Inwiefern kann Kinderliteratur den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern fördern?


Essay, 2011

14 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


1. Einleitung

Der Mensch ist nur Mensch durch Sprache.

Wilhelm von Humboldt

Wie wichtig ist die Sprache? Im Migrationsbericht 1999 steht: „Sprache ist die Grundlage der Kommunikation mit anderen Menschen, durch die Gedanken und Gefühle zum Ausdruck gebracht, Bedeutung vermittelt, Wünsche und Begehren kundgetan, Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausgetauscht, Zusammenhänge verstanden und Handlungen geplant werden. Sprache ist erforderlich, um sich mitzuteilen und andere zu verstehen.“[1]

Nicht nur für Erwachsene sondern auch für Kinder hat die Sprache eine entscheidende Funktion. Genauer gesagt, die Sprache hat eine wichtige Funktion für das Erfassen der kindlichen Welt. Das heißt, die Kinder können sich mithilfe der Sprache ihre eigene Welt konstruieren.

Heutzutage gibt es immer mehr Kinder, die gleichzeitig mehrere Sprachen lernen oder lernen müssen: Weltweit wachsen weniger als ein Drittel der Menschen einsprachig auf. Vor 40 Jahren wurde es jedoch in Deutschland als geistige Überforderung betrachtet, wenn Kinder zweisprachig aufwachsen sollten. Den Eltern wurde davon abgeraten und den Kindern wurde im Kindergarten deutlich gemacht, dass alles, was nicht deutsch klang, keine ordentliche Sprache war. Leider kommt das auch heute, 40 Jahre später, immer noch oder wieder vor, dass Mehrsprachigkeit geistige Überforderung bedeutet. Im Gegenteil dazu, so Regina Pantos, Vorsitzende des Arbeitskreises für Jugendliteratur e.V., sind Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, geistig flexibler und leistungsfähiger in ihrer Wahrnehmung. Weiterhin betont R. Pantos das Schlagwort „Bildung und Bücher von Anfang an“. Wieso? Weil Bücher bilden.

Jetzt stellt sich die Frage: Inwiefern kann Kinderliteratur den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern fördern? Um die Frage zu beantworten, muss zuerst die Mehrsprachigkeit bei Kindern betrachtet werden.

2. Mehrsprachigkeit bei Kindern

So viele Sprachen wie ich kann, über so viele Zugänge zur Welt verfüge ich.

Karl V.

Das Kind wächst in das Verstehen der Sprachgemeinschaft hinein und beginnt sich darin selbst zu verstehen.

Friedrich Georg Jünger

Das Jahr 2001 wurde von der Europäischen Union das „Europäische Jahr der Sprachen“ genannt, das unter dem Motto „Sprachen öffnen Türen“ stand. Das zukünftige Ziel sei, dass Junge Menschen überall in Europa neben ihrer Muttersprache zwei weitere Sprachen sprechen könnten. Die Mehrsprachigkeit sollte aus zwei Perspektiven betrachtet werden – z.B. für die muttersprachlich deutschen Kinder soll die frühe Mehrsprachigkeit die Tür nach Europa und in die Welt öffnen, und für die Kinder, deren Eltern aus der Welt nach Deutschland gekommen sind, und deren Familiensprache nicht Deutsch ist, ist die Mehrsprachigkeit die Eintrittskarte in die deutsche Gesellschaft.

Bereits in der Grundschule oder sogar im Kindergarten sollten die Kinder mit dem Sprachenlernen anfangen, forderte Edelgard Bulmahn, die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, „gerade kleine Kinder sind für Sprachen besonders aufnahmefähig.“

Hingegen gibt es ein Vorurteil, nämlich die Behauptung, dass Kinder nicht zwei oder gar mehr Sprachen sprechen können, ohne dass sich die Sprachen gegenseitig beeinträchtigen oder behindern.

Eva Hammes-Di Bernardo widerlegt das Vorurteil in ihrem Artikel „Terra incognita. Wie viel Sprache braucht das Kind?“ mit dem Argument, dass sowohl das Broca- als auch das Wernicke-Areal - also die zwei Zentren im Gehirn, die für Spracherwerb und Sprachverständnis zuständig sind - nicht nur durchaus in der Lage sind, die Zwei- oder Mehrsprachigkeit eines Kindes zu unterstützen, sondern dass eine frühe Mehrsprachigkeit eine solch positive Wirkung auf diese Areale im Gehirn hat, dass auch späteres Fremdsprachenlernen davon profitiert. Sie schreibt dazu: „Wird das Kind in frühster Kindheit mit zwei Sprachen konfrontiert, bildet sich das Netz im Broca-Areal sofort als Zweisprachen-Netz heraus.“

Jetzt lässt sich fragen, was für ein Verhältnis die Erstsprache zu der zweiten oder sogar dritten Sprache hat. Müssen z.B. die Migrantenkinder ganz auf muttersprachliche Kontakte und Kommunikationsmöglichkeiten verzichten, weil die Familien- oder Erstsprache beim Zweitsprachenerwerb als Behinderung empfunden wird?

Studien (zusammenfassend Jampert, 2002) belegen, dass Kinder, die ihre Erstsprache gut sprechen, weniger Schwierigkeiten beim Erlernen der Zweitsprache haben, weil sie bereits in der Erstsprache grundlegende sprachliche, kommunikative, soziale und kognitive Fertigkeiten erworben haben, auf die sie beim Erlernen der zweiten Sprache zurückgreifen können.[2]

Das bedeutet, dass fundierte erstsprachliche Fähigkeiten eine gute Grundlage für den Zweitsprachenerwerb bilden: Kinder mit gefestigten Kompetenzen in der Erstsprache wissen bereits, wozu die Sprache dienlich ist und dass sprachliche Äußerungen, Fragestellungen oder Aufforderungen in ganz bestimmten Satzstrukturen getätigt werden müssen. Sie kennen bestimmte Regeln und Ordnungsprinzipien der Sprachbildung bereits - wie z.B. Lautbildung, Fragestellung oder Verneinung.

Der Spracherwerb ist ein langjähriger und komplexer Prozess, der weitgehend unterbewusst abläuft. Sprachkenntnisse werden antrainiert durch Wiederholung. Welche Wege gibt es für solche Kinder, die mehrere Sprachen erlernen wollen oder müssen?

Erstens spielen die Eltern eine sehr wichtige Rolle. Für Migrantenkinder wird die Erstsprache (oder Muttersprache) zu Hause gesprochen, während außerhalb der Familie die Landessprache die Tagesordnung bestimmt. Sollen Migranteneltern in Deutschland z.B. mit ihren Kindern nur Deutsch sprechen, um ihnen damit gute Startchancen im Bildungssystem zu sichern? Jempert gibt eine ganz klare Antwort dazu: Nein, Eltern sollen die Sprache sprechen, in der sie sich sicher fühlen: Nur in einer Sprache die gut beherrscht wird, können Eltern Kindern ein gutes Sprachvorbild sein.

Zweitens haben ErzieherInnen einen sehr bedeutenden Einfluss auf den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern. Deswegen sollten Erzieher/innen und Elementarpädagog/innen sich zuallererst einmal ganz bewusst klar darüber werden, so Annett Leisau, welche Haltung sie ganz persönlich zum Thema "Mehrsprachigkeit" haben: Empfinden sie das Beherrschen verschiedener Sprachen als Bereicherung? Gibt es in ihrer persönlichen Meinung Sprachen, die als wertvoller angesehen werden?

An der dritten Stelle sind Bücher nicht zu vergessen. Wie schon in der Einleitung erwähnt: Bücher bilden. Regina Pantos nennt in ihrem Artikel „ Herausforderung Mehrsprachigkeit: Kinder brauchen mehrsprachige Bücher“ das folgende Beispiel: Ein realer dreidimensionaler Apfel, den das Kind anfassen kann und in den es hineinbeißen kann, wird als zweidimensionales Bild im Buch erkannt, der Laut wird mit dem Gegenstand assoziiert. Dieser erste Schritt zur Abstraktion, der mit Hilfe des Bilderbuches vollzogen wird, eine besondere und entscheidende Fähigkeit des Menschen, die ihn vom Tier unterscheidet, ermöglicht es dem Kind, sich mit Hilfe von Bildern und Sprache Weltwissen anzueignen.

Mit Pantos Argumentation lässt sich zeigen, dass Kinderliteratur für den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kinder eine wichtige Rolle spielen kann. Die Kinderliteratur ist zwar ein kleiner Mosaikstein im Bildungswesen, aber in ihr verbirgt sich ein Potential, das bis jetzt nicht hinreichend wahrgenommen und ausgeschöpft wird.

Jetzt ist die Frage: inwiefern kann Kinderliteratur eigentlich den Spracherwerb der mehrsprachigen Kinder fördern? Im folgenden Kapitel werden konkrete Beispiele genannt, um die Frage zu beantworten.

[...]


[1] Migrationsbericht : Bericht des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration im Auftrag der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Forum für Migrationsstudien (efms) an der Universität Bamberg / Hrsg.: Bundesministerium des Innern, Referat Öffentlichkeitsarbeit. - Berlin [u.a.], 1999-2004

[2] Karin Jampert: Schlüsselsituation Sprache: Spracherwerb im Kindergarten unter besonderer Berücksichtigung des Spracherwerbs bei mehrsprachigen Kindern. Opladen: Leske und Budrich. 2000

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Inwiefern kann Kinderliteratur den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern fördern?
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
2,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
14
Katalognummer
V180947
ISBN (eBook)
9783656045687
ISBN (Buch)
9783656045038
Dateigröße
10964 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
inwiefern, kinderliteratur, spracherwerb, kindern
Arbeit zitieren
Mian Fu (Autor:in), 2011, Inwiefern kann Kinderliteratur den Spracherwerb bei mehrsprachigen Kindern fördern? , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180947

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