Die Rekonstruktion des Rawlschen Differenz- bzw. Unterschiedsprinzips


Hausarbeit, 2011

19 Seiten, Note: 1, 0


Leseprobe


Fragestellung A1: Rawls versteht das Differenzprinz als Auslegung der Auffassung, dass Ungleich- heiten hinsichtlich sozio- materieller Güter nur dann akzeptabel sind, wenn sie zu „jedermanns Vorteil“ sind. Rekonstruieren Sie Rawls Begründung für diese Auffassung unter besonderer Berück- sichtigung der Annahme, dass die soziale Gerechtigkeit die oberste Tugend gesellschaftlicher In- stitutionen ist und sich auf die Grundstruktur („basic structure“) bezieht. Nehmen Sie kritisch Stellung zu Einwänden gegen die besondere Berücksichtigung, die das Differenzprinz der Position der am schlechtesten Gestellten zuweist.

Einführende Bemerkungen

Zur Beantwortung der formulierten Fragestellung werde ich sowohl die beiden Essays „Distributive Justice“ (1967) und „Distributive Justice: Some Addenda“ (1968) als auch die erstmalig 1971 erschienene Monographie „A Theory of Justice“ (dt. „Eine Theorie der Gerechtigkeit“) von John Rawls (1921- 2002) in der deutschen Übersetzung von Hermann Vetter gleichberechtigt heran- ziehen. Diese Herangehensweise an die Fragestellung entspricht dem von Rawls selbst bestätigten komplementären Charakter der Texte1. Komplementär bedeutet selbstverständlich nicht identisch und ich werde gegebenenfalls auf modifizierte Argumentationsführungen oder verschobene Akzent- setzungen zwischen den Essays und der Monographie bei Rawls verweisen, falls dies für meine eigenen Ausführungen von Belang ist.

I.:) Die Grundstruktur und das Differenzprinz

Wenn wir die Frage beantworten wollen, wie Rawls das Differenzprinz begründet, sollten wir uns meines Erachtens die Frage stellen, warum sich die von Rawls auf Seite 133 seines Essays „Distributive Justice“ erstmalig formulierten Gerechtigkeitsgrundsätze auf die Grundstruktur der Gesellschaft beziehen müssen. Sie müssen sich auf die Grundstruktur der Gesellschaft beziehen, weil es eben diese Grundstruktur ist, die Ungleichheiten überhaupt erst hervorbringt. Denn die Grundstruktur umfasst nach Rawls Definition die Verfassung einer bestimmten Gesellschaft und die wichtigsten sozialen und ökonomischen Institutionen2. Die Gesamtheit dieser Institutionen setzt die Rechte und Pflichten der Menschen fest und beeinflusst zugleich partiell ihre Lebenschancen, ihre Erwartungen dahingehend, was sie in einer solchen Gesellschaft realistischerweise „werden können und wie gut es ihnen gehen wird“3. Es besteht darüber hinaus nicht einmal die Möglichkeit, sich der Auswirkungen der Grundstruktur auf die eigene sozio- materielle Zukunft zu entziehen, da wir bei unserer Geburt eine bereits verregelte Welt, eine bereits etablierte Grundstruktur vorfinden, in der unterschiedlichen Einkommensklassen, unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen unterschied- lich verfügbare sozio- ökonomische Möglichkeiten offenstehen, d. h. je nachdem, in welche gesellschaftliche Position wir hineingeboren werden, stehen uns aufgrund des schon bestehenden „fundamentalen Systems von Rechten und Pflichten“4 mehr oder weniger sozio- ökonomische Optionen zur Verfügung. Es bedeutet aber auch, dass die Grundstruktur bestimmte Menschen bzgl. ihrer Zukunftsaussichten privilegiert und andere benachteiligt und das sind die „besonders tief- greifende[n] Ungleichheiten“5, auf die sich die beiden Gerechtigkeitsgrundsätze beziehen . Der zwingende Bezug der Gerechtigkeitsgrundsätze zur gesellschaftlichen Grundstruktur ergibt sich daraus, das die Gerechtigkeitsgrundsätze die „politische Verfassung und die Hauptzüge des wirtschaftlichen und sozialen Systems“,6 bestimmen, d. h. über die konkrete Ausgestaltung der Institutionen befinden, aber auch das Verhältnis der Institutionen zueinander festlegen. Wenn die Grundstruktur einer Gesellschaft, verstanden als Gesamtheit der Institutionen und ihrer Anordnung, die Lebenschancen unterschiedlicher Individuen unterschiedlich (positiv- negativ) beeinflusst, dann beeinflusst eine Gerechtigkeitskonzeption und die ihr zugrundeliegenden Gerechtigkeitsgrundsätze die Gestalt der Grundstruktur.

Nun könnte man einwenden, wenn unter der Annahme einer „konstitutionalistische[n] Stunde Null“7, d. h. unter der Prämisse, wir werden nicht in ein bereits existierendes System hineingeboren, das Rechte und Pflichten und damit einhergehend Lebenschancen verteilt, sondern anhand einer Gerechtigkeitskonzeption und der dieser zugrundeliegenden Gerechtigkeitsgrundsätze könnten wir selbst darüber entscheiden, welches Erscheinungsbild die gesellschaftliche Grundstruktur annimmt, in der wir leben, warum entscheiden wir uns dann nicht für eine Grundstruktur, die Ungleichheiten erst gar nicht mehr produziert, zumal wenn man (mit der Mehrheit der Rawls- Interpreten) in Rawls einen Egalitaristen8 erblickt? Die Antwort auf diese Frage erteilt uns Rawls selbst, wenngleich etwas beiläufig. Er hält die aus der Grundstruktur einer Gesellschaft resultierenden Ungleichheiten und damit auch Unterschiede in der Einkommens und Vermögensverteilung für „unvermeidlich“9.

Angesichts der von Rawls postulierten Unvermeidlichkeit von Disparitäten können wir uns zu dies- en Ungleichheiten lediglich verhalten. Aber auch wenn wir die Entstehung von Ungleichheiten nicht verhindern können, Unterschiede10 sind nicht gerechtigkeitsneutral, d. h. die faktische Existenz von Ungleichheiten legitimiert diese nicht ethisch- moralisch. Es bedarf folglich eines Gerechtigkeitsgrundsatzes zur Überprüfung der ethisch- moralischen Qualität von Unterschieden. Das Differenzprinzip erfüllt exakt diese Aufgabe, indem es erklärt, das die durch die gesellschaft- liche Grundstruktur verursachten Ungleichheiten und damit einhergehend auch Unterschiede in der Einkommens und Vermögensverteilung zw. verschiedenen Individuen und sozialen Klassen nur dann hinnehmbar, nur dann akzeptabel sind, wenn sie „zu jedermanns Vorteil“ gereichen. Oder aus der Perspektive der Ungleichheiten selbst formuliert: Wenn sie solcherart beschaffen sind, dass sie tatsächlich jedem zum Vorteil gereichen und damit den ersten Teil11 des Differenzprinzips erfüllen, dann verschafft ihnen das Differenzprinzip eine ethisch- moralische Existenzberechtigung und führt sie damit über den Status der unbefriedigenden faktischen Existenz hinaus. Die bisherige Dar- stellung hat gezeigt, welcher Kausalzusammenhang zw. der Grundstruktur der Gesellschaft und der den jeweiligen Gerechtigkeitskonzeptionen zugrundeliegenden Gerechtigkeitsgrundsätze besteht und welche Funktion das Differenzprinzip in der von Rawls entwickelten Gerechtigkeitstheorie ein- nimmt. Allerdings beschränkten sich die bisherigen Ausführungen auf das Differenzprinzip in seiner allgemeinen Form und nicht auf die spezifische, von Rawls entwickelte Interpretation12 des Differenzprinzips, derzufolge die Legitimität von sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden davon abhängt, ob sie den Schlechtestgestellten zum Vorteil gereichen. Diese von Rawls unter- nommene Hinführung zu einem Verständnis des Differenzprinzips, das der Position der am wenigsten Begünstigten eine prioritäre Bedeutung bei Gerechtigkeitsüberlegungen einräumt, erfolgt in Abgrenzung13 zu alternativen Gerechtigkeitsvorstellungen, die auf anderen Grundsätzen basieren. Da die hierbei von Rawls betriebene Offenlegung der Gerechtigkeitsdefizite anderer Interpretation- en des ersten Teils des Differenzprinzips der Zielsetzung dient, die Richtigkeit der eigenen Deutung des Differenzprinzips zu bekräftigen, möchte ich mich nunmehr dieser von Rawls angestrengten Auseinandersetzung mit diesen Alternativinterpretationen zuwenden.

II.:) Die historische und pareto- optimale Interpretation des Differenzprinzips

Rawls bemüht sich auf Seite 134 seines Essays „Distributive Justice“ um eine Konkretisierung der Forderung, derzufolge sozio- ökonomische Gleichheiten zu „jedermanns Vorteil“ sein müssen. Er führt aus, infolge der Tatsache, dass das Differenzprinzip sich auf gesellschaftliche Institutionen bezieht, sei es dahingehend zu interpretieren, dass durch die Grundstruktur der Gesellschaft hervor- gebrachte sozio- ökonomische Unterschiede in Gestalt einer disparaten Einkommens und Vermögensverteilung zw. unterschiedlichen sozialen Klassen den repräsentativen Männern der entsprechenden relevanten sozialen Klassen zum Vorteil gereichen müssen. Rawls geht dabei davon aus, dass es möglich ist, einer jeden sozialen Klasse eine bestimmte Erwartungshaltung zu- zuschreiben. Es besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den mit einer bestimmten sozialen Position verbundenen sozio- materiellen Erwartungshorizont zu erweitern oder auch einzuengen; und zwar durch die im Rahmen des institutionellen Gesamtsystems vorzunehmende Neuzuschreibung von Rechten und Pflichten. Dieses vorläufige Verständnis des Ausdrucks zu „jedermanns Vorteil“ reicht Rawls allerdings nicht, daher der Versuch der Formulierung einer noch präziseren Interpretation.

Die erste von Rawls offerierte Interpretation deutet zu „jedermanns Vorteil“ dahingehend, dass sich eine Besserstellung für alle aus einem Vergleich mit einem historisch relevanten Referenzpunkt ergibt. Allerdings weist Rawls eine solche Auslegung zurück, weil für ihn

a.) historische Vergleiche überhaupt keine Relevanz für die Gerechtigkeitsfrage aufweisen und

b.) weil wenn diese Besserstellung aller lediglich aus einer Gegenüberstellung der eigenen, zu- mindest über Institutionen verfügenden Gesellschaft, und des anarchischen, einer solchen Verregel- ung der menschlichen Beziehungen entbehrenden Naturzustandes resultiert, die Behauptung einer Besserstellung 14 für alle zwar zutrifft, aber zugleich eine nichtssagende Banalität darstellt. Denn vor dem Hintergrund einer solchen Argumentationsführung kann jede Überwindung eines vorpolitisch- en, vorgesellschaftlichen Zustandes, selbst eine Gesellschaft von Sklavenhaltern als Besserstellung aller ausgegeben werden. Allerdings verbessert sich dadurch keineswegs die Situation für alle, denn der Sklave, der in einer solchen Gesellschaft sogar der persönlichen Freiheit beraubt ist, empfindet eine solche Gesellschaftsform berechtigterweise als zutiefst ungerecht. Allerdings resultiert die Ungerechtigkeit einer solchen Gesellschaft nicht aus der Verletzung des subjektiven Gerecht- igkeitsempfindens des seine persönliche Freiheit entbehrenden Sklaven, sondern aus der objektiven Nichterfüllung der „Rawlschen“ Gesellschaftsdefinition, die Gesellschaft als ein „kooperatives Unternehmen zum wechselseitigen Vorteil“15 charakterisiert. Die eklatante Ungerechtigkeit einer solchen Gesellschaftsorganisation besteht folglich in der völlig arbiträren Verteilung der Lasten und Früchte sozialer Kooperation16, der zwingenden Prämisse für die Ermöglichung17 eines für alle befriedigenderen Daseins.

Eine zweite, von Rawls untersuchte, Interpretation deutet den ersten Teil des Differenzprinzips im Sinne der Pareto- Optimalität bzw. des Effizienzprinzips aus. Die Wohlfahrt einer Gruppe ist dann pareto- optimal, wenn es nicht mehr möglich ist, die Position eines Mitglieds der Gruppe noch zu verbessern, ohne gleichzeitig die Position mindestens eines anderen Gruppenmitglieds zu ver- schlechtern. Auf eine Verteilung einer bestimmten Gütermenge unter eine gegebene Anzahl von Personen übertragen ist Pareto- Optimalität dann erreicht, wenn es nicht mehr möglich ist, eine Umverteilung der Gütermenge vorzunehmen, ohne dass die dadurch erzielte Verbesserung der Stellung einer Person bei der Verteilung die Verschlechterung der Position mindestens einer anderen Person bei der Verteilung nach sich zieht. Wenn wir das Effizienzprinzip auf Institutionen beziehen, dann sagt es folgendes aus: Eine optimale Erwartungsstruktur, bezogen auf die Rawlsche Annahme der Möglichkeit der Assoziierung einer spezifischen Erwartung mit einer bestimmten sozialen bzw.

[...]


1 Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main, 1975, S. 11

2 Distributive Justice, S. 134

3 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 23

4 Distributive Justice, S. 133

5 Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 23

6 Ebenda, S. 24

7 Kersting, Wolfgang: Theorien der sozialen Gerechtigkeit, Stuttgart/Weimar, 2000, S. 69

8 Da die Frage, ob Rawls Egalitarist ist oder auch nicht, nicht zu der hier zu bearbeitenden Aufgabenstellung gehört, nur so viel: Harry Frankfurt charakterisiert Egalitaristen als Moralphilosophen, die an den inhärent moralischen Wert einer bestimmten Form der Gleichheit glauben. Auf die Verteilungsgerechtigkeit bezogen ergibt sich aus dieser Grundüberzeugung der egalitaristische Standpunkt, dass aufgrund der Selbstevidenz der Gerechtigkeit einer Gleich- verteilung von Gütern nur die Ungleichverteilung der Rechtfertigung bedarf. Frankfurt, Harry: „Gleichheit und Achtung“, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 47 (1999), S. 3- 4, 8. Akzeptiert man die egalitaristische Deutung Frankfurts als zutreffend, dann kommt Rawls zumindest auf Seite 83 von „Eine Theorie der Gerechtigkeit“ dem egalitaristischen Ideal einer gerechten Verteilung recht nahe. Dort formuliert er seine allgemeine Gerechtigkeits- vorstellung folgendermaßen: „Alle sozialen Werte- Freiheit, Chancen, Einkommen, Vermögen und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung- sind gleichmäßig zu verteilen, soweit nicht eine ungerechte Verteilung jedermann zum Vorteil gereicht“.

9 „.differences in life- prospects arising from the basic structure are inevitable,...“. Distributive Justice, S. 143. Meines Erachtens geht aus den Ausführungen Rawls allerdings nicht dezidiert hervor, ob er sich auf eine real existierende oder eine hypothetische Grundstruktur bezieht, hervorgegangen aus dem „hypothetischen Ereignis“ („Distributive Justice: Some Addenda“, S. 173), des „Urzustandes“, einer Situation der Freiheit und Gleichheit, in

der sich infolge ihres absolut gleichen moralischen Status absolut gleichberechtigte Personen auf Gerechtigkeits- grundsätze einigen, die dann bei der Ausgestaltung der Grundstruktur zum Einsatz kommen.

10 Ich werde in meinem Essay die Begriffe „Ungleichheiten“, „Unterschiede“ und „Disparitäten“ gleichberechtigt benutzen, wobei ich annehme, dass alle drei verwendeten Begriffe die gleiche Bedeutung aufweisen.

11 Rawls bedient sich in seinem Essay „Distributive Justice: Some Addenda“ einer im Vergleich zu „Distributive Justice“ modifizierten Wortwahl, um das über den Gerechtigkeitsgehalt sozio- ökonomischer Unterschiede richtende Differenzprinz noch klarer auszudrücken: „Distributive Justice: Some Addenda“, Seite 154: „and second, social and economic inequalities are to be arranged so that they are both (a) reasonably expected to be to everyone´s advantage, and (b) attached to positions and offices equally open to all“. „Distributive Justice“, Seite 133: „and second, inequalities as defined by the institutional structure or fostered by it are arbitrary unless it is reasonable to expect that they will work out to everyone´s advantage and provided that the positions and offices to which they attach or from which they may be gained are open to all“.

12 Diese Interpretation ist eine Antwort auf eine von insgesamt drei von Rawls auf S. 133 seines Essays „Distributive Justice“ formulierten Fragestellungen, die seinen Aufsatz strukturieren. Die Fragen lauten wie folgt: 1.) Wie sind die Gerechtigkeitsgrundsätze zu deuten, wenn sie die Grundlage einer „konsistenten“ und „vollständigen“ Gerecht- igkeitstheorie abgeben sollen? 2.) Ist es möglich, Institutionen einer Verfassungsdemokratie so zu kombinieren, dass sie die Erfüllung der beiden Gerechtigkeitsgrundsätze, zumindest in Ansätzen, ermöglichen? 3.) Gibt es eine Kompatibilität zw. den beiden Gerechtigkeitsgrundsätzen und Gerechtigkeitsbegriffen des gesunden Menschen- verstandes?

13 Die von Rawls im Essay „Distributive Justice“ unternommene Auseinandersetzung mit anderen Gerechtigkeits- vorstellungen und die dabei von ihm betriebene Offenlegung von Gerechtigkeitsdefiziten eben dieser alternativen Gerechtigkeitskonzeptionen verfolgt unterschiedliche Zielsetzungen: Mit der Ungerechtigkeit des utilitaristischen Nutzenprinzips, das primär auf die Maximierung der Vorteils bzw. Satisfaktionssumme abzielt, ohne sich, außer indirekt, mit der Verteilungsgerechtigkeit zu befassen und das darüber hinaus auch Verstöße der prinzipiellen, weil auf Gerechtigkeit gegründeten, Unverletzlichkeit des Menschen mit Verweis auf die Erreichung bestimmter Ziele legitimiert, begründet Rawls die Notwendigkeit der Entwicklung einer kontraktualistischen Alternative; einer kontraktualistischen Alternative, deren Grundgedanken, den in einer Situation der souveränen Entscheidungsfreiheit und Gleichheit (in der klassischen Vertragsdoktrin der „Naturzustand“, in der Rawlschen Diktion der „Urzustand“, bei Kersting „die konstitutionalistische Stunde Null“) zustande gekommenen Vertrag er übernimmt, aber auch zugleich modifiziert, in dem er ihn nicht auf den Gründungsakt einer Gesellschaft, sondern auf die im „Urzustand“ zu erzielende Einigung bzgl. angemessener Gerechtigkeitsgrundsätze zw. gleichen und freien Vertragspartnern überträgt. Die durch den „Urzustand“ garantierte absolute Gleichheit der Vertragsparteien und der Entscheidungs- bedingungen garantiert dann anschließend die Akzeptanz und die Fairness der vertraglichen Übereinkunft bzgl. der Gerechtigkeitsgrundsätze. Distributive Justice, S. 130- 131; ergänzend hierzu: Distributive Justice: Some Addenda, S. 167- 169; Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 11- 12, 28- 29. Mit der Zurückweisung konkurrierender Inter- pretationen des ersten Teil des Differenzprinzs („Distributive Justice“, S. 134- 137) begründet Rawls hingegen die Notwendigkeit, eine nicht gerechtigkeitsdefiziente Deutung des Differenzprinzips zu formulieren.

14 Eine solche Besserstellung qua historischer Relation wäre in dem von Rawls konzipierten „Urzustand“, in dem sich freie und gleiche Personen unter identischen Entscheidungsbedingungen auf Gerechtigkeitsgrundsätze einigen, überhaupt nicht möglich. Denn der „Schleier des Nichtwissens“ (Distributive Justice, S. 132) verbirgt personen- spezifische Informationen vor den Vertragsparteien im „Urzustand“. Hierdurch wissen die Parteien im „Urzustand“ nicht, welchen gesellschaftlichen Positionen sie entstammen, welchen Einkommensklassen sie angehören, über welche natürliche Ausstattung (Körperkraft, Intelligenz) sie verfügen, sie kennen ihre eigenen psychologischen Dispositionen und die Einzelheiten ihrer vernünftigen Lebenspläne nicht und für unseren Kontext besonders wichtig: sie wissen nicht, welcher Generation sie angehören. Rawls konzipiert den „Urzustand“ folglich als absolut geschichtslosen Zustand. Distributive Justice, S. 132, S. 145; Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 160, 322-323

15 Distributive Justice, S. 130

16 Distributive Justice, S. 135

17 Distributive Justice, S. 130; Distributive Justice: Some Addenda, S. 169- 170; Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 20

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Rekonstruktion des Rawlschen Differenz- bzw. Unterschiedsprinzips
Hochschule
Universität zu Köln  (Philosophisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar
Note
1, 0
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V180807
ISBN (eBook)
9783656040033
ISBN (Buch)
9783656040651
Dateigröße
479 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine insgesamt sehr überzeugende Arbeit. Inhaltlich und diskursiv sehr gut
Schlagworte
rekonstruktion, rawlschen, differenz-, unterschiedsprinzips
Arbeit zitieren
Suad Zumberi (Autor:in), 2011, Die Rekonstruktion des Rawlschen Differenz- bzw. Unterschiedsprinzips, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180807

Kommentare

  • Herausragende Analyse der Politischen Philosophie von John Rawls. Lesenswert und kenntnisreich zugleich. Dieses Buch sollte man auf jeden Fall kaufen.

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Titel: Die Rekonstruktion des Rawlschen Differenz- bzw. Unterschiedsprinzips



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