende Socken

und einiges, was ich

niemand verrate,

so dient er als Kissen

nachts meinem Kopf.

Die Pappe hier liegt

zwischen mir und der Erde.

Die Bleistiftmine

lieb ich am meisten:

Tags schreibt sie mir Verse,

die nachts ich erdacht.

Dies ist mein Notizbuch,

dies meine Zeltbahn,

dies ist mein Handtuch,

dies ist mein Zwirn.[8]

Eich hatte dieses Gedicht in der Kriegsgefangenschaft geschrieben und macht hier eine Bestandsaufnahme von dem Letzten was er noch besitzt. Indem er die einzelnen Dinge klar und präzise benennt, eignet er sich die Wirklichkeit sprachlich an, prüft, was an Sprache und Wirklichkeit überhaupt noch geblieben ist.

4. Aufstiegsperiode (1950-1957)

Die Aufstiegsperiode umfasst den Zeitraum von 1950 bis 1957, in dem sich innerhalb der Gruppe verschiedene literarische Richtungen herausbildeten und die Gruppe insgesamt meinungsführend für den sich neu entwickelnden deutschen Literaturmarkt wurde.

Langsam aber stetig lösten sich die Autoren von der Kahlschlagliteratur und konzentrierten sich mehr und mehr auf die Vorgänge innerhalb des Individuums. Diese scheinbar einheitliche Veränderung hatte jedoch unterschiedliche Gründe. Viele der Autoren waren enttäuscht von der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie hatten festgestellt, dass sie auch durch die Literatur keine Veränderung bewirken konnten und flüchteten sich deshalb in eine Verweigerungshaltung, die sich in abstrakter Literatur äußerte. Die Abstraktion mit der sich die Künstler der verhärteten Gesellschaft verweigerten, zeigte sich in der Gruppe 47 vor allem in der Lyrik, die in den fünfziger Jahren immer mehr an Bedeutung gewann. Die Lösung vom Gegenständlichen, von der Realität wurde als Akt der Befreiung begriffen und so zeichnete sich die Lyrik durch Esoterik und Monologisierung als Ausdruck der Kommunikationsverweigerung aus. Die Schriftsteller wollten die Kräfte sichtbar machen, die in der Wirklichkeit verborgen liegen und entwickelten so eine Literatur der Träume und Visionen. Die vordergründige Realität genügte nicht mehr zur Erkenntnis der „Phänomene des Daseins“. Die Schriftsteller wurden zu „Protagonisten einer Bewusstseinsrichtung, die hinter der Wirklichkeit psychologisch-kosmische Realitäten transparent und wirksam werden ließ[9].

[...]


[1] Enzensberger, In: Richter (Hg.), 1962, S. 271

[2] Kröll, 1979

[3] Groll, In: Kröll, 1979, S.3

[4] Richter, In: Neunzig (Hg.), 1979, S. 77

[5] Walter Heist: Vom Stil unserer Zeit. zitiert nach: Arnold, 1987, S. 86

[6] Richter: Skorpion, In: Der Skorpion. S.7-9. In: Arnold, 1987, S.86

[7] Richter, In: Neunzig (Hg.), 1979, S. 85

[8] Günter Eich: Inventur. Zuerst veröffentlicht in: Richter (Hg): Deine Söhne. Europa. Gedichte deutscher Kriegsgefangener. München 1947, S. 17

[9] Heinz Friedrich: Gruppe 47 am herbstlichen Main. Zitiert nach: Arnold, 1987, S. 100

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Gruppe 47 - Literatur des 20. Jahrhunderts
Hochschule
Universität zu Köln  (Seminar für Deutsche Sprache und ihre Didaktik)
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V18199
ISBN (eBook)
9783638225922
Dateigröße
531 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gruppe, Literatur, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Lea Gregor (Autor:in), 2002, Gruppe 47 - Literatur des 20. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18199

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