Entstehung des Gemeinwesens in Aristoteles Politik und Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung:

Einleitung Seite

1. Die Entstehung des Gemeinwesens
1.1. Die Entstehung der Polis bei Aristoteles
1.2. Die Entwicklung des Staates bei Rousseau

2. Polis und Staat
2.1. Die Autoren im Kontext ihrer Zeit
2.1.1. Aristoteles
2.1.2. Rousseau
2.2. Polis
2.3. Staat

Zusammenfassung/ Schluss

Literaturliste

Einleitung

Untersucht wird in dieser Hausarbeit die Entstehung von Polis und Staat bei Aristoteles und Rousseau. Dabei soll zuerst die Frage nach der Entwicklung des Menschen bei beiden Autoren im Vordergrund stehen. Existiert der Mensch von Anbeginn an nur in der Gemeinschaft oder geht diesem Zustand eine historische Entwicklung voraus. Die unterschiedlichen Positionen Rousseaus und Aristoteles zu dieser Frage werden in einem zweiten Schritt auf ihre epochenbedingten Hintergründe befragt, wobei sich Unterschiede in der Staatlichkeit von Polis und Staat zeigen.

Aufgrund der Weite des Themas kann in dieser Hausarbeit nur auf die „Politik“ des Aristoteles und die „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ Rousseaus als Quelle eingegangen werden. Dies ist vor allem nötig, da allein die zusätzliche Sichtung der Sekundärliteratur zur „Nikomachischen Ethik“ und dem „Gesellschaftsvertrag“ den Rahmen einer Hausarbeit überziehen würden.

1. Die Entstehung des Gemeinwesens

1.1. Entstehung der Polis bei Aristoteles

Der wohl mit Abstand am häufigsten zitierte Satz der Aristotelischen „Politik“ ist die Aussage der Mensch sei ein zwon politiikon [I/1253a][1], ein politisches Lebewesen, welches sich in der Polis verwirkliche und von Natur aus auf die staatliche Gemeinschaft hin angelegt sei[2].[3] Ohne an dieser Stelle bereits auf die Kontroverse um die Zeitbedingtheit dieses Satzes einzugehen[4], ist es doch nötig, in Hinblick auf die zu erörternde Frage nach der Genese des Gemeinwesens bei Aristoteles, diesen Satz in seiner Einbettung in die „Politik“ knapp zu erläutern.

Aristoteles beginnt sein Werk mit der Feststellung:

Da wir sehen, dass jeder Staat eine Gemeinschaft darstellt und jede Gemeinschaft um eines bestimmten Gutes willen besteht – denn eines Guten wegen, dass eben ein solches zu sein scheint, tun alle alles -, ist es klar, dass alle Gemeinschaften nach einem Gut trachten, am meisten aber [5] und zwar nach dem entscheidendsten unter allen Gütern die Gemeinschaft, die von allen die entscheidendste ist und alle anderen Gemeinschaften umspannt. Diese aber ist der Staat und die staatsbürgerliche Gemeinschaft.[5]

Er definiert damit die Polis zum einen als sittliche Gemeinschaft, die eben um eines bestimmten Zweckes willen besteht und zum anderen bereits an dieser Stelle als entscheidende Gemeinschaft, da sie alle weiteren menschlichen Einheiten umfasst. Um das Wesen der Polis zu verstehen ist es nach Aristoteles nötig das Gemeinwesen in seine kleinsten Teile zu zerlegen.[6] Diese kleinste Einheit ist nach Aristoteles nicht das Individuum, sondern das Haus, welches sich aus der Gemeinschaft von Mann und Frau, sowie von Herrn und Sklaven zusammensetzt.[7] Aus den einzelnen Häusern entsteht nun das Dorf, das „sich wegen eines über den Tag hinaus reichenden Bedürfnisses zusammensetzt “.[8] Die Polis besteht aus mehreren Dörfern und erreicht fast die Grenze der Autarkie. Sie ist die vollkommene Gemeinschaft, die „nun zwar des Lebens wegen entstanden ist, aber doch um des guten Lebens willen besteht“.[9]

Die folgenden Zeilen sind für die Frage nach der Entstehung des Gemeinwesens von besonderer Bedeutung:

Deswegen existiert jeder Staat von Natur aus, wenn das ebenso die ersten Gemeinschaften tun. Denn der Staat ist das Ziel jener Gemeinschaften, die Natur jedoch bedeutet Ziel. Wie nämlich jedes nach Vollendung seiner Entwicklung ist, so nennen wir dies die Natur eines jeden, etwa die des Menschen, des Pferdes und des Hauses. Ferner ist das Weswegen und das Ziel das Beste. Die Selbstgenügsamkeit ist aber sowohl das Ziel als auch das Beste.[10]

Der Staat[11] existiert nach Aristoteles von Natur aus, da auch die ersten Gemeinschaften, das Verhältnis von Mann und Frau, sowie von Sklave und Herrn aus denen sich die kleinste Einheit das Haus zusammensetzt, von Natur aus existiert. Die Polis ist das Ziel dieser Gemeinschaften und die Natur einer Sache ist ihr Ziel, da sie die größtmögliche Vollendung dieser Entwicklung darstellt. Die menschliche Gemeinschaft erreicht in der Polis die Autarkie. Die Autarkie wird sowohl als Zweck, wie auch als Ziel der Gemeinschaft benannt und sei somit anzustreben. Aus diesen Prämissen kann Aristoteles nun folgern,

dass der Staat zu den von Natur aus bestehenden Dingen gehört und dass der Mensch von Natur aus ein staatsbezogenes Lebewesen ist und dass ferner der, der seiner Natur nach und nicht dem Zufall gemäß ohne Bindung an einen Staat ist, entweder schlecht ist oder bedeutender als der Mensch“.[12]

Der Staat entsteht somit aus einem Mangel an Autarkie des Einzelnen.[13] Deshalb ist der Mensch ein von Natur aus auf die Gemeinschaft und letztlich die Polis angelegtes Wesen. Das Gemeinwesen besteht aus den einzelnen Dörfern, diese wiederum aus den Oikoi. Wenn man nach der Genese des Staates bei Aristoteles fragt, muss durchdacht werden, ob dem Zusammenschluss der Elemente zum Ganzen eine Entwicklung zu Grunde liegt oder ob die Polis, da sie von jeher das Ziel der Gemeinschaft ist, bei Aristoteles von Anfang an besteht.[14] Entsteht der Stadtstaat[15] also aus einem vorstaatlichem Zustand des Menschen oder war er schon immer?

Drei Indizien zur Klärung dieser Frage lassen sich aus dem bisher gesagten bereits folgern. Zum einen gibt uns Aristoteles keinen Hinweis darauf, dass es sich bei der kleinsten genannten Einheit dem Oikos um einen aus der Beziehung Mann-Frau und Herr-Sklave entstandenen historischen Zusammenschluss handelt. Er wird auch in den folgenden Kapiteln das Haus nur auf seine Zusammensetzung hin analysieren, nicht aber auf seine Genese.[16] Zum anderen behauptet Aristoteles, das Gemeinwesen sei um des Lebens willen entstanden. Da das bewusste Ziel demnach von Anfang an noch nicht vorhanden gewesen sein kann, ist es unwahrscheinlich, dass der Mensch lange Zeit in einem Provisorium gelebt haben wird.[17] Diesen Tendenzen der Forschung hat erstmals Defourny widersprochen und behauptet, dass nach Aristoteles der Mensch die politische Kultur erst aus einer primitiveren Form der Gemeinschaft entwickelt habe.[18]

Doch auch wenn Aristoteles nicht von einer historischen Konstanz des Staates spricht, kann man Kullmann durchaus zustimmen, dass Aristoteles dieses auch nicht betonen wollte. Einige weitere Indizien weisen darauf hin, dass Aristoteles den Menschen als von Beginn an staatlich[19] begreift:

In 1253a behauptet Aristoteles: „Dass nun der Mensch in höherem Grade ein staatsbezogenes Lebewesen ist als jede Biene und jedes Herdentier ist klar. Denn nichts meinen wir schafft die Natur vergeblich. Über die Sprache aber verfügt allein von den Lebewesen der Mensch.“

Als entscheidendes Kriterium der menschlichen Politizität wird hier die Sprache genannt. Zwar verfügen auch zahlreiche Tiere über eine Stimme zum Anzeigen von Lust und Schmerz, aber nur mit mithilfe der Sprache kann man das Nützliche und das Schädliche klarlegen und in der Folge davon das Gerechte und das Ungerechte.

Der Mensch wird als biologisches Wesen, als von Natur aus politisch konzipiert und ist dies in noch stärkerem Maße als etwa die Biene oder jedes Herdentier. Da die Arten der Lebewesen bei Aristoteles immer als unveränderlich angesehen werden, scheint die Vorstellung, es möge ein vorstaatlicher Mensch existiert haben, abwegig.[20]

Auch die abschließenden Bemerkungen Aristoteles zu diesem Problemkomplex lassen eine mögliche nichtstaatliche Epoche des Menschen unwahrscheinlich erscheinen. In 1253a schreibt er: „Doch die Gemeinschaft mit solchen Begriffen schafft Haus und Staat. Und der Natur nach früher ist der Staat als das Haus und jeder einzelne von uns; denn das Ganze muß früher sein als der Teil.“ Dabei gebraucht er einen biologischen Vergleich und sagt, dass auch die Hand oder der Fuß nicht getrennt vom restlichen Körper ihre Funktion ausüben könnten. Also treffe dies auch auf den einzelnen Menschen im Verhältnis zum Ganzen zu. Eine mögliche vorstaatliche Existenz des Menschen wird somit ausgeschlossen.

[...]


[1] Zitiert wird die Politik des Aristoteles im Wesentlichen nach Aristoteles: Politik, hrsg. v. Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989.

[2] Vgl ebenda I/1278b.

[3] Vgl. hierzu vor allem Reinhard Brand: Untersuchungen zur politischen Philosophie des Aristoteles, in: Hermes 102 (1974), Seite 191-206 und Wolfgang Kullmann: Der Mensch als politisches Lebewesen bei Aristoteles, in: Hermes 108 (1980), Seite 419-443.

[4] Siehe Kapitel 2.2..

[5] Schwarz (1989), I/1252a.

[6] Vgl. ebenda.

[7] Vgl. ebenda, I/1252b.

[8] Vgl. ebenda.

[9] Ebenda

[10] Ebenda I/1252b-1253a

[11] Staat sei hier nicht im Sinne des neuzeitlichen Staatsbegriffs gemeint, sondern als Polis oder Bürgerschaft (s.u.).

[12] Vgl. Ebenda I/1253a

[13] Vgl. Kullman (1980), Seite 421.

[14] Vgl dazu und im Folgenden v.a. Kullmann (1980), ebenso Eduard Meyer: Geschichte des Altertums I1, Darmstadt 1953.

[15] Der Begriff Stadtstaat ist etwas irreführend, da er eine Herrschaft der Stadt über ihr Umland impliziert, die für die Antike nicht angenommen werden kann. Dennoch wird der Begriff in dieser Arbeit gelegentlich benutzt, um eine zu große Häufung der Begriffe Polis und Gemeinwesen zu vermeiden.

[16] Vgl. Schwarz (1989), I/1253b ff.

[17] Vgl. Kullmann (1980), Seite 422f..

[18] Vgl. Michel Defourny, Aristote- Ètudes sur la “politique”, Paris 1932: « […] il [Aristoteles] ne veut pas dire que l’humanité se trouve d’emblée et depuis toujours dans la civilisation politique, mais qu’au contraire après avoir vecu pendant une durée indéterminable en dehors de cette civilisation et s’etre longtemps contentée de formes plus rudimentaires d’association, elle fint par y arriver et s’y installer comme dans une terre promise dont la conquete était réclamée par toutes ses forces constitutionelles. »

[19] Vgl. Anmerkung 11.

[20] Vgl. Kullmann (1980), Seite 424.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Entstehung des Gemeinwesens in Aristoteles Politik und Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Aristoteles und Hobbes: De cive/Über den Bürger
Note
2,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V17994
ISBN (eBook)
9783638224239
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Gemeinwesens, Aristoteles, Politik, Rousseaus, Diskurs, Ungleichheit, Seminar, Aristoteles, Hobbes, Bürger
Arbeit zitieren
Peter Schubert (Autor:in), 2003, Entstehung des Gemeinwesens in Aristoteles Politik und Rousseaus Diskurs über die Ungleichheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17994

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