Zur Rolle der Universitäten Prag und Wien in den Nationalitätenkonflikten der franzisko-josephinischen Ära


Seminararbeit, 2003

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Überblick über die Nationalitäten der Habsburgermonarchie
2.1 Einige Zahlen
2.2 Die einzelnen Nationalitäten
2.3 Die Jahre 1848 und 1867 in ihrer Bedeutung für die Nationalitätenfrage
2.4 Vorschläge zur Lösung der Nationalitätenprobleme

3. Die Teilung der Prager Universität im Jahr 1882
3.1 Die Prager Universität bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
3.2 Die Zeit vor der Teilung
3.3 Die Teilung und ihre Auswirkungen auf die verschiedenen Fakultäten
Philosophische Fakultät
3.4 „Zwei verschiedene Geschichten“

4. Die Studentendemonstrationen in Wien im März 1904

5. Zusammenfassung

Literatur und Quellen

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit beschäftige ich mich mit den Auswirkungen der Nationalitätenproblematik auf Vorgänge an den Universitäten der Habsburgermonarchie. Leider haben im allgemeinen Professoren und Studenten der österreichischen Universitäten wenig dazu beigetragen, die Toleranz zwischen den Angehörigen der zahlreichen verschiedenen Nationalitäten zu fördern. Im Gegenteil, vielfach waren gerade sie es, die zu einer Eskalation des Nationalitätenkampfes beigetragen haben, der im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts immer schärfer wurde. Eine Ausnahme dürfte hier nur die Universität Czernowitz in der Bukowina darstellen.[1]

Zuerst möchte ich einen kurzen Überblick über die Nationalitäten der Habsburgermonarchie und einige darauf bezogene wichtige Entwicklungen geben, wobei ich mich im wesentlichen auf das zweibändige Werk „Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie“ von Robert Kann beziehe. Im Anschluss daran werde ich näher auf zwei Episoden eingehen und an ihnen die Nationalitätenproblematik auf akademischem Boden exemplarisch beleuchten, nämlich auf Vorgeschichte und Folgen der Teilung der Prager Universität im Jahr 1882 und auf eine Studentendemonstration in Wien im März 1904.

2. Überblick über die Nationalitäten der Habsburgermonarchie

2.1 Einige Zahlen

In der Einleitung zum ersten Band seines Werkes zeigt Kann auf, dass die Nationalitätenproblematik der Habsburgermonarchie sehr komplex war und weit hinausging über das, was heute unter „Minderheitenproblemen“ verstanden wird. Eine Minderheit setzt eine Mehrheit voraus; eine absolute Mehrheit hatte in der Habsburgermonarchie jedoch niemals irgendeine Nationalität, selbst die Deutschen nicht.[2]

Auch bei getrennter Betrachtung der beiden Reichshälften fand sich weder in Cis-leithanien noch in Transleithanien eine absolute Mehrheit, wie die folgenden Zahlen für die Jahre 1880 bis 1910 zeigen.[3]

Prozentsatz der Nationalitäten in Österreich-Cisleithanien:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Prozentsatz der Nationalitäten in Ungarn einschließlich Siebenbürgens, Fiumes und Kroatien-Slawoniens

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

In der ungarischen Reichshälfte hatten die Magyarisierungsbestrebungen zwischen 1880 und 1910 zwar beträchtliche Erfolge, doch erreichten die Magyaren auch 1910 die 50-Prozent-Grenze nicht. In Österreich-Cisleithanien waren die Germanisierungstendenzen zu diesem Zeitpunkt bereits zum Stillstand gekommen.

Betrachtet man die einzelnen cisleithanischen Kronländer – insgesamt waren es 17, wobei das Küstenland als Zusammenfassung der drei Kronländer Istrien, Görz und Gradisca sowie Triest galt -, so hatten nur in sechs von ihnen im gesamten Zeitraum zwischen 1848 und 1918 mehr als 90 Prozent der Bevölkerung dieselbe Muttersprache. Es waren dies Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg (deutsche Sprache), Dalmatien (Serbokroatisch) und Krain (Slowenisch). In der Bukowina, in Istrien und in Österreichisch-Schlesien besaß überhaupt keine Nationalität die absolute Mehrheit.[4]

Neben der multiethnischen Zusammensetzung vieler Kronländer gab es auch echte lokale Minderheiten; das heißt, dass bestimmte Gruppen von Angehörigen einer lokalen Mehrheit umgeben und von den Angehörigen ihrer eigenen Nationalität abgeschnitten waren. Dies betraf z. B. die Siebenbürger Sachsen, die Banater Schwaben oder die Wiener Tschechen.[5]

„In der äußerst komplizierten geographischen und soziopolitischen Situation in Mitteleuropa“, schreibt Jiří Kořalka, „konnte sich ein und dieselbe Bevölkerung in der Lage der Angehörigen einer nationalen Majorität oder Minorität befinden, je nach Betrachtung der unterschiedlichen Größe des Territoriums eines Staatenverbandes oder Staates, einer Ländergruppe oder eine Landes, einer regionalen Verwaltungseinheit oder auch einer Stadt.“ Und im Hinblick auf Böhmen und Mähren fügt Kořalka hinzu: „Weder die Tschechen noch die Deutschen in den böhmischen Ländern wollten sich mit der Lage einer nationalpolitischen Minderheit zufrieden geben und wehrten sich gegen eine solche Eventualität mit allen Mitteln.“[6]

2.2 Die einzelnen Nationalitäten

Insgesamt waren im Habsburgerreich 11 größere Bevölkerungsgruppen vertreten, nämlich (in alphabetischer Reihenfolge): Deutsche, Italiener, Kroaten, Magyaren, Polen, Rumänen, Ruthenen, Serben, Slowaken, Slowenen und Tschechen.

Nach ethnischen Gesichtspunkten kann man diese 11 Nationalitäten in vier Hauptgruppen einteilen: Deutsche, Magyaren, Slawen und Romanen.[7] In der Österreich-Ungarischen Monarchie blieb jedoch im 19. Jahrhundert neben dem sich entwickelnden Nationalismus eine andere Tradition lebendig, jene der alten Territorialstaaten, d. h. der souveränen Einheiten, aus denen die Habsburgermonarchie im Laufe der Jahrhunderte entstanden war. Man sprach von „historisch-politischen Individualitäten“, wobei dieser Begriff in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allmählich zum Kennzeichen eines Konservatismus wurde, der die alten historischen Ordnungen erhalten wollte.[8] In diesem Sinne konnte sich etwa ein Einwohner Böhmens, das 1526 mit tschechischen und deutschen Bewohnern an Ferdinand I. gekommen war, als „Böhme“ fühlen, unabhängig davon, ob er Deutscher oder Tscheche war. Es standen ihm jedoch auch andere Optionen zur Verfügung. So unterscheidet Kořalka im Böhmen des 19. Jahrhunderts fünf verschiedene, „meistens aufeinanderprallende“ nationalpolitische Tendenzen: Österreichertum, Großdeutschtum, Slawismus, Bohemismus und Tschechentum.[9]

Aufgrund dieser Entstehungsgeschichte des Habsburgerreiches, d. h. des Zusammenschlusses von Einheiten, die im allgemeinen nicht ethnischer, sondern historisch-politischer Natur waren, wählte Kann für seine Darstellung eine Einteilung der genannten 11 Nationalitäten nach historischen Linien. Er unterscheidet jene, die im Gebiet der habsburgischen Monarchie eine unabhängige national-politische Geschichte aufweisen – d. h. die Deutschen, Magyaren, Tschechen, Polen, Kroaten und Italiener – und jene, bei denen dies nicht der Fall ist.

Neben diesen großen Volksgruppen existierte in der Habsburgermonarchie noch eine Reihe kleinerer Minderheiten, z. B. Bulgaren in Siebenbürgen und Südungarn, Rätoromanen in Tirol, Armenier in Galizien, Siebenbürgen und der Bukowina, Roma und Sinti in verschiedenen Kronländern. Manche dieser Gruppen, wie z. B. die Lippowaner (eine russisch sprechende religiöse Splittergruppe in der Bukowina) oder die Karaimen (ein turksprachiges Volk in Galizien) sind heute kaum mehr bekannt.[10]

Was die Juden betrifft, so waren sie seit den 1860er Jahren nur in der Bukowina, in Bosnien und in der Herzegowina als Nationalität anerkannt. Die jiddische Sprache galt in Österreich als lokal gebrauchtes Idiom, nicht als offiziell anerkannte Sprache.[11] In den meisten Kronländern wurden die Juden bei den Volkszählungen nur ihrer Religion nach erfasst, jedoch nicht als Angehörige einer jüdischen Nationalität.

2.3 Die Jahre 1848 und 1867 in ihrer Bedeutung für die Nationalitätenfrage

Unter den einzelnen Nationalitäten hatte sich, gegen Ende des 18. Jh. beginnend, allmählich ein nationales Bewusstsein herausgebildet, zuerst im Zusammenhang mit Sprache, Kultur und Geschichte. Die Revolution von 1848, die den einzelnen Nationalitäten zum ersten Mal die Gelegenheit gab, ihre nationalen Forderungen umfassend öffentlich geltend zu machen, brachte nach Kann den Übergang vom ideologischen zum politischen Nationalismus.[12] Der „kulturelle Nationalismus“, wie es Kann nennt, blieb aber auch nach 1848 Ausdruck des politischen Nationalismus. Dieser Vorgang verlief nicht bei allen Volksgruppen in genau gleicher Weise, doch würde es hier zu weit führen, darauf einzugehen.

Infolge der großen Zahl und der Durchmischung verschiedener Nationalitäten auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie beeinflussten die einzelnen Nationalitätenkonflikte ebenso wie getroffene Einzellösungen einander gegenseitig. Eine besondere Rolle spielte dabei das Verhältnis von Österreich zu Ungarn. Nach dem Ausgleich mit Ungarn im Jahr 1867 waren die anderen Nationalitäten tief enttäuscht: aus der Vorherrschaft einer Nationalität war die geteilte Vorherrschaft zweier Nationalitäten geworden. Ungarn jedoch hatte ein Interesse daran, dass sich zwischen den Deutschösterreichern und den anderen Nationalitäten in Cisleithanien nichts änderte. Kann sieht im Ausgleich von 1867 „das Haupthindernis für jede befriedigende spätere Berichtigung“.[13] Die Bestimmungen des Ausgleichs wurden von Ungarn so ausgelegt, dass die Gültigkeit des Vertrags von dem Bestand der neuen österreichischen Verfassung von 1867 abhing, wodurch jede Verfassungsänderung in Österreich bedeutende Schwierigkeiten mit Ungarn mit sich bringen konnte. Tatsächlich hat am Ende der Monarchie Ungarn die Ankündigung radikaler Änderungen der österreichischen Verfassung durch Kaiser Karl, die dieser unter dem Druck der Ereignisse machte, als Vorwand genommen, um die Realunion mit Österreich zu kündigen.[14]

[...]


[1] vgl. E. Turczynski, 1984

[2] R. A. Kann, 1964, 1.Band, S.42

[3] ebd., 2.Band, S.390-391

[4] ebd., 1.Band, S.359, Anmerkungen 14-16

[5] ebd., 1.Band, S.43

[6] J. Kořalka, 1991, S.133

[7] ebd., 1.Band, S.52

[8] ebd., 1.Band, S.50

[9] J. Kořalka, 1991, S.26-27

[10] V. Heuberger, 1997, S.185-197

[11] R. A. Kann, 1964, 1.Band, S.51 und S.360-361, Anmerkung 32

[12] ebd., 1.Band, S.11

[13] ebd., 1. Band, S.30

[14] ebd., 1. Band, S.35

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Zur Rolle der Universitäten Prag und Wien in den Nationalitätenkonflikten der franzisko-josephinischen Ära
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Geschichte)
Veranstaltung
Seminar: Kultur, Kunst und Wissenschaft der franzisko-josephinischen Ära
Note
1
Autor
Jahr
2003
Seiten
24
Katalognummer
V17786
ISBN (eBook)
9783638222686
ISBN (Buch)
9783638691536
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Universitäten, Prag, Wien, Nationalitätenkonflikten, Seminar, Kunst, Wissenschaft
Arbeit zitieren
Ilsemarie Walter (Autor:in), 2003, Zur Rolle der Universitäten Prag und Wien in den Nationalitätenkonflikten der franzisko-josephinischen Ära, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17786

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