Hugo Chávez und Venezuela: Tatsachen


Essay, 2011

14 Seiten


Leseprobe


Hugo Chávez und Venezuela: Tatsachen

In vielen Veröffentlichungen über Hugo Chávez und Venezuela werden immer wieder die gleichen Klischees, Irrtümer und Halbwahrheiten wiederholt. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass sich die Autoren auf Mitteilungen und Statistiken amtlicher Publikationen stützen und die Angaben nicht durch eigene Recherchen absichern. Eine Berichterstattung, die aber zum großen Teil auf fragwürdigen Meinungsäußerungen Dritter beruht, verursacht eine subjektive Meinungsbildung der Öffentlichkeit. Der allgemeine Hinweis der Verfasser, Hugo Chávez ist das Resultat einer jahrzehntelangen Politik der Ausbeutung, der Korruption, der Oligarchie und der sozialen Ungerechtigkeit, beförderte ihn in die Position eines untadeligen und rein idealistischen Politikers. Daher wird jede Kritik an ihm von unseren deutschen Bewunderern abgewiesen und die Kritiker als Neoliberale, Rechte, etc. diffamiert. Mein Anliegen ist es, zu einer sachlicheren Bewertung der Handlungen von Chávez anzuregen. Die Ausführungen sind keine persönlichen Meinungsäußerungen, sondern nachprüfbare Tatsachenbehauptungen.

1. Mythos Chávez

Vor einem Jahr wurden Demonstranten in Iran von Scharfschützen erschossen. In diesem Jahr von Despoten in den arabischen Staaten. Vor neun Jahren, am 11. April 2002, ließ Chávez auf friedliche Demonstranten schießen. Bilanz: 19 Tote und über 150 Verletzte. Damals gab es keine Proteste im Ausland. Warum? Chávez stellte die Wahrheit einfach auf den Kopf. Ihm zufolge waren die Opfer Pro-Chávez-Anhänger, die von der Opposition ermordet wurden. Der Täter war der Geschädigte und die internationale Presse glaubt es bis heute. Dieses eine abscheuliche Beispiel zeigt, wie skrupellos Chávez um den Machterhalt kämpft. Es zeigt auch, wie leicht er die öffentliche Meinung im In- und Ausland manipulieren kann. Wenn wir in Deutschland den Rücktritt und die Bestrafung der arabischen Willkürherrscher fordern, so sollten wir folglich dies auch bei Hugo Chávez verlangen.

Nachdenklich müsste alle die Auflistung der Politiker stimmen, die Chávez bewundert und während seiner unzähligen Auslandsreisen trifft. Da wären unter anderem: Gaddafi, Saddam Hussein (hingerichtet), Lukaschenko, Mugabe, Ahmadinejad. Kommen diese Personen nach Venezuela, werden sie mit großem Zeremoniell empfangen und mit den höchsten nationalen Orden ausgezeichnet. Auch Herr Putin ist immer gerne gesehen, da er ihm alle Wünsche nach fortschrittlichen Waffen erfüllt, einschließlich einer Fabrik zur Herstellung der Sturmgewehre Kalaschnikows. Die Waffenindustrie in Russland verdient dabei Milliarden. Vor seiner ersten Präsidentschaft forderte Chávez die Mächtigen der Welt auf, nicht in das Wettrüsten zu investieren. Leider hält er sich jetzt nicht an seinen sehr guten Ratschlag. Eine russische Militärbasis in Venezuela ist in Planung und Russland wird auch bei der Errichtung eines Atomkraftwerks behilflich sein. Daraus kann sich eine sehr gefährliche Sachlage ergeben: Chávez, der gewaltbereite Weltverbesserer, mit eigener AK47-Produktion und Atommüll, der als Unterstützer und Sympathisant der marxistischen FARC überführt ist - nach dem Laptop-Fund der kolumbianischen Streitkräfte -, der wiederum gute Beziehungen zu anderen Terrorgruppen nachgesagt wird, einschließlich zu al-Qaida.

„Linke“ in der ganzen Welt schätzen Chávez‘ Antiamerikanismus und seine Aversion gegen den Neoliberalismus, was fälschlicherweise mit „Antikapitalismus“ gleichgesetzt wird, dabei ist es kein Vorrecht der Linken, gegen einen herzlosen Wirtschaftsliberalismus und der Globalisation zu sein. Allerdings ist Chávez kein richtiger Antikapitalist, denn vom „Diktat des Marktes“ gibt es noch reichlich in Venezuela. Als Ikone des Antiamerikanismus bietet er sich auch nur begrenzt an. Die Ölgeschäfte mit den USA laufen gut, zudem ist Venezuela Eigentümer eines des größten Tankstellennetzes des Landes (Citgo) mit eigenen Raffinerien. Sein Antiamerikanismus ist allein ein Anti-Georg-Bush, und das nicht einmal aus moralischen Gründen - wie bei vielen Personen - sondern hat einen rein persönlichen Hintergrund. Chávez wollte von Bush feierlich im Weißen Haus empfangen werden. Er versuchte es mit allen ihm zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln, aber George W. weigerte sich, ihn zu empfangen. Als Bush ostentativ Maria Corina Machado von der Opposition zum Gespräch am Kamin einlud, verlor er gänzlich sein gutes Benehmen.

Die meisten Bewunderer von Chávez haben verdrängt, dass er ein rechtskräftig verurteilter Putschist ist, der seine Strafe nicht vollständig absitzen musste. Dieser Putsch im Februar 1992 richtete sich gegen den gewählten Präsidenten Carlos Andrés Pérez und kostete zahl-reichen, meist wehrpflichtigen Soldaten das Leben. Für seine Anhänger war immer er der Kopf des gescheiterten Umsturzversuchs, in Wirklichkeit aber wollten mehrere der Verschwörer ihn wegen seiner Unverlässlichkeit und der fehlender Entschlossenheit nicht dabei haben. Ihre Sorge war gerechtfertigt, denn der einzige der putschenden Offiziere, der das vorgegebene Ziel nicht erreichte, war der Oberstleutnant Hugo Chávez. Er ergab sich und wurde im Fernsehen vorgeführt und so einer breiten Öffentlichkeit schlagartig bekannt. Diese Schlappe war letztendlich sein persönlicher Sieg und der Anfangspunkt seines Mythos.

Dieser Putschversuch sowie der im November - ohne direkte Beteiligung Chávez - sind in seinen Augen keine kriminellen Handlungen gewesen, sondern legitime Akte gegen einen schuldigen Präsidenten, ein moralisch gerechtfertigter Widerstand. Für die Venezolaner war es ein Zurück in die Vergangenheit, sie hatten dieses lateinamerikanische Krebsgeschwür - Putsch, Gegenputsch, Caudilloismus - bereits überwunden. Venezuela war das stabilste Land in der Region. In den 1960er Jahren wurden die von Kuba unterstützten Guerilleros militärisch geschlagen, ohne dass das Land in eine Militärdiktatur stürzte. Es war auch gegen den allseitigen Rechts-Ruck immun, der im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in zahlreichen lateinamerikanischen Staaten wieder auflebte.

Jahre später belohnte Chávez die revoltierenden Militärs mit hohen Ämtern in der Regierung sowie in den Landesregierungen. Auch die unteren Offiziersränge wurden nicht vergessen. So durfte sich der Leutnant Jesse Chacón in verschieden Ministerien versuchen. Beim Putsch im November war Chacón der Anführer des Kommandos, das den staatlichen TV-Sender angriff und zerstörte. Der Angriff wurde mit großer Brutalität durchgeführt. Zahlreiche Mitarbeiter des Kanals verloren dabei ihr Leben. Die capitánes Blanco La Cruz und Porras wurden im Superwahljahr 2000 Gouverneure in Táchira und in Merida. Sie verdankten dies nicht nur Hugo Chávez, sondern auch einem erkennbaren Wahlbetrug. Die bis dahin amtierenden Gouverneure klagten bis in die höchsten Gerichte, erhielten aber trotz eindeutiger Beweise kein Recht. Es waren gerade einmal 18 Monate seit Chávez’ erstem Wahlkampf, in dem er eine moralische Erneuerung des Landes gelobte und das Ende des „Paktes von Punto Fijo“ von 1958, der die Zusammenarbeit der Sozial- und Christdemokraten regelte. Blanco La Cruz zeichnete sich später durch übertriebene Härte - abscheuliche Haftbedingungen - gegen Oppositionelle und Journalisten aus sowie eine ausufernde Korruption in Táchira.

Im Jahr 2000 kam es auch zum Bruch zwischen Chávez und den anderen comandantes Arias Cárdenas, Urdaneta und Chirinos. In Interviews malten sie ein sehr verächtliches Bild von ihrem ehemaligen Freund und Kampfgefährten Hugo, danach ist er ein: Psychopath, Lügner, Feigling und Mörder. Arias Cárdenas ging für die Opposition als Spitzenkandidat in den Wahlkampf und verlor. Schwer zu glauben, aber Jahre später berief der Präsident Chávez den „Verleumder“ Arias Cárdenas zum venezolanischen UNO-Botschafter nach New York.

Carlos Andrés Pérez wurde noch während seiner Amtszeit angeklagt und 1996 zu zwei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt, weil er eigenmächtig 17 Millionen US$ an Violeta Chamorro in Nicaragua für deren Wahlkampf gespendet hatte. Wenn Chávez einmal für das ganze Geld bestraft wird, das er ohne die Zustimmung der Allgemeinheit in Venezuela über den Erdball verschenkt hat, wird er wohl mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen müssen.

2. Linke und Rechte

Hier dominiert die Meinung: Chávez ist ein Linker, somit sind alle, die sich zu sozialistischen Ideen bekennen, seine Anhänger. Die Opposition ist rechts, wohlhabend, undemokratisch, neoliberal und hellhäutig. So einfach ist die Sache nicht. Es gibt Links-Parteien, die erbitterte Gegner von Chávez sind, wie z.B. Movimiento al Socialismo (MAS) und Bandera Roja (BR) - beide haben ihre Wurzeln in der Guerilla-Bewegung - sowie Causa R, eine von Gewerk-schaftlern gegründete extreme Linkspartei. Die traditionellen Gewerkschaften waren schon immer gegen Chávez. Der Vorsitzenden des Dachverbandes (CTV), Carlos Ortega, war einer der maßgebenden Anführer der Generalstreiks der Jahre 2001 bis 2003. Als linke Opposition möchte ich auch die Studentenverbände nennen, da besonders die Studenten-Vereinigung der Universidad Central de Venezuela in Caracas, die immer als „Die-Linke-Uni“ galt.

Venezuela ist heute gespalten in Chávez-Anhänger und Chàvez-Gegner. Diese Trennung verläuft quer durch alle Schichten und wird von Chávez noch forciert. Diese Spaltung der Bevölkerung ist unnatürlich, dumm, kontraproduktiv und sehr schmerzlich. Die Menschen in Venezuela haben ein verbindendes Naturell und waren immer tolerant und offen, auch für Personen aus anderen Ländern und deren Kulturen, Rassen, Religionen und Ideen. Trotz der extremen sozialen Unterschiede existierte ein friedliches Beieinander der Sozialschichten. Heute beschimpft und demütigt Chávez seine Gegner, wobei Ausdrücke wie Vagabunden und Halunken keine Seltenheit sind. Der Präsident regiert nicht für das Gemeinwohl und die Ganzheit des Volkes, sondern nur für einen Teil und bewusst gegen den Rest der Gesellschaft. Der einen Hälfte verspricht der populistisch auftretende Chávez alles, der anderen droht er mit der Beschlagnahme des Eigentums.

Romantische Linke in Deutschland mögen wohl solche Handlungen befürworten. Sicherlich ist es ihnen entgangen, dass sich seit Chávez eine neue Klasse im Gefolge der Macht etabliert hat, die ihre Statussymbole und Besitztümer provokant zur Schau stellen. Dieser schnelle Reichtum ist nicht das Resultat von harter Arbeit, sondern von Korruption, Vetternwirtschaft und Opportunismus. Dagegen verlässt die wirtschaftlich und sozialpolitisch wichtige Mittelschicht das Land, sofern sie eine Chance dazu hat. Neben der Angst vor dem sozialen Abstieg, ist es die Furcht vor der Einmischung des Staates in das Erziehungs- und Sorgerecht für die Kinder. In dem neuen Bildungsgesetz von 2009, das die Bildungschancen ärmerer Bevölkerungsschichten verbessern soll, gehört die politische Indoktrinierung der Schüler zum Inhalt der Lehrpläne.

Auch die Unterschicht distanziert sich immer mehr von Chávez. Bei den Kommunal-Wahlen 2008 fielen die beiden Stadtdistrikte von Caracas, in denen die Mehrzahl der Unterklasse lebt, an Chávez-Gegner. Im Municipio Sucre, darunter Petare, das als größtes Armenviertel Lateinamerikas gilt, an den eher konservativen Carlos Ocariz und das Amt des Alcalde Mayor (Ober-Bürgermeister) an den Sozialdemokraten Antonio Ledezma. Seine Wahl wurde von der Wahlkommission anerkannt, gleichzeitig aber erfand Chávez ein diesem Amt übergeordneten Gouverneursposten, deren Regierungschefin, eine Chavistin, von ihm ausgesucht und ernannt wurde. Ledezma ist jetzt ein vom Volk gewählter Bürgermeister ohne Rathaus und ohne Budget. Erst nach einem Hungerstreik bekam er einige wenige Rechte zurück.

Kürzlich las ich: Venezuela ist eine Basisdemokratie. Que? Venezuela entspricht wohl mehr der neofaschistischen Formel des ehemaligen argentinischen Beraters und Freundes Ceresole:

caudillo, fuerzas armadas, pueblo - Führer, Streitkräfte, Volk.

3. Private Medien

Immer wieder liest man in Zeitungsartikeln, in Büchern und im Internet die unschönen Anschuldigungen, das die privaten Medien in Venezuela falsch und verzerrt über Chávez berichten, die Wahrheit manipulieren, einseitig und parteiisch die Opposition begünstigen, von den Eigentümern interessengeleitet sind und zu Gewalt und zum Sturz der Regierung aufrufen. Die Verfasser dieser Artikel sind aber selten für einen längeren Zeitraum im Lande und nehmen die nationalen Zeitungen, die Rundfunk- und Fernsehsender so nur unregelmäßig in Anspruch. Eine objektive Beurteilung der Medien ist daher nicht gegeben, auch sind die Berichterstatter erfahrungsgemäß nicht über alle aktuellen Geschehnisse eingeweiht.

Aber kann sich so der interessierte Leser und Hörer in Deutschland eine vorurteilsfreie Meinung über die Rolle der privaten Medien in Venezuela bilden? Klarheit schaffen auch unsere öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht. Sie senden ein breites Spektrum von unter-schiedlichen Standpunkten in der Hoffnung, der intelligente Zeitzeuge wird die richtige Bewertung selbst erlangen. Folglich werden auch Berichte gesendet, die voll von Falsch-meldungen und Halbwahrheiten sind, und den interessierten Staatsbürger hier in seinen falschen Konklusionen noch bestärkt, beziehungsweise noch mehr verwirrt.

Ich möchte aus einem Brief zitieren, den ich 2009 auf einen dieser Artikel schrieb:

... leider wurde ich von Ihrem Artikel genauso enttäuscht, wie bei den Berichterstattungen von CNN, BBC, Deutsche Welle, Der Spiegel und den anderen Presseorganen. Die Darstellungen über Venezuela klingen erfahrungsgemäß wie Denkschriften aus dem Informationsministerium Venezuelas. Eine sachkundige Überprüfung und Kritik scheinen zu fehlen, was jedoch nicht fehlt, sind Halbwahrheiten und Vorurteile.

Wie soll auch ein Journalist die riesige Informationsflut aus Südamerika verarbeiten. Allein Venezuela produziert in einer Woche mehr Skandale, als Deutschland in einem Jahr. Dabei ist es sehr schwer, zwischen den Wahrheiten und den Falschmeldungen durchzuschauen. Oft sind die Wahrhaftigkeiten unglaubhafter, als die Falschmeldungen. Darauf spekulieren die Meinungsmacher der Regierung. Es ist eine Meisterleistung der venezolanischen Diplomatie, aus einem verurteilten Putschisten, der von einem senilen Präsidenten begnadigt wurde, einen Robin Hood zu machen, während die Vorkommnisse vom 11. April 2002 in aller Welt falsch dargelegt werden.

Es ist herabwürdigend, wenn die Venezolaner so naiv und beschränkt dargestellt werden, als würden sie eine von den Eigentümern entmündigte Presse hinnehmen. Ich kann Ihnen sagen, sie sind besser über das Weltgeschehen informiert, als wir hier in Deutschland. Die von Ihnen geschmähten Medien sind Gleichgesinnte in ihrem Kampf gegen ein übermächtiges, korruptes und machthaberisches Unrechtssystem. Gleichwohl haben sie nie zu Konflikten und Hass aufgerufen. Im Gegenteil. Es wurde immer eine friedliche, legitime und der Verfassung konformen Lösung gesucht. Böswilligkeiten und Gewalt kamen fast immer aus dem Regierungslager. Den Verantwortlichen wurde Straffreiheit zugesichert und sie wurden als „Helden der Revolution“ ausgezeichnet. Dennoch werden Chávistas immer wieder zu Debatten bei den Medien eingeladen und können ihre Meinung frei äußern.

Traditionell haben die privaten Presseorgane in Venezuela eine sehr hohe Glaubwürdigkeit bei den Bürgern. Seit den Protesten gegen Chávez hat sich die Verbundenheit zwischen der Bevölkerung und den Medien noch erhöht. Liebevoll sprechen sie von „unseren Medien“. Es gab spezielle Protestmärsche, um diese zu unterstützen, z.B. „Gran Marcha a favor de los Medios“, bei dem Hunderttausende auf die Straße gingen. Ohne diesen Gemeinsinn mit den Medien, wäre Venezuela heute ein zweites Kuba.

Chávez wurde nicht gegen den Willen der Medien zum Präsidenten gewählt, sondern mit deren Hilfe. Sie öffneten ihm den Weg und machten ihn bekannt. Die sozialdemokratische Partei (AD) war 1998 gespalten und ohne einen eigenen Kandidaten. Man unterstützte den Anwärter (Salas-Römer) aus dem bürgerlichen Lager, der aber für progressive Wähler kaum wählbar war. Eine Alternative war der links-nationale Chávez, der soziale Gerechtigkeit und Renovation versprach. Er weckte Hoffnungen nicht nur bei der ärmeren Bevölkerung, sondern auch in der Mittelschicht. Venezuela war bereit für einen Neuanfang. Kurz nach der Wahl hatte Chávez eine über 70prozentige Billigung und bekam so eine faire Chance. Er hatte die historische Möglichkeit, das Land zu einigen und voran zu bringen. Die Medien boten ihm die volle Unterstützung an. Aber Chávez tat genau das Gegenteil. Er spaltete das Land noch mehr und entzweite die Gesellschaft...

... heute wird über den legitimen Protest gegen Chávez im Ausland nur berichtet, wenn Blut und Tränen fließen. Dabei gab es in keinem Land der Welt so viele friedliche Protestmärsche, allein in Caracas bisweilen mehrere in einer Woche und einzelne mit bis zu einer Million Teilnehmern. Die Jahre 2002-2003 waren ein einzigartiges Beispiel an Demokratiever-ständnis der Bevölkerung, angefangen von der Opferbereitschaft des einzelnen Bürgers, bis hin zu den bemerkenswerten logistischen und organisatorischen Leistungen ziviler Vereinigungen. Schwerpunkte waren die Protestmärsche, bei denen Frauen fast immer in der Überzahl waren. Auch bei den Medien leisteten die Frauen Überragendes. Leider haben die Korrespondenten das nie wahrgenommen. Die Venezolaner und ihre Medien hätten sicherlich eine bessere Behandlung der Auslandspresse verdient...

Ich zitiere die Bildungszentrale für politische Bildung:

Der direkte Druck auf regierungskritische Medien nahm im Berichtszeitraum zu. Am 1.8.2009 wurde ohne Vorwarnung die Schließung von 34 Radio- und Fernsehsendern verfügt. Ende Dezember 2009 wurden sechs private Fernsehsender vom Kabelnetz ausgeschlossen, darunter auch Radio Caracas Televisión (RCTV). Alle sechs Sender galten als regierungskritisch und hatten sich u.a. geweigert, Regierungsinhalte zeitgleich mit anderen Sendern zu übertragen. RCTV war bereits 2007 die terrestrische Frequenz entzogen worden, nachdem dem Sender vorgeworfen worden war, 2002 einen Putschversuch gegen Chávez unterstützt zu haben. Bei gewalttätigen Demonstrationen gegen die Medienpolitik am 25. und 26.1.2010 kamen zwei Personen ums Leben. Ende März 2010 wurde der Mehrheitseigner des oppositionsnahen Senders Globovisión, Guillermo Zuloaga, wegen Verbreitung falscher Nachrichten und Beleidigung des Präsidenten angeklagt. Mitte Juni wurden gegen Zuloaga und seinen Sohn Haftbefehle wegen irregulärer Geschäfte erlassen

Mitarbeiter-Innen bezahlten für ihren Mut bei der Ausübung der freien Meinungsäußerung mit dem Leben, mit Gefängnis oder mussten ins Exil gehen. Chávez kann sich dagegen jederzeit durch eine Kettenschaltung in alle privaten Sender stundenlang einschalten. Er herrscht über staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalten, die keinen Pluralismus kennen.

Nach dem Wahlboykott 2005 besetzten die regierungstreuen Parteien fast alle Sitze im Parlament und das bei einer Wahlbeteiligung von nur knapp über 20 Prozent. Dieser „Wahlsieg“ verschaffte Chávez eine unglaubliche Handlungsfreiheit bei der Gesetzgebung und beim Regieren. Die privaten Medien konnte nicht mehr nur Beobachter bleiben, sie mussten auch Teil der Opposition werden und mehr Verantwortung übernehmen.

Chávez‘ Revolution ist die erste in der Geschichte, in der Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler keine Rolle spielen, zwangsläufig gibt es auch keinen entgegenkommenden und unterstützenden Journalismus. Es kann keine Sympathie und Verständnis für diese Revolution existieren, da sie nicht auf neue Theorien und Visionen verweisen kann, die zu gemein-schaftlichen Wollen und Handeln anstößt und so eine bessere und gerechtere Gesellschaft formt. In Chávez‘ Revolution gibt es Agitatoren, aber keine Denker.

4. Wirtschaft

Venezuela durchläuft heute eine schwere Wirtschaft- und Sozialkrise: Hohe Inflation und steigende Arbeitslosigkeit - dadurch Zunahme des informellen Sektors. 2009 und 2010 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt. Steigende Verarmung und Kriminalität. Abwertung der Währung trotz Devisenkontrolle. Versorgungsengpässe bei vielen Grund-Nahrungsmitteln. Energieengpässe bei Trinkwasser und Elektrizität - in Februar 2010 rief Chávez den Strom-Notstand aus. Busse und U-Bahnen fahren nur eingeschränkt, da Ersatzteile fehlen. Dabei konnte Chávez über so viele Petrodollars verfügen, wie noch kein anderer Präsident vor ihm. Trotz der sozialistischen Orientierung der Wirtschaft, herrscht in Venezuela ein knallharter Marktmechanismus, einschließlich in den sozialen Bereichen Bildung, Gesundheit und persönliche Sicherheit - die Bürger müssen viel Geld für private Wachleute und Sicherheits-vorkehrungen investieren.

Ich wage zu behaupten, dass die Wirtschaftspolitik in den 1960er und 1970er Jahren auch schon sozialistisch beeinflusst war, sie war aber zweifelsfrei gerechter und erfolgreicher als heute. Viele Nahrungsmittel wurden damals subventioniert. Die Währung hatte einen festen Wechselkurs zum Dollar. Die nationale Produktion wurde gefördert und mit sehr hohen Einfuhrzöllen (bis zu 200%) geschützt. Die Preise der Konsumgüter (PVP) konnten nicht willkürlich vom Zwischen- und Einzelhandel festgelegt werden. Die Fabrikanten mussten beabsichtigte Preiserhöhungen beim Ministerium zur Prüfung einreichen. Mieten waren reguliert. Der Erwerb von Eigentumswohnungen für die Unter- und Mittelschicht wurde gefördert, es herrschte ein unbeschreiblicher Bauboom. Diese Wirtschaftspolitik, zusammen mit der „importsubstituierende Industrialisierung“ (ISI) ermöglichte ein recht konstantes Wachstum und trug zur Entstehung eines verhältnismäßig breiten Mittelstandes bei.

Carlos Andrés Pérez -genannt CAP- personifizierte diesen speziellen südamerikanischen Weg des Dirigismus. 1976 verstaatlichte er die Ölindustrie des Landes. Seine Wirtschaftspolitik war sehr nationalistisch und boomte. CAP symbolisierte aber auch die ansteigende Korruption und Verschuldung und die Verteilungspolitik. In seiner zweiten Amtsperiode (1989-1993) vollzog er eine radikale Wende. Er führte den Wirtschafts-Liberalismus mit seinen bekannten Nachteilen ein und machte viele Anstrengungen seiner ersten Präsidentschaft rückgängig, mit Ausnahme der Verstaatlichung der Schlüsselindustrie. In den Wahlreden hatte dieser Sozial-demokrat nie seine Absicht bekundet, eine neoliberale Politik einzuführen, so wie Chávez vor seiner ersten Wahl auch nicht von Sozialismus und Revolution gesprochen hatte. Das ist kein Zufall, denn für die Populisten in Lateinamerika gilt: Einzelne Personen sind viel wichtiger als Programme. Nach beiden Wahlen mussten die Venezolaner feststellen, sie sind in einer Wirklichkeit aufgewacht, die sie und nicht gewollt hatten.

Mit der Regierungsübernahme durch Chávez erhofften sich Teile der Wirtschaft eine erhöhte Förderung der nationalen Produktion und eine Rückkehr zur ISI. Das Gegenteil war der Fall. Die Produktion sank und die Einfuhren aus dem Ausland stiegen. Viele Fabrikanten konnten mit den Waren aus Fernost nicht konkurrieren und mussten schließen oder sich umstruktur-ieren in Importeuren. Noch schlimmer sind die Folgen der Verstaatlichungspolitik. Ganze Branchen verließen das Land. Die Zahl der Industrie-Unternehmen ist von 11500 im Jahre 1998 auf 7000 gefallen. Die Enteigungswelle macht auch vor deutschen Firmen nicht halt. Als Erstes hat es die Niederlassung der Kaffeefirma Rothfos GmbH erwischt. Die im Jahre 2010 beschlossenen Gesetze erleichtern die Verstaatlichung von Unternehmen, die jetzt bei „wirtschaftlichen und administrativen Unregelmäßigkeiten“ enteignet werden können. Nach Chávez´ Plan soll die venezolanische Wirtschaft bis 2013 weitgehend in eine Staatswirtschaft transformiert sein. Diese Politik führte bereits zu massiven Produktionseinbußen. Im verstaat-lichten Stahlwerk Sidor sank der Stahlausstoß in zwei Jahren um 25% und 20%. Von der enteigneten Agrarfläche wird ein nur ganz geringer Teil produktiv genutzt, dass ist besonders alarmierend, da Venezuela nie autark bei der Versorgung mit Nahrungsmittel war. Unter Chávez hat sich dieses Manko aber noch verschlimmert. So kommt es immer wieder zu Engpässen bei den Grund-Nahrungsmitteln wie Milch, Fleisch, Kaffee oder Zucker. Tragisch dabei ist, dass sich beispielweise Kaffee und Zucker von Export- zu Importgütern wandelten. Die Versorgung der Bevölkerung kann nur durch massive Lebensmittel-Importe gewährleistet werden und dies bei regelmäßigen Devaluationen der Währung. Diese Abwertungen haben die Funktion, neues Geld zu drucken. Dadurch verteuern sich aber fast alle Waren, was wieder zur Folge hat, dass mehr Aufwendungen für Hilfsmaßnahmen aufgebracht werden müssen. Die nächste Abwertung ist dann bald wieder notwendig. Es ist ein Teufelskreis. Offiziell gibt es einen niedrigeren Umtauschkurs für einige Waren des Grundbedarfs und einen höheren für andere Importe. Die Anträge müssen bei der Devisenbehörde CADIVI gestellt werden, die aber nicht automatisch oder schnell gebilligt werden. Aus diesem Grund beschaffen sich die Firmen Divisen auf dem wesentlich ungünstigeren Parallelmarkt. Venezuela ist bestimmt das einzige Land, das in wenigen Jahren drei Devisenkontrollen ertragen musste. Alle waren nutzlos und preistreibend, beflügelten aber die Korruption.

Seit 2003 gibt es Preisobergrenzen für Grund-Nahrungsmittel. Nicht desto weniger ist die Inflation die höchste in Südamerika. Nach Angaben der Zentralbank in 2010 über 30%. Trotz dieser rasanten Preiserhöhung, hält Chávez an der uneffektiven Preiskontrolle fest und beschuldigt lieber die Produzenten und den Handel für diese Misere. Da der Verkauf der preiskontrollierten Produkte oft verlustreich ist, nehmen die Lebensmittelhändler sie lieber aus dem Angebot. Die Waren werden dann zu einem höheren Preis im Straßenhandel verkauft oder sie landen im benachbarten Kolumbien.

Der Produktionsabfall macht auch beim staatlichen Ölgiganten PDVSA nicht halt. In den 1990er Jahren galt PDVSA als eines der am effizientesten geführten Ölkonzerne, heute wird das Ölunternehmen von Transparency International unter den weltweit intransparentesten Unternehmen geführt. Der Rauswurf von etwa 18 000 hochqualifizierten Mitarbeitern durch Chávez, hat das Unternehmen bis heute nicht verkraftet. Laut der Internationalen Energie-agentur, fiel die tägliche Produktion von 3,3 Mio. Barrel in 1997 auf 2.4 Mio. in 2006. Die Regierung behauptet weiterhin eine Produktion von 3,3 Mio. Barrel, aber es existieren keine gesicherten Zahlen. Experten befürchten, dass dem Unternehmen durch die milliarden-schweren Abgaben an den Staat, die nötigen Investitionen für die Produktion fehlen. Dabei ist das Land mehr denn je von den Erdöleinnahmen abhängig. Der Erdölsektor hat einen Anteil von über 90% beim Export und über 50% am Staatshaushalt.

Venezuela war einmal das wichtigste Erdöl-Exportland der Welt. Die Nutznießer waren damals die Erdölmultis in Bündnis mit einer kleinen Clique, wogegen der Großteil der Bevölkerung in völliger Verarmung lebte. Schon 1936 forderte der liberale Publizist und Reformer Arturo Uslar Pietri: Das Öl müsse gesät werden – sembrar el petróleo. Es war die Sorge vor der wachsenden Abhängigkeit Venezuelas vom Erdöl und die Aufforderung, die Einnahmen aus dem Ölreichtum als Volkseigentum so zu verwenden, dass neue Einnahme-quellen geschaffen werden. Modern gesagt: Venezuela vom reinen Rohstoff-Lieferanten zum industriellen Schwellenland ausbauen. Diese Forderung vor 75 Jahren ist heute mehr denn je aktuell. Ein dauerhafter Wohlstand muss erwirtschaftet werden, er begründet sich nicht auf eine zweifelhafte Verteilungspolitik aus den schwankenden Einnahmen des Ölgeschäfts.

Viele Wähler hatten die Hoffnung, Chávez werde einen solchen Weg zu einer modernen Industriegesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft und einer funktionierenden Rechtstaatlich-keit, gepaart mit einem rigorosen Kampf gegen Korruption und Vergeudung ansteuern. Er besaß die nötige Glaubwürdigkeit bei den ärmeren Schichten, um die neuen, anfangs gewiss schmerzlichen Schritte, durchzusetzen. Wie bereits erwähnt, war der überwiegende Teil der Bevölkerung - auch die Eliten - 1989 bereit, einen neuen und humaneren Weg für Venezuela zu suchen, samt einem Wirtschaftsmodell, das auf dem Fundament der Solidarität beruht und die Eigenart eines lateinamerikanischen Landes berücksichtigt. Ein Alternativmodell zum gefühllosen Wirtschafts-Liberalismus und glücklosen Sozialismus. Es war der Moment zur Durchführung dringlicher Strukturreformen und wohldurchdachter Entwicklungsprogramme. Hugo Chávez ist jedoch kein Mann, der zu einem Dialog fähig ist, überdies hatte er sich sehr früh auf sein Ziel - ein pseudo kommunistisches Wunschland - fixiert. Er und die Venezolaner haben diese einmalige Chance leider verpasst.

Germany Trade und Invest sieht für die venezolanische Wirtschaft noch schwierige Jahre auf die Bevölkerung zukommen. Die Stromkrise ist nicht überwunden, die verstaatlichte Schwerindustrie am Orinoco liegt am Boden. Die Zahl der Beschäftigten im informellen Sektor dürfte weiter zunehmen. Kurzfristig steht die Regierung vor der Herausforderung, die Wohnungsnot zu lösen. Es ist nicht erkennbar, wie der Bau von 2 Mio. Wohnungen in sechs Jahren umgesetzt werden soll, zumal die Baustellen nach der Verstaatlichung der privaten Bauträger stillstehen. Die Rohöl-Einnahmen werden trotz anhaltender Produktionsprobleme aller Voraussicht nach über denen von 2010 liegen.

Dank des sehr hohen Ölpreises ist das Land noch einigermaßen funktionsfähig, und es sind noch ausreichend Mittel verfügbar, um die Folgen der selbst erzeugten Wirtschaftsengpässe zu umgehen, aber Venezuela müsste mittelfristig mehr in den Erhalt und den Ausbau seiner Infrastruktur und weniger für den Konsum ausgeben, denn auf einen niedrigen Ölpreis oder auf eine Nach-Erdölzeit ist das Land überhaupt nicht vorbereitet. Es hat keine funktionierende Tourismusbranche und keine Kapitalbeteiligungen an ausländischen Konzernen, wie viele der arabischen Erdölländer. Was aber besonders folgenschwer ist, die gutausgebildete und arbeitswillige Jugend verlässt das Land. Mit wem soll Venezuela in der Nach-Chávez-Zeit wieder aufgebaut werden?

5. Reiche, Arme und Korruption

Gelegentlich kommt ein Polit-Tourist nach Caracas, um die „Bolivarische Revolution“ persönlich zu erleben. Aber wo? Aus Sicherheitsgründen kann er sich nicht alleine in die Armenviertel wagen. Geht er in Begleitung in die Barrios, so wird es auch dort für ihn schwierig sein, zwischen den Ankündigen der Regierung und der Realität zu unterscheiden. Zum Beispiel bei den Misiónes, die ursprünglich als Notstandsmaßnahmen konzipiert wurden. Einige dieser zahlreichen Sozialprogramme haben bestimmten Bevölkerungssektoren materielle Verbesserungen gebracht sowie Fortschritte im Sozialbereichen, wie bei der Gesundheitsversorgung, der Alphabetisierung oder mit Fortbildungsprogrammen. Andere zeichnen sich durch die allgegenwertige Korruption und Ineffizienz der Verantwortlichen aus, so verrotteten 2010 mehrere Zehntausende Tonnen Nahrungsmittel in den Häfen, die für die Lebensmittelläden Mercal bestimmt waren. Das Geld zur Finanzierung der Missionen stammt zum Großteil aus den Einnahmen des Ölgiganten PDVSA und unterliegt nicht der haushaltsrechtlichen Kontrolle. Hugo Chávez kann so das Geld nach Gutdünken und Laune verteilen, wodurch er die Sozialprogramme auch als politische Waffe vor Wahlen einsetzt und diese so einer Klientel-Politik dient. Manuel Rosales - der Kandidat für die Präsidentschaft-wahl 2006 - wollte hingegen die gesamte Bevölkerung an den Gewinnen des staatseigenen Ölkonzerns über die Debit-Karte Mi Negra beteiligen. Diese Form wäre sicherlich gerechter, da so alle Bevölkerungsschichten einen gerechten Anteil erhalten würden, einschließlich der finanziell oft angeschlagenen Mittelschicht. In Wirklichkeit aber sind diese „sozialen Errungenschaften“ doch nur kleine Almosen an das Volk, das bei grundlegenden Sozial- und Wirtschaftsreformen nach der Wiederkehr der Demokratie ab 1958, zusammen mit einer unentbehrlichen Moralität in der Gesellschaft und bei den Regierenden, heute in einem der reichsten Länder der Welt leben könnte.

Mit Sicherheit wird unser Tourist nicht die glücklichen Menschen in den Armenvierteln treffen, die das Info-Ministerium so zahlreich und bunt in den Broschüren zeigt. Die Zeiten, da Chávez bei Kundgebungen mit dem Fernglas das Ende der Ansammlung suchte, sind vorbei. Heute müssen Menschen mit Geld- und Sachgeschenke geworben und mit Bussen aus dem Inland zu Jubelveranstaltungen hergebracht werden. Das klingt wie Propaganda der Opposition, ist aber wahr. Die Kolonnen der Fahrzeuge in der Nähe der Versammlungen können nicht weggeredet werden.

Wo unser Polit-Tourist leichter hinkommt, sind die zahlreichen Einkaufszentren, die mit der Architektur, der Ausstattung und dem Warenangebot den deutschen Einkaufstempeln oftmals überlegen sind. Geht er nach Las Mercedes oder Altamira, entdeckt er gutbesuchte Luxus-Restaurants, in denen ein Essen ein kleines Vermögen kostet. Davor eine Auswahl von Pomp- und Premiumautos, identisch wie in jeder reichen Großstadt der Welt. Er wird sich die Augen reiben, wenn er zudem an zwei Golfplätzen vorbei kommt, die inmitten der Stadt liegen. Dieser oft sinnlose Luxus herrscht auch in den scharf bewachten Häusern und Wohlstands-wohnungen, in denen die Neu-Reichen des Chávismus die Alt-Reichen Schritt für Schritt ablösen. Sind das die Früchte des Sozialismus des 21. Jahrhunderts? Ganz gewiss nicht für das einfache Volk.

Venezuela war immer und wird immer ein reiches Land für eine privilegierte Minderheit bleiben. Diese Minorität muss man korrekterweise in Fraktionen dividieren. Da sind die „wirtschaftlichen Eliten“, wie man sie bei uns nennt, die man besser auch in zwei unterteilt, da sie gesellschaftlich selten miteinander verkehren. Einmal in den alten Geldadel, die Familien, die schon vor Jahrhunderten in das Land kamen und damals zu einer habgierigen Oberschicht aufstiegen, deren Denkweise der Ausdruck der damaligen Kolonialzeit war und das ausbeuterische Verhalten der Krone für sich verinnerlichte und ungehinderten Besitz über Mensch und Natur beanspruchte. Aber kann man darum die gegenwärtigen Generationen, die auf Universitäten in Amerika und Europa geschult worden, für die Fehler der Vorväter anprangern und bestrafen? Diese Personen managen heute riesige Konzerne, wobei sie naturgemäß an der Sicherung und Erweiterung des Besitzes des Clans interessiert sind, aber gleichzeitig fühlen sie sich auch verpflichtet, dem Gemeinwohl zu dienen. Eine Konfiszierung der Konzerne und Übergabe an bestechliche und unfähige Manager, würde das Durcheinander im Lande noch vergrößern.

Zu den Wohlhabenden zählen häufig auch jene Einwanderer, die ab den 1950er Jahren nach Venezuela kamen - viele aus Italien und Portugal und manchmal sprichwörtlich mit nur einem Koffer. Durch harte Arbeit, neue berufliche Herausforderungen und sehr günstige Voraus-setzungen für Investitionen, haben sie beachtliche Vermögenswerte in den letzten Jahrzehnten im Handwerk sowie in der Klein- und Mittelindustrie und im Handel erwirtschaftet. Heute ist die viel besser vorbereitete Nachfolger-Generation in der Verantwortung.

In Diskursen in Deutschland werden diese wohlhabenden Schichten oft als die einzigen Schuldigen für die krassen sozialen Unterschiede und die soziale und wirtschaftliche Unterentwicklung gebrandmarkt. Es gibt aber viele Hindernisse, die die Entwicklung des Landes begrenzen oder gar blockieren. Bevor „unsere Experten“ mit Patentrezepten voreilige Lösungen anbieten, sollten sie erst einmal die richtigen Fragen stellen und versuchen, diese zu beantworten, wie zum Beispiel: Ist die Unterentwicklung kulturell und erzieherisch bedingt? Wodurch haben die jeweiligen Regierungen die Entwicklung gebremst? Welche negativen Effekte haben die ständigen Wechsel der Wirtschaftsmodelle ­- Dirigismus oder Freihandel? Inwieweit ist die Mentalität der Latinos nachteilig? Wem nützt der Populismus? Kann die „Linke“ eine glaubhafte Alternative anbieten? Wie kann sich Europa engagieren, oder überlässt es China die Führung? Wirken die mitgebrachten Schwächen und Laster des „Mutterlandes“ Spanien bis heute - extreme Zentralmacht, Bürokratismus, Vetternwirtschaft? Welche Einflüsse haben Glauben und Moral: Katholische Glaubensgrundsätze, Werte- und Arbeitsethos sowie die Beeinflussung der neuen Freikirchen und Sekten? Der Themenkreis ist enorm weitläufig. Eine Antwort hier und jetzt zu suchen, würde den Rahmen dieser kurzen Betrachtung sprengen. Vielleicht sollte sich Chávez solche Fragen stellen und nebenbei sein: Eigentum vernichten in Eigentum verpflichtet wandeln, dass ein Gemeinwohl-Gebot einer sozialeren Wirtschaft ausdrückt und das Eigentum als große und prägende Kraft nutzt, ohne die negativen Folgen eines ausartenden Neoliberalismus.

Neben diesen reichen und produktiven Gruppen existiert eine wohlhabende Klasse, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichert. Dazu zählen die Korrupten in Politik, im Militär- und Verwaltungsapparat sowie die skrupellosen Geschäftemacher, die mit und durch die Bestechlichen reich werden. Wenn man nur die Zeit von 1958 bis jetzt rechnet, so muss der Verlust für den Staat gigantisch gewesen sein. Schon vor 30 Jahren wurde vermutet, dass die Venezolaner über 50 Milliarden US$ auf ausländischen Konten gebunkert haben. Extrem hoch waren die Kapitalflucht und die Korruption während der ersten Administration von CAP. In dieser Zeit fiel auch die erste Ölpreiskrise (1973), die den Ölpreis vervierfachte. Diese hohen Einnahmen wurden nur zum Teil in die Infrastruktur investiert, aber viel davon veruntreut. Zusätzlich wurde das Land noch verschuldet und Geld in harter Währung im Ausland geliehen, was dann ebenfalls entschwand. Als der Ölpreis wieder sank, waren die Guthaben weg und die Auslandsschulden außergewöhnlich hoch. Die Weltbank und der Internationale Währungsfond zwangen CAP in seiner zweiten Amtsperiode zu drastischen Umschuldungs- und Sparmaßnahmen. Zugespitzt kann man auch sagen: CAP verabreichte den Venezolanern eine ekelhafte Medizin gegen die Leiden, die er mitverschuldet hat. Die Schuldigen dieser organisierten Korruption und Staatsverschuldung wurden juristisch nie belangt. Kritik an der eigenen politischen Klasse erhob der damalige Vorsitzende der AD, Gonzalo Barrios: Man ist ja dumm, nicht zu klauen.

Dieser Ausspruch gilt auch noch heute. Chávez trat an, um die Korruption der traditionellen Parteien zu beenden. Er hat sie nicht beendet, aber sozialisiert. Heute sind viel mehr Personen - auch aus den unteren Sozialschichten - an der Ausplünderung des Landes beteiligt. Nach dem Index (CPI) von 2010, der Antikorruptionsorganisation Transparency International, ist Venezuela das korrupteste Land in Lateinamerika. Als Chávez 1999 die Präsidentschaft antrat, existierte eine Ölschwemme mit einem sehr tiefen Ölpreis, zeitweise unter 10 US$. Spant man einen Preis-Bogen von damals bis heute mit den gestiegenen Rohölpreisen der vergangenen Jahre, so müssen riesige Summen in das Land geflossen sein. Mit Sicherheit viel mehr als Europa nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Marschallplan erhielt. Gleichwohl lebt die Bevölkerungsmehrheit weiterhin in Elend und bitterer Armut.

Armut ist eine soziale Erscheinung: Es ist ein Zustand gravierender sozialer Benachteiligung, aber nicht nur bei der mangelnden Versorgung mit materiellen Gütern und Dienstleistungen, sie tritt auch in der Gestalt von schlechter Infrastruktur, Wassermangel, Stromabschaltungen, ungenügende Schulbildung, Perspektivlosigkeit, unzureichender medizinischer Versorgung, Alkohol, Drogen und einer sehr hohen Kriminalitätsrate auf. Es gibt wohl keine Person in Venezuela - egal aus welcher Sozialschicht - die nicht schon Opfer von Diebstahl, Einbruch, Betrug, Überfall, Entführung, Körperverletzung oder einer anderen Straftat wurde. Die Täter werden nur sehr selten gefasst. Es gilt praktisch Straffreiheit, es sei denn, sie werden bei der Tat getötet. Nach Angaben der venezolanischen Observatory of Violence (OVV), haben sich die Tötungsdelikte seit Chávez an der Macht ist, vervierfacht. 1999 gab es 4 550 Morde im Land, im Jahr 2009 gab es 16 047. Im Jahr 2010 sollen es fast 19 000 Menschen gewesen sein - nach Angaben der ARD-Tagesschau. Bleibt es bei dieser Steigerungsrate, wird sich die Beseitigung der Armut von allein lösen. Alle werden tot sein.

6. Der Putsch

In den Biographien über Hugo Chávez werden die Ereignisse um den Putsch im Jahre 2002 immer sehr fehlerhaft dargestellt. Jede Person, die einen PC bedienen kann, über etwas Spanisch-Kenntnisse verfügt und zu logischen Rückschlüssen fähig ist, könnte mit wenigen Mausklicks die Wahrheit über diese Tage, den 11. 12. 13. und 14. April, herausfinden.

Ich möchte die Geschehnisse dieser Tage Schritt für Schritt analysieren. Dazu nehme ich die Version von Wikipedia als Basis.

Wikipedia : Am dritten Streiktag, dem 11. April, bewegte sich eine Oppositionsdemonstration zur Zentrale der Petróleos der Venezuela (PDVSA). Nach Angaben lateinamerikanischer Journalisten nahmen an ihr 50.000 bis 200.000 Personen teil, während die Opposition von bis zu einer Million Teilnehmern ausgeht. Carlos Ortega, der Vorsitzende der Gewerkschaft CTV und Pedro Carmona, der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Fedecámaras, lenkten die Demonstration jedoch zum Präsidentenpalast Miraflores um, wo sich Chávez-Anhänger versammelt hatten.

Nach der Kundgebung forderten Redner die Teilnehmer auf, den Demonstrationszug bis zum etwa acht Kilometer entfernten Präsidentenpalast Miraflores fortzusetzen. Dieser Entschluss wurde spontan getroffen. Die Wortführer hätten sich aber darüber klar sein müssen, dass ein solcher nicht angekündigter und nicht autorisierter Marsch, von Chávez als Provokation - möglicherweise beabsichtigt - aufgefasst werden musste, daher war diese Aufforderung verantwortungslos und sträflich. An dieser Demonstration beteiligten sich weniger Personen, als noch am Vormittag. Die soziographische Struktur der Gruppe war jedoch identisch. Es waren Frauen und Männer aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Junge und Alte, Weiße und Schwarze. Alle waren unbewaffnet und friedfertig. Von dieser Gruppe ging keine physische Gewalt aus. Daher hätte der Marsch leicht und unblutig auf seinem Weg gestoppt, umgeleitet oder aufgelöst werden können, von beiden Seiten, aber so marschierten die ahnungslosen Teilnehmer in eine blutige Konfrontation.

Zeitgleich ließ Chávez einen Verteidigungsring um Miraflores aufbauen. Dabei konnte er alle militärische und nicht militärische Mittel einsetzen. Die Guardia de Honor, die autorisiert war, Scharfschützen auf die umliegenden Hochhäuser zu platzieren, die paramilitärische Guardia Nacional, die Geheimpolizei (DISIP), Hubschrauber mit Überwachungskameras sowie zivile Anhänger, die mit Steinen, Stöcken und/oder Pistolen bewaffnet waren. Und wenn das alles noch nicht genug war gegen eine aus Zivilisten bestehende Demonstration, rief Chávez noch den Plan Avila aus, was bedeutete, dass andere Militäreinheiten Polizeiaufgaben in den Städten übernehmen sollten. Die Militärführung weigerte sich jedoch, diesen Befehl auszuführen. Der Plan Avila wurde zuletzt von Carlos Andrés Pérez bei den gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen im Jahr 1989 ausgerufen und kostete über tausend Menschen das Leben. Chávez rechtfertigte später seinen Putschversuch mit genau dieser übertriebenen Härte, die CAP mit diesem Aktionsplan einsetzte.

Wikipedia : Als die Oppositionsdemonstration in die Nähe des Miraflores-Palastes kam, versuchten Anhänger der Palastgarde, die Unterstützer und Oppositionellen auseinander-zuhalten. Die Situation eskalierte, als Angehörige der Hauptstadtpolizei, die damals dem offen antichávistischen Bürgermeister Alfredo Peña unterstand, in die Menge der Chávez-Anhänger schossen zahlreiche Beweise für die Verwicklung der Stadtpolizei in den Putsch legen laut Narconews die Vermutung nahe, dass der rücksichtslose Polizeieinsatz als Vorbereitung zum folgenden Staatsstreich diente.

Caracas ist in fünf Distrikte aufgeteilt, jeder hat seine eigene Polizei. Die Hauptstadtpolizei, die Policia Metropolitana (PM), ist die älteste Polizei und zuständig für den Distrikt, in dem sich der Miraflores-Palast befindet. Viele Mitglieder der PM rekrutieren sich aus den unteren Sozialschichten. Ihre Wohnungen befinden sich meistens auch in den ärmeren Vierteln, also genau da, wo Chávez seine meisten Anhänger hat. Vermutlich waren viele Polizisten Wähler von Chávez, daher keine Sympathisanten der Opposition. Sie begleiteten den Marsch nicht aus ideologischen Gründen, sondern sie erfüllten die Aufgabe jeder Polizei, eine Protest-Demonstration zu begleiten und zu beschützen. Die Behauptung, dass diese unmotivierten und schlecht ausgerüsteten Polizisten in eine vom Militär geschützte Anhängerschaft von Chávez schossen, kann nur aus der Phantasie eines labilen Geistes strammen. Natürlich gibt es auch keine Bildbeweise, die diese Anschuldigungen bekräftigen. Dagegen dokumentieren die ausgestrahlten TV-Bilder, wie sie selber beschossen wurden und Deckung suchten. Die Polizisten erwiderten lediglich das Feuer der Heckenschützen und der schießwütigen Chávistas auf der Brücke Llaguno. Die Läufe ihrer Waffen zeigten immer nach oben.

Wikipedia: Insgesamt wurden 19 Personen getötet und über 300 verletzt. Die Opfer waren ungefähr zur Hälfte Anhänger von Chávez und der Opposition. Alle oppositionellen Fernsehsender berichteten jedoch wahrheitswidrig, Chávez-Anhänger hätten in die Oppositionsdemonstration geschossen. Sie suggerierten dies auch durch geschickte Schnitte und eine chronologisch falsche Anordnung der Ereignisse in der Fernsehberichterstattung.

Ab 15:45 begann Chávez eine Rede und alle Medien mussten zu einer Kettenschaltung des staatlichen Fernsehens umschalten. Die privaten Medien waren gezwungen, ihre Live-Berichterstattung von der Demo zu unterbrechen. Es war genau der Moment, an dem die Schießerei geplant war. Geistesgegenwärtig entschieden sich die privaten Sender, das Fernsehbild zu teilen. Auf der einen Hälfte Chávez mit Ton, auf der anderen das Blutbad ohne Ton. Die Vorstellung, dass unter Beschuss stehende Fernsehtechniker, Kameramänner und Reporter „geschickte Schnitte und falsche Bildsequenzen produzierten“, kann nur von einem noch labileren Geist stammen. Wenn diese Live-Bilder „wahrheitswidrig“ waren, wo sind dann die „wahren“ Bilder, die der gesamte Staatsapparat hätte machen können, bzw. hätte machen müssen. Die genaue Anzahl der Toten - fast alle durch Kopfschuss - und der Verletzten ist nicht bekannt. Der überwiegende Teil waren Unbewaffnete der Opposition, mit Ausnahme des ersten Opfer, der ein als Pressefotograf verkleideter Undercoveragent der Geheimpolizei war - erschossen von seinen eigenen Kameraden - und ein Toter auf der Brücke Llaguno. Er soll jedoch als Lebloser dorthin gebracht worden sein.

Wikipedia: Die Opposition machte Hugo Chávez für die Toten der Scharfschützen verantwortlich und rechtfertigte mit ihnen den folgenden Putsch. Am 12. April kam es zum Putsch. Der Generalstab des Militärs, der den Staatsstreich vorbereitet hatte, nahm die Toten zum Anlass, Chávez nicht mehr anzuerkennen und ordnete am 12. April 2002 seine Verhaftung an.

Die Opposition „machte“ nicht Chávez für die Toten verantwortlich, Chávez war dafür verantwortlich. Die Chávez-Gegner im Offizierskorps verlangten den Rücktritt und die Bestrafung des Präsidenten. Es ist genau die Reaktion, die wir heute von den Militärs in den arabischen Staaten gegen deren Despoten fordern. Um ein mögliches Blutvergießen innerhalb der venezolanischen Streitkräfte zu vermeiden, willigten die Chávez-Anhänger ein. Der regimetreue Kommandant des Heeres, General Efrain Vásquez, informierte die Presse, dass mit Chávez über dessen Rücktritt verhandelt wird. In den Morgenstunden des 12. April, verkündete der Kommandant der Streitkräfte, General Lucas Rincon, eskortiert vom Generalstab, den Rücktritt mit den Worten: „ … wegen der Vorkommnisse des Tages wurde der Präsident ersucht zu demissionieren ...er akzeptierte “.

In einer Anhörung des Parlaments im Mai 2002, bestätigte Rincon den verbalen Rücktritt von Chávez, allerdings verweigerte dieser die Unterschrift unter das Rücktrittsdokument, da die Chávez-Gegner ihm nicht die freie Ausreise in ein Land seiner Wahl zugestehen wollten, er sollte für seine Verbrechen bestraft werden. Tatsache ist, Chávez war vor dem Generalstab zurückgetreten, ob seine Unterschrift zwingend war, darüber streiten sich noch heute die Rechtsgelehrten. Der Aussage Rincons dürfte nicht angezweifelt werden, denn er war ein enger Vertrauter Chávez. Die Vorkommnisse schadeten auch nicht seiner Karriere, er wurde danach Verteidigungsminister, Innen- und Justizminister und Botschafter.

Wikipedia: Noch am selben Tag ließ sich Pedro Carmona als Übergangspräsident vereidigen. Dieser löste als seine erste Amtshandlung das Parlament und das Oberste Gericht auf, was national wie international auf scharfe Kritik stieß.

Die Selbsternennung Pedro Carmonas zum Präsidenten, mit der verlogenen Rechtfertigung, das Machtvakuum zu füllen und die durch sein Dekret faktische Auflösung der Gewalten-Teilung, war ein entsetzlicher Fehler und die größte Dummheit dieses Mannes. Nach internationalem Recht war das ein Putsch. Die Bürger wurden von ihm hintergangen und für viele ist es noch heute unbegreiflich, wie dass passieren konnte. Auch die Organisatoren der Prostete - Carlos Ortega war aufgebracht und verbittert und kritisierte offen Carmona - und die Medien wurden davon überrascht. Aber die Freude über den Rücktritt von Chávez war so groß, dass man die Sachlage nicht richtig verstand oder verstehen wollte, obwohl es etliche kritische Stimmen in den Medien gab. Sie beanstandeten besonders die Nichtachtung der Konstitution und das faschistische Gehabe Carmonas. Dafür haben sich die Menschen und die Medien nicht engagiert.

Die Militärs konnten die Rechtsbeugung nicht hinnehmen. Der in Maracay stationierte General Raúl Baduel verlangte öffentlich, die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzu-stellen. Am 13. April übernahm der Vizepräsident, Diosdado Cabello, vorübergehend die Präsidentschaft. Er war bis zu diesem Zeitpunkt untergetaucht gewesen. Cabello hätte Staatsraison und Mut bewiesen, wenn er schon am Vortag aus seinem Versteck gekommen wäre und die Präsidentschaft für sich eingefordert hätte. Die Geschichte des Landes wäre sicherlich anders verlaufen. Am 14. April kehrte Chávez zurück.

Wikipedia: Nach dem Putsch kam es zu zahlreichen Feuergefechten, Straßenschlachten und Hausdurchsuchungen, in dessen Folge weitere 50 bis 70 Menschen starben, hauptsächlich Aktivisten der sozialen Bewegungen in den Armenvierteln.

Mit dieser Falschmeldung wird suggeriert, dass die Putschisten die Repräsentanten des Chávez-Lager verfolgten und ermordeten. In Wirklichkeit waren diese untergetaucht, nicht nur der Vizepräsident, auch die Minister und die Abgeordneten der Regierungsparteien, der Generalstaatsanwalt und alle anderen Galionsfiguren versteckten sich oder flüchteten in befreundete Botschaften. Es herrschte ein Machtvakuum, auf das sich Carmona berief. Dieses Durcheinander setzte zudem sinnlose kriminelle Energie frei, samt Plünderungen und Verwüstungen von Autos, Geschäften und kleinen Betrieben in den von der ärmeren Bevölkerung bewohnten Stadtteilen Catia, Buena Vista und Los Chaguaramos. Der Pöbel herrschte in den Straßen. Auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen Verteidigungsministers, Jose Vicente Rangel, berichteten die Medien nicht von den Ausschreitungen, da er eine Eskalierung wie im Jahre 1989 vermeiden wollte.

Wikipedia: Der Staatsstreich löste Massenproteste bei weiten Teilen der Bevölkerung aus, an denen sich im ganzen Land mehrere Millionen Menschen beteiligten.

Die Militärs entzogen Chávez die Macht und sie gaben sie ihm auch wieder zurück. Das Volk hatte damit nichts zu tun. Die von allen Nichtswissern immer wieder wiederholte Version, wonach Millionen von Pro-Chávez-Demonstranten den Staatsstreich beendeten und dadurch Chávez wieder zurück an die Macht beförderte, ist nur eines von vielen Propaganda-Märchen, ein Wunschbild Chávez, das nur der Legendenbildung dient.

Bis heute gab es keine kriminalpolizeilichen Untersuchungen der Geschehnisse. Auch eine parlamentarische Untersuchungs-Kommission von unabhängigen Experten wurde abgeblockt. Warum? Aus Angst vor der Wahrheit! Die internationale Presse hätte spätestens jetzt die Pro-Chávez-Version überprüfen müssen, die mit den willkürlichen Verurteilungen der Haupt-Kommissare und einfachen Polizisten zu dreißigjährigen Freiheitsstrafen, ihre niederträchtige Fortsetzung fand. Da die Angehörigen der Opfer keine Bestrafung der wahrhaftig Schuldigen in Venezuela erwarten können, wandten sie sich an das Ausland. Anwälte übergaben dem spanischen Untersuchungsrichter Balthasar Garzon Dokumente, die eine Schuld Chávez an den Taten belegen. Garzon ist der Richter, der Augusto Pinochet verhaften ließ.

Wie menschenverachtend das System ist, zeigen auch die Säuberungen der PM durch den linientreuen Bürgermeister Juan Barreto. Durch ihn wurden hunderte Polizisten ausgetauscht oder in den Ruhestand versetzt. Rechnet man die Zahlen auf die Familien hoch, so waren 3000 bis 4000 Menschen davon betroffenen. Wie ich schon erwähnte, die meisten aus einfachen Verhältnissen. Die Polizisten waren die Sündenböcke, wogegen die zivilen Pistoleros der Brücke Llaguno von Chávez belobigt und mit dem Orden „Helden der Revolution“ ausgezeichnet wurden.

Es ist mir unverständlich, dass die Mehrzahl der Publikationen - einschließlich der öffentlich-rechtlichen Anstalten - so einseitig und unrichtig über diese Vorgänge referieren. Auch unsere Medien wiederholen beharrlich die offizielle Version und führen keine eigenen Recherchen durch. Neben den erwähnten Darlegungen gibt es viele hier unveröffentlichte Berichte von Augenzeugen sowie das Insiderwissen von Journalisten-Innen, die mit den Militärs zusammen diese Tage erlebten. Die Öffentlichkeit in Deutschland hat ein Recht, die Wahrheit über den Putsch zu erfahren.

In YouTube existieren zahlreiche authentische Aufzeichnungen des 11. bis 14. April 2002. Jedoch auch irreführende Videos, diese kann man meistens an dem sichtbaren „ V“ mit einem Querbalken erkennen. Das Markenzeichen des staatlichen Senders: Venezolana de Televisón.

Für weitere Information empfehle ich die Videos:

La Cadena (1al5)

Tiempo de Marcha (1al5)

Dia que Chávez mando a masacrar al pueblo

Chavez renuncio

Comisarios de la PM

Habla el capitán venezuelano que vio llorar Hugo Chaves

Diese Videos sind nicht die Quelle dieser Abhandlung, ich war Zeitzeuge in Caracas.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Hugo Chávez und Venezuela: Tatsachen
Autor
Jahr
2011
Seiten
14
Katalognummer
V180942
ISBN (eBook)
9783656055471
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
hugo, chávez, venezuela, tatsachen
Arbeit zitieren
Jaime Moeller (Autor:in), 2011, Hugo Chávez und Venezuela: Tatsachen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180942

Kommentare

  • Gast am 24.1.2012

    Großartige Darstellung über Hugo Chávez und Venezuela. Die meisten Kommentare über Chávez und Venezuela sind unvollkommen und unglaubwürdige. Ich kann diese Arbeit nur empfehlen.
    Arturo

Blick ins Buch
Titel: Hugo Chávez und Venezuela: Tatsachen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden