"Mir fehlen immer Worte." Die Kriegsgedichte August Stramms


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Interpretation ausgewählter Kriegsgedichte
2.1 „Schlacht“
2.2 „Feuertaufe“
2.3 „Patrouille“

3. Charakteristisches für Stramms Kriegslyrik

4. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Ach Kinder meine Gedichte sind ja auch gequält Einzelne ein wenig rausge- kommen. […] Sollte ich mal heimkommen werde ich sie sammeln und ,Tropfblut‘ nennen“1, schreibt der Postbeamte Dr. phil. August Stramm am 27. Juni 1915 von der Front an Nell und Herwarth Walden. Stramm, 1874 in Westfalen geboren und ab August 1914 Soldat im Ersten Weltkrieg, kann seine Kriegslyrik nicht mehr veröffentlichen, er fällt am 1. September 1915 an der Ostfront - aber die Gedicht- sammlung „Tropfblut“ erscheint, herausgegeben 1919 von Walden. Er war auch der erste Verleger, der bereit war, Stramms Gedichte und Dramen zu veröffent- lichen. Ab 1914 erscheinen diese regelmäßig in seiner Zeitschrift „Der Sturm“. Vorherige Versuche Stramms, seine Texte zu publizieren, scheiterten, da er kei- nen Verlag fand, der diese herausgeben wollte.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Stramms später Lyrik, den Kriegsge- dichten. Da in diesem Rahmen jedoch schwerlich alle 31 Gedichte der Antholo- gie „Tropfblut“ (die Gedichte sind nach der Chronologie ihres Erscheinens in „Der Sturm“ geordnet) genauer analysiert werden können, sollen drei Gedichte - „Schlacht“, „Feuertaufe“ und „Patrouille“ - exemplarisch interpretiert werden, um im Anschluss das Charakteristische an Stramms Kriegslyrik vorzustellen. In einer Schlussbemerkung soll dann versucht werden, die Frage zu beantworten, ob Stramms späte Lyrik kriegsbejahend oder kriegskritisch ist - oder keines von beidem.

2. Interpretation ausgewählter Kriegsgedichte

2.1 „Schlacht“

„Schlacht“ erschien im Mai 1915 in Waldens Zeitschrift „Der Sturm“ und ist mit 49 Zeilen das längste von Stramms Kriegsgedichten (eine ähnliche Länge weist sonst nur „Urtod“ mit 47 Zeilen auf, die anderen Gedichte aus der Sammlung „Tropfblut“ bestehen aus sechs („Abend“, „Patrouille“, „Im Feuer“ und „Traumig“) bis 30 („Vernichtung“) Zeilen). Es gibt keinen Reim, das Versmaß ist ein Trochäus, mit - bedingt durch die unterschiedliche Zeilenlänge - einer vari- ierenden Anzahl von Hebungen.2

In diesem Gedicht werden Gewalt und Tod in einem Kampf dargestellt. Es finden sich zwei Interpunktionen wieder, nach Vers 25 und Vers 49 ist ein Punkt gesetzt. Nach Vers 25 folgt der Wendepunkt, was nicht nur durch den Punkt am Zeilenen- de deutlich wird, sondern auch „dadurch, daß der Vers exakt die Mitte des Ge- dichts markiert“3. Der erste Teil (Z. 1-25) schildert die titelgebende Schlacht mit Nahkampfsituationen sowie deren ohrenbetäubender Akustik (Granateneinschlä- ge, Schreie der Menschen), der zweite (Z. 26-49) zeigt das Kriegsfeld nach dem Gefecht.4

Betrachtet man die erste Hälfte des Gedichts, fällt das unregelmäßig eingeschobe- ne „Und“ auf (insgesamt ist es in den Zeilen 1 bis 12 vier Mal zu finden); es „[könnte] für das in unwägbaren Abständen einschlagende Geschützfeuer ste- hen“5. Zudem addiert es den Lärm und die Kampfhandlungen während der Schlacht auf: „Ächzen ringt“ (Z. 1), „Stampfet in die Erde“ (Z. 3), „Packen würgt“ (Z. 4), „Windet wühlt und stemmt“ (Z. 6), „Die Lüfte stehn“ (Z. 7), „Klammern krampfzerrissen“ (Z. 9), „Schellet gell zu Boden“ (Z. 12). Dabei ver- wendet Stramm auch onomatopoetische Begriffe (wie zum Beispiel „Zerfetzen kracht“, Z. 10) die „dem Rezipienten auf realistische Weise Klang und Rhythmus der verschiedenen Waffen unmittelbar nahe bringen sollen“6. Sie „rücken die Wirklichkeit in der ganzen Breite ihrer sinnlich wahrnehmbaren Details in den Vordergrund poetischer Darstellung“7, können das Geschilderte intensivieren. Auffällig sind hier auch die substantivierten Infinitive, die das Subjekt des jewei- ligen Satzes darstellen; Geräuschkulisse und Horror des Krieges werden in „Schlacht“ zunächst in der Außensicht (keine Innenschau eines Subjekts) aufge- zeigt, wobei substantivierte Verben („Ächzen“, Z.1 und „Packen“, Z. 4) nun selbst ein Verb fordern. Die Wortklassen werden also transformiert. Auch die Kompo- sitabildung „krampfzerrissen“ (Z. 9) ist ungewöhnlich, aber „bietet die Mög- lichkeit, einmalige Worte zu prägen“8, somit „das einmalige Wort für das ein- malige Gefühl zu finden“9. Es zeigt sich, dass die unüblichen und grauenvollen Erlebnisse von Stramm nicht innerhalb der existierenden sprachlichen Grenzen ausgedrückt werden können. Sprachlich wird das Gedicht in der ersten Hälfte kurz gehalten: Einwortverse kommen neun Mal vor (neben dem „Und“ in Z. 2, 5, 8, 11 auch in Z. 18, 20, 21, 22, 24), der längste Vers besteht aus fünf Wörtern (Z. 14). Die Sprache ist auf das Notwendige verknappt so wie das Leben des Menschen im Krieg reduziert ist: auf das Überleben. Stramm versucht gerade durch diesen Ver- zicht auf geltende sprachliche Regeln den unvorstellbaren Schrecken des Ersten Weltkrieges fassbar zu machen.

Während Zeile 1 bis 12 die Kampfhandlungen durch eine Außenschau darstellen, findet sich in Zeile 13 bis 15 eine „Schau in das Innere eines Subjekts, das man in seiner psychischen Anspannung zwischen Hoffnung auf Entkommen und Angst vor dem nächsten Granateinschlag erlebt“10. Denn „Das Wissen stockt“11 (Z. 13), die Kampfhandlungen machen „jede gedankliche Erfassung unmöglich“12. Auch „Die Hoffnung bebt und starrt“ (Z. 14), es gibt also keine neue mehr und „Die Ahnung blutet“ (Z. 15), sie sieht Verwundung und Tod voraus. Die Substantive „Hoffnung“ (Z. 14) und „Ahnung“ (Z. 15) werden hier mit für sie unge- wöhnlichen Verben verbunden, aber es sind Verben des Krieges, denn eigentlich ist es die Erde, die von den Grananteneinschlägen „bebt“ (Z. 14), nicht die Hoff- nung und es ist der Körper des Soldaten, der von Verwundungen „blutet“ (Z. 15), nicht die Ahnung. Erneut findet sich eine eigenwillige Sprachgestaltung, die ver- deutlicht, dass der Soldat im Krieg ganz von diesem eingenommen wird, nicht nur physisch, sondern auch psychisch.

Nach dieser Schau in das Innere (es findet sich jedoch keine Ich-Aussage) wird wieder das Kriegsgeschehen durch eine Außensicht geschildert: die Menschen schreien (abermals wird die Akustik des Kampfs aufgeführt, vgl. Z. 16) auf dem brennenden Schlachtfeld (vgl. Z. 19/20), auf dem „Das Leben / Flammt“ (Z. 17/18) und somit zerstört wird. Die Außenansicht stellt kurz vorm Wendepunkt dar, dass die Menschen „offenbar sterbend die Hände zum Himmel erheben“13 (vgl. Z. 21-25). Mit diesen Bildern „evoziert Stramm hier eine gleichsam apoka- lyptische Todesszenerie“14. Der Himmel steht für die Hoffnung auf Erlösung von dem erlebten Grauen.

Im zweiten Teil des Gedichts ist der Kampf vorüber, über das Schlachtfeld bricht jetzt die Nacht herein, die etwas Tröstendes zu haben scheint, sie wird personifi- ziert und „Flort Um / Das Grabtuch“ (Z. 28/29). Auch die Erde (ebenfalls personi- fiziert) zeigt eine „liebende Geste“15, das Kriegsgeschehen wird sexualisiert (vgl. Z. 30-32: „Die Erde hüllt / Und / Liebe spreizt den Schooss“). Diese Geste, „zum erotischen Akt gesteigert“16, scheint die Hoffnung auf Errettung, die die sterben- den Soldaten kurz vorm dem Wendepunkt die Hände zum Himmel erheben ließ, zu erfüllen („Die Sterne zittern / Strahlen brücket über“, Z. 33/34).17 Die Schlussverse (Z. 35-49) fallen durch die Reihung (durch das wiederholte „Und“ in Z. 36, 38, 41, 44, 47) der Verben „Lächeln“ (in Z. 37, 39, 40, 43, 46), „sammelt/Sammeln“ (in Z. 37, 39, 40, 42), „Schreiten/schreitet“ (in Z. 40, 42, 43, 45, 46, 48) und „Schwinden/schwindet“ (in Z. 43, 45, 46, 48) in verschiedenen Kombinationen auf. Die Wiederholung der Verben gibt dem Gedicht ein rhyth- misches Element und ihre steigende Anzahl scheint die Betonung auf das innere Erleben legen zu wollen.

[...]


1 Stramm, August: Alles ist Gedicht. Briefe Gedichte Bilder Dokumente. Hg. v. Jeremy Adler. Zürich 1990, S. 58.

2 Stramm, August: Schlacht. In: Ders.: Tropfblut. Gedichte aus dem Krieg. Hg. v. Michael Trabitzsch. Berlin 1988, S. 14/15.

3 Vock, Petra Jenny: „Der Sturm muss brausen in dieser toten Welt“. Herwarth Waldens „Sturm“ und die Lyriker des „Sturm“-Kreises in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Kunstprogrammatik und Kriegslyrik einer expressionistischen Zeitschrift im Kontext. Diss. ]Trier 2006, S. 222.

4 vgl. ebd.

5 ebd.

6 Rehage, Georg Philipp: „Wo sind Worte für das Erleben“. Die lyrische Darstellung des Ersten Weltkrieges in der französischen und deutschen Avantgarde (G. Apollinaire, J. Cocteau, A. Stramm, W. Klemm). Diss. Heidelberg 2003, S. 180.

7 Volkova, Anastasia: „Kunst ist Gabe und nicht Wiedergabe“. Amimetische Gestaltungstendenzen in der expressionistischen Lyrik als Niederschlag europäischer Kunstströmungen im frühen 20. Jahrhundert. Eine Studie an exemplarischen Texten August Stramms und Otto Nebels. Diss. Frankfurt am Main 2004, S. 209.

8 Bozzetti, Elmar: Untersuchungen zu Lyrik und Drama August Stramms. Diss. Köln 1961, S. 64.

9 ebd.

10 Vock: „Der Sturm“, S. 222.

11 Dieser Vers findet sich auch in der ersten Zeile des Gedichts „Granaten“ (in: Stramm: Tropfblut, S. 31.), welchen P. J. Vock als „gewissermaßen komprimierten Paralleltext“ (Vock: „Der Sturm“, S. 224.) wertet, da die Gedichte „Granaten“ und „Schlacht“ viele textliche Parallelen aufweisen.

12 Rehage: „Worte für das Erleben“, S. 181.

13 Vock: „Der Sturm“, S. 222.

14 ebd.

15 ebd.

16 ebd.

17 vgl. ebd., S. 223.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
"Mir fehlen immer Worte." Die Kriegsgedichte August Stramms
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V180658
ISBN (eBook)
9783656035459
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
August Stramm, Kriegsgedichte, Expressionismus, Avantgarde
Arbeit zitieren
Birte Jessen (Autor:in), 2007, "Mir fehlen immer Worte." Die Kriegsgedichte August Stramms, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180658

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