Mobilitätsmanagement an Schulen

Kinderstadtpläne als geeignetes Werkzeug der Kinderbeteiligung


Bachelorarbeit, 2011

70 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABBILDUNGS-, TABELLEN- UND ANLAGENVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 BEGRIFFSERKLÄRUNGEN
2.1 Mobilität und Mobilitätsmanagement
2.2 Partizipation

3 MOBILITÄTSMANAGEMENT AN SCHULEN
3.1 Die Entwicklung der Verkehrserziehung in Deutschland
3.2 Kinder im Straßenverkehr
3.3 Unfälle

4 MOBILITÄTSERZIEHUNG IN DER PRAXIS
4.1 Schulwege früher und heute
4.2 Mental Maps - Auswirkungen des Mobilitätsverhaltens
4.3 Beispielkampagne ‚FahrRad in Aachen‘

5 DIE ROLLE DER KINDERBETEILIGUNG IN DER MOBILITÄTSERZIEHUNG
5.1 Voraussetzungen und gesetzliche Rahmenbedingungen
5.2 Formen der Kinderbeteiligung
5.3 Ziele der Kinderbeteiligung

6 KINDERLEBEN IN DER STADT
6.1 Lebenswelten
6.2 Warum Kinderstadtpläne?

7 STADTPLÄNE VON KINDERN FÜR KINDER
7.1 Projektverlauf
7.2 Kinderbeteiligung bei der Planerstellung
7.3 formelle Kriterien

8 KINDERSTADTPLÄNE ALS GEEIGNETES WERKZEUG DER KINDERBETEILIGUNG ?
8.1 Empirische Datenerhebung - methodisches Vorgehen
8.2 Sichtweisen - Kinder, Eltern, Experten

9 FAZIT

ANLAGEN

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGS-, TABELLEN- UND ANLAGENVERZEICHNIS 3

Abbildungs-, Tabellen- und Anlagenverzeichnis

Abb. 2-1: Der Teufelskreis der ‚Eltern-Taxi-Dienste‘

Abb. 2-2: Die Partizipationsleiter

Abb. 3-1: Fahrzeugbestand und Anzahl der Kinder in D seit

Abb. 3-2: Faktoren kindlicher Verkehrssicherheit

Abb. 3-3: Kinderunfälle (0-14 Jahre) nach Art der Verkehrsbeteiligung

Abb. 4-1: Fortbewegungsart auf dem Schulweg

Abb. 4-2: Schulwegskizze eines ‚Autokindes‘

Abb. 4-3: Schulwegskizze eines ‚Buskindes‘

Abb. 4-4: Schulwegskizze eines ‚Fahrradkindes‘

Abb. 4-5: Schulwegskizze eines ‚Laufkindes‘

Abb. 4-6: Detailgrad der Schulwegskizze in Abhängigkeit der Fortbewegungs art der Kinder

Abb. 4-7: Fortbewegungsart der Kinder in Abhängigkeit der Fortbewegungsart der Eltern

Abb. 4-8: Fortbewegungsart der Kinder in Abhängigkeit zur Entfernung ‚Wohnort - Schule‘

Abb. 6-1: Lernziele der Kinderbeteiligung bei Erstellung eines Kinderstadtplans

Abb. 7-1: Beteiligte Institutionen und Projektverkauf bei Erstellung eines Kinderstadtplans

Abb. 7-2: Beispiellegende eines Kinderstadtplans

Abb. 8-1: Generelle Haltung der Kinder gegenüber einem Kinderstadtplan

Abb. 8-2: Generelle Haltung der Eltern gegenüber einem Kinderstadtplan

Abb. 8-3: Meinung der Kinder: Kinderbeteiligung/Kinderstadtplan

Abb. 8-4: Meinung der Eltern: Kinderbeteiligung/Kinderstadtplan

Abb. 8-5: Meinung der Eltern: Kinderstadtplan als Hilfe zum eigenständigen Zurücklegen von (neuen) Wegen?/ Kind alt bzw. reif genug sich mit Stadtplan zu orientieren?

Abb. 8-6: Meinung der Kinder: Neue Freizeitziele mit Hilfe eines Kinderstadtplans?

Abb. 8-7: Meinung der Kinder: Sicherer ohne Eltern mit Hilfe eines Kinderstadtplans?

Abb. 8-8: Kinder: Wichtigste Bestandteile eines Kinderstadtplans

Abb. 8-9: Eltern: Wichtigste Bestandteile eines Kinderstadtplans

Abb. 8-10: Meinung der Kinder: Mehr Kinderbeteiligung in der Stadtplanung?

Tab. 3-1: Risikorate für Kinder im OECD-Vergleich

Tab. 8-1: Verteilung Alter/Klasse der befragten Kinder

Tab. 8-2: Übersicht der befragten Experten

Anlage 1: ‚Kinderfragebogen‘ (Seite 1)

Anlage 2: ‚Kinderfragebogen‘ (Seite 2)

Anlage 3: ‚Elternfragebogen‘ (Seite 1)

Anlage 4: ‚Elternfragebogen‘ (Seite 2)

Anlage 5: ‚Expertenfragebogen‘ (Seite 1)

Anlage 6: ‚Expertenfragebogen‘ (Seite 2)

Anlage 7: Kinderstadtplan KGS Passstraße

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Das Mobilitätsverhalten von Kindern hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm verän- dert. Unfallstatistiken zeigen, dass es für Kinder in Städten immer gefährlicher wird sich alleine, sei es auf dem Weg zur Schule oder in der Freizeit, zu bewegen. Um dem ent- gegen zu wirken, wird die Mobilitätserziehung an Schulen immer wichtiger und ein grundlegender Baustein schulischer Ausbildung. Kinder sollen zum einen geschult wer- den viel zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen, andererseits sollen ihnen mögli- che Gefahrenstellen und das richtige Verhalten im Straßenverkehr näher gebracht werden.

Um diese meist sehr theoretische Ausbildung der Kinder durch praktische Übungen zu ergänzen, gibt es die sogenannte Kinderbeteiligung. Eine Möglichkeit der Partizipation von Kindern ist ein Kinderstadtplan - ein Stadtplan von Kindern für Kinder. Hier werden mit Hilfe der Kinder nicht nur Gefahrenstellen untersucht, sondern auch mögliche Frei- zeitziele analysiert und bewertet. Kinder sollen mit diesem Kinderstadtplan lernen sich alleine zu orientieren, Entfernungen einschätzen zu können und sich eventuell auch eigenständig ein bereits bekanntes oder neues Freizeitziel aussuchen zu können und dieses ausfindig zu machen.

Im ersten Teil der Arbeit wird zunächst allgemein in das Thema Mobilitätsmanagement bzw. Mobilitätserziehung sowie Partizipation eingeleitet. Die geschichtliche Entwicklung soll aufgezeigt sowie Unfallstatistiken näher betrachtet werden. Des Weiteren wird die Entwicklung des Mobilitätsverhaltens von Kindern im Grundschulalter untersucht und dessen Auswirkungen auf die Wahrnehmung des Umfelds mit Hilfe sogenannter Mental Maps untersucht. Im letzten Abschnitt des ersten Teils wird die Rolle der Kinderbeteiligung aufgezeigt, um im zweiten Teil näher auf die Forschungsfrage „Kinderstadtpläne als geeignetes Werkzeug der Kinderbeteiligung?“ einzugehen.

Hier soll zunächst versucht werden Verknüpfungen bzw. Zusammenhänge zwischen der Mobilitätserziehung an Schulen und der kommunalen Kinderbeteiligung darzustel- len. Die Erstellung eines Kinderstadtplans sowie die spezifische Beteiligung von Kin- dern werden dann näher erläutert. Hierbei wird ebenfalls näher auf den Projektverlauf, von der Vorbereitung über die Erstellung bis hin zum Layout, eines solchen Stadtplanes eingegangen. Anschließend soll im empirisch-analytischen Teil vorab auf die Konzepti- on und Durchführung der Erhebung eingegangen werden. Um herauszufinden, welche unterschiedlichen Ansichten verschiedene Befragungsgruppen haben, wurden neben Kindern im Grundschulalter ebenso auch Eltern und Experten befragt. Mit Hilfe der em- pirischen Erhebung sollen die verschiedenen Standpunkte und Blickwinkel gegenüber- gestellt werden.

2 Begriffserklärungen

Nachfolgend werden die im Titel dieser Arbeit enthaltenen und für die Thematik besonders wichtigen Begriffe näher erläutert.

2.1 Mobilität und Mobilitätsmanagement

Im allgemeinen Sprachgebrauch definiert der Begriff Mobilität die mögliche sowie die tatsächliche Bewegung von Personen und Gütern. Speziell im Verkehrswesen wird auch von Verkehrsmobilität gesprochen. Diese umfasst physische Ortsveränderungen, die in öffentlichen Verkehrsräumen (Straße, Schiene, Luftraum und Wasserwege) Ver- kehr induzieren und sie ist immer zielgerichtet. Hierbei ist das Ziel auch immer Ort be- stimmter Aktivitäten, wie z.B. der Spielplatz, der ein Ort für Kinder ist, um Freunde zu treffen und zu spielen.1 Mobilität ist quantifizierbar und wird anhand der Wege pro Tag gemessen. Generell ist zu sagen, dass bei Kindern häufig eine größere Mobilität fest- zustellen ist als bei Erwachsenen. Erwachsene legen durchschnittlich 3-4 Wege pro Tag zurück, wohingegen Kinder 5-6 Wege pro Tag machen.2 Der Zusammenhang zwi- schen Verkehr und Mobilität ist über die mittlere Weglänge bestimmbar:3

Verkehrsaufwand = Anzahl der Wege * mittlere Weglänge

Durch Etablierung immer schneller werdender Verkehrsmittel werden große Raum- überwindungen zunehmend einfacher. Eine ‚Mobilität der langen Wege‘ prägt als Folge die Raumstruktur. Der Verkehrsaufwand wird immer größer und häufig kommt es so zu negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Eine zukunftsorientierte Mobilität hät- te eine Angebotsverdichtung, d.h. eine intensivere Raumnutzung als Grundlage und somit als ‚Mobilität der kurzen Wege‘ einen geringeren Verkehrsaufwand zur Folge.4

Um Verkehr und Mobilität effizienter und nachhaltiger zu gestalten, setzt das sogenann- te Mobilitätsmanagement bereits bei der Entstehung des Verkehrs an. Ein wichtiges Handlungsfeld ist hierbei die Schule. Aus der enormen Zunahme der Motorisierung re- sultiert ein extrem einseitig genutzter Raum. Der Aktions- und Spielraum der Kinder wird immer weiter eingeschränkt. Einen erheblichen Anteil spielen hierbei die ‚Eltern- Taxi-Dienste‘, die nicht nur zu einem höheren Verkehrsaufkommen führen, sondern auch Kinder im schulischen Umfeld gefährden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unter- wegs sind. Zudem fehlen ‚Autokindern‘, im Gegensatz zu ‚Laufkindern‘ oder Kindern, die mit dem Fahrrad oder dem Roller unterwegs sind, Bewegungserfahrungen. Durch Fehlen einer Bewegungsroutine im öffentlichen Straßenraum, sind diese Kinder oft ängstlicher und es fällt ihnen schwerer, gefährliche oder unbekannte Situationen moto- risch geschickt zu lösen. Verkehrsunfälle sind keine Seltenheit. Schulisches Mobilitäts- management ist eine Möglichkeit diesen gefährlichen Kreislauf der ‚Eltern-Taxi-Dienste‘ zu unterbrechen (Abb.2-1).5

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-1: Der Teufelskreis der ‚Eltern-Taxi-Dienste‘ Quelle: eigene Darstellung nach (ILS 2010:o.S.)

Neben der traditionellen Verkehrserziehung, welche Kindern ein selbständigeres und bewussteres Verhalten im Straßenverkehr näher bringen soll, umfasst schulisches Mo- bilitätsmanagement des Weiteren Informations-, Kommunikations- und organisatorische Maßnahmen, die in enger Kooperation mit verschiedenen Akteuren für einen spezifi- schen Standort ausgearbeitet werden (vgl. Kapitel 4.3). Bei der Verkehrserziehung der Kinder spielt heute somit nicht mehr nur die Wissensvermittlung über Auswirkungen des Verkehrs auf Umwelt und Gesellschaft eine Rolle, sondern kindliche Sichtweisen und Wahrnehmungen werden in den Vordergrund gestellt, ihre Fähigkeiten und Schwächen berücksichtigt und handlungsorientierte Ansätze ausgearbeitet. Ein frühzeitiges Mobili- tätsmanagement ist von größter Bedeutung, denn so kann die Einstellung zur Ver- kehrsmittelwahl bereits bei den Kleinsten langfristig geprägt werden. Bis heute ist Mobilitätsmanagement an Schulen ein relativ junges Feld, welches in Deutschland noch nicht fest verankert ist. Allerdings wissen die Kommunen um dessen Wichtigkeit und bemühen sich um bestmögliche Förderung.6

2.2 Partizipation

Der Begriff Partizipation kommt aus dem Lateinischen (lat.: particeps) und ist ein Sam- melbegriff für verschiedene Arten der Beteiligung und Mitbestimmung. Sie ist der wich- tigste Grundbaustein jedes demokratischen Gemeinwesens. Bürger und Bürgerinnen dürfen aktiv mitgestalten, mitwirken, mitentscheiden und Verantwortung übernehmen. Dies gilt jedoch nicht nur für Erwachsene, sondern in besonderem Maße auch für Kin- der und Jugendliche. Durch aktives Mitwirken in ihren Lebensbereichen, z.B. in der Fa- milie, in der Schule, in der Freizeit oder in Vereinen wird nicht nur das Selbstvertrauen von Kindern gestärkt, sondern es trägt auch effektiv zu ihrer Persönlichkeitsbildung bei. Problematisch ist, dass Partizipation jedoch in vielen Fällen nur als ‚Teilhabe‘ übersetzt und umgesetzt wird. Viele Erwachsene in der Politik sowie auch in der Erziehung ver- stehen unter Partizipation von Kindern, dass diese zu Wort kommen dürfen und ihnen Gehör geschenkt wird. Die aktive Beteiligung jedoch, wird oftmals außen vor gelassen.7

Diese, nach Roger Hart benannte Scheinpartizipation von Kindern, ist in vielen Kom- munen zu finden. Es ist sehr kritisch zu betrachten, denn die Kommune ist der wichtigs- te politische Lernort an dem sich entscheidet, ob Kinder als Akteure ernst genommen und bei der Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens einbezogen wer- den.8

In vorbildlichen Fällen werden Kinder auf kommunaler Ebene bei der Gestaltung von Spielflächen oder bei der Planung von kindgerechten Verkehrswegen beteiligt. Eine weitere Methode der Kinderbeteiligung auf städtischer Ebene kann das Erstellen eines Kinderstadtplans sein. Ob dies eine geeignete Methode ist und wie diese von den Kindern angenommen wird, wird in Kapitel 8 näher untersucht.9

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2-2: Die Partizipationsleiter

Quelle: eigene Darstellung nach (Hart 1997:25-40)

Die Partizipationsleiter nach Roger Hart (Abb. 2-2) dient dem Aufzeigen der verschiedenen Partizipationsformen, welche im Folgenden kurz erläutert werden:

1 Erwachsene üben Einfluss auf Kinder aus; Inhalt, Projektform sowie Er- gebnisse der Mitwirkung sind fremdbestimmt.
2 Kinder bekommen nicht genügend Informationen über Anlass, Inhalt und Ziel; Sie dienen nur als Beiwerk einer von Erwachsenen initiierten sozialen Umwelt, dementsprechend besteht keine Chance der Einflussnahme und Mitbestimmung seitens der Kinder.
3 Kinder werden nur scheinbar „gehört“; Oftmals aus Prestige motivierte Be- teiligung von Kindern an wichtigen öffentlichen Veranstaltungen oder Pro- jekten, bei denen sie weder faktisches Mitbestimmungsrecht noch Entscheidungsgewalt besitzen.

Die ersten drei beschriebenen Stufen stellen eher einen Missbrauch als eine Beteiligung von Kindern dar. Die fünf nächsten Stufen sind verschiedenen Formen der Partizipation, wobei Roger Hart ausdrücklich vermerkt, dass die höheren Stufen nicht automatisch ‚bessere‘ Formen als die der mittleren Stufen sind.

4 Ein Projekt wird von Erwachsenen initiiert, allerdings werden die Kinder hinreichend über Inhalte und Partizipationsmöglichkeiten informiert, so- dass nicht mehr nur noch von einer bloßen Scheinpartizipation gespro- chen werden kann.
5 Die Projektleitung sowie die finale Entscheidungskompetenz liegt zwar noch bei den Erwachsenen, allerdings fließen hier erste Anregungen - persönliche Erfahrungen oder Kritik der Kinder - in die Projektgestaltung mit ein.
6 Die Projektidee kommt zwar noch von den Erwachsenen, allerdings haben die Kinder Beteiligungsrecht an allen Entscheidungen.
7 Eine unmittelbare Partizipation, bei der ein Projekt eigenständig von den Kindern angeregt und durchgeführt wird; es wird aber von Erwachsenen unterstützt und gefördert.
8 Eine Projektinitiierung durch Kinder, bei der sie die völlige Entscheidungs- kompetenz besitzen. Die erhöhte Entscheidungsbefugnis bei gleichzeitiger Einbindung von Erwachsenen ermöglicht ein ‚voneinander Lernen‘ und stellt somit die höchste Rangordnung im Bezug auf die Partizipation von Kindern dar.10

3 Mobilitätsmanagement an Schulen

Die individuelle Mobilität hat in den letzten 40 Jahren einen immer höheren Stellenwert erlangt. Der menschliche Lebensraum erfuhr mit der technischen Entwicklung der Kraftfahrzeuge (Kfz) und dem Straßenbau eine sichtbare Neuformung, welche sich auf alle Altersklassen auswirkt.11

Mobilitätsmanagement ist eine Möglichkeit die bestehenden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen, bei gleichzeitiger Reduzierung des Kraftfahrzeugverkehrs sowie einer Stär- kung des Umweltverbundes, zu erfüllen.12 Schulisches Mobilitätsmanagement stellt hier ein einrichtungsbezogenes Mobilitätsmanagement dar, bei der die Zielgruppe bekannt ist. Der Einrichtung wird ein sogenannter Mobilitätskoordinator zugeteilt, welcher für Betreuung, Beratung und Information der Lehrer und Kinder zuständig ist. Bestmöglich sollten koordinierte Aktionen des schulischen Mobilitätsmanagement an mehreren Schulen gleichzeitig durchgeführt werden, um die Multiplikatoreffekte in den verschie- denen Stadtteilen zu verstärken.13

Im Folgenden wird dargestellt wie die Entwicklung von der traditionellen Verkehrserziehung hin zum heutigen Mobilitätsmanagement verlief. Zudem wird betrachtet welche Rolle die Kinder im Straßenverkehr spielen und wie sich ihr Verhalten verändert hat. Hierzu werden Unfallstatistiken herangezogen.

3.1 Die Entwicklung der Verkehrserziehung in Deutschland

Mit Aufkommen der ersten Pkw um 1900 kam es auch bald zu erheblichen Konflikten, Beschwerden und Unfällen im Straßenraum. Der Straßenverkehr war sehr schnell ein kritisches Thema. 1909 wurde das „Gesetz über den Verkehr mit Kraftwagen“, als Vor- läufer zur heutigen Straßenverkehrsordnung (StVO), eingeführt. Das erste Ziel der all- gemeinen Verkehrserziehung war somit das Lernen von Verkehrsregeln in allen Alterklassen.14

Viele Autofahrer sahen damals das unvorsichtige und undisziplinierte Verhalten der Kinder im Straßenraum als großes Problem. Verkehrsverbände und Automobilclubs forderten seit den 1920er Jahren eine schulische Verkehrserziehung. Ziele waren der Erwerb von sicherheitsrelevanten Verkehrskenntnissen sowie ein diszipliniertes Verhal- ten im Verkehr.15

Abbildung 3-1 zeigt den sehr rasch ansteigenden Fahrzeugbestand in Deutschland seit 1970. Mit zunehmender Tendenz gibt es in Deutschland außerdem mehr Fahrzeuge als Kinder. Derzeit kommen mehr als vier Kraftfahrzeuge auf ein Kind. Dies verdeutlicht welche enorme Wichtigkeit der Verkehrserziehung zukommt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3-1: Fahrzeugbestand und Anzahl der Kinder in D seit 1970 Quelle: eigene Darstellung nach (KBA 2011:o.S./StBA 2009:o.S.)

Die Situation auf den Straßen wurde als Folge des ansteigenden Fahrzeugbestandes in Deutschland für Fußgänger und Radfahrer, besonders natürlich für Kinder, immer gefährlicher. Die Kinderunfallzahlen waren in Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren extrem hoch (vgl. Kapitel 3.3) - die höchsten in ganz Europa. Dies vermehrte und verstärkte gesellschaftliche und politische Einflüsse auf die verkehrserzieherischen Bemühungen in den Schulen. Unterstützt wurden die Schulen von außerschulischen Institutionen, wie z.B. der Polizei und Verkehrsclubs.16

Durch die 1972 von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichten „Empfehlungen zur schulischen Verkehrserziehung“ wurde die Verkehrserziehung in Deutschland grundlegend verändert. Es wurde festgestellt, dass das einfache Lernen von Regeln alleine nicht ausreicht. Sozialintegrative Formen des Verhaltens im Verkehr wurden in den Vordergrund gerückt und eine aktive Mitgestaltung und Verbesserung der Verkehrsverhältnisse gefordert.17

In den 1980er und 1990er Jahren wurden die negativen Auswirkungen der ansteigen- den Massenmotosierung auf Mensch und Umwelt immer wieder thematisiert und prob- lematisiert. Als Folge dessen wurde auch die schulische Verkehrserziehung angepasst und eine Neufassung der KMK-Empfehlungen veröffentlicht (1994). Diese Empfehlung hebt hervor, dass die Straßen nicht länger als abstraktes Rechtssystem gelten, sondern ein soziales Interaktionssystem darstellen soll. Die Verkehrserziehung bestand nun- mehr aus vier Bausteinen:18

- Sicherheitserziehung
- Sozialerziehung
- Gesundheitserziehung
- Umwelterziehung

Die ökologische Wende in der Verkehrserziehung, d.h. das Einbeziehen umwelt- und gesundheitsbezogener Lernziele, führte dazu, dass immer häufiger von Mobilitätserzie- hung anstatt von Verkehrserziehung gesprochen wird. Der grundlegende Ansatz ist es den Verkehr nachhaltig zu verändern, indem die Pädagogik versucht das Mobilitätsver- halten der Menschen bzw. Kinder zu beeinflussen. Ziel dieser Mobilitätserziehung ist eine kritische Auseinandersetzung mit den derzeitigen Mobilitätsformen, dem daraus resultierenden Verkehr sowie dessen Auswirkungen auf Sicherheit, Gesundheit und Umwelt des Menschen.19

Die klassische Verkehrserziehung betrachtet den Straßenverkehr als technisches System, wohingegen die Mobilitätserziehung den Straßenverkehr eher als soziales System und gesellschaftliches Produkt behandelt.20

Die Begriffsverwendung ist in den deutschen Bundesländern unterschiedlich, jedoch sprechen bereits viele nur noch von Mobilitätserziehung. Mobilitätserziehung ist, neben dem Schulwegmanagement und weiteren spezifisch für eine Schule ausgearbeitete Maßnahmen, ein Teil des schulischen Mobilitätsmanagements.21

Die Frage, wie die Situation der Kinder im heutigen Straßenverkehr aussieht und welches Perspektiven für eine zeitgemäße Mobilitätserziehung sind, wird im nächsten Kapitel untersucht.

3.2 Kinder im Straßenverkehr

Bereits vor der Haustür beginnt die Verkehrswelt. Ein Verzicht auf Verkehrsteilnahme würde die menschliche Mobilität und damit einen großen Teil der Lebensqualität erheb- lich einschränken. Aus diesem Grund ist ersichtlich, wie wichtig es auch für Kinder ist die Verkehrswelt möglichst früh mit realem Blick kennenzulernen. Der Verkehrsraum ist ein unvermeidbarer und unverzichtbarer gesellschaftlicher Lebensraum für sie. Bereits im Kindergartenalter kommen mehr als 60% der Kinder ohne die Begleitung Erwachse- ner mit dem Straßenverkehr in Berührung. Er muss dem Kinde in dem benötigten Um- fang erschlossen werden.22

Wie in Abbildung 3-2 dargestellt, ist die Verkehrssicherheit von verschiedensten Faktoren abhängig. Neben den äußeren Faktoren des Straßenverkehrs, spielt auch das Leistungsvermögen des Kindes eine große Rolle. Es gilt die selbständige Verhaltensfindung und die eigens gemachten Erfahrungen der Kinder im Straßenraum durch systematische pädagogische Hilfen zu ergänzen.23

Je nach Alter haben Kinder unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeiten. Besonders gefährlich ist, dass die meisten Kinder erst mit 10 Jahren Entfernungen und Geschwindigkeiten von herannahenden Kfz einschätzen können. Außerdem ist die Konzentrationsfähigkeit erst ab dem 14. Lebensjahr voll ausgebildet. Vorher sind Kinder sehr leicht ablenkbar. Auch ein vorausschauendes Gefahrenbewusstsein ist bei den meisten Kindern erst mit dem 8. Lebensjahr entwickelt.24

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3-2: Faktoren kindlicher Verkehrssicherheit

Quelle: eigene Darstellung nach (BMVBS 2006:o.S./Schneider 1965:16)

So machen nicht nur zu schnell fahrende Kfz oder übersehene Zebrastreifen den Verkehr für Kinder gefährlich, sondern auch deren körperliche Entwicklung ist zu betrachten. Aufgrund ihrer Größe werden Kinder oft hinter parkenden Autos schlichtweg übersehen. Hinzu kommt, dass ein Kind mit den kürzeren Beinen und der daraus folgenden kürzeren Schrittlänge wesentlich mehr Zeit für eine Straßenüberquerung benötigt als ein Erwachsener. Die Gefahrenstellen sind unzählig.25

Jedoch ist nicht jedes Kind gleichermaßen von den Auswirkungen des motorisierten Verkehrs betroffen. Je nach Wohnviertel oder Größe der Stadt sind Umstände und Er- fahrungen sehr unterschiedlich. Trotz der Unterschiede wurde der Alltag der Kinder durch den ständig wachsenden Straßenverkehr nachhaltig verändert. Dies äußert sich z.B. darin, dass…:26

- Kinder häufig Angst vor schnell fahrenden Autos haben.
- Kinder sich seltener im Freien aufhalten.
- spontane Treffen von Kindern auf der Straße seltener werden.
- Kinder lange Wege fast nie ohne einen Erwachsenen zurücklegen wollen/dürfen. Kinder oft mit dem „Eltern-Taxi“ gebracht werden.
- Kinder ihre Umwelt, durch die vom Autofahren geprägte Mobilität, „verinselt“ er- leben. Zwischen den Inseln (Schule, Sportverein, Wohnung der Freunde,…) werden sie mit dem Auto transportiert und verlieren den Kontakt zur Umwelt, was ihre kognitive Wahrnehmung (vgl. Kapitel 4.2) erheblich beeinflusst.

Eltern schätzen die Verkehrsverhältnisse oft so gefährlich ein, dass sie sich gezwungen fühlen ihre Kinder immer zu begleiten (vgl. Abb. 2-1). Für diese hat es zur Folge, dass soziale Erfahrungen, wie die ersten selbständigen Schritte in ihrer Lebensumwelt, kaum noch in der entscheidenden Entwicklungsphase gemacht werden. Dabei wären diese überaus wichtig für die körperliche, geistige und soziale Entwicklung von Kindern.27 Das schulische Mobilitätsmanagement kann hier an unterschiedlichen Punkten anknüp- fen. Zum einen soll eine Tabuisierung des Verkehrs vermieden werden, wodurch wiede- rum die Angst vor dem Straßenraum genommen werden soll und zum anderen kann die verloren gegangene Welt vor der Haustür mit Stadtteilerkundungen oder bestimmten Schulwegprojekten neu erschlossen werden.28

3.3 Unfälle

Trotz positiver Entwicklung der Kinderunfallzahlen in den letzten Jahren, ist der Straßenverkehr in entwickelten Ländern immer noch die häufigste Todesursache im Kindesalter. Anhand Abbildung 3-3 kann erkannt werden, dass die Zahlen der Kinderunfälle, nach einem Anstieg von 1955 bis 1970 durch die steigende Motorisierung, seit Ende der 1970er enorm rückgängig sind. Der Rückgang der absoluten Anzahl der getöteten Kinder wird jedoch häufig nicht nur auf die Erfolge mobilitätserzieherischer Bemühungen zurückgeführt, sondern oft auch darauf bezogen, dass Kinder generell zunehmend von der Straße ferngehalten werden.29

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3-3: Kinderunfälle (0-14 Jahre) nach Art der Verkehrsbeteiligung Quelle: eigene Darstellung nach (StBA 2010:18)

Der Vergleich von Unfallzahlen der OECD-Staaten zeigt, wie unterschiedlich die Ge- fährdungspotentiale für Kinder sein können. Deutschland konnte sich nach langer Zeit von einem der unteren Ränge, auf eine der oberen Positionen verbessern. Von 100.000 Kindern zwischen 0 und 14 Jahren sterben statistisch gesehen 0,9 bei Verkehrsunfäl- len. Kinder in Griechenland sind fast dreimal so stark gefährdet. Schweden ist bekannt für eine kinderfreundliche Politik und bemüht sich schon seit vielen Jahren um einen sicheren und kindgerechten Verkehr. Als Folge dessen finden dort wesentlich weniger Verkehrsunfälle mit Kindern statt als in anderen OECD-Staaten (vgl. Tab. 3-1). Außer- halb der OECD-Staaten ist eine Entwicklung von steigenden Unfallzahlen weltweit zu registrieren. Die Motorisierung armer Länder stellt häufig eine starke Gefährdung dar. Kinder in Afrika oder China sind zunehmend Opfer des Straßenverkehrs.30

Bei Betrachtung der Risikorate der 15 bis 17 Jährigen, ist in allen OECD-Staaten eine enorme Steigerung zu der Rate der 0 bis 14 Jährigen zu verzeichnen. Deshalb und auf- grund einer starken Veränderung des Mobilitätsverhaltens in diesem Alter wird der Mo- bilitätserziehung an weiterführenden Schulen eine immer wichtigere Rolle zugesagt.31

[...]


1 (UBA 2010:o.S.)

2 (Schoolway 2009a:o.S.)

3 (UBA 2010:o.S.)

4 (UBA 2010:o.S./Schoolway 2009a:o.S.)

5 (ILS 2010:o.S./Schoolway 2009b:o.S.)

6 (ILS 2010:o.S./Schoolway 2009b:o.S./Dose/Fuhrmann/Sack 1982:11)

7 (Fatke 2007:19-20/Morittu 2008:2-4)

8 (Fatke 2007:19-20/Morittu 2008:2-4)

9 (Morittu 2008:3-4)

10 (BS 2004:10-11)

11 (Hesse 2002:o.S./Schneider 1965:6)

12 (Hesse 2002:o.S.)

13 (Hesse 2002:o.S.)

14 (Limbourg 2003:1/Spitta 2005:10)

15 (Spitta 2005:10-11)

16 (Limbourg 2004:3-4)

17 (Spitta 2005:12/Verkehrswacht 1994:2)

18 (Spitta 2005:5/Verkehrswacht 1994:2)

19 (Limbourg 2003:3)

20 (BMVBS 2004:o.S.)

21 (Limbourg 2004:7/Hesse 2002:o.S.)

22 (Warwitz 1994:4)

23 (Warwitz 1994:4/Schneider 1965:16)

24 (BMVBS 2006:o.S.)

25 (DVR 1998:64-70)

26 (Spitta 2005:16-17)

27 (Spitta 2005:18)

28 (Spitta 2005:17-18/Warwitz 1994:4-5)

29 (Spitta 2005:19)

30 (IRTAD 2010:o.S./Spitta 2005:20-21)

31 (GDV 2006:22-23/IRTAD 2010:o.S.)

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Mobilitätsmanagement an Schulen
Untertitel
Kinderstadtpläne als geeignetes Werkzeug der Kinderbeteiligung
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Geographisches Institut)
Note
1,7
Jahr
2011
Seiten
70
Katalognummer
V177799
ISBN (eBook)
9783656289609
ISBN (Buch)
9783656290315
Dateigröße
2244 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schulisches Mobilitätsmanagement, Verkehrserziehung, Kinderstadtplan, Kinderbeteiligung, Mental Maps, Mobilitätserziehung
Arbeit zitieren
Anonym, 2011, Mobilitätsmanagement an Schulen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177799

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