Menschenbilder und Beratungsmodelle. Arbeiten Unternehmen in Strukturen von gestern?


Masterarbeit, 2011

80 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Begriffsdefinition und wissenschaftliche Grundlagen
2.1 Personalentwicklung
2.1.1 Menschenbilder und Beratungsmodelle in der PE
2.1.1.1 Menschenbilder
2.1.1.2 Beratungsmodelle
2.1.2 Aktionsforschung
2.1.3 Lernende Organisation
2.1.4 Die U-Theorie
2.2 Transformation
2.3 Physik und Bohm´s „Holomovement“
2.4 Biologie
2.4.1 Systembiologie
2.4.2 Biologische Erkenntnisse über Zellen, DNA und Epigenetik
2.5 Psychologie
2.5.1 Holonomic Brain Model
2.5.2 Bioenergetische Erkenntnisse und Menschenbilder
2.6 Gehirn- und Bewusstseinsforschung
2.7 Spiritualität
2.7.1 Ein spirituelles Menschenbild
2.7.2 Spiritualität und Führung

3 Rückschlüsse aus den vorangegangenen Erkenntnissen und Modellen

4 Kommunikation
4.1 Konventionelle Kommunikationsmodelle
4.2 Modellentwurf Kommunikation
4.2.1 Entwicklungsgeschichte
4.2.2 Prämissen
4.2.3 Kommunikation als Prozess
4.2.4 Kommunikation und bioenergetische Charakterstrukturen
4.2.5 Vier Dimensionen des Kommunikationssystems Mensch
4.2.6 Kommunikation und ihre Elemente und Beziehungen
4.2.7 Energetische Kommunikation und Healing Response

5 Fazit, Schlussfolgerung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Schriftliche Erklärung

Anhang

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Tab.1 Modelle der Beratung (nach König und Volmer)

Abb. 1 U-Theorie und der Prozess des Presencing

Abb. 2 Vier Barrieren des Lernens und Veränderns (nach Scharmer)

Abb. 3 Stufen des transformativen Lernens (nach Arnold)

Abb. 4 Eine Landkarte des Bewusstseins zur spirituellen Entwicklung

Abb. 5 Übersicht Masterarbeit

Abb. 6 Kommunikation in der Arbeit

Abb. 7 Kommunikationsmodell (internalisiert)

Abb. 8 Kommunikationsmodell (externalisiert)

Abb. 9 Wie erreicht man Flow?

Abb. 10 Healing Response

Anmerkung:

Dem deutschen Sprachgebrauch folgend wird in dieser Hausarbeit die männliche Substantivform gewählt. Diese gewählte Form schließt die jeweils andere Form mit ein.

1 Einleitung

Ein Gedanke und ein sich daraus entwickelnder Satz kann sowohl das Dilemma als auch die Herausforderungen in Bezug auf Entwicklung und Veränderung aufzeigen, mit denen sich Unternehmen und Organisationen, deren Führungskräfte und Mitarbeiter, als auch die Menschheit als Gesellschaft und Gemeinschaft auseinander setzen muss.

„Wir arbeiten in Strukturen von Gestern mit Methoden von heute an Strategien für Morgen vorwiegend mit Menschen, die die Strukturen von gestern geschaffen haben und das Übermorgen in der Unternehmung nicht mehr erleben werden.“1,2

Welchen Wahrheitsgehalt für die Gesellschaft und die Arbeitswelt trägt dieser Satz in sich? Arbeiten Unternehmen in Strukturen von gestern? Verwenden sie Methoden von heute? Wie wirkt sich eine solche Annahme auf Organisations- und Personalentwicklungsprozesse aus, die sich mit Lernen, Entwicklung, Veränderung, Erneuerung, Gestaltung der Zukunft und Nachhaltigkeit beschäftigen?

Welches Bild vom Menschen wird im Hinblick auf sein Bewusstsein, seine Veränderungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft, seine Gestaltungskraft und der „Aktualität“ aus der er gestaltet, mit diesem Satz gezeichnet?

Beschreibt das Zitat von Knut Bleicher „die Realität“, den Alltag von Unternehmen?

Auf der Suche nach Entwicklungs- und Gestaltungsperspektiven für die Gegenwart und Zukunft von Unternehmen als auch der Menschheit an sich, werden Aspekte wie z.B. Lernen und die Aktualität unserer Wissens-, Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen zum überlebensnotwendigen Faktor. Ein Faktor, der besonders auch in Bezug auf die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit nicht nur die bereits lebenden, sondern auch die nächsten Generationen betrifft. Ein Faktor, der nicht außerhalb des Menschen zu suchen ist, denn technische Entwicklungen und Neuerungen, Strukturen innerhalb von Unternehmen und der Gesellschaft, wissenschaftliche Theorien, Modelle, Methoden und Werkzeuge wurden und werden aus einer Quelle erschaffen:

Der Quelle des menschlichen Geistes, die sowohl eine individuelle als auch kollektive Bewusstseinsquelle darstellt.3

Um die Zukunft von Unternehmen als auch die Zukunft der Menschheit erfolgreich und nachhaltig zu gestalten, bedarf es einer anderen Art des Denkens.4

Eines Denkens, dessen Kernkompetenzen auf einer systemischen Sichtweise, einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit (sowohl Länder als auch Fachgebiete) und einem Gestaltungs- statt Lösungsorientierten Ansatz basiert:

„ Do we protect the ways of the past or join in creating a different future? ...A sustainable world, too, will only be possible by thinking differently. With nature and not machines as their inspiration, today´s innovators are showing how to create a different future by learning how to see the larger systems of which they are a part and to foster collaboration across every imaginable boundary. These core capabilities- seeing systems, collaborating across boundaries, and creating versus problem solving- form the underpinnings, and ultimately the tools and methods, for this shift in thinking.”5

Diese, von Senge u.a. vorgeschlagenen Kernkompetenzen stellen, jede für sich alleine, einen hohen Anspruch an die Art des „anderen, neuen Denkens“. Und doch stelle ich mir, wohl aufgrund meiner eigenen Erfahrungen, die Frage, ob Werkzeuge und Methoden, die sich auf dem Fundament dieser Kernkompetenzen entwickeln oder bereits entwickelt haben alleine ausreichen werden, um die herbeigesehnte, nachhaltige Veränderung im Menschen in Bezug auf sein Denken und Handeln herbeizuführen. Reicht es wirklich aus, „nur“ eine andere Art von Denken zu entwickeln, um erfolgreich und nachhaltig die gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen?

In der Change Management Studie 2010 der Unternehmensberatung Capgemini beschreiben die Autoren Claßen und Kyaw, wie wirklicher Fortschritt erzielt werden kann:

„Wer heute noch von „uns“ beim Prozess und „denen“ beim Inhalt spricht (oder umgekehrt), hat die unauflösliche Verbundenheit beider Dimensionen nicht akzeptiert. Wirklicher Fortschritt, so meinen inzwischen ziemlich viele (und wir auch), ist nicht mehr durch Ausblenden, sondern durch Verbinden in der unternehmerischen Realität zu erzielen. Dies aber wird zum Wettstreit der Theorien und Ansätze.“6

In Ihren Überlegungen verweisen sie auf die Notwendigkeit der Verbindung beider Beratungsdimensionen innerhalb von Veränderungsvorhaben in Unternehmen: der Dimension des Inhaltes und der Dimension des Prozesses. Das Ausblenden der jeweils anderen Dimension (entweder Prozess oder Inhalt) bezeichnen sie als „Illusion“ und als eine „nicht zweckdienliche Eindimensionalität“.7

Persönlich habe ich mir schon seit einigen Jahren die Frage gestellt, auf welchen

Vorstellungen von „Realität“ und „Illusionen“ die Theorien, Modelle, Menschenbilder, die Werkzeuge und Methoden der vergangenen und gegenwärtigen Organisations- und Personalentwicklungsmaßnahmen basieren. Ebenfalls interessierte mich eine mehrdimensionale Betrachtungsweise von Veränderung, da ich bei allen Veränderungsprozessen, die ich selbst in meiner beruflichen Laufbahn in verschiedenen Unternehmen erleben und erfahren durfte, feststellte, dass das Ergebnis einer geplanten Veränderung, das Ausmaß oder die Tiefe dieser Veränderung und auch die Nachhaltigkeit der Veränderung mit den Dimensionen, in und an denen man für die Veränderung arbeitete, entscheidend beeinflusst wurde. Mit dem Begriff der „Dimensionen“ beziehe ich mich nicht nur auf die Prozess- und Inhaltsdimension. Denn auch diese konstruierte „Zweidimensionalität“ für den Erfolg von Veränderungsprozessen ist meiner Erfahrung nach nicht ausreichend, um nachhaltige Veränderung in Organisationen und deren Mitarbeiter zu erreichen.

Außerhalb der Unternehmenswelten, geprägt durch unterschiedliche Schul-, Studien-, Aus- und Weiterbildungserfahrungen als auch mittels der Möglichkeiten, die die Informationsexplosion über das Internet Ende des 20. Jahrhunderts anbot, entdeckte ich die in der Vergangenheit oftmals zeitlich erheblich verzögerte oder gänzlich fehlende Verbindung unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche und die daraus entstehende, zeitlich verzögerte Wissensaktualität und Wissensintegration im Menschen .

„Die konventionelle Idee, dass Biologie, Physik und Mathematik völlig unterschiedliche Wissensfelder sind, ist ein Irrtum, der unsere Weiterentwicklung blockiert. Alle systematischen Studien über Struktur und Verhalten der natürlichen Welt sind aufs Innigste miteinander verknüpft.“8

Wissenschaftliche Bereiche blendeten im 20. Jahrhundert auch einige systemische Komponenten aus, die sie als nicht relevant oder ohne Einfluss für ihre Forschung ansahen (z.B. den Wissenschaftler und seinen Einfluss auf das Ergebnis seiner wissenschaftlichen Arbeit als Beobachter). Otto Scharmer bezieht sich auf Francisco Varela, um die Aussage zu treffen, dass der blinde Fleck der heutigen Wissenschaft die Einbindung der Erfahrung ist.9

Varela, Thompson und Rosch weisen bereits 1991 in ihrem Buch „ The Embodied Mind. Cognitive Science and Human Experience“ auf die fehlende Verbindung zwischen dem wissenschaftlichen Forschungsstil und der menschlichen Erfahrung hin:10

“Our view is that the current style of investigation is limited and unsatisfactory, both theoretically and empirically, because there remains no direct, hands-on, pragmatic approach to experience with which to complement science. As a result, both the spontaneous and more reflective dimensions of human experience receive little more than a cursory, matter-of-fact treatment, one that is no match for the depth and sophistication of scientific analysis.“11

Immer mehr Wissenschaftler unterschiedlicher Bereiche scheinen diesen blinden Fleck nun zu erkennen und die Notwendigkeit dieser Erkenntnis führt zu einem Umdenken von wissenschaftlichen Vorgehensweisen. So fand z.B. ab Mitte der 1980-er Jahre ein Umdenken bei den Forschungsarbeiten über Künstliche Intelligenz statt, „die Wende zum „Embodiment“, zur „verkörperten Intelligenz“.12

„ Auch bei Kreaturen, die ein Gehirn haben, ist die Intelligenz verteilt. Sie steckt nicht nur im Gehirn, sondern auch im Bewegungsapparat.“13

Dieses Umdenken in Richtung Erfahrung und Körperbezug ist meiner Meinung nach notwendig, um wirklich nachhaltige Veränderungen der Lern- und Entwicklungsprozesse im Menschen, in Unternehmen und der Gesellschaft bewirken zu können. Es ist aber „nicht nur“ die Dimension des Körpers und die Integration dieser verkörperten Intelligenz, die Wissenschaftler und auch Unternehmen entdecken sollten um mit ihr Entwicklungs- und Lernprozesse anders zu gestalten. Eleanor Rosch spricht im Interview mit Otto Scharmer über zusätzliche, weitere Dimensionen14, die es zu erforschen, erfahren und zu integrieren gilt, damit Menschen ihrem Gesamtpotenzial begegnen können.15 Genau um die Erschließung dieses Gesamtpotenzials geht es in dieser Masterarbeit.

Wenn ich die von Rosch angesprochenen Dimensionen nicht selbst, wenn auch mit anderen Terminologien besetzt, in einer mehrjährigen Ausbildung erfahren hätte, und wenn ich die dazugehörigen Techniken und Methoden nicht erlebt hätte, die diese Dimensionen erfahrbar machen, wären die wissenschaftlichen Theorien und Modelle, die diese Erfahrungen versuchen zu erklären für mich schwer oder überhaupt nicht verständlich gewesen. Aber da ich sie erfahren habe, stelle ich mir seitdem eine Frage: Welche Bedeutung könnte eine Integration von Erkenntnissen verschiedenster Bereiche (Quantenphysik, Biologie, Psychologie, Hirnforschung, kognitive Wissenschaft, Spiritualität und energetische Prozess- und Heilarbeit) auf die Tiefe und Nachhaltigkeit der Veränderung innerhalb der Organisations- und Personalentwicklung haben? Entwickelt sich aus dieser Integration ein anderes Menschenbild, andere Modelle, Techniken und Werkzeuge, die tiefer und intensiver Veränderungsprozesse in Organisationen begleiten und dadurch nachhaltiger wirken können?

Grundsätzliches Ziel dieser Masterarbeit ist es, mit Hilfe empirischer Erkenntnisse und einschlägiger, wissenschaftlicher Literatur herauszuarbeiten, wie durch die Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus den unterschiedlichsten Disziplinen ein Menschenbild und Beratungsmodell entsteht, das in dieser Ausprägung noch nicht in Personalentwicklungsmaßnahmen mit Schwerpunkt Veränderung berücksichtigt wird. Ein weiteres Ziel ist, anhand eines entwickelten Kommunikationsmodelles (basierend auf dem vorher abgeleiteten Menschenbild) die mögliche Transformationstiefe auf Kommunikations- und Bewusstseinsprozesse darzustellen.

In Anbetracht der vorgegeben Seitenzahl, der Komplexität des Themenbereiches, der Vielfalt an wissenschaftlichen Bereichen, Theorien, Modellen und Richtungen und der Vielfalt an wissenschaftlicher Literatur wird kein Anspruch auf Vollständigkeit innerhalb der einzelnen Gliederungspunkte als auch der vollständigen Erläuterung zu den einzelnen Bereichen erhoben. Die Ausarbeitung eines neuen Modelles begrenzt sich auf den Kommunikationsbereich, da Kommunikation und die daraus entstehende Beziehungswelt alle Bereiche eines Unternehmens und alle Ebenen einer Organisation betreffen.

Kapitel 2 dieser Arbeit stellt einige unterschiedliche wissenschaftliche Bereiche (Personalentwicklung, Physik, Biologie, Psychologie, Gehirn- und Bewusstseins-forschung) vor, deren Erkenntnisse auf ein Menschenbild hinweisen, das sich von den in der Personalentwicklung bekannten Menschenbildern unterscheidet. Obwohl sie nicht als wissenschaftliche Disziplin betrachtet wird, wurde die Spiritualität diesem Kapitel zugeordnet, da sie meiner Erfahrung nach bei einer ganzheitlichen Betrachtung der menschlichen Transformationskraft nicht fehlen darf.

Gliederungspunkt 3 fasst die Rückschlüsse aus den vorangegangenen Erkenntnissen der einzelnen Fachbereiche für die Personalentwicklung zusammen.

Gliederungspunkt 4 stellt eine Fülle an bereits vorhandenen Kommunikationsmodellen vor, die im Bereich der Personalentwicklung zum Einsatz kommen und entwirft ein Kommunikationsmodell, basierend auf einem Menschenbild, dass sich aus der Integration der in Gliederungspunkt 2 vorgestellten Richtungen ergibt.

Gliederungspunkt 5 beinhaltet ein abschließendes Fazit (Schlussfolgerung und Ausblick) und die individuelle Betrachtungsweise der Autorin.

2 Begriffsdefinition und wissenschaftliche Grundlagen

Eine Erläuterung der Begriffsdefinitionen und wissenschaftlichen Grundlagen findet in diesem Kapitel bei den jeweiligen Unterpunkten direkt statt. Ziel dieses Kapitel ist es, unterschiedliche, wissenschaftliche Ansätze vorzustellen, um daraus eine integrative Betrachtungsweise abzuleiten. Aus dieser integrativen Sichtweise könnte sich eine Veränderung innerhalb der Personalentwicklung in Bezug auf bestehende Theorien und Modelle, Menschenbilder und der zukünftigen Vorgehensweise im Bereich Entwicklungsmaßnahmen ergeben.

2.1 Personalentwicklung

Die Sozialwissenschaft teilt sich in Bereiche der Pädagogik, Politologie, Soziologie, Psychologie und Wirtschaftswissenschaften auf. Personalentwicklung ist den Wirtschaftswissenschaften zugeteilt16 und kann „als ein Beitrag zur Organisationsentwicklung des Unternehmens verstanden“17 werden. Als Prozess gesehen beinhaltet dieser die Komponenten der Entwicklungsbedarfsanalyse, Maßnahmenkonzeption, Maßnahmendurchführung, Lerntransfergestaltung und Evaluation der Maßnahmen für den Bereich des Personals.18 Moderne und differenzierte Personalentwicklung ist mehrdimensional und verbindet z.B. nach Arnold vier Dimensionen: die Kompetenzentwicklung, die Organisationsentwicklung, die betriebliche Ausbildung und die betriebliche Weiterbildung.19 Eine einheitliche Definition der Terminologie „Personalentwicklung“ existiert in der einschlägigen Literatur nicht20 und auch die Personalentwicklungsansätze verschiedener Organisationen unterscheiden sich. Sie spiegeln sowohl die Sichtweisen der Organisation als auch der jeweiligen Personalverantwortlichen wider.21

„Das Ziel von Personalentwicklung ist es, die Ressourcen arbeitender Menschen anhand der Anforderungen, die durch die strategischen Ziele einer Organisation festgelegt sind, zu fördern und zu entwickeln.“22

Innerhalb der wissenschaftlichen als auch praktisch angewandten Personalentwicklung entstand eine Bewegung, die sich weg von einem mechanistischen Weltbild und linearen Denkstrukturen hin zu offenen, vernetzten und komplexen Denkstrukturen im Sinne einer systemischen Sicht der Dinge entwickelte.23

Die neuere wissenschaftliche Literatur verweist auf Begrifflichkeiten wie Schlüsselkompetenzen der Selbstorganisation, Selbststeuerung und Selbstreflexion, Potenzialorientierung, leben langes Lernen, Changeability und Nachhaltigkeit. Das gegenwärtig und zukünftig prognostizierte wichtigste Thema im Personalentwicklungsbereich ist die Führungskräfteentwicklung.24

Die Herausforderung der Personalentwicklung liegt im Initiieren und Begleiten von Prozessen, die wachstumsfördernde Organisationsergebnisse für die Gegenwart und Zukunft erzielen sollen. Es werden Fähigkeiten der Mitarbeiter für die Zukunft festgelegt, die für die Umsetzung zukünftiger Strategien und Maßnahmen des Unternehmens notwendig sein sollen. In Anbetracht des Zitates von Knut Bleicher stellt sich die Frage, worauf die Annahmen über die Zukunft basieren und aus welcher „schöpferischen Quelle“ sich diese menschlichen Annahmen entwickeln?

In diesem Kapitel werden Menschenbilder und Beratungsmodelle, auf denen die Theorie und Praxis der Personalentwicklung sich aufgebaut hat, vorgestellt. Die Aktionsforschung, als ein Alternativansatz zur empirisch- analytischen Forschung wird kurz skizziert und der populäre Begriff der „Lernenden Organisation“ wird mit dem Fokus auf einen persönlichen, inneren Lernprozess betrachtet. Die Vorstellung der Theorie U von Otto Scharmer dient zum Aufzeigen auf eine zukünftig angedachte Tiefe der Vorgehensweise innerhalb von individuellen und organisatorischen Prozessen in der Personalentwicklung, sollte sich diese Theorie in der Praxis und der wissenschaftlichen Betrachtung durchsetzen können.

2.1.1 Menschenbilder und Beratungsmodelle in der PE

Jede wissenschaftliche Theorie basiert auf Bildern und Modellen über die Wirklichkeit.

Bilden Modelle und Bilder die Realität ab und repräsentieren diese (Realismus) oder handelt es sich bei diesen Modellen und Bildern um theoretische Konstruktionen über die Realität (Konstruktivismus)? Diese Diskussion wird auch innerhalb der Sozialwissenschaften geführt.

Betrachtet man die repräsentierten Menschenbilder der Personalentwicklung historisch, wird der in Bezug gebrachte evolutionsspezifische Zusammenhang zwischen Menschenbildern, Beratungsmodellen und den sich daraus entwickelnden Theorien deutlich.

2.1.1.1 Menschenbilder

In der Organisations- und Personalpsychologie handelt es sich bei dem Begriff „ Menschenbilder “ um „…Grundannahmen, Einstellungen und Erwartungen von Führungskräften gegenüber den Zielen, Fähigkeiten, Motiven und Werten von Mitarbeitern, häufig auch als „implizite Persönlichkeitstheorien“ bezeichnet.25

Menschenbilder spiegeln „die vorherrschende Einstellung zur Natur des Menschen wider“26, prägen Management- und Führungstheorien, Organisationsformen- und Konzepte als auch Organisationsgestaltung- und Entwicklung. Sie bestimmen Haltungen von Führungskräften, beeinflussen die Zusammenarbeit, die Unternehmenskultur und Unternehmensphilosophie und gestalten somit indirekt die Arbeitsumgebung und Arbeitsatmosphäre für Menschen in Unternehmen mit.

Abhängig vom jeweiligen Zeitgeist in der Geschichte entstanden unterschiedliche Menschenbilder und auf der Basis dieser Bilder entwickelten sich unterschiedliche Organisationstheorien und Managementkonzepte, wie z.B. das erstmals 1911 beschriebene mechanistische Menschenbild des „economic man“ mit dem „Scientific Management“ Konzept von Taylor.27 Einige Jahrzehnte später, um 1960 diskutieren verschiedene Autoren über Taylors Einschätzungen der Arbeiter.28 Diese Diskussionen führten unter anderem zu den Grundannahmen über den Menschen, die in der „Theorie X“ und „Theorie Y“ von McGregor bekannt wurden (siehe Anhang 001). Auch die Menschenbilder nach Schein sind bekannte und vielzitierte Differenzierungen (siehe Anhang 002). Menschenbilder, die von der Personal- und Organisationsentwicklung verwendet werden, sind laut Rosenstiel u.a. „…weitgehend unreflektierte Annahmen über den arbeitenden Menschen…“29 und stellen „...Übervereinfachungen und Vereinseitigungen…“ dar.30 Auch Weinert kritisiert an ihnen, dass keine einzige „dieser viel zitierten und diskutierten Typologien von Menschenbildern…auf empirischem Wege entwickelt worden“31 ist, sondern es sich bei den gängigen Bildern um subjektive Schlussfolgerungen unterschiedlicher Organisationstheoretiker und Forscher handelt.32 Weinert und Langer veröffentlichten deshalb 1995 ihre empirisch ermittelte Feldstudie. Für diese Studie befragten sie Führungskräfte eines Energiekonzerns zu ihren Menschenbildern, die sie von ihren Mitarbeitern haben. Als Ergebnis entstand ein Klassifikationsschema von Führungstypen (siehe Anhang 003), die beschreiben, welches Mitarbeiterbild der jeweilige Führungstyp in sich trägt. Weinert leitete daraus auch die Schlussfolgerung ab, dass

„…Menschenbilder nicht nur theoretische Gedankengebäude sind, sondern sich in der Praxis des Arbeitsalltags empirisch und sinnvoll belegen lassen, allerdings nicht in der „reinen“ Form, wie sie die Literatur anbietet. Sie existieren vielmehr als Mischtypen und sind keineswegs generalisierbar, weder auf Unternehmensebenen noch auf verschiedene Unternehmensbereiche. Kenntnisse über die Verteilung unterschiedlicher Menschenbilder- Typen im Zusammenhang mit demographischen Variablen bilden einen wichtigen Ausgangspunkt für Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung und des Führungskräftetrainings für ein Unternehmen.“33

Das Wissen über diese Bilder kann ein Verständnis hervorrufen über die historischen und gegenwärtigen Entwicklungstendenzen innerhalb der Personal- und Organisationsentwicklung. Ein Verständnis dafür, wie sich die Menschen selbst, die Umwelt, der Begriff Arbeit, die vom Menschen gestaltete Arbeitsorganisation, die Führungs- und Managementkonzepte als auch die Unternehmenskulturen mit den Jahren veränderten. Anzunehmen ist, dass nicht nur die Führungskräfte innere Bilder über Menschen in sich tragen, sondern auch die Mitarbeiter eines Unternehmens. Das Wissen im Sinne von „sich selbst bewusst werden über die intrinsischen Menschenbilder“ und was diese Bilder wiederum an Verhalten und Reaktionen in einem Selbst auslösen, kann eine Tür zu einem - von vielen - Gestaltungsräumen mit der Aufschrift „Veränderung und Transformation“ öffnen. Wie würde Theorie- und Praxis der Personal- und Organisationsentwicklung und die Praxis in Unternehmen heute aussehen, wenn die in diesem Kapitel vorgestellten Menschenbilder nicht als verborgene mentale Modelle34 dafür gesorgt hätten, dass sie aktiv das Denken und Handeln von Organisationstheoretikern, Personal- und Organisationsentwicklern, Unternehmen und deren Führungskräfte als auch Mitarbeiter beeinflusst hätten?

Scharmer beschreibt diesen Zusammenhang folgendermaßen:

„We „download our mental models”…and see what we´re prepared to see. In a sense, what we`re seeing is our past, in the form of our mental models reflecting past experience.”35

„Albert Einstein, der mit seinen Theorien die klassischen Konzepte von Raum und Zeit auf den Kopf stellte, meinte dagegen, der gesunde Menschenverstand sei ohnehin nur die Summe der Vorurteile, die man bis zu seinem 1836. Lebensjahr angesammelt habe.“37

Beide Aussagen weisen, nur mit unterschiedlichen Worten, auf genau das gleiche Phänomen im Menschen hin: der begrenzten und dadurch begrenzenden Wahrnehmung seines Seins.

2.1.1.2 Beratungsmodelle

König und Volmer beschreiben vier grundlegende Modelle, die den Organisationsberatungsprozess und somit auch das Ergebnis des Prozesses beeinflussen können. Die vorgestellten Modelle beinhalten Annahmen über das Verhalten des Menschen, aus denen Rückschlüsse für die Steuerungsfähigkeit innerhalb des Organisationsberatungsprozesses abgeleitet werden sollen. Die vier grundlegenden Modelle der Beratung (nach König und Volmer) werden nachfolgend kurz vorgestellt.38

Tab.1: Modelle der Beratung (nach König und Volmer)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Wie an den einzelnen Erläuterungen innerhalb der Tabelle 1 (vgl. Vorkommen in der Unternehmenspraxis) sichtbar wird, findet sich die Denkweise der Beratungsmodelle auch in der Praxis durch die Personalauswahl-, Steuerungs- und Entwicklungsinstrumente wieder. Je nachdem, welches Modell der Beratung in Unternehmen vorrangig zum Einsatz kommt, wird es das Umfeld und die Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten der Mitarbeiter und der Organisation beeinflussen. Ergebnisse einer aktuellen Studie in Hinblick auf den systemischen Beratungsansatz und der Vertrautheit dieses Ansatzes in der Praxis weisen darauf hin, dass „deutlich mehr als die Hälfte der befragten Change Management Experten ein solides Grundwissen (oder sogar mehr)…“39 besitzen. Jedoch wird in der Praxis bei der systemischen Beratung am stärksten die Businessorientierung vermisst 40 und in den Top-Positionen der befragten Unternehmen scheint „eine eher ablehnende oder zumindest stark hinterfragende Position zum systemischen Ansatz…derzeit noch immer eher die Regel zu sein.“41

Auch bei den in der Personalentwicklung verwendeten Beratungsmodellen handelt es sich bei genauerer Betrachtung um Modelle, die auf der Grundlage von „mentalen Modellen“ entstanden sind: es sind Annahmen und Verallgemeinerungen, wie wir über Menschen, Organisationen und die Welt denken, wie wir glauben, dass Menschen, Organisationen und die Welt sind und wie sie zu steuern, zu lenken, zu führen, zu manipulieren, zu verändern oder zu gestalten sind. Die Beratungsmodelle spiegeln wider, ob wir verbindend und ganzheitlich (z.B. Systemmodell) oder trennend und fragmentiert (z.B. Eigenschafts- und Maschinenmodell) denken, oder sowohl als auch beide Denkweisen in uns tragen.

Zusammenfassung der Ergebnisse der Change Management Studie 2010 in Bezug auf die Fragestellung: „Wie stark tragen die wichtigsten Entscheidungsträger von Veränderung in Ihrem Unternehmen die wesentlichen Gedanken des systemischen Ansatzes bereits mit?“

Ergebnis: 0 % vollständig, 12% überwiegend, 46 % teils teils, 30% etwas, 12 % gar nicht.

Mentale Modelle finden sich nicht nur in der Praxis, sondern auch bei wissenschaftlichen Annahmen und Betrachtungen von Organisationen und deren Mitarbeitern wieder und sie beeinflussen dadurch sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis die Möglichkeiten der Organisations- und Mitarbeiterveränderung. Oder wie es Peter Senge, in seinem Buch „Die fünfte Disziplin“, ausdrückt:

„ Die zentrale Botschaft der Fünften Disziplin ist etwas Radikaleres als die „radikale Umgestaltung von Organisationen“- nämlich, daß [sic!] die Art und Weise, wie unsere heutigen Organisationen funktionieren, letztlich davon abhängt, wie wir denken und wie wir interagieren. Nur wenn wir unsere Denkweisen ändern, können wir tief verwurzelte Regeln und Verfahren ändern….Diese Vorstellung ist ziemlich neu für uns. Wir haben die starke Neigung, notwendige Veränderungen als etwas zu betrachten, das in der äußeren, nicht in unserer inneren Welt stattfinden muß [sic!]….Aber es ist die einzige Methode, die den erforderlichen Wandel bewirken wird. “42

2.1.2 Aktionsforschung

Der innere, erforderliche Wandel von dem Senge spricht, um Veränderungen in Menschen und Organisationen zu gestalten, bedarf auch einer kooperativeren Denkweise über die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken von Wissenschaft und Praxis. Wissenschaftler der Sozialwissenschaften können nur gemeinsam mit den Praktikern erforschen, was Entwicklung und Lernen in Organisationen bedeutet. Eine Theorielastigkeit von Konzepten und Methoden für die Personal- und Organisationsentwicklung bremst den Lernprozess des Einzelnen und der Organisation durch das Ausblenden der Dimension Praxis, genauso wie eine ausschließlich sich aus der Praxis entwickelnde Vorgehensweise die Dimension des wissenschaftlichen Erforschens ausgrenzt. Diese Verbindung zwischen Praxis und Wissenschaft schafft die Aktionsforschung, auch als Handlungsforschung oder Action Research bezeichnet. Aktionsforschung kann sowohl als Methode als auch als Forschungsstrategie bezeichnet werden.43 Die historischen Wurzeln der Aktionsforschung liegen bei Jacob L. Moreno (soziometrische und gruppentherapeutische Verfahren um 1930) und Kurt Lewin (gruppendynamische Ansätze um 1940).44 Die Aktionsforschung stellt eine Alternative zur empirisch- analytischen Forschung dar und grenzt sich von dieser durch den gemeinsamen Dialog und den gemeinsamen Lernprozess mit den Untersuchten ab. Wissenschaft und Praxis lernen gemeinsam voneinander. Der Forscher lässt sich gemeinsam und gleichwertig mit den zu untersuchenden Menschen auf den Lernprozess ein und ist somit auch ein Teil des Lernsystems, nicht nur Beobachter, Manipulator, Experte oder Analyst. Das systemische Denken ist die Grundlage der Aktionsforschung. Chris Argyris und Donald Schön (Väter des Organisationslernens)45 betonen, dass Aussagen über Organisationslernen nur auf der methodologischen Grundlage von Handlungs- bzw. Aktionsforschung entwickelt werden können, da Wissenschaftler nur gemeinsam mit den Praktikern erforschen können, was Organisationsentwicklung ist und wie es funktioniert, und diese Wissenschaftler sich auf den Gegenstand der Untersuchung einlassen sollen, statt sich zu distanzieren und zu analysieren. Die methodologische Grundlage der Aktionsforschung untersucht nicht nur den Gegenstand und Prozess des Organisationslernens, sondern auch ihre Akteure und diejenigen, die die Untersuchung durchführen. Über die aktuelle Bedeutung der Aktionsforschung fand ich nachfolgende Aussage, die überprüft werden müsste, ob es sich hierbei um eine subjektive oder allgemeingültige Aussage handelt:

„Obwohl die Aktionsforschung in ihrer Ursprungskonzeption Veränderungsimpulse gerade auch ins Wissenschaftssystem einbringen wollte (als Alternative zu den klassischen Methoden empirischer Sozialforschung), so sind ihre Wirkungen auf diesem Feld letztlich mehr als bescheiden geblieben.“46

2.1.3 Lernende Organisation

Die lernende Organisation gehört von der Einordnung, die Weinert trifft, zu den modernen Organisationstheorien.47 Kortmann bezeichnet sie als Management-Ansatz48, Füser bezieht sich auf weitere Autoren, um sie als organisatorische Gestaltungsphilosophie49 zu beschreiben und Peter Senge spricht von einer Vision und einem Ding, dass es in der Realität nicht gibt:

„Eine lernende Organisation ist eine Vision, es ist eine sprachliche Unterscheidung. Ein Ding, das da heißt „lernende Organisation“, gibt es nicht, genausowenig wie es einen vollkommenen oder ausschließlich guten Menschen gibt. Aber je mehr aussagekräftige Unterscheidungen wir treffen, desto größer ist die Anzahl der Prozesse, die wir initiieren können, um uns in die gewünschte Richtung zu bewegen. Solange wir begreifen, daß [sic!] eine lernende Organisation eine Vision und keine Realität ist, werden wir nicht losgehen und sagen: „Seid ihr eine lernende Organisation?“ In Wahrheit gibt es keine lernende Organisation; die wirklich praxisrelevante Frage lautet: „Wie kann sich eine Organisation mit der Zeit in diese Richtung bewegen, und können wir relevante Unterscheidungen zwischen verschiedenen Organisationen treffen, die unterschiedliche Fortschritte in dieser Richtung gemacht haben?“50

Ebenso vielfältig wie die Einordungsversuche sind die Versuche einer Definition des Begriffs der „Lernenden Organisation“ (siehe Anhang 004). Auch bei den Merkmalen und Kompetenzen, die eine lernende Organisation auszeichnen sollen, als auch bei den Umsetzungsmöglichkeiten findet man in der wissenschaftlichen Literatur eine Vielfalt an Auslegungen, die darauf schließen lassen, dass „…jedes Unternehmen… letztendlich „seinen“ Weg selbst finden“51 muss.

Bei so vielen unterschiedlichen Aussagen entsteht der Eindruck, dass die Vielfalt und die Ausarbeitung von Annahmen verschiedener Autoren der Wissenschaft und Praxis über die Terminologie der „Lernenden Organisation“, nicht zu einer Klarheit, sondern eher zu einer abstrakten und verwirrenden Auseinandersetzung im Außen führte. So schreiben Kerka und Kriegesmann:

„Das Konzept der „lernenden Organisation“ nimmt seit Jahren breiten Raum in Wissenschaft und Praxis ein und gilt vielen als Erfolg versprechender Weg zur Steigerung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Doch die hohen Erwartungen haben sich in der Praxis keineswegs erfüllt, vielmehr deutet einiges darauf hin, dass es fundamentale Mängel im Konzept der lernenden Organisation selbst gibt.“52

Meines Erachtens wurde die Bewegungsrichtung dieses visionären Lernprozesses für Individuen und dadurch auch für Organisationen durch die Vielfalt an theoretischen und praxisorientierten Interpretationen verändert. Die Bewegungsrichtung der dabei entstehenden Auseinandersetzung war eine nach außen gerichtete, betraf Vorgehensweisen, Strukturen, Instrumente und Werkzeuge, die für die Umsetzung benötigt werden, um Unternehmen hin zu einer „lernenden Organisation“ zu entwickeln. Senge schreibt in seinem Buch „Die fünfte Disziplin“, mit dem er die Begrifflichkeit der „lernenden Organisation“ prägte:

„Die in diesem Buch vorgestellten Instrumente und Ideen sollen die Illusion zerstören, daß [sic!] die Welt aus getrennten, unverbundenen Kräften besteht. Wenn wir diese Illusion aufgeben, können wir „lernende Organisationen“ schaffen,…“53

„…die fünf Lerndisziplinen unterscheiden sich von bekannteren Managementdisziplinen, weil sie „persönliche“ Disziplinen sind. Jede handelt davon, wie wir denken, was wir wirklich erreichen wollen und wie wir mit anderen interagieren und mit ihnen gemeinsam lernen.“54

„ Eine Disziplin auszuüben ist etwas anderes, als ein „Modell“ nachzuahmen.“55

„…eine Annäherung an diese Disziplinen wird nicht die eine lernende Organisation hervorbringen, sondern vielmehr eine neue Welle von Experimenten und neuen Entwicklungen auslösen.“56

„Beim Aufbau lernender Organisationen gibt es kein „ Geschafft! “, kein festes Ziel, nur eine lebenslange Reise.“57

Vielleicht ist diese, durch den Diskurs der Wissenschaft und Praxis entstandene, veränderte Bewegungsrichtung mit ein Grund, wieso die lernende Organisation in der Praxis selten bzw. in ihrer Seltenheit unter verschiedenen Namen und Ansätzen umgesetzt wurde.58 Denn die Disziplinen (siehe Anhang 005), die Senge 1990 zum ersten Mal vorstellt, sind Disziplinen, die im ersten Schritt eine Bewegungsrichtung nach innen erfordern, mit individuellen Lernprozessen zu tun haben, zutiefst persönlich sind und aus der Entwicklung dieser Fähigkeiten wiederum zur Bereicherung für Lernprozesse innerhalb von Organisationen werden und kollektive Lernprozesse anstoßen können. Es ist eine Art von Bewusstseinsentwicklungsarbeit jedes einzelnen Mitgliedes einer Organisation, die Senge mit den Disziplinbegrifflichkeiten Personal Mastery, mentale Modelle, Team- Lernen, gemeinsame Visionen und Systemdenken bezeichnet hat.59

Die Fragestellung, wieso sich die angedachte Bewegungsrichtung nach innen zu einer Bewegungsrichtung nach außen entwickelt hat, kann sogar durch ein weiteres Zitat aus Senge`s Buch beantwortet werden:

„Aus welchen Gründen auch immer- wir verfolgen die emotionale Entwicklung nicht mit derselben Intensität, mit der wir die körperliche und intellektuelle Entwicklung verfolgen. Das ist um so bedauerlicher, weil eine volle emotionale Entwicklung den stärksten Hebel bietet, wenn wir unsere Leistungsfähigkeit voll ausschöpfen wollen.“60

Den stärksten Hebel von Leistungsfähigkeit voll auszuschöpfen bedeutet, sich mit sich selbst und anderen innerhalb von Organisationen auf eine andere Art und Weise auseinander zu setzen. Vielleicht bedarf es eines weiteren Denkmodells, um das zu verdeutlichen, um was es Senge mit seiner Vision der „lernenden Organisation“ meines Erachtens nach ursprünglich ging. Dieses Lernprozessmodell mit der Bewegungsrichtung nach innen und anschließend wieder nach außen, wurde nun von Scharmer entwickelt und als „Theorie U“ bezeichnet. Scharmer ist ein Arbeitskollege von Senge am Massachusetts Institute of Technology, abgekürzt MIT genannt.

2.1.4 Die U-Theorie

Scharmer schreibt in seiner Danksagung im Buch „Theorie U“, dass er unter anderem von Senge inspiriert und ermutigt wurde, eine tiefere Sicht auf soziale Systeme zu entwickeln.61 Treffen, Interviews mit unterschiedlichsten Persönlichkeiten (Rosch, Valera, diverse Manager der Wirtschaft, seine Arbeitskollegen, Buddhist Master Nan Huai-Chin und andere), seine eigenen Erfahrungen (persönliche und berufliche) als auch Beobachtungen von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen brachten ihn zu den Erkenntnissen, die er mit der Theorie U vorstellt. Seine Einsichten für die Theorie U kamen auch aus der Praxis als Aktionsforscher.62, 63

Scharmer beschreibt die Einordnung der Theorie U vielseitig: Sie stellt eine neue, theoretische Perspektive dar. Sie kann als ein neuer Blickwinkel, wie auf soziale Situationen geschaut werden kann, betrachtet werden. Sie kann auch als eine evolutionäre, soziale Theorie, eine Führungstheorie, eine Vertiefung der Systemtheorie und als neue Gesellschaftstheorie bezeichnet werden.64

Die wichtigste Kernkompetenz für das 21. Jahrhundert sieht Scharmer in der Fähigkeit des Menschen, Zukunftsmöglichkeiten auf der Basis von Lernprozessen, die die Zukunft miteinschließen, zu erspüren und zu erschaffen. Die gegenwärtigen „Lerntheorien- und konzepte basieren auf einem Lernen, das die Vergangenheit zum Ausgangspunkt nimmt. Sie fragen, wie wir von dem, was in der Vergangenheit geschah, lernen können.“65 Ein Umbruch in der Qualität des Lernens geschieht seiner Meinung nach dann, wenn ein Öffnungsprozess auf drei Ebenen erfolgt und zwar indem die Ebenen des Denkens („mind“), Fühlens („heart“) und des Willens („will“) miteinander verbunden werden und unzertrennbar ein Ganzes bilden.66

Theorie U beinhaltet eine tiefere Ebene von Führung, die laut Scharmer in den bisherigen Managementtheorien und den Systemtheorien noch nicht vorhanden ist. Er bezeichnet dies als blinden Fleck, weil keine der vorhandenen Theorien die Ebene des inneren Ortes, aus dem gehandelt wird, betrachtet.

[...]


1 Bleicher K., siehe auch Fußnote 2

2 Dieses Zitat existiert auch in einer abgeänderten Form: „ Wir arbeiten in Strukturen von gestern mit Methoden von heute und hoffentlich an Strategien für morgen vorwiegend mit Menschen, die in den Kulturen von vorgestern die Kulturen von gestern gebaut haben und das Übermorgen nicht mehr erleben werden.“ 3

3 Zitat von Bleicher, K. in Füser, K. (2001), S. VII

4 vgl. Senge, P. u.a. (2008), S. 11

5 Senge, P. u.a. (2008), S. 9 und S. 11

6 Capgemini (2010), S. 102

7 Capgemini (2010), S. 102

8 Lipton, B.H. / Bhaerman, S. (2009), S. 440

9 vgl. Scharmer, C.O. (2009b), S. 46

10 vgl. Varela, F. / Thompson, E. / Rosch E. (1991), S. xviii

11 Varela, F. / Thompson, E. / Rosch E. (1991), S. xviii

12 Rauch, J. (2011), S. 18

13 Pfeiffer, R. zitiert nach Rauch, J. (2011), S. 18

14 Bei den Dimensionen, die Rosch im Interview anspricht, handelt es sich um: Herz, Weisheit, das Herzstück oder „Core“, Verbundenheit mit dem Ganzen und Auflösung der Trennung, Transzendenz, Primary Knowing und das Feld.

15 vgl. Rosch E. / Scharmer, O. (1999)

16 vgl. Franken, S. (2008 / 2009), S. 4

17 Arnold, R. (2006), S. 41

18 vgl. Krämer-Stürzl, A. (2008), S. 95

19 vgl. Arnold, R. (2006), S. 8 und S. 15

20 vgl. Krämer-Stürzl, A. (2008), S. 22

21 Ebd., S. 23

22 Krämer-Stürzl, A. (2008), S. 21

23 vgl. Krämer-Stürzl, A. (2004), S. 14 – 15

24 vgl. Capgemini Consulting (2011), S. 35 – 36

25 Weinert, A. B. (2004), S. 664

26 Ebd. S. 87

27 vgl. Taylor, F.W. (1911)

28 vgl. Zink, K.J./Steinmetz W. (2002), S. 10

29 Rosenstiel, L. / Molt, W. / Rüttinger, B. (2005), S. 42

30 Ebd. S. 44

31 Weinert, A. B. (2004), S. 664

32 vgl. Weinert, A. B. (2004), S. 664

33 Weinert, A. B. (2004), S. 665 -666

34 „Bei mentalen Modellen kann es sich um einfach Verallgemeinerungen handeln…oder auch um komplexe Theorien…. Aber das Entscheidende für ein Verständnis von mentalen Modellen ist, daß [sic!] sie aktiv sind - sie steuern unser Handeln. …sie beeinflussen, was wir sehen…. Psychologen nennen das selektive Wahrnehmung. Dieses Prinzip gilt für vermeintlich „objektive“ Beobachter wie Wissenschaftler genauso wie für Menschen im allgemeinen.“36

35 Senge, P./ Scharmer O./ Jaworski J./ Flowers B. (2004), S. 88

36 Senge, P. (2008): S. 214

37 Hasinger, G. (2009), S. 7

38 Tabelle eigene Darstellung vgl. Spiess E. (2006), S. 26 – 27

39 Capgemini Consulting (2010), S. 93 Zusammenfassung der Ergebnisse der Change Management Studie 2010 in Bezug auf die Fragestellung: „Wie gut sind sie mit dem Ansatz systemischer Beratung vertraut ?“ Ergebnis: 25 % sehr gut, 32 % gut, 25 % mittelmäßig, 13 % kaum, 5 % überhaupt nicht.

40 vgl. Capgemini Consulting (2010), S. 95

41 Capgemini Consulting (2010), S. 96

42 Senge, P. (2008): S. 538

43 vgl. Schäfers, B. / Kopp, J. (2006), S. 184

44 vgl. Krall, H. (2004), S. 39

45 vgl. Geißler, H. / Sattelberger T. (2003), S. 117

46 o.V., o.J., Kapitel III

47 vgl. Weinert, A. B. (2004), S. XVIII

48 vgl. Kortmann, D. (2008), S. 96

49 vgl. Füser, K. (2001), S. 179 bezieht sich auf Stadelmann M. / Lux W., Hot Topics oder kalter Kaffee? Aktuelle Management- Philosophien kritisch betrachtet, io Management Zeitschrift, Nr. 3, 1995, S. 32 – 35.

50 Senge, P. (2008): S. 501 - 502

51 Krämer-Stürzl, A. (2008), S. 81

52 Kerka, F. / Kriegesmann, B. (2005), S. 48

53 Senge, P. (2008): S. 11

54 Ebd., S. 20

55 Ebd., S. 21

56 Ebd., S. 21

57 Senge, P. (2008): S. 539

58 „Porsche spricht von „Vitaler Organisation“, Festo vom „Lernunternehmen“ und 3M von „Innovationskultur“.“59

59 Krämer-Stürzl, A. (2008), S. 77

60 Bill O´Brien zitiert in Senge, P. (2008): S. 175 – 176

61 vgl. Scharmer, O. (2009c), S. xx “Peter Senge, who inspired my thinking about a deeper view on social systems, namely, that the real issue of systems change is the split between matter and mind that we collectively enact in the various social systems. Peter encouraged me to stick to the term “presencing”, even though I got a lot of negative feedback when I first started using it.”62 Anmerkung: In der deutschen Ausgabe wird diese Aussage wie folgt übersetzt: “Peter Senge, der mich zu einem neuen Blick auf System Thinking inspiriert hat, der mich zu der Erkenntnis führte, dass das wesentliche Problem in einem systemweiten Veränderungsprozess die Kluft zwischen körperlicher und mentaler Verfassung ist und dass wir diese Kluft gemeinsam in verschiedenen sozialen Systemen reproduzieren. Peter hat mir Mut gemacht, den Begriff Presencing einzuführen und an ihm festzuhalten.“63

62 Scharmer O. (2009c), S. xx

63 Scharmer O. (2009b), S. 17

64 vgl. Scharmer, O. (2009a), 0:00 – 1:20

65 Scharmer, O. (2009b), S. 13

66 vgl. Scharmer, O. (2009b), S. 13 und Scharmer, O. (2009c), S. xvi

Ende der Leseprobe aus 80 Seiten

Details

Titel
Menschenbilder und Beratungsmodelle. Arbeiten Unternehmen in Strukturen von gestern?
Hochschule
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
80
Katalognummer
V180980
ISBN (eBook)
9783656039150
ISBN (Buch)
9783656039013
Dateigröße
1935 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Masterarbeit wurde mit nachfolgendem Originaltitel zur Benotung eingereicht: " Holographische und bioenergetische Modelle und Ihre Implikationen auf die Transformationsprozesstiefe in Personalentwicklungsmaßnahmen." Für die Veröffentlichung entschied ich mich- auch dank des Feedbacks von Dr. H.- für einen ansprechenderen und sofort verständlichen Titel.
Schlagworte
Personalentwicklung, Menschenbild, Beratungsmodell, Lernende Organisation, Senge, Scharmer, U-Theorie, Bohm, Dialog, Holomovement, Aktionsforschung, Transformation, Gehirnforschung, Bewusstseinsforschung, Kommunikation, Kommunikationsmodell, Spiritualität, Pribram, Holonomic Brain Model, Bioenergetik, Presencing, Barrieren der Veränderung, Flow, Führung, Management, Potenzialentwicklung, mentale Modelle, Dimensionen der Veränderung, systemische Denkweise, Quantendenken, Zohar, Innovation, Global Business Oath
Arbeit zitieren
Dagmar Braun (Autor:in), 2011, Menschenbilder und Beratungsmodelle. Arbeiten Unternehmen in Strukturen von gestern?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180980

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